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Ausgewählte Fachartikel und Interviews aus den Jahren 2015, 2016 und 2017 inklusive Literaturangaben zur weiterführenden Recherche. Foto: © bilderstoeckchen/Fotolia.com Foto: www.martinglauser.ch Foto: iStock.com/Sandra Matic Pflege bei Demenz Dossier

Pflege bei Demenz · nation aus Alzheimer-Krankheit und weiterer patholo- gischer Veränderungen gemeint, die gemeinsam eine Demenz ergeben. Meist bezieht sich der Begriff auf das

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Page 1: Pflege bei Demenz · nation aus Alzheimer-Krankheit und weiterer patholo- gischer Veränderungen gemeint, die gemeinsam eine Demenz ergeben. Meist bezieht sich der Begriff auf das

Ausgewählte Fachartikel und Interviews aus den Jahren 2015, 2016 und 2017 inklusive

Literaturangaben zur weiterführenden Recherche.

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Pflege bei Demenz

Dossier

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Psychosoziale Interventionen: Neue Leitlinie: Was bei Demenz hilfreich ist Gedächtnistraining, Aktivierung, Snoezelen - welche Maßnahmen helfen Menschen mit Demenz wirklich? Aussagen hierzu macht die neue S3-Leitlinie „Demenzen“. Der Artikel fasst die wichtigsten Inhalte zusammen. Von Claudia Keller (06/2016)

Basale Stimulation bei Demenz: Die Suche nach IndividualitätWenn Menschen über Worte und Gesten nur noch schwer zu erreichen sind, gewinnt die Kommunikation über Berührung immer mehr an Bedeutung. Bei der Basalen Stimulation wird Berührung bewusst eingesetzt, um diese Menschen zu erreichen.Von Thomas Buchholz (03/2015)

Projekt Warte-Insel für Menschen mit Demenz: Wohlfühlort in der NotaufnahmeLärm, Hektik, unbekannte Gesichter – Patienten mit Demenz sind in Notaufnahmen häufig über-fordert. Das Alexianer Krankenhaus Hedwigshöhe hat deshalb das Projekt „Warte-Insel“ gestar-tet: Sie soll Stress und Anspannung vorbeugen.Von Axel Küppers (06/2017)

Herausforderndes Verhalten bei Demenz: „Es gibt keine pauschale Empfehlung“Der Umgang mit schwierigen Verhaltensweisen ist für Pflegende nicht immer leicht. Hinzu kommt, dass keine Maßnahmen per se richtig oder falsch sind. Ein Interview mit Pflegewissenschaftlerin Dr. Margareta Halek. Dr. Margareta Halek (06/2016)

Literaturarbeit: Demenz: Pflegende Angehörige unterstützenMenschen mit Demenz werden oft zu Hause versorgt. Das kann für Angehörige sinnstiftend, aber auch belastend sein. Ambulant Pflegende sollten deshalb Überlastungen bei Angehörigen erkennen und darauf reagieren.Von Prof. Dr. Jürgen Osterbrink et al. (02/2017)

Mimikresonanz für Menschen mit Demenz: Was die Mimik verrätDer Gesichtsausdruck und die Körperhaltung sagen viel darüber aus, was ein Mensch mit Demenz gerade fühlt. In der Pflege bietet das die Chance, Emotionen richtig zu deuten und wertschätzend darauf zu reagieren.Von Margarete Stöcker (01/2016)

Demenz im Krankenhaus: Auf dem Weg zur demenzsensiblen UniklinikWenn Menschen mit Demenz stationär aufgenommen werden, kommt es oft zu Problemen. Die Medizinische Hochschule Hannover hat Empfehlungen erarbeitet, um die Versorgung von Menschen mit Demenz im Krankenhaus zu verbessern. Von Dr. Monika Büchler (06/2016)

Studie Demenz-Monitor: Kommen Empfehlungen in der Praxis an?Für den Umgang mit herausforderndem Verhalten bei Menschen mit Demenz werden unterschiedliche Maßnahmen empfohlen. Werden diese in der stationären Altenhilfe umgesetzt? Die Ergeb-nisse der Studie DemenzMonitor geben Aufschluss.Von Dr. Bernhard Holle (01/2017)

Erstes deutsches Demenzdorf: „Mittendrin und keineswegs abgeschottet“In Deutschland werden Demenzdörfer oft kritisch betrachtet. Das Demenzdorf in Niedersachsen zeigt die Vorteile einer solchen Wohnform auf: Die Bewohner sollen dort einen möglichst norma-len Alltag erleben.Von Ingrid Hilgers (11/2015)

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Inhaltsverzeichnis

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Kostenlos downloadbarKDie S3-Leitlinie D„Demenzen“ ist als „kostenloser Download kerhältlich: http://www.dgn.org/images/red_leitlinien/LL_2015/PDFs_Download/ Demenz/REV_S3-leiltlinie-demenzen.pdf

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Top-Thema

Neue Leitlinie: Was bei Demenz hilfreich istPsychosoziale Interventionen. Gedächtnistraining, Aktivierung, Snoezelen – viele Maßnahmen versprechen Erfolg bei Menschen mit Demenz. Doch sind sie wirkungsvoll? Aussagen hierzu macht die neue S3-Leitlinie „Demenzen“, an der 23 Organisationen fünf Jahre lang gearbeitet haben. Die wichtigsten Inhalte im Überblick.

Von Claudia Keller

K ognitive Funktionen und Alltagskompetenzen, die immer mehr verloren gehen – das sind die

zentralen Merkmale einer Demenz. Im Laufe der Erkrankung nehmen die zeitlich-örtliche Orientierung, die Kommunikationsfähigkeit, die autobiografische Identität und die Persönlichkeitsmerkmale immer weiter ab. Im fortgeschrittenen Stadium einer Demenz sind die Betroffenen oft vollständig auf fremde Hilfe ange-wiesen.

Demenz ist eine schwere Erkrankung. Sie geht mit einer erhöhten Sterblichkeit einher und erhöht das Risi-ko für zusätzliche Beeinträchtigungen. Die persönlichen und körperlichen Veränderungen der Betroffenen führen oft zu hohen psychischen und körperlichen Belastungen bei den Angehörigen. Auch medizinisches, pflegerisches und therapeutisches Personal ist häufig unsicher in Fragen zum Umgang mit den demenziell veränderten Menschen.

Keine Heilung möglich

In Deutschland sind rund 1,2 Millionen Menschen an Demenz erkrankt. Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Alle neurodegenerativen Demenzerkrankungen haben einen fortschreitenden Verlauf, der mehrere Jahre andauert. Bisher existieren keine Möglichkeiten, um das Fortschreiten zu stoppen und die Erkrankung zu heilen. Demenzerkrankungen gehen somit fast immer mit ei-nem zunehmenden Pflegebedarf und einer verkürzten Lebenszeit einher. Die neue S3-Leitlinie „Demenzen“ hat vor diesem Hintergrund zum Ziel, die Versorgung und Lebensqualität der erkrankten Personen zu verbes-sern. Sie bezieht sich auf die häufigen primären Formen der Demenz. Zu diesen zählen:

Demenz bei Alzheimer-Krankheit: Diese ist eine das Gehirn betreffende, fortschreitende Erkrankung, deren Ursachen nicht eindeutig geklärt sind. Sie tritt meist im höheren Lebensalter auf und ist durch Gedächtnis- störungen als Hauptmerkmal gekennzeichnet.

Vaskuläre Demenz: Hiermit ist eine mit den Blutgefäßen zusammenhängende Form der Demenz gemeint. Sie tritt meist im höheren Lebensalter auf und kommt in der Regel über Gedächtnisstörungen zum Vorschein. Weite-re typische Merkmale sind eine reduzierte Orientierung, Aufmerksamkeit und Sprache. Anders als bei anderen Demenzen kann es bei der vaskulären Demenz zu Pha-sen leichter Besserung und zu langen Phasen ohne weite-res Fortschreiten der Erkrankung kommen.

Gemischte Demenz: Mit diesem Begriff ist die Kombi-nation aus Alzheimer-Krankheit und weiterer patholo- gischer Veränderungen gemeint, die gemeinsam eine Demenz ergeben. Meist bezieht sich der Begriff auf das gemeinsame Vorhandensein einer Alzheimer-Krankheit und vaskulären Demenz. Es ist davon auszugehen, dass die Mehrheit der älteren Demenzerkrankten von dieser Form betroffen ist.

