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PAUL BOWLES So mag er fallen

PAUL BOWLES So mag er fallen - bilder.buecher.de · William Saroyan und T ennessee W illiams, bevor er in den vierziger Jah- ... Sartre zu dem wohl bedeutendsten Vertreter des Existentialismus

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PAUL BOWLES

So mag er fallen

Buch

Im Regen langt Nelson Dyar in Tanger an. Aus der Langeweile undLeere seines New Yorker Berufsalltags flieht er Ende des Zweiten Welt-kriegs in die damals in eine internationale, eine spanische und eine fran-zösische Zone geteilte marokkanische Stadt. Jack Wilcox, ein entfernterBekannter aus New Yorker Tagen, hatte ihm das Angebot gemacht,dort in seinem Reisebüro zu arbeiten. Aber kaum hat Dyar sein schäbi-ges Hotel im Herzen der Stadt bezogen, kommt alles ganz anders. DasReisebüro, in dem Dyar arbeiten soll, ist geschäftlich ein Reinfall. Unddie Menschen, denen er begegnet, verwirren ihn mehr, als daß sie ihmHalt in der Fremde geben. In den Labyrinthen der orientalischen Stadtverstrickt sich Dyar immer tiefer in einem verwirrenden Netz von In-trigen und undurchsichtigen Geschäften, aus dem es für ihn bald kein

Entrinnen mehr gibt.Eindringlich schildert Bowles die Welt der einfachen Absteigen und derorientalischen Luxushotels, der internationalen Cafés und der arabi-schen Bars, der billigen Bordelle und der Villen der Reichen in derStadt. Mit genauem Blick erfaßt er den leeren und dekadenten Kosmosder zivilisationsmüden Europäer und Amerikaner wie die fremde Weltder Marokkaner mit ihren alltäglichen Feilschereien und Betrügereien.Und wie in fast allen seinen Werken zeichnet Bowles auch in diesemRoman das genaue Porträt eines Menschen, der dem »ennui« seiner ge-sicherten Existenz entfliehen möchte, der das Abenteuer sucht und

letztlich doch scheitern muß.

Autor

Paul Bowles wurde 1910 in New York geboren. Er studierte in Berlinund New York Musik und schrieb Bühnenmusiken für Orson Welles,William Saroyan und Tennessee Williams, bevor er in den vierziger Jah-ren als Autor und Übersetzer weltberühmt wurde. 1947 ließ sich Bow-les, den zahlreiche Reisen nach Lateinamerika, Asien und Nordafrikageführt hatten, mit seiner Frau Jane in Tanger nieder, wo er bis zu sei-nem Tod im November 1999 lebte. 1949 erschien der Roman, der sei-nen Ruhm begründete und ihn neben Albert Camus und Jean-PaulSartre zu dem wohl bedeutendsten Vertreter des Existentialismusmachte: »Himmel über der Wüste«. Seine vier Romane sowie zahlrei-chen Kurzgeschichten haben Bowles zu einem der großen Klassiker der

Moderne gemacht.

Von Paul Bowles außerdem bei Goldmann lieferbar:Himmel über der Wüste. Roman (geb., 30909 / Taschenbuch 46246) ·

Gesammelte Erzählungen I (geb., 30910) · Gesammelte Erzählungen II(geb., 30960) · Das Haus der Spinne. Roman (geb., 30957) · Gesang der

Insekten. Roman (geb., 30959)

Paul Bowles

So mag erfallen

Roman

Deutsch von Maria WolffNeu durchgesehen von Pociao

Die Originalausgabe erschienunter dem Titel »Let It Come Down«

bei Random House, New York.

Verlagsgruppe Random House fsc-deu-0100Das fsc-zertifizierte Papier München Super für Taschenbücher

aus dem Goldmann Verlag liefert Mochenwangen Papier.

1. AuflageTaschenbuchausgabe Dezember 2006

Copyright © 1952, 1980 by Paul BowlesNachwort: Copyright © 1980 by Paul Bowles

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 1988 byWilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbHAlle Rechte an der Übertragung ins Deutsche bei der

Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei HamburgAlle Rechte an der Überarbeitung der Übersetzung

durch Pociao sowie der Übertragung des Nachwortsins Deutsche © 2000 by Wilhelm Goldmann Verlag

Umschlaggestaltung: Design Team MünchenUmschlagillustration: Karin Martina Wloczyk

NG · Herstellung: Str.Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck

Printed in Germanyisbn-10: 3-442- 46346-7

isbn-13: 978-3-442-46346-6

www.goldmann-verlag.de

SGS-COC-1940

Banquo: ’s kommt Regen nochzur Nacht.Erster Mörder: So mag er fallen.(Er ersticht Banquo)

Macbeth, III/3

Erster Teil

Internationale Zone

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Es war Nacht, als die kleine Fähre am Dock anlegte. AlsDyar das Fallreep hinunterging, sprühte ein plötzlicherWindstoß warme Regentropfen über sein Gesicht. Diewenigen anderen Passagiere waren ärmlich gekleidet undtrugen ihre Habseligkeiten in billigen Pappkoffern undPapiertüten. Er betrachtete sie, wie sie resigniert vor demZollgebäude standen und warteten, bis geöffnet wurde.Ein halbes Dutzend schäbiger Araber hatte ihn bereits vonjenseits des Zauns erspäht und schrie ihm zu: »Hotel Me-tropol, Mister« – »He, Johnny! Komm her!« – »Du suchstHotel?« – »Grand Hotel, he!« Es war, als hätte er ihnenseinen amerikanischen Paß entgegengehalten. Er beach-tete sie nicht. Einige Minuten lang regnete es wirklichstark. Als der Beamte dann die Tür öffnete, war Dyar un-angenehm durchnäßt.

Im Innern war das Gebäude von drei Öllampen erhellt,die auf der Abfertigungsrampe standen; für jeden Inspek-tor eine. Sie sparten sich Dyars Gepäck bis zum Schluß aufund durchsuchten es dann zu dritt und sehr sorgfältig,ohne eine Spur von Liebenswürdigkeit oder Humor. Alser seine Koffer wieder so gepackt hatte, daß sie schlos-sen, wurden sie mit lavendelfarbener Kreide abgezeichnet,und man ließ ihn zögernd passieren. Er mußte sich in derMenschenschlange vor dem Schalter einreihen, über demPOLICIA stand. Während er dort wartete, fiel ihm eingroßer Mann auf, der eine Schirmmütze trug und »Taxi!«

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rief. Der Mann machte einen anständigen Eindruck, unddeshalb nickte er ihm zu. Als der Mann mit der Kappe vor-trat, um das Gepäck zu holen, geriet er sofort in einenStreit mit den anderen. Dyar war an diesem Abend dieeinzige Beute. Angeekelt wandte er sich ab, während dieschreienden Gestalten den Taxifahrer durch den Ausgangverfolgten. Es ging ihm ohnehin nicht besonders.

Und im Taxi fühlte er sich weiter schlecht, währendder Regen gegen die Windschutzscheibe klatschte und diequietschenden Scheibenwischer mühsam über das Glaswischten. Jetzt war er wirklich da; es gab kein Zurückmehr. Es hatte natürlich nie eine Frage des Zurück gege-ben. Als er schrieb, er werde die Stelle annehmen, und inNew York die Passage buchte, wußte er, daß seine Ent-scheidung unwiderruflich war. Ein Mann, der weniger alsfünfhundert Dollar in der Tasche hat, ändert seine Ent-schlüsse in solchen Fällen nicht mehr. Aber nun, da er hierwar und seine Augen versuchten, die Finsternis hinter dennassen Scheiben zu erforschen, erfaßten ihn zum ersten-mal wieder die Verzweiflung und die Einsamkeit, die erhinter sich glaubte. Er zündete sich eine Zigarette an undreichte dem Fahrer die Packung.

Er beschloß ihn entscheiden zu lassen, wo er wohnenwürde. Der Mann war Araber und verstand sehr wenigEnglisch, aber er kannte die Worte »billig« und »sauber«.Sie fuhren vom Hafendamm aufs Festland, hielten aneinem Tor, wo zwei Polizisten ihre Köpfe durch die vor-deren Scheiben steckten, und fuhren dann eine Weile lang-sam durch eine Straße mit wenigen trüben Lampen. Als sievor dem Hotel ankamen, machte der Fahrer keine Miene,ihm mit dem Gepäck zu helfen, und ebensowenig war einHausdiener zu sehen. Dyar betrachtete nochmals den Ein-gang; die Fassade war die eines großen modernen Hotels,

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aber hinter dem Haupteingang sah er eine einzige Kerzebrennen. Er stieg aus und fing an, seine Koffer auszuladen.Dann warf er einen fragenden Blick auf den Fahrer, der zu-sah, wie er das Gepäck aus dem Wagen zerrte. Der Mannwartete ungeduldig darauf, wieder fortzukommen.

Als er seine Habe auf dem Gehsteig abgestellt und denFahrer bezahlt hatte, stieß er die Hoteltür auf und er-blickte einen Schnurrbart, der hinter dem kleinen Emp-fangsschalter saß. Die Kerze war die einzige Lichtquelle.Er fragte, ob dies das Hotel de la Playa sei, und wußtenicht, ob er froh oder bekümmert sein sollte, als der anderebejahte. Es nahm einige Zeit in Anspruch, bis er seinGepäck ohne Hilfe in die Hotelhalle getragen hatte. Dannstieg er, geführt von einem kleinen Jungen, der eine Kerzetrug, die Treppe zu seinem Zimmer hinauf; der Lift funk-tionierte nicht, weil der Strom abgeschaltet war.

Sie stiegen drei Stockwerke hoch. Das Hotel war wieein riesenhaftes, hallendes Betongebäude; jeder Fußtrittdröhnte von allen Wänden zurück. Das Gebäude war vonjener penetranten, sauberen Schäbigkeit, die nur billigemoderne Bauten haben. Schon zeigten die Wände großeRisse, aus den Türrahmen hatten sich Stücke der Stuck-verzierung gelöst, und hier und dort fehlten Fliesen imBodenbelag.

Als sie das Zimmer erreichten, ging der Junge vorausund entzündete eine neue Kerze, die in einer leeren Coin-treau-Flasche steckte. Die Schatten schossen an den Wän-den empor. Dyar sog mißbilligend die stickige Luft ein.Der Geruch des Zimmers erinnerte teils an feuchten Gips,teils an ungewaschene Füße.

»Puh – hier stinkt es aber«, sagte er. Er betrachtete miß-trauisch das Bett und schlug die fleckige blaue Überdeckezurück, um die Laken zu inspizieren.

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Der Tür gegenüber war ein großes Fenster, das derJunge eilig öffnete. Ein Windstoß fuhr von draußen her-ein. Man hörte entfernt das Rauschen der Brandung. DerJunge sagte etwas auf Spanisch, und Dyar vermutete, erwolle ihm bedeuten, dies sei ein schönes Zimmer, weil esaufs Meer hinaus ging. Es war ihm ziemlich gleichgül-tig, wohin die Aussicht ging: Er war nicht zur Erholunghierhergekommen. Alles, was er in diesem Augenblickverlangte, war ein Bad. Der Junge schloß das Fenster undlief hinunter, um das Gepäck zu holen. In einer Ecke desZimmers, abgeteilt durch eine schmierige Zwischenwand,befand sich eine Dusche mit grauem Zementboden undZementwänden. Er probierte den Hahn, auf dem CALI-ENTE stand, aus und war überrascht, als das Wasser eini-germaßen heiß herausfloß.

Der Junge brachte das Gepäck, deponierte es an denungeeignetsten Plätzen, nahm sein Trinkgeld in Empfangund bemühte sich vergeblich, die Tür zu schließen; er ließsie halb offen und ging endlich aus dem Zimmer. Dyarlöste sich vom Fenster, an dem er gestanden, in die Dun-kelheit hinausgesehen und mit dem Vorhang gespielt hatte.Er schlug die Tür zu und hörte, wie draußen der Schlüsselklirrend auf den Korridor fiel. Dann warf er sich auf dasBett und blieb eine Weile liegen, den Blick an die Deckegerichtet. Eigentlich sollte er Wilcox sofort anrufen undihm mitteilen, daß er angekommen war. Er wandte denKopf zu dem niedrigen Nachttisch neben dem Bett, umnachzusehen, ob dort ein Telefon stand, aber der Tisch lagim Schatten des Fußendes, und er konnte in der Dunkel-heit nichts erkennen.

Er spürte, daß er den gefährlichen Punkt erreicht hatte.In diesem Augenblick erschien ihm seine Existenz fastausgelöscht. Er hatte alle Sicherheit für etwas aufgegeben,

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von dem ihm jedermann, auch sein eigenes Gefühl, vor-ausgesagt hatte, es sei ein verrücktes Abenteuer. Das Ver-gangene war unwiderruflich vorbei, und das Neue hattenoch nicht begonnen. Um einen Anfang zu machen, hätteer Wilcox anrufen müssen, doch er rührte sich nicht. SeineFreunde hatten ihm gesagt, er sei wahnsinnig, seine Fami-lie hatte zornig und traurig mit ihm gehadert, aber aus ir-gendeinem ihm selbst unerklärlichen Grund hatte er sichallen Argumenten verschlossen. »Ich hab’s satt!« hatte erleicht hysterisch geschrien. »Ich hab’ den verdammtenSchalter in der Bank jetzt zehn Jahre lang ertragen. Vordem Krieg, während des Krieges und nach dem Krieg. Ichhalte es nicht mehr aus, das ist alles!« Und als man ihmvorschlug, einen Arzt zu konsultieren, lachte er verächt-lich und antwortete: »Mir fehlt gar nichts, was nicht durcheinen Wechsel geheilt werden könnte. Niemand ist dazubestimmt, jahrelang in einem Käfig eingesperrt zu sein. Ichhabe es einfach satt, basta.« – »Gut, gut«, sagte sein Vater.»Nur sag mir, was willst du dagegen unternehmen?« Dar-auf konnte er nicht antworten. Während der Wirtschafts-depression, mit zwanzig, war er froh gewesen, die Stellungin der Transitabteilung der Bank zu bekommen. All seineFreunde hatten ihn darum beneidet; nur der Freundschaftseines Vaters mit einem der stellvertretenden Direktorenhatte er es damals zu verdanken gehabt, daß er eingestelltwurde. Kurz vor dem Krieg machte man ihn zum Kas-sierer. In jenen Tagen, als nichts von Dauer schien undWechsel an der Tagesordnung war, glaubte Dyar, trotzeines leichten Herzfehlers auf die eine oder andere Weiseeinen nützlichen Posten innerhalb der Armee zu bekom-men. Alles wäre ein Wechsel und deshalb willkommen ge-wesen. Aber er wurde abgelehnt und war in seinem Käfiggeblieben. Dann wurde er Opfer eines demoralisieren-

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den Gefühls von Erstarrung. Sein eigenes Leben war einedrückende Last, so schwer, daß er glaubte, sie niemalsmehr von der Stelle, wo sie einmal lag, fortbewegen zukönnen. Er hatte sich an das Gefühl intensivster Hoff-nungslosigkeit und Niedergeschlagenheit, das ihn über-fallen hatte, gewöhnt und lehnte sich gleichzeitig erbit-tert dagegen auf. Es lag nicht in seiner Natur, mürrisch zusein, und seiner Familie fiel sein Zustand auf. »Akzeptierdas Leben, wie es kommt«, pflegte sein Vater zu sagen.»Nimm’s nicht so schwer. Du wirst sehen, es gibt genugSachen, die dir deinen Tag ausfüllen. Wohin führt es, wenndu dir den Kopf über die Zukunft zerbrichst? Laß dieDinge an dich herankommen.« Und immer wieder brachteer die üblichen Warnungen wegen des Herzleidens vor.Dyar lächelte dann nur und verzog das Gesicht. Er warnur allzu bereit, in den Tag zu leben – die Zukunft be-kümmerte ihn am wenigsten. Die Gegenwart stand ihmim Weg; die Minuten waren ihm feindlich gesinnt. JedeMinute schob ihn mit ihrer überwältigenden Leerheit einStückchen weiter vom Leben fort. »Du gehst nicht genugan die frische Luft«, ermahnte ihn sein Vater. »Gib dirselbst eine Chance. Als ich in deinem Alter war, konnte iches kaum erwarten, daß es Abend wurde, damit ich auf denTennisplatz kam oder an den alten Fluß zum Angeln odernach Hause, um meine Hose für einen Tanzabend aufzu-bügeln. Du bist krank. Oh, ich meine nicht körperlich.Diese kleine Herzgeschichte ist gar nichts. Wenn du ver-nünftig leben würdest, könnte dir nichts etwas anhaben.Ich meine deine Lebenseinstellung. Die ist krankhaft. Ichfinde, die ganze Generation ist krank. Es gibt nur das eineoder das andere: sinnloses Trinken bis zur Bewußtlosig-keit oder Herumlungern und Nachgrübeln, daß das Lebennicht lebenswert sei. Was zum Teufel ist mit euch allen

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los?« Dann pflegte Dyar zu lachen und zu sagen, daß sichdie Zeiten eben geändert hätten. »Die Zeiten ändern sichimmer«, entgegnete sein Vater, »aber nicht die menschli-che Natur.«

Dyar war kein großer Leser; nicht einmal ein Kino-gänger. Jede Art von Unterhaltung unterstrich das Unver-änderliche des Bestehenden noch mehr; nicht nur dann,wenn das Vergnügen vorbei war, sondern auch während esstattfand. Nach dem Krieg hatte er sich eine gewisse Mühegegeben, Anschluß ans Leben zu finden. Hin und wiederging er mit zwei oder drei Freunden aus, und jeder vonihnen nahm ein Mädchen mit. Sie tranken in der Woh-nung eines der Mädchen Cocktails, sahen sich einen Filmam Broadway an und aßen danach in einem chinesischenLokal in der Nähe, wo man auch tanzen konnte. Darauffolgte der langwierige Prozeß, die Mädchen eines nachdem andern nach Hause zu begleiten, wonach sie ge-wöhnlich in einer Bar landeten und ziemlich ausgiebigtranken. Manchmal, wenn auch nicht sehr oft, gabeltensie sich in einer Bar oder auf der Straße eine billige Nutteauf, nahmen sie mit auf Bill Healys Zimmer und schliefender Reihe nach mit ihr. Alles lief nach einem festgeleg-ten Schema; etwas anderes schien es nicht zu geben. Dyardachte immer bei sich: »Jede Art von Leben wäre besserals dieses«, aber er fand keine andere Lösung. »Wenn dudich einmal mit der Tatsache abgefunden hast, daß dasLeben kein Amüsement ist, wirst du viel glücklicher wer-den«, sagte seine Mutter zu ihm. Obwohl er mit seinenEltern zusammenlebte, sprach er niemals mit ihnen überseine Gefühle. Sie spürten, daß er nicht glücklich war, undversuchten deshalb, ihm auf eine etwas vorwurfsvolle Artzu helfen. Er war höflich zu ihnen, aber innerlich vol-ler Geringschätzung. Es war so offensichtlich, daß sie die

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Leere, die er verspürte, nicht verstanden und noch weni-ger, wie sehr er unter ihr litt. Es war wie eine fortschrei-tende Lähmung, die ständig zunahm, und mit ihr erstanddie Angst, daß an einem gewissen Punkt etwas Entsetzli-ches geschehen werde.

