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776 Berichte Stahlbau 78 (2009), Heft 10 Parkhaus für die Neue Messe in Stuttgart Wirtschaftliche Lösung für Entwurf und baulichen Brandschutz Das Parkhaus der Neuen Messe in Stuttgart wurde über der Bundesautobahn A8 und der zukünftigen Neubau- strecke Stuttgart-Ulm der Deutschen Bahn AG erbaut. Als offene, oberirdische Großgarage mit über 4000 Stellplät- zen besteht ihr Tragwerk aus nicht brennbarem Material. Die Stahlbaukonstruktion dafür ist zum Teil mit Dämm- schichtbildnern als vorbeugendem baulichen Brandschutz beschichtet, und zwar ohne Beeinträchtigung der wegwei- senden Architektur; das Parkhaus der Neuen Messe in Stuttgart ist mit dem European Steel Award 2007 ausge- zeichnet worden. Stahlbaukonstruktion, Ausbau und Ausführung Das Parkhaus der Neuen Messe in Stuttgart führt als über 300 m langes Brückenbauwerk über die sechs- und später achtspurige Bundesautobahn A8 und die beiden zukünfti- gen ICE-Gleise der geplanten Neubaustrecke der Deut- schen Bahn AG (DB) von Stuttgart nach Ulm als Teil des Projektes Stuttgart 21. Es hat entsprechende Einfahrten (im Nordosten mit Erschließungsspindeln) (Bild 1) und beidseitig Zufahrten und ist zentraler Bestandteil der na- hen Autobahnanschlussstelle. Ausgeführt wurde ein räumliches Stahlfachwerk für zwei Parkhäuser, das heißt für zwei ,Parkhausfinger‘; sie sind wegen der schiefwinkligen Kreuzung der Autobahn verschieden lang (336 m und 264 m) und haben 35 m Breite und je sechs Parkdecks. Über der Autobahn entste- hen Spannweiten von bis zu 91 m bei einer Höhe von 8 m über Gelände. Die beiden bis 21,50 m hohen Parkhausfinger mit ge- schwungener Dachform bestehen aus je drei biegesteif durch Querrahmen verbundene Fachwerkträger aus geschweiß- ten Hohlkastenprofilen (800 × 600 mm mit unterschied- licher Blechicke), die die Parkdecks aufnehmen und in der unteren Ebene durch den ,Autobahndeckel‘ miteinander gekoppelt sind. Die Autobahndeckel der beiden Parkhausfinger bieten bei einem Verkehrsunfall auf der Autobahn den erforderli- chen Brandschutz (F90); sie sind dazu miteinander ver- bunden und reichen im Autobahnbereich an den beiden Längsfassaden 5 m über die Konstruktion hinaus. Das 12 bis 25 m breite Mittelstück zwischen den beiden Parkhaus- fingern nimmt Treppenhäuser zu den Parkdecks auf und dient als Fluchtweg und Zufahrt von Rettungsfahrzeugen. Für die Parkdecks wurden wegen der Gewichtserspar- nis und der schnelleren Bauweise Stahlverbunddecken (Hoesch-Additiv-Deckensystem) mit 8 cm Aufbeton einge- Bild 1. Parkhaus der Neuen Messe in Stuttgart mit den bei- den Parkhausfingern mit Erschließungsspindeln (rechts) [4]

Parkhaus für die Neue Messe in Stuttgart – Wirtschaftliche Lösung für Entwurf und baulichen Brandschutz

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Berichte

Stahlbau 78 (2009), Heft 10

Parkhaus für die Neue Messe in StuttgartWirtschaftliche Lösung für Entwurf und baulichen Brandschutz

Das Parkhaus der Neuen Messe in Stuttgart wurde überder Bundesautobahn A8 und der zukünftigen Neubau -strecke Stuttgart-Ulm der Deutschen Bahn AG erbaut. Alsoffene, oberirdische Großgarage mit über 4000 Stellplät-zen besteht ihr Tragwerk aus nicht brennbarem Material.Die Stahlbaukonstruktion dafür ist zum Teil mit Dämm-schichtbildnern als vorbeugendem baulichen Brand schutzbeschichtet, und zwar ohne Beeinträchtigung der wegwei-senden Architektur; das Parkhaus der Neuen Messe inStuttgart ist mit dem European Steel Award 2007 ausge-zeichnet worden.