Frontotemporale Demenz: Diese tritt meist im mittleren Lebensalter auf und ist durch eine frühe, langsam fort-schreitende Persönlichkeitsveränderung und dem Verlust sozialer Fähigkeiten charakterisiert. Es treten Beein-trächtigungen von Intellekt, Gedächtnis und Sprach-funktionen auf.

Demenz bei Morbus Parkinson: Diese entwickelt sich im Verlauf einer Parkinson-Erkrankung. Neuen Er-

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Kompetenz in DemenzDie Malteser – Beratung, Unterstützung und Schulungen

Die Malteser beraten: → Angehörige und Menschen mit Demenz → via E-Mail, telefonisch oder persönlich → mit verschiedenen Broschüren und einem komprimierten Ratgeber

Die Malteser unterstützen: → bedarfsgerecht → Ressourcen fördernd → ehrenamtlich und professionell

Die Malteser schulen: → Multiplikatoren → Praxisanwender aus der ambulanten Pflege, dem Krankenhaus, der Altenhilfe und anderen Einrich tungen für Menschen mit Demenz

→ Alltagsbegleiter (Betreuungsassistent nach § 53c) → ehrenamtliche Demenzbegleiter → zentral, individuell und inhouse auf Anfrage

Die zentrale Anlaufstelle bei allen Fragen rund um das Thema Demenz: Malteser Fachstelle Demenz | Erna-Scheffler-Str. 2 | 51103 Kö[email protected] | www.malteser-demenzkompetenz.de

Wenn Sie weitere Informationen haben möchten,dann wenden Sie sich an:

Malteser Fachstelle DemenzKalker Hauptstr. 22-2451103 Köln

Tel.: 0221 9822592E-Mail: [email protected]

www.malteser-demenzkompetenz.de

SpiraleBeide Hände in Rückenmitte links und rechts der Wirbelsäule platzieren. Dann mit den Händen parallel in immer größer werden-den Kreisen im Uhrzeigersinn über den Rücken streichen bis der ganze Rücken erreicht wurde. (Persönli-che Bereiche wie z. B. Achselhöhlen meiden.)

SlalomHände rechts und links der Wirbelsäule im Schulterbereich platzieren. Nun mit den Hän-den parallel bis zur Lenden-wirbelsäule „Slalom fahren“. Der eigene Körper folgt der Bewegung!

SchwimmenHände im unteren Rücken-bereich rechts und links der Lendenwirbelsäule platzieren, mit beiden Händen in herzförmigen Bewegungen von unten nach oben über den Rücken streichen. Im Schulterbereich die Herzen so groß „malen“, dass die gesamte Schulter-partie berührt wird.

UhrBeide Hände liegen mittig auf dem Rücken. Von dort begin-nend streicht eine Hand nach außen, z.B. Richtung 6.00 Uhr, die zweite Hand folgt, dann startet die erste Hand von der Mitte aus Richtung 7.00 Uhr, die zweite Hand folgt usw. im Uhrzeigersinn bis die Uhr voll ist. Eine Hand bleibt immer am Rücken.

Form des RückensEine Hand im Nacken platzie-ren, die andere im Bereich der Lendenwirbelsäule. Die erste Hand zieht mittig zur zweiten nach unten. Danach streicht die erste Hand wieder aus der Grundstellung an der linken Seite den Rücken entlang nach unten, dann an der rechten Seite den Rücken entlang zur zweiten Hand. Eine Hand immer am Rücken. Es soll ein Gefühl für die Dimension des Rückens entstehen.

Spiralewie bei

Ausklingen lassenHände auf den Schultern ru-hen lassen. Den Erkrankten an-schauen und ein Getränk anbieten.

HerzenHände im unteren Rücken-bereich rechts und links der Lendenwirbelsäule platzieren,mit beiden Händen in herzförmigen Bewegungen von unten nach oben über den Rücken streichen. Im Schulterbereich die Herzen so groß „malen“, dass die gesamte Schulter-partie berührt wird.

● Silviahemmet Touch kann im Sitzen (mit dem Oberkör-per nach vorne über Stuhllehne oder Tisch gebeugt) oder in bequemer Bauchlage (Kopf auf den Armen abgelegt) durchgeführt werden. Wichtig ist eine bequeme Position und Haltung für beide Personen. Die Berührung wird auf der Kleidung durchgeführt.● Die Berührung nicht unterbrechen – eine Hand immer

am Rücken!

Dem Augenblick Leben gebenOft suchen Menschen, ob Angehörige, Freunde oder auch ehren- oder hauptamtlich Tätige, nach Möglichkei-ten, einem demenziell erkrankten Menschen ohne viele Worte oder große Vorbereitung etwas Gutes zu tun und Nähe zum Ausdruck zu bringen.

Da ist Silviahemmet Touch eine gute Alternative. Jeder-zeit und ohne große Hilfsmittel umsetzbar tut es beiden gut, dem Erkrankten wie dem Gebenden. SilviahemmetTouch

Leben mit Demenz –entspannen und wohlfühlen5

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„Hohes fachliches Niveau hat mich beeindruckt“

kenntnissen zufolge zeigen Betroffene klinische Merk- male wie Aufmerksamkeitsstörungen, beeinträchtigte intellektuelle Fähigkeiten, eingeschränkte visuell-räum- liche Funktionen sowie Beeinträchtigungen der Sprache und des Gedächtnisses. Verhaltensmerkmale wie Apathie, Persönlichkeitsveränderungen und Stimmungsverände-rungen inklusive depressiver Symptome und Angst sind möglich. Halluzinationen, Wahn und verstärkte Tages- müdigkeit können ebenfalls auftreten.

Lewy-Körperchen-Demenz: Diese macht sich meist über Funktionseinschränkungen im Alltag bemerkbar, wobei die Gedächtnisfunktion – anders als bei vielen anderen Demenzen – relativ gut erhalten bleibt. Kernmerkmale der Lewy-Körperchen-Demenz sind Schwankungen von Wachheit und Aufmerksamkeit, visuelle Halluzinationen sowie Parkinson-Symptome.

Frühe Diagnose ist wichtig

Die Diagnose dient dazu, die Erkrankten und Angehö- rigen über die Ätiologie, die Symptomatik, die Prognose, die Therapie und präventive Maßnahmen aufzuklären. Eine frühe Feststellung der Krankheit ist wichtig, weil gerade im Frühstadium einer Demenz Belastung und Pflegebedürftigkeit verzögert werden können. Die Diagno-se basiert im Wesentlichen auf einer Anamnese sowie einer körperlichen und psychopathischen Untersuchung.

Kognitive Kurztests zur orientierenden Einschätzung kognitiver Störungen können die Diagnostik ergänzen. Tests wie der Mini-Mental-Status-Test (MMST), der DemTest, der Test zur Früherkennung von Demenzen mit Depressionsabgrenzung (TFDD) und der Montreal Cognitive Assessment Test (MoCA) können von geschul-tem, medizinisch-psychologischem Personal ausgeführt werden, um das Vorhandensein und den ungefähren Schweregrad einer Demenz zu bestimmen.

Ein Demenz-Screening, also die systematische Anwendung eines Tests bei beschwerdefreien Personen, wird nicht empfohlen, weil es zu einer hohen Zahl an Falschdiagnosen kommen würde.

Um geeignete Maßnahmen auszuwählen sowie um Betroffene und Angehörige adäquat informieren und beraten zu können, ist die Feststellung eines Demenz-schweregrads wichtig. Hierfür ist die subjektive Einschät-zung der kognitiven Leistung durch den Patienten selbst, die Angehörigen oder den Arzt allein jedoch nicht ausreichend. Bei der Alzheimer-Demenz ist der MMST ein geeignetes Instrument, um einen Schweregrad zu bestimmen. Wichtig ist jedoch, dass die Grenzen zwi-schen den einzelnen Stufen im individuellen Fall nur als Orientierungshilfe dienen und auch eine Zuordnung eines Patienten zu einem Schwergrad möglich ist, der außerhalb der hier genannten Grenzen liegt:n MMST 20 bis 26 Punkte: leichte Alzheimer-Erkrankung,n MMST 10 bis 19 Punkte: moderate/mittelschwere Alzheimer-Erkrankung,n MMST weniger als 10 Punkte: schwere Alzheimer-Erkrankung.

