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1 Inhaltsverzeichnis Die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia fördert Kunst und Kultur in der Schweiz, sie setzt sich für den kulturellen Austausch im Inland sowie mit dem Ausland ein. Mit ihrer Tätigkeit unterstützt sie eine kulturell vielseitige, zeitgenössische und offene Schweiz. Das Pro-Helvetia-Kulturmagazin Passagen/Passages erscheint dreimal pro Jahr in deutscher, französischer und englischer Sprache. Zu beziehen über die schweizerischen Auslandvertretungen, das Centre culturel suisse, 32, rue des Francs-Bourgeois, 75003 Paris (nur für Frankreich), oder direkt beim Herausgeber: Pro Helvetia, Kommunikation, Postfach, CH-8024 Zürich,Tel. + 41 44 267 71 71, Fax + 41 44 267 71 06, E-mail: alangenbacher @prohelvetia.ch. In der Schweiz ist Passagen für sFr. 12.50 (Einzelnummer) oder im Jahresabonnement für sFr. 35.– erhältlich. (http://www.prohelvetia.ch). 46 passagen p a s s a g e s Alek Popov 02 Der Donau entlang Eine bulgarische Lesung Ilma Rakusa 06 Mein ‹Jugoslawien› Über den Rückzug eines Landes in die Literatur Ferida Durakovic ´ 10 Kriege und Identitäten Bosnien-Herzegowinas künstlerische Energien Andreas Ernst 13 Balkanblues Herausforderung aus der ‹Banlieue› Westeuropas Fatos Lubonja 17 Spiegel oder Zerrbild? Der kulturelle Wandel im postkommunistischen Albanien Shkëlzen Maliqi 20 Nationale Werte und Subversion Kosovos neue Kunst am Scheideweg 23 Passagen Spezial: Schweizer Kulturprogramm Südosteuropa und Ukraine (SCP) Sonia Zoran 51 ‹Unten links› Südosteuropa vom Balkon aus gesehen Juri Andruchowytsch 54 Dieses freie, korrumpierte Land Die Ukraine neu denken Vladislav Bajac 58 Meine Rückkehr in die Welt Eine Reise von Belgrad nach London – und zurück Dejan Mikic ´ 62 Islam, Moschee, Kopftuch Gegen pauschale Wahrnehmungen Boris Previsic 66 «Es war mir…» Projektionsraum Balkan Iskra Geshoska 68 Landschaften malen Reflexionen über Mazedonien Photographie Die Lost Highway Expedition – Eine Fahrt durch Südosteuropa

Passagen 46 D mitVerdr · 4 zwungen, uns irgendwie an diesen Gedanken zu gewöhnen. Im Prinzip neigen die Bewohner aller Täler zu Solipsismus. Wahrscheinlich haben sich die Bewohner

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Inhaltsverzeichnis

Die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia fördert Kunst und Kultur in der Schweiz, sie setzt sich für den kulturellen Austausch im Inland

sowie mit dem Ausland ein. Mit ihrer Tätigkeit unterstützt sie eine kulturell vielseitige, zeitgenössische und offene Schweiz.

Das Pro-Helvetia-Kulturmagazin Passagen/Passages erscheint dreimal pro Jahr in deutscher, französischer und englischer Sprache.

Zu beziehen über die schweizerischen Auslandvertretungen, das Centre culturel suisse, 32, rue des Francs-Bourgeois, 75003 Paris (nur für

Frankreich), oder direkt beim Herausgeber: Pro Helvetia, Kommunikation, Postfach, CH-8024 Zürich, Tel. + 41 44 267 71 71, Fax + 41 44 267 71 06,

E-mail: [email protected]. In der Schweiz ist Passagen für sFr. 12.50 (Einzelnummer) oder im Jahresabonnement für sFr. 35.–

erhältlich. (http://www.prohelvetia.ch).

46p a s s a g e np a s s a g e s

Alek Popov 02 Der Donau entlangEine bulgarische Lesung

Ilma Rakusa 06 Mein ‹Jugoslawien›Über den Rückzug eines Landes in die Literatur

Ferida Durakovic 10 Kriege und IdentitätenBosnien-Herzegowinas künstlerische Energien

Andreas Ernst 13 BalkanbluesHerausforderung aus der ‹Banlieue› Westeuropas

Fatos Lubonja 17 Spiegel oder Zerrbild?Der kulturelle Wandel im

postkommunistischen Albanien

Shkëlzen Maliqi 20 Nationale Werte und SubversionKosovos neue Kunst am Scheideweg

23 Passagen Spezial:

Schweizer Kulturprogramm Südosteuropaund Ukraine (SCP)

Sonia Zoran 51 ‹Unten links›Südosteuropa vom Balkon aus gesehen

Juri Andruchowytsch 54 Dieses freie, korrumpierte LandDie Ukraine neu denken

Vladislav Bajac 58 Meine Rückkehr in die WeltEine Reise von Belgrad nach London – und zurück

Dejan Mikic 62 Islam, Moschee, KopftuchGegen pauschale Wahrnehmungen

Boris Previsic 66 «Es war mir…»Projektionsraum Balkan

Iskra Geshoska 68 Landschaften malenReflexionen über Mazedonien

Photographie

Die Lost Highway Expedition – Eine Fahrt durch Südosteuropa

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Der bulgarische Schriftsteller Alek Popov fährt die Donau hinauf und besucht als Gastautor im niederösterreichischen

Krems eine Lesung. Seine eigene. Ein Anlass zu einer Reflexion über Herkunft und Sprache. Und zu einem Brücken-

schlag zwischen lokaler und globaler Identität �

Der Donau entlang Eine bulgarische Lesung

Alek Popov

Mit leicht zusammengekniffenen Augen und et-was wie einem Lächeln, das ein weites Feld fürInterpretationen eröffnet, beobachtet mich vomPlakat aus ein unrasiertes Individuum. Es trägt einsandfarbenes Hemd, unter dem ein T-Shirt miteinem Totenkopf und irgendwelchen Knochen zusehen ist. Das Plakat ist an das niedrige Türchengegenüber der kleinen Weinstube angepinnt, indie ich eingekehrt bin, um ein Glas kalten Weiss-wein zu trinken. Zu dieser Tageszeit sind die Stras-sen des historischen Städtchens Krems in Nieder-österreich fast völlig menschenleer. Einige Häuserweiter unten fliesst unsichtbar die stille Donau da-hin, immer noch ziemlich tailliert und sauber.Auch während des restlichen Tages kann mankaum davon sprechen, dass die Strassen sonder-lich belebt sind, wenn man von den sporadischenTouristeneinfällen einmal absieht. Die örtliche Be-völkerung zieht es vor, still und unbemerkt hinterden guterhaltenen barocken Fassaden zu leben.Der Mann vom Plakat ist bestimmt nicht von hier.Sein Name ist slawisch. In Klammern wird diskretpräzisiert: Bulgarien. Das einheimische Publikumwird das Vergnügen haben, mit ihm ab 19 Uhr imSalon des Literaturhauses zusammenzutreffen.Eintritt frei. Sicherlich wird er etwas lesen. In wel-cher Sprache wohl? Wenn es mich wirklich so in-teressiert, fällt mir da ein, könnte ich dem Ereignisja beiwohnen. Wahrscheinlich wird es eine Über-setzung ins Deutsche oder Englische geben. Andiesem Abend habe ich ohnehin noch nichts vor.Am Ende gibt es sicherlich ein Glas Wein. Kremsliegt in der malerischen Wachau, wo man den be-sten Weisswein ganz Mitteleuropas keltert.

Das Tal des Weins: Ich drehe mich um, um mirnoch ein Glas zu bestellen. Und ich weiss nichtwarum, aber es scheint mir, als ob mich der Wirtseltsam anschaut. «Ich habe Sie erkannt», will er mirmit seinem Grinsen sagen und zwinkert zu demPlakat hinüber, «das sind Sie.» «Ach, du Dummkopf!»

fluche ich in Gedanken. Der ganze Zauber ist da-hin. Ich bezahle verärgert und gehe. In Wirklich-keit aber geschieht nichts dergleichen. Der Wirtsagt nichts. Falls er das Plakat überhaupt bemerkthat, ist ihm die Verbindung zwischen selbigemund dem Mann am Tisch mit Sicherheit entgan-gen. Er bringt den Wein und verschwindet mitdem immer gleichen dienstfertigen Lächeln wie-der hinter der Schank. Der Zauber ist endgültigzum Teufel.«Ach, du Dummkopf!». Jetzt fluche ich schon wirk-lich.Das Tal des Weins, die Wachau, wo ich diesen Mo-nat verbringen werde, und das Tal der Sprache,wo sich meine ständige Anschrift befindet, habenziemlich viele Gemeinsamkeiten. Die Menschenkennen einander, die Entfernungen sind nichtgross, Gerüchte verbreiten sich schnell, Neuigkei-ten kommen langsam, und der Fluss ist ein be-stimmender wirtschaftlicher und kultureller Fak-tor. Durch das eine Tal fliesst die Donau, durchdas andere – der wasserreiche Fluss der bulgari-schen Sprache. Auf der Donau kann man bis ganznach Bulgarien hinunterfahren. Und siehe da, eszeigt sich, dass man auch auf dem Fluss der bul-garischen Sprache bis in die Wachau gelangenkann! Aber während die Kremser alles in allem einglückliches und dankbares Völkchen sind, ver-

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flucht das Volk im Tal der bulgarischen Sprachesein Schicksal zuhauf.Wo liegen die Wurzeln dieser Unzufriedenheit?

Das Tal der Sprache: Bis vor ganz kurzem lebtendie Bewohner meines Tals mit einem trügerischenGefühl. Aus wohlbekannten historischen Gründenwaren sie nur selten dazu gezwungen, die Gren-zen ihrer sorgsam überwachten kulturellen En-klave zu überschreiten. Die Neuigkeiten aus derAussenwelt erreichten sie hauptsächlich auf derStrömung des Flusses der Sprache. Sei es durchmündliche Überlieferung oder sei es durch Texte.Und ganz selten einmal durch persönliche Erfah-rungen. Es ist nicht so, dass die Menschen unin-formiert gewesen wären, ganz im Gegenteil sogar:In Bezug auf die Geographie zum Beispiel warensie (und sind es wahrscheinlich immer noch) vielbesser orientiert als die Bewohner weitaus offene-rer Räume. Bezüglich der kulturellen Schichten inder Menschheitsgeschichte gab es ebenfalls einvergleichsweise klares Paradigma. Eigentlich wares nicht gar so ein grosses Geheimnis, dass dieErde rund ist, dass der Nil sich ins Mittelmeer er-giesst und der Mount Everest der höchste Gipfelder Erde ist. Man wusste, wer Aristoteles, werLeonardo da Vinci, Dostojewski, Kafka und Camuswaren, ja sogar Nathalie Sarraute war irgendwieauf dem wackligen Floss des Nouveau Roman da-hergeschwommen. Aber im Endeffekt war dieseWelt nicht real. Sie erinnerte an ein Märchen überweit entfernte Länder und Epochen, was sie jaletztlich auch war. Einzig real blieb das Tal. Hierwaren die Dinge echt. Man konnte sie sehen, sieanfassen, an ihnen riechen. Die in einer fremdenSprache geschriebenen Worte hinterliessen gleich-sam keine Spuren im Raum. Während die bulga-rischen Worte Gewicht hatten. Ihretwegen konnteman in die Bredouille geraten, aber wie! Das warnicht der Mittelpunkt der Welt. Das war die Welt.

Die globale Anonymität: Dieser kollektive Solip-sismus bekam erst Anfang der Neunziger Risse.Anfangs scheu, später immer dreister, begannendie Bewohner des Tales, seine Grenzen zu über-schreiten. Es zeigte sich, dass die Welt jenseitsganz genauso real war wie auch ihre eigene. So-wohl optisch als auch haptisch, als auch vom Ge-ruch her. In gewisser Hinsicht sogar echter als jene,in der sie bisher gelebt hatten. Auch diese Weltwusste nichts oder fast nichts über die ihre, wennwir einmal von einer Minderheit hochspeziali-sierter Fachleute absehen! Weder wohin der Iskarfliesst, noch wie hoch der Gipfel des Musala ist. Siehatte nichts von Vazov oder Botev gehört, und auchnichts über die ganze reifbedeckte Kette von Gi-ganten des Geistes, die ihr Tal umzäunt hatten.Also wenn das keine Ungerechtigkeit ist!Voilà, so schlug das Pendel des kollektiven Irrtumsvon einem Extrem ins andere aus: Die Bewohner

des Tals erfüllten sich mit Zweifeln hinsichtlichihrer eigenen Existenz. Indem sie die Welt ent-deckten, entdeckten sie auch das Phänomen derglobalen Anonymität. Bis jetzt ist man jemandgewesen, und plötzlich wird man zu einem Nie-mand. Es liegt nur ein Schritt dazwischen. Dochdiese Änderung des Status ist dramatisch. Folgen-der Fall ist bekannt: Während der siebziger Jahredes vergangenen Jahrhunderts, auf dem Höhe-punkt des Kalten Krieges, schickte der Staat einender prominentesten bulgarischen Schriftstellerfür einige Monate nach Frankreich. Er sollte einpaar Erfahrungen sammeln, sich ein wenig um-sehen, andere Luft atmen. Vielleicht verfolgte manauch das perfide Ziel, ihn seinen eigenen Platz inder Welt erkennen zu lassen, auf dass er die Nasenicht zu hoch trage. Und so geschah es auch. Derlebende Klassiker trieb sich ein, zwei Wochen inParis herum, doch verärgert über die Tatsache, dassman ihm hier nicht die gebührende Aufmerk-samkeit schenkte, drehte er sich wie ein beleidig-tes Kind um und kehrte nach Hause zurück. Erschlug sozusagen der Welt die Tür vor der Nasezu. Wenn ihr so tut, als würde ich nicht existieren,dann mache ich das mit euch eben auch so! Esscheint, dass das Gespenst der globalen Anony-mität sich im Endeffekt als noch schrecklicher er-wiesen hatte als die erstickende Umarmung derheimischen Zensur.

Die Welt besteht aus Provinzen: Etwas ähnliches,nur in viel grösserem Masstab, geschah währendder Neunziger, als die Grenzen sich öffneten. DieBeleidigung, der Schock und die Unsicherheit lies-sen eine Vielzahl von Menschen noch tiefer in denWalddickichten des Tales eine Zuflucht suchen,wo der Bodensatz der Jahrhunderte fortfuhr, Trug-bilder zu erzeugen. Das Heimweh nach dem bul-garischen Weltall war vergleichbar mit dem Ge-fühl von Verlust, welches die Kolonialmächte inden Sechzigern erlebt hatten. Paradoxerweisekönnen das Engerwerden und das Öffnen derGrenzen zu ein und demselben Resultat führen.Was gleichsam erneut beweist, dass das Problemder Identität sich nicht nur in der Geographie er-schöpft. Die ehemaligen Kolonialmächte reagier-ten auf diese Herausforderung, indem sie ver-suchten, Teile der Welt, die sie einst beherrschthatten, in ihre Metropolen zu importieren. DerFächer verschiedener Kulturen, welcher sich im-mer weiter öffnete, kompensierte zusammen mitdem Zustrom von Emigranten aus den ehemali-gen Territorien gleichsam das Fehlen der Territo-rien selbst. Aber wie sollen die Menschen aus demTal vorgehen, die doch niemals fremde Länderbeherrscht haben? Woher sollen sie das Materialimportieren, um ihr rissig gewordenes Weltallwiederherzustellen?Manche Dinge kann man einfach nicht reparie-ren – vor allem die Illusionen nicht. Wir sind ge-

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zwungen, uns irgendwie an diesen Gedanken zugewöhnen. Im Prinzip neigen die Bewohner allerTäler zu Solipsismus. Wahrscheinlich haben sichdie Bewohner der fruchtbaren Wachau ebenfallsirgendwann einmal gedacht, dass die Welt an denGrenzen ihres Tales endet. So wie auch die Men-schen aus den kleinen Dörfern, die sich in den Fal-ten der Alpen verstecken. Früher oder später aberbegreifen sie, dass dem nicht so ist. Jenseits desHügels gibt es ein anderes Tal, in dem ein andererFluss fliesst, und jenseits dessen – eine Ebene,danach eine Stadt, dann ein Gebirge, wieder einTal, ein Ufer, ein Meer und so weiter und so fort.Das Universum ist eine deprimierende Abstrak-tion. Die Welt besteht aus Provinzen. Wenn wirlernen, sie stückweise wahrzunehmen, werdenwir uns vielleicht nicht so verloren fühlen. Jederkommt irgendwoher, jeder trägt seine eigene Ge-schichte in sich. In der Praxis ist niemand ano-nym. Die Ideen mögen global sein, aber die Men-schen bleiben lokale Wesen. Gebunden und sichbindend. Sonst kann die Welt nicht überleben.

Die fremden Stimmen: Im gemütlichen kleinenSaal des Literaturhauses hören an die zwanzigPersonen aufmerksam zu. Einschliesslich meinerWenigkeit. Eine fremde Stimme liest in einer frem-den Sprache. Meinen Text. Ich fühle mich seltsamgespalten, so als würde ich meiner eigenen Geburtoder Hochzeit beiwohnen. Gleichzeitig wie einTeilnehmer und ein Beobachter. Ein Teil von mirist hier, lächelt unbeholfen ins Publikum, so alshätte er sich eine fremde Identität angeeignet.Der andere bleibt irgendwo dort, im Tal der Spra-che, und betrachtet verträumt und unerschütter-lich die Strömung des Flusses. Etwas sagt mir, dassdieses Gefühl nie verschwinden wird. Nachdemsie erst einmal die weite Welt kennengelernt hat,wird die eine Hälfte nie mehr ins heimische Talzurückkehren. Die andere aber wird für immerdort bleiben. Die eine wird sich auf Wanderschaftbegeben, die andere wird warten.Unter dem Zeichen dieser innerlichen Zwiespäl-tigkeit steht wahrscheinlich die ganze Kultur desTales. Im Spannungsfeld der lockenden Stimmender Sirenen und dem Ruf nach Rückkehr entstehteine Kunst des Suchens und der Einsamkeit. In derEpoche epischer Verfilmungen der Schlachten vorden Toren Trojas, an den Thermopylen und gegenMordor setzt sie die Erzählung von Odysseus unddem tapferen kleinen Hobbit Bilbo Beutlin fort.Menschlich, vielleicht allzu menschlich. ¬Aus dem Bulgarischen von Alexander Sitzmann

Alek Popov, 1966 geboren, einer der führenden bulgarischen Schrift-

steller, schreibt Kurzgeschichten, Essays und Theaterstücke,

die in viele Sprachen übersetzt wurden. Sein jüngster Roman

The Black Box (2007) wird im Frühling 2008 im Residenz Verlag auf

deutsch erscheinen.Vor dem Monument ‹Für das serbische Volk› in Neu-Belgrad, Giulia Fiocca & Laia Solé

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Mein ‹Jugoslawien› Über den Rückzug eines Landes in die Literatur

Ilma Rakusa

Soweit ich zurückdenken kann, gehörte das Landnamens Südslawien – nichts anderes bedeutet Ju-goslavija – zu mir. Als Kind lebte ich eine Zeitlangin Ljubljana, und auch als wir nach Triest umzo-gen, besuchten wir die väterlichen slowenischenVerwandten regelmässig. Ausserdem gab es Ge-schäftsreisen, die Vater nach Zagreb und Belgradführten und zu denen er Mutter und mich mit-nahm. Das war abenteuerlich, denn wir reistenmit dem Auto, und die Strassen waren schlecht.Einmal, unterwegs nach Zagreb, überfuhren wirnachts einen Hasen und wurden kurz darauf voneinem Bauern angehalten, der nach einem flüch-tigen Dieb suchte. Diese nächtlichen Aufregungenprägten sich meinem kindlichen Gedächtnis stär-ker ein als das taghelle Zagreb mit seiner adrettenAltstadt. Doch Belgrad erlebte ich, seinem Namengemäss, als weisse Stadt am Zusammenfluss vonDonau und Save, lichtdurchflutet, weitläufig, gast-freundlich. Man fotografierte mich auf der FestungKalemegdan, und abends durfte ich in eine Folklo-reoper. Keine Frage, dass meine Begeisterung fürsüdslawische Volksmusik hier ihren Anfang nahm.