Von weit her konnte er das Geräusch der Wellen hören,die sich am Strand draußen brachen: das dumpfe Anrollen,eine lange Stille, dann wieder ein Brecher. Irgend jemandbetrat das Zimmer über ihm, warf die Tür zu und fing an,geschäftig hin und her zu gehen. Es klang wie eine Frau,aber eine schwerfällige. Wasser wurde aufgedreht, und inDyars Waschbecken gluckste es mitfühlend. Er zündetesich eine Zigarette an und klopfte die Asche von Zeit zuZeit auf den Fußboden neben dem Bett. Nach einigenMinuten verließ die Frau – er war sicher, daß es eine Frauwar – das Zimmer, warf die Tür zu, und er hörte, wie sieden Gang hinunterging, in einen anderen Raum, dessenTür sie schloß. Eine Klosettspülung wurde gezogen. Dannkehrten die Schritte wieder in das Zimmer über ihm zu-rück.

»Ich muß Wilcox anrufen«, dachte er. Aber er rauchtelangsam seine Zigarette, um so lange wie möglich etwasvon ihr zu haben. Er fragte sich, warum er mit dem Anrufso zögerte. Er hatte den Absprung gewagt und glaub-te, daß es richtig gewesen war. Die ganze Fahrt über aufdem Schiff nach Gibraltar hatte er sich eingeredet, es seidas einzig Vernünftige, was er tun konnte, er werde nachseiner Ankunft ein anderer Mensch sein, voller Leben, be-freit von dem Gefühl der Verzweiflung, das so lange aufihm gelastet hatte. Und nun kam ihm zum Bewußtsein,daß er sich genauso fühlte wie immer. Er versuchte sichvorzustellen, wie es wäre, wenn er zum Beispiel sein gan-zes Leben vor sich hätte und genau so leben könnte, wie es

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ihm gefiel, ohne den Zwang, seinen Unterhalt zu verdie-nen. In diesem Fall müßte er jetzt nicht mit Wilcox telefo-nieren, müßte nicht den einen Käfig gegen einen andereneintauschen. Nachdem er den ersten Ausbruchsversuchgemacht hatte, würde er dann den zweiten wagen undganz frei sein. Er hob den Kopf und sah sich langsam indem dämmrigen Raum um. Der Regen prasselte gegen dieScheiben. Bald würde er hinausgehen müssen. Im Hotelgab es kein Restaurant, und der Weg in die Stadt war sichersehr weit. Er tastete über den Nachttisch; kein Telefon.Schließlich stand er auf, nahm die Kerze und untersuchtedas Zimmer. Er trat auf den Korridor hinaus, hob denZimmerschlüssel vom Boden auf, sperrte die Tür ab undging hinunter, wobei er dachte: »Ich könnte jetzt schonmit ihm verbunden sein, wenn ich nur einen Apparatneben dem Bett hätte.«

Der Mann am Empfang war nicht da. »Ich muß telefo-nieren«, sagte Dyar zu dem Jungen, der grinsend nebeneiner Topfpflanze stand. »Es ist sehr wichtig. – Telefon!Telefon!« brüllte er gestikulierend. Der Junge ging an diePortiersloge, holte ein altmodisches Telefon hervor undstellte es oben auf den Schalter. Dyar nahm den Brief ausder Tasche und sah die Nummer von Wilcox’ Hotel nach.Der Junge versuchte, den Brief zu ergreifen, aber Dyarschrieb die Nummer auf die Rückseite des Umschlags undgab ihm diesen. Ein dicker Mann mit schwarzem Regen-mantel kam herein und verlangte seinen Zimmerschlüssel.Dann blieb er vor einer Zeitung stehen, die aufgeschlagenauf dem Schalter lag, und betrachtete sie. Während derJunge die Verbindung herstellte, dachte Dyar: »Wenn erzum Abendessen aus ist, muß ich die ganze Prozedur wie-derholen.« Der Junge rief irgend etwas in den Apparat undreichte Dyar den Hörer.

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»Hallo?«»Hotel Atlantide.«»Bitte Mr. Wilcox.« Er betonte den Namen sehr sorg-

fältig. Es folgte eine Stille. »Mein Gott«, dachte er, ärger-lich, daß er sich Gedanken darüber machte, ob Wilcox dasei. Es knackte im Apparat.

»Ja?«Es war Wilcox. Eine Sekunde lang wußte er nicht, was

er sagen sollte. »Hallo!«, sagte er.»Hallo. Ja?«»Jack?«»Ja. Wer spricht da?«»Nelson. Nelson Dyar.«»Dyar! Na sieh einer an! Bist du also doch gekommen.

Wo steckst du? Komm rüber. Kennst du den Weg? Nimmlieber ein Taxi, sonst verläufst du dich. Wo wohnst du?«

Dyar sagte es ihm.»Lieber Himmel! In diesem –« Dyar hatte das Gefühl,

Wilcox wollte sagen, diesem Loch. Stattdessen fuhr er fort:»Das ist ja fast hinter der Grenze. Na schön, komm her, soschnell du kannst. Nimmst du Soda oder Wasser?«

Dyar lachte. Er hätte nie gedacht, daß er sich so freuenwürde, Wilcox’ Stimme zu hören. »Soda«, sagte er.

»Warte einen Augenblick. Hör zu. Ich habe eine Idee.Ich rufe dich in fünf Minuten wieder an. Geh nicht fort.Warte auf meinen Anruf. Halte dich bereit. Ich will nurrasch noch jemanden anrufen. Großartig, daß du hier bist.Ich ruf’ dich gleich zurück, okay?«

»In Ordnung.«Er hängte ein und stellte sich an das Fenster. Der Regen,

der die Scheiben peitschte, war durch die Ritzen einge-drungen und rann an der Wand herunter. Jemand hatteeinen Lumpen auf den Boden gelegt, der das Wasser auf-

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saugen sollte, aber jetzt schwamm das Tuch in einer fla-chen Pfütze. Einige hundert Meter straßenaufwärts standeine Laterne. In ihrem Schein schwankten die glitzerndenSpeere der Palmwedel hin und her. Er fing an, in der klei-nen Hotelhalle auf und ab zu gehen; der Junge, der mit denHänden auf dem Rücken neben dem Schalter stand, beob-achtete ihn aufmerksam. Es ärgerte ihn ein wenig, daß Wil-cox ihn warten ließ. Natürlich glaubte er, Dyar habe vonseinem Zimmer aus angerufen. Er überlegte, ob Wilcoxwohl gut verdiente mit seinem Reisebüro. In seinen Brie-fen behauptete er es, aber Dyar erinnerte sich, daß er eherein Blender war. Sein Enthusiasmus brauchte nichts ande-res zu bedeuten, als daß er einen Angestellten nötig hatteund jemanden aus seiner Bekanntschaft bevorzugte (dasGehalt war niedrig genug, und Dyar hatte die Überfahrtvon New York selbst bezahlt), und vielleicht freute es ihnauch, seine Wichtigkeit und seinen Großmut zu zeigen. Eswürde Wilcox gefallen, zu einer »großzügigen Geste« im-stande zu sein. Dyar nahm an, daß wahrscheinlich letzte-res der Fall war. Ihre Freundschaft war niemals sehr enggewesen. Obwohl sie sich seit ihrer Kinderzeit kannten,als Wilcox’ Vater der Hausarzt der Dyars war, hatte keinervon ihnen mehr als ein höfliches Interesse für das Lebendes anderen gezeigt. Sie hatten in Wirklichkeit wenig ge-meinsam – nicht einmal das Alter, denn Wilcox war fastzehn Jahre älter als er. Während des Krieges war er nachAlgier versetzt worden, und später hatte sich Dyar nie-mals Gedanken darüber gemacht, was aus ihm gewordenwar. Eines Tages war sein Vater nach Hause gekommenund hatte gesagt: »Offenbar ist Jack Wilcox in Afrikahängengeblieben. Er hat sich geschäftlich selbständig ge-macht und scheint Erfolg zu haben.« Dyar hatte gefragt,was für eine Art von Geschäft es sei, und mit vagem In-

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teresse wahrgenommen, daß es sich um ein Reisebüro han-delte.

Eines Spätnachmittags war er bei strahlendem Herbst-wetter die Fifth Avenue hinuntergegangen und vor einemgroßen Reisebüro stehengeblieben. Der Wind, der vomCentral Park herüberwehte, hatte die Frische eines Okto-berabends und brachte ihm schon die Ahnung des Win-ters, der Jahreszeit, die alles lähmt: Für Dyar bedeutete ereinen Vorgeschmack auf gesteigerte Depressionen. Aufder einen Seite der Auslage stand ein großes Modellschiff,schwarz-weiß, mit blinkenden Messingteilen. Die andereSeite stellte eine tropische Miniaturküste dar, mit einemtürkisfarbenen Gelatinemeer und winzigen Palmen, diesich von einem echten Sandstrand herabneigten.

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stand auf dem Schild. Er überlegte, daß es eine qualvolleBeschäftigung sein müsse, in einer solchen Agentur zu ar-beiten, Reiserouten zusammenzustellen, Hotelzimmer zubestellen und Passagen zu buchen für Orte, die man selbstniemals sehen würde. Er überlegte, wie viele Männer,die dort arbeiteten und Prospekte, Fahrpläne, Listen undLandkarten studierten, so empfinden mochten, wie er esan ihrer Stelle getan hätte; das mußte ja noch schlimmersein als die Bank. Dann fiel ihm Wilcox ein. In diesemAugenblick begann er wieder weiterzugehen, diesmal sehrrasch. Als er nach Hause kam, schrieb er den Brief undwarf ihn sofort ein. Es war eine verrückte Idee. Nichtswürde dabei herauskommen, außer daß Wilcox ihn viel-leicht für einen gottverdammten Narren hielt, eine Vor-stellung, die ihn wenig bekümmerte.

Die Antwort war die größte Überraschung seines Le-

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bens gewesen. Wilcox hatte von Gedankenübertragunggesprochen. »Es muß etwas dran sein an der Telepathie«,hatte er geschrieben. Erst dann hatte Dyar seinen Plan derFamilie gegenüber erwähnt, und die Vorwürfe hatten be-gonnen.

Der dicke Mann verließ bedauernd den Empfangsschal-ter und ging zum Lift. Als er die Tür schloß, begann dasTelefon zu läuten. Der Junge sprang herbei, aber Dyar warschneller. Der Junge starrte ihn böse an. Es war Wilcox,der sagte, er sei in zwanzig Minuten im Hotel de la Playa.»Ich möchte, daß du eine Freundin von mir kennen-lernst«, sagte er. »Die Marquesa de Valverde. Sie ist groß-artig. Du solltest mit zum Abendessen kommen.« Und alsDyar protestierte, unterbrach er ihn. »Keine Sorge, dubrauchst dich nicht umzuziehen. Liebe Güte, nein, so wasgibt es hier nicht. Ich hol’ dich ab.«

»Aber Jack, hör zu –«»Bis gleich.«Dyar ging in sein Zimmer zurück. Er war verärgert, daß

man ihm keine Zeit gelassen hatte, zu- oder abzusagen undfragte sich, ob sein Ansehen in Wilcox’ Augen wohl ge-stiegen wäre, wenn er sich unabhängig gezeigt und sichentschuldigt hätte. Aber offensichtlich hatte er nichts der-gleichen vor, denn kaum war er in seinem Zimmer, riß ersich die Kleider vom Leib, nahm rasch eine Dusche, öff-nete seine Koffer, rasierte sich, so gut er es beim Licht dereinzigen Kerze konnte, und zog seinen besten Anzug an.Dabei pfiff er die ganze Zeit vor sich hin. Als er fertig war,blies er die Kerze aus und lief die Treppe hinunter, um vordem Haupteingang zu warten.

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2

Daisy de Valverde saß an ihrem Toilettentisch. Ihr Gesichtschimmerte im Licht von sechs kleinen Strahlern, die esaus sechs verschiedenen Richtungen beleuchteten. Wennsie sich in der erbarmungslosen Helle dieser grellen Lam-pen zu ihrer Zufriedenheit schminkte, konnte sie sich spä-ter in jeder Beleuchtung sicher fühlen. Aber das erforderteZeit und Technik. Die Villa Hesperides war niemals ohneStrom, selbst jetzt nicht, wo die Stadt nur jeden zweitenAbend für zwei Stunden mit Elektrizität versorgt wur-de. Dafür hatte Luis gesorgt, als sie das Haus bauten; esgehörte zu den Reizen der Internationalen Zone, daß manalles bekommen konnte, wenn man dafür zahlte. Und sichübrigens auch alles erlauben konnte – es gab niemanden,der nicht bestechlich war. Alles war nur eine Preisfrage.

Draußen brüllte der Wind; in den Zypressen tobte erwie ein Wasserfall. Von tief unten her hallte das Dröhnender Wellen an den Klippen. In die spiegelnden Lichter desRaumes mischten sich andere Reflexe auf der schwarzenFläche der Fensterscheiben, winzige, ferne Punkte: Spa-nien, jenseits der Meerenge, Tarifa und Kap Camariñal.

Sie freute sich immer, wenn Amerikaner ins Haus ka-men, denn sie fühlte sich ihnen gegenüber ungehemmt. Siekonnte soviel trinken, wie sie wollte, und sie tranken mit,während die englischen Gäste einen Whisky über eineStunde ausdehnten – von den Franzosen ganz zu schwei-gen, die einen Martini verlangten, der aus Wermut miteinem Spritzer Gin bestand, oder den Spaniern mit ihremGlas Sherry. »Die Amerikaner sind die kommende Na-tion«, pflegte sie mit ihrer munteren Stimme zu verkün-den. »Auf ihr Wohl. Gott segne ihre technischen Spiele-

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band und mit dem Gefühl, von ihm gehalten zu wer-den inmitten brokatener Kissen, großer Laternen undhoher geraffter Draperien. Sooft sein Vater auch seinenBitten um Wiederholung nachgab, für ihn war es immerneu, voll geheimnisvoller Zauberkraft, wann immer er esauch hörte.

»Erzähl vom Tag.«»Vom Tag?« pflegte der alte Hadji Mohammed zu

wiederholen und sah bewußt schlau und unwissend zu-gleich drein, sog an seiner Unterlippe und rollte seineAugen gen Himmel. »Dem Tag? Was für einem Tag?«

»Vom Tag«, beharrte Thami.»Aaah!« So begann der alte Mann, und zu gleicher Zeit

begann er mit den Gebärden, die jedes Wort, das er nichtaus dem Stegreif erfand, begleiteten. »Der Morgen ist einkleiner Junge.« Er machte große runde Augen. »Der Mit-tag ist ein Mann.« Er setzte sich gerade auf und sah fin-ster um sich. »Die Dämmerung ist ein alter Mann.« Erentspannte sich und sah zärtlich in Thamis Gesicht. »Wasmache ich?« Thami wußte es, aber er schwieg, warteteatemlos, fasziniert auf den Augenblick, wo er an dem Ri-tus teilnehmen durfte, seine Augen hingen gebannt an demelfenbeinfarbenen Gesicht.

»Ich lächle dem ersten zu. Ich bewundere den zwei-ten. Ich verehre den letzten.« Und als die letzten Worteverklangen, ergriff Thami die zerbrechliche weiße Hand,beugte seinen Kopf und preßte seine Lippen leidenschaft-lich auf die Handrücken. Dann setzte sich der alte Mannzurück und betrachtete liebevoll seinen Sohn. Einmal hat-te Abdallah dieses Spiel ausspioniert (er war von allen Brü-dern Thami am nächsten, nur ein Jahr älter), und als er ihnspäter allein erwischte, hatte sich der Junge einer Reihevon Quälereien unterwerfen müssen, die er schweigend

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und fast widerstandslos erduldete. Es erschien ihm einkleiner Preis, den er für die Gunst des Vaters zu bezahlenhatte. »Und wenn du’s Vater sagst, dann erzähl ich es Ab-delfath«, hatte ihn Abdallah gewarnt. Abdelfath würdesich noch viel Furchtbareres ausdenken – davon warensie beide überzeugt –, aber Thami hatte verächtlich, wennauch unter Tränen, gelacht. Er hatte keineswegs die Ab-sicht, etwas zu sagen, seinen Vater darauf aufmerksam zumachen, daß die anderen eifersüchtig auf seine Teilnahmean dem geheiligten Spiel waren, denn damit hätte er dasPrivileg, es spielen zu dürfen, vielleicht eingebüßt.

Später waren es die Straßen, die versteckten Cafés inSidi Bouknadel, hinter deren verschlossenen Türen dieHalbwüchsigen auf Matten saßen und bis in die Morgen-dämmerung Ronda spielten, Kif rauchten und Kognaktranken; am Strand spielten sie Fußball, und dort legten sieihr Geld zusammen, um eine caseta für die Saison zu mie-ten, in der sie Trinkgelage abhielten und private kleineOrgien, deren Etikette es verlangte, daß die kleineren Jun-gen den älteren vollkommen zur Verfügung standen. Undvor allem waren es die Bordelle. Als Thami achtzehn war,kannte er sämtliche Mädchen aller Etablissements undnoch eine große Anzahl von Straßenmädchen dazu. Ergewöhnte sich an, mehrere Tage hintereinander von zuHause fortzubleiben, und wenn er wiederkam, befand ersich in einem Zustand von Verwilderung, der seine älterenBrüder in Wut versetzte. Als er zum sechsten Mal wegenTrunkenheit verhaftet worden war, befahl Abdelmalek,der nach Abdelfaths Übersiedlung nach Casablanca dasFamilienoberhaupt war, daß die Wachen ihm den Eintrittverweigern sollten, wenn er nicht vollkommen nüchternund anständig gekleidet war. Dies bedeutete vor allem, daßer sein tägliches Taschengeld nicht bekam. »Es wird ihn

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ändern«, sagte er zuversichtlich zu Hassan. »Du wirst denUnterschied bald merken.« Aber Thami war starrköpfigerund erfindungsreicher, als sie glaubten. Er fand Mittel undWege – was für Wege, erfuhren sie nie –, um zu überleben,nicht nach Hause kommen zu müssen und die Freiheit, dieer so dringend benötigte, nicht zu verlieren. Und seitdemwar er nie mehr zurückgekehrt, außer gelegentlich füreinige Minuten Unterhaltung mit seinen Brüdern am Ein-gangstor, meist, um sie um eine Gefälligkeit zu bitten, dieihm selten gewährt wurde. Thami war eigentlich nicht un-gesellig; Feindseligkeit war ihm fremd. Er hatte lediglichfast allen Respekt und alle Verehrung, deren er fähig war,an seinen Vater vergeben und konnte deshalb seinen Brü-dern den ihnen durch Überlieferung zustehenden Teilnicht mehr geben. Außerdem konnte er nicht heucheln. Erhatte keinen Respekt vor ihnen, und er hatte auch zu vielBerührung mit der europäischen Kultur gehabt, um zuglauben, daß er eine Sünde beging, wenn er einen Respektverweigerte, den die Tradition von ihm verlangte, den eraber nicht empfand.

