6
Gynäkologe 2011 · 44:379–384 DOI 10.1007/s00129-010-2699-x Online publiziert: 29. April 2011 © Springer-Verlag 2011 K. Ulsenheimer München Patientenverfügung, Behandlungsabbruch, Sterbehilfe Leitthema I. Durch das 3. Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts vom 29.07.2009 ist das Rechtsinstitut der Patientenverfügung in das Bürgerliche Gesetzbuch aufgenom- men (§ 1901 a und b BGB), gesetzlich de- finiert, d. h. in seinen begrifflichen Vor- aussetzungen und seiner Reichweite um- schrieben und seine Verbindlichkeit für Betreuer und Arzt festgelegt worden. Das am 01.09.2009 in Kraft getretene sog. „Pa- tientenverfügungsgesetz“ war nach um- fangreichen, kontroversen Diskussionen bis zuletzt in der Kritik geblieben. Insbe- sondere die Ärzteschaft hielt mit dem Ar- gument dagegen, Sterben sei „nicht nor- mierbar“, der „Prozess des Sterbens zu komplex“ und die „letzte Lebensphase einer umfassenden rechtlichen Regelung nicht zugänglich.“ 1 Dennoch entschied sich der Gesetzge- ber in dem Bestreben, mehr Rechts- und Verhaltenssicherheit für die Betroffenen zu schaffen, für eine Regelung zwar nicht des Gesamtkomplexes „Sterbehilfe“, aber doch des Teilbereichs der Patientenverfü- gung, durch die das Selbstbestimmungs- recht des Patienten – nicht nur am Le- bensende – eine enorme Aufwertung im Verhältnis zur unbedingten Lebenserhal- tungspflicht des Arztes erfahren hat. Das verfassungsrechtlich garantierte Selbstbe- stimmungsrecht, das das Recht zur Ab- lehnung medizinisch notwendiger, ggf. lebensverlängernder Maßnahmen ein- schließt, und das ebenfalls von der Verfas- 1   DÄBl 2009, A-1397; DÄBl 2008, A-2305; FAZ  vom 07.06.08, S. 41 sung geschützte Lebensrecht stehen nun gleichrangig nebeneinander, 2 nachdem die bisherige höchstrichterliche Judikatur „das Leben eines Menschen in der Werte- ordnung des Grundgesetzes – ohne eine zulässige Relativierung – an oberster Stelle der zu schützenden Rechtsgüter“ platziert hatte. 3 II. Die gesetzlichen Voraussetzungen der Patientenverfügung 1. Die Patientenverfügung ist rechtlich als schriftliche Festlegung des Wil- lens eines einwilligungsfähigen Voll- jährigen für eine bestimmte, noch nicht unmittelbar bevorstehende, in Zukunft aber möglicherweise eintre- tende Behandlungs- oder Lebenssi- tuation umschrieben, in der der Ver- fügende (Patient) aktuell nicht mehr einwilligungsfähig ist (§ 1901 a Abs. 1 S. 1 BGB). Aus dieser Legaldefinition folgt für die ärztliche Praxis: 1. Die Patientenverfügung muss vom Patienten zwar nicht – wie ein Tes- tament – handschriftlich abge- fasst, aber sie muss mit dem Namen eigenhändig unterschrieben sein (§ 126 BGB). 2. Nur ein volljähriger Patient kann eine Patientenverfügung im Sinne des Gesetzes abfassen, wobei er im Zeitpunkt der Festlegung sei- nes Willens einwilligungsfähig sein 2   vgl. Kutzer, MedR 2010, 531; siehe auch BGH  NJW 2010, 2963, 2965 3   BGH JZ 2002, 151, 152) muss, d. h. er muss in der Lage sein, Bedeutung und Tragweite seiner Verfügung inhaltlich zu erfassen und in ihren Konsequenzen abzu- schätzen. Deshalb ist es besonders bedauerlich, dass eine Patienten- verfügung nicht einmal ein Datum tragen muss, sodass die Frage der Volljährigkeit im Zeitpunkt der Er- stellung der Patientenverfügung ebenso schwer oder gar nicht über- prüfbar ist wie die Frage der Ein- willigungsfähigkeit, da die nähe- ren Umstände der Abfassung (z. B. depressive Stimmung, Zwang u. a.) unbekannt sind und ihr auch kei- nerlei juristische und/oder medizi- nische Beratung (durch einen No- tar, Rechtsanwalt oder Arzt) vor- ausgehen muss. 3. Das Bestimmtheitserfordernis will allgemeine Hinweise für die künf- tige Behandlung, z. B. „wenn ich einmal sehr krank und nicht mehr in der Lage bin, ein umweltbezo- genes Leben zu führen, möchte ich würdevoll sterben dürfen,“ 4 aus dem Begriff der Patientenverfügung aussondern. Sie sind als generelle Festlegungen nicht hinreichend konkret genug im Hinblick auf die in der aktuellen Behandlungssitu- ation zu treffende Entscheidung, sind aber deshalb nicht unbeacht- lich. Sie sind vielmehr als „Wün- sche“ des Patienten bzw. im Rah- men der Ermittlung des mutmaßli- chen Willens (§ 1901 a Abs. 2, § 1901 4   BT-Drucksache 16/8442, S. 13 Redaktion D. Berg, Amberg K. Ulsenheimer, München 379 Der Gynäkologe 5 · 2011|

Patientenverfügung, Behandlungsabbruch, Sterbehilfe

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Gynäkologe 2011 · 44:379–384DOI 10.1007/s00129-010-2699-xOnline publiziert: 29. April 2011© Springer-Verlag 2011

K. UlsenheimerMünchen

Patientenverfügung, Behandlungsabbruch, Sterbehilfe

Leitthema

I.