Diplom-Pflegewirtin (FH) Claudia Keller aus Freising hat als Repräsentantin der Bundesarbeitsgemein-schaft „Stationäre Pflegeeinrichtungen“ des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK) an der Erstellung der S3-Leitlinie „Demenzen“ mitgewirkt. Den Entstehungsprozess erlebte sie als offen und konstruktiv.

2016 ist die vollständig überarbeitete Version der S3-Leitlinie „Demenzen“ veröffentlicht worden. Sie wurde federführend von der Deutschen Gesell-schaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psycho-somatik und Nervenheilkunde (DGPPN) sowie von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) in Zusammenarbeit mit der Deutschen Alzheimer Gesellschaft erstellt. Mehr als 20 weitere Fachge-sellschaften, Berufsverbände und Organisationen aus Medizinern, Therapeuten, professionell Pflegen-den und Patientenvertretungen waren daran beteiligt. Die Profession der beruflich Pflegenden war über den Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) und über die Bundesfachvereinigung Leiten-der Krankenpflegepersonen in der Psychiatrie (BFLK) vertreten.

Ich habe als Mitglied der Bundesarbeitsgruppe „Stationäre Pflegeeinrichtungen“ als DBfK-Reprä-sentantin an der Erstellung der Leitlinie mitgewirkt. Als Diplom-Pflegewirtin (FH), Krankenschwester, Auditorin und Dementia-Care-Mapping-Anwenderin (Basic User) verfüge ich über langjährige Erfahrung im Umgang mit demenzkranken Personen und habe im Zeitraum der Erstellung meine Expertise gut einbringen können. Ich hatte schon an der ersten Fassung von 2009 mitgearbeitet; der Aktualisierungs-prozess begann im Jahr 2014.

Den Prozess der Leitlinienerstellung habe ich über den gesamten Zeitraum hinweg als offen, transparent und konstruktiv erlebt. Jedes Arbeits-gruppenmitglied konnte sein Wissen, seine Erfah-rungen und Meinungen einbringen, egal welcher Organisation oder Berufsgruppe es angehörte. Zudem war es jederzeit möglich, Fragen zu stellen oder Kritik zu üben. Ein guter Informationsfluss war per E-Mail hervorragend gewährleistet. In vier Treffen wurden die Empfehlungen und die Empfeh-lungsgrade diskutiert und konzertiert. Der Fließtext zur Verabschiedung der Leitlinie wurde von den Repräsentanten der insgesamt 23 Organisationen in einem schriftlichen Verfahren konsertiert.

Im Rückblick hat mich das hohe Niveau, auf der die Literaturrecherche und Leitlinienerstellung erfolgte, ungeheuer beeindruckt. Die sogenannte S3-Leitlinie stellt die qualitativ höchste Stufe dar. Aufgrund der hohen Zahl der beteiligten Orga- nisationen ist der breite nationale Konsens, auf der die Leitlinie beruht, deutlich hervorzuheben.

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Vorsicht bei Medikamenten

Die Therapie von Demenzerkrankungen setzt sich zu-sammen aus einer medikamentösen Behandlung und psychosozialen Interventionen, die individuell auf den Betroffenen angepasst sein müssen.

Die pharmakologische Therapie ist ärztliche Aufgabe und soll an dieser Stelle nur am Rande erwähnt werden. Bei der Alzheimer-Demenz werden grundsätzlich die Kernsymptomatik der Demenz wie kognitive Störungen und Beeinträchtigung der Alltagsaktivitäten sowie psy-chische und Verhaltenssymptome wie Depression und Wahn medikamentös behandelt. Die aktuell zur Behand-lung von Demenz-Kernsymptomen zugelassenen und nachweislich wirksamen Medikamente sind Acetylcho- linesterase-Hemmer – die sogenannten Antidementiva – und der nichtkompetitive NMDA-Antagonist Meman-tin.

Die Leitlinie rät davon ab, Demenzerkrankten Anti-psychotika wie Haloperidol zu verabreichen, da die Gabe wahrscheinlich mit einem erhöhten Risiko für Mortalität assoziiert ist. Benzodiazepine sollen bei Patienten mit Demenz nur bei speziellen Indikationen und nur kurz-fristig eingesetzt werden. Vorsicht geboten ist auch bei der Verabreichung von Antidepressiva, da Demenz- erkrankte häufig sehr sensibel auf diese Medikamente reagieren.

Fokus liegt auf psychosozialen Maßnahmen

Psychosoziale Interventionen sind zentraler und notwen-diger Bestandteil der Betreuung und Begleitung von De-menzerkrankten. Sie haben im Alltagsgeschehen zum Teil einen größeren Stellenwert als die Medikamentengabe und die zahlreichen Möglichkeiten lassen sich personen-bezogen anwenden. Gleichzeitig ist die Qualität der Studi-en zu den einzelnen Verfahren aus methodischen Gründen oft geringer als bei pharmakologischen Prüfungen. Die Wirksamkeit nicht-pharmakologischer Interventionen ist somit aus wissenschaftlichen Gesichtspunkten schwieriger bewertbar. Die Maßnahmen im Einzelnen:

Kognitive Verfahren: Diese sollen die sogenannten kognitiven Funktionen, also das Gedächtnis, die Auf-merksamkeit und die Sprachfähigkeit, aktivieren. Die Interventionen lassen sich unter anderem einteilen in:n kognitives Training – Durchführung von Übungen kognitiver Funktionen,n kognitive Stimulation – Anregung kognitiver Tätig-keit, zum Beispiel über Aktivierung von Altgedächtnis-inhalten oder Einbindung in Konversation,n Realitätsorientierung – Förderung der Orientierung in Zeit und Raum durch Hinweise und Hilfen,n autobiografische Arbeit – Aktivierung von autobio-grafischen, insbesondere emotional positiv besetzten Altgedächtnisinhalten.

EmpfehlenswertKörperliche Aktivität und künstlerische Therapien können sich positiv auf kognitive Funktionen, psychische Symptome, Verhalten und Beweglichkeit auswirken

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Kognitive Verfahren sind häufig untersucht worden, wobei viele dieser Studien von fragwürdiger Qualität sind. Insgesamt ergeben die Studienergebnisse ein geteil-tes Bild: Teilweise zeigen die Untersuchungen keine Effekte auf die Kognition der Betroffenen. In anderen Studien werden hingegen entweder geringe, kurz an- dauernde oder positive Auswirkungen konstatiert.

In der jüngeren Zeit ist deutlich geworden, dass ko-gnitive Stimulation positive Effekte auf Kognition zeigt, wobei dies nicht für kognitives Training zutrifft. Insge-samt sind die Effekte von kognitiven Verfahren jedoch als gering zu bewerten. Bei leichter bis moderater Demenz ist kognitive Stimulation zu empfehlen.

Körperliche Aktivität: Diese kann sich positiv auf kogni-tive Funktionen, Alltagsfunktionen, psychische Sympto-me, Verhaltenssymptome, Beweglichkeit und Balance auswirken. Sie ist daher zu empfehlen.

Ergotherapie: Ergotherapeutische, individuell angepasste Maßnahmen tragen bei Patienten mit leichter bis mittel-schwerer Demenz zum Erhalt der Alltagsfunktionen bei. Sie sollten betroffenen Personen unter Einbeziehung der Bezugspersonen angeboten werden.

Künstlerische Therapien: Auch diese sind vielverspre-chend. Es gibt Hinweise, dass aktive Musiktherapie günstige Effekte auf die Psyche und das Verhalten von Menschen mit Demenz hat, insbesondere auf das Symp-tom Angst. Persönlich bevorzugte Musik kann ebenfalls positive Wirkungen entfalten, besonders bei Personen mit agitiertem und aggressivem Verhalten. Verbesserun-gen der Stimmung, der Gesamtbefindlichkeit im Lebensalltag und der kognitiven Leistungen wurden teil-weise bei der Kunsttherapie beschrieben. Tanztherapie kann bei Demenzerkrankten mit ausgeprägten Störun-gen der Kommunikation hilfreich sein.