Stahlbaukonstruktion, Ausbau und Ausführung

Das Parkhaus der Neuen Messe in Stuttgart führt als über300 m langes Brückenbauwerk über die sechs- und späterachtspurige Bundesautobahn A8 und die beiden zukünfti-gen ICE-Gleise der geplanten Neubaustrecke der Deut-schen Bahn AG (DB) von Stuttgart nach Ulm als Teil desProjektes Stuttgart 21. Es hat entsprechende Einfahrten(im Nordosten mit Erschließungsspindeln) (Bild 1) undbeidseitig Zufahrten und ist zentraler Bestandteil der na-hen Autobahnanschlussstelle.

Ausgeführt wurde ein räumliches Stahlfachwerk fürzwei Parkhäuser, das heißt für zwei ,Parkhausfinger‘; siesind wegen der schiefwinkligen Kreuzung der Autobahnverschieden lang (336 m und 264 m) und haben 35 mBreite und je sechs Parkdecks. Über der Autobahn entste-hen Spannweiten von bis zu 91 m bei einer Höhe von 8 müber Gelände.

Die beiden bis 21,50 m hohen Parkhausfinger mit ge-schwungener Dachform bestehen aus je drei biegesteif durchQuerrahmen verbundene Fachwerkträger aus geschweiß-

ten Hohlkastenprofilen (800 × 600 mm mit unterschied -licher Blechicke), die die Parkdecks aufnehmen und in derunteren Ebene durch den ,Autobahndeckel‘ miteinandergekoppelt sind.

Die Autobahndeckel der beiden Parkhausfinger bietenbei einem Verkehrsunfall auf der Autobahn den erforderli-chen Brandschutz (F90); sie sind dazu miteinander ver-bunden und reichen im Autobahnbereich an den beidenLängsfassaden 5 m über die Konstruktion hinaus. Das 12bis 25 m breite Mittelstück zwischen den beiden Parkhaus-fingern nimmt Treppenhäuser zu den Parkdecks auf unddient als Fluchtweg und Zufahrt von Rettungsfahrzeugen.

Für die Parkdecks wurden wegen der Gewichtserspar -nis und der schnelleren Bauweise Stahlverbunddecken(Hoesch-Additiv-Deckensystem) mit 8 cm Aufbeton einge-

Bild 1. Parkhaus der Neuen Messe in Stuttgart mit den bei-den Parkhausfingern mit Erschließungsspindeln (rechts) [4]

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baut; sie lagern auf Rosten aus Stahlträgern, wobei Längs-und Querträger (H- und I-Profile mit 550 und 540 mmHöhe) in gleicher Ebene liegen. Für die Bauausführungentschied man sich für die Stahlbaumontage mit dem ausdem Brückenbau bekannten Taktschiebeverfahren (Bild 2)mit gleichzeitiger Herstellung und Einschub des unterenParkdecks, des Autobahndeckels. Dadurch entfiel das ur-sprünglich vorgesehene Schutzgerüst über der Autobahn,um den Verkehr auf der Autobahn möglichst wenig zu beeinträchtigen. Je nach Größe des Vorschubabschnittsmussten 36 m bis 78 m Vorschubstrecke bei rd 6 m/h Vor-schubgeschwindigkeit und 1837 t bis 5524 t Vorschubge-wicht bewältigt werden. Nach Vorschub aller Abschnitte,Entlastung der Hilfsstützen und Umlagerung auf die end-gültigen Lager konnte der Autobahndeckel vollständig be-toniert werden. Danach folgten die Mittelzone, die Park-decks, die Treppenhäuser und Dächer.

Baustoffe, Bauzeit und Baukosten

Für die gesamte Stahlkonstruktion des Parkhauses derNeuen Messe in Stuttgart wurden insgesamt 12500 t Bau-stahl der Güte S355 und in Einzelbereichen S460 verwen-det sowie für die Deckenplatten der Parkdecks, der Dach-decken und die Autobahndeckel insgesamt 44000 m3 Be-ton der Güte C35/45. Die Bauzeit betrug 33 Monate und dieBaukosten 73 Mio.-€. Das Parkhaus bietet mit 125000 m2

Gesamtfläche und 375000 m3 umbauten Raum Platz für4100 Stellplätze.