Kalkhelle Städte: Dann folgten lange Jahre er-zwungener Enthaltsamkeit. Wir lebten in derSchweiz, mit einem Staatenlosenpass. Vater wolltedas Risiko einer Jugoslawienreise nicht eingehen.Also warteten wir bis zur Einbürgerung. Ich warachtzehn, als es soweit war. Sofort fuhr ich zumeinen Grosseltern nach Maribor. Und anschlies-send mit einer Cousine und einer Wiener Tantenach Dalmatien. Die Küstenstrasse von Rijekanach Dubrovnik, ebenso kurven- bis abwechs-lungsreich, war eine Offenbarung an Farben und

Licht. Dazu die kalkhellen Städte: Zadar, Sibenik,Split, Trogir, Dubrovnik, mit ihren Kirchen undStadtmauern und Palazzi und Piazzen. Mir war, alshätte ich ein verlorenes Paradies entdeckt.Meer und Stein. Von Römern, Venezianern, Kroa-ten behauener Stein, unter den Sohlen glänzendwie auf dem Stradun von Dubrovnik, dem altenRagusa. Hier flanierten meine Cousine und ichwie berauscht, wie auf einen Auftritt wartend vorden Kulissen der Paläste.Und ade. Die Rückreise führte uns ins Hinterland.Ins herzegowinische Mostar, wo uns jäh der Orienteinholte. Mit Moscheen, Basaren, eleganten osma-nischen Brücken, ein Märchen aus tausendundei-ner Nacht, scheinbar Welten von Dubrovnik ent-fernt. Der Kontrast war elektrisierend. Dann ginges durch die Schluchten und über die Berge desBalkans, an Minaretten und Bogumilen-Gräbernvorbei in die bosnische Hauptstadt Sarajevo. Wirstiegen im Hotel Europa ab und eilten gleich zurBascarsija, ins Herz der Altstadt. Die Augen reich-ten nicht zum Schauen. Teppiche, Silberschmuck,Teestuben, Burek-Stände, eine alte Karawanserei.Und mitten in diesem fröhlichen Tumult die Rufeder Muezzins. Meine Cousine und ich waren wiebetäubt. Befanden wir uns auf einer Zeitreise?Auf einem fernen Kontinent?

Die Koexistenz der Gegensätze: Damals ging mirauf, was ich an Jugoslawien so liebte: die Vielfalt,die Koexistenz der Gegensätze. In Sarajevo ge-nügte es, die Strassenseite zu wechseln, so nahekamen sich Orient und Okzident. Und diese unter-schiedlichen Klänge, Melodien. Die Ohren reichtennicht zum Hören.

‹Jugoslawien›, von den geografischen Karten getilgt, nicht aber von der Geschichte befreit. Und schon gar nicht aus

der eigenen Biografie wegzudenken. Die Schweizer Schriftstellerin und Übersetzerin Ilma Rakusa reist oft in die

Region ihrer Herkunft. Mit Wehmut und Erwartung �

In Mazedonien, wohin es mich Jahre später ver-schlug, lernte ich nicht nur eine neue Sprache,sondern eine mir unbekannte Musik kennen. Vol-ler Halbtonschritte und ungerader Rhythmen, zudenen kunstvoll getanzt wurde. Ernst schautenmich die Heiligen auf den byzantinischen Kir-chenfresken von Ohrid und Sveti Naum an, dochder abendliche Oro-Tanz war von fröhlicher Aus-gelassenheit. In den kosovarischen Dörfern klanger anders; aber wie anders, hätte ich nicht zu sa-gen gewusst. Auch verstand ich kein Albanisch.Überraschendes, unerforschliches Jugoslawien.Dem ich mich angemessen vielseitig zu nähernversuchte. Slawistische Kontakte führten mich inden frühen achtziger Jahren oft zu Symposiennach Zagreb und Dubrovnik. Ich lernte neben Li-teraturwissenschaftlern zahlreiche Schriftstellerkennen. Und damit begann mein eigentliches Ju-goslawien-Abenteuer, das literarische. Es hat nichtnur meine Wahrnehmung ‹Südslawiens›, sondernmein Leben verändert. Wobei Zufälle eine nichtunwesentliche Rolle spielten.

Die Revolution, die ihre eigenen Kinder frisst:«Kennen Sie Danilo Kis’ Roman Ein Grabmal für BorisDawidowitsch’?» fragte mich A.F. «Sensationell!»

Er hatte nicht übertrieben. Ich kaufte mir das Buch,las es. Später übersetzte ich es ins Deutsche. Bisheute kenne ich keine so grausame und zugleichpoetisch-verdichtete Abrechnung mit der ‹Revo-lution, die ihre eigenen Kinder frisst›. Kis hatte vorallem den Stalinismus im Visier. Doch die Belgra-der Kultur-Apparatschiks witterten politische Bri-sanz und inszenierten – unter dem Vorwand desPlagiatsvorwurfs – einen Skandal. Kis wehrte sichmit dem fulminanten Buchessay Anatomiestunde,in welchem er unter anderem auch prophetischvor Nationalismen warnte. «Nationalismus ist vor

allem Paranoia. Eine kollektive und individuelle Para-

noia... Nationalismus ist zudem nicht nur seiner ety-

mologischen Bedeutung nach die letzte Ideologie und

Demagogie, die sich ans Volk wendet...»Anatomiestunde erschien 1978, 1980 starb Tito, undwenig später brach zwischen Belgrad und Zagrebein Sprachenstreit aus, der böse Schatten voraus-warf. Kis’ Warnungen verhallten ungehört. ImHerbst 1989 erlag Kis einem Krebsleiden; den Zer-fall Jugoslawiens und den in Krieg mündendennationalistischen Wahnsinn hat er nicht mehrmiterleben müssen.Zum Jugoslawienkrieg fällt mir nur ein Satz ein:eine Katastrophe, deren Folgen Jahrzehnte dau-ern werden. Noch immer höre ich Schrecklichesaus Bosnien; Besorgniserregendes aus der Vojvo-dina. Meine Zagreber Freunde und Freundinnenhaben sich in alle Winde zerstreut. Es ist nichtsmehr, wie es war. Aber meine Berührungsangstmit dem, was einst Jugoslawien hiess, hat abge-nommen. Nicht zuletzt dank Dzevad Karahasanund seiner Frau, die mich im Herbst 2002 ‹an der

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Hand nahmen› und nach Sarajevo brachten. Eswar nicht wie im Märchen, nein. Auf dem Weg vonGraz nach Sarajevo passierten wir zig Grenzen,fuhren an niedergebrannten Dörfern und zer-bombten Kirchen vorbei. Eine Ruinenlandschaft.Doch die Wohnung der Karahasans, die währenddes Kriegs von einem Granatsplitter getroffen wor-den war, empfing mich mit weichen Teppichen,behaglich. «Heilt mich», sagte ich zu meinen Freun-den, «indem ihr mir die Wunden der Stadt zeigt». Sieverstanden. Sie zeigten mir den jüdischen Friedhof(auf dem die Serben Stellung bezogen hatten),zeigten mir das ausgebrannte Unis-Hochhaus, diezerstörte Nationalbibliothek, die lebensgefährli-chen Strassenkreuzungen und den Markt, auf demvon einem Heckenschützen ein Blutbad ange-richtet worden war, sie zeigten mir Theater undMoscheen als Orte des Widerstands und die Grä-ber der bosnjakischen Gefallenen auf dem Alifa-kovac. Wir gingen stundenlang, dazwischen tran-ken wir Tee, assen Burek oder unterhielten uns miteinem Teppichhändler, der von Spinoza schwärm-te. «Das Leben geht weiter», sagte Dragana. Und Dze-vad nickte vielsagend.

Das utopische ‹Jugoslawien›: Nächstes Jahr in Sa-rajevo, heisst seither meine Losung. Aber so ganzwerde ich ihr nicht gerecht. Denn mein utopi-sches ‹Jugoslawien› ist längst in die Literatur über-gesiedelt. Ich finde es bei Krleza, Andric undCrnjanski, bei Kis, Albahari und Karahasan. Ohnedie freilich auch das reale ‹Südslawien› schwer zuverstehen wäre, zumal sie es sind, die der kollek-tiven Amnesie ein kulturelles Gedächtnis entge-gensetzen. Ivo Andric in einer – undatierten – No-tiz über Sarajevo: «Orientalische, gandhische Armut

und Verwahrlosung. Manches ist Luxus, was nirgend-

wo als Luxus gilt. Das kühlste und gesündeste Wasser

der Welt. Die merkwürdigsten Häuser, die, ob alt oder

neu, abbruchreif und einsturzgefährdet aussehen, die

ungesund scheinen, in denen man jedoch lange und

angenehm lebt wie kaum anderswo. In der Sprache der

Männer und Frauen die charakteristischen Vokale ohne

Farbe und klare Grenzen, weshalb das Sprechen der

Kinder wie nachlässiges Gurren klingt. – Alles mit Stille

zugeschüttet.» ¬

Ilma Rakusa, 1946 als Tochter einer Ungarin und eines Slowenen

in Rimavská Sobota (Slowakei) geboren, verbrachte ihre Kindheit

in Budapest, Ljubljana und Triest. Sie studierte Slawistik und

Romanistik und lebt als Schriftstellerin, Übersetzerin und Lehr-

beauftragte der Universität in Zürich. Zahlreiche Übersetzungen

aus dem Russischen, Serbokroatischen, Ungarischen und Franzö-

sischen, publizistische Beiträge in der Neuen Zürcher Zeitung und

der Zeit. Letzte Veröffentlichung: Zur Sprache gehen. Poetikvorlesun-

gen (Thelem Verlag, Dresden 2006). Im Jahre 2003 erhielt sie den

Adelbert-von-Chamisso-Preis. www.ilmarakusa.info

Eingang des ‹Arizona Markts› zwischen Zagreb und Novi-Sad, Peter Moertenboeck & Helge Mooshammer

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In Zeiten des Krieges können Kunst und Kultur lebenswichtige Energien erhalten – das Gespräch und den Kompro-

miss. Künstlerinnen und Künstler in Bosnien-Herzegowina haben das über alle ethnischen Grenzen hinweg versucht.

Doch nun wäre Kompromissfähigkeit auch als Voraussetzung zur alltäglich gelebten Demokratie zu entdecken �

Kriege und Identitäten Bosnien-Herzegowinas künstlerische Energien

Ferida Durakovic

Der Krieg in Bosnien und Herzegowina von 1992bis 1995 beantwortete Dutzende meiner Fragen;gleichzeitig warf er Tausende neuer auf. Doch diewichtigste von ihnen – Wozu Krieg? – wird nie-mals beantwortet werden. Und es war eine Fragedes grossen Friedrich Hölderlin – «Wozu Dichter in

dürftiger Zeit?» –, die mir in den ersten Kriegsmo-naten half, instinktiv auf die Tatsache zu rea-gieren, dass Wasser, Brot (und Zigaretten!) vielwichtiger waren als all die schönen Wörter, wie‹Demokratie‹, ‹Menschenrechte›, ‹offene Gesell-schaft›, ‹Kooperation›, ‹Toleranz›, ‹Vielfalt› etc.

Künstlerische Energie: Dann passierte etwas Un-erklärliches: Ein dringendes Verlangen nach Frei-heit – was sonst ist Kunst in Zeiten des Krieges? –machte sich bemerkbar und bestätigte, dass «We

need bread, but we need roses too…», wie es in ei-nem Lied von Judy Collins heisst. Wir Künstler amSchauplatz des Krieges wollten der Welt beweisen,dass wir mehr waren als nur Zielscheiben für Hek-kenschützen; dass hier die Leben gebildeter, kultu-rell interessierter Menschen ausgelöscht wurden –ja, dass hier das Selbstbild der internationalen Ge-meinschaft zur Schlachtbank geführt wurde!Kultur und Kunst waren unsere Waffen: Intellek-tuelle aus der ganzen Welt kamen in die verwü-steten Städte Bosnien-Herzegowinas und warenerschüttert von der künstlerischen Energie, die siehier antrafen und die ihnen selbst fremd war. Un-sere Werke erzählten der Welt von Konzentra-tionslagern, ethnischer Säuberung, Vergewalti-gungen oder der Zerstörung der Alten Brücke vonMostar und trugen dazu bei, dass 1995 endlich et-was gegen den Schrecken unternommen wurde.Und was hat uns allen der Krieg schliesslich ge-bracht?Konnte der Aggressor seine These, dass er bessersei als jene, die er angriff, beweisen? Nein, daskonnte er nicht. Im Gegenteil!Konnten sich jene, die unschuldige Zivilisten tö-

teten, ihr Recht auf ihre eigene Identität, ihr Recht,anders zu sein, bewahren? Das konnten sie na-türlich – aber nur auf Kosten der gewaltsamenAuslöschung der Identität der anderen. War das200’000 Menschenleben wert?

Die Kompromissfähigkeit: Während in Bosniender Krieg in den Köpfen einiger unbelehrbarerNationalisten immer noch weitergeht, steigt einevergessene Erinnerung in mir auf: Mitten im Krieg(Ende 1993 oder Anfang 1994) traf eine Gruppevon Schweizer Parlamentariern und Intellektuel-len, begleitet von einer UNPROFOR-Eskorte, in Sa-rajevo ein. Sie kamen, um sich die Ideen von In-tellektuellen aus Sarajevo in Bezug auf die Zukunftdes bosnischen Staates anzuhören und uns anden politischen und geschichtlichen Erfahrungeneines seit langer Zeit stabilen und erfolgreicheneuropäischen Landes teilhaben zu lassen.Es war kalt an jenem Tag, und ich hatte Angst.Der Konferenzraum, in dem wir unser Treffen ab-hielten, war nicht sicher; er lag im vierten Stock, zunahe unter dem Dach. Ich fragte mich, was ichtun sollte, wenn Granaten einschlagen würden –gerichtet nicht nur gegen uns (die Schuldigen?),sondern auch gegen diese wohlwollenden Men-schen, die jenen, die uns beschossen, nichts zu-leide getan hatten, ausser vielleicht, dass sie denWunsch hatten, uns die Hand zu reichen und et-was zum Friedensprozess auf dem blutigen Balkanbeizutragen. Unsere Gäste aus der Schweiz spra-chen über die Grundlagen der Stabilität ihres Lan-des, über Föderalismus, Multi-ethnizität, Toleranzund Wirtschaft. Und wir sprachen über serbischeAggression, über Ungerechtigkeit und über dieMauern, die andere und in der Folge auch wirselbst errichteten; über Monster, die nationaleKäfige bauen wollten – und natürlich über Bos-niaken, Kroaten und Serben.Jemand fragte einen unserer Gäste: «Was, würden

Sie sagen, ist der wichtigste Grundstein für den Aufbau

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eines Landes wie der Schweiz?» Der Angesprocheneschaute in die Runde und sagte schliesslich mitentschiedener Stimme: «Kompromissfähigkeit».

Für jemanden, der sich am Ende des 20. Jahrhun-derts mitten in einem wahr gewordenen futuristi-schen Schreckensszenario befand, mitten in einerFernsehdirektübertragung des Krieges in Bosnien,mitten in Sarajevo, wo einem in jedem Momentdas Leben genommen werden konnte, klang dasWort ‹Kompromiss› so – unnatürlich!Erst heute, nach vielen Jahren voller Schrecken,persönlicher Verluste und Leiden, kann ich esverstehen: Es war ein weises Wort, dieses ‹Kom-promiss›, aber damals konnten wir es nicht hö-ren; wir wollten es nicht hören. Sogar heute nochverabscheuen die meisten Menschen in Bosniendieses Wort und wollen es nicht hören. Dabei im-pliziert es nur Gutes, wie Zurückhaltung und To-leranz. Kompromissfähigkeit ist die Essenz derDemokratie: Sei tolerant gegenüber den anderen,so dass diese tolerant gegenüber dir sein können.

Mostar sehen: In einem Text über die wunderschö-ne Stadt Mostar in österreichisch-ungarischer Zeit(1914) ist folgendes zu lesen:«Mostar liegt an beiden Ufern der Neretva, im Tal zwi-

schen den Bergen Podvelez und Hum. Der städtische Teil

des heutigen Mostar stammt aus dem 15. Jahrhundert.

1522 wurde die Stadt Sitz des Sanjak-Bey (Titel der Be-

zirksverwalter im Osmanischen Reich) von Herzegowina

und entwickelte sich in der Folge zum politischen, wirt-

schaftlichen und kulturellen Zentrum Herzegowinas.