Durch das 3. Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts vom 29.07.2009 ist das Rechtsinstitut der Patientenverfügung in das Bürgerliche Gesetzbuch aufgenom-men (§ 1901 a und b BGB), gesetzlich de-finiert, d. h. in seinen begrifflichen Vor-aussetzungen und seiner Reichweite um-schrieben und seine Verbindlichkeit für Betreuer und Arzt festgelegt worden. Das am 01.09.2009 in Kraft getretene sog. „Pa-tientenverfügungsgesetz“ war nach um-fangreichen, kontroversen Diskussionen bis zuletzt in der Kritik geblieben. Insbe-sondere die Ärzteschaft hielt mit dem Ar-gument dagegen, Sterben sei „nicht nor-mierbar“, der „Prozess des Sterbens zu komplex“ und die „letzte Lebensphase einer umfassenden rechtlichen Regelung nicht zugänglich.“1

Dennoch entschied sich der Gesetzge-ber in dem Bestreben, mehr Rechts- und Verhaltenssicherheit für die Betroffenen zu schaffen, für eine Regelung zwar nicht des Gesamtkomplexes „Sterbehilfe“, aber doch des Teilbereichs der Patientenverfü-gung, durch die das Selbstbestimmungs-recht des Patienten – nicht nur am Le-bensende – eine enorme Aufwertung im Verhältnis zur unbedingten Lebenserhal-tungspflicht des Arztes erfahren hat. Das verfassungsrechtlich garantierte Selbstbe-stimmungsrecht, das das Recht zur Ab-lehnung medizinisch notwendiger, ggf. lebensverlängernder Maßnahmen ein-schließt, und das ebenfalls von der Verfas-

1   DÄBl 2009, A-1397; DÄBl 2008, A-2305; FAZ vom 07.06.08, S. 41

sung geschützte Lebensrecht stehen nun gleichrangig nebeneinander,2 nachdem die bisherige höchstrichterliche Judikatur „das Leben eines Menschen in der Werte-ordnung des Grundgesetzes – ohne eine zulässige Relativierung – an oberster Stelle der zu schützenden Rechtsgüter“ platziert hatte.3

II. Die gesetzlichen Voraussetzungen der Patientenverfügung

1. Die Patientenverfügung ist rechtlich als schriftliche Festlegung des Wil-lens eines einwilligungsfähigen Voll-jährigen für eine bestimmte, noch nicht unmittelbar bevorstehende, in Zukunft aber möglicherweise eintre-tende Behandlungs- oder Lebenssi-tuation umschrieben, in der der Ver-fügende (Patient) aktuell nicht mehr einwilligungsfähig ist (§ 1901 a Abs. 1 S. 1 BGB). Aus dieser Legaldefinition folgt für die ärztliche Praxis:1. Die Patientenverfügung muss vom

Patienten zwar nicht – wie ein Tes-tament – handschriftlich abge-fasst, aber sie muss mit dem Namen eigenhändig unterschrieben sein (§ 126 BGB).

2. Nur ein volljähriger Patient kann eine Patientenverfügung im Sinne des Gesetzes abfassen, wobei er im Zeitpunkt der Festlegung sei-nes Willens einwilligungsfähig sein

2   vgl. Kutzer, MedR 2010, 531; siehe auch BGH NJW 2010, 2963, 29653   BGH JZ 2002, 151, 152)

muss, d. h. er muss in der Lage sein, Bedeutung und Tragweite seiner Verfügung inhaltlich zu erfassen und in ihren Konsequenzen abzu-schätzen. Deshalb ist es besonders bedauerlich, dass eine Patienten-verfügung nicht einmal ein Datum tragen muss, sodass die Frage der Volljährigkeit im Zeitpunkt der Er-stellung der Patientenverfügung ebenso schwer oder gar nicht über-prüfbar ist wie die Frage der Ein-willigungsfähigkeit, da die nähe-ren Umstände der Abfassung (z. B. depressive Stimmung, Zwang u. a.) unbekannt sind und ihr auch kei-nerlei juristische und/oder medizi-nische Beratung (durch einen No-tar, Rechtsanwalt oder Arzt) vor-ausgehen muss.