Es war auf dem alljährlichen Moussem zu Ehren vonMoulay Abdeslam, an dem aufrechte Männer zum Heilihrer Seele teilnehmen, daß Thami zwischen den Zeltenund Eseln und fanatischen Pilgern Kinza getroffen hatte.Es war eine jener Situationen, auf die die moslemischeTradition völlig unvorbereitet ist und der sie ratlos ge-genübersteht. Es ist unmöglich, daß junge Männer undMädchen sich kennenlernen, und wenn sie es, dank einesunmöglichen Zufalls, doch fertigbringen, sich eine Minuteallein zu sehen, ist diese Vorstellung so entsetzlich, daß je-dermann sie sofort wieder vergißt. Aber dann weiterzuge-hen, das Mädchen wieder zu treffen, ihr einen Heiratsan-trag zu machen – ein unerhörteres Benehmen konnte man

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sich kaum vorstellen. Thami tat all das. Er fuhr zur glei-chen Zeit wie sie nach Agla, lernte ihre Familie kennen, dienatürlich von seinem städtischen Wesen und seiner Bil-dung tief beeindruckt war, und schrieb an Abdelmalek,daß er im Begriff sei, sich zu verheiraten, und es an der Zeitfände, sein Erbe ausgezahlt zu bekommen. Die Antwortdes Bruders war ein Telegramm, das ihm befahl, sofortnach Tanger zurückzukommen, um die Angelegenheit zubesprechen. Damals erlitten die Beziehungen zwischenden beiden einen ernsten Knacks, denn Abdelmalek wei-gerte sich rundheraus, ihn sein Geld oder seinen Besitz an-tasten zu lassen. »Ich werde zum Kadi gehen«, drohteThami. Abdelmalek lachte nur. »Geh«, sagte er, »wenn duglaubst, du könntest ihm etwas von dir erzählen, das ernoch nicht weiß.« Schließlich gab ihm Abdelmalek, nachlangem Hin und Her mit Hassan, der glaubte, daß eineHeirat, selbst mit einem schändlich niederen Bauern-mädchen, vielleicht Thamis Leben ändern würde, einigetausend Peseten. Daraufhin holte Thami die ganze Fami-lie aus Agla, und sie feierten Hochzeit in Emsallah, demärmsten Viertel von Tanger; Kinza und ihrer Sippe er-schien trotzdem alles von prächtiger Üppigkeit. Nach ge-bührender Zeit kehrten alle bis auf die Braut wieder in dasBauernhaus auf dem Berg oberhalb Agla zurück, wo sielebten, ihre Felder bebauten, die Früchte ihrer Bäume ern-teten und ihre Kinder ausschickten, die Ziegen auf denHügeln zu hüten.

Für sie war Thami eine glänzende, wichtige Persönlich-keit, und sie waren überglücklich gewesen, als er vergan-genen Abend an ihrer Tür geklopft hatte. Weniger erfreutwaren sie jedoch, als sie hörten, daß er droben im anderenHaus einen Nesrani bei sich hatte, und obwohl es ihm ge-stern nacht gelungen war, von diesem Thema abzulenken,

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indem er über anderes redete und dann plötzlich aufbrach,hatte er gemerkt, daß sein Schwiegervater ihm seine An-sichten zu diesem Thema noch nicht gänzlich dargelegthatte.

Am Haus sagte man ihm, die Männer seien unten imObstgarten. Er ging den hohen Kaktuszaun entlang, biser an ein Tor kam, das aus einem Stück Blech gemachtwar. Als er klopfte, dröhnte es sehr laut, und er wartete miteiner gewissen Besorgnis, daß jemand käme. Einer derSöhne öffnete ihm. Ein künstlicher Bach lief durch denObstgarten, ein Teil des Bewässerungssystems, welchesdas ganze Tal mit Quellwasser versorgte, das dem Felsenüber der Stadt entsprang. Kinzas Vater wässerte die Ro-senstöcke. Er eilte hin und her, hatte seine ausgebeulteHose bis über die Knie aufgekrempelt, beugte sich überden Rand des Kanals, um einen alten Benzinkanister, deran allen Ecken leckte, mit Wasser zu füllen und dann da-mit loszurennen, um anzukommen, ehe er leer war. Als erThami sah, hörte er auf zu arbeiten, und sie setzten sichzusammen in den Schatten eines riesigen Feigenbaumes.Fast sofort brachte er das Gespräch auf den Ungläubigen.Ihn im Haus zu haben bedeutete Schwierigkeiten, pro-phezeite er. Noch nie hatte man von einem Spanier gehört,der mit einem Moslem im gleichen Haus lebte, und außer-dem, was war der Sinn, was war der Grund für ein solchesVerhalten? »Warum wohnt er nicht in der Fonda in Aglawie alle anderen?« fragte er. Thami versuchte es ihm zu er-klären. »Er ist kein Spanier«, begann er, aber schon er-kannte er die Schwierigkeiten, mit denen er zu rechnenhatte, wenn er es dem anderen erklären wollte. »Er ist einAmerikaner.« »Melikaner?« rief Kinzas Vater. »Und woist Melika? Wo? In Spanien! Ah! Siehst du?« Der ältesteSohn warf schüchtern ein, daß der Ungläubige vielleicht

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Franzose sei. Franzosen waren keine Spanier, sagte er.»Keine Spanier?« schrie sein Vater. »Und wo glaubst du,daß Frankreich liegt, wenn nicht in Spanien? Nenn ihnMelikan, nenn ihn Franzose, nenn ihn Engländer, nennihn, was du willst. Er bleibt ein Spanier, er bleibt ein Nes-rani, und es ist schlecht, ihn im Haus zu haben.« »Du hastrecht«, sagte Thami, der beschlossen hatte, daß Nachgie-bigkeit ihm am leichtesten aus der Unterhaltung half, dennsein einziges Argument wäre gewesen, zu sagen, daß Dyarihn für das Privileg, im Haus zu wohnen, bezahlte, und erwollte nicht, daß sie das erfuhren. Der alte Mann war be-sänftigt, doch dann fragte er wieder mißtrauisch: »Warumwohnt er nicht in der Fonda? Sag mir das?« Thami zucktemit den Achseln und sagte, er wisse es nicht. »Ah! Siehstdu!« rief der alte Mann triumphierend. »Er hat einenGrund, und es ist ein böser Grund. Und nur Böses kommtdabei heraus, wenn Ungläubige und Moslems zusammen-kommen.«

Sie hatten einen geistig behinderten Sohn, der bei ihnensaß; dieser nickte ununterbrochen mit dem Kopf, über-wältigt von der Weisheit seines Vaters. Die anderen Söhnewarfen Thami verlegene Blicke zu, als sie diese Ansich-ten hörten, die, so ihre Vermutung, Thami lächerlich alt-modisch erscheinen mußten. Dann sprachen sie von ande-ren Dingen, und bald begann der alte Mann erneut, seineBlumen zu wässern. Thami und die Söhne zogen sich ineinen entlegenen Teil des Obstgartens zurück, wo er sienicht sehen konnte, und rauchten, denn Thami hatte dasGefühl, daß er unter diesen Umständen die Familie un-möglich beleidigen könne, indem er in das Haus auf demBerg zurückkehrte, nur um dem Christen Essen zu brin-gen. Sie verbrachten den Tag mit Essen, Schlafen und Kar-tenspielen, und als er sich verabschiedete, war es dämme-

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rig, und er hatte nicht den Mut gehabt, erneut um Essen zubitten, nicht einmal um die Decke. Aber er konnte auchnicht ohne Essen ins Haus zurückkommen, denn Dyarwürde inzwischen rasenden Hunger haben, und das hieß,daß er nach Agla mußte, um etwas fürs Abendessen ein-zukaufen. »Yah latif, yah latif«, murmelte er vor sich hin,als er den Pfad, der ins Dorf hinunterführte, entlangging.

Während Dyar auf dem Kopfsteinpflaster der Straße, diedurch das Stadttor führte, entlangstolperte, hatte er keinenZweifel, daß er in Agla war. Er war lediglich auf einem sehrgroßen Umweg heruntergekommen, indem er nämlich umden Berg herumgegangen und dann wieder an den steilenAbstieg zurückgekommen war. So bestand jetzt eineziemlich hohe Wahrscheinlichkeit, daß er Thami begegnenwürde, der, wie ihm klar wurde, überzeugt sein mußte,daß er fortgelaufen war, um sich darum zu drücken, ihmseinen Lohn zu zahlen. Oder nein, dachte er, durchausnicht. Wenn Thami hinter dem Ganzen her war, dann warder Lohn natürlich ohne jede Bedeutung. In diesem Fallwürde das Zusammentreffen die Sache rasch regeln. DieMänner, die er sich als Hilfe ausgesucht hatte, würden inder Nähe sein; durch irgendeine gleichgültige Geste würdedas Signal gegeben werden, vor den Augen der Öffent-lichkeit, während Thami und er zusammen die Straßehinuntergingen. Vielleicht würden sie sogar mit ihm zu-sammen aufbrechen. Die einzige Chance wäre die, seineAktentasche zu verteidigen, als hinge sein ganzes Lebendaran. Bis sie sie dann aufgerissen hatten und sahen, daßsie leer war, konnte er möglicherweise weit genug fortsein, um zu entkommen.Die winzigen Straßen und Häuser waren dick getünchtund leuchteten, als hätten sie den ganzen Tag das Sonnen-

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licht aufgesogen und verströmten es nun, in der Dämme-rung, in die verblassende Luft. Er fand, daß alles aussah,als sei es von einem Zuckerbäcker gemacht, aber wahr-scheinlich kam das nur daher, weil er im Augenblick nichtviel Einbildungskraft brauchte, um sich alles eßbar vor-zustellen. Mit unfehlbarem Instinkt wählte er die Straßen,die ins Zentrum der Stadt führten, und dort erblickte er einkleines Einheimischen-Restaurant, dessen Küche sich imEingang befand. Der Koch hob die Deckel von den ver-schiedenen Kupferkesseln, damit er hineinsehen konnte;er betrachtete den Inhalt und bestellte Suppe, Kichererb-sen mit Lammragout und Leber am Spieß. Hinter derKüche befand sich ein kleiner dämmriger Raum mit zweiTischen und dahinter ein erhöhter Erker, in dem mehrereBauern auf Matten hockten, riesige Brotlaibe in der Hand,von denen sie Stücke abbrachen und in die Suppe tunkten.Für Dyar war die Stillung seines Hungers ein Akt derWollust; er hörte gar nicht mehr auf. Was er zuerst bestellthatte, erwies sich als völlig unzureichend. Thami hatte ihmerzählt, daß die Gier nach Essen, die man nach dem Kif-genuß verspürt, mit keinem anderen Hunger zu verglei-chen ist. Er seufzte ahnungsvoll. Thami und sein Kif. Waswürde er empfinden, wenn er merkte, daß sein Gefan-gener entkommen war und sogar seine Pfeife und denLederbeutel mitgenommen hatte? Dyar überlegte, obdas nicht als außergewöhnliche Beleidigung empfundenwürde, als unverzeihliche. Er hatte keine Ahnung; erwußte nichts von diesem Land, außer daß all seine Ein-wohner sich wie Wahnsinnige aufführten. Vielleicht war esgar nicht Thami selbst, vor dessen Reaktionen er sichfürchtete –, sondern vielleicht nur der Thami, der ein Teildieses Landes war und deshalb sozusagen dieses ganzeLand hinter sich hatte. Thami in New York – er lachte fast

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laut über die Vorstellung, die dieser Gedanke in ihmweckte – dort wäre er einer von denen, die man nicht ein-mal eines Blickes würdigte, wenn sie einen auf der Straßeum Kleingeld anbettelten. Hier war die Sache anders.Thami war ein Vertreter dieses Landes, wie Antäus, undalle Kraft, die er hatte, entsprang dem Boden, auf dem erso fest mit beiden Füßen stand. »Also hast du Angst vorihm«, sagte er angeekelt zu sich selber. Er sah durch diehelle Küche hinaus auf die dahinterliegende dunkle Straße.»Angst, er könnte zur Tür hereinkommen.« Er saß ganzruhig da und wartete, daß die Vorstellung irgendwie Wirk-lichkeit würde. Statt dessen erschien ein hochgewachsenerBerber mit einer lose über die Schulter geworfenen Djel-laba im Türrahmen und bestellte ein Glas Tee. Während erdie fünf Minuten abwartete, die für dessen Zubereitungimmer benötigt wurden (denn das Wasser, obwohl es heißwar, kochte nie, und die Minze mußte Blatt für Blatt vonden Stielen abgestreift werden), starrte er Dyar auf eineWeise an, die dieser zuerst als verwirrend, dann als störendund schließlich, nachdem er sich überlegt hatte, was wohlder Grund dieser unverschämten Betrachtungsweise seinkönnte, als höchst beängstigend empfand. »Warum ver-sperrt er die Tür?« dachte er, und sein Herz begann ineiner plötzlichen Welle böser Vorahnung wie rasend zuschlagen. Im Augenblick gab es nur eine Erklärung: Einervon Thamis Söldnern war gekommen, um ihn zu bewa-chen, seine Flucht zu verhindern. Wahrscheinlich standensie in jedem Café, in jedem Gasthaus der Stadt Posten.Zum erstenmal kam ihm der Gedanke, daß sie ihre Ar-beit auch in Thamis Abwesenheit verrichten könnten,während Thami in einem anständigen Haus saß, lachend,teetrinkend und auf einer Oud spielend. Und diese Mög-lichkeit erschien ihm in gewisser Weise noch schlimmer,

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vielleicht deshalb, weil er sich Thami in der Rolle des bru-talen Peinigers nie hatte vorstellen können und daher inseiner Vorstellung beschlossen hatte, daß die Dinge ver-hältnismäßig sanft und schmerzlos vonstatten gehen wür-den. Er sah wieder zu dem Neandertalkopf auf, sah dietiefen Furchen auf der fliehenden Stirn und die Brauen, diein einer einzigen struppigen Linie über das Gesicht liefen,und wußte, daß es für so einen Menschen keine Halb-heiten gab. Dennoch konnte er in diesem Gesicht nichtsGemeines entdecken, nicht einmal besondere Arglist –nur primitive, uralte Stumpfheit, die unauslöschliche, tiefeMelancholie der großen Affen, die hinter den Käfiggitternhervorblicken.

»Damit will ich nichts zu tun haben«, sagte er sich. Manversuchte solche Geschöpfe nicht zu überlisten; manmachte sich einfach aus dem Staub, wenn es ging. Er erhobsich und ging zum Herd hinüber. »Wieviel?« sagte er aufEnglisch. Der Mann verstand, was er wollte, hielt beideHände mit zehn ausgestreckten Fingern in die Höhe undstreckte noch einen Zeigefinger empor. Indem er dem Rie-sen unter der Tür den Rücken zuwandte, um die HandvollBanknoten, die er aus der Tasche zog, so gut wie möglichzu verbergen, gab er dem Koch einen Hundertpeseten-schein. Der Mann sah ihn überrascht an und bedeuteteihm, daß er nicht wechseln könne. Dyar suchte weiter undfand fünfundzwanzig Peseten. Der Koch nahm sie zwei-felnd entgegen, schob den Berber an der Tür beiseite undging auf die Straße, um zu wechseln. »Ach du lieber Him-mel«, dachte Dyar, und vor seinem inneren Auge sah ereinen Berg neuer und unerwarteter Schwierigkeiten auf-tauchen. Wenn es schon schwierig war, hundert Pesetenzu wechseln, dann würde es noch zehnmal schwierigersein, einen Tausender loszuwerden. Er bewegte die Schul-

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ter etwas hin und her, um die Banknotenbündel an seinemKörper zu spüren. So stand er da, spürte den starren Blickdes riesigen Berbers auf sich, den er aber nicht ein einzigesMal erwiderte, bis der Koch zurückkam und ihm vierzehnPeseten gab. Als er auf die Straße trat, bog er nach rechtsab, wo ihm eine größere Anzahl Fußgänger zu sein schie-nen. Er schritt rasch aus und sah sich erst um, als er zwi-schen einen Haufen von Flaneuren geriet. Er war nichtweiter überrascht, den Berber aus dem Restaurant kom-men zu sehen, der langsam die gleiche Richtung einschlug.Aber Dyar ging sehr schnell; als er sich wieder umdrehte,stellte er mit Befriedigung fest, daß er ihn abgeschüttelthatte.