Ihr berühmtestes Wahrzeichen war die 1566 erbaute

Stari Most (Alte Brücke). Unter österreichisch-ungari-

scher Herrschaft war Mostar ein Landsitz. Zusammen

mit Tuzla, Banja Luka und Sarajevo, der Hauptstadt

Bosnien-Herzegowinas, entwickelte sich Mostar in dieser

Zeit weit schneller als jede andere Region, wie insbe-

sondere die städtische Entwicklung zeigte: Während

Mostar 1879 erst 1’909 Häuser und 10’848 Einwohner

zählte, waren es 1910 schon 2’769 Häuser und 16’392

Einwohner (7’212 Muslime, 4’518 orthodoxe Christen,

4’307 Katholiken, 254 Juden und 87 evangelikale Pro-

testanten). 1914 verfügte die Stadt bereits über Büros

der Bezirksverwaltung, ein Kreisgericht, das Büro des

Generalstaatsanwalts, ein Bezirksgericht, Büros der

Stadtverwaltung, ein Bezirkskrankenhaus, ein Militär-

krankenhaus, ein Kraftwerk, eine Tabakfabrik, eine

grosse Hochschule und vier Mittelschulen, zwei allge-

meine Grundschulen, eine kaufmännische Schule, eine

Mittelschule für Mädchen, fünf muslimische Mittelschu-

len, drei muslimische Grundschulen, dreissig Moscheen

sowie eine katholische und eine orthodoxe Kirche.

Interpretationen: Was würde ein Leser im poli-tisch-nationalistisch geprägten Umfeld des heu-tigen Bosniens wohl zu diesem Text sagen?Ein intoleranter bosnischer Kroate würde sagen, erfinde darin Informationen, die heute nicht fürseine Nation sprechen würden. Ein intoleranter

bosnischer Serbe hingegen würde sagen, dassdiese Informationen sehr wohl für seine Nationsprechen würden, da im heutigen Mostar von dendamals 4’500 Serben fast keine mehr da seien.Ein intoleranter Bosniake – ein muslimischer Bos-nier – würde sagen, dass seinem Volk das, wasihm lange Zeit gehört habe, geraubt worden sei.Und jene, die man aus heutiger Sicht als ‹übrige›bezeichnen würde, sagen gar nichts, weil es inMostar heute keine ‹übrigen› mehr gibt.Doch wer hat recht? Nur jene, die – ungeachtetihrer eigenen Nationalität – darauf verzichten, dieverschiedenen Bevölkerungsgruppen Bosnien-Her-zegowinas gegeneinander aufzurechnen; nur jene,die diesen Text als Beleg für den sowohl wunder-baren als auch zerbrechlichen multiethnischenKern des damaligen und insbesondere heutigenBosniens sehen; nur jene, die wissen, wie die da-rin enthaltenen Fakten zu einer Bereicherung desZusammenlebens beitragen können, die allen zu-gute kommt?

Den Balkan-Mythos überwinden: Gegenwärtigsind wir alle hier in Bosnien verwirrt, traurig, armund unzufrieden. Der Krieg hat niemandem gehol-fen; gebracht hat er uns stattdessen nur Frustra-tion, ein Gefühl, das uns nun schon seit so langerZeit begleitet. Klar ist, dass wir zusammenlebenmüssen; vielleicht wird es uns eines Tages sogargelingen, die Unterschiede zwischen uns zu ak-zeptieren und zu einer harmonischen Koexistenzzu finden. Wir sind so eng miteinander verbunden,dass wir gar keine andere Wahl haben, als zu-sammenzuleben (dass Krieg keine Option seinkann, wissen wir nun ja).Über die Zukunft des Balkans (und Bosniens)nachzudenken ist noch schwieriger, als es die Si-tuation auf dem Balkan heute ist, genauso wie esschwieriger ist, den Balkan-Mythos zu überwin-den, als sich mit der Übergangsphase für die Re-gion zu befassen.Nationalisten wollen keine ‹anderen› – es ist ein-facher, Menschen zu manipulieren, als ihnen (mü-hevoll und unter Zuhilfenahme von Kompro-missen) beizubringen, selbständig zu denken.Vielleicht werden wir irgendwann – zur Zeit istdaran noch nicht zu denken – lernen, wie man zuLösungen kommt, mit denen sowohl wir als auchdie anderen zufrieden sein können. ¬Aus dem Englischen von Reto Gustin

Ferida Durakovic, 1957 geboren, schloss 1980 ihr Studium in jugo-

slawischer und serbokroatischer Literatur an der Universität von

Sarajevo ab, wo sie auch heute wieder lebt. Sie arbeitete u.a. als

Eiscremeverkäuferin, Buchhändlerin, Lehrerin, Korrektorin, Kul-

turmanagerin und Übersetzerin und verlor im Krieg zwischen

1992 und 1995 in Sarajevo einige ihrer Verwandten und Freunde

sowie ihre Privatbibliothek.

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Unterwegs zwischen Podgorica und Sarajevo, Barbara Galassi

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Balkanblues Herausforderung aus der ‹Banlieue› Westeuropas

Andreas Ernst

‹Balkan›, das Wort setzt ein wildes Gemisch von Emotionen, Überlegungen und Zuschreibungen frei. Und die Frage,

auf welche geografisch-politische Region sich dieses bezieht. Der Südosteuropa-Korrespondent der ‹Neuen Zürcher

Zeitung am Sonntag› hilft uns dabei, etwas Ordnung zu schaffen �

Häuserfront in Pristina, Srdjan Jovanovic Weiss

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Der Balkan ist die ‹Banlieue› Westeuropas. Fremd,etwas unheimlich und ohne den Reiz des Exoti-schen. Aus freien Stücken geht man nicht dort-hin. Das ist nicht erst seit den jugoslawischenZerfallskriegen der 1990er-Jahre so. Aber dieNachrichten und Bilder von Flüchtlingsströmen,Massakern und nationalistisch aufgeputschtenMenschenmengen prägen seither die Vorstellun-gen der Westeuropäer vom Balkan. Wie im Fall der‹Banlieue› sind es die Konflikte, die das notge-drungene Interesse des ‹Zentrums› wecken. So istder Balkan heute ein Schwerpunkt schweizeri-scher Aussenpolitik, mit dem erklärten Ziel, dieEinwanderung aus dieser Region zu verhindern.Ein zweites Ziel, das die Schweiz mit der EU teilt,ist die Heranführung der Balkanländer an dieUnion. Dies ist im Grunde ein Modernisierungs-projekt. Die Balkanstaaten, ihre Gesellschaftenund ihre Wirtschaft sollen soweit reformiert wer-den, bis sie ‹europäischen Standards› genügenund als vollwertige Mitglieder der europäischenFamilie gelten. Die meisten Bewohner des Bal-kans sehen dies übrigens ganz ähnlich. Ihnen giltdie EU als Versprechen für Wohlstand und per-sönliche Sicherheit.

Balkanismus-Thesen: Der Balkan als das rohe, pri-mitive und dunkle ‹Andere› Europas, gegen diesePerspektive haben sich seit vielen Jahren vor allemwestliche Sozialwissenschafter balkanischer Her-kunft gewendet. Angelehnt an Edward Saids Orien-talismus-These, wonach die Vorstellungen vomOrient weniger über diese Region als über dieWünsche und Ängste der westlichen Betrachteraussage, haben die Serbin Milica Bakic-Haydenund später die Bulgarin Maria Todorova ihre Bal-kanismus-Thesen vorgelegt. Balkanismus wird alseine westliche Fremdzuschreibung definiert, alsein abwertender Diskurs, der die Balkanvölker ineiner Übergangszone der Entwicklung ansiedelt:nicht mehr orientalisch, aber noch nicht europä-isch – gewissermassen halbwüchsig: Sie sind un-ordentlich, gewalttätig und heissblütig. Vor allemwährend der Jugoslawienkriege, als viele Medienmit kruden historischen Theorien über die Blut-rünstigkeit der Balkanvölker hausierten, warendie Argumente Todorovas, dass die Homogenisie-rung (lies ethnische Säuberung) von National-staaten und der völkische Nationalismus keinebalkanischen, sondern westeuropäische Erfin-dungen seien, sehr wichtig. Es ist auch leichtnachvollziehbar, wenn sich während des (bereitswieder abgeklungenen) ‹Balkan-Art-Hype› Künst-ler aus der Region dagegen wehrten, primär als‹Balkaner› in Ausstellungen wie Blut und Honig

(Wien 2003) oder In den Schluchten des Balkans (Kas-sel 2003) vorgeführt zu werden. Und dennoch: DieKritik am Balkanismus greift zu kurz oder geht zuweit, wenn sie unterschlägt, dass diese Regionganz spezifische soziale und kulturelle Merkmale

hat, die ihren historischen Gang und ihr Verhält-nis zu ‹Rest-Europa› nachhaltig prägen.

Der Westbalkan: Dies gilt vor allem für den soge-nannten Westbalkan. Der Begriff ist eine Fremd-bezeichnung, stammt aus dem EU-Vokabular undwurde 1996 geprägt. Der Westbalkan umfasst dieLänder des ehemaligen Jugoslawiens minus Slowe-nien, plus Albanien. Das heisst: Bosnien-Herzego-wina, Kroatien, Mazedonien, Montenegro, Serbieninklusive den von der Uno verwalteten Kosovo so-wie Albanien. Mit der Begriffsschöpfung und dendarauf basierenden regionalen Konzepten ver-folgt die EU zweierlei. Zum einen soll diesen Län-dern eine ‹europäische Perspektive› gegeben wer-den, wie es im Jargon heisst. Sie sollen durchReformen beitrittsfähig werden. Zum andern de-finiert der Begriff eine Region, deren Länder zurZusammenarbeit angehalten werden. Mehr noch:Die regionale Kooperation gilt als wichtiges Krite-rium für europäische Reife. In der Region ist derBegriff Westbalkan nicht beliebt. Manche be-fürchten, dass sich dahinter Bestrebungen füreine Neuauflage eines ‹südslawischen Völker-bunds› verberge. Andere empfinden die Kategori-sierung als diskriminierend. Schliesslich sei manein integraler Teil des kulturellen Europa, mitchristlicher Religion, einem europäisch geprägtenIslam und einem Nationskonzept, das auf diedeutsche Romantik zurückgehe. Dies alles stimmt.Aber es gibt gute Gründe für die Gruppenbildung.Gewiss teilen Bulgarien und Rumänien (und auchGriechenland, das wegen seiner altgedienten EU-Mitgliedschaft kaum als Balkanland wahrgenom-men wird) viele der Entwicklungsprobleme desWestbalkans. Aber die Länder des Westbalkanshaben instabilere Gesellschaftsstrukturen und –mit Ausnahme Albaniens – schwierige inter-eth-nische Beziehungen. Es sind schwache Staaten,in denen sich Volksgruppen mit einem starkenSelbstbewusstsein aneinander reiben.

Verwandtschaften und Zweckbündnisse: Dafürgibt es historische Gründe. Obwohl das geschicht-liche Argumentieren in politischer Absicht aufdem Balkan ein alter und schlechter Brauch ist,soll versucht werden, einige Strukturmerkmaledes Westbalkans historisch zu beleuchten. Wennmein Nachbar in Belgrad zum Schluss kommt,seine Elektrizitätsrechnung sei zu hoch, dann rufter nicht die vorgedruckte Telefonnummer für Re-klamationen an, sondern seinen ‹Kum›. Der Kumist der Patenonkel seiner Tochter und arbeitetbeim Elektrizitätswerk. Er hat einen Bruder (wirwürden sagen Cousin) in der Buchhaltung. DerKum ruft also seinen Bruder an und schildert ihmdas Problem. Dieser setzt alle Hebel in Bewegung,denn mein Nachbar arbeitet auf einer Bank, undder Buchhalter würde nach der Heirat gerne eineWohnung kaufen. Dazu braucht er einen Kredit.

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Aber es geht hier nicht um ein rein ökonomi-sches Tauschgeschäft. Die erwähnten Personenbilden ein verwandtschaftliches Netzwerk, indemman sich langfristig solidarisch verhält. Freund-schaft in diesem Sinn ist nicht individuelle Zunei-gung, sondern ein Zweckbündnis, was emotionaleNähe nicht ausschliesst. Die Pflege dieser Netz-werke ist ausserordentlich zeitintensiv, manchmalkurzweilig, oft aber auch anstrengend. Die Auflö-sung des Sozialstaates nach dem Zusammen-bruch des Sozialismus hat diese familiären Netz-werke gestärkt. Vom Staat, seinen Institutionenund Beamten erwartet man nichts, jedenfallsnichts Gutes. Es sei denn, man habe ‹Zugang› überdas verwandschaftliche Netzwerk.Die Staatsferne und die damit einhergehende tra-gende Rolle der Verwandschaft haben eine langeGeschichte auf dem Westbalkan. Das Misstrauenund die Distanz zur Obrigkeit und später zumStaat prägten die lange osmanische Epoche, alsdie mehrheitlich christlichen Balkanvölker fastausschliesslich über Steuerabgaben ans Herr-schaftssystem angeschlossen waren. Dies verän-derte sich nach der Befreiung im 19. Jahrhundertnicht wesentlich. Denn die jungen Nationalstaa-ten wurden von einer schmalen Elite regiert, diein grosser Ferne von der mehrheitlich ländlichenBevölkerung entschied. Die stärkste staatlicheDurchdringung der Gesellschaft fand in der so-zialistischen Periode nach dem Zweiten Welt-krieg statt. Bildungsoffensiven, eine markanteEmanzipation der Frauen, Industrialisierung undsozialstaatliche Leistungen schwächten die Ver-wandschaftsnetzwerke und schufen ein neuesVerhältnis zwischen Staat und Bürger – aber kei-neswegs ein demokratisches. Mitbestimmung warnicht oder nur sehr begrenzt gefragt. Aber staatli-che Leistungen und ideologische Mobilisierungverkürzten die Distanz zwischen unten und oben.In der jetzigen Transformationsphase ist sie wie-der gewachsen. Nachdem die Waffen schwiegen,hatten die Kriegsherren in Bosnien-Herzegowina,Serbien, Kroatien der Bevölkerung wenig zu bie-ten. Wachsende Ungleichheit, protzende Kriegs-profiteure und korrupte Politiker machten dieIdentifikation mit dem Staat nicht leicht.

Öffentlich und privat: In den letzten Jahren hatsich in allen Ländern vieles verbessert. Die Wirt-schaft wächst recht schnell, wenn auch auf tiefemNiveau. Machtwechsel finden auf demokratischemWeg statt, und die Medien sind frei. Die Gefahr ge-walttätiger inter-ethnischer Auseinandersetzun-gen scheint gebannt, mit Ausnahme Kosovos und– vielleicht – Mazedoniens. Serben fahren wiederan die kroatische Adriaküste in den Urlaub, unddie Belgrader Partyszene hat regen Zulauf aus denNachbarländern. Und dennoch: Die scharfe Tren-nung zwischen einer öffentlichen Sphäre, in derRücksichtslosigkeit, Aggression oder wenigstens

Gleichgültigkeit dominieren (vom Autoverkehrüber den schlampigen Umgang mit Abfällen biszum Kampf vor dem Postschalter), und einer Pri-vatsphäre, in denen Freunde und Gäste mit Rück-sichtnahme, Grosszügigkeit und Wärme behandeltwerden, besteht weiter. Die politischen Parteienknüpfen an bestehende Verwandschaftssystemean und haben sich zu Klientelstrukturen moder-nisiert. Gefolgschaft wird mit dem Versprechenbelohnt, im Fall eines Wahlsiegs den Zugang zuPfründen zu öffnen. Daraus wiederum resultiertder schonungslose Kampf in der Politik, bei demVerleumdungen allseits akzeptiert sind und kaumje gerichtliche Folgen haben. Es geht um alles odernichts: Wer seine Gefolgschaft ernähren kann,bleibt mächtig oder wird noch mächtiger. Wer inder Opposition seine Parteigänger darben lässt,riskiert, bedeutungslos zu werden. Auch der Natio-nalismus als Gemeinschaftsideologie bleibt do-minierend und wird durch die Zugewinne an Si-cherheit und Wohlstand kaum geschwächt. Indiesen ‹Verwandschaftsgesellschaften› (Karl Kaser)ist die Nation gewissermassen die Erweiterungder Familie, und bei Hochzeiten flattern stolz derweisse serbische oder schwarze albanische Adleran der Spitze des hupenden Autokonvois. Nationund Staat sind nicht deckungsgleich: Staatsbürgersind auch die ‹andern› in multi-ethnischen Gebil-den wie Bosnien-Herzegowina, Serbien oder Ma-zedonien. Und die ‹unsern› leben zum Teil jen-seits der Grenzen, als nationale Minderheit desNachbarstaats. Dem unterentwickelten Staats-bürger-Verständnis steht ein übersteigertes Na-tionsbewusstsein gegenüber, das durch die na-tional strukturierten Kirchen ‹sakralisiert› wird.Daraus resultieren noch heute die typischen Sta-bilitätsrisiken auf dem Westbalkan.

Visamauern: Die EU ist die wichtigste Moderni-sierungsagentur des Westbalkans. Sie betreibt ein‹member-state-building›, an deren Ende der Voll-Beitritt steht. Das wichtigste Instrument dieserModernisierung sind Geldflüsse, die an Bedin-gungen gebunden sind. Wer an die Gelder heran-kommen will, muss seine administrativen Struk-turen so zurichten, dass sie in der Lage sind, dieMittel zu ‹absorbieren›. Dem vorgelagert sind dieGrundkriterien: ein funktionierendes demokrati-sches System und die Herrschaft des Rechts. DieFortschritte auf dem Balkan seit dem Ende derKriege sind zu einem guten Teil dieser ‹soft power›Brüssels zuzuschreiben. Die EU hat ein zweites Mo-dernisierungsinstrument, das in manchem an dievergangene Grossmachtpolitik Europas auf demBalkan erinnert: Die Protektorate in Bosnien-Her-zegowina (seit 1995) und in Kosovo (seit 1999). Hierübt die EU, zusammen mit andern internationa-len Akteuren, direkte Exekutivgewalt aus. Ob da-mit eine nachhaltige Modernisierung möglich ist,bleibt umstritten. Die Resultate bisher sind nicht

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vielversprechend. Allerdings muss bedacht wer-den, dass die Voraussetzungen in diesen tief ge-spaltenen Nachkriegsgesellschaften besondersschwierig sind. Im Grunde haben die Reformenaber überall dasselbe Ziel: Die Staaten sollen mul-ti-ethnische Rechtsgemeinschaften werden. Diesgeht nur um den Preis der Schwächung der natio-nal grundierten Verwandtschaftsgesellschaften,die sich zu Institutionengesellschaften entwickelnmüssen, in denen eher rechtsförmige Prozesse alsverwandschaftliche Netzwerke die gesellschaft-lichen Konflikte bearbeiten. Es leuchtet ein, dassunter dem europäischen Dach das einträchtigeNebeneinander in der multi-ethnischen Gemenge-lage eher möglich ist, als im Korsett von Klein-staaten, die von Visamauern umgeben sind.