Aromatherapie: Bei der Aromatherapie werden Ge-ruchsstoffe eingesetzt, um demenzspezifisches Verhalten zu beeinflussen. Untersuchungen zeigen, dass die An-wendung von Aromastoffen geringe Effekte auf agitiertes Verhalten und allgemeine Verhaltenssymptome bei Pa-tienten mit mittel- bis schwergradiger Demenz haben kann. Die Leitlinie empfiehlt daher die Aromatherapie.

Snoezelen: Unter Snoezelen wird die multisensorische Anwendung beruhigender Stimuli verstanden. Ziel ist die beruhigende und entspannende Wirkung auf die an Demenz erkrankte Person. Untersuchungen zeigen, dass Snoezelen mit individualisierten, biografiebezogenen Stimuli im 24-Stunden-Ansatz geringe Effekte auf Freu-de und Aktivität bei Patienten mit moderater bis schwe-rer Demenz haben. Snoezelen ist daher zu empfehlen.

Massagen und Berührung: Es gibt nur sehr wenige, me-thodisch hochwertige Studien, die die Wirkung von Be-rührung auf Demenzkranke untersucht haben. Insgesamt sind jedoch Hinweise erkennbar, dass Massagen und kör-

perliche Berührung als Kommunikationsmittel eingesetzt werden und eine beruhigende Wirkung haben können.

Lichttherapie: Der Einsatz von hellem Licht soll bei Menschen mit Demenz positive Effekte auf den Schlaf-Wach-Rhythmus sowie auf psychische und Verhaltens-symptome bewirken. In einer Metaanalyse des Cochra-ne-Instituts zur Lichttherapie konnte eine Wirksamkeit von Lichttherapie zur Behandlung der häufig auftreten-den Schlafstörungen und Verhaltenssymptome wie Agi-tation und Depression nicht gezeigt werden. In einer weiteren Übersichtsarbeit wird hingegen festgestellt, dass sich Lichttherapie günstig auf den Schlaf-Wach-Rhyth-mus auswirkt. In einer aktuellen Cochrane-Metaanalyse zur Lichttherapie bei Demenz zeigten sich keine Effekte auf kognitive Funktionen, Schlaf, Psyche und Verhaltens-symptome. Insgesamt betrachtet ist der therapeutische Nutzen von Licht also nicht belegt.

Angehörigentraining: Studien zeigen, dass Schulungen und Trainings von Angehörigen zum fachgerechten Um-gang mit Demenzsymptomen zu einer Verbesserung der Situation des Erkrankten führen können.

Was tun bei Demenz-Symptomen?

In der Leitlinie werden des Weiteren Maßnahmen be-wertet, die bei bestimmten problematischen Verhaltens-symptomen in Betracht kommen.Depression: Der Einsatz supervidierter ehrenamtlicher Kontakte, kognitive Gruppentherapie und Freizeitaktivi-täten können sich positiv auf depressive Verstimmungen von Demenzkranken auswirken. Das zeigte eine Über-sichtsarbeit bei Pflegeheimbewohnern mit Demenz. In einer weiteren Übersichtsarbeit stellte sich heraus, dass Schulungsprogramme und Unterstützung von Pflegen-den wirksam sind. Andere Studien zeigten eine Wirk-samkeit von Verhaltenstherapie, insbesondere die Erhö-hung angenehmer Tätigkeiten. Zudem sind Wirkungen von körperlichen Übungen auf Depressionssymptome beschrieben.

Agitiertes Verhalten: Personenzentrierte Pflege, beson-dere Kommunikationstechniken, Dementia Care Map-ping (DCM) und Musiktherapie können sich positiv auf agitiertes Verhalten auswirken. Das zeigte eine große Übersichtsarbeit.

Erhöhter Bewegungsdrang: Viele Demenzerkrankte ha-ben einen hohen Bewegungsdrang. Dieses Phänomen wird in Fachkreisen auch Wandering genannt. Da die Betroffenen Einschränkungen der Bewegungsfreiheit als belastend erleben, sollte grundsätzlich eine Umgebung geschaffen werden, die freie Bewegung ohne Gefährdung ermöglicht. Ist es nicht möglich, eine solche Umgebung zu schaffen, oder sollte ein sehr großer Bewegungsdrang zu einer Gefährdung des Erkrankten führen, können In-terventionen zur Reduktion der Bewegung erforderlich sein. Eine systematische Übersichtsarbeit kommt zu dem

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Schluss, dass eine psychosoziale Beeinflussung des Bewe-gungsdrangs bei Menschen mit Demenz wissenschaft-lich nicht belegt ist. Studien mit schwacher Evidenz zei-gen jedoch positive Effekte von gezielter körperlicher Aktivität und von Snoezelen auf.

Schluckstörungen: Im Verlauf einer Demenzerkrankung können Schluckstörungen auftreten. Diese machen sich beispielsweise über Mangelernährung, Nahrungsverwei-gerung, ungewollten Gewichtsverlust, Verschleimung und vermehrtes Husten bemerkbar. Betroffene benötigen adaptive Maßnahmen wie eine sichere Koststufenwahl unter Berücksichtigung einer ausgewogenen Ernährung, die Anpassung der Konsistenz von Flüssigkeiten („Andi-cken“) und den Einsatz geeigneter Hilfsmittel. Zudem ist eine enge Zusammenarbeit und Abstimmung mit Logo-päden erforderlich.

Schlafrhythmus: Viele Demenzkranke leiden unter einem gestörten Tag-Nacht-Rhythmus. Eine aussage-kräftige Studie hat gezeigt, dass ein tägliches ein- bis zweistündiges Aktivierungsprogramm zu einer Verbesse-rung dieser Problematik geführt hat. Eine biografie- basierte Tagesstruktur kann also zu einer Verbesserung des Tag-Nacht-Schlafverhältnisses führen und sollte ge-währleistet sein.

Wichtiger Leitfaden

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die S3-Leitlinie „Demenzen“ einen umfassenden Überblick gibt, um Menschen mit Demenz fachlich fundiert zu begleiten und zu unterstützen. Auch wenn es sich um eine vorran-gig medizinische Leitlinie handelt, enthält sie viele Inhalte, die sowohl für professionell Pflegende, Betreu-ungskräfte, ehrenamtliche Unterstützungspersonen, für pflegende Angehörige, als auch für Entscheidungsträger im Gesundheitswesen wichtig und hilfreich sind – insbe-sondere die Ausführungen zu den nicht-medikamentö-sen Interventionen. Da durch die Maßnahmen die Qualität der Versorgung verbessert wird, dient die Leitli-nie gleichzeitig der Qualitätssicherung. Es bleibt zu hof-fen, dass das Thema Demenz in naher Zukunft auch im Rahmen eines nationalen Expertenstandards wissen-schaftlich aufbereitet wird.

Claudia Keller ist Diplom-Pflegewirtin (FH), Auditorin, Qualitätsmanagerin, Fachbuchautorin, Dozentin im Gesundheitswesen und Kranken-schwester. Sie hatte als Repräsentantin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe

(DBfK) an der S3-Leitlinie „Demenzen“ mitge- arbeitet. Mail: [email protected]

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Studienform: Online-Studium, berufsbegleitendStudienabschluss: Bachelor of Science in Nursing (BScN)Studiendauer: 3 Jahre (3 Kompetenzlevel), 180 ECTSStudieninhalte: u. a. Grundlagen der Pflegewissenschaftund -forschung, Research Utilization, Theorien/Modelleder Pflege, Public Health, Qualitätsmanagement, Pädagogische Grundlagen, Statistik, Ethik Studiengebühren: Euro 2.480,- je Kompetenzlevel Studienstart: jederzeit möglich

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„Es gibt keine pauschale Empfehlung“

Herausforderndes Verhalten bei Demenz. Der Umgang mit schwierigen Verhaltensweisen bei an Demenz erkrankten Patienten und Bewohnern ist für Pflegende nicht immer einfach. Hinzu kommt, dass keine Maßnahme per se richtig oder falsch sei, sagt Pflegewissenschaftlerin Dr. Margareta Halek. Alles müsse individuell abgestimmt werden. Das erfordere viel pflegerische Fachkompetenz.