Die weißgetünchte Straße war voller Passanten in Djel-labas, die in beiden Richtungen promenierten. Ständiggrüßten sich die einzelnen Gruppen im Vorübergehen.Dyar kämpfte sich zwischen ihnen durch, bei aller Eile sounauffällig wie möglich. Manchmal wurde die Straße zueiner langen Treppenflucht, mit winzigen Läden, die nichtgrößer waren als Buden, und er rannte leichtfüßig denganzen Weg hinunter, wobei er sorgsam darauf achtete,nicht in eine Spaziergängergruppe zu geraten. Er wagtenicht, aufzublicken, um festzustellen, was für einen Ein-druck sein Gebaren auf die Bevölkerung machte. Als er aufeinen freien Platz kam, der auf einer Seite von neuen, euro-päisch wirkenden, einstöckigen Gebäuden umgeben war,blieb er stehen und überlegte, ob er weitergehen oder um-kehren sollte. Dort war ein Café mit Tischen und Stüh-len, die auf dem schmalen Gehsteig standen, und an den Ti-schen saßen Spanier, von denen einige die weißen Unifor-men der marokkanischen Armee trugen. Sein Instinkt hießihn, im Schatten zu bleiben, in die Araberstadt zurückzu-gehen. Die Frage war: Wo wäre er sicherer? Es bestand kein

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Zweifel, daß die größere Gefahr darin lag, von den Spani-ern aufgehalten und ausgefragt zu werden. Trotzdem hatteer keine Angst vor ihnen, sondern vor dem, was in denStraßen, aus denen er gerade gekommen war, geschehenkonnte. Und als er so dastand, seine Aktentasche an sichpreßte und die Menschen sich rechts und links an ihm vor-beidrängten, erkannte er mit Schrecken in seinem kif-be-nebelten Kopf, daß er völlig verwirrt war. Er hatte sich dieStadt ganz anders vorgestellt; er hatte geglaubt, daß er eineStelle finden würde, wo er um Auskunft bitten konnte; erhatte sich auf die Stadt verlassen wie ein Mensch in Not aufseinen Freund, von dem er Hilfe erwartet, und von vorn-herein wissend, daß er jedem Rat folgen würde, denn dasWichtigste war, irgend etwas zu unternehmen, sich in ir-gendeiner Richtung fortzubewegen, aus dieser Sackgasseheraus. Er hatte geglaubt, daß sich seine Lage, wenn er ein-mal in Agla war, klären würde. Aber bis jetzt war ihmnicht zu Bewußtsein gekommen, wie sehr er damit ge-rechnet hatte, daß er Thami entkommen könnte. Jetzt, indiesem Augenblick, begriff er jedoch, daß die Trugbilder,auf denen er seine Zukunftspläne aufgebaut hatte, im Be-griff waren einzustürzen. Er hatte niemals einen Plan ge-habt, nach dem er handeln wollte, er konnte sich jetztnicht mehr vorstellen, was er eigentlich hier in der Stadt»herausfinden« wollte, was für Menschen er hatte sehenwollen, um Erkundigungen einzuziehen, oder was fürErkundigungen er überhaupt hatte einziehen wollen. Erblickte einen Moment lang zum Himmel empor. Die Ster-ne waren hevorgekommen; sie gaben ihm keinen Rat. Erhatte sich umgedreht, begann wieder zurückzugehen,zurück durch das Stadttor, in die gewundene Straße, aberseine Beine zitterten, und er nahm nur verschwommenwahr, was um ihn herum vorging. Da der Mechanismus,

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der ihn in Gang gehalten hatte, offenbar versagte, verließer diesmal unbewußt die Hauptstraße, die steil nach obenverlief, und seine Füße führten ihn auf eine kleine, ebeneStraße, wo es weniger Lichter und Menschen und garkeine Läden gab.

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Manchmal hörte er das Wasser der Brunnen in ihre Beckenrieseln, manchmal nur das Geräusch eiliger Quellwasserunter den Steinen hinter den Mauern. Gelegentlich stießein einzelner Nachtvogel in der Nähe einer Laterne auf dieErde herab, und sein verzerrter Schatten schoß eilig überdie weiße Mauer. Jedesmal zuckte Dyar nervös zusammenund fluchte, weil er die Angst, die in ihm steckte, nichtüberwinden konnte. Er ging jetzt langsam und überholteniemanden. Wenn der Weg gerade genug war, konnte ermanchmal zwei Männer in dunklen Gewändern Hand inHand vor sich hergehen sehen. Sie sangen ein Lied miteinem kräftigen Refrain, der in kurzen Abständen wieder-kehrte; dazwischen lag eine träge Variation dieses Re-frains, der wie eine schwache, ungewisse Antwort darauffolgte. Dyar hätte dies bestimmt nie bemerkt, wenn ernicht jedesmal, ehe die Variationen begannen, gerade beiden ersten Tönen den bestimmten Eindruck gehabt hätte,daß das Singen irgendwo hinter ihm war. Als er aufgehörthatte, darauf zu achten (sein Interesse war nicht von derMusik, sondern von seiner eigenen Angst geweckt wor-den), hatten die beiden vor ihm bereits von neuem begon-nen. Schließlich blieb er, um ganz sicher zu sein, für dieDauer mehrerer Strophen stehen, während die Stimmender beiden schwächer und schwächer wurden. Nun be-

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stand kein Zweifel mehr; eine quengelnde Falsettstimmesang das gleiche Lied hinter ihm. Jetzt konnte er es deutli-cher hören, wie einen spottenden Schatten der Musik, dievor ihm anhielt. Aber aus den Pausen, die im Rhythmusund in der Linienführung der Melodie absichtsvoll ent-standen, damit die Solostimme sich einschalten konnte, er-sah er sofort, daß sie sich der Teilnahme des anderen anihrem Lied bewußt waren. Er trat in eine Nische zwischenden Häusern, wo sich ein kleiner quadratischer Tank be-fand, in den Wasser strömte, und wartete darauf, daßder Besitzer der Solostimme vorübergehe. Man hörte hiernichts als das dumpfe Geräusch des Wassers, das in die Zi-sterne floß, und er versuchte angestrengt, zu horchen, obder andere, nachdem er sein Verschwinden bemerkt hatte,aufhören würde zu singen oder seine Stimme verändernoder auf sonst eine Weise denen, die vor ihm gingen, einSignal geben werde. Hätte er nur eine große Taschenlampeoder einen Schraubenschlüssel bei sich gehabt, dann hätteer ihm, wenn er vorbeiging, über den Schädel hauen, ihnin die Dunkelheit zerren und rasch in der anderen Rich-tung zurückgehen können. Aber als der einsame Sängererschien, stellte sich heraus, daß er von einem Freund be-gleitet war. Beides waren Halbwüchsige, und sie kamendaher, als dächten sie an nichts anderes als das Lied, dasihnen durch die Straße entgegenschwebte und dessen Fa-den sie nicht verlieren durften. Er wartete, bis sie vorüberwaren, zählte bis zwanzig und spähte um die Hausecke; siegingen immer noch mit dem gleichen schlendernden Gangdie Straße entlang. Als sie außer Sichtweite waren, machteer kehrt und ging zurück, immer noch nicht überzeugt, obsie nicht doch zu dem anderen Paar eilen und ihn danngemeinsam suchen würden, wenn sie bemerkten, daß ernicht mehr vor ihnen herging.

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Da die Angst keinen echten Bezug zur Wirklichkeit hat,erwartete er jetzt jedesmal, wenn er die beleuchtetenStrecken der Straßen verließ und in die dunklen kam, daßdie Sänger und ihre Freunde ihm dort irgendwo auflauer-ten, nachdem sie eine Abkürzung gegangen und vor ihmangekommen waren. Ein unnachgiebiger Arm würde auseiner unsichtbaren Tür greifen, um ihn hereinzuzerren,ehe er noch begriff, was geschah, ein furchtbarer Schlagwürde ihn hinterrücks treffen und niederstrecken, und ineiner ausgestorbenen Gasse würde er wieder zu sich kom-men, im Unrat liegend, ohne Geld, ohne Paß, ohne Uhrund ohne Kleider, ohne eine Menschenseele, die ihm hieroder in Tanger oder sonstwo zu Hilfe käme. Keiner, derseine Blöße bedecken würde oder ihm auch nur ein Früh-stück gäbe. Von dem Gefängnis aus, in das sie ihn einsper-ren würden, würden sie die amerikanische Gesandtschaftanrufen, und er würde Tanger bald wiedersehen, tausend-mal mehr ein Opfer als je zuvor.

An jeder Straßenkreuzung, jedem Durchgang riß er dieAugen weiter auf, als könne er auf diese Weise die Fin-sternis durchdringen. Als er wieder auf der Hauptstraßewar und die lange Treppenflucht hinaufstieg, dort, wo dasLicht aus den Buden über die Stufen fiel, fühlte er sichetwas wohler, obgleich seine Beine wie ausgehöhlt warenund nicht mehr dorthin gehen wollten, wohin sein Kopfsie zu lenken versuchte. Es war ein gewisser Trost, wiederunter Menschen zu sein; er konnte mit gesenktem Kopfweiterlaufen und mußte niemandem ins Gesicht schauen.Als er fast wieder beim Restaurant war, wo er gegessenhatte, hörte er Trommeln, die in einem seltsamen, atemlo-sen Rhythmus geschlagen wurden. Hier bog die Straßemehrmals unerwartet ab und verwandelte sich in eineReihe von Passagen, die zwischen den Häusern entlang

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führten. Er blickte zu einem Fenster empor, das sich imzweiten Stock über dem Eingang zu einem dieser Tunnelbefand, und sah hinter dem schmiedeeisernen Gitter meh-rere mit Turbanen geschmückte Hinterköpfe. Im gleichenAugenblick rief eine herrische Stimme von der Straße hin-ter ihm her: »Hola, señor! Oiga!« Er drehte sich rasch umund sah, fünfzehn Meter hinter sich, einen Einheimischenin einer Art Polizei-Uniform und Helm, und es bestandkein Zweifel, daß der Mann versuchte, seine Aufmerk-samkeit zu erregen. Er sprang mit einem Satz in die vorihm liegende Dunkelheit, bog in die erste Seitengasse einund warf sich gegen eine halboffene Tür, die er rechterHand bemerkte.

Das Licht kam von oben. Eine steile Treppe führte hin-auf. Dort waren die Trommeln und außerdem hohe, leiseFlötenmusik. Er stand hinter der Tür, am Fuß der Treppe,die er nicht weiter zugemacht hatte, als sie gewesen war. Erwartete; nichts rührte sich. Dann erschien ein Mann aufdem oberen Treppenabsatz, im Begriff hinunterzugehen,sah ihn und winkte einem zweiten, der sich bald daraufzeigte. Die beiden nickten ihm zu. »Thla. Thla. Agi«, sag-ten sie. Da ihre Gesichter unverkennbar freundlich waren,stieg er langsam die Treppe hinauf.

Es war ein kleines, überfülltes Café mit Bänken an denWänden. Das dämmrige Licht kam von einer nackten Bir-ne, die über einem kupfernen Teekessel auf einem Regal inder Ecke hing. Alle Männer trugen weiße Turbane undblickten neugierig auf, als Dyar hereinkam; dann machtensie ihm Platz am Ende einer Bank, neben den Trommlern,die im Kreis am Boden hockten. Hier war es wirklich sehrdunkel, und er hatte das Gefühl, daß sich ganz in seinerNähe, fast zu seinen Füßen, etwas abspielte, das er nicht er-klären konnte. Die Männer starrten durch den Rauch auf

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eine formlose Masse am Boden, die bebte, zuckte undzitterte. Obwohl der Raum von Trommelschlägen wi-derhallte, war es doch, als sei die Luft von einer anderenArt von Stille erfüllt, einer gebieterischen Stille, die vonden Augen der Zuschauer auf den Gegenstand am Bodenübersprang. Als seine eigenen Augen sich an das diffuseLicht gewöhnt hatten, sah Dyar, daß es ein Mann war, des-sen Hände fest hinter dem Rücken verschränkt waren, alsseien sie gefesselt. Bis zu diesem Augenblick hatte er sichauf dem Boden gewälzt und gekrümmt, aber nun erhob ersich langsam auf die Knie, drehte den Kopf verzweifeltvon einer Seite zur anderen, und in seinem zerquälten Ge-sicht zeichnete sich äußerster Schmerz ab. Selbst als er fünfMinuten später endlich auf den Beinen stand, behielt erdie Arme auf dem Rücken, und die Zuckungen, die sei-nen Körper immer noch in völliger Übereinstimmung mitder zunehmenden Hysterie der Trommeln und der lei-sen, schrillen Stimme der Flöte hin- und herwarfen, schie-nen einem geheimen Zentrum in seinem Innersten zuentspringen. Dyar beobachtete ihn teilnahmslos. Er wardurch die Reihen der Männer, die in seiner Nähe standenund das Schauspiel betrachteten, und von ständig Neu-hinzukommenden vollkommen verdeckt. Von der Tür auskonnte man ihn nicht sehen, und dieses Wissen verschaffteihm im Augenblick Erleichterung. Jemand reichte ihm einGlas Tee vom anderen Ende des langen Tisches. Als er esan die Lippen hob, klärten die heißen Pfefferminzdämpfeseinen Kopf, und er bemerkte einen anderen Geruch inder Luft, einen würzigen, harzigen Duft, der aus einemKohlenbecken hinter einem der Trommler kam und alsschwere süßliche Rauchwolke ununterbrochen empor-stieg. Der Mann hatte zu rufen begonnen, erst leise, dannwild, und seine Schreie wurden durch rhythmische Rufe

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der Trommler beantwortet: »Al-lah!« Dyar warf ver-stohlene Blicke auf die Gesichter der Zuschauer, die umihn herum saßen. Er sah überall den gleichen Ausdruck:völlige Versunkenheit in den Tanz, fast Bewunderung fürden Mann, der ihn vorführte. Eine brennende Kif-Pfeifewurde ihm zugeschoben. Er nahm sie und rauchte, ohnehinzusehen, von wem sie kam. Sein Herz, das noch bei sei-nem Eintritt wild geschlagen hatte, hörte auf zu hämmern;er fühlte sich jetzt viel ruhiger.

Nach einem Tag, den er hauptsächlich der Betrachtungjenes fernen und unwirklichen Ortes gewidmet hatte, dersein Innerstes war, fiel es ihm nicht schwer, jetzt die Rea-lität dessen, was er sah, einfach zu negieren. Er saß da undschaute zu, zufrieden in der Gewißheit, daß das, was sichvor seinen Augen abspielte, nicht in der Welt stattfand,die tatsächlich existierte. Es lag zu weit außerhalb allesMöglichen. Die Kif-Pfeife wurde mehrmals frisch für ihngefüllt, und der Rauch, der ihm in den Kopf stieg, halfihm, sitzen zu bleiben und etwas anzusehen, das er nichtglaubte.

Wenn Dyar sich auf das verließ, was ihm seine Augenzeigten, so bewegte der Mann nun endlich seine Hände,griff in sein Gewand und zog ein langes Messer hervor, mitdem er wild herumfuchtelte. Es schimmerte schwach imtrüben Licht. Ohne hinzusehen, warf einer der Trommlereine Handvoll Pulver über seine Schulter und trommelteweiter, wobei er nicht eine Sekunde aus dem komplizier-ten Rhythmus geriet: Aus dem Räucherbecken stieg jetztder Rauch in dickeren Schwaden empor. Die gesungenenStrophen waren ein Wechselgesang, bei dem das »Al-lah!«wie ein glühender Stein von einem Ende des Kreiseszum anderen geworfen wurde. Gleichzeitig schien es, alstürme sich die Musik zu zwei hohen Mauern, zwischen

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denen der Tänzer sich drehte, hin und her sprang, und mitdem Kopf gegen ihre unsichtbaren Flächen anrannte, imaussichtslosen Bemühen zu entfliehen.

Der Mann erhob den nackten Arm. Die Klinge blitzteauf, fuhr bei einem bestimmten, akzentuierten Schlag desTrommelrhythmus hinein. Und noch einmal. Und wiederund wieder, bis Arm und Hand schwarz und glänzendwaren. Dann wurde der andere Arm aufgeschlitzt, wäh-rend sich die Körper der immer schneller werdendenTrommler näher zum Mittelpunkt des Kreises vorneig-ten. Beim plötzlichen Aufflammen eines Streichholzes inseiner Nähe sah Dyar, wie sich das glänzende Schwarz derArme und Hände kurz in Rot verwandelte, als habe derMann seine Arme in hellrote Farbe getaucht; er sah auchdas ekstatische Gesicht, als sich ein Arm zum Mund hobund die Zunge im Takt der Musik eilig das Blut aufleckte.Gleichzeitig mit dem verkürzten Rhythmus war die Mu-sik zu einem gewaltigen Keuchen geworden. Sie hatte jedekleinste Synkope beibehalten, selbst bei ihrem jetzt ra-senden Tempo, und dadurch den gewöhnlichen Zeitbe-griff des Zuhörers zunichte gemacht und ihn gezwun-gen, den willkürlichen, den sie an dessen Stelle gesetzt hat-te, zu akzeptieren. Mit diesem hypnotischen Kunstgriffhatte sie ihn völlig in der Gewalt. Was den Tänzer betraf,so war es schwer zu sagen, ob die Musik ihn oder er dieMusik beherrschte. Jetzt beugte er sich vor und fing miteiner weit ausholenden Armbewegung an, auf seine Bei-ne einzuhacken; die Musik schwoll als Begleitung dazumächtig an.

Dyar saß da und atmete kaum. Man konnte nicht sa-gen, daß er zusah, denn in Gedanken war er nicht mehrZuschauer, sondern nahm auf irgendeine Weise an demGeschehen teil. Bei jeder Bewegung, die der Mann mach-

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te, verspürte er das Verlangen, in einen mitfühlendenTriumphschrei auszubrechen. Die Verstümmelung wurdefür ihn vollbracht, an ihm; es war sein eigenes Blut, das aufdie Trommeln spritzte und den Boden schlüpfrig machte.Einer Welt, die noch nicht durch die Entdeckung des Den-kens getrübt war, entsprang diese Gewißheit, so stark wieein Fels und so wirklich wie das Schlagen seines Herzens,die Gewißheit, daß der Mann tanzte, um alle, die zusahen,zu erlösen und zu läutern. Als sich der Tänzer mit einemverzweifelten Schrei zu Boden warf, wußte Dyar, daß es inWirklichkeit ein Siegesschrei war, daß der Geist trium-phierte. Der Ausdruck von Befriedigung auf den Gesich-tern ringsum bestätigte es ihm. Die Musiker zögerteneinen Augenblick, fingen dann aber auf ein Zeichen derMänner, die sich teilnehmend über den zuckenden Körperbeugten, wieder an, das gleiche Stück zu spielen, langsamwie am Anfang. Dyar saß vollkommen still, ohne zu den-ken, ganz den ungewohnten Gefühlen hingegeben, die inihm ausgelöst worden waren. Die Unterhaltung hatte wie-der begonnen; da niemand ihm eine Pfeife reichte, nahm erThamis Pfeife und rauchte sie. Der Tänzer erhob sich baldvom Boden, wo er gelegen hatte, stand etwas unsicher aufund ging zu jedem einzelnen Musiker, nahm seinen Kopfzwischen die Hände, von denen immer noch das Bluttropfte, und drückte ihm einen feierlichen Kuß auf dieStirn. Dann bahnte er sich einen Weg durch die Menge, be-zahlte seinen Tee und ging.