Baulicher Bandschutz

Die Forderung, für offene oberirdische Großgaragen einennicht brennbrennbaren Baustoff zu verwenden, ist mit demTragwerk aus Stahl bereits erfüllt. Aufgrund der Lage desParkhauses über der äußerst dicht befahrenen AutobahnA8 und der künftigen ICE-Strecke sowie seiner Größe be-stehen unterschiedliche Anforderungen an den baulichenBrandschutz. So unterliegen die Hauptstützen, die die Stand-sicherheit das Parkhauses garantieren müssen, der Forde-rung F120, die durch das Anbringen einer Brandschutzbe-kleidung erfüllt wurde; und die Autobahndeckel als untereEbene müssen wegen möglicher Katastrophenfälle (Brandauf der Autobahn oder der Bahnstrecke) in F90 ausgelegt

sein, wobei die Betondecke (18 bis 22 cm) und die alsKammerbetonträger ausgebildeten Deckenträger diese For-derung erfüllen.

Die oberhalb der Autobahndeckel liegenden Bauteileder beiden Parkhausfinger und Treppentürme mussten dieForderung F30 (feuerhemmend) gewährleisten. Im Zeitraumvon 30 Minuten darf die Festigkeitsgrenze des Stahls (rd.500 °C) nicht überschritten werden, damit die Bekämpfungdes Brandes und die Rettung von Personen in dem betref-fenden Parkhausbereich möglich ist. Der Entwurf des Bau-herrn sah hier Brandschutzanstriche vor; durch eine Be-trachtung von Ausfallszenarien im Rahmen der Stahlbau-planung konnte jedoch die mit baulichem Brandschutz zuversehende Fläche verringert werden, so dass ein Teil derStahlbauteile lediglich mit einem Korrosionsanstrich ver-sehen wurde.

Dämmschichtbildner

Diese Brandschutzsysteme bieten für Stahl nicht nur den er-forderlichen Brandschutz sondern auch einen guten Korro-sionsschutz (auch im Außenbereich) und wegen ihrer ge-ringen Auftragsdicke und unterschiedlichen Farbgebung demArchitekten sehr gute Gestaltungsmöglichkeiten, wofür esanschauliche Beispiele gibt.

Die betreffenden Stahlbauteile des Parkhauses wurdenmit dem Dämmschichtbildner Unitherm LSA brandge-schützt (Bild 3), für den die bauaufsichtliche Zulassungfür die Brandschutzklasse F30 im Außenbereich vorliegtund der sich hinsichtlich Schichtdicke, Schaumstruktur,Arbeitsgang und Trockenzeit als wirtschaftlich erwies.Gute Erfahrungen damit hatte man bereits bei mehrerenBauwerken gemacht [5] bis [9]. Durch Nutzung der tech-nischen Möglichkeiten und die frühe Beratung durchUnitherm-Fachberater mit umfassenden Kenntnissen imbaulichen Brandschutz für den Stahlhochbau ergeben sichfür Bauherren, Fachplaner und die ausführenden Unter-nehmen eine Vielzahl von Vorteilen, so beim Aufstellen derLeistungsverzeichnisse (Beschreibung der Vorleistungenfür die Stahlauftragsflächen und anhand der Stahlstück -listen Ermittlung der Bedarfsmengen an Dämmschicht-bildner und Decklack in entsprechendem Farbton) undbei Abweichungen von Zulassungen und Sonderfällen.

Bild 2. Stahlbaumontage über der Autobahn im Taktschiebe -verfahren [4]

Bild 3. Seitlicher Fachwerkträger mit Querrahmen zur Auf-nahme der Trägerroste für die Parkdecks (Stahlverbunddecken)

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Die Forderungen des Bauherrn hinsichtlich geringerSchichtdicke und damit geringem Gewicht, großer Stabi-lität und optischer Wirkung gemäß Musterflächen imFarbton RAL 7047 Telegrau sowie die Verträglichkeit imBrand- und Korrosionsschutz wurden vom reaktivenDämmschichtbildner Sika Unitherm LSA erfüllt. Ausge-führt wurden die Brandschutzarbeiten an der Stahlbau-konstruktion des Parkhauses von der Firma BernhardGoldkuhle GmbH aus Ratingen, einem erfahrenen undeingewiesenen Fachbetrieb für Korrosionsschutz- undBrandschutzbeschichtungen. Die Grundierung der Stahl-bauteile wurde vorher bauseits aufgebracht.

Für die Stahlbaukonstruktion der beiden Parkhaus-finger (Bild 4) und der Treppentürme wurden insgesamtetwa 15000 m2 F30-Stahlbrandschutzbeschichtung SikaUnitherm LSA schnelltrocknend mit zweimal Decklackim Farbton RAL 7047 in kurzer Zeit ausgeführt und dafürrd. 23 t Unitherm LSA benötigt; so wurden in den Park -hausgeschossen Stahlträger IPE 550 dreiseitig mit einerTrockenschichtdicke von nur 0,35 mm (rd 0,7 kg/m2) mitUnitherm LSA für F30 brandgeschützt (Bild 5).