Interview: Nadine Millich

Frau Dr. Halek, ab wann gilt ein Verhalten von Men-schen mit Demenz als herausfordernd?Das ist eine sehr wichtige, aber gleichzeitig auch sehr schwierige Frage, denn es gibt keine klare Definition dieses Begriffs. In der Praxis ist es meist so, dass jeder ein bestimm-tes Verhalten unterschiedlich stark herausfordernd findet. Tritt herausforderndes Verhalten zwangsläufig bei allen an Demenz erkrankten Patienten auf?Ja, entsprechende Untersuchungen haben ergeben, dass fast jeder Betroffene solche Verhaltenssymptome im Ver-lauf der Krankheit zeigt. Die häufigsten Symptome sind dabei Agitation und Apathie.Viele Pflegende fühlen sich hilflos, wenn sie in einer Situation mit herausforderndem Verhalten konfrontiert sind. Was können sie konkret tun, wenn ein Patienten kontinuierlich umherläuft, weint oder schreit? Wenn eine solche Situation über einen längeren Zeit-raum anhält, sollte sie auf jeden Fall im Team besprochen werden. Gemeinsam analysiert man dann, ob das Verhal-ten vielleicht immer nur bei einer bestimmten Person auftritt oder ob es generell ein Problem ist und wie ande-re mit dieser Situation umgehen. Auch sollte man ge-meinsam eruieren, was die Ursachen für dieses Verhalten sein können und welche geeigneten Maßnahmen ange-wendet werden sollten. Grundsätzlich aber kann ich kei-ne pauschale Empfehlung aussprechen. Es wäre nicht richtig, wenn ich Validation, Snoezelen oder Musikthera-pie empfehlen würde. Die richtige Maßnahme hängt sehr von der betreffenden Person ab, worin ihr Verhalten begründet liegt und auf was sie positiv reagiert.Haben Sie trotzdem einen Rat für Pflegende?Meine Empfehlung ist, ein solches Verhalten wirklich als ein Signal zu verstehen und als einen Kommunikations-ansatz des Patienten, um herauszufinden, was er mir mit diesem Verhalten mitteilen möchte. Keine Maßnahme ist

per se richtig oder falsch, alles muss individuell abge-stimmt werden. Pflegende brauchen dafür eigentlich eine Art Baukasten, denn sie müssen sich in unterschiedlichen Ansätzen, beispielsweise auch in der Psychologie, gut auskennen und diese auch anwenden können. Eine gute Hilfestellung bieten die Rahmenempfehlungen zum he-rausfordernden Verhalten von Menschen mit Demenz. Sie sind zwar schon 2007 entwickelt worden, stellen aus meiner Sicht aber immer noch den aktuellen Stand des Wissens zum Thema dar und sind für die Situation in deutschen Pflegeheimen entwickelt worden. Sie stellen die sogenannte „Verstehende Diagnostik“ in den Mittel-punkt. Damit ist gemeint, dass das Verstehen des Verhal-tens vor dem Handeln kommt.Ein Ansatz könnte auch das etwas in die Jahre gekom-mene Modell der Validation der US-Amerikanerin Nao-mi Feil aus den 1990er-Jahren sein. Dieses lehrt, dass man an Demenz Erkrankten wertschätzend begegnen und ihre momentanen Gefühle spiegeln muss. Zurecht-weisungen sind laut Feil immer unangebracht. Ist das nicht auch eine hilfreiche Strategie?Ob Validation richtig ist, kann ich nicht sagen, zumal es keine guten Effektivitätsstudien zu diesem Ansatz gibt. Dennoch ist sicherlich der hinter dem Modell steckende Ansatz entscheidend in der Pflege. Es ist eine Prämisse, Menschen wertschätzend zu begegnen und sie auch so zu behandeln. Ob das nun nach den Regeln von Naomi Feil oder Nicole Richards, die die integrative Validation etab-liert hat, erfolgt, ist zweitrangig. Wenn es einen positiven Effekt auf die Person hat, dann ist es gut. So simpel, wie das klingt, ist es auch. Aber was, wenn eine Pflegefachperson mit einer Situati-on überfordert ist, beispielsweise weil ein Patient unent-wegt umherläuft und das womöglich auch noch in einer Situation, in der ohnehin schon Zeitdruck herrscht?

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Auch hier kann ich keinen konkreten Tipp geben. Wenn die Situation sehr problematisch ist, dann helfen sicher-lich Deeskalationsstrategien, die den Moment entschär-fen und beruhigen. Dazu zählt zum Beispiel, der Person ruhig, mit Respekt und Empathie entgegenzutreten. Ver-bale Drohungen oder Drohgebärden wie der erhobene Fingerzeig sollten vermieden werden. Grundsätzlich kommen wir aber nicht umhin, dass wir die Person ken-nen müssen, um zu wissen, was sie in schwierigen Situa-tionen beruhigt. Die unmittelbar nächsten Minuten kann man damit überbrücken und gewinnt so Zeit, weiterge-hende Maßnahmen in Betracht zu ziehen. Ein sensibler und reflektierter Umgang mit Patienten und Bewohnern ist in jeder Situation maßgeblich. Es gibt unterschiedliche Assessment-Instrumente, die bei der Einschätzung von herausforderndem Verhalten helfen sollen. Sind diese lediglich als Orientierung zu verstehen?Tatsächlich gibt es fast über 100 solcher Instrumente, die so etwas wie problematisches, neuropsychiatrisches oder herausforderndes Verhalten erfassen – selbst der Begriff für dieses bestimmte Phänomen von Verhalten ist nicht eindeutig. Erst die bereits erwähnten Rahmenempfeh-lungen zum Umgang mit herausforderndem Verhalten von Menschen mit Demenz des Bundesgesundheits- ministeriums schafften diesbezüglich mehr Klarheit. In-ternational spricht man in Zusammenhang mit Demenz

schon seit der Jahrtausendwende von herausforderndem Verhalten. Der Begriff soll auch die Individualität von Verhalten abbilden. Zuvor sprach man eher von Pro-blemverhalten, störendem Verhalten oder demenzspezifi-schem Verhalten, also sehr medizinisch oder psychi-atrisch geprägten Ausdrücken. Wobei der Begriff des herausfordernden Verhaltens hier in Deutschland nicht unumstritten ist. Meinem Empfinden nach nutzt nur die Minderheit in der Praxis solche Assessment-Instrumen-te. Sie gehören nicht zum Standard, sondern werden vor allem dann angewandt, wenn die Einschätzung von Ver-halten vor allem strukturelle oder finanzielle Bedeutung hat. Also wenn zum Beispiel Altenhilfeeinrichtungen mit spezialisierten Wohneinheiten zusätzliche Finanzie-rungstöpfe generieren wollen. Woran liegt es, dass die Instrumente nicht Standard in der pflegerischen Praxis sind, wenn doch die Zahl der Betroffenen so hoch ist?Assessment-Instrumente sind generell wenig beliebt in der Praxis und werden eher als lästig empfunden. Verhal-tenserfassung ist zudem nicht wirklich ein Thema in der Ausbildung. Darüber hinaus sind die meisten Verhaltens-instrumente nicht von der oder für die Pflege entwickelt worden, sondern es sind in der Regel medizinische For-schungsinstrumente, zu denen es nur wenige Empfeh-lungen gibt, wie sie für die Gestaltung des Pflegeprozes-ses genutzt werden können. Außerdem wird Verhalten in der Praxis nicht als Pflegephänomen wie Schmerz oder Inkontinenz wahrgenommen. Im Pflegealltag schaut jede Pflegekraft individuell, ob sie es mit herausforderndem Verhalten zu tun hat oder nicht. Meistens gibt es in den einzelnen Pflegeteams aber schon so etwas wie ein ge-meinsames Verständnis von herausforderndem Verhal-ten. Dennoch offenbart sich manchmal in gemeinsamen Fallbesprechungen, dass dieses Verständnis trotzdem sehr unterschiedlich sein kann. Inwiefern?Wenn beispielsweise das Team davon ausgeht, ein Patient oder Bewohner sei herausfordernd, zeigt sich in der Fall-besprechung plötzlich, dass die eine Pflegekraft dieses Verhalten eher beim Essen wahrnimmt, die andere aber beim Anziehen. Sie sind sich zwar einig, dass diese Person herausfordernd ist, aber was genau das Herausfor-dernde ist, dazu gibt es häufig unterschiedliche Wahr-nehmungen. Die Bewertung liegt im Auge des Betrach-ters, es ist etwas sehr Subjektives. Dem gegenüber steht der wissenschaftliche Ansatz. Ein Wert auf einer Skala definiert, ob das Verhalten ein herausforderndes ist. Ist dem so, dann ist es damit objektiv dokumentiert. Welche Konsequenzen haben diese beiden unterschied-lichen Ansätze? Beide Sichtweisen haben Vor- und Nachteile. Die For-schung hat vor allem Programme entwickelt, die Lösun-gen für eine ganze Gruppe von Menschen mit Demenz anbieten und die auf die Minderung von herausfordern-dem Verhalten ausgerichtet sind. Dazu zählen zum Bei-spiel Musikangebote oder sensorische Stimulation. Die Gefahr dabei ist, dass man den Menschen mit Demenz Unrecht tut, weil die individuelle Bedeutung des Verhal-