3. Das Bestimmtheitserfordernis will allgemeine Hinweise für die künf-tige Behandlung, z. B. „wenn ich einmal sehr krank und nicht mehr in der Lage bin, ein umweltbezo-genes Leben zu führen, möchte ich würdevoll sterben dürfen,“4 aus dem Begriff der Patientenverfügung aussondern. Sie sind als generelle Festlegungen nicht hinreichend konkret genug im Hinblick auf die in der aktuellen Behandlungssitu-ation zu treffende Entscheidung, sind aber deshalb nicht unbeacht-lich. Sie sind vielmehr als „Wün-sche“ des Patienten bzw. im Rah-men der Ermittlung des mutmaßli-chen Willens (§ 1901 a Abs. 2, § 1901

4   BT-Drucksache 16/8442, S. 13

RedaktionD. Berg, AmbergK. Ulsenheimer, München

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Zusammenfassung · Abstract

Gynäkologe 2011 · 44:379–384   DOI 10.1007/s00129-010-2699-x© Springer-Verlag 2011

K. UlsenheimerPatientenverfügung, Behandlungsabbruch, Sterbehilfe

ZusammenfassungDas 3. Gesetz zur Änderung des Betreuungs-rechts (sog. Patientenverfügungsgesetz) hat mit Wirkung vom 01.09.2010 das Rechtsin-stitut der Patientenverfügung mit ihren for-mellen und materiellen Voraussetzungen im Bürgerlichen Gesetzbuch verankert (§§ 1901 a und b) und zugleich die grundsätzlichen verfahrensrechtlichen Vorgaben bestimmt, wie die Übereinstimmung der aktuellen Be-handlungs- und Lebenssituation mit den Festlegungen der Patientenverfügung zu prüfen ist. Eine Gesamtregelung der Sterbe-hilfe ist entgegen den ursprünglichen Inten-tionen des Gesetzgebers nicht erfolgt. Der BGH hat jedoch in seiner Entscheidung vom 25.6.2010 klargestellt, dass die bisher übli-che Abgrenzung zwischen aktiver und passi-ver Sterbehilfe „dogmatisch fragwürdig“ und „praktisch kaum durchführbar“ ist, vielmehr 

zu ersetzen sei durch die Begriffe „Sterbe-hilfe“ und „Behandlungsabbruch“. Danach ist die Unterlassung, Begrenzung oder der Ab-bruch der Behandlung einer lebensbedroh-lich erkrankten Person im Falle ihrer aus-drücklichen oder mutmaßlichen Einwilligung gerechtfertigt. Der gezielte Eingriff zur Le-bensbeendigung, abgekoppelt vom Krank-heitsprozess, ist dagegen als direkte aktive  Sterbehilfe nach wie vor strafbar, die Vornah-me einer indizierten palliativen Maßnahme „unter Inkaufnahme eines möglichen vor-zeitigen Todeseintritts als Nebenfolge“ je-doch weiterhin straflos (indirekte aktive Ster-behilfe).

SchlüsselwörterSterbehilfe · Behandlungsabbruch · Palliative Behandlung · Patientenwille · Einwilligung

Advance directive, termination of treatment, euthenasia

AbstractThe third law on amendments to the Guard-ianship Act (the so-called advance directive act) which came into effect on 01.09.2010 has anchored the legal concept of guardian-ship with the formal and material prereq-uisites in the German Civil Code (§§ 1901 a and b) and has also defined the fundamen-tal procedural guidelines on how the correla-tion of the actual treatment and living condi-tions with the definition of advance directives should be tested. A complete regulation of euthanasia has not been successful contrary to the original intentions of the legislator. However, in the verdict from 25.06.2010 the Federal High Court clarified that the previ-ously routinely used distinction between ac-tive and passive euthanasia was “dogmatical-ly questionable” and “in practice barely fea-

sible” and should more suitably be replaced by the terms “euthanasia” and “termination of treatment”. Accordingly, the omission, limita-tion or termination of treatment of seriously ill patients is justified when they have explic-itly or assumedly given consent. In contrast, a deliberate intervention to end life, indepen-dent of the disease process, is considered as direct active euthanasia and therefore liable to prosecution but the undertaking of an in-dicated palliative measure “under the accep-tance of a possible early death as a side-ef-fect” remains free of punishment (indirect ac-tive euthanasia).

KeywordsEuthanasia · Cessation of treatment ·  Palliative care · Patient’s preference · Consent

b Abs. 2 BGB) u. U. von erheblicher Bedeutung.

4. Nicht erfasst vom Begriff der Pa-tientenverfügung sind darüber hi-naus Erklärungen des Patienten, die sich zwar auf bestimmte, aber zeitnah durchzuführende ärztliche Maßnahmen beziehen, z. B. die am Abend vor einer am nächsten Tag oder jedenfalls kurzfristig anste-henden Operation dem Arzt erteilte Einwilligung in diesen Eingriff. In einem solchen Fall hat der Patient seinen aktuellen Willen geäußert, sodass es des Rückgriffs auf das In-stitut der Patientenverfügung, den sogenannten antizipativen Willen, nicht bedarf.

2. Sind die vorgenannten gesetzlichen Voraussetzungen der Patientenver-fügung erfüllt, hat der Betreuer, der Vorsorgebevollmächtigte und/oder der Arzt dem schriftlich niedergeleg-ten, antizipativen Willen des Patien-ten „Ausdruck und Geltung zu ver-schaffen“, soweit die früheren Fest-legungen „auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen“ (§ 1901 a Abs. 1 S. 1 und S. 2 BGB). Ob dies der Fall ist, d. h. ob eine inhalt-liche Kongruenz zwischen der in der Patientenverfügung beschriebenen Sachlage und der aktuellen Krank-heitssituation besteht, muss nach dem Gesetzeswortlaut in erster Linie der Betreuer oder der vom Patienten er-nannte Vorsorgebevollmächtigte fest-stellen, der die zu treffende Entschei-dung im Dialog mit dem Arzt er-örtern muss (§ 1901 b Abs. 1 BGB).