Einheit in der Vielheit: Aber es braucht auch dieReform von innen. Dabei soll für einmal der Ak-zent nicht auf die vielzitierte Bürgergesellschaftgelegt werden, sondern auf ein neues regionalesBewusstsein. Der Westbalkan muss sich selber neudefinieren. Statt über böswillige Nachbarn zu la-mentieren oder die Arroganz der EU-Funktionäresollte sich die kulturelle Elite Gedanken machendarüber, was diese Region im Kern eigentlich aus-macht. Jenseits des ‹Türkenjochs›, der Cevapi undder gemeinsamen Begeisterung für Eurovisions-songs balkanischen Ursprungs. Oder auch dies-seits: Denn geteilte Geschichte, Kulinarik und einegrossartige Musiktradition sind vielleicht ein guterAnfang. Es ist wohl nicht zufällig, dass in Slowe-nien, das die grösste zeitliche Ferne zu Jugoslawienhat (und am wenigsten vom Krieg versehrt wurde),das Interesse an der zeitgenössischen musikali-schen Produktion in den ehemaligen Schwester-republiken höchst lebendig ist. Die balkanischeMusiktradition bietet den Slowenen mehr als dasOberkrainer-Erbe, sprachlich sind die Barrierenleicht zu überwinden, und ein gewisses provoka-tives Element bei der Verbrüderung mit den ehe-maligen Feinden hat wohl auch seinen Reiz. Da-bei geschieht so etwas wie die Wiederherstellungeines gemeinsamen Raumes der kulturellen Er-fahrung. Ganz zwangslos ‹von unten› werden über-raschende Ähnlichkeiten und inspirierende Unter-schiede entdeckt. Dieser Prozess der regionalenSelbstverständigung wird nicht an der Grundideeder ‹Einheit in der Vielfalt› vorbeikommen. ‹Jugo-Nostalgie!› werden die Kritiker aufschreien. Mansollte sie beruhigen: Es ist auch die Idee der euro-päischen Einigung. ¬

Andreas Ernst, Dr. phil., ist Südosteuropa-Korrespondent der

Neuen Zürcher Zeitung am Sonntag in Belgrad. Er arbeitet zudem

an einem Forschungsprojekt über den Staatsbildungsprozess

in Kosovo seit 1999, finanziert vom Schweizerischen National-

fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung.

Rohbau in Shkodër zwischen Tirana und Podgorica, Azra Aksamija

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Spiegel oder Zerrbild?Der kulturelle Wandel im postkommunistischen Albanien

Fatos Lubonja Neoliberale Rowdys oder postkommunistisches Apparatchiks? Im seit den neunziger Jahren aus seiner stalinistischen

Isolation herausgetretenen Albanien gibt es heute beides zugleich. Ein Bericht aus dem Innern eines ‹hybridisierten›

Landes – das uns den Spiegel vor die Nase hält �

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Zur Beantwortung der Frage, auf welche Weisesich eine gesellschaftliche Realität verändern kann,drängen sich zwei diametral entgegengesetzteTheorien auf, jene von Marx und jene von Weber.Während ersterer argumentierte, dass der ökono-mische Unterbau den sozialen Überbau bestimmeund dass man daher bei der Wirtschaft ansetzenmüsse, um auch die Gesellschaft zu verändern, be-hauptete letzterer – in Die protestantische Ethik und

der Geist des Kapitalismus –, dass es im Gegenteilder ideologische Wandel sei, der die strukturellenVeränderungen bestimme.Heute glauben wir zu wissen, dass im Rahmendes Prozesses der Veränderung einer Realität beidegenannten Theorien miteinander im Wettstreitstehen. Die Dichotomie Unterbau/Überbau ist un-trennbar mit der Dichotomie Notwendigkeit/Frei-heit verknüpft, wobei unter ‹Freiheit› auch dieSchaffung von Räumen zu verstehen ist, in denendie für die Veränderung einer Realität notwendi-gen kulturellen und ideologischen Instrumenteentstehen können. Trotzdem stellt sich weiterhindie Frage, welches Rezept zum Erfolg und welcheszum Scheitern führen dürfte. Zu berücksichtigenist dabei auch unsere postmoderne Auffassung,der zufolge die Zukunft nicht die abgeschlosseneUmsetzung einer progressistischen Utopie seinkann, sondern das Ergebnis einer Vielzahl vonBewegungen, Werten und Ansichten ist.

Die Entzauberung ideologischer Mythen: Zu wel-cher Antwort kommt man nun, wenn man dieVeränderungen analysiert, die sich in einem ehe-mals kommunistischen Land wie Albanien ab-spielen? In kaum einem anderen früheren Ost-blockstaat klaffte ein so tiefer Graben zwischender vom kommunistischen Regime hinterlassenenRealität und der neuen Realität, die zur Grund-lage für die Integration Albaniens in die europäi-sche Familie werden sollte. Durch das bis 1991herrschende stalinistische Regime war das Landvom Rest der Welt isoliert, und zwar sowohl vomWesten als auch von den anderen Staaten desOstens. Dies macht Albanien in mehrfacher Hin-sicht zu einem interessanten Anschauungsobjekt:Einerseits ist zu beobachten, in welchem Mass einegesellschaftliche Realität durch neue Ideen um-gestaltet werden kann und wie stark diese durchstrukturelle Veränderungen, aber auch durch dieim Hintergrund immer noch präsente vormaligeKultur beeinflusst werden; und andererseits lässtsich feststellen, in welchem Mass sich die Refor-men der wirtschaftlichen Strukturen auf die Schaf-fung einer neuen Kultur auswirken konnten undwie weit diese Entwicklung bisher fortgeschrittenist.Die grössten kulturellen Herausforderungen aufdem Weg zur Annäherung der albanischen Ge-sellschaft an Europa stehen im Zusammenhangmit der Notwendigkeit, diese Gesellschaft durch

die Entzauberung ideologischer Mythen von dernationalkommunistischen Ideologie der Gehirn-wäsche zu entgiften, die Katharsis als Erlösung,aber auch als Mittel zur Propagierung der Wertedes Humanismus, des kritischen Denkens und deruniversellen Menschenrechte zu verstehen undsich der Denkweise, der Sprachen und der Aus-drucksmittel bewusst zu sein, die sich währendder Isolation Albaniens im Westen entwickelten.Es handelt sich im Grunde genommen um nichtsanderes als die typischen Herausforderungen desÜbergangs von einer totalitären Ideologie, die überdas Monopol der Wahrheit verfügte, zu einer Kul-tur der Entwicklung der Persönlichkeit und derIntegrität des einzelnen über den Weg der Ver-mittlung und Verbreitung der Pluralität der Werte,was auch die Förderung von Minderheitenkultu-ren und das Wiederaufleben der drei unter kom-munistischer Herrschaft verbotenen religiösenKonfessionen (muslimisch, christlich-orthodoxund katholisch) umfasst.

Kulturelle Hybridisierung: Was in den 16 Jahrenseit den ersten freien Wahlen geschehen ist, lässtsich mit einer Hybridisierung vergleichen: Die kul-turellen ‹Keimlinge› aus dem Westen wurden nichtauf neutralem Untergrund angepflanzt, sonderneinfach auf den Stumpf der vormaligen Kulturgepfropft. Die westlichen Einflüsse wurden nachden Methoden der früheren Kultur aufgenommen,das heisst, in mythisierender Art und Weise undvöllig unkritisch. Der unter dem Banner des Neo-liberalismus eingeführte Kapitalismus basierteausschliesslich auf der westlichen Geschäfts- undHandelskultur. Aus heutiger Sicht könnte manvon einer nur oberflächlichen Entkommunistifi-zierung sprechen, nicht aber von einer Katharsis,einer Neuschreibung und Befreiung der Geschich-te von nationalistischen Mythen oder der Einfüh-rung einer kritischen Geisteshaltung, alles unver-zichtbare Grundlagen, um sich einer neuen Kulturöffnen zu können. Von zentraler Bedeutung fürdas Entstehen der heutigen Zwittersituation warder Umstand, dass die politische und kulturelleMacht in Albanien in den Händen derselben Eliteblieb, die die nationalkommunistische Kultur her-vorgebracht hatte. Die sogenannte demokratischeRevolution führte nicht zu einem Sturz, sondernlediglich zu einer Neuorientierung der kommuni-stischen Elite.

Lukrative Geschäfte: Dennoch lässt sich abernicht behaupten, dass es sich hierbei um einenrein kulturell oder politisch begründeten Fehl-schlag handelt. Parallel zum beschriebenen Pro-zess der kulturellen Hybridisierung fand aucheine Veränderung der wirtschaftlichen Struktu-ren des Landes statt. Als sich Albanien der Markt-wirtschaft öffnete, war die Wirtschaft des Landesvöllig am Boden und absolut nicht imstande, im

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freien Wettbewerb mithalten zu können. Dies hattezur Folge, dass der Verkauf der Arbeitskraft anden Westen sowie Drogenhandel und Prostitutiondie besten Möglichkeiten boten, das Überleben zusichern, was wesentlich zum massiven Exodusder Albaner Anfang der Neunzigerjahre beitrug.Im Land selbst führte der Siegeszug des Neolibe-ralismus zu einer Welle von Privatisierungen vonstaatlichem Eigentum und einer Laisser-faire-Men-talität, die den idealen Nährboden für Irregula-rität und Kriminalität bildete. Aus der Politik, dieeigentlich die Aufgabe gehabt hätte, den freienWettbewerb zu schützen und zu fördern, wurdein diesem Umfeld ebenfalls ein extrem lukrativesGeschäft. Nach 16 Jahren des Bemühens, eine freieMarktwirtschaft zu etablieren, kann Albanienheute immer noch kaum ein Fünftel dessen, wasim Land konsumiert wird, selbst erwirtschaften –den grossen Rest steuern die emigrierten Albaner,Drogenhandel und Prostitution sowie ausländi-sche Hilfsgelder bei. Eine derartige wirtschaftlicheStruktur hat einen massgeblichen Einfluss auf diePolitik und auf den Überbau im allgemeinen. DasGewicht der inoffiziellen, teilweise sogar kriminel-len wirtschaftlichen Akteure, einer Minderheit,die sich auf schwindelerregende Art und Weisebereichern konnte, ist so gross, dass es schwierigist, eine neue Politik zu etablieren.

Medialer Machtmissbrauch: Die herrschendewirtschaftliche Struktur hat ihre eigenen Macht-instrumente geschaffen. Eine zentrale Rolle spie-len in diesem Zusammenhang die Medien: In Al-banien mit seinen nicht einmal drei MillionenEinwohnern gibt es rund 80 nationale und lokaleFernsehsender sowie nicht weniger als 33 Tages-zeitungen – eine beispiellose Aufblähung des Me-diensektors, die in krassem Gegensatz zu den Ge-setzen des freien Marktes steht. Finanziert werdendiese Medien vorwiegend auf der Basis von Macht-missbrauch und manipulativer Einflussnahme.Ihre Eigentümer, in der Mehrzahl Bosse grosserBau- oder Handelsunternehmen, kontrollieren dieVergabe öffentlicher Ausschreibungen, die Ver-wendung von Bauland und den Handel und ‹opti-mieren› ungestraft ihre Steuern. Während dieMitglieder der sogenannten kommunistischenIntelligenzija in den ersten Jahren ihr wirtschaft-liches Überleben sicherten, indem sie für verschie-dene Nichtregierungsorganisationen arbeiteten,mit deren Hilfe der Westen eine Zivilgesellschaftnach seinen Vorstellungen etablieren wollte, ver-suchten später im Zuge der Konsolidierung der in-offiziellen und kriminellen Wirtschaftszweige undihrer wachsenden Einflussnahme auf den Staat diemeisten von ihnen, entweder in diesen BereichenArbeit zu finden oder in die Politik zu gehen, derenUnabhängigkeit stetig abnahm. Tatsächlich ge-lang es einem grossen Teil der Intellektuellen, diebis dahin auf das Geld des Westens in Form von

eher bescheidenen Zuwendungen durch westlicheNichtregierungsorganisationen wie die Soros-Stif-tung oder Pro Helvetia angewiesen waren oder diesich im Ausland aus- oder weitergebildet hatten,in diesen Branchen, wo sich ihnen weitaus bessereVerdienstmöglichkeiten boten, Fuss zu fassen. In-nerhalb kürzester Zeit verwandelte diese Industriedie Mehrheit der Journalisten und Intellektuellendes Landes in Lohnempfänger im Dienste ihrer In-teressen und machte aus den Medien wirkungs-volle Instrumente zur Verteidigung ihrer Profite.Die Kultur, die aus dieser Entwicklung hervorging,ist nichts als eine Kultur des Konsums, der vomFernsehen vorgespiegelten Wirklichkeit, der blas-sen Stereotypen und der Rubbellose.

Spiegel des westlichen Kapitalismus: Das aufdiese Weise entstandene System ist ein Zwitter,der deutliche Merkmale der ehemaligen Ideologieaus einer Zeit aufweist, als die Medien kleine Räd-chen im kommunistischen Gehirnwäscheapparatwaren, gesteuert von der Politik, die zur Erhal-tung der Herrschaft der Nomenklatura gleichzei-tig auch die Wirtschaft kontrollierten. Im Unter-schied zu damals sind das wichtigste Instrumentzur Bewahrung der Macht heute jedoch nichtmehr die Polizei oder die Geheimdienste, sonderndie Medien, die die Gehirnwäsche einfach mit an-deren Mitteln fortsetzen.Natürlich könnte man an dieser Stelle einwen-den, dass die Konzentration der politischen, me-dialen und finanziellen Macht in den Händen we-niger Personen auch im Westen kein unbekanntesPhänomen ist. Sicherlich ist es auch zutreffend,dass der Westen, auch wenn er den Kalten Krieggewonnen hat, weit davon entfernt ist, den Krieggegen die Mafias im Osten zu gewinnen und dortseine kulturellen Werte durchzusetzen – zumal erdiesen Kampf auch auf eigenem Terrain auszu-fechten hat. Dieser Einwand ist berechtigt, auchwenn die Unterschiede natürlich enorm sind. Ingewisser Weise scheint Albanien im Rahmen derHybridisierung ausgerechnet die dunkelsten Sei-ten des westlichen Kapitalismus übernommen zuhaben und wirkt nun wie ein Spiegel, in dem sichdem Westen das Zerrbild seiner beklagenswerte-sten Eigenschaften präsentiert. Genau aus die-sem Grund können die kulturellen Herausforde-rungen Albaniens nicht losgelöst, sondern nur alsfester Bestandteil der kulturellen Herausforde-rungen ganz Europas betrachtet werden. ¬Aus dem Französischen von Reto Gustin

Fatos Lubonja, 1951 in Albanien geboren, ist Schriftsteller, Jour-

nalist und Herausgeber der vierteljährlich erscheinenden Zeit-

schrift Përpjekja. Während des kommunistischen Regimes war er

von 1974 bis 1991 Jahre politischer Gefangener. Lebt zwischen

Tirana und Florenz.

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Offizielle versus alternative Kunstszene. Im Kosovo mit

seiner regen Avantgarde zeitgenössischer balkanischer

Kunst wird von staatlicher Seite vor allem die institutio-

nelle Kunst ins Licht gerückt. Der Kunstkritiker Shkëlzen

Maliqi über die Hintergründe und Perspektiven einer

Auseinandersetzung �

Nationale Werte und SubversionKosovos neue Kunst am Scheideweg

Shkëlzen Maliqi

Die Szene der zeitgenössischen visuellen Künsteim Kosovo entstand etwa Mitte der Neunziger-jahre, entwickelte sich rasch weiter und erreichteihren vorläufigen Höhepunkt in den Jahren 2003/2004, als eine Gruppe von Künstlern aus dem Ko-sovo, in der Mehrzahl Vertreter jüngerer Generatio-nen, den Sprung auf die Bühne der internationalenKunstszene schaffte. Besuche renommierter Ku-ratoren und die Teilnahmen kosovarischer Künst-ler an explorativen Ausstellungen ‹balkanischerKunst› (wie Harald Szeemanns Blut & Honig – Zu-

kunft ist am Balkan, 2003 in Wien oder René BlocksIn den Schluchten des Balkans. Eine Reportage, 2003 inKassel) machten die Namen einiger regionalerKünstler schlagartig bekannt. René Block kamspäter noch einmal in den Kosovo zurück undsagte gegenüber der Zeitung Java, was er im Koso-vo entdeckt habe, sei «die Avantgarde der zeitgenös-

sischen balkanischen Kunst».

Mit Ausnahme von Sisley Xhafa, der sich ohnefremde Schützenhilfe im Westen einen Namenmachen konnte, profitierten die meisten anderenVertreter der neuen kosovarischen Kunstszenestark von diesen Kollaborationen, unter ihnenSokol Beqiri, Erzen Shkololli, Jakup Ferri, LulzimZeqiri, Albert Heta, Dren Maliqi, Fitore Isufi Koja,Merita Koci, Driton Hajredini, Alban Muja undviele mehr. Diese Künstler machten vor allem mitbrillanten Videokunstwerken auf sich aufmerk-

sam, die nach Ansicht der slowenischen Kurato-rin Nadja Zgonik zu den qualitativ hochstehend-sten in ganz Europa gehören. Weitere wichtigeAkteure der kosovarischen Kunstszene sind derKünstler und Professor Mehmet Behluli sowie dieTheoretiker und Kritiker Sezgin Boynik und VesaSahatçiu. Im Kosovo selbst präsentierte sich dieneue einheimische Kunstszene vorwiegend in derGalerie Exit in Peja und in letzter Zeit auch in denAusstellungsräumen Rizoma und Stacion in Pris-tina.

Aus dem Nichts entstanden?: Im Unterschied zuanderen osteuropäischen Ländern, in denen auchwährend der langen Jahre kommunistischer Dik-tatur versteckte Bewegungen für zeitgenössischeKunst existierten, schien die neue kosovarischeKunst wie aus dem Nichts aufgetaucht zu sein,

Strasse in Pristina, Kyong Park

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ähnlich wie dies auch im kurdischen Gebiet derTürkei der Fall war. In beiden ‹verlorenen Regio-nen› – sowohl im Kosovo als auch in der türkisch-kurdischen Provinz Diyarbakir – brachten die lo-kalen künstlerischen Kreise ‹überraschenderweise›eine Welle neuer Talente hervor, die für ihre Ar-beiten neue Medien verwendeten und sich einermodernen oder sogar postmodernen Sprache be-dienten.Sichtbar wurden die ästhetischen und inhaltlichenÄhnlichkeiten zwischen den Kunstszenen desKosovo und Diyarbakirs bei einer von der WHW-Gruppe kuratierten gemeinsamen Ausstellung imkroatischen Zagreb (M’vyn ndrim radikal – Ich brau-

che eine radikale Veränderung, Galerie Nova, 2004).Für die Kuratoren repräsentierten die Künstler derbeiden Regionen eine unverfälschte und ursprüng-liche Kunstszene. Was sie tatsächlich repräsen-

tierten, war der Osten. Zur Bewertung der koso-varischen Kunstszene als ‹Avantgarde› meinte deralbanische Kurator Edi Muka zynisch, die Künst-ler aus dem Osten seien in Tat und Wahrheit «die

neuen Proletarier der Kunstwelt», die keine Aussichtdarauf hätten, sich im Mainstream der westlichenKultur zu etablieren. Überhaupt wurde zuneh-mend Kritik an der Sichtweise laut, man habe eshier mit «Entdeckungen» aus einer Kunstszene zutun, die «wie aus dem Nichts» entstanden sei. Szee-mann, Block und anderen wurde vorgeworfen, siewürden die neue kosovarische Kunst als «exoti-

sches Produkt» für den postkolonialen Kunstmarktbetrachten und behandeln.