HERAUSFORDERNDES VERHALTEN BESTIMMENEs gibt eine Vielzahl an Assessment-Instrumenten, mit denen herausforderndes Verhalten bestimmt werden kann. Zum Beispiel gibt es das sogenannte neuropsychiatrische Inventar. Das ist ein Instrument, mit dem Symptome wie Unruhe, Apathie oder Aggression erfasst werden. Erst ab einem be-stimmten Punktwert spricht man in diesem Fall von klinisch relevantem Verhalten.

In Deutschland weit verbreitet ist das Cohen-Mansfield-Agitations-Inventar. Damit wird aggres-sives Verhalten mit seiner Häufigkeit in einem Beurteilungszeitraum von meist zwei Wochen do-kumentiert. Insgesamt 29 Formen des Verhaltens sind dort vorgegeben.

Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, heraus-forderndes Verhalten einerseits über die Häufigkeit zu definieren. Zeigt ein Patient oder Bewohner über einen bestimmten Zeitraum ein gewisses Verhalten, gilt es als herausfordernd. Andererseits gibt es den Ansatz, anhand der Stärke eines Ver-haltens die entsprechende Schlussfolgerung zu ziehen. Also wenn beispielsweise ein Patient hin und wieder schlägt, dies jedoch dann sehr gewalt-voll, findet das zwar nicht so oft statt, wie ein unruhiges Verhalten, aber es ist sehr belastend für Pflegende und Angehörige.

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tens vernachlässigt wird. Die individuelle, sagen wir „Al-les-liegt-im-Auge-des-Betrachters-Perspektive“ verleitet mitunter dazu, ernste Probleme zu übersehen, zu bagatel-lisieren, den Umgang mit dem Verhalten zu stark von individuellen Einstellungen abhängig zu machen. Wie können Pflegende hier einen richtigen Weg ein-schlagen? Gibt es einen solchen überhaupt?In den meisten Fällen besteht kein Widerspruch zwi-schen dem, was die Pflegenden sagen und was die Aus-wertung einer Skala ergibt. Aber wenn jemand schlägt, sagen viele Pflegende oft, dass sie wissen, warum derjeni-ge das tut. Damit ist es für sie kein herausforderndes Verhalten mehr, weil es für sie eine nachvollziehbare Re-aktion ist und sie wissen, wie sie solche Situationen ver-meiden können. Die wissenschaftlichen Methoden kön-nen zwar ein Verhalten wie Schlagen, Rufen oder Gehen objektiv festhalten. Die Bewertung jedoch, ob das auch etwas Problematisches, Herausforderndes ist, passiert ei-gentlich in den Köpfen der Betrachter. Also kommt es immer auch auf eine genaue Beobach-tung der Patienten an? Das erfordert Fachkompetenz …Ja, genau, je mehr Pflegende über Demenz wissen, desto ein größeres Handlungsrepertoire haben sie. Verhalten ist immer ein Ausdruck von Bedürfnissen, Umfeldbedin-gungen und der eigenen Persönlichkeit – auch bei gesun-den Menschen. Dieses Verhalten sollte zunächst als eine Art von Kommunikation wahrgenommen werden, um dann die Gründe dafür herauszufinden. Wenn Pflegende sehr sorgfältig den an Demenz Erkrankten betrachten, dann finden sie mitunter raus, dass vermeintliches oder zunächst problematisches Verhalten auch als eine Res-source verstanden werden kann.Wie meinen Sie das? Menschen, die viel herumlaufen, werden immer als Pro-blemfall betrachtet. Das ist aufgrund der Rahmenbedin-

gungen durchaus nachvollziehbar. Aber wenn dieses He-rumlaufen eines der wenigen Funktionen ist, die diese Person noch selbstständig ausführen kann, die ihn be-schäftigt und beruhigt, dann ist das eine Ressource, die es zu erhalten gilt. Der nächste Schritt wäre zu schauen, wie man die Umgebung anpassen kann, damit seine Selbst-ständigkeit möglichst erhalten bleibt. Verhalten muss also in Zusammenhang mit Demenz nicht zwangsläufig negativ sein. Dennoch kann diese Unruhe auch im Schmerz begrün-det sein. Forschungsergebnisse weisen auf einen engen Zusammenhang dieser beiden Faktoren hin.Das will ich nicht bestreiten. In solchen Fällen muss der Schmerz natürlich behandelt werden, um die Unruhe zu reduzieren. Die Suche nach den Ursachen ist das Ele-mentare im Umgang mit herausforderndem Verhalten. Kann eine Pflegekraft die dafür nötige Kompetenz in sich allein bündeln oder ist vielmehr ein interdiszipli- näres Team ratsam?Es ist zweifelsohne schwer, bei Patienten mit herausfor-derndem Verhalten die situationsbedingt richtige Strate-gie zu finden. Deshalb sind gemeinsame Fallbesprechun-gen mit allen am Behandlungsprozess Beteiligten sehr sinnvoll. International spielen Psychologen dabei eine Schlüsselrolle. Hierzulande kenne ich jedoch keine Ein-richtung, die einen Psychologen zur Beratung zieht be-ziehungsweise ziehen kann. Genauso wichtig wie Psy-chologen sind Pharmakologen. Auch das ist in der Praxis kaum umsetzbar. Deshalb geht es eher um die Frage, wie man trotz dieser widrigen Umstände an das Fachwissen dieser Experten kommt. Und das funktioniert am besten über gut geknüpfte Netzwerke. Vielen Dank für das Gespräch, Frau Dr. Halek.

[email protected]

Je mehr Pflegende über Demenz wissen, desto ein größeres

Handlungsrepertoire haben sie

Dr. Margareta Halek (MScN), 43, ist Leiterin der Forschungsgruppe Versorgungsinterventionen und stellvertretende Sprecherin des Standorts Witten des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative

Erkrankungen e. V. (DZNE). Außerdem ist sie Juniorprofessorin für Pflegewissenschaften mit dem Schwerpunkt Pflege von Menschen mit Demenz am Department für Pflegewissenschaft

der Universität Witten/Herdecke. Mail: [email protected]

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Assessment

GeriatrischeBetreuung

EinbindungAngehöriger

Fortbildung

Lotsendienst

Auf dem Weg zur demenzsensiblen UniklinikDemenz im Krankenhaus. Menschen mit Demenz haben besondere Bedürfnisse. Werden sie stationär im Krankenhaus aufgenommen, kommt es oft zu typischen Problemen wie Verwirrtheit, Widerstand, Weglauftendenzen. An der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) hat eine Arbeitsgruppe deshalb ein Bündel von Empfehlungen erarbeitet, die sich speziell für Universitätskliniken eignen, um die Versorgung von Menschen mit Demenz zu verbessern.

Von Dr. Monika Büchler und Katja Freund

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B egleiten wir einen 82-jähri-gen Patienten, der mit einem

Oberschenkelhalsbruch in eine Uni-versitätsklinik aufgenommen worden ist: Bereits am ersten Tag seines Auf-enthalts wird deutlich, dass er sich im hektischen Klinikalltag nicht zu-recht findet, es besteht der Verdacht auf eine Demenzerkrankung. Er ist zeitlich, situativ und räumlich des-orientiert. Nach der Operation gerät er in ein postoperatives Delir. Da er seine Bettruhe nicht einhält und als sturzgefährdet gilt, muss er von einer Sitzwache betreut werden. Er ver-weigert das Essen und sämtliche pflegerische Interventionen. Er be-kommt eine Lungenentzündung und wird einige Tage auf der Intensivsta-tion behandelt. Als man ihn endlich entlassen kann, hat sich sein kogniti-ver Zustand derart verschlechtert, dass er nicht mehr zu Hause versorgt werden kann und in ein Pflegeheim umziehen muss.