Häufig, z. B. im Notdienst oder bei unbekannten Patienten, kommt es je-doch vor, dass ein Betreuer noch nicht bestellt ist oder aber die behandeln-den Ärzte nicht wissen, ob es einen Vorsorgebevollmächtigten gibt bzw. wer diese Person ist. Bei dieser, in der Lebenswirklichkeit nicht seltenen Fallkonstellation ist der behandelnde Arzt verpflichtet, den Inhalt und die ggf. bindende Wirkung der Patienten-verfügung zu ermitteln, um zu wis-sen, was er zu tun hat bzw. unterlas-sen darf oder muss. Damit verbleibt das Dilemma der richtigen, also der Patientenverfügung entsprechenden

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Entscheidungsfindung in all diesen Fällen beim Arzt. Sind die zu treffen-den ärztlichen Maßnahmen nicht ei-lig, sollte der Arzt dagegen auf die Be-stellung eines Betreuers durch das Be-treuungsgericht drängen bzw. den Vorsorgebevollmächtigten, falls ein solcher ernannt ist, zu erreichen ver-suchen. Denn diese Personen sind die vom Gesetz primär angesprochenen Adressaten zur Durchsetzung des in der Patientenverfügung formulierten Patientenwillens.

3. Liegt keine Patientenverfügung vor oder entspricht die gegenwärtige Be-handlungs- und Lebenssituation nicht dem Inhalt der in der Patientenverfü-gung getroffenen Regelung, fehlt also außer dem aktuellen auch der antizi-pative Wille des Patienten, muss auf dessen mutmaßlichen Willen abge-stellt werden. Diesen zu ermitteln, ist oftmals ein schwieriges Unterfangen, auch wenn das Gesetz einige Anhalts-punkte nennt, die schon der Bundes-gerichtshof5 angeführt hatte : frühere mündliche oder schriftliche Äuße-rungen, ethische oder religiöse Über-zeugungen und sonstige persönli-che Wertvorstellungen, Alter und Heilungschancen, Schmerzempfin-den u.a., wobei diese Indizien für den mutmaßlichen Willen des Patien-ten aber konkretisiert werden müssen (§ 1901 a Abs. 2 BGB). Lässt sich auch dieser nicht feststellen, sollte der Arzt i. S. des Lebensschutzes pro vita ent-scheiden.

4. Die für die Praxis folgenschwerste Re-gelung des Patientenverfügungsgeset-zes findet sich in § 1901 a Abs. 3, der die sogenannte Reichweite der Patien-tenverfügung bestimmt. Danach ist, wenn alle übrigen vorgenannten Vo-raussetzungen erfüllt sind, der Wille des Patienten „unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung“ ver-bindlich. Die bisherige Rechtspre-chungslinie, die bindende Kraft der Patientenverfügung nur in den Fäl-len eines irreversiblen tödlichen Ver-laufs des Grundleidens anzuerken-nen – was noch dazu „mit letzter Si-cherheit“ festgestellt werden musste

5   BGH St 40, 257 ff. (sog. Kemptener Fall)

– wurde somit ausdrücklich aufgege-ben. Die bindende Wirkung der Pa-tientenverfügung ist kraft Gesetzes nicht mehr auf die Sterbephase oder tödlich verlaufende Erkrankungen beschränkt. Todesnähe, ein baldiges Lebensende, ein endgültiger Bewusst-seinsverlust, ein coma vigile oder ein schwerer irreparabler Demenzzu-stand sind nicht erforderlich. Wenn „bestimmte, zum Zeitpunkt der Fest-legung noch nicht unmittelbar bevor-stehende“ ärztliche Maßnahmen in der Patientenverfügung ausgeschlos-sen sind – etwa der Einsatz eines Herzschrittmachers oder ein Luftröh-renschnitt – geht der Patientenwille der möglichen Heilung und damit Le-bensrettung, also dem Wohl des Pa-tienten vor. Der antizipative – unter dem Arzt nicht bekannten Umstän-den, oftmals vor unbekannter Zeit ge-fasste – Wille des Patienten steht dem aktuellen – im Einzelfall durch Fragen oder im Gespräch überprüfbaren – Willen gleich. Allerdings darf auch der antizipative Wille „nicht einfach nur unreflektiert oder quasi mecha-nisch“6 umgesetzt werden, sondern bedarf der Auslegung, um einen mög-lichen Irrtum berücksichtigen oder eine gänzlich veränderte Sachlage mit in die Erwägung einbeziehen zu kön-nen. Wie jede Willenserklärung ist auch die in einer Patientenverfügung enthaltene Willensäußerung oftmals auslegungsfähig und daher ausle-gungsbedürftig, sodass die damit ver-bundenen Aufgaben und Probleme beim Arzt, Betreuer oder Vorsorgebe-vollmächtigten liegen.