Hilfe aus dem Westen: Doch nun, da die Karawa-ne der Kritiker und Kuratoren wieder weitergezo-gen ist, steht die zeitgenössische kosovarische

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Kunst – ebenso wie die Kunst aus dem Osten imallgemeinen – vor der klassischen Herausforde-rung desjenigen, der in der verzweifelten Situa-tion des Proletariers steckt: ohne Hilfe aus demWesten zu überleben und weiterzubestehen.In ihrer Blütezeit erhielt die kosovarische Kunst-szene von vielen Stiftungen aus dem AuslandUnterstützung, so in den Neunzigerjahren vor al-lem von der Soros-Stiftung und zwischen 2003 und2006 von der deutschen Bundeskulturstiftung,die im Rahmen ihres Projekts relations beträchtli-che Beträge investierte. In letzter Zeit war auch ProHelvetia unterstützend aktiv. Zwar expandiert dieKunstszene stetig, produziert laufend neue Trends,wie die Wiederentdeckung der Malerei (Vigan Ni-mani u.a.), und macht neue Namen bekannt (zumBeispiel den Videokünstler Nurhan Qehaja), dochgleichzeitig beginnt ihr allmählich die Luft aus-zugehen, weil es an Mitteln mangelt und es kei-nen eigenen Kunstmarkt gibt.

Parallelwelten: Während des serbischen Regimeshatten die Kosovaren gelernt, sich parallele Lebenund Zirkel aufzubauen, die völlig unbeeinflusstvon der Aussenwelt funktionieren. Nach zweiJahrzehnten der Opposition gegen das serbischeRegime und die von ihm verordnete Realität küm-merte es die zeitgenössische Kunstszene im Ko-sovo wenig, dass sie von den kosovarischen In-stitutionen keine Unterstützung erhielt, da dieseInstitutionen aus ihrer Sicht Teil der ‹Parallelwelt›waren, mit der sie möglichst wenig zu tun habenwollte. Auch nach dem Krieg und der Einsetzungeiner internationalen Verwaltung im Kosovo än-derte sich nichts daran, dass es weiterhin zwei ge-trennte Kunstszenen gab: eine, die sich selbst alsdie ‹offizielle› Szene sah, weil sie von Institutionenunterstützt wurde und eine Akademie, Galerienund eine ‹Tradition› besass; und eine andere, diebis heute ausserhalb der Institutionen funktioniert,mit improvisierten Räumlichkeiten, informellenSchulen und subversiv scheinenden Methoden.Diese zweite, kreativere und dynamischere Szenefand rasch den Weg in die grossen europäischenAusstellungen. Ihre Künstler gelten als neugierig,mutig und reflektierend, ausgestattet mit einemkritischen Blick auf die wahren Probleme der Ge-sellschaft und auf die Rolle, die Kunst in ihr ein-nimmt.Die ‹offizielle› Kunstszene hingegen, die sich alsHüterin der grossen kosovarischen Traditionensieht, hat keine Antworten auf die Herausforderun-gen der neuen Epoche gefunden. Dies gilt auch fürdie qualitativ hochstehendsten Kunstwerke dermodernistischen Generation. Ein Beispiel dafür istMuslim Mulliqi, der verstorbene Doyen der koso-varischen Malerei, dessen Arbeiten in den Neun-zigerjahren zwar enorm ausdrucksstark waren,gleichzeitig aber auch immer introspektiver, dü-sterer und schwermütiger wurden.

Kein gemeinsamer Nenner: Die beiden Szenenhaben keinen gemeinsamen Nenner, nichts undniemand verbindet sie. Die institutionelle Kunstschien sich an das Motto ‹In Zeiten des Kriegesbleibt kein Platz für Kunst› zu halten und flüchtetesich in Politik und Ideologie. Es war kein Zufall,dass nach der Befreiung des Kosovo von Serbienund der Einsetzung der internationalen Verwal-tung mit Ibrahim Rugova ausgerechnet ein Schrift-steller erster Präsident des Kosovo wurde. Dienicht institutionelle, subversive Kunstszene warim Vergleich dazu die patriotischere, verschrieb siesich doch der künstlerischen Opposition gegen dieUnterdrückung. Auch wenn die extremistischenLautsprecher der ‹offiziellen› Kunstszene ihre An-schuldigungen gegenüber der neuen Kunstszenenie einstellten und ihr sogar vorwarfen, Traditionund ‹nationale Werte› zu verraten, so war es dochgenau diese neue Szene, die mit ihrer Subversivi-tät den Feldzug gegen jegliche Okkupation und ge-gen die Einschränkung der Freiheit anführte. Dazubediente sie sich der modernsten Mittel und einerSprache, die weit über die Grenzen des Kosovo hi-naus verstanden wurde.Aber die Defensivität und Nüchternheit der offi-ziellen Kunst auf der einen und die Offenheit undKreativität der neuen Kunstszene auf der anderenkönnen nicht für immer getrennt voneinanderbleiben. Die beiden Szenen stehen vor einer ent-scheidenden Konfrontation. Die alternative Kunst-szene strebt die Legitimierung ihrer Präsenz undihres Einflusses an. Zentrales Thema wird dabeieine Neuverteilung der bisher monopolisierten öf-fentlichen Gelder sein. Der ungeklärte politischeStatus des Kosovo diente bisher als Alibi, um inter-nen Konfrontationen aus dem Weg zu gehen, dochdamit muss es nun vorbei sein. Die zeitgenös-sische kosovarische Kunst hat von der ‹neokolo-nialen› Unterstützung profitiert, und sei es nur,dass diese von Künstlern genutzt wurde, um sichin den Westen abzusetzen. Aber jene Künstler, diesich für den Verbleib im Kosovo entschieden ha-ben, wissen nun, dass es für sie noch etwas Ge-fährlicheres als ihre Vereinnahmung durch denWesten gibt: ihre Kolonialisierung durch die eng-stirnige Kulturpolitik und -tradition einer vergan-genen Zeit. ¬Aus dem Englischen von Reto Gustin

Shkëlzen Maliqi ist einer der führenden Philosophen und Kunst-

kritiker Kosovos, Mitbegründer der Sozialdemokratischen Partei

und Autor zahlreicher Bücher und Artikel zur Kunst und Politik

Albaniens.

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‹Unten links› Südosteuropa vom Balkon aus gesehen

Sonia Zoran

Als ich ein kleines Mädchen war, mochte ich dasWort Balkan sehr, weil es ähnlich klingt wie Bal-kon. Und jeden Abend (oder fast) ging ich auf denBalkon hinaus, um die Sonne zu betrachten, dieüber dem Jura unterging. Ich träumte davon, dort-hin zu reisen, weit weg, auf die andere Seite derBerge und, wenn möglich, auf die andere Seite desAtlantiks. Und trotzdem liebte ich die Leute ausdem Osten, weil ich den Eindruck hatte, sie konn-ten besser Ball spielen…Wie mein Vater.Mein Vater konnte mit drei Bällen gleichzeitigjonglieren, und er machte auch den Seehund imSchwimmbecken nach wie kein anderer.Als mein Vater in die Schweiz kam, ohne den Ge-danken zu bleiben, war er Basketballspieler undStudent. Jahre später, als ich schon auf der Weltwar, war er nicht mehr Student, sondern lieferteWaren aus, verwaltete ein Magazin, reparierte Mu-sikboxen und war vor allem Familienvater.Es hiess von meinem Vater, er komme aus einemLand im Osten, doch er fand, das stimme nicht.Das sei komplizierter, er sei Jugoslawe, aber auchstaatenlos. Und ich fragte mich, was die Balkan-länder, der Osten und Westen mit all dem zu tunhatten.Das war so kompliziert, dass ich ihn immer in mirtrug. Und wenn ich von Amerika träumte, abendsauf meinem Lausanner Balkon, dachte oder viel-mehr spürte ich die andere Seite, den geleugne-ten Kontinent, der wie hinter mir war, wie einefrühere Silhouette…Das ist kompliziert, ich weiss, doch so war das nunmal in meinem Kopf. Zumal meine Mutter einesehr eigenartige Vorstellung von Geographie hatte,

ohne Breiten- und Längengrade, sondern mit Rich-tungen, die immer von uns zu Hause ausgingen.So befand sich für sie der Jura oben rechts und Ju-goslawien unten links. Der Genfersee, an dem sieaufgewachsen war, war natürlich das Zentrum.

Scrabble in vier Sprachen: Manchmal kamen dieVerwandten von unten links hereingeschneit,meine Tante aus Skopje kniff mich in die Wan-gen, bis es mir weh tat. Die Onkel aus Zagreb undSplit spielten mit meinem Vater Schach und fuh-ren mit uns Schlitten. Ich fand sie schön, andersals wir, laut, finster und lustig zugleich. Auchwenn wir uns nur selten sahen, auch wenn wirviel weniger gemeinsame Erinnerungen hattenals mit den Schweizer Verwandten mütterlicher-seits, gehörten auch sie zu unserer Welt, unsereCousins, Cousinen, unsere Küche voll Zwiebelnund Geschrei. Unsere Partien Scrabble in vier ver-schiedenen Sprachen, je nachdem, was jeder ein-zelne von uns lernte.Im Laufe der Zusammenkünfte und Ferien lernteich, so gut es eben ging, jene geometrisch variableSprache, das Serbokroatische, das heute als Ser-bisch, Kroatisch und Bosnisch angegeben wird.Ich lernte, Stalinismus und Titoismus zu unter-scheiden, ich verstand die Familienpolemikenzwischen denen, die sich angeblich für Kroaten, jaSlowenen hielten, und den anderen, denen dasvöllig egal war, je nach dem Ort, an welchem siegeboren wurden, in jener Bahnhofsvorsteherfa-milie in ständiger Bewegung, von den Ebenen mitPaprikaschoten und Zigeunern in Serbien bis hinzu den Ufern der Adria. Ich spann meine eigenenBeziehungen zu den Tränen auf den Bahnsteigen,

Der Blick von ihrem Westschweizer Balkon in Richtung Südosten setzt bei der Journalistin und Dokumentarfilmerin

Sonia Zoran die Himmelsrichtungen in Bewegung. Und eine Familiengeschichte, die von Jugoslawien über Ex-Jugo-

slawien bis in die Schweizer Gegenwart führt �

Enver Hoxha’s Pyramide in Tirana als öffentliche Rutschbahn, Ana Dzokic

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den ersten Liebschaften, meinem Interesse fürBlockfreiheit und Selbstverwaltung während mei-nes Studiums der politischen Wissenschaften.Als dann der Krieg ausbrach, war es so, als obmein anderes Haus, das wackligere, brannte.Mit einem Gefühl von Dringlichkeit und Eindeu-tigkeit arbeitete ich oft in Ex-Jugoslawien, dochauch mit der Leidenschaft und den Ängsten einerjungen Journalistin. Ich meinte, man brauche nurgut zu beobachten, zu erzählen und zu erklären,um seinen Beitrag zum Löschen der Feuersbrunstzu leisten. Ich sah lebende Tote, die mich baten,darüber zu berichten, und mir wurden die Gren-zen meines Berufs, der angeblichen Zivilisationund der Wörter klar, und gleichzeitig entdeckte ichden Abgrund, der sich in mir öffnete: Ich wurdenicht mehr nur zwischen Osten und Westen hin-und hergerissen, sondern auch zwischen ähnli-chem Wahnsinn, der regelmässig Menschen imNamen von manchmal historischen, meist aberhysterischen Namen gegeneinander aufbringt.

Angst vor dem Anderen: Ich lernte unten links,dass ich nie mehr würde dulden können, dass imNamen einer angeblich kulturellen oder religiösenÜberlegenheit Kulturen einander gegenüberge-stellt werden, ich lernte, dass sich Identitätssu-che nie auf Reinheit oder Ablehnung des Anders-sein stützen darf. Das wusste ich zwar schonvorher, man hatte es mich gelehrt, doch ich hattees nicht stark genug aus meinem Bauch herausgespürt, wie bei jenen Scheusalen, welche die Be-lagerung von Sarajevo mit dem jahrhundertealtenKampf gegen den Islam rechtfertigten, oder jenenFrömmlern aller Couleur, die vor Kanonen, bren-nenden Häusern oder Flüchtlingskolonnen stan-den und von einem Gott erzählen konnten.Ich hatte es vorher gelernt und glaubte – wahr-scheinlich wie Sie auch –, dass das jedermannganz klar war. Doch dem war in den Balkanlän-dern am Ende des 20. Jahrhunderts nicht mehrso.Doch was mich die Balkanländer heute lehren,weil ich oft dorthin, in jene Nachbarländer, dienicht mehr ganz verfeindet, aber auch noch nichtwirklich befreundet sind, zurückkehre, bestehtnämlich darin, dass das heute nicht mehr ganzklar ist, bei uns im Westen. Und oben rechts.Bei uns nämlich ist die Rede von Zivilisations-schock. Bei uns werden bestimmte Immigrantenals ‹nicht integrierbar› bezeichnet. Bei uns gehteine Angst vor dem Anderen, dem Anderswo undden Armen als Eindringlingen um.

Der Traum des Westens: Letzten Herbst traf ichmich für ein Dokumentarfilmvorhaben in Belgradmit Biljana Djurdjevic, einer tollen Malerin mit ei-nem ebenso präzisen wie spitzen Pinsel. Diesejunge Frau, die vor den amerikanischen Angriffenvon Bush in Bagdad gelebt hatte, stellte einfach

fest – vor ihren Bildern mit missbrauchten Kin-dern oder in Einkaufswagen evakuierten altenMenschen –, dass der Nationalismus zwar ausBelgrad, nicht aber aus der Region verschwundensei und dass er anderswo auf der Welt wiederauftauche. Lako Nikolic, ein junger Schauspieler,der Donald Duck synchronisiert und dank der As-simil-Methode fast perfekt französisch spricht,sagte mir, er mache sich Sorgen um Frankreichund die Zukunft dieses Landes, falls nicht neueDenkarten in Bezug auf die Nation und Förde-rungsarten in Bezug auf den nationalen Zusam-menhalt eingesetzt würden. Diese Künstler – wieauch jene Kosovaren, die freiwillig oder zwangs-weise aus der Schweiz oder Deutschland nachPristina zurückgekehrt sind –, versuchen, denTraum aus dem Westen in strahlendweissen Ho-tels und bunten Tankstellen neu zu erschaffenund sehen ganz klar, wie es um sie steht und wosie sind, nämlich auf einem Brachland, an einemRand, in unserem ‹Zentrum der Welt›.Und wie zu Beginn des Krieges möchte ich sagen,dass wir uns täuschen. Die ‹Jugos›, denen wir re-gelmässig die Einbürgerung verweigern, haltenheute dem Populismus als Munition her, dabeihaben sie sich mit Nation vollgestopft bis zumKotzen, bis zum tot Umfallen, während wir unsheute krampfhaft an einem Ideal des Schweiz-seins festhalten, das in Friedenszeiten wieder zumRéduit wird. Einem Réduit, eingelassen in ein Eu-ropa, das sich gegenüber Migranten aus dem Sü-den und dortigen Aufständen wie ein Bollwerk ver-hält.Und heute auf meinem Balkon blicke ich dorthin,weil ja zwischen dem Osten und dem Westen derSüden liegt. ¬Aus dem Französischen von Markus Hediger

Sonia Zoran, 1965 in Vevey geboren, wuchs in Lausanne auf.

Nach dem Lizentiat in politischen Wissenschaften an der dortigen

Universität war sie Mitbegründerin des Nouveau Quotidien und

reiste regelmässig als Sonderkorrespondentin nach Ex-Jugosla-

wien. Ab 1997 war sie als freischaffende Journalistin tätig, bis

sie schliesslich das Radio entdeckte. Seit April 2007 produziert

und moderiert sie die wöchentliche Sendung Comme un soleil...

auf Radio Suisse Romande 1.

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Dieses freie, korrumpierte Land Die Ukraine neu denken

Juri Andruchowytsch

Sándor Márai, ungarischer Romancier des vergan-genen Jahrhunderts, zitiert in seinen faszinieren-den Erinnerungen an die ersten Nachkriegsjahreden sehr treffenden Gedanken, dass eine Ände-rung des Gesellschaftssystems einer unglaublichkomplizierten Geschlechtsumwandlung gleicht.Ergebnis der Operation sollte sein, dass der Mannzur Frau wird und die Frau zum Mann. Jedochkommt meistens ein Zwitter dabei heraus. Anzei-chen einer solchen Zwittrigkeit gibt es in derheutigen Ukraine mehr als genug. Hier nur einpaar Beispiele.

Einerseits – andererseits: Einerseits gibt es imLande offenbar Pressefreiheit und, mehr noch,die Freiheit zu kritisieren, andererseits aber sindGerichte und Organe der öffentlichen Ordnungtotal korrumpiert, was bedeutet, dass der Bürgerpraktisch keine Möglichkeit hat, seine Interessenauf rechtstaatlichem Weg zu verteidigen. Einer-seits entwickelt sich die Privatinitiative, vor allemim Bereich des sogenannten ‹kleinen und mittle-ren Unternehmertums›, andererseits diktierendie allgegenwärtigen ökonomischen Oligarchen-klans die Spielregeln und können, wenn es seinmuss, dieses ‹kleine und mittlere Unternehmer-tum› jederzeit ruinieren und vernichten. Einer-seits wachsen Rolle und Einfluss nichtstaatlichergesellschaftlicher Organisationen, auch solcher,die die Menschen- und Bürgerrechte verteidigen– andererseits gehören Auftragsmorde, Folter undunbedingt das Abhören von Telefonen zu den üb-

lichen Arbeitsmethoden der Rechtsschutzorgane.Einerseits die völlig moderne und proeuropäischeRhetorik aller führenden politischen Lager, ande-rerseits deren überwiegende Ausrichtung auf ‹be-deutend effektivere› russische autoritäre Muster,auf ‹Geheimdiplomatie› und ununterbrochenengegenseitigen Verrat. Einerseits das Entstehen ei-ner aktiven, auf zeitgenössische innovative Ten-denzen ausgerichteten Kulturszene, andererseitsvon russischer Massenkultur beherrschte Me-dien.Zu jedem ‹einerseits› lässt sich bei uns minde-stens ein ‹andererseits› finden. Dass das Landvoller Widersprüche und Gegensätze steckt, isteine leere Phrase. In Wirklichkeit nämlich stecktes nicht voll davon, sondern es ist daraus ge-macht. Ein Organismus, der einem die zwittrigengesellschaftlichen Veränderungen, von denenSándor Márai vor 60 Jahren so bitter wie treffendschrieb, lebendig vor Augen führt.