Der geschilderte Fall ist fiktiv. Fakt ist jedoch, dass älteren Patien-ten mit Demenz ein Krankenhaus-aufenthalt unter Umständen mehr schaden als nutzen kann. Kranken-häuser sind in der Regel noch nicht angemessen auf die Bedürfnisse dieser Patientengruppe eingestellt (Hibbeler 2013). Nicht nur die Pa-tienten erleben den Aufenthalt als Belastung (Angerhausen 2008). Auch die Pflegekräfte, die diese Pa-tienten nicht so gut versorgen kön-nen, wie sie es gerne möchten, fühlen sich belastet (Isfort et al. 2014).

Wie groß ist das Problem?

Immer häufiger werden alte und an Demenz erkrankte Patienten in ein Krankenhaus aufgenommen. Auch Universitätskliniken und Kranken-häuser der Maximalversorgung bil-den hier keine Ausnahme. Bundes-weit gibt es jedoch keine validen Zahlen zum Anteil der Patienten, die stationär mit der Nebendiagnose Demenz in Krankenhäusern behan-delt werden. Die Auswertung der wenigen Studien hierzulande ergab einen Anteil von 3,4 bis 43,3 Pro-zent (Isfort et al. 2014, Pinkert/Hol-le 2012).

Um herauszufinden, wie viele Pa-tienten in der Medizinischen Hoch-schule Hannover (MHH) mit der Nebendiagnose Demenz in den ein-zelnen Bereichen versorgt werden, wurden 2013 Daten in SAP ausge-wertet. Für den Zeitraum von 2003 bis 2012 wurde nach Patienten ge-sucht, die stationär behandelt wur-den und mit der Nebendiagnose De-menz beziehungsweise Demenz-as-soziiertes Durchgangssyndrom co-diert worden waren. Ausgenommen waren die (Geronto-)Psychiatrie und die Intensivstationen, weil diese Sta-tionen – unter anderem durch einen besseren Personalschlüssel – mehr Möglichkeiten haben, auf die Be-dürfnisse dieser Patienten einzuge-hen.

Auf Basis dieser Auswertung wurden in einem zweiten Schritt 17 Stations- und Bereichsleitungen mithilfe eines leitfadengestützten Interviews befragt. Die Leitungs-kräfte repräsentierten insgesamt die 19 Stationen, auf denen besonders häufig Patienten mit Demenz be-handelt werden, sowie die zentrale Notaufnahme. Ziel war es herauszu-finden, wie sich die Versorgung von Menschen mit Demenz aus Sicht der Pflegenden darstellt. Die Zahl der Betten auf den Stationen beweg-te sich zwischen 24 und 38, wobei die Mehrzahl der Stationen über 30 Betten hatte.

Das Ergebnis der SAP-Recher-che in der MHH zeigte, dass im Jahr 2012 insgesamt 60 526 Patienten stationär behandelt wurden. Davon waren außerhalb der Gerontopsy-chiatrie und der Intensivstationen 730 Patienten mit der Nebendiagno-se Demenz codiert, das sind 1,2 Pro-zent. Im Gegensatz dazu wurden im Jahr 2003 nur 176 Patienten mit der Nebendiagnose Demenz behandelt. Der Anstieg dieser Patientengruppe beträgt von 2003 bis 2012 immerhin 400 Prozent und lässt sich nicht mit der Entwicklung der gesamten sta-tionären Behandlungen in diesem Zeitraum erklären.

Deutlich wurde in der Auswer-tung, dass die am meisten betroffe-nen Abteilungen die Neurologie, die Unfallchirurgie und die interdiszipli-

näre Aufnahmestation waren, gefolgt von der Gastroenterologie. Ebenso wurden die Stationsleitungen unter anderem dazu befragt, wie häufig Patienten mit Demenz nach ihrer Einschätzung auf den Stationen lie-gen. Fünf antworteten mit „täglich“, fünf mit „wöchentlich“ und drei mit „monatlich“. Die Zahl der Patienten variierte von eins bis drei. Diese Beobachtungen legen den Verdacht nahe, dass nicht alle Patienten, die als dement eingestuft wurden, in SAP auch erfasst wurden.

Typische Herausforderungen

Aus der Literatur (Wingenfeld 2007) sind typische Probleme be-kannt, die im Rahmen der stationä-ren Behandlung und pflegerischen Versorgung auftreten können. Diese wurden auch von den Stationsleitun-gen der MHH bestätigt:n Verwirrtheit/Orientierungslosig-keit,n Hinlauftendenzen,n Widerstand oder mangelnde Mitarbeit bei pflegerischen Hand-lungen/Operationsvorbereitungen,n Probleme bei der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme,n Verständigungsprobleme, zum Beispiel Aufstehen nach Operation trotz angeordneter Bettruhe,n Notwendigkeit der Fixierung we-gen Eigengefährdung, zum Beispiel Entfernen von venösen Zugängen,n Sturzgefahr,n Aggressivität.

Alle Befragten gaben einen deut-lichen pflegerischen Mehraufwand bei Patienten mit Demenz an. Die Stationen, die seltener mit dieser Pa-tientengruppe zu tun haben, können den Mehraufwand besser verkraften als die Stationen, auf denen täglich einer oder mehrere dieser Patienten versorgt werden müssen. Dort haben Pflegende immer häufiger das Ge-fühl, dieser Patientengruppe nicht gerecht zu werden.

Häufig werden bei unruhigen oder hinlaufgefährdeten Patienten Sitzwachen eingesetzt, vor allem auch, um eine Fixierung zu vermei-

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den. Auf die Frage, was die Situationverbessern könnte, nannten die Stationsleitungen Niedrigflurbetten, Hüftprotektoren, Tiefsessel, Pikto-gramme und Beschäftigungsmateri-al. Ebenso häufig präferierten dieBefragten auch die Einrichtung einer interdisziplinären Station für Patienten mit kognitiven Einschrän-kungen sowie – auf besonders betroffenen Stationen – die Auf- stockung der Personaldecke mit ger-iatrisch ausgebildetem Personal.

Die vorgeschlagenen Lösungsan-sätze unterscheiden sich nicht we-sentlich von den in Theorie und Pra-xis diskutierten und durchgeführten Maßnahmen (Isfort et al. 2014). Dennoch gibt es Unterschiede zwi-

schen einer Universitätsklinik, Kran-kenhäusern der Maximalversorgung sowie Krankenhäusern der Grund-und Regelversorgung: Der Case-Mix-Index ist deutlich höher und somit sind die Patienten kränker. Das Gebäude ist größer und unüber-sichtlicher, es gibt mehr diagnosti-sche und therapeutische Möglich-keiten und damit häufig wechselndeUmgebungen. Die Stationen sind größer, und der Patient erlebt ständi-ge Veränderungen in der ärztlichen und pflegerischen Betreuung.

Besserer Umgang mit Demenz an Unikliniken

Aufgrund dieser besonderen Fakto-ren stellt sich folgende Frage: Wel-che Konzepte eignen sich für eine Universitätsklinik, um den Umgang

mit Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen zu verbes-

sern? Dieser Frage ist in der MHH eine interdis-

ziplinäre Arbeitsgruppe (AG) im Auftrag der Klinikkonferenz nach-gegangen (s. Kasten). Sie gibt die im Fol-genden aufgeführten Empfehlungen.

Assessment bei Aufnahme: Zur Identifizierung von geriatrischen Pa-tienten mit kognitiven Einschrän-kungen könnte das Instrument „Identification of Senior at Risk“ (ISAR) (Thiem et al. 2012) im Rah-men des Aufnahmegesprächs in der zentralen Notaufnahme eingeführt werden. Bei differentialdiagnosti-scher Indikation könnte nach einer erneuten Prüfung auf der Station eingeriatrisches, ein gerontopsychiatri-sches oder bei Bedarf ein klinisch-pharmakologisches Konsil initiiert werden. Um insbesondere ein post-operatives Delir zu verhindern, sollteauch bei elektiven Aufnahmen eineRisikoeinschätzung älterer Patienten vorgenommen werden.