5. Diese müssen zudem bedenken, dass der Widerruf einer Patientenverfü-gung möglich ist und dazu keiner Form bedarf, d. h. auch mündlich er-folgen kann (§ 1901 a Abs. 1 S. 3 BGB). Streitig ist, ob für den Widerruf Ein-willigungsfähigkeit erforderlich ist. Allerdings müssen für einen solchen Widerruf Anhaltspunkte vorliegen, anderenfalls ist von der Verbindlich-keit der Patientenverfügung auszuge-hen. Worin aber solche Indizien zu sehen sind, ist fraglich: Bedeutet ein

6   Kutzer, MedR 2010, 531, 533

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Lächeln oder Handzeichen Lebens-freude, die Bitte um Hilfe oder aber liegt nur ein unwillkürlicher, rein kör-perlicher Reflex ohne inhaltliche Aus-sage vor? – Eine mehr als schwierige Fragestellung und Abgrenzungsprob-lematik.

6. Hierbei leistet auch das Betreuungs-gericht nicht immer Hilfe. Denn des-sen Einschaltung kommt nach der gesetzlichen Neuregelung nur noch dann in Betracht, wenn bei der Frage des Behandlungsabbruchs Arzt und Betreuer/Vorsorgebevollmächtig-ter hinsichtlich des Patientenwil-lens unterschiedlicher Meinung sind, also kein Einvernehmen darüber be-steht „dass die Erteilung, die Nicht-erteilung oder der Widerruf der Ein-willigung“ dem Willen des Patienten entspricht (§ 1904 Abs. 4 BGB). Sind sich Betreuer/Vorsorgebevollmächtig-ter und behandelnder Arzt bezüglich des Patientenwillens dagegen einig, bedarf die Einstellung lebensverlän-gernder Maßnahmen oder die Nicht-vornahme einer lebenserhaltenden Maßnahme keiner betreuungsgericht-lichen Genehmigung.

7. Diese ist auch entbehrlich, wenn der behandelnde Arzt die medizinische Indikation im Hinblick auf den Ge-samtzustand und die Prognose des Patienten für die in Rede stehende ärztliche Maßnahme ablehnt (§ 1901 b Abs. 1 S. 1 BGB). Denn die medizi-nische Indikation begrenzt den ärztli-chen Heilauftrag. „Für eine lebensver-längernde oder -erhaltende Behand-lung ist kein Raum“, wenn sie „nicht indiziert, sinnlos geworden oder aus sonstigen Gründen nicht möglich ist.“7 Das Selbstbestimmungsrecht ist ein Abwehrrecht, das keinen An-spruch auf eine bestimmte Behand-lung gibt.

Offen ist allerdings, mit welcher Sicher-heit die fehlende Indikation festgestellt werden muss: mit großer, sehr großer oder gar an Sicherheit grenzender Wahr-scheinlichkeit? Rechtlich geklärt ist da-gegen, dass die Beantwortung der Frage, ob und, wenn ja, welche Maßnahme in-

7   BGH JZ 2003, 732, 7730

diziert ist, ausschließlich in der Verant-wortung des Arztes liegt, der sie aller-dings mit dem Betreuer/Bevollmächtig-ten erörtern muss (§ 1901 b Abs. 1 BGB). Wenn jedoch mehrere Ärzte den Patien-ten behandeln und bezüglich der Indika-tion unterschiedlicher Meinung sind, ist zur Entscheidung das Betreuungsgericht einzuschalten.

III.

Trotz aller Betonung des Selbstbestim-mungsrechts des Patienten besteht eine inhaltliche, nicht zu übersteigende Schranke durch das mit Strafe bewehrte Verbot der Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB). Sterbehilfe darf auch bei aussichts-loser (infauster) Prognose nicht durch ge-zieltes aktives Töten, abgekoppelt vom Krankheitsprozess, geleistet werden. Ein etwa dahingehender Wunsch des Patien-ten ist rechtlich unwirksam. Dagegen sind medizinisch indizierte palliative Maß-nahmen zur Schmerzlinderung, die soge-nannte indirekte aktive Sterbehilfe, straf-los, wenn der Tod dadurch als unbeab-sichtigte, aber in Kauf genommene un-vermeidbare Nebenfolge möglicherweise früher als ohne die Schmerztherapie ein-tritt.8 Sie darf deshalb Inhalt einer Patien-tenverfügung sein.

IV. Hilfe beim Sterben und Hilfe zum Sterben

Die eigentliche Sterbehilfe im Sinne einer „Hilfe beim Sterben“ durch Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen wie etwa Beatmung, Bluttransfusion oder künstliche Ernährung ist straflos, setzt aber dreierlei voraus:9Fdass das Grundleiden eines Kranken

nach ärztlicher Überzeugung unum-kehrbar (irreversibel) ist,

Feinen tödlichen Verlauf genommen hat und

Fder Tod in kurzer Zeit eintreten wird.

Voraussetzung für diese Sterbehilfe „im eigentlichen Sinne“ ist die unmittelbare Todesnähe des Patienten. Denn in der-artigen Fällen fehlt die medizinische In-

8   BGH, NStZ 1997, 182, 1849   BGHSt 40. 257, 260

dikation, womit der Heilauftrag des Arz-tes seine Grenze gefunden hat.