Dyar blieb noch einige Minuten, um dann, nachdem erden Rest seines längst erkalteten Tees ausgetrunken unddem qauoji die Peseta, die er kostete, gegeben hatte, lang-sam die Treppe hinunterzugehen. Vor der Tür zögerteer; es schien ihm, als fasse er einen schwerwiegendenEntschluß, indem er es wagte, wieder auf die Straße zu ge-

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hen. Aber was immer ihn dort draußen auch erwartete, ermußte ihm ins Auge sehen; und es konnte ebensogut jetztals einige Minuten oder Stunden später geschehen. Er öff-nete die Tür. Die überdachte Straße war schwarz und men-schenleer, aber hinter dem letzten Bogen, der ins Freieführte, leuchteten die vom Mondlicht übergossenen Mau-ern und Pflastersteine. Er ging auf eine weite Plaza hinaus,die von einem Minarett beherrscht wurde, und empfandnur flüchtige Überraschung, als er feststellte, daß er kei-nerlei Angst mehr hatte. Er war in der letzten Stunde, dieer im Café verbracht hatte, davon erlöst worden; wie,würde er nie begreifen, und es interessierte ihn auch nicht.Aber jetzt konnte er jeder Situation, der er begegnenwürde, entgegentreten. Diese vertrauensvolle Stimmungwurde noch durch mehrere Kif-Pfeifen erhöht, die er nachund nach auf dem Brunnenrand mitten auf der Plazarauchte.

Einige Meter weiter, in einem Café, das an derselbenPlaza lag, lamentierte Thami gerade, daß er seine Pfeifeund das Mottoni im Haus liegengelassen hatte. Er mußtedie Großzügigkeit des qaoujis in Anspruch nehmen, unddas war ihm peinlich. Beladen mit Paketen, hatte er ver-ständlicherweise wenig Lust, den Berg zu besteigen, au-ßerdem hatte er üppig gegessen. Er hätte sehr gern eineFlasche guten Terry-Kognak gekauft, um sie heute abendzu trinken, aber es hatte sich herausgestellt, daß sein Geldfür solchen Luxus nicht ausreichte. Statt dessen hatte ereine große Menge majoun erworben und gleichzeitig festbeschlossen, seine fünftausend Peseten zu verlangen, so-bald er oben im Haus war. Auf das Extrageld, das ihm ver-sprochen worden war, wollte er warten, aber nicht aufdiese zuerst vereinbarte Bezahlung. Er wußte, daß Dyarnicht gewillt sein würde, es ihm zu geben, aber schließlich

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hatte er ihn in der Hand: Er würde einfach drohen, mor-gen wegzugehen. Das würde ihn umstimmen.

Dyar saß da und beobachtete das helle Mondlicht, dasden weißen Boden der Plaza überflutete, und seine Ge-danken wurden klar und hart wie die Gegenstände und dieSchatten, die ihn umgaben. (Mittags hatte das Kif eine lö-sende Wirkung auf ihn ausgeübt, seine Gedanken weichund fließend gemacht, so daß sie ihn überschwemmten, aberjetzt fühlte er sich gestrafft, wach und mit der Welt im Ein-klang.) Nachdem die Lage infolge der Unmöglichkeit, seineBanknoten in Agla zu wechseln, schlimmer war, als er ge-dacht hatte, blieb ihm nichts anderes übrig, als etwas Geldzu opfern, um diese Lage zu verbessern. Es bedeutete, daßer Thami ins Vertrauen ziehen mußte, aber das war einfach,und wenn er ihm suggerieren konnte, daß ein Mensch, dersich einmal zum Komplizen hergegeben hat, genauso schul-dig ist wie sein Gefährte, war das Risiko, das er einging,nicht allzu groß. Die Tatsache, daß er die Angst, die ihn ausdem Haus und während des ganzen Tages auf dem Berg her-umgetrieben hatte, bereits als kindisch und neurotisch ver-worfen hatte, erschien ihm weder verdächtig noch beson-derer Beachtung wert. Das Wichtigste war seiner Meinungnach, über die Grenze nach Französisch-Marokko zu ent-kommen, denn diese Zone war um ein Vielfaches größer alsdie spanische, und dort würde er weniger Verdacht erregen(denn man konnte ihn notfalls für einen Franzosen, aberniemals für einen Spanier halten), und die dortige Polizeipaßte weniger auf Fremde auf. Doch zuerst mußten sie dieBanknoten wechseln. Da er das Bedürfnis hatte, sich wäh-rend seiner Überlegungen zu bewegen, stand er auf, über-querte die Plaza und ging auf die Seite, die im Schatten lagund wo kleine Bäume den Gehsteig säumten. Ohne daraufzu achten, wohin er ging, bog er in eine Nebenstraße ein.

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Er wollte Thami die ganze nächste Woche täglich nachAgla hinunterschicken, um Vorräte einzukaufen und ihmjedesmal einen Tausendpesetenschein für diese Besorgun-gen mitgeben. Er war überzeugt, daß Thami wechselnkonnte. Auf diese Weise würden sie am Ende der Wochewenigstens genug haben, um nach Süden aufzubrechen.Außerdem wollte er Thami täglich fünfhundert Pesetengeben, bis sie die Grenze überschritten hatten, und ihmeine Sonderprämie von fünftausend versprechen, sobaldsie auf französischem Territorium waren, und hundert Pe-seten für jeden Tausender, den Thami dort in Francs um-wechseln konnte. Angenommen, er könnte alles umwech-seln, so würde ihn dieser Plan über zweitausend Dollarkosten, aber das wäre ein geringer Preis dafür, daß er in Si-cherheit war.

Stimmen, in wütendem Streit erhoben, kamen auf ihnzu. Obwohl die Plaza hier draußen verlassen war, schliefdie Stadt noch keineswegs. An einer Straßenbiegung kamer auf einen kleinen Platz, der im Dunkeln lag, weil ervon einer Pergola mit wildem Wein überdacht war. EineGruppe aufgeregter Männer umstand zwei kleine Jungen,die anscheinend gerauft hatten; zuerst waren sie nur Zu-schauer gewesen, dann aber hatten sie sich, wie nichtanders zu erwarten, mit der ganzen Leidenschaft dereigentlich Beteiligten in die Auseinandersetzung gestürzt.Die Rechtecke gelben Lichtes, die auf das Pflaster fielen,kamen aus den Läden, die noch geöffnet hatten; im Ge-gensatz dazu ergoß sich das Mondlicht als blaue Pfützenin die Ecken. Dyar hielt nicht an, um den Streit zu beob-achten: Der Gang durch die weißen Straßen im scharfenLicht des Mondes war dem Pläneschmieden äußerst zu-träglich. Die Aufregung war derart groß, daß niemand ihnbemerkte, als er über den schattigen Platz ging. Die Läden,

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die in der Hauptsache Schneidern und Schreinern zugehören schienen, waren im Augenblick leer, da ihre Inha-ber sie bei den ersten Anzeichen des Disputs auf der Straßeverlassen hatten. Die Straße krümmte sich ein wenig; hierwar noch ein offener Laden und dann nichts als Mond-licht. Es war eine Schreinerwerkstatt. Der Mann hatte imEingang der Werkstatt gearbeitet und eine hohe hölzerneTruhe, die wie der Rumpf eines Dampfers aussah, ange-fertigt. Der Hammer lag dort, wo er ihn liegengelassenhatte. Dyar betrachtete ihn, ohne ihn zu sehen; dann blick-te er genauer hin und suchte unwillkürlich nach Nägeln.Auch sie waren da, etwas lang, aber gerade und neu, lagensie auf einem kleinen viereckigen Hocker in der Nähe. Erstals er wieder an der streitenden Gruppe vorbei und so weitgegangen war, daß er die heiseren Schreie nicht mehrhören konnte, den Hammer und einen langen Nagel in derJackentasche, erkannte er, daß er trotz aller Gedankenar-beit, die er beim Rauchen auf dem Brunnenrand gehabthatte, unglaublich dumm gewesen war. Wozu brauchte erden Hammer und den Nagel? Um die Tür zu reparieren.Welche Tür? Die Tür zur Hütte, die klappernde Tür, dieihn beim Schlafen störte. Und wo war die Hütte, wie kamer dorthin?

Er blieb stehen, mehr entsetzt über diese Erkenntnis,was für ein unglaublicher Lapsus ihm in seinen Gedan-kengängen passiert war, als über die Tatsache, daß er dasHaus nicht erreichen konnte, daß er keinen Platz zumSchlafen hatte. Dieses Kif ist ein gefährliches Zeug, dachteer und begann langsam weiterzugehen.

Auf der verlassenen Plaza setzte er sich nochmals aufden Brunnenrand und zog die Pfeife heraus. Gefährlichoder nicht, so machte sie doch, wie der Alkohol, wenig-stens den Augenblick erträglich. Während er rauchte, sah

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er eine Gestalt, die aus den Schatten auf der dunklen Seiteder Plaza auftauchte und auf ihn zukam. Als sie nochziemlich weit entfernt war, aber nah genug, daß er sie alseinen Mann, der einen großen Korb trug, erkannte, sagtesie: »Salam.« Dyar knurrte.

»Andek es sebsi?«Er sah ungläubig auf. Es war unmöglich. Das Zeug war

gefährlich, daher rührte er sich nicht, sondern wartete.Der Mann kam näher, stieß einen Schrei aus. Da sprang

Dyar auf. »Du Mistkerl!« rief er, lachte vor Freude undschlug Thami mehrmals auf die Schulter.

Auch Thami war entzückt. Dyar hatte gegessen undwar guter Laune. Die Rückkehr in ein Haus, dessen Be-wohner ihn mit wütenden Vorwürfen überschütten würde,brauchte er nicht mehr zu fürchten. Er konnte das Geld-thema anschneiden. Und da war auch seine Kif-Pfeife, de-ren Abwesenheit er vorhin so bedauert hatte, hier, in DyarsHand. Aber die offene Plaza machte ihn nervös.

»Du wirst Unannehmlichkeiten bekommen«, sagte er.»Ich hab’ dir gesagt, du sollst nicht kommen. Wenn dichein moqaddem sieht, ›Oiga, señor, kommen Sie mit zurcomisaría, wir wollen deine Papiere sehen, mein Freund.‹Los, komm.«

Als sie die Stadt hinter sich gelassen hatten und zwi-schen den Oliven gingen, leuchtete das Mondlicht sehrstark. Halbwegs auf dem Berg zwischen den zackigen Fel-sen setzten sie sich, und Thami zog das majoun aus derTasche.

»Weißt du, was das ist?« fragte er.»Sicher. Ich hab’ es schon mal probiert.«»Das macht dich für die nächste Stunde noch nicht

betrunken. Vielleicht auch länger. Wenn wir im Haus sind,mache ich Tee. Dann merkst du’s erst.«

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»Ich kenne es. Ich hab’ dir ja gesagt, daß ich es schon ge-nommen habe.«

Thami sah ihn ungläubig an, teilte das majoun in zweiungleiche Stücke und gab Dyar das größere.

»Es ist weich«, bemerkte Dyar überrascht. »Die Sorte,die ich kenne, war hart.«

»Das ist einerlei«, sagte Thami gleichgültig. »Diesesist besser.« Dyar stimmte ihm zu, nachdem er den Ge-schmack gekostet hatte. Sie saßen da und aßen schwei-gend. Jeder von ihnen wußte auf seine Weise, daß er sichdurch den Genuß der magischen Substanz unwiderruflicheiner unbekannten Macht auslieferte, die für die nächstenStunden Gewalt über sein Leben haben würde. Sie spra-chen nicht, sondern saßen da und lauschten dem Wasser,das in den Abgrund von Mondlicht und Schatten zu ihrenFüßen hinabströmte.

25

»Wieder daheim!« sagte Dyar fröhlich, als er das Hausbetrat und von dem dumpfen Modergeruch empfangenwurde, von dem er sich vor so vielen Stunden verabschie-det hatte. »Machen wir ein Feuer, ehe wir völlig weggetre-ten sind.« Er warf die Aktentasche in eine Ecke und warfroh, sie los zu sein.

Thami schloß die Tür, versperrte sie und starrte ihn ver-ständnislos an. »Du bist schon m’hashish«, sagte er. »Ichbrauche dich nur anzuschauen. Wovon redest du?«

»Das Feuer. Das Feuer. Besorg uns etwas Holz. Rasch!«»Holz gibt’s genug«, sagte Thami gleichgültig und deu-

tete auf den Hof, in dem Kisten herumlagen. Dyar ginghinaus und fing an, sie mitten ins Zimmer zu werfen.

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»Mach sie klein!« schrie er. »Hack sie in Stücke! Es wirdhier verdammt kalt ohne Decken. Wir müssen das Feuerso lange wie möglich in Gang halten.«

Thami gehorchte und wunderte sich über die erstaun-liche Veränderung, die das bißchen majoun bei einemChristen bewirkte. Er hatte Dyar noch nie so guter Launegesehen. Als er einen riesigen Haufen Bretter zusammenhatte, schob er ihn beiseite und breitete die beiden Mattenvor dem Kamin aus. Dann ging er in die Küche und be-schäftigte sich damit, in einem flachen Becken aus Ton einHolzkohlenfeuer für den Tee anzuzünden.

»Ah!« hörte er Dyar triumphierend vom Hof her rufen.»Genau, was wir brauchen!« Er hatte in einer Ecke meh-rere kleine Holzscheite entdeckt, die er hereinbrachte undneben den Kamin warf. Dann ging er zu Thami in dieKüche. »Gib mir ein Streichholz«, sagte er. »Meine Kerzeist ausgegangen.« Thami hockte vor dem Kohlenbeckenund sah lächelnd zu ihm auf. »Wie fühlst du dich jetzt?«fragte er.

»Glänzend. Warum? Und du?«Thami reichte ihm seine Streichholzschachtel. »Mir

geht’s gut«, antwortete er. Er war sich nicht ganz im kla-ren, wie er anfangen sollte. Vielleicht war es besser, zuwarten, bis sie vor dem Feuer lagen. Andererseits konnteDyars Stimmung bis dahin gewechselt haben. »Ich hätteheute abend gerne eine große Flasche Kognak gekauft.« Ermachte eine Pause.

»Na, und warum hast du’s nicht getan? Ich könnte jetztgerade einen Schluck vertragen.«

Thami rieb bedeutungsvoll Daumen und Zeigefingeraneinander.

»Oh«, sagte Dyar ernüchtert. »Verstehe.« Er ging wie-der in das andere Zimmer zurück, stopfte Papier in den

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Kamin, warf etwas Kistenholz darauf und zündete allesan. Dann ging er in die dunkelste Ecke des Raumes undzog fünf Geldscheine aus seinem Hemd hervor, wobei erdie Tür zum Hof dauernd im Auge behielt. »Das wirdihm beweisen, daß ich ein faires Spiel mit ihm spiele«,dachte er bei sich. Er ging in die Küche zurück, gabThami das Geld und sagte: »Hier.«

»Danke«, sagte Thami. Er stand auf und klopfte ihmdreimal leicht auf den Rücken.

»Wenn du reinkommst, sprechen wir über den Rest.«Er ging in den Hof hinaus und betrachtete die gewaltigeKugel des Vollmondes; noch nie hatte er ihn so nah undso leuchtend gesehen. Über ihm schrie ein Nachtvogelkurz auf, ein seltsamer Laut, der ihn frösteln ließ undanders war als alles, was er je gehört hatte. Er stand da,und der Laut hallte in seinem Kopf wider wie eine langeKette von inneren Echos, die sich als unsichtbare Leiterquer über den schwarzen Himmel legten. Das Knisterndes Feuers drinnen im Raum schreckte ihn auf. Er ginghinein und legte ein Scheit nach. Er kauerte sich vor dasFeuer und folgte mit den Augen dem Flackern der Flam-men. Der Kamin zog gut; der Rauch kam nicht ins Zim-mer.

Sie setzten die Füße vorsichtig auf die grauen Stein-platten, die quer durch den Garten über das Gras führten,und einmal mußten sie auf den nassen Rasen treten, umdem Schlauch mit dem Sprenger auszuweichen. Er dreh-te sich ungleichmäßig um sich selbst. Mrs. Shields hattedie Jalousien im großen Zimmer herabgelassen, denn dieSonne schien herein und bleichte die Vorhänge, wie siesagte. Sobald die Fenster geschlossen waren, konnte dasGewitter kommen, wann es wollte; den ganzen Nachmit-tag über hatte es am Himmel gedroht. Jenseits des Flusses

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sah es sehr schwarz aus. Wahrscheinlich regnete es dortschon, aber der Donner war noch weit weg. Hinten im Tal,nahe dem Bergeinschnitt, grollte es. Dort oben war dasLand wild, und die Menschen waren nicht so freundlichwie hier, wo das Land gut war. Der Gartenschlauch hatteMrs. Shields’ Kleid bespritzt. Was für ein Jammer, dachteer und betrachtete aufmerksam das Paisleymuster.

Er wollte nicht im Haus bleiben, wenn sie fortgingen.Es war unerträglich in den Zimmern, in denen die Luftnoch von ihrem eiligen Hin und Her bewegt war, der Sitzeines Stuhles, in dem einer von ihnen gesessen hatte, nochetwas wärmer war als die anderen, von einer greifbarenWärme, die anhielt, als sie schon fort waren, wo eine Vor-hangschnur immer noch kaum merklich hin- und her-schwang. Es war besser, im Garten zu bleiben, sich dortvon ihnen zu verabschieden und zu warten, bis das Hausvöllig tot war, ehe er wieder hineinging. Und der Sturmwürde entweder losbrechen oder bis zum Abend über derLandschaft grollen. Die Trauben werden reif, sagte sie, alssie unter den Spalieren hindurchgingen. Und die Segel-boote kehren in den Hafen zurück. Er lehnte sich gegeneinen Kirschbaum und beobachtete die Ameisen, die aufder rissigen braunen Rinde, sehr nahe an seinem Gesicht,am Stamm auf- und abliefen. Dieser Sommer fand in einerverlassenen Gegend statt, und alle Wege dorthin warenabgeschnitten.

Thami kam mit dem brennenden Kohlenbecken herein.Er stellte es mitten ins Zimmer und ging wieder, um denTeetopf und die Gläser zu holen. Während er wartete, bisdas Wasser kochte, und von Zeit zu Zeit auf die glühen-den Kohlen blies, erzählte ihm Dyar von seinen Plänen.Doch als er ihm die Höhe der Summe, die er bei sich hatte,nennen sollte, brachte er es nicht fertig. Thami hörte ihm

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zu, und als Dyar geendet hatte, schüttelte er bedenklichden Kopf. »Peseten sind in der französischen Zone nichtgültig«, sagte er. »Du kannst sie dort nicht wechseln. Dumüßtest sie zu den Juden bringen.«

»Schön, dann bringen wir sie eben zu den Juden. War-um nicht?«

Thami sah ihn mitleidig an. »Den Juden?« rief er.»Die werden dir überhaupt nichts dafür geben. Die ge-ben dir fünf Francs für die Pesete. Vielleicht sechs.« Dyarwußte, daß der Kurs etwas über acht war. Er seufzte. »Ichweiß nicht. Wir müssen abwarten.« Aber insgeheim warer entschlossen, es so zu machen, selbst wenn er nur fünfbekam.