Ein weiterer Vorteil beim Ein-satz eines solchen Assessments ist die Tatsache, valide Angaben zur Zahl der betroffenen Patienten zu erhalten. Diese sollten mittelfristig auch als Grundlage für Verhandlun-gen mit Kostenträgern genutzt wer-den. Denn diese Patientengruppeverursacht durch den erhöhten Be-handlungsaufwand höhere Kosten, die noch nicht ausreichend refinan-ziert werden.

Ehrenamtlicher Lotsendienst: Die Einführung eines ehrenamtlichen Lotsendienstes wäre der erste Schritt in Richtung eines Masterplans für die Versorgung von geriatrischenund kognitiv eingeschränkten Men-schen. Dabei wäre es wichtig, dieLotsen in die Besprechungskultur auf den Stationen einzubinden undeine verbindliche Erreichbarkeit von Montag bis Freitag in der Zeit von 8 bis 16 Uhr zu gewährleisten. Da-rüber hinaus wäre eine Stelle für die Koordination der Einsätze, Beglei-tung und Erstkontaktaufnahme der Ehrenamtlichen notwendig.

Geriatrische Betreuung rund um dieOP: Als eine vielversprechendeMaßnahme schätzt die AG auch eine geriatrische Betreuung bei Operationen ein. Hier gewährleistenspeziell geschulte Altenpflegerinnen und Altenpfleger eine persönliche Betreuungskontinuität in der prä-, peri- und postoperativen Phase, umein Delir zu vermeiden.

AG zum Thema Demenz in der MHH gebildetDie Arbeitsgruppe (AG) an der MHH setzte sich aus leitenden Ärzten und Pflegekräften der am meisten betroffenen Bereiche, einer Mitar-beiterin der Unternehmensentwicklung sowie einem Vertreter der Alzheimer Gesellschaft Hannover zusammen. Punktuell eingebunden waren weiterhin der Sozialdienst, das Entlassungsmanagement, das Controlling, ein Anästhesist sowie ein Psychologe. In acht Sitzungen hat sich die AG mit Konzepten näher beschäftigt, die bereits in Kranken-häusern der Grund- und Regelversorgung erfolgreich umgesetzt werden und evaluiert wurden (vgl. Deutsche Alzheimer Gesellschaft 2013, Isfort 2012, Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter 2012, Pinkert/Holle 2012, Bayrisches Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit 2011, Wingenfeld/Kleina 2007). Darüber hinaus ist auch die Studie von Kirchen-Peters (2012) berücksichtigt worden, in der die fördernden und hemmenden Faktoren für die Umsetzung von Konzepten in Akutkrankenhäusern näher beschrie-ben wurden.

In der Diskussion innerhalb der AG wurde schnell klar, dass der Fokus nicht alleine auf die Demenz, sondern auf Patienten mit kog- nitiven Einschränkungen zu legen sei. Darüber hinaus wäre es sinnvoll,den Blickwinkel auf ältere Patienten zu erweitern, da diese Patienten-gruppe häufiger von kognitiven Einschränkungen betroffen ist und aufgrund des multifaktoriellen Geschehens einen potenziell kompli-zierteren stationären Verlauf haben kann.

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Integration von Angehörigen: Die Einbindung von Angehörigen, zum Beispiel in Form von Rooming-In, wird zum Teil bereits erfolgreich praktiziert. Eine klinikübergreifende Lösung wird als nicht sinnvoll er-achtet. Vielmehr sollte es in der Ver-antwortung der einzelnen Abteilun-gen liegen, ob dieses Angebot gezielt unterbreitet wird.

Abteilungsübergreifende Prozess-optimierung: Neben diesen Maß-nahmen wäre es für alle Beteiligten hilfreich, die Prozesse nicht nur in den jeweiligen Abteilungen, sondern auch abteilungsübergreifend zu opti-mieren. Dadurch können sich für dieses Patientenklientel zum Beispiel Warte- und Liegezeiten in der Zen-tralen Notaufnahme verkürzen oder es können Operationen priorisiert werden.

Einführung einer Demenz-Beauf-tragten: Um alle diese Maßnahmen schrittweise qualitätsgesichert zu implementieren und die Betreuung und Therapie von Menschen mit ko-gnitiven Einschränkungen kontinu-ierlich zu verbessern, hat sich die AG für die Einführung einer Demenz- beziehungsweise Geriatrie-Beauf-tragten ausgesprochen. Bei der Auswahl der Mitarbeiter sollten unterschiedliche Berufsgruppen berücksichtigt werden. Diese sollten aber mindestens den Medizin- und Pflegebereich umfassen, damit eine interdisziplinäre Perspektive auf das Querschnittsthema erfolgen kann. Zusätzlich sollte es noch weitere Multiplikatoren in den einzelnen Bereichen geben.

Fortbildung aller Mitarbeiter: Die Fortbildung für Krankenhausmit- arbeiter sollte sich nicht nur auf die Pflegekräfte beschränken, sondern auf alle Mitarbeiter ausgeweitet werden, die im direkten Patienten-kontakt stehen. Dazu gehören zum Beispiel Ärzte und Therapeuten, aber auch Mitarbeiter des Transport-dienstes. Die Fortbildungen sollten thematisch und zeitlich an die jewei-ligen Bedürfnisse der Berufsgruppe angepasst werden.

Weitere Maßnahmen: Eine weitere Optimierungsmöglichkeit liegt in der Nutzung und dem Aufbau von Netzwerken, zum Beispiel mit Klini-ken in Hannover, die spezielle geria-trische Abteilungen haben, oder mit anderen Universitätskliniken. Ein langfristiges Ziel könnte im Aufbau einer interdisziplinären Station für kognitiv eingeschränkte Patienten liegen, um deren Behandlung zu optimieren, Komplikationen zu ver-meiden und Pflegekräfte sowie Ärz-te auf den übrigen Stationen zu entlasten.

Alle Berufsgruppen einbinden

Es gibt ein Bündel von Möglichkei-ten, die insbesondere auch an einer Universitätsklinik der Supramaxi-malversorgung wie der MHH durchgeführt werden können, um die Versorgung von Menschen mit einer Demenzerkrankung bei statio-nären Aufenthalten zu optimieren. Darüber hinaus sollte es auch im ökonomischen Interesse der Kran-kenhäuser liegen, sich dieser Thema-tik zu widmen, um eine adäquate Refinanzierung der höheren Be-handlungskosten zu erreichen.

Wichtig ist allerdings, dass bei der Entwicklung, Implementierung und Umsetzung von Konzepten alle Berufsgruppen mitwirken. Die best-mögliche Betreuung von Menschen mit Demenz sollte nicht als alleinige Aufgabe der Pflege gesehen werden, auch wenn diese Berufsgruppe die meiste Zeit mit den Patienten ver-bringt.

Angerhausen, S. (2008): Demenz – eine Ne-bendiagnose im Akutkrankenhaus oder mehr? Maßnahmen für eine bessere Versor-gung demenzkranker Patienten im Kranken-haus. In: Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie 41 (6), 460–466Bayrisches Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit (Hrsg.) (2011): Betreuung von demenzkranken Menschen im Allgemein-krankenhaus. 20 Empfehlungen für Kranken-hausträger zur verbesserten Versorgung von Patienten mit kognitiven EinschränkungenDeutsche Alzheimer Gesellschaft (Hrsg.) (2013): Menschen mit Demenz im Kranken-haus. Auf dem Weg zum demenzsensiblen Krankenhaus. 1. AuflageDeutsches Institut für Medizinische Doku-mentation und Information (DIMDI) (Hrsg.) (2009): Pflegerische Versorgungskonzepte für

Personen mit Demenzerkrankungen. Schriften-reihe Health Technology Assessment Bd. 80Hibbeler, B. (2013): Der alte Patient wird zum Normalfall. In: Ärzteblatt 110 (21) 1036–1037 Isfort, M.; Klostermann, J.; Gehlen, D.; Sieg-ling, B. (2014): Pflege-Thermometer 2014. Ei-ne bundesweite Befragung von leitenden Pflegekräften zur Pflege und Patientenversor-gung von Menschen mit Demenz im