Steht der Tod des Patienten jedoch nicht unmittelbar oder nahe bevor, spricht die Judikatur von einer „Hilfe zum Ster-ben“, auch Sterbehilfe „im weiteren Sinne“ genannt. In solchen Fällen kommt es auf den Willen des Patienten „als Ausdruck seiner allgemeinen Entscheidungsfrei-heit und des Rechts auf körperliche Un-versehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) an10. Dieser Wille kann sichFbeim bewusstseinsklaren Patienten

aktuell äußern,Fbeim entscheidungsunfähigen Patien-

ten antizipativ, d. h. in einer sog. Pa-tientenverfügung für bestimmte Le-bens- und Behandlungssituationen festgelegt worden sein oder

Fsubsidiär als mutmaßlicher Patienten-wille Geltung beanspruchen.

Für die Bejahung des mutmaßlichen Wil-lens sind allerdings „erhöhte Anforderun-gen insbesondere im Vergleich zur Ster-behilfe im eigentlichen Sinne“ zu stellen; denn der Gefahr, „dass Arzt, Angehöri-ge oder Betreuer unabhängig vom Wil-len des entscheidungsunfähigen Kranken nach eigenen Maßstäben und Vorstellun-gen das von ihnen als sinnlos, lebensun-wert oder unnütz angesehene Dasein des Patienten beenden, muss von vorneherein entgegengewirkt werden.“11

V. Sterbehilfe und Behandlungsabbruch

1. Die höchstrichterliche Judikatur hatte bislang stets die Auffassung vertre-ten, dass Sterbehilfe i.w.S. – mit Aus-nahme der sog. indirekten aktiven Sterbehilfe: Gabe eines Schmerzmit-tels unter Inkaufnahme der Lebens-verkürzung – immer nur passiv, d. h. durch Nichteinleitung oder Nicht-vornahme ärztlicher Maßnahmen ge-leistet werden dürfe. In diesem wei-ten und äußerst sensiblen Problem-feld war Voraussetzung für die Zuläs-sigkeit der Sterbehilfe ein Unterlas-sen lebensverlängernder oder lebens-erhaltender Maßnahmen, z. B. der

10   BGHSt 40, 257, 26011   BGHSt 40, 257, 260, 261

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Leitthema

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Reanimation, der künstlichen Ernäh-rung, der Erneuerung der Batterie für den Herzschrittmacher oder des Ein-setzens einer künstlichen Herzklappe. Die Abgrenzung zwischen Tun und Unterlassen bereitete jedoch oftmals erhebliche Schwierigkeiten: das Ab-stellen des Respirators, das dem äu-ßeren Erscheinungsbild nach zweifel-los ein aktives, für den konkreten To-deseintritt kausales Tun ist, wurde im Rahmen einer wertenden Betrach-tung als „Unterlassen“ qualifiziert, da es nach der überwiegenden Ansicht in Rechtsprechung und Literatur bei der Differenzierung von aktiven und passiven Verhalten nicht auf Äußer-lichkeiten, sondern normativ auf den „Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit“ ankommt. Ebenso wie ein manuel-ler Behandlungsabbruch infolge Er-schöpfung oder aus ähnlichen Grün-den zulässig wäre, müsse „auch der technisierte Behandlungsabbruch zu-lässig sein“.12 In gleicher Weise deu-tete die Rechtsprechung im Kemp-tener Fall z. B. die schriftliche ärzt-liche Anweisung im Krankenblatt, die Sondenernährung zu beenden, nicht als aktives Tun, das der Skrip-turakt nach außen hin sicherlich dar-stellt, sondern unter Rückgriff auf den „eigentlichen Unwert“ des Verhal-tens als Nichtvornahme der gebote-nen Handlung, die Patientin weiter-hin künstlich zu ernähren.13Wird da-gegen der Versorgungsschlauch im Rahmen einer künstlichen Ernäh-rung durchgeschnitten, um diese ent-sprechend dem (mutmaßlichen) Wil-len der Patientin zu beenden, liegt da-rin nach Ansicht des LG Fulda14 eine aktive Tötungshandlung. Sowohl bei einer naturalistischen als auch bei einer normativen Betrachtungsweise stelle der „Eingriff in die Appara-tur“ der PEG-Sonde durch Kappen des Versorgungsschlauchs unmittel-bar oberhalb der Bauchdecke nach seinem sozialen Handlungssinn nicht ein bloßes Unterlassen der Weiterbe-handlung dar und überdies eine „ak-

12   Schönke/Schröder/Eser, StGB, § 211 Rdnr. 3213   BGHSt 40, 257, 26514   ZfL 2009, 97 dd, 102

tive Vereitelung“ von Gegenmaßnah-men... in Form des Anhängens einer neuen Flüssignahrung an die PEG-Sonde“. Der Rechtsanwalt, der der Be-treuerin den Rat zu dieser Handlung gab, wurde deshalb von der Straf-kammer zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten auf Bewährung verurteilt, die Betreuerin selbst dagegen we-gen eines sog. schuldausschließen-den Verbotsirrtums freigesprochen. Juristisch-konstruktiv hängt also der Ausgang des Verfahrens: Straffreiheit oder Strafbarkeit von einer durch Un-sicherheit und schwer nachvollzieh-bare Plausibilität geprägten Wertungs-frage ab.