Die Politisierung: Die orange Revolution, an dienicht mehr zu erinnern ich mir in den letztenzwölf Monaten schon dreimal geschworen habe,ein Schwur, den ich jetzt zum dritten Mal breche,war erstens das Wahrwerden von Hoffung, zwei-tens eine konsolidierte Anstrengung, die ‹Zwit-trigkeit zu überwinden› und zur Normalität zu-rückzufinden. Daher auch die grosse Bedeutungdes Engagements der Künstler und Intellektuellen.All das war nicht aus dem Nichts entstanden, son-dern ein paar Jahre gereift, seit dem Jahr 2001, als

Umstürze, Wahlen, orange Revolutionen und blaue Revanchen – die Ukraine der letzten Jahre zeigt sich hin und

her gerissen zwischen Erneuerungsdrang und Rückzug in tradierte Machtmuster. Eine goldene Zeit für dramatische

Brüche, intellektuelle und künstlerische Provokationen, meint Juri Andruchowytsch. Und geht damit selber voran �

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es in der Hauptstadt die ersten Proteste gegen daszwittrige Regime des damaligen Präsidenten gab,gegen dessen immer offensichtlicheren Wunsch,zum früheren ‹Geschlecht›, dem totalitären, zu-rückzukehren. Seitdem politisierten sich die intel-lektuell-künstlerischen Milieus immer mehr. ImJahre 2004 kulminierte dieser Prozess in einem all-umfassenden historischen Momentum, das prak-tisch jeden von uns mobilisierte. Es war einfachunmöglich, da abseits zu stehen. Als Folge ver-wandelte sich die orange Revolution und ihr Epi-zentrum, der Unabhängigkeitsplatz in Kiew, ineine Art ‹Mega-Kunstwerk›, und die Attribute, wel-che die Revolution erhielt, stammen überwiegendaus dem kulturellen Diskurs. Postmodern wurdesie genannt, karnevalistisch, Liederrevolution, na-türlich nach guter mitteleuropäischer Tradition.

Die niederschmetternde Enttäuschung: Warumhat sich dieses seltsame und zweifellos wunder-bare Ereignis, das wichtigste in der neuen ukrai-nischen Geschichte, in eine so niederschmettern-de Enttäuschung verkehrt?Erstens wegen des Infantilismus seiner Teilneh-mer – der ‹Bürger des Maidanplatzes›, aktivsterund bester Teil der Gesellschaft –, die nicht ver-standen, dass der Sieg der Opposition bei den Wah-len (im sogenannten dritten Durchgang) nicht dasEnde, sondern erst der Anfang war. Als die Zelteabgebrochen wurden, begann ein selbstverschul-deter Prozess der Entfremdung des ‹Maidan› vonder aktiven Politik – zusammenpacken und abnach Hause. Und die ‹neue Macht› blieb allein, aus-gestattet mit einem unerhörten ‹Vertrauensvor-schuss›, der sich als nicht sehr tragfähig erweisensollte, und mit der undankbaren Aufgabe, die ge-sellschaftliche Transformation zu vollziehen.Zweitens wegen des zusammengewürfelten undwiederum zwittrigen Charakters eben dieser‹neuen Macht›, was zu chronischem Streit (bishin zu offener Feindschaft) in ihren Reihen führte.Interne Kämpfe und gegenseitige Diskreditierun-gen, multipliziert mit ihrer durch nichts mehr be-schränkten Veröffentlichung und Verbreitung inden jetzt schon freien Medien, haben den Wahl-erfolg der ‹Gestrigen› bei den Parlamentswahlenim März 2006 massiv gefördert. Die Versuche, sichdurch Intrigen an die Spitze zu boxen, lösten eineKettenreaktion aus: Skandale, Rücktritte, Krisenund schliesslich zynischer Verrat und die Bildungeiner ganz anderen, nicht den Wählerwillen spie-gelnden Koalition im Parlament.Drittens (aber nicht letztens) wegen des Ausblei-bens einer ‹Kulturrevolution›, die integraler Be-standteil der Revolution an sich hätte sein müs-sen. Es stellte sich heraus, dass die ‹neue Macht›sich an den alten kulturellen Stereotypen orientier-te und die alten kulturellen Hierarchien bewahrteund konservierte. Trotz der scheinbar umfassen-den Pressefreiheit fand auch keine ‹Medienrevolu-

tion› statt – kein grundlegend neues Projekt einerunabhängigen Zeitung oder Zeitschrift (wie etwadie polnische Gazeta Wyborcza), keine neuen, inno-vativen Formate im Radio, sondern weiter fastausschliesslich ein und dasselbe Schema, Pop undblödes DJ-Gebrabbel – dazu der offensichtlichmisslungene Versuch, ein öffentlich-rechtlichesFernsehen zu schaffen.

Die bitter-süsse Chance: Folge dieser und nochtausend anderer Ursachen war der ‹schleichendeUmsturz› im Juli und August 2006, als die ‹Gestri-gen› in ihre erst vor kurzem verlassenen Büros imZentrum der Macht zurückkehrten und sich eifrigdaran machten, das frühere, ihnen genehmere Re-gime zu restaurieren – einmütig und organisiertwie ein von verwandtschaftlichen Banden zusam-mengeschweisster Mafiaklan.Wenn wir davon sprechen, was bei uns vorgehtund wo wir heute stehen, darf jedoch keinesfallsvergessen werden, dass die historische Situationnoch nicht abgeschlossen und offen für jede denk-bare Art der Fortsetzung ist.Die ‹blaue Revanche› ging im Frühjahr 2007 soweit, dass in der Luft wieder der Geruch des ‹Seinoder nicht sein› hing. Wie es so schön heisst: DerAppetit kam mit dem Essen. Immer konsolidier-terer Druck der regierenden konterrevolutionärenKoalition auf den Präsidenten – das letzte, fastnur noch symbolische Bollwerk der ‹neuen Ord-nung› – und immer offeneres Gieren nach derganzen Macht haben den seit dem Tag seiner In-auguration schlafenden Juschtschenko schliess-lich aufgeweckt und veranlasst, sein Recht in dieTat umzusetzen. Für den Anfang löste er das Par-lament auf und setzte Neuwahlen an. Sie findenEnde September 2007 statt.Als deren endgültiges Ergebnis wird eine der bei-den Seiten (grob gesagt: die ‹Orangen› oder die‹Blauen›) einen hauchdünnen Vorsprung erzielen.Gleichzeitig aber sind die Wahlen ein riesigerSchritt vorwärts, denn sie lehren die ukrainischenPolitiker, dass Verrat Folgen hat: Es besteht be-gründete Hoffnung, dass gerade die, die sich aufdiesem Feld besonders hervorgetan haben, es nichtmehr ins Parlament schaffen.Im Grunde ist es also eine sehr gute Zeit. Wenn esnach mir ginge, ich würde in der Ukraine allezwei Monate Neuwahlen ansetzen. Indem sie diePolitiker zwingt, sich bei Wahlen für ihre ebenerst gemachten Versprechen zu verantworten,wird die Gesellschaft immer unabhängiger undübernimmt die Initiative. Wahlen lassen nicht zu,dass der politische Sumpf stagniert und dass dieGesellschaft endgültig verzweifelt und sich mit‹Stabilität und Ordnung› abfindet.Was die Künstler betrifft, so ist es eine goldeneZeit für dramatische Brüche, intellektuelle undkünstlerische Provokationen, eine weitere, bitter-süsse Chance, sich und sein Land neu zu denken,

Am Stadtrand von Tirana, Katherine Carl

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ein Land, das sich Tag für Tag vor unseren Augenlangsam selbst findet, sich mit sich selbst fülltund trotz aller Widrigkeiten langsam beginnt, ausder verschwommenen Ausdruckslosigkeit des ver-späteten Entstehens erste Merkmale eines neuenSelbst herauszubilden. ¬Aus dem Ukrainischen von Sabine Stöhr

Juri Andruchowytsch, ukrainischer Schriftsteller, 1960 in Stanislaw

(heute Iwano-Frankiwsk) geboren. 1985 hat Andruchowytsch zu-

sammen mit seinen Freunden Oleksander Irwanets und Viktor

Neborak die heute schon legendäre literarische Performance-

Gruppe Bu-Ba-Bu begründet. Bis heute hat er fünf Gedichtbände

sowie vier Romane veröffentlicht.

Herder-Preis der Alfred Toepfer Stiftung, Hamburg (2001), speziel-

ler Erich-Maria-Remarque Friedenspreis der Stadt Osnabrück

(2005) und Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung

(2006).

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Meine Rückkehr in die WeltEine Reise von Belgrad nach London – und zurück

Vladislav Bajac

Die Einladung: Doch dann erhielt ich plötzlich eineunerwartete Chance, in die Welt zurückzukehren:Der British Council lud mich ein, nach London zukommen. Es gibt immer einen guten Grund, eineEinladung anzunehmen. Der einzige, der mir zu je-ner Zeit bewusst war, war eher privater Natur: AlsJugendlicher hatte ich sehr gerne britischen Rock-’n’Roll gehört und wollte mir deshalb eine Reisenach London nicht entgehen lassen. Dass ich nocheinen zweiten Grund hatte, wurde mir erst späterklar: Die Zeit war reif, um mich ruhig, vorsichtigund schrittweise daran zu machen, mit der WeltFrieden zu schliessen (meinen inneren Friedenwerde ich nie mehr finden), indem ich an einemgegenseitigen Austausch von Erklärungen über be-stimmte Dinge teilnahm, was den Schmerz zwarkaum heilen, aber wenigstens genauer definierenwürde.Vielleicht dachte ich auch, dass ich mich derenglischen Kultur, von deren Qualitäten ich über-zeugt war und die ich recht gut zu verstehen glaub-te, in einem gewissen Masse anvertrauen könneund dass sie mich auch verstehen würde. Als ichdie Themenvorschläge für das Gespräch zwischenden eingeladenen Schriftstellern aus Albanien,Bosnien-Herzegowina, dem Kosovo, Kroatien, Ma-zedonien, Montenegro und Serbien (in alphabeti-scher Reihenfolge) und dem Gastgeberland Gross-britannien erhielt, erkannte ich, dass der BritishCouncil erstmals öffentlich die Rolle als Friedens-stifter zwischen den ehemaligen Konfliktparteienwahrnehmen wollte. Nach meiner Ankunft in Lon-don stellte ich rasch fest, dass unsere Gastgebersehr begierig waren, die Bombardierung Jugosla-wiens als Argument dafür zu verwenden, dass nun‹alle Opfer gleich› seien, und diese Gleichheit desLeidens und seiner Folgen als Anlass und Grund-lage für die Wiederaufnahme öffentlicher Gesprä-che zu nutzen. Vielleicht hatten sie damit recht.

Die Annäherung: Allerdings war bei ihnen nebengrundsätzlicher Zuversicht auch Furcht davor zu

Ich kann es drehen und wenden, wie ich will: Nachder Bombardierung Belgrads war mein Leben nichtmehr dasselbe wie davor. Bewusst wurde mir diesaber erst einige Monate nach dem Ende des Krie-ges.Manchmal müssen Tage oder sogar Jahre verge-hen, bis man sich eines Gefühls voll und ganz klarwird, und so war das für mich auch in diesemFall. Als am 10. Juni 1999 endlich keine Bombenmehr fielen, war das einzige, was ich in diesemMoment fühlte, die Erleichterung darüber, dasseine schreckliche Zeit nun hinter uns lag. Es warwahrscheinlich eine Art Katharsis, die ich damalserlebte – nach zehn Jahren des Krieges, des Zer-falls und der Zerstörung, nicht nur des Landes,sondern auch unserer menschlichen Individua-lität. Die zerbrechliche Einzigartigkeit des Indivi-duums und sein unveräusserliches Recht auf dieseEinzigartigkeit waren endgültig vernichtet worden.Obwohl, logisch betrachtet, die politischen Ent-wicklungen darauf hindeuteten, dass sich in Zu-kunft einiges ändern und damit wohl eine bessereZeit anbrechen würde, war es schwierig, diese Er-kenntnis auch emotional zu akzeptieren: Es hattesich so viel Schmutz angesammelt, dass es nichtleicht fiel, an die Erfolgsaussichten eines reinigen-den Prozesses glauben zu können.Aus mir hatten die Ereignisse eine ruhige, intro-vertierte, melancholische Person gemacht, dienach aussen hin mit sich und der Welt im reinenwar. Ich belästigte niemanden mit den Ursachenmeiner Traurigkeit, die in mein Leben gekommenwar und mich nie wieder verlassen sollte. Mit derZeit begann ich mich mehr oder weniger an meinneues Leben zu gewöhnen. Ich fing mit der Arbeitan einem neuen, ziemlich nüchternen Roman anund war froh, wieder schreiben zu können, wennauch nur mit gedämpften Emotionen. Immerhingelang es mir, ehrlich mit mir selbst zu sein undmich nicht zu überfordern. Vielmehr wagte ichdamals nicht von mir zu verlangen.

Kurz nach dem Jugoslawien-Krieg reiste der serbische Autor Vladislav Bajac von Belgrad nach London, auf Einladung

zu einem Dichtergespräch. Er nennt es seine ‹Rückkehr in die Welt›. Eine Rückkehr mit bitteren Untertönen �

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spüren, dass sich ihre Gäste bei der Diskussiongegenseitig an den Kragen gehen könnten. Dergute Wille von Gastgebern und Gästen und dieWahl des ausserordentlich passenden und inspi-rierenden Themas ‹Schriftsteller, Leser und Län-der› sorgten dann aber dafür, dass sich niemandvor einem möglichen Fiasko fürchten musste.Ich fragte mich, welche Rolle ich wohl bei der «An-

näherung zwischen Südosteuropa und Grossbritannien

durch Bücher und Schriftstellerei» (Zitat aus dem Pro-gramm) spielen sollte. (Die Presse verstieg sichzur übertriebenen Behauptung, diese Veranstal-tung sei «ein aussergewöhnlicher und einzigartiger Mo-

ment», der den Gästen die Gelegenheit biete, sich«auf neutralem Terrain» über ihre Arbeit zu unter-halten und Erfahrungen in Bezug auf das Verhält-nis zwischen dem Schriftsteller und der Gesell-schaft auszutauschen.) Irgendwie war es, als obich – ich ganz alleine – dafür delegiert wordenwar, mein Land bei den Verhandlungen über dieZukunft der Literatur zu vertreten! Das Programmumfasste verschiedene Gespräche, öffentlicheLesungen und Podiumsdiskussionen. Natürlichwusste das Publikum nichts über den (höchst be-achtlichen) Aufwand, den die Veranstalter imVorfeld getrieben hatten, um uns sorgfältig undschrittweise einander näherzubringen. Nach die-ser Vorbereitungszeit hatte denn auch tatsächlichjeder von uns etwas zu Themen wie ‹Die Verant-wortung des Schriftstellers gegenüber dem Staat›,‹Die Verantwortung des Schriftstellers gegenüberdem Leser› und ‹Integrität und Vertraulichkeit inder Literatur› oder zu Fragen des Übersetzens undUnterrichtens von Literatur zu sagen.

Der Fauxpas: Zwar war ich zuvor schon einigeMale in London gewesen, doch bei meinen frühe-ren Aufenthalten während der Zeit der Sanktionenund Kriege hatte ich alles, was ich in dieser Stadt(oder in jeder anderen ausländischen Stadt, wasdas angeht) sah und erlebte, nur wie durch einenZerrspiegel wahrgenommen. Doch niemals zuvor(und auch niemals danach) leistete ich mir – undich kann mir nicht erklären, wieso – einen solchenFauxpas wie bei diesem Besuch. Am Flughafenerwartete mich ein Mercedes mit einem schweig-samen Fahrer und weichen Ledersitzen, um michdurch die Stadt zu meinem Hotel zu bringen. Wäh-rend der Fahrt tat die Gästebetreuerin, die fürmeinen sicheren Transfer verantwortlich war, demProtokoll Genüge und machte Konversation. Nach-dem ich einige ihrer sorgfältig abgewogenen Fra-gen höflich beantwortet hatte, glaubte ich plötz-lich, irgendetwas Nettes sagen zu müssen, undrief mit erstaunter Stimme aus: «Wie ruhig und be-

schaulich es doch hier in London ist!»

Noch bevor ich ausgesprochen hatte, wurde mirklar, was für einen Unsinn ich gerade von mir gab,aber da war es schon zu spät. Wir fuhren mittendurch das laute, pulsierende Stadtzentrum, und es

herrschte dichter Verkehr – beschaulich konnteman das nun wahrlich nicht nennen. Aber ichhatte vergessen, dass wir in einem Luxusauto derneusten Generation sassen, dessen Motor auchwährend der Fahrt kaum zu hören war und andem nichts schepperte oder klapperte. Meine un-bedachte Äusserung hätte eine ironische Antwortverdient gehabt, doch meine Betreuerin entgeg-nete nur in unbeschwertem Ton: «Die Fenster sind

geschlossen.»

Diese einfache, präzise und logische Antwort trafmich härter, als dies jede schnippische Antwortgetan hätte. Natürlich hätte meine Betreuerin auchnie gewagt, mich in irgendeiner Weise blosszustel-len, aber in Tat und Wahrheit hatte sie – zumGlück! – meiner albernen Bemerkung schlichtkeine Beachtung geschenkt. Sie war so routiniert,dass sie unsere Unterhaltung, die ja nur dazudiente, die Zeit für die Fahrt von A nach B zuüberbrücken, nüchtern, sachlich und ohne philo-sophische Vertiefungen absorbierte. Dass ich dasGesicht wahren konnte, hatte ich nur ihrer Pro-fessionalität zu verdanken.Dieses Erlebnis (an das wahrscheinlich nur ichmich erinnern kann) war für mich ein wichtigerSchritt auf meinem Weg von einer Welt in eineandere. Es war wie eine Mautstelle auf der Auto-bahn: Ich hatte bezahlt und durfte meine Reisefortsetzen.