Thami goß den heißen Tee in die Gläser. »Keine Minzediesmal«, sagte er.

»Macht nichts. Die Hitze ist das Wichtigste.«»Ja.« Er blies die Kerze aus, und sie saßen im Licht

der Flammen. Dyar rutschte zurück und lehnte sich andie Wand, aber Thami protestierte sofort. »Du wirst krankwerden«, erklärte er. »Diese Wand ist feucht. Gesternnacht habe ich mein Bett fortgerückt, so feucht war esdort.«

»Ah.« Dyar setzte sich auf, verschränkte die Beine undfuhr fort, Tee zu trinken. Sollte die Hand auf der Aktenta-sche endgültig eine Erklärung gefunden haben? Warumnicht, fragte er sich. Glauben oder zweifeln ist nur eineFrage des Glauben- oder Zweifelnwollens; im Momentwollte er lieber glauben, denn es paßte zu seiner Stim-mung.

»Also, du hältst zu mir?« fragte er.»Was?«»Wir bleiben eine Woche, und du wechselst täglich tau-

send Peseten?«

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»Wie du willst«, sagte Thami und griff nach Dyars Glas,um ihm Tee nachzuschenken.

Die Atmosphäre im Raum war mit einem Mal ange-spannt und lauernd. Dyar erinnerte sich des Gefühls, daser in der Nacht in der Villa Hesperides gehabt hatte. Trotz-dem war es nicht das gleiche, denn er selbst fühlte sichvöllig anders. Draußen schrie wieder der Vogel. Thami sahüberrascht auf. »Ich weiß nicht, wie man diesen Vogel aufenglisch nennt. Wir nennen ihn youca.«

Dyar schloß die Augen. Ein furchtbarer Motor dröhnteplötzlich in seinem Hinterkopf. Es schmerzte nicht, aberes machte ihm Angst. Mit geschlossenen Augen glaubte erauf dem Rücken zu liegen und die Decke sehen zu können,wenn er sie öffnete. Aber es war nicht nötig, die Augen zuöffnen – er konnte sie ohnehin sehen, denn seine Liderwaren transparent geworden. Die Decke war eine riesigeProjektionswand, auf die Bilder geworfen wurden – win-zige Schwärme farbiger Glasperlen formierten sich folg-sam zu Mustern, die ineinanderflossen und sich wiederauflösten und Mosaike bildeten, die sofort wieder ver-schwanden. Federn, Schneekristalle, Spitzen und Kirchen-fenster drängten sich hintereinander auf der Leinwand,und das projizierende Licht nahm immer mehr an Stärkezu. Gleich würden die Ränder der Projektionswand bren-nen und das Feuer rechts und links um seinen Kopf zün-geln. »Hilfe, ich werde noch blind«, sagte er plötzlich.Dann schlug er die Augen auf und merkte, daß er garnichts gesagt hatte.

»Weißt du, wie sie aussehen?« fragte Thami.»Wie was aussehen?«»Youcas.«»Ich weiß gar nichts. Ich weiß nicht, wovon du

sprichst!«

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Thami sah ihn bekümmert an. »Du bist voller Ha-schisch, mein Freund. Haschisch bezef!«

Jedesmal, wenn Thami etwas zu ihm sagte, hob er denKopf, schüttelte ihn leicht, öffnete die Augen und gab einesinnlose Antwort. Thami fing an zu singen, seine Stimmeklang leise und weit entfernt. Ein Klang, auf dem man ge-hen konnte, ein weicher Teppich, der sich über die flacheblendende Wüste breitete. Ijbed selkha men rasou… Aberer kam an die Steinmauer eines leeren Hauses neben einemBerg. Dahinter wütete das Feuer, stumm und wild, die Türstand offen, und drinnen war es dunkel. Spinnweben hin-gen an den Wänden, Soldaten waren dort gewesen, undseidene Damenwäsche lag in den leeren Räumen verstreut.Er wußte, daß an einem bestimmten Tag, zu einer be-stimmten Minute, das Haus einstürzen und nichts übrig-bleiben würde als Staub und Trümmer, die nicht von demGeröll am Fuß der Klippen zu unterscheiden waren. DerEinsturz des Hauses würde sich vollkommen lautlos voll-ziehen, wie in einem Film, der weiterlief, nachdem dasTonband gerissen war. Bache idaoui sebbatou… Auch derTeppich hatte Feuer gefangen. Jemand würde ihm dieSchuld daran geben.

»Ich denke gar nicht daran, dafür zu bezahlen«, sagteer. Regelmäßige Arbeitszeiten, immer Vorgesetzte, die Be-fehle erteilen, keine Sicherheit, keine Freiheit, keine Frei-heit, keine Freiheit.

Thami sagte: »Hak. Trink deinen Tee.«Dyar streckte die Hand aus und schwamm gegen den

Strom zu dem hingehaltenen Glas, in dem sich das Feuerspiegelte. »Ich hab’s. Muchas gracias, amigo.« Er schwiegund schien zu lauschen, dann stellte er das Glas mit über-triebener Vorsicht neben sich. »Ich stelle es hier hin, weiles heiß ist, verstehst du?« Aber Thami beachtete ihn nicht;

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er war bereits wieder in seinen eigenen Vergnügungspavil-lons, schaute auf Kilometer grünender Gärten hinab, unddas Wasser plätscherte in klaren blauglasierten Kanälen.Chta! Chta! Sebbatou aând al qadi!

»Thami, ich bin in einer anderen Welt. Verstehst du?Kannst du mich hören?«

Thami, der sich mit geschlossenen Augen beim Singenhin- und herwiegte, gab keine Antwort. Die Aussicht voneinem Turm weitete sich, das Wasser sprudelte auf allenSeiten aus dem Boden. Er hatte dies alles vor vielen Jahrenso angeordnet. (Die Nacht ist eine Frau in einem flam-menden Sternenkleid…) Ya Leïla, lia…

»Ich kann dich hier sitzen sehen«, beharrte Dyar, »aberich bin in einer anderen Welt.« Er lachte leise vor Ent-zücken.

»Ich weiß nicht«, sagte er nachdenklich. »Manchmaldenke ich umgekehrt. Ich denke…« Er sprach langsamer.»Wir… sollten lieber… ich denke… wenn man durch-kommt… wenn man durchkommt… Warum kommt kei-ner durch?« Hier wurde seine Stimme so laut und scharf,daß Thami die Augen öffnete und zu singen aufhörte.

»Chkoun entina?« sagte er. »Mein Freund, ich bin ge-nauso m’hashish wie du.«

»Du kommst an, du driftest wieder weg, du kommst andiesen verrückten Ort! Oh, mein Gott!« Er sprach sehrschnell, bekam einen kurzen Lachkrampf, dann faßte ersich wieder. »Ich habe keinen Grund zum Lachen. Es istgar nicht komisch.« Mit einem Freudenschrei wälzte ersich am Boden und gab sich einem langen Heiterkeitsaus-bruch hin. Thami lauschte reglos.

Das Gelächter brach ebenso plötzlich wieder ab, wie esbegonnen hatte; er lag ganz ruhig da. Die dünne Stimmedes anderen erhob sich wieder: »Ijbed selkha men ra-

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sou…« tönte es fort und fort. Hin und wieder zucktedas Feuer, wenn eines der Scheite zusammenfiel. Der ge-ringste Laut durchschnitt scharf wie eine Rasierklingedas Gehäuse der undurchdringlichen Stille. Er versuchte,nicht zu atmen, er wollte vollkommen bewegungslos sein,denn er hatte das Gefühl, die Luft, die sich wie eine zweiteHaut um seinen Körper schmiegte, sei eine gelatineartigeSubstanz, die so modelliert war, daß sie sich den Umrissenseiner Person genau anpaßte. Wenn er sich nur ein bißchenbewegte, würde er ihr Gewicht spüren, und das wäreunerträglich. Das monströse Anschwellen und Abschwel-len seines Körpers bei jedem Atemzug war eine ernsteGefahr. Aber auch diese Welle brach sich und verebbte,und einen Augenblick lang war er gestrandet in einerLandschaft voll flüssigen glasigen Lichtes, goldgrün undschimmernd. Glänzend, dick und ölig, dann wieder eiligfließend wie brennendes Wasser. Schau! Schau! Trink mitdeinen Augen. Es ist das einzige Wasser, das du jemalssehen wirst. Bald wird eine neue Welle heranrollen; sienahmen jetzt zu.

Ya Leïla, lia… Einen Augenblick lang war er völlig beiBesinnung. Er lag gemütlich da, lauschte der langen, me-lancholischen Liedstrophe und dachte: »Wie lange ist esher, daß ich gelacht habe?« Vielleicht war die ganze Nachtseither vergangen, und die Wirkung war bereits vorbei.

»Thami?« sagte er. Dann wurde ihm klar, daß es fast un-möglich gewesen war, dieses Wort hervorzubringen, weilsein Mund aus Pappe war. Er schnappte nach Luft unddachte daran, sich zu bewegen. (Ich darf nicht vergessen,mich daran zu erinnern, daß ich meine linke Hand bewege,damit ich mich auf den Ellbogen stützen kann. Ich mußetwas weiter zurückrutschen, ehe ich meine Knie hoch-ziehen kann. Aber ich will meine Knie gar nicht bewegen.

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Nur meine Hand. Damit ich mich auf den Ellbogen auf-stützen kann. Wenn ich meine Knie bewege, kann ich michsetzen…

Er setzte sich auf.(Ich sitze.) War es das, was ich wollte? Warum wollte ich

sitzen?Er wartete.(Ich wollte mich nur auf den Ellbogen stützen.) War-

um? (Ich wollte auf der anderen Seite liegen. Es ist be-quemer.)

Er legte sich wieder.(…von den Gestaden der Unendlichkeit sieht Allah mit

goldenen Augen herüber…) Alef leïlat ou leïla, ya leïla lia!Noch ehe der Wind da war, hörte er ihn nahen, hörte,

wie er sich verstohlen oben in den scharfen Felsspitzenherumtrieb, durch die Schluchten rollte, flüsternd über dieKlippen eilte, wie er kam, um das Haus zu umschlingen.Ein Jahr lag er da, tot, seinem Kommen lauschend.

Dann eine Explosion im Zimmer. Thami hatte ein neuesScheit aufs Feuer geworfen. »Muster. Rot, purpurfarben«,sagte Dyar, ohne zu sprechen, und setzte sich wieder auf.Der Raum war eine rote Grotte, ein Theater, ein großerStall, mit einem Balkon, der im Schatten lag. Dort obenwar eine Stadt aus kleinen Zimmern, eine Stadt in einerTasche aus Finsternis, aber in den Mauern befanden sichunsichtbare Fenster, und dahinter schien die Sonne aufeine andere Stadt, die aus Eisblöcken gebaut war.

»Mein Gott, Thami, Wasser!« lallte er. Thami stand überihm.

»Auf Wiedersehen«, sagte Thami. Er setzte sich schwer-fällig nieder, rollte sich zu ihm herüber und sang nicht wei-ter.

»Wasser«, versuchte er noch einmal mit sehr matter

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Stimme zu sagen und bemühte sich zitternd und mitungeheurer Anstrengung aufzustehen. »Lieber Gott, ichmuß Wasser haben«, flüsterte er sich selber zu; Flüsternwar leichter. Da er aus einer Höhe von dreitausend Meternauf seine Füße herabsah, mußte er beim Gehen äußerstvorsichtig sein, aber er stieg über Thami hinweg und er-reichte den Hof und den Wassereimer. Stöhnend vor An-strengung kniete er nieder, steckte sein Gesicht in die Glutdes kalten Wassers und schlürfte es in seine Kehle.

Als er ausgetrunken hatte, erhob er sich, warf den Kopfzurück und betrachtete den Mond. Der Wind war ge-kommen, aber er war auch schon vorher dagewesen. Jetztmußte er wieder ins Zimmer zurück, dann die ganzeStrecke durch das Zimmer bis zur Tür. Aber er durftenicht so schwer atmen. Die Tür öffnen und hinausgehen.Draußen war der kalte Wind, aber er mußte trotzdem ge-hen.

Die Expedition durch das verzauberte Zimmer war einWagnis. Die zerbrechliche Stille dort drinnen durfte nichtzerstört werden. Das Feuer, das sein rotes Licht auf Tha-mis maskenhaftes Gesicht warf, durfte nicht wissen, daß eran ihm vorbeischlich. Bei jedem Schritt hob er die Füßesehr weit vom Boden, wie jemand, der durch eine Wiesemit hohem nassen Gras geht. Er sah die Tür vor sich, aberplötzlich schob sich ein gewundener Gang, aus nackterZeit gebaut, zwischen ihn und die Tür. Es würde endlosdauern, bis er ans Ende gelangte. Und Scharen unsicht-barer Menschen standen Spalier an den Wänden, aberjenseits der Wände wartete ein regloser Chor schweigendund mitleidlos darauf, daß er vorüberging. »Sie warten aufmich«, dachte er. Auf den Wänden seines Bewußtseins,von den Wänden des Ganges nicht zu unterscheiden, stan-den Botschaften in arabischer Schrift. Und die ganze Zeit

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stand die Tür ohne Griff vor seinen Augen und sandte ihreunheilvolle Botschaft aus. Sie war nicht sicher, man konnteihr nicht trauen. Wenn sie sich öffnete, ohne daß er eswollte, ganz von selbst, dann würden alle Schrecken desDaseins über ihn hereinbrechen. Er streckte die Hand ausund berührte den großen kalten Schlüssel. Der Schlüsselerklärte die Schwere in seiner Manteltasche. Er steckte dielinke Hand in die Tasche und fühlte den Hammer sowieKopf und Spitze des Nagels. Diese Arbeit mußte mal erle-digt werden, aber erst später, wenn er wieder zurück war.Er drehte den Schlüssel, öffnete die Tür und spürte, wieder verblüffte Wind in sein Gesicht griff. »Halt dich vonder Klippe fern«, flüsterte er, als er ins Freie trat. Vor ihmzerfloß das formlose Lächeln der Nacht. Der Mond standjetzt weit draußen über den leeren Ebenen. Während eran der Hausmauer sein Bedürfnis verrichtete, hörte er,wie der Wind versuchte, den langgezogenen, monotonenKlang des Wassers unten im Tal zu übertönen. Drinnen,neben dem Feuer, verglühte die Zeit, zerfiel langsam inStücke. Doch selbst am Ende der Nacht wäre noch einglimmender Funke Zeit übrig; von feinem, bitterem Duft,weich anzufassen, würde er aus dem Rückstand der Ascheleuchten, bis er verblaßte und starb, und das Herz der ur-alten Nacht aufhörte zu schlagen.

Er wandte sich zur Tür, mit den kurzen stockendenSchritten eines alten Mannes. Es würde ihn eine entsetzli-che Anstrengung kosten, wieder auf die Matte zurückzu-kommen, aber sein einziger Gedanke in diesem Augen-blick war, niederzusinken und sich flach vor das Feuer zulegen, und deshalb glaubte er, der Anstrengung gewachsenzu sein. Als er die Tür hinter sich schloß, murmelte er ihrzu: »Du weißt, daß ich hier bin? Nicht wahr?« Der Ge-danke war ihm verhaßt, aber dagegen konnte er etwas un-

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ternehmen. Was, hatte er vergessen, doch wußte er, daßdie Lage nicht hoffnungslos war; später könnte er alles inOrdnung bringen.

Thami hatte sich nicht gerührt. Als er aus seiner fernenHöhe auf den entspannten Körper herabsah, überkam ihnein vertrautes Unbehagen, dessen Ursache er aber mitnichts in Zusammenhang bringen konnte. Halb wußte er,daß das, was dort lag, Thami war, Thamis Kopf, Rumpf,Arme und Beine. Halb wußte er, daß es ein nicht zu defi-nierendes Objekt war, unwägbar schwer in seiner Sinnlo-sigkeit, ein enormes, nicht abzuschätzendes Gewicht, dassich durch nichts vermindern ließ. Während er in reglosesNachdenken versunken dastand und das Ding betrachtete,drückte der Wind schwach gegen die Tür und erzeugte einleises Rattern. Aber ließ es sich wirklich nicht verhindern?Wenn man die Luft hereinließe, flüchtete das Gewichtvielleicht von selbst in die Schatten des Raumes und in dieDunkelheit der Nacht. Er sah sich langsam um. Die Türschwieg und starrte bösartig zurück. »Du weißt genau,daß ich hier bin«, dachte er, »aber damit hat es jetzt einEnde.« Er hatte dem Hammer und dem Nagel zum Daseinverholfen, und beide waren hier in seiner Tasche. Als erdaran dachte, wie schwer sie waren, spürte er, wie sich seinKörper zur Seite neigte. Er mußte sein Gewicht verlagern,um die Balance zu halten und nicht von ihrer Schwere her-untergezogen zu werden.

Wieder begann es zu rattern, leichte Klopfgeräuscheschnell hintereinander, wissend und eindringlich. Aber ka-men die Geräusche jetzt nicht von der Matte am Boden?»Wenn sie aufspringt«, dachte er und betrachtete mit star-rem Blick die kompakte, reglose Masse, die im erster-benden Feuerschein vor ihm lag, während sich die Angstin ihm zusammenballte. »Wenn sie aufspringt.« Er hatte

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etwas zu tun, mußte es tun und wußte, was es war, konntesich aber nicht daran erinnern.