2. Der BGH hat in seiner Revisionsent-scheidung vom 25.06.201015 zum Ful-daer Urteil erfreulicherweise die viel-fache Kritik an der Umdeutung eines aktiven Tuns in ein normatives Unter-lassen mit dem Ziel, dieses als pas-sive Sterbehilfe rechtlich legitimie-ren zu können, aufgegriffen. Die Dif-ferenzierung zwischen aktivem und passivem Verhalten nach äußerlichen oder wertenden Kriterien sei we-der sachgerecht noch sinnvoll, dog-matisch fragwürdig und praktisch kaum durchführbar. Denn ein „Be-handlungsabbruch“ umfasse nach sei-nem „natürlichen und sozialen Sinn-gehalt“ mehr als „bloße Untätigkeit“, vielmehr „regelmäßig eine Vielzahl von aktiven und passiven Handlun-gen“,16 die als objektiv und subjektiv geprägte Sinneinheit verstanden wer-den müssten. Die Zulässigkeit ärzt-lichen Handelns ergebe sich aus den Begriffen der „Sterbehilfe“ und des „Behandlungsabbruchs“, der als nor-mativ-wertender Oberbegriff „neben objektiven Handlungselementen auch die subjektive Zielsetzung des Han-delnden“ enthält, „eine bereits begon-nene medizinische Behandlungsmaß-nahme gemäß dem Willen des Pa-tienten zu beenden oder zu reduzie-ren“.17Konkret bedeutet dies: „Der Be-griff der Sterbehilfe durch Behand-lungsunterlassung, –begrenzung oder

15   NJW 2010, 2963 ff16   BGH NJW 2010, 2963, 296717   BGH NJW 2010, 2963, 2967

–abbruch setzt voraus, dass die be-troffene Person lebensbedrohlich er-krankt ist und die betreffende Maß-nahme medizinisch zur Erhaltung oder Verlängerung des Lebens geeig-net ist“.18 Eine durch Einwilligung ge-rechtfertigte Sterbehilfe erfordert da-rüber hinaus, „dass sie objektiv und subjektiv unmittelbar auf eine medi-zinische Behandlung bezogen ist“.19 „Eine Rechtfertigung durch Einwil-ligung kommt nur in Betracht, wenn sich das Handeln darauf beschränkt, einem bereits begonnenen Krank-heitsprozess seinen Lauf “ zu lassen, „sodass der Patient letztlich dem Ster-ben überlassen wird“.

Vorsätzliche lebensbeendende Handlun-gen, die außerhalb eines solchen Zusam-menhangs mit einer medizinischen Be-handlung einer Erkrankung vorgenom-men werden, sind auch im Falle der Ein-willigung des Patienten strafbar, wie sich aus §§ 216, 228 StGB ergibt. Ob der Ab-bruch der Behandlung durch aktives Tun, z. B. Durchschneiden der Ernährungs-sonde, oder aber durch Unterlassen, etwa die Einstellung der Ernährung, erfolgt, ist rechtlich belanglos, sodass der BGH das Urteil des LG Fulda aufhob und auf Frei-spruch des Rechtsanwalts erkannte. Ent-scheidend sei der objektive und subjektive Bezug auf eine medizinische Behandlung, anders formuliert, der behandlungsbezo-gene Patientenwille, für dessen Feststel-lung beweismäßig allerdings „strenge Maßstäbe“ zu gelten hätten.20 Ausdrück-lich stellt der BGH als Fazit seiner Recht-sprechungskehrtwende fest: „Eine solche Unterscheidung nach den dem Begriff des Behandlungsabbruchs immanenten Kri-terien der Behandlungsbezogenheit und der Verwirklichung des auf die Behand-lung bezogenen Willens der betroffenen Person ist besser“ als die – bisher prak-tizierte – „Unterscheidung zwischen ak-tivem und passivem Handeln geeignet, dem Gewicht der betroffenen Rechtsgüter in der Abwägung Geltung zu verschaffen und für alle Beteiligten eine klare rechtli-

18   BGH NJW 2010, 2963, 296719   BGH NJW 2010, 2963, 296720   BGH NJW 2010, 2963, 2967

383Der Gynäkologe 5 · 2011  | 

Page 6: Patientenverfügung, Behandlungsabbruch, Sterbehilfe

che Orientierung zu bieten“. Ob diese An-nahme zutrifft, muss die Zukunft zeigen.

Fazit für die Praxis

FDas Problem der Sterbehilfe hat durch das neue BGH-Urteil und die gesetzliche Regelung der Patienten-verfügung zweifellos etwas von sei-ner Unbestimmtheit und Unsicher-heit für die Ärzteschaft verloren. 

FDie oft gekünstelte Unterscheidung zwischen Handlung und Unterlassen gehört der Vergangenheit an. 

FDie medizinisch indizierte Behand-lung darf auch durch aktives ärztli-ches Tun abgebrochen werden, wenn der tatsächliche oder mutmaßliche Wille des Patienten dahin geht und er lebensgefährlich erkrankt ist. Hie-rin liegt allerdings ein Widerspruch zu § 1901a Abs. 3 BGB, wonach der in der Patientenverfügung geäußerte  Wille „unabhängig von Art und Sta-dium der Erkrankung gilt“.

FÜber die medizinische Indikation ent-scheidet alleinverantwortlich der Arzt. Kommt er dabei zu einem posi-tiven Ergebnis, hat er dieses mit dem Betreuer/Bevollmächtigten unter Be-rücksichtigung des Patientenwillens zu erörtern. 

FBei diesbezüglichen Meinungsver-schiedenheiten entscheidet das Be-treuungsgericht.

KorrespondenzadresseProf. Dr. Dr. K. UlsenheimerMaximiliansplatz 12, 80333 Mü[email protected]

Interessenkonflikt.  Der korrespondierende Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

384 |  Der Gynäkologe 5 · 2011

Von Informationsüberflutung zu praktisch verwertbarem Wissen in der Reproduktions-medizinPost ESHRE Treffen 15. Juli 2011,  Frankfurt

Die Reproduktionsmedizin hat sich klinisch 

und wissenschaftlich in den vergangenen 

zwei Jahrzehnten äußerst dynamisch ent-

wickelt. Alle 3 – 4 Stunden erscheint eine 

wissenschaftliche Publikation zur Repro-

duktionsmedizin in PUBMED. Systematische 

Übersichtsarbeiten und Meta-Analysen 

sollen der publizierten Informationsflut Herr 

werden. Allein 2009 wurden jedoch zur IVF 

Behandlung 29 Meta-Analysen in PUBMED 

publiziert.

Auch die großen Kongresse in der Reproduk-

tionsmedizin sind über die Jahre kontinuier-

lich gewachsen. Im Jahr 2010 hatte die ESHRE 

Konferenz (Jahreskongress der European 

Society of Human Reproduction and Embryo-

logy) in Rom bereits rd. 9000 Teilnehmern zu 

verzeichnen. Über 1500 Abstracts wurden zur 

Begutachtung eingereicht. Das Papierformat 

für Abstract-Präsentationen wurde dem-

entsprechend bereits auf ein Online-System 

umgestellt. Für 2011 werden mehr als 10.000 

Kongressteilnehmer erwartet, und auch die 

Zahl der eingereichten Beiträge wird weiter 

wachsen. Vor dem dreitägigen Hauptpro-

gramm gibt es 2011 in Stockholm inzwischen 

auch noch 17 „pre-congress courses“. 

So erfreulich die Dynamik des Faches auch 

ist, so schwierig gestaltet sich für den prak-

tisch orientierten Reproduktionsmediziner 

und -biologen der Umgang mit dieser Infor-

mationsfülle. Es gilt, in kurzer Zeit und mit 

vertretbarem Aufwand auf bessere Weise 

informiert zu werden, und nicht einfach 

noch mehr Informationen zu erhalten. Und 

es gilt, reine Informationen von Wissen zu 

unterscheiden, wobei Wissen „Information 

in einem intelligenten Zusammenhang“ 

darstellt, sodass das Wissen einer prakti-

schen Nutzung zugeführt werden kann. Die 

Schlüsselwörter aus Kommunikationswissen-

schaften und  Management lauten dazu: ver-

gleichen und filtern. 

In einem 1-tägigen „Post-ESHRE“ Seminar –  

nur neun Tage nach dem Jahreskongress 

2011 der European Society of Human Repro-

duction and Embryology – referieren acht 

namhafte, deutschsprachige Experten die 

wichtigsten Neuerungen aus den jeweiligen 

Subspezialitäten der Reproduktionsmedizin 

und decken damit das Themenspektrum 

des ESHRE Kongresses umfassend ab. Die 

Referenten trennen die „Spreu vom Weizen“, 

ordnen die neuen Erkenntnisse in den bis-

herigen Wissenskanon ein, und bewerten 

neue Studien insbesondere hinsichtlich der 

praktischen Relevanz. Reine Informationen 

sollen so in verwertbares Wissen gewandelt 

werden.

Die Kommentierung der Daten und Studien 

erfolgt völlig unabhängig und produkt-

neutral. Das Format ist einheitlich und trans-

parent. In den Veranstaltungspausen gibt 

es „speakers-corner“ um weitere Fragen zu 

diskutieren. Ziel ist es, in vertretbarer Zeit 

und mit vertretbarem Aufwand die Essenz an 

neuem Wissen zu vermitteln, sodass in der 

Praxis der Patientenbetreuung und im IVF 

Labor die aktuell besten Lösungen gewählt 

werden können.

Das Themenspektrum ist mit Andrologie, En-

dokrinologie, Embryologie, ovarielle Stimula-

tion, Fertilitätserhalt, Qualitätsmanagement, 

Psychologie, Implantation, Endometriose und 

Fertilitätschirurgie breit und soll Reproduk-

tionsmediziner und –biologen gleicherma-

ßen ansprechen.

Das 1. Post ESHRE Treffen findet am 15. Juli 

2011 im Sheraton Frankfurt Hotel & Towers, 

Conference Center statt. Weiterführende In-

formationen unter www.post-eshre.de. 

Informationen zur Anmeldung erhalten Sie 

direkt über die wikonect GmbH, telefonisch 

unter +49 (0) 611 - 20 48 09-0, per Fax +49 

(0) 611 - 20 48 09-10 oder per Mail an info@

wikonect.de.

Georg Griesinger

Fachnachrichten