Der moderne Voodootanz: Doch die Welt, in dieich trat, war geprägt von einer nervösen Hektikunter dem Diktat des Konsums. Wer etwas habenwollte, musste dafür bezahlen, und das Gespenstder Unsicherheit lauerte hinter jeder Ecke, auchauf jene, deren sozialer Status ziemlich unge-fährdet schien. Dieser Stress trieb die Menschen ineinen Wettstreit (mehr mit sich selbst als mit denanderen), was wiederum ihre existentiellen Äng-ste nur noch mehr schürte. Sie waren gefangen ineinem Teufelskreis, von Unsicherheit zu Sicher-heit und wieder zurück, immer im Bewusstseinder Vergänglichkeit des Erreichten. Dieser moder-ne Voodootanz versetzte die Menschen in einentranceähnlichen Zustand und schien sie geschäf-tiger, disziplinierter, unterwürfiger und leistungs-fähiger zu machen. Gleichzeitig litten sie aber auchunter dem horrenden Tempo, das ihnen abver-langt wurde und das zum Auslöser schwerer psy-chologischer Dramen werden konnte. Ich habe ei-nige solche traumatischen Krisen miterlebt undwünsche niemandem, dass er so etwas durch-machen muss, nicht einmal jenen wenigen Perso-nen, die ich, höflich ausgedrückt, nicht besondersschätze. Ein solcher Zusammenbruch einer Seelewar genauso tragisch wie der physische Schmerzdurch die Kriege, deren Bilder die internationalenFernsehsender aus ‹primitiven› Gegenden auf derganzen Welt, weit weg vom Westen, übertrugen.Und auch aus meinem Balkan.

Das ‹Westtor› an der Autobahnauffahrt nach Neu-Belgrad, Artingeering

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Obwohl ich gegenüber unseren Veranstaltern undihren Motiven recht kritisch war (oder sein wollte),konnte ich ihnen keine Vorwürfe machen: Aus ih-rer Sicht verstanden sie den Balkan, und sie tatendas auf eine Weise, mit der ich schon seit langerZeit vertraut war. Zu diesem Zeitpunkt zu versu-chen, ihre Meinung zu ändern, war sinnlos undohne Aussicht auf Erfolg. Doch es war eine guteGelegenheit, um zu versuchen, das Gescheheneverständlicher zu machen, Einzelheiten zu erklä-ren, aus der Sicht eines Augenzeugen zu berich-ten, ein vollständigeres, farbigeres Bild der Ereig-nisse zu malen – kurz, um uns vorzustellen, dieses‹Ruritanien›, aus dem (über ‹Südosteuropa›, ‹nord-östlicher Mittelmeerraum› und ‹zentrales undsüdliches Transdanubien›) mittlerweile der ‹West-balkan› geworden ist.

Der Schrecken und die Ironie: In jenem Frühlingdes Jahres 2000 tobte in Serbien und Montenegroein blutiger Krieg zwischen kriminellen Banden,dessen Protagonisten in allen Medien zu sehenwaren, wenn auch oft nur (in Wort und Bild) alsLeichen. Als ich in London vor meinen Zuhörernstand, die natürlich davon ausgingen, dass ich ei-nen gut vorbereiteten, ernsthaften Vortrag haltenwürde, fiel mir ein, dass ich in meiner Mappenoch zwei Zeitschriften hatte (eine aus Belgrad,die andere aus Novi Sad), die ich vor meiner Ab-reise am Belgrader Flughafen gekauft hatte. Aufden Titelseiten beider Magazine war, in Farbe,derselbe Kriminelle abgebildet (es hätten auchzwei verschiedene sein können), der kurz zuvorbei einem Schusswechsel getötet worden war.Während ihn das eine Bild lebend und unverletztzeigte, lag er (oder jemand anders, das spieltekeine Rolle) auf dem anderen tot auf der Strasse,niedergestreckt von den Kugeln seiner Rivalen.Mit den Worten «Das ist die Realität im heutigen Ser-

bien!» begann ich meinen Vortrag und hielt dieZeitschriften in die Luft, so dass alle die schreck-lichen Bilder sehen konnten, bevor ich fortfuhr:«Aber sehen Sie nur, hier unten auf der Seite steht noch

etwas… Kaum zu glauben! Hier steht, dass es in die-

sem Heft auch ein Interview mit mir gibt! Ist es nicht

ermutigend, dass es Schriftsteller trotz allem noch auf

eine Titelseite schaffen können?!»

Damit war das Eis gebrochen. Was folgte, war ei-ner der besten Vorträge meines Lebens, improvi-siert von Anfang bis Ende – dieses unbescheideneEigenlob darf ich mir aufgrund der Rückmeldun-gen der Veranstalter und des Publikums erlauben.Vielleicht lag das nicht in erster Linie an mir, son-dern vor allem daran, dass das wahre Leben wohlimmer noch die absurdesten Geschichten schreibt,fantastischer als die Einfälle jedes Schriftstellers.Alles, was ich einbrachte, war ein wenig Charmeund das Talent, über entsetzliche Dinge mit einerPrise Ironie, Witz und Zuversicht sprechen zu kön-nen, aus der Sicht eines Beobachters, der fest andie Durchsetzungskraft des Verstandes glaubt.Es war ein Zusammentreffen balkanischer Kühn-heit und britischer Schüchternheit.Zu erwähnen ist noch, dass London zugleich auchmeine Generalprobe für eine sechswöchige Zug-reise quer durch Europa war, die ich etwas mehrals einen Monat danach antrat, gemeinsam mitrund hundert anderen Schriftstellern des AltenKontinents. Der Literaturexpress Europa 2000 solltezum endgültigen Abschluss des Übergangs vonmeinem alten in mein neues Leben werden (hätteich damals nur gewusst, welche Illusionen ich mirdamit machte!).Dass die Generalprobe glückte, war kein Wunder– wie hätten die Briten auch je ein Imperium auf-bauen können, wenn sie nicht Meister im Organi-sieren wären? Später liessen mich die Veranstal-ter wissen, dass auch ich die Probe bestandenhatte.Mein Flugzeug setzte auf der Rollbahn in Belgradauf. Die Welt hatte mich wieder. ¬Aus dem Englischen von Reto Gustin

Vladislav Bajac, 1954 in Belgrad geboren, studierte jugoslawische

und Weltliteratur an der dortigen philologischen Fakultät und

war Journalist und Übersetzer. Er publizierte fünf Romane, zwei

Erzähl- sowie zwei Gedichtbände und ist zur Zeit Verlagsleiter

in Belgrad.

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Migrations- und Integrationsfragen sind in der Schweiz zu emotionalem Zündstoff geworden. Höchste Zeit, etwas

aus dem Leben und den langjährigen Berufserfahrungen eines bedachten Spezialisten in zu erfahren. Er stammt aus

Belgrad und ist in der Innerschweiz aufgewachsen �

Islam, Moschee, Kopftuch Gegen pauschale Wahrnehmungen

Dejan Mikic

ne aus Belgrad stammende Frau kennen und be-gann kurz darauf bei der Stadt Zürich sowie wenigspäter auch bei der Caritas Zürich als Sozialbera-ter mit Migrantinnen und Migranten aus dem ehe-maligen Jugoslawien zu arbeiten. Diese Umständefokussierten mein Interesse auf die aus ‹Jugosla-wien› stammenden Menschen in diesem Land.Männer und Frauen aus dem früheren Jugoslawienhaben heute in der Schweiz einen sehr schlechtenRuf. ‹Jugo› ist zu einem Schimpfwort geworden,und wer ein ‹ic› im Namen führt oder sich alsSüdosteuropäer zu erkennen gibt, hat oft genugProbleme in der Schule, bei der Wohnungs- oderStellensuche. Es gibt ein Bild vom ‹typischen Ju-goslawen›: männlich, rücksichtslos, bildungsfern,Autonarr, kriminell oder zumindest gewaltbereitund vor allem nicht integriert. Dieses Bild wirddurch tatsächliche Vorfälle und kontinuierlicheMedienberichterstattung laufend bestätigt. EineUnterscheidung nach ethnischer Herkunft respek-tive nationaler Zugehörigkeit wird zwar unterdes-sen in den Medien immer öfter vorgenommen, inder Wahrnehmung der meisten Schweizer aberbleibt der Begriff ‹Jugo› hartnäckig haften. Unddie ‹Jugo-Frau›? Irgendwie vormodern, rückständigund unterdrückt. Häufig Importbraut.

Image-Veränderungen: Jahrelang war das Bildvom ‹Jugoslawen› in der Öffentlichkeit anders. Vonden Anfängen der Arbeitsmigration in den sech-ziger Jahren bis in die späten achtziger Jahre wa-ren Personen aus dem ehemaligen Jugoslawiengeschätzte und gesuchte Arbeitskräfte. Ihre Inte-gration verlief ohne nennenswerte Probleme; diejugoslawischen Fremdarbeiterinnen und Fremdar-

Rund ein Jahr nachdem 1966 mein Vater im Spitalvon Schwyz eine Anstellung als Arzt fand, zogenmeine Mutter, die kleine Schwester und ich eben-falls aus Belgrad in die Zentralschweiz. Bis Anfangder neunziger Jahre fühlte ich mich dort ausge-sprochen wohl. Das Land und speziell das Luzer-ner Hinterland, wohin wir rund viereinhalb Jahrenach unserer Ankunft übersiedelten, waren zu je-nem Zeitpunkt längst zu meiner Heimat geworden.

Stammtischrunden: 1991, mit dem Ausbruch derKriege im früheren Jugoslawien, begann sich meinVerhältnis zur Schweiz unverhofft zu verändern:Die Politik der serbischen Regierung, implizit aberauch die serbische Diaspora der westeuropäischenLänder, rückten stärker ins mediale Rampenlicht,aber auch ins Zentrum der Stammtischrunden,und zwar fast durchwegs negativ. Auf einmalwurde ich im beruflichen und privaten Umfeld öf-ters auf meine serbische Herkunft angesprochen– etwas, das über zwei Jahrzehnte lang kaum jeder Fall gewesen war. Es kam vor, dass Personen –auch solche, die ich jahrelang kannte – auf Distanzgingen. Mir schien es, als ob man mich dafür mit-verantwortlich machte, was in den Kriegsgebie-ten des Balkans Serben zu Lasten gelegt wurde.Dies war eine neue und bisweilen schmerzhafteErfahrung. Gleichzeitig führte sie dazu, dass ichmich stärker mit meinen Wurzeln auseinander-zusetzen begann. Hatte ich noch gegen Ende desEthnologiestudiums davon geträumt, weitere Feld-forschungen in Afrika durchzuführen, bewirktendie politischen Veränderungen in der alten Heimat,dass ich mich intensiv für Südosteuropa zu inter-essieren begann. Etwa gleichzeitig lernte ich mei-

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beiter fielen nicht auf, und schon gar nicht stö-rend.Seit Anfang der neunziger Jahre ist aus den einstgerngesehenen ‹Bilderbuchausländern› die unbe-liebteste Bevölkerungsgruppe der Schweiz gewor-den. Zur Image-Veränderung haben verschiedeneUmstände beigetragen: zahlenmässige Zunahme;überproportional hoher Anteil an Straftätern, Ar-beitslosen, Sozialhilfebezügern und Invaliden;Flüchtlinge und Asylsuchende; Kriminaltouristen;als Folge der Kriege in den neunziger Jahren ver-mittelte Stereotypen. Insbesondere die Themenmangelnder Schulerfolg, Gewalt und scheinbareIntegrationsunfähigkeit von Jugendlichen süd-osteuropäischer Herkunft sind momentan allge-genwärtig.Verfolgt man die hiesigen Medien und die öffent-lichen Diskussionen, erhält man den Eindruck,dass zwischen alteingesessenen Schweizern undSchweizerinnen sowie Personen, die aus demfrüheren Jugoslawien stammen, unüberwindbarekulturelle Unterschiede bestehen. Unsicherheit,Missverständnisse und Verwirrung scheinen da-bei kontinuierlich zugenommen zu haben. Stattdass man sich mittlerweile nähergekommen ist –immerhin emigrierten von zahlreichen Menschenbereits die Gross- oder Urgrosseltern aus Serbien,Kroatien, Slowenien, Bosnien, Kosovo, Mazedonienund Montenegro hierher –, macht es den Anschein,dass sich Schweizer und Personen mit Wurzelnim ehemaligen Jugoslawien immer mehr vonein-ander entfernen.

Islam, Moschee, Kopftuch: Längst hat sich in den‹einheimischen Köpfen› ein Bild festgesetzt, das,multimedial akzentuiert, in politischen Diskus-sionen wie auch in staatlichen und nicht zuletztwissenschaftlichen Publikationen transportiertwird. Da finden wir zumeist fremdländisch ‹An-dere›, die Einheimische bedrängen und letztlichdes Schweizers Wohlstand bedrohen. Auch ge-mässigtere Schilderungen betonen für gewöhnlichdas ‹Fremde›, das – so wird insinuiert – im Kon-trast zur Mehrheitsgesellschaft stehe.Trotz der zeitweise grossen Medienpräsenz sowieder Tatsache, dass Sommerferien in Slowenien,Kroatien und Montenegro wieder ‹in› sind, machtes alles in allem den Anschein, dass Schweizerin-nen und Schweizer im allgemeinen kaum mehrüber die Nachfolgestaaten des früheren Jugosla-wiens und deren Bewohner wissen als noch vorfünfzehn oder zwanzig Jahren. An Weiterbildungs-veranstaltungen frage ich beispielsweise ange-hende Lehrerinnen und Lehrer, Sozialarbeiter undMenschen aus verwandten Berufsfeldern, welcheStichworte ihnen zu ‹Serbien› und ‹Serben› ein-fallen. In der Regel wissen die meisten Befragtenkaum etwas. Gleichzeitig hört man überproportio-nal oft die Stichworte ‹Islam›, ‹Moschee›, ‹Kopf-tuch›.

Gegen pauschale Wahrnehmung: Im Rahmenmeiner publizistischen Arbeit ist es mir ein Anlie-gen, den undifferenzierten Vorurteilen und demeinseitig negativen Bild, das in der Schweiz bezüg-lich der Personen aus dem früheren Jugoslawiendominiert, entgegenzutreten. Es geht mir auchdarum, sowohl Serbinnen und Serben als auch Mi-grantinnen und Migranten aus den anderen Nach-folgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens ein Ge-sicht und eine Stimme zu geben. Dadurch möchteich auf die Vielfalt und Vielschichtigkeit dieser Be-völkerungsgruppen hinweisen sowie einer pau-schalen Wahrnehmung entgegenwirken. Die Lesersollen Menschen kennenlernen, die alle auf ihreeinmalige Art existierende Bilder von ‹Jugoslawen›hinterfragen, bereichern, vielleicht bestätigen oderüber den Haufen werfen.Gleichzeit verstehe ich mein Wirken als einen Auf-ruf für Toleranz, Respekt und Offenheit gegenüberallen Bevölkerungsgruppen in diesem Land.Etwas vom erfreulichsten bei dieser Tätigkeit istdie Wertschätzung der Leute, die man erfährt. Dasgilt praktisch gleichermassen für Zugewandertewie für Einheimische. Bei den zwei Büchern, wel-che ich gemeinsam mit Erika Sommer herausgab,fiel denn auch auf, wie viel Wohlwollen zahlreichePersonen, die keinen erkennbaren familiären Be-zug zum Balkan haben, unseren Projekten ent-gegenbrachten. Von Seiten der Menschen mit ‹ju-goslawischen› Wurzeln war bemerkenswert, wieoffen, unkompliziert, kooperationsbereit und letzt-lich auch ein wenig stolz sie auf unsere Publika-tionen waren. Dies alles zeigt mir, dass ich michmit dem Vorhaben, etwas zur Überwindung eth-nischer Grenzen beizutragen, auf dem richtigenWeg befinde.Heute denke ich oft an meine Kindheit in der Zen-tralschweiz zurück. Wahrlich, ich kann mir nichtvorstellen, dass je eine zugewanderte Familie indiesem Land besser aufgenommen wurde, als diesbei uns der Fall war! Mit meiner publizistischenArbeit möchte ich nicht zuletzt dazu beitragen,dass Kinder, die heutzutage mit den Eltern immi-grieren – woher auch immer –, dies auch einmalbehaupten können. ¬

Dejan Mikic, 1961 in Belgrad geboren, lebt seit 1967 in der Schweiz.

Studium der Ethnologie, Geschichte und Psychologie an der Uni-

versität Zürich. Forschungsaufenthalte in Ostafrika. Beratungs-

und Projekttätigkeiten bei der Integrationsförderung der Stadt

Zürich. Seit 1995 Sozialberater bei der Caritas Zürich. Autor diver-

ser Fachartikel zur Migrationsthematik. Mitherausgeber der

Bücher Als Serbe warst du plötzlich nichts mehr wert. Serben und

Serbinnen in der Schweiz (Orell Füssli 2003) und Jugoslawien –

Schweiz einfach. 20 Erfolgsgeschichten (Orell Füssli 2007).

Schuhmarkt im Norden Albaniens, Barbara Galassi

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«Es war mir...» Projektionsraum Balkan

Boris Previsic

Es war mir, als habe schon Metternich zu Protokollgegeben, der Balkan beginne doch in Wien hinterdem Rennweg. Es war mir, als laute der Grundte-nor meiner Musikertruppe beim Grenzübertritt vonMazedonien nach Albanien, wir seien nun end-gültig im ‹Land der Skipetaren› angelangt – amEnde unserer Zivilisation. Als ob uns der Hirte amStrassenrand in Südserbien oder das Waffenverbotüber dem Eingang des olympischen Studios in Sa-rajevo nicht schon beeindruckt und gleichzeitigbelustigt hätten. Zivilisation hin oder her, es warmir, als gehe es gar nicht darum, sondern um Mar-kierungen: Osteuropa im Gegensatz zu West- oderMitteleuropa, Südosteuropa zu Nordwesteuropa,der Balkan zum Nicht-Balkan. Fazit: Markierun-gen, negativ natürlich.Es war mir, als habe die Ausgrenzung System –doch lediglich um der Selbstlegitimation und umdes ökonomischen Egoismus willen –, als hebe sichdas katholisch-habsburgisch-mitteleuropäischeKroatien vom orthodox-byzantinisch-osteuropäi-schen Serbien, dieses vom islamisch-osmanischenBosnien, dieses wiederum vom ex-jugoslawischenArmenhaus Kosovo und dieses wiederum vomisolierten, noch ärmeren Albanien bewusst ab.‹Nesting Orientalisms› lautet der Terminus techni-cus dieser gegenseitigen Stereotypisierungen.