Ein Schwall von Worten hatte in ihm zu gären begon-nen, und jetzt sprudelten sie hervor. »Many Mabel damn.Molly Daddy lamb. Lolly dibble up-man. Dolly dibbleDan«, flüsterte er, dann kicherte er. Der Hammer war inseiner rechten Hand, der Nagel in seiner linken. Er beugtesich vor, verlor das Gleichgewicht und fiel schwerfällig mitden Knien auf die Matte, neben die ausgebreitete Tür. Sierührte sich nicht. Der Bergwind rauschte durch seinenKopf, der eine riesige Meermuschel voller Grotten war;ihre unendlich glatten rosa Wände, zart, papierdünn, fin-gen das Licht der glimmenden Scheite auf, während erdurch die Galerien ging. »Melly diddle din«, sagte er ganzlaut und steckte die Spitze des Nagels, so weit er konnte,in Thamis Ohr. Dann hob er den rechten Arm und schlugmit aller Kraft auf den Nagelkopf. Das Ding entspanntesich kaum wahrnehmbar, als hätte jemand gesagt: »Schongut.« Er legte den Hammer hin und tastete über den Na-gelkopf, der auf gleicher Höhe wie das weiche Ohrläpp-chen war. Er hatte zwei kleine Einkerbungen; er fuhr mitdem Daumennagel über die Unebenheiten im Stahl. DerNagel saß so fest, als sei er in eine Kokosnuß geschlagenworden. »Merry Mabel dune.« Die Kinder würden Lärmmachen, wenn sie in der Pause herauskamen. Das Feuerprasselte, es war die gleiche eindringliche Musik, die mannicht zum Schweigen bringen konnte, die gleichen Feuer-werkskörper, die so langsam explodierten. Und der Bo-den war über ihm eingestürzt. Er lag auf seiner verdrehtenHand, er spürte sie, er wollte sich bewegen. »Ich mußdaran denken, daß ich lebe«, sagte er sich. Das war klar,wie ein großer Felsen, der sich aus der strudelnden See er-hebt. »Ich muß daran denken, daß ich lebe.«

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Er wußte nicht, ob er ruhig dalag oder ob seine Händeund Füße schmerzhaft zitterten vor lauter Anstrengung,sich klarzumachen, daß er da war und seine Hand bewe-gen wollte. Er wußte, daß seine Haut empfindlicher warals die einer überreifen Pflaume; wie zart er sie auchberührte, sie würde aufbrechen, und das Klebrige darun-ter würde ihn besudeln. Jemand hatte die Schreibtisch-schublade geschlossen, in der er lag, war fortgegangen undhatte ihn vergessen. Welche Mattigkeit. Welche Langsam-keit. Die Nacht hatte ihre mit Ruhe gefüllten Abteilungen,und es gab Räume in der Zeit, die man aufsuchen, Gesich-ter, die man vergessen, Worte, die man verstehen, undStille, die man studieren mußte.

Das Feuer war erloschen, die unmenschliche Nacht inden Raum eingedrungen. Wieder verlangte ihn nach Was-ser. »Ich bin wieder da«, dachte er; sein Mund, seine Kehleund sein Magen schmerzten vor Durst. »Thami ist zurück-geblieben. Ich bin der einzige Überlebende. So habe ich esgewollt.« Dieser warme, feuchte, gefährliche Brutkastender Gedanken war zerstört. »Gott sei Dank ist er nicht mitmir zurückgekommen«, sagte er sich. »Ich habe nie ge-wollt, daß er weiß, daß ich lebe.« Er sackte wieder weg; dasWasser war zu weit entfernt.

Ein rasendes Licht war ins Zimmer gefallen und tanzteumher. Er setzte sich auf und runzelte die Stirn. DasOhr in dem Kopf, der neben ihm lag. Die kleine Stahl-scheibe mit den unregelmäßigen Vertiefungen. Er hatte ge-wußt, daß sie da sein würde. Er seufzte und kroch auf al-len vieren um die hochgezogenen Beine herum, erreichteden kalten, blendenden Hof und tauchte sein Gesicht inden Eimer. Er war nicht wirklich, aber er wußte, daß erlebte. Als er den Kopf hob, ließ er ihn weit zurück ge-gen die Mauer fallen und blieb lange so sitzen, während

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das Morgenlicht aus den Bergen brutal gegen seine Liderpreßte.

Später erhob er sich, ging ins Zimmer, schleifte Thamian den Beinen durch den Hof in die Küche und schloßdie Tür. Überwältigt von Müdigkeit, legte er sich auf dieMatte und fiel, immer noch zitternd, in einen abgrundtie-fen Schlaf. Mit fortschreitendem Tag nahm der Wind anStärke zu, der blaue Himmel wurde weiß, dann grau. DieTür klapperte unaufhörlich, aber er hörte nichts.

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Es wurde schon lange Zeit gegen die Tür gehämmert, eheer es erfaßte und in einem verzweifelten Versuch, das Be-wußtsein wiederzuerlangen, an den schlüpfrigen Wändendes Schlafbrunnens, auf dessen Grund er lag, emporklet-terte. Als er schließlich die Augen öffnete und ins Zim-mer zurückkehrte, blieb eine seltsame Mattigkeit zurück,auf der er wie auf einem großen, weichen Kissen ruhte;er wollte sich nicht bewegen. Aber die Faust hämmerteunaufhörlich gegen die Tür, hier und da machte sie einePause, so daß es nach der dazwischenliegenden Stille lau-ter als zuvor dröhnte.

Es lagen Kissen unter ihm und Kissen auf ihm; er wolltesich nicht bewegen. Trotzdem rief er: »Wer ist da?«, mehr-mals hintereinander, und es gelang ihm, etwas Kraft inseine widerspenstige Stimme zu legen. Das Klopfen ver-stummte. Wenig später verspürte er eine schwache Neu-gierde und wollte wissen, wer wohl da draußen war. Ersetzte sich hin, dann stand er auf, ging zur Tür und wie-derholte, den Mund an das Holz gelegt: »Wer ist da?«Draußen hörte man nichts als das unregelmäßige Tropfen

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des Wassers, das aus der Dachrinne auf den nackten Bodenfiel. »Es hat also wieder geregnet«, dachte er in blindemÄrger. »Wer ist da?« sagte er noch lauter und erschrakgleichzeitig, als er mit der Hand ins Gesicht fuhr und dendrei Tage alten Bart fühlte.

Er schloß die Tür auf, öffnete sie und sah hinaus. Es warein dunkler Tag, und es war, wie er erwartet hatte, niemandzu sehen. Es interessierte ihn auch kaum mehr, wer ge-klopft hatte. Es war keine Gleichgültigkeit; auch er wuß-te, daß es von lebenswichtiger Bedeutung für ihn war – erwußte, daß er unbedingt erfahren sollte, wer vor einerMinute noch dort draußen gestanden hatte. Aber er warnicht mehr lebendig genug, um überhaupt noch starkeEmpfindungen zu haben; er hatte sich in der vergangenenNacht zu sehr verausgabt. Das Heute war wie ein altertausendmal abgespielter Film – trübe, flackernd, zerkratztund voller Schnitte, mit unveränderlichem Inhalt. Es warschwer, sich darauf zu konzentrieren.

Als er sich umdrehte, um wieder hineinzugehen, denner wollte weiterschlafen, rief eine Stimme: »Hallo!« vomFluß herüber. Und obwohl er kaum etwas erkannte (dasTal war ein trüber grauer Brei), erblickte er einen Mann,der noch vor einer Sekunde dagestanden und sich zumHaus umgeschaut hatte und der nun begann, darauf zuzu-gehen. Dyar rührte sich nicht; er schaute zu; hier und dafühlte er die kalten Tropfen auf dem Kopf, die einzeln undohne Eile vom Himmel fielen.

Der Mann war ein Berber in ländlicher Kleidung. Als ersich dem Haus näherte, verlangsamte er seinen Schritt undsah zum Weg zurück. Dann blieb er ganz stehen und war-tete offensichtlich auf jemanden, der hinter ihm kam. Zwi-schen den Felsen tauchten kurz darauf zwei Gestalten auf,die über den Fluß um die Wegbiegung herauf kletterten.

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Dyar, der in der Tür stehenblieb und diese unerwarteteAnkunft beobachtete, ahnte, daß sie von größter Bedeu-tung für ihn war, brachte aber nicht die Energie auf, Ver-mutungen darüber anzustellen, sondern sah ihnen nur zu.Als die zwei Gestalten die Stelle erreicht hatten, wo dereinzelne Mann stand, hielten sie an und beratschlagten; derBerber deutete mit dem Arm aufs Haus, dann setzte ersich, während die anderen weiter den Weg hinaufkamen.Doch jetzt sah Dyar genauer hin, denn der eine Mann trugeine Uniform mit Reithose und Reitstiefeln, während derandere, der offenbar Hilfe beim Steigen benötigte, einenRegenmantel und einen leuchtend violetten Turban trug.Als die beiden etwa zwischen dem sitzenden Berber unddem Haus waren, erkannte er mit Schrecken, daß diezweite Person eine Frau in Hosen war. Und eine Sekundespäter blieb ihm vor Erstaunen der Mund offenstehen,denn er hatte Daisy erkannt. »Großer Gott!« sagte er ton-los.

Als sie näher kam und sah, wie er sie anstarrte, winktesie ihm zu, sagte aber nichts. Dyar benahm sich wie einkleines Kind, stand da und sah zu, wie sie näher kam, ohneauch nur ihren Gruß zu erwidern.

»Oh!« rief sie aus und keuchte leise, als sie den ebenenVorsprung erreicht hatte, auf dem das Haus stand. Sie gingauf die Tür zu und streckte die Hand aus. Er nahm sie undsah sie immer noch ungläubig an. »Hallo«, sagte er.

»Hör zu! Bitte halte mich nicht für aufdringlich. Wiegeht’s?« Sie ließ seine Hand los und sah ihn durchdringendan; instinktiv fuhr er mit der Hand zum Kinn. »Okay?«Ohne die Antwort abzuwarten, wandte sie sich an denMann in Chauffeurlivree. »Me puedes esperar ahi abajo.«Sie deutete auf den Einheimischen, der unten wartete. DerMann legte gleichmütig die Hand an die Mütze und ging.

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»Oh!« sagte Daisy wieder, sah sich nach einer Sitzgele-genheit um und erblickte nichts als nasse Erde. »Ich mußmich setzen. Können wir hineingehen, wo es trocken ist?«

»Aber sicher.« Dyar erwachte zum Leben. »Ich bin nurerstaunt, dich zu sehen. Komm rein.« Sie ging durchs Zim-mer und ließ sich vor dem ausgebrannten Kamin auf derMatte nieder. »Was machst du hier?« sagte er, und seineStimme war gänzlich ausdruckslos.

Sie legte die Knie auf die Seite und faltete die Händedarüber. »Offensichtlich bin ich gekommen, um dich zusehen.« Sie sah ihn an. »Aber natürlich willst du wissen,weshalb. Wenn du dich gedulden kannst, bis ich wiederAtem geholt habe, erzähle ich dir den Grund.« Sie schwiegund seufzte. »Ich werde dir den Fall darlegen und dannkannst du tun, was du willst.« Jetzt ergriff sie seinen Arm.»Darling« (der Klang ihrer Stimme hatte sich geändert,war eindringlicher geworden), »du mußt zurückkommen.Setz dich. Nein, hier neben mich. Du mußt wieder nachTanger zurück. Deshalb bin ich hier. Um dir zu helfen,zurückzukommen.«

Sie spürte, wie sich sein Körper anspannte, als Dyarrasch den Kopf wandte, um sie anzusehen. »Sag nichts«,sagte sie. »Laß mich erst ausreden. Es ist spät, und es wirdwieder regnen, und wir müssen Agla verlassen, solange esnoch hell ist. Bis zur carretera sind es 27 Kilometer Piste.Du kennst die Straßen nicht, weil du auf einem anderenWeg hergekommen bist.«

»Woher weißt du, wie ich gekommen bin?«»Du scheinst mich wirklich für einen Volltrottel zu hal-

ten, was?« Sie bot ihm eine Zigarette aus ihrem Etui an,und eine Weile rauchten sie schweigend. »Ich habe deinkleines Treffen im Garten neulich nachts beobachtet undglaubte den betrunkenen Bruder der Beidaouis zu erken-

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nen. Und ich hatte keinen Grund, an den Aussagen seinerFrau zu zweifeln. Nach ihren Behauptungen hat er dichhierher gebracht. Das ist alles. Aber das ist überhauptnicht wichtig.«

Er dachte: »Wie kann ich herausbekommen, was siealles weiß?« Das beste wäre, sie einfach zu fragen; daherschnitt er ihr kurzerhand das Wort ab und fragte: »Washaben sie dir erzählt?«

»Wer?« sagte sie trocken. »Jack Wilcox und RonnyAshcombe-Danvers?«

Er antwortete nicht.»Falls du die meinst«, fuhr sie fort, »sie haben mir

natürlich alles erzählt. Ihr seid gottverdammte Idioten,alle drei, aber du bist der größte Idiot. Was um Him-mels willen hast du dir eigentlich dabei gedacht? Ich weißnatürlich nicht, was Jack sich vorgestellt hat, als er dichRonnys Geld holen ließ, er tut so geheimnisvoll, undich werde aus seinem albernen Geschwätz nicht klug.Erst als ich Ronny gestern am Flugplatz traf, habe ichüberhaupt eine einigermaßen zusammenhängende Ge-schichte gehört. Du mußt wissen, daß Ronny ein alterFreund von mir ist, und ich kann dir sagen, daß er ziem-lich aufgebracht über die ganze Geschichte ist, und zwarmit Recht.«

»Ja«, sagte er, da er absolut nicht wußte, was er sonstsagen sollte.

»Ich habe mich mit ihm herumgestritten, bis ich hei-ser war, um ihn zu überreden, mich hierherfahren zu las-sen. Er war natürlich entschlossen, selbst mit seiner Hals-abschneiderbande vom Hafen zu kommen und zu ver-suchen, sich sein Geld mit Gewalt zurückzuholen. Denndas kann er selbstverständlich nicht auf legalem Weg er-reichen. Aber ich glaube, er weiß jetzt, wie kindisch diese

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Idee war. Ich habe ihn davon überzeugt, wieviel besser esist, wenn du freiwillig zurückkommst.«

Dyar dachte: Ashcombe-Danvers ist also ein alterFreund von ihr. Er hat ihr Prozente versprochen auf alles,was er zurückbekommt. Und er erinnerte sich an Mme.Werths Hotelbestellung in Marrakesch; Daisy hätte eben-sogut zu ihm sagen können: »Bitte komm zurück und op-fere dich für mich.«

»Kommt nicht in Frage«, sagte er kurzangebunden.»Oh, es kommt nicht in Frage?« rief sie, und ihre

Augen funkelten. »Weil der kleine Mister Dyar es sagt,was?«

Er errötete. »Da hast du verdammt recht.«Sie beugte sich zu ihm. »Weshalb, glaubst du, bin ich

hergekommen, du gottverdammter Narr, du aufgeblase-ner Idiot? Gott im Himmel?«

»Weiß ich nicht. Das frage ich mich auch«, sagte er undwarf seine Zigarette in den Kamin.

»Ich bin gekommen«, sagte sie und machte eine Pause,»weil ich der größte Idiot von allen bin, weil ich, durcheinen gräßlichen Charakterfehler …weil ich es mir irgend-wie habe durchgehen lassen, dich gern zu haben. WeißGott, weshalb! Weiß Gott, weshalb! Glaubst du, ich binden ganzen Tag hierhergereist, bloß um Ronny zu seinemGeld zu verhelfen?« (»Genau deshalb«, dachte er.) »Erist besser als ich für eine Menschenjagd ausgerüstet, mitseiner Halsabschneiderbande vom Marshan.« (»Sie glaubtkein Wort von dem, was sie sagt. Sie glaubt nur, daß sie dieSache besser erledigen kann«, dachte er bei sich.) »Ich binhier, weil Ronny mein Freund ist, jawohl, und weil ich ihmgerne helfen will, das, was ihm gehört, und was du ihm ge-stohlen hast, zurückzubekommen.« (Ihre Stimme zitterteleicht bei dem Wort gestohlen.) »Ja, natürlich, das stimmt.

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Und ich bin hier, weil das, was ihm hilft, das einzige ist,was dir helfen kann.«

»Rette meine Seele. Ich weiß. Mich stellen und die Sachebereinigen.«

»Deine Seele!« sagte sie bissig. »Ich scheiße auf deineSeele! Ich habe gesagt, ich will dir helfen. Du sitzt in derPatsche. Du weißt verdammt gut, in was für einer. Undohne fremde Hilfe kommst du nicht wieder raus. Ichmöchte dir gern heraushelfen. Und um ganz offen zu sein:Ich kenne niemanden, der es sonst kann oder will.«

»Oh, das weiß ich«, sagte er. »Ich erwarte von nieman-dem, daß er eine Kollekte für mich veranstaltet. KeinMensch kann mir helfen. Na schön. Wie willst du es dannkönnen?«

»Glaubst du nicht, daß Luis ein paar Leute in Tangerkennt? Die Frage ist nur, wie schafft man dich und dasGeld über die Grenze? Ich habe mir für alle Fälle einen Di-plomatenwagen geliehen. Gewöhnlich kommt man mitdem CD auf dem Nummernschild glatt durch. Aber selbstwenn dem nicht so wäre, habe ich für alles gesorgt. Du ris-kierst nichts.«

»Riskierst nichts!« wiederholte er und lachte kurz auf.»Und in Tanger?«

»Ronny? Was kann er tun? Ich sage dir, der wird so frohsein, wenn er sein Geld wiederhat, er wird –«

Er schnitt ihr das Wort ab. »Das ist es nicht«, sagte er.»Davor habe ich keine Angst. Ich überlege nur.«

Sie sah einen Augenblick nachdenklich aus. »Du meinstdoch nicht den Scheck, den du von dieser scheußlichenkleinen Russin angenommen hast?«

»Lieber Himmel, gibt es eigentlich nichts, das du nichtweißt?«

»Was den Klatsch von Tanger betrifft, nein, Liebling.

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Aber das weiß jeder. Man hat sie aus der internationa-len Zone ausgewiesen. Vorgestern. Wahrscheinlich ist sieschon fort. Das einzig Positive, was Onkel Goode seitihrer Ankunft in Tanger getan hat. Die offizielle Stellung-nahme der Amerikaner zu deinem dämlichen Verhaltenkenne ich nicht. Aber dieses Risiko mußt du auf dich neh-men. Doch ich finde, wir haben jetzt genug geredet – wasmeinst du?«

»Möglich«, sagte er. Es war eine Lösung, dachte er, abernicht die richtige, denn sie würde alles, was er erreichthatte, wieder zunichte machen. Er mußte seinen Weg ge-hen, sagte er sich. Er wußte, wie der andere Weg aussah.

»Glaubst du, wir könnten noch Tee trinken, ehe wiraufbrechen?« erkundigte sich Daisy plötzlich. »Es wäreeine Hilfe.« (Sie versteht mich nicht, dachte er.)

»Ich gehe nicht«, sagte er.»Oh, Liebling, mach keine Geschichten.« Er hatte ihre

Augen noch nie so groß und so ernst gesehen. »Es ist spät.Du weißt verdammt genau, daß du gehst. Es bleibt dirnichts anderes übrig. Die Schwierigkeit liegt darin, daß dudich nicht entschließen kannst, Jack und Ronny zu begeg-nen. Aber du mußt es, da hilft nichts.«

»Ich sage dir, ich gehe nicht.«»Quatsch! Blödsinn! Komm jetzt! Du kotzt mich an

mit deiner Angst. Es gibt nichts Widerlicheres als einenMann, der Angst hat.«

Er lachte unangenehm.»Komm schon, los«, sagte sie jetzt gutmütig, als hätte

jeder Satz, den sie bisher gesagt hatte, ihn ein wenig mehrüberzeugt. »Koch uns einen guten heißen Tee, wir wollenjeder eine Tasse trinken. Dann fahren wir zurück. Es istganz einfach.« Dann schoß ihr ein neuer Gedanke durchden Kopf, und sie sah sich zum erstenmal im Zimmer um.

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»Wo ist der Beidaoui-Junge? Nicht, daß ich ihn mitneh-men kann; er muß selbst schauen, wie er zurückkommt,aber ich denke, das wird kein Problem sein.«

Da das, was sich während der letzten halben Stundeabgespielt hatte, so außerhalb der Welt lag, in der er gelebthatte (wo der Bergwind toste und an der Tür ratterte),hatte sich die Welt hier oben wie etwas, das er nur erfun-den hatte, zurückgezogen, war unwirklich geworden undhatte sich vorübergehend aufgelöst. Er hielt den Atem anund sagte nichts. Gleichzeitig warf er einen raschen Blicküber die Schulter zur Küchentür und spürte, wie sich seinHerz schmerzhaft zusammenzog. Einen Augenblick langwurden seine Augen übergroß. Dann sah er ihr finster insGesicht und versuchte, nicht zu blinzeln. »Ich weiß esnicht«, sagte er und hoffte, daß man aus seinem Gesichts-ausdruck nichts anderes als normale Teilnahme lesenkonnte. Der Wind hatte die Tür leicht aufgestoßen undeine hilflose Hand zeigte sich in der Öffnung. »Ich habeihn den ganzen Tag über nicht gesehen. Er war schon weg,als ich aufwachte.«

Jetzt klopfte sein Herz wild, und sein Gehirn drängtegegen die Schädeldecke, als wollte es die dünne Wanddurchbrechen. Er versuchte, sein altes Spiel zu spielen. »Esist nicht wahr. Er liegt nicht dort.« Es ging nicht. Er wußtees genau, auch ohne daß er hinsah; das Spiel war aus. Ersaß im Zimmer, er war der Mittelpunkt einer Situation,von der ihm jedes Detail bekannt war; gerade das Vorhan-densein der Hand verschaffte ihm die unerschütterlicheGewißheit, die Überzeugung, daß sein Dasein, mit allem,was dazu gehörte, wirklich, stofflich und unleugbar war.Später würde er dieser Erkenntnis gerade ins Gesichtsehen können, ohne die unerträgliche hämmernde Angst,aber jetzt neben Daisy zu sitzen, in dem Raum, wo diese

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Erkenntnis geboren worden war, war zuviel für ihn. Ersprang auf.

»Tee?« schrie er heftig. »Klar, sicher. Natürlich.« Erging zur Haustür und sah hinaus: Der Chauffeur und dereinheimische Führer saßen immer noch draußen in der zu-nehmenden Dunkelheit; jeder auf einer Seite des Weges.»Ich weiß nicht, wo er ist«, sagte er. »Er war den ganzenTag weg.« Es nieselte immer noch leicht, aber bald würdeder Regen zunehmen. Eine dicke Wolke senkte sich vonden unsichtbaren Gipfeln herab. Alle Farbe war vom nas-sen Zwielicht aufgesogen. Er hörte hinter sich ein Ge-räusch und erstarrte, als er sah, wie Daisy sich langsam undumständlich erhob und zum Hof ging, wobei ihre Augendie Schwelle der Küchentür fixierten. Sie zog die Tür ganzauf und beugte sich mit dem Rücken zu ihm herab. Er warnicht ganz sicher, glaubte aber eine Sekunde später einenkleinen, fast lautlosen Schrei zu hören. Sie blieb eine langeWeile zusammengekauert dort sitzen. Ganz langsam nahmdas leblose, einförmige Geräusch des fallenden Regens anStärke zu und hüllte alles ein. Er ging durch das Zimmerauf den Hof zu. »Jetzt ist der Moment gekommen, wo ichihr beweisen kann, daß ich keine Angst habe. Keine Angstvor dem, was sie denkt.« Da der Regen aus der Dachtraufeim Hof prasselte, hörte sie ihn nicht kommen, bis er fast inder Tür stand. Sie blickte rasch auf; Tränen standen inihren Augen, und dieser Augenblick verursachte einen ste-chenden Schmerz in seinem Innern.

Er blieb stehen.»Hast –?« Sie bemühte sich nicht, mehr zu sagen. Er

wußte den Grund: Sie hatte sein Gesicht gesehen unddarin die Antwort gelesen. Sie blieb nur eine Sekunde vorihm stehen, aber in dieser Sekunde mußten viele Gedan-ken durch ihren Kopf geschossen sein, denn als er ihr in

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die Augen starrte, bemerkte er, wie sich plötzlich einegroße Schranke aufrichtete, die noch vor kurzem nichtdagewesen war und die jetzt plötzlich unerbittlich undundurchdringlich zwischen ihnen stand. Sie ging rasch vorihm durch das Zimmer und zur Tür. Erst als sie draußenim Regen stand, drehte sie sich um und sagte mit erstick-ter Stimme: »Ich werde Ronny sagen, daß ich dich nichtfinden konnte.« Dann entschwand sie seinem Blickfeld;wo sie gestanden hatte, war nur noch ein graues Rechteck.

Einen Moment lang blieb er im Patio stehen, und derkalte Regen durchnäßte ihn. (Ein Platz in der Welt, eineendgültige Stellung, eine genau umrissene Beziehung zumRest der Menschheit. Selbst wenn es offene Feindschaftsein mußte, so war sie sein, er hatte sie sich geschaffen.)Plötzlich schlug er die Küchentür zu und ging ins Zimmer.Er war müde und wollte sich setzen, aber da war nur dieMatte, und so blieb er mitten im Zimmer stehen. Baldwürde es dunkel sein; auf dem Fußboden klebte der kleineKerzenstummel, den der andere gestern nacht ausgeblasenhatte, als das Feuer brannte. Er wußte nicht, ob noch eineKerze in der Küche war, er wollte auch nicht danachsuchen. Mehr, um sich mit etwas zu beschäftigen, als ausdem Bedürfnis nach Licht, kniete er wieder, um den Stum-mel anzuzünden, suchte in seiner Tasche, in all seinen Ta-schen, nach einem Streichholz. Da er keines fand, stand erwieder auf und ging zur Tür. Draußen in der Dämmerungwaren weder das Tal noch die Berge zu sehen. Der Regenfiel schwer, und der Wind wehte wieder heftiger. Er setztesich auf die Türschwelle und fing an zu warten. Es warnoch nicht völlig dunkel.

Nachwort

Seit ich ein Junge von acht oder neun Jahren war, faszi-nierte mich die kurze Passage in Macbeth, in der Banquomit seinem Sohn aus dem Schloß tritt und zu den Män-nern draußen eine beiläufige Bemerkung über den heran-nahenden Regen macht, die durch das Aufblitzen einesSchwertes beantwortet wird und durch jenen bewunderns-werten, kurzen, bündigen und brutalen Satz: »So mag er fal-len.«

Der Roman, dem ich diesen Titel gab, wurde erstmalsAnfang 1952 veröffentlicht, gerade zu dem Zeitpunkt, alsdie Aufstände begannen, die das Ende der InternationalenZone von Marokko ankündigten. So schilderte das Buchschon zur Zeit seines Erscheinens eine versunkene Ära,denn mit dem 30. März 1952 war Tanger eine andere Stadtgeworden. Sie, der in den voranstehenden Seiten gehuldigtwird, hat schon vor langer Zeit aufgehört zu existieren,und die Ereignisse, die hier erzählt werden, wären heuteunvorstellbar. Wie eine Fotografie ist dieser Roman einDokument, das einen bestimmten Ort zu einer bestimm-ten Zeit abbildet und vom Licht dieses besonderen Augen-blicks durchflutet wird.

Die Entstehung des Buches hat eine vielleicht etwas un-gewöhnliche Geschichte. Im Dezember 1949 ging ich inAntwerpen an Bord eines polnischen Frachters, der michnach Colombo bringen sollte. Wir passierten spät nachtsdie Straße von Gibraltar, und ich stand an Deck und be-

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trachtete die aufblitzenden Strahlen des Leuchtturms vonKap Spartel, der nordwestlichen Spitze Afrikas. Als wirweiter ostwärts fuhren, konnte ich die Lichter verschiede-ner Häuser auf dem Alten Berg erkennen. Dann nähertenwir uns Tanger, und ein dünner Nebel legte sich über dasWasser. Nur das Schimmern der Lichter in der Stadt warzu erkennen, wie es vom Himmel gespiegelt wurde. In die-sem Augenblick fühlte ich ein blindes und mächtiges Ver-langen, in Tanger zu sein. Bis dahin hatte ich nicht im ent-ferntesten daran gedacht, ein Buch über die Stadt unterinternationaler Verwaltung zu schreiben. Jetzt ging ichunter Deck, setzte mich auf meine spartanische Koje undbegann eine Szene, die auf den Klippen spielte, unter de-nen wir gerade vorbeigefahren waren. Das war nicht derAnfang des Buches, aber es diente mir als geographischerAnhaltspunkt, von dem aus ich fähig war, mich zeitlichvorwärts- und zurückzuarbeiten.

Mit Notizen kann ich nie viel anfangen, solange ichnicht eine größere Menge Text fertig habe, in die ich siedann einarbeiten kann. Ich wußte, daß ich, bevor ich ineiner mir noch unvertrauten Gegend an Land gehen wür-de, das Manuskript so weit vorangetrieben haben mußte,daß es als Nabelschnur zwischen mir und dem Roman die-nen konnte. Wenn mir das nicht gelang, würde mir alleswieder entgleiten. Als sich das Schiff Ceylon näherte, er-tappte ich mich dabei, wie ich Kafkas bekannten Aphoris-mus wiederholte: An einem bestimmten Punkt angelangt,gibt es kein Zurück mehr. Das ist der Punkt, der erreichtwerden muß. Ich glaube nicht, daß Kafka damit auf dasSchreiben eines Buches anspielen wollte, dennoch schienes auf meine Situation zu passen. Ich setzte alles daran, denentscheidenden Punkt zu passieren; nur dann konnte ichsicher sein, daß ich nicht alles wegwerfen und die Arbeit

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an dem Buch aufgeben mußte, wenn ich später versuchensollte, daran weiterzuschreiben.

Sri Lanka (wie Ceylon eigentlich, richtig ausgespro-chen, heißt) war jeder weiteren Arbeit an dem Roman sowenig förderlich, wie ich es vorausgesehen hatte. Es gabzuviel zu sehen und zu lernen, und die Landschaft war zuverführerisch, um mir allzuviel Zeit zur Besinnung zu ge-ben. Ich führte ein Nomadenleben und blieb selten mehrals ein paar Tage an einem Ort. Erst als ich später nach In-dien übersetzte, war ich wieder fähig, zu arbeiten.

In Indien erkundete ich tagsüber das Land; nachtsschrieb ich, und mein fensterloses Arbeitszimmer war al-les andere als befriedigend. Die Lufttemperatur lag stetseinige Grade über der Körpertemperatur, und die Öl-lampe brannte wie ein Backofen vor meinem Gesicht. (Derrechte Platz zu arbeiten wäre natürlich das Bett im Zim-mer nebenan gewesen, nur konnte ich dort wegen der un-zähligen fliegenden Insekten, die sofort das Zimmer heim-gesucht hätten, kein Licht anmachen. Ich ging immer imDunkeln zu Bett.) Aber wie man als Schriftsteller aus Er-fahrung weiß, hilft extreme Unbequemlichkeit oft, eineintensive Arbeitsatmosphäre zu schaffen.

1950 war ich zurück in Tanger. Es war ein denkwürdigstürmischer Winter, und ich wohnte in einer neueröffnetenPension. Sie war zugleich neu (sprich: schlecht) erbaut, sodaß der Regen in meinem Zimmer die Wände herunter-,hinüber zur Tür und hinaus in den Korridor rann und vondort die Treppen hinab in die Rezeption im Erdgeschoßfloß. Da es bedeutet hätte, im kalten Wasser herumstapfenzu müssen, wenn ich im Zimmer auf und ab gegangen wäre,blieb ich die meiste Zeit über im Bett und beendete das Ka-pitel Frisches Fleisch und Rosen. Dann reiste ich acht Mo-nate lang durch Marokko, Algerien und Spanien und ar-

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beitete während dieser Zeit an dem dritten Teil, Das Zeit-alter der Ungeheuer. Im Herbst 1951 kehrte ich nach Tan-ger zurück und begab mich hinauf nach Xauen, um denSchluß des Buches zu schreiben. Hier, in der vollkomme-nen Stille der Bergnächte, vollendete ich, was ich gehoffthatte, schaffen zu können, als ich den entscheidendenPunkt des Buches erreichte. Ich ließ mich treiben und dasKapitel Eine andere Art der Stille sich völlig von selbst ent-wickeln, ohne es mit dem Bewußtsein irgendwohin lenkenzu wollen. Das Ganze entfaltete sich so weit wie möglich,dann hörte es auf, und das war das Ende des Buches.

Der Held ist ein Nichts, ein »Opfer«, wie er sich selbstbeschreibt, dessen Persönlichkeit (die sich nur über die je-weilige Situation, in der er sich befindet, definiert) Sym-pathien nur in dem Maß erweckt, in dem er selbst Opferwird. Er ist der einzige Charakter, der total erfunden ist;bei allen anderen Personen des Buches haben mir damaligeBewohner Tangers Modell gestanden. Einige dieser Leutesind inzwischen weggezogen, und der Rest ist gestorben.Die einzige Figur, deren Modell noch immer hier wohnt,ist Richard Holland, und das liegt daran, daß ich immernoch hier bin und er eine Karikatur meiner selbst ist.

Sogar der Diebstahl des Geldes basiert auf einem wirk-lichen Ereignis, auch wenn dieses so unwahrscheinlichwar, daß ich es ändern mußte, um ihm Glaubwürdigkeitzu verleihen. Etwa drei Jahre nach Ende des Zweiten Welt-kriegs kam der Sohn eines berühmten englischen Schrift-stellers mit seiner Frau nach Tanger und entschloß sich, einStück Land zu kaufen und ein Haus zu bauen. EnglischePfund aus dem Vereinigten Königreich auszuführen warverboten, und so suchte er, wie viele andere, einen indi-schen Händler in Gibraltar auf, dem er einen Scheck seinerLondoner Bank übergab. Der Inder sollte seinen Sohn be-

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auftragen, einem Mr. X in Tanger das Geld in Peseten zuübergeben. Aber Mr. X war eine einflußreiche Persönlich-keit und hatte einen englischen Sekretär, der sich um sol-che Angelegenheiten zu kümmern pflegte. Als nun der Se-kretär das Geld von dem jungen Inder abholen wollte,fand er zwar das Geld vor, aber in Pfund Sterling anstellevon Peseten, und englische Pfund konnten in der Interna-tionalen Zone wegen der erwähnten Restriktionen nichtausgegeben werden. So vermittelte ihm der Inder denKontakt zu einem Geldwechsler um die Ecke, der sich ein-verstanden erklärte, die Pfund Sterling zu kaufen. DerGeldwechsler füllte einen Karton mit Peseten und brachtesie hinüber zu dem Inder, um sie dort, wie er erklärte,einen Augenblick zu deponieren. Er sei auf dem Weg zumMittagessen und wolle das Geld nicht dorthin mit sichnehmen. Am Nachmittag komme er auf dem Rückwegwieder vorbei und nehme die Pfund mit.

Am Nachmittag rief der Sekretär im Laden des Indersan und ließ diesen wissen, daß er gerade bei dem Geld-wechsler am Zoco Chico gewesen sei und daß dieser ihnum den Gefallen gebeten habe, ihm doch die englischenPfund in sein Büro zu bringen. Er verließ den Laden mitdem Geld und war fünf Minuten später zurück. So, das isterledigt, sagte er. Dann nahm er die Peseten, dankte demInder und ging hinaus in die Menschenmenge, die sichdurch die Rue Siaghines drängte. Eine Stunde später be-fand er sich an Bord eines Flugzeugs nach Madrid, mit denPeseten und den englischen Pfund. Das letzte, was ich vonihm ein Jahr oder noch später hörte, war, daß er in BuenosAires lebte, wo er bei Pferderennen wettete.

Tanger 1980Paul Bowles

JENS ROSTECK

Jane und Paul BowlesLeben ohne anzuhaltenEine Doppelbiographie

670 Seiten · Gebunden

Der elegante Dandy und die scharfzüngige Rebellin, der ehe-malige Komponist und die avantgardistische Novellistin –Jane und Paul Bowles bleiben eines der faszinierendsten undwidersprüchlichsten Autorenpaare des 20. Jahrhunderts. Ihreintensive Verbindung nahm im New York der Dreißiger Jahreihren Anfang, führte das ungleiche Duo auf ausgedehnte Rei-sen nach Mexiko und Mittelamerika, Paris und London undschließlich in das Tanger der Nachkriegszeit, wo sie alsbaldKultstatus genossen. Ihre wechselnden Unterkünfte zwischenMarokko und Sri Lanka avancierten zum Schauplatz mondä-ner Partys ebenso wie zum Treffpunkt der literarischen Avant-garde: Klassiker der Moderne und Beat-Poeten, aber auchShowstars und Millionäre gingen bei ihnen ein und aus. Dochihr zur »dream city« verklärtes Tanger hielt auch Gefährdun-gen bereit: Jane geriet in den Strudel einer zerstörerischenBeziehung und erlag 1973 einer mysteriösen Krankheit. Paulsollte sie um ein Vierteljahrhundert überleben, bevor er als

ewiger Exilant 1999 im Alter von 89 Jahren starb.

Jens Rostecks Doppelbiographie gibt erstmals Einblick indie höchst unkonventionelle Beziehung von Jane und PaulBowles, deren spannungsvoller Verlauf fesselnd nachgezeich-net wird: Wie kam die Beziehung zustande, und was hielt sieam Leben? Von wem gingen wann kreative Initiativen aus, werwar in welcher Situation die treibende Kraft, und wer fing denanderen auf? »Leben ohne anzuhalten« ist eine mit Leiden-schaft und profunder Sachkenntnis geschriebene Biographie,die zwei ebenso komplexe wie schillernde Persönlichkeiten im

Kontext einer bewegten Epoche erlebbar werden läßt.

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