Die Stahlrohrkonstruktionen der Verbindungen zwi-schen dem Parkhaus und den Treppentürmen genügteeine Trockenschichtdicke von lediglich 1,7 mm (rd 3,4kg/m2) Unitherm LSA für die Forderug F30. Auch dieKnotenpunkte für die Stahlstützen der Stahlbaukonstruk-tion des Parkhauses wurden außen für die Brandschutz-klasse F30 mitbeschichtet. Der übrigen Teil der Stahlbau-konstruktion wurde nur mit Korrosionsschutz versehen.

Der erfolgreich bestandene 10-Jahrestest des Brand-schutzsystems Sika Unitherm LSA an der Materialprüfan-stalt Braunschweig war eine brandschutztechnische Inve-stition des Bauherrn, um die Lebenszykluskosten desParkhauses zu minimieren. Dies ist für dienstleistende Fa-cility Management Unternehmen von Interesse.

Am Bau Beteiligte:Bauherr: Projektgesellschaft Neue Messe Stuttgart GmbH& Co KG, StuttgartNutzer: Landesmesse Stuttgart GmbH, StuttgartArchitekten: Tobias Wulf, Karl Bierich, Alexander Vohl,Freie Architekten BDA, Stuttgart

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Stahlbau 78 (2009), Heft 10

Tragwerksplaner: Leonhardt, Andrä und Partner GmbH,StuttgartObjektüberwachung: IGS Ingenieurgemeinschaft SeidelGmbH, StuttgartBauausführung: ARGE Parkhaus über die BAB A8 Landes-messe Stuttgart Los 8A-GWayss & Freytag Ingenieurbau AG, NL StuttgartDonges SteelTec GmbH, Darmstadt(damals noch Donges Stahlbau GmbH)Baresel AG, NL StuttgartBrandschutz: HHP Nord/Süd Beratende IngenieureGmbH, Braunschweig, Sika Unitherm GmbH, VaihingenEnz, Bernhard Goldkuhle GmbH & Co KG, Ratingen

Literatur

[1] Angelmaier, V., Andelfinger, J., Herrmann, J., Sandner, D.:Das Parkhaus für die Neue Landesmesse Baden-Württemberg.Stahlbau 72 (2003), H. 6, S.446—452.

[2] Angelmaier, V., Andelfinger, J., Herrmann, J., Sandner, D.:Die Ingenieurbauwerke für die Verkehrserschließung derNeuen Landesmesse in Stuttgart. Stahlbau 77 (2008), H. 9, S.659—668.

[3] Parkhaus Landesmesse Stuttgart. Ingenieurbau-Preis vonErnst & Sohn 2008, S. 37–38.

[4] Parkhaus Neue Messe Stuttgart. Wayss & Freitag Ingenieur-bau AG, S. 1–12.

[5] Brux, G.: Eneuerung der Hafenstraßenunterführung imHauptbahnhof Frankfurt am Main. Stahlbau 68 (1999), H. 9,S. 763–769 und 69 (2000), H. 3, S. 212–213.

[6] Stahl F90 brandgeschützt beschichtet – neue Möglichkeitenfür Architekten und Planer. Brandschutz 1/2002, S.38–40.

[7] Brux, G.: Mercedes-Benz Center in München mit MaybachCenter. Größere Möglichkeiten für Planer durch neuen Brand-schutz. Stahlbau 74 (2005), H. 1, S.66–68

[8] Brux, G.: Stadien der Fußball-Weltmeisterschaft 2006: Stahl-konstruktionen mit dämmschichtbildender Brandschutzbe-schichtung. Stahlbau 75 (2005), H. 12, S. 1013–1019.

[9] Brux, G.: Größte Flugzeughalle Europas für den AirbusA380 in Frankfurt/Main. Wirtschaftliche Lösung bei Entwurfund baulichem Brandschutz. Stahlbau 77 (2008), H. 1, S. 64–67.

Autor dieses Beitrages:Dipl.-Ing. Gunther Brux, Schreyerstraße 13, 60596 Frankfurt/Main

Bild 4. Parkdeck mit Stahlträgern IPE 550 F30 brandgeschütztmit Sika Unitherm LSA schnelltrocknend

Bild 5. Schichtdickenkotrolle des Brandschutzes mit SikaUnitherm LSA für Außenbereich