Vor- und Nachkriegsgeneration: Es war mir, alslaute die Begründung noch heute, dies sei eintypisch kulturelles Phänomen, als hätten die Be-satzer von Sarajevo 1992 fürwahr zuerst die Na-tionalbibliothek ausgebrannt – dem folgten Mo-scheen, Kirchen, antifaschistische Gedenkstätten–, als sei es ein Ding der Unmöglichkeit, mit einermoldawischen Pianistin durch den sogenanntenWestbalkan zu touren, als würde mir nur so be-

wusst, wo der eigentliche Balkan liege: ‹Welcometo Molvania – a land untouched by modern den-tistry›.Es war mir, als gäbe es nur zwei Generationen aufdiesem nicht nur kulturell verminten Gelände:eine Vor- und eine Nachkriegsgeneration, als seije nach Ort entweder die eine oder die andere Ge-neration an unseren Konzerten erschienen – aberselten in Eintracht. In Sarajevo und Pristina inübervollen Sälen die frenetische Jugend, die sichnichts entgehen lassen wollte – keine Spur voneinem saturierten Publikum wie bei uns. (Beiuns? Wo? Im Westen? Im Nicht-Balkan? Und viel-leicht wegen dieser impliziten Ausgrenzung wie-der mitten im Balkan?) Neue Musik sei neu – keineSpur von Oxymoron, vielmehr von überzeugen-dem Pleonasmus. Es war mir, als nehme gerade injenen Gebieten, in denen die Kriege am heftigstenwüteten, die Jugend den grössten Anteil.

Nabelschau Seldwyla: Es war mir aber auch, alsgäbe es sonst nur unverbindliche westliche Kostoder jene typische Nabelschau Seldwylas: NurMusik aus dem eigenen Land, bitte. Es war mir,als hätten wir unlängst das beste Musikstück derneunziger Jahre in Sarajevo gespielt – noch mitehrfürchtiger Scheu. Das Publikum habe die Mu-sik kapiert, so war mir, habe sich bedankt für un-sere Treue zur Musik. Zwei Tage später – inzwi-schen spielten wir mit überzeugender Verve undPräzision, so war mir –, am renommiertesten Festi-val auf dem Balkan, falls man an der ZagreberBiennale den Balkan noch überhaupt erwähnendarf: gähnende Kompositionslehrer, denen die Me-lodik, der Kontrapunkt fehlte, und internationaleBeobachter, die von Formmangel quasselten, alsob die Musik gerade diese drei Fesseln zu Gun-

Es gibt nicht nur die westlichen Stereotypien zum Balkan, sondern auch jene der Balkanländer untereinander. Der

Musiker und Germanist Boris Previsic hat dazu eine ‹Variation› verfasst. Mit ironischem Refrain �

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sten von etwas Innovativerem sprengen dürfte.Sind wir in Zagreb schon im Westen angelangt?So war mir.

Projektionsfläche Europas: Keine Aus- und Ein-grenzung ohne Selbstbeteiligung in dieser ver-meintlich kulturellen Topographie – nachträglichoft anthropologisch begründet, obwohl man eshöchstens mit historischen Ungleichzeitigkeitenzu tun haben könnte. Aber Hand aufs Herz: Waswäre der Balkan heute ohne die nationalistischeRhetorik und Kriegsführung der neunziger Jahreim Zeichen neu aufoktroyierter (Id-)Entitäten, diees nun plötzlich kulturell zu verstehen gilt? Viel-leicht lediglich eine zweite iberische Halbinsel amanderen Ende unseres Rumpfkontinents – ohneAmbitionen, als Projektionsfläche Europas her-halten zu müssen. Jedenfalls kein Traum, auchkein böser, den es zu vertreiben gälte. ¬Boris Previsic ist Musiker mit Lehr-, Orchester-, Konzertdiplom

und Spezialisierung auf Querflöte sowie promovierter Germanist.

Seit 2006 arbeitet er neben seinen musikalischen Kooperations-

projekten an einem post doc Nationalfonds-Projekt Balkan als

Reflexion europäischer Identität.

Musikalische Kooperationsprojekte zwischenden Ländern Ex-Jugoslawiens und der Schweiz

Die von Boris Previsic 2001 mitbegründeten Ve-reine pre-art und Sonemus setzen sich für Pro-jektierung und Finanzierung sowie für Organi-sation und Durchführung von musikalischenKooperationsprojekten ein, insbesondere im Be-reich der neueren Musik zwischen den LändernEx-Jugoslawiens und der Schweiz. Mit Festivals,Produktionen, Wettbewerben für junge Kompo-nistinnen und Komponisten zielen diese Pro-jekte darauf ab, eine gemeinsame innovativeMusiksprache und -szene in überregionalen Ko-operationen zu initiieren und zu fördern. Dankden daraus entstehenden Synergieeffekten (Aus-bildung und Zusammenführung kompetenterMusikerinnen und Musiker, Tourneen und ge-meinsame Organisation aus und im ganzen Bal-kan) soll die Isolation der neu entstandenen Re-publiken allmählich wieder aufgehoben werden.Ungefähr zur Hälfte wurden diese Projekteauch durch Pro Helvetia unterstützt. WeitereInformationen über pre-art und Sonemus unterwww.pre-art.ch und bald auch unterwww.sonemus.ba

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Mazedonien, in permanenter Übergangsphase und mit nomadischer Identität. Wie sucht und findet ein Land ver-

schiedener Ethnien eine gemeinsame Kulturpolitik? Nicht zuletzt im verstärkten Kontakt mit Westeuropa, meint

die Kunst- und Medientheoretikerin Iskra Geshoska �

Landschaften malen Reflexionen über Mazedonien

Iskra Geshoska

Art und Weise, gleichzeitig aber auch intuitiv undpragmatisch nach seinen für entwickelte Demo-kratien charakteristischen Bezugspunkten suchteund dabei zäh an seiner versteinerten Mentalitätvon Diskrepanz und Teilung festhielte. Das ist eineaufregende, aber auch sehr erschöpfende Reise.Wir werden für eine Vielzahl verschiedenartigerDiskurse mobilisiert. Kultur, Land, Nation werdendem jeweiligen Zweck entsprechend diskursiv ein-gesetzt. Unterschiedliche Traditionen, Standpunkteund Gesprächspositionen aktivieren unterschied-liche Bedeutungsebenen und schreiben Geschichtein fein verästelter Form.Unsere Geschichte hält daran fest, dass der Staateine symbolische Praxis repräsentiert, nicht nurgesellschaftliches Erbe. Diejenigen von uns, die in

Eines ist sicher: Wir sind keusch. In einer Welt po-litischer, marktorientierter, intellektueller, emo-tionaler und künstlerischer Promiskuität sind wirkeusch, ist unser Verlangen ungestillt. Es ist genaudiese Diagnose, die uns in den Strudel ständigerRechtfertigung zieht, uns mit dem Köder Amne-stie zum Narren hält, unserer Desorientierungund Unverantwortlichkeit Sinn verleiht.Staat, Erbe, Land existieren nicht für sich selbstund aus sich selbst. Die kollektive Geschichte istaus den Bruchstücken individueller, kleiner Ge-schichten zusammengefügt. Mit dieser Vorstel-lung vor Augen kommt es mir vor, als wäre Maze-donien, besonders in den vergangenen paar Jah-ren, ein Land einer ungewöhnlichen semantischenKomplexität geworden, welches, teils auf konfuse

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Mazedonien leben, sind sich dessen durch Jahr-hunderte hindurch sehr bewusst gewesen – in-dem er, der Staat, sich in gewisser Weise virtuell,auf Artefakten wie auf Fakten basierend, konstru-iert, aber auch auf phantasmagorischen histori-schen Ideen. Genau das hat uns in einem Zu-stand ständiger Spannung gehalten und daranerinnert, dass der Staat glücklicherweise nichtder absolute Höhepunkt der Schöpfung mensch-lichen Geistes ist, sondern eine Sache fortwäh-render Spannungen und Kämpfe.

Skizze einer Megalandschaft: Ich frage mich oft,welches ist der grössere Fluch: in einem Land be-heimatet zu sein, das sich seit 16 Jahren in einerÜbergangsphase befindet, oder heimatlos, mit ei-ner nomadischen Identität, die transponiert, diesich selbst in den Nachbeben der bereits traditio-nellen europäischen Demokratien sieht. Für michlautet die entscheidende Frage, wie man in sei-nem eigenen, nicht so rosigen kulturell-politisch-theoretischen Kontext leben, agieren, kreierensoll. Wie man im Umfeld einer alles umfassendenSklerose, der Amnesie einer Übergangsgesellschaft‹anarchische Verantwortlichkeit› in Richtung einerselbstgewählten Identität etablieren und prakti-zieren soll.Ich glaube, dass es in Mazedonien in den vergan-genen Jahren an Stärke gemangelt hat, seine Land-schaft in qualitativ hochstehenden Farben zu ma-len, insbesondere diejenige, die sich auf Kulturund Kulturpolitik als einem wichtigen und viel-leicht gar Schlüsselsegment des sozialen Über-gangs bezieht. Das Rezept der Renaissance, fri-sches Eigelb als Garantie für die Dauerhaftigkeitvon Farbe zu verwenden, funktioniert offensicht-lich nicht. Es sieht ganz so aus, als hätte jemandall die Jahre über gemalt und dabei faule Eier ver-wendet. Dieser Jemand sind wir selber.

Dem grossen Konflikt entgangen: Eine ermutigen-de Tatsache ist, dass es uns in all den Jahren ge-lungen ist, in einer aussergewöhnlich turbulen-ten und militanten Region dem ‹grossen Konflikt›zu entgehen. Beim Zerfall der SozialistischenBundesrepublik Jugoslawien war Mazedonien daseinzige Land, das der blutigen Entwaffnung ent-ging. Damit zerfiel allerdings auch der Traum ei-ner funktionierenden und wirksamen Einheit;doch der Staat zerfiel nicht, auch wurde er nichtso zerstückelt, wie es in Bosnien, Kroatien undSerbien geschah. Ist das eine Frage der Menta-lität? Oder eine gutformulierte politische Agenda?Oder, am wahrscheinlichsten, eine Kombinationaus beidem? Unsere Mentalität zeichnet sich ausdurch Akzeptanz, Isolierung und Anpassungsfä-higkeit sowie einer Art Gehorsam. Als solcheskann sie ihre guten wie auch ihre schädlichenSeiten haben. Gut in dem Sinne, dass wir uns mitLeichtigkeit von einem kommunikativen Code an

einen anderen anpassen können; und schädlich,weil es Hinweise gibt auf mangelnde Integrität,Entschlossenheit und eine klare und affirmativeHaltung, wenn es darum geht, unsere kollektivenInteressen anzusprechen.Nichtsdestotrotz verschaffte uns das Bewahrt-werden vor einem bewaffneten Konflikt einen ge-wissen Vorteil bei der Entwicklung des demokra-tischen Prozesses. Diese Tatsache war besonderswichtig, zieht man in Betracht, dass MazedoniensTradition einer Jahrhunderte überspannendenmultikulturellen Gesellschaftsstruktur das Landals ‹Pulverfass› prädisponieren könnte. In diesemKontext ist jedes Land und jede Geschichte vollerWidersprüche. Das unsere bildet dabei keine Aus-nahme. Und unsere jüngste Geschichte erst rechtnicht.

Übergangswahn und nationale Prioritäten: Wirhätten dem Wahnsinn, der mit politischen undgesellschaftlichen Veränderungen einhergeht, ent-gehen können, aber wir verhedderten uns in ei-nem Übergangswahn. Wir öffneten die ‹Büchse derPandora›, indes wir über uns selbst reflektierten,und damit war es nicht länger möglich, jemandanderes als uns selbst Schuld zuzuschieben. ImBemühen, unsere eigene Verwaltung neu zu struk-turieren, ihr Geltung zu verschaffen, brachten wires fertig, eine Reihe von wesentlichen und dring-lichen Aspekten auf der Prioritätsliste zu überse-hen. Die verzögerte National-Romantik wurde da-bei zu einem der Schlüsselprobleme.Mazedonien ist ein multikulturelles Land. Das istes seit jeher gewesen. Und es scheint, dass genaudiese Tatsache unser grösster Vorteil ist: die Ver-einigung diverser Ethnien, die Assimilation aus-geprägter kultureller Identitäten. Jede Ethnie hatin solch einer demographischen Gesellschafts-struktur Vorteile. Unglücklicherweise gewährendie jüngsten politischen Entwicklungen in den be-nachbarten Ländern Kosovo und Serbien Raum fürdie Manipulation des Konzeptes einer friedlichenKoexistenz. Entsprechend setzte Mazedonien neuenationale Prioritäten: statt wirtschaftliche Pro-sperität und den euro-atlantischen Integrations-prozess zu fördern, wurden die innere ethnischeUnzufriedenheit und der notwendige Balanceakt,Spannungen abzubauen, zum Hauptanliegen. Folg-lich führte die Situation 2001 zu einem weitge-hend unerwarteten (zumindest für uns, die wir diepolitischen Spiele nicht begreifen konnten) be-waffneten Konflikt, einer nachfolgenden Verfas-sungsänderung, einem endlosen Prozess desSpannungsabbaus und der Verschwendung wert-voller Energie bei der Befriedigung der Bedürf-nisse der vorherrschenden ethnischen Gruppen –Mazedoniern und Albanern. Als Folge davon gerie-ten der Prozess zur Modernisierung des Staatesund das Etablieren wirtschaftlicher Stabilität aufDauer ins Stocken. Die Teilung der beiden gröss-

Sprung in den Matka See in Mazedonien, Valerie Tevere

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ten ethnischen Gruppen nimmt schrittweise zuund ist gegenwärtig um vieles spürbarer als vor15 Jahren. Offensichtlich lassen sich Konflikte perGesetz und per Verfassung regulieren. Aber des-sen ungeachtet lässt sich ‹gegenseitiges Vertrau-en›, wie wir es vorher kannten, nicht ohne weite-res wiedergewinnen.Ereignisse wie diese sind lediglich ein Alibi fürdie inkompetente und alles andere als weise Ent-scheidungsfindung seitens unserer politischenElite, die unfähig scheint, die historischen, kultu-

rellen und politischen Ressourcen, die das Landzu bieten hat und die wahrhaft provokativ undflorierend zu sein scheinen, in konstruktive Bah-nen zu lenken.

Wie üben wir Macht aus?: Was das Erbe der Eu-ropäischen Union uns gelehrt hat, ist, dass nichtder Besitz von Macht und Freiheit so extrem wich-tig ist, sondern vielmehr, wie man damit umgeht.Das Phänomen Macht in Mazedonien ist einesehr schwierige Angelegenheit. Von daher rührt

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denn auch alle Problematik hinsichtlich des Auf-baus und der Ausübung einer kulturpolitischenStrategie. Mazedonien ist ein Land, dem es alldiese Jahre nicht gelungen ist, elementare Prinzi-pien aufzustellen, die den gegenwärtig relevan-ten Modellen kultureller Performanz und Kulturentsprechen und als einzige interdisziplinäreBrücke verstanden würden, gesellschaftliche Dy-namik, die Welt, Schaltzentren zur Identitätsfin-dung des Kollektivs und des einzelnen zu verbin-den.Unglücklicherweise ertappen wir uns auch nach16 Jahren immer noch dabei, über totalitäre Er-fahrungen zu sprechen, die in nicht allzu fernerVergangenheit auf uns lasteten. Totalitäre Erfah-rungen, die unbarmherzig, ich würde sogar sagen,gefährlich versteckt hinter offensichtlich demo-kratischer Rhetorik verborgen, gegenwärtig undbeherrschend sind wie nie zuvor. Bestätigt wirddas durch possenhafte politische Vorherrschaf-ten, Spekulationen und Frustrationen, die jegli-chen Versuch ins Leere laufen lassen, eine offeneGesellschaft zu praktizieren.Kunst und Kultur verkommen dabei zunehmendzu Werkzeugen der Manipulation in den nieder-trächtigen Spielen der noch niederträchtigeren,miteinander konkurrierenden politischen Teams.Wir haben uns in den Klauen politischer Zügello-sigkeit und prahlerischen Verlangens nach Aus-beutung wiedergefunden. Und nicht nur mate-rielles Verlangen, sondern auch ethisches. Wirstehen einer Entropie der Bedeutung gegenüber,die, wie ich hoffe, nicht mit einer Entropie desSterbens und der Hoffnungslosigkeit dieses Lan-des einhergeht. Wir waren Zeugen des logischenSchlusses eines längst vergangenen Systems, derTrivialisierung einer von den heutigen politischenFührern vehement verdammten Ideologie, nota-bene von denjenigen, die deren Vorteile erntenund deren Herrschaftsmechanismen perfekt ver-feinert haben. Eine autokratische (ich würde sa-gen sozial-realistische, das aber wäre eine Beleidi-gung für die Ikonographie des sozialen Realismus,der immerhin Erleichterung und moralischenAuftrieb bot) Performanz, die uns nichts anderesgeboten hat als eine Bestätigung der Lügen undder leeren Phrasen, der radikalen Illusion, die unsvon unserer wahren Bestimmung abhält.

Leben mit und durch den anderen: Wir leben ineinem Raum und einer Zeit, in denen es keinemit Tatsachen konfrontierte Idee mehr gibt, keinemit Ereignissen konfrontierten Akteure, keine mitden eigenen Gedanken konfrontierten Intellektuel-len, ohne richtige Akteure und ohne autorisierteDolmetscher. Das Ereignis wird nicht sosehr alsAktion begriffen, sondern als Spekulation. UnserAlltagsleben verwandelt sich in eine Auktion, beider mit Hilfe radikaler Desinformation Ereignisseund Leben versteigert werden, bei denen der

Schlusskäufer der Müllhaufen der Geschichte ist.Was uns wirklich leben, existieren machen kann,aber damit auch zu nomadischen Identitäten, istdas unablässige Investieren und Bemühen, unsereigenes Bild in dem Bild des Anderen zu veran-kern, damit das Andersartige unser Korrektiv seinkann, das uns durchdringt, und das wir unaufhör-lich durchdringen.Dies heisst, dass wir den Blick und die Anleitungdes Anderen brauchen, in dem wir unsere eige-nen wahren Farben und die der Zeit angemesse-nen Massnahmen sehen lernen. Wir benötigenVerständigungsformen, die auf die gelassene, aberauf Wandel bedachte, west-östliche Mentalität an-wendbar sind. Die Möglichkeit zu derlei Überlegun-gen ist uns durch die Öffnung der verschiedenenProgramme für Kooperation und Unterstützungdurch westeuropäische Partner und Rezeptiongegeben. Ob und wie diese Gelegenheiten genutztwerden? Nicht genügend. Unglücklicherweise istes schwierig für uns zu lernen und die gebotenenChancen zu ergreifen. ¬Aus dem Englischen von Udo Breger

Iskra Geshoska, Kunst- und Medientheoretikerin, Direktorin des

Kulturzentrums Tochka in Skopje, schreibt für verschiedene

Zeitschriften. Ihr Interesse gilt den Entwicklungsprozessen auf

dem Gebiet der Kulturpolitik, insbesondere den Performance-

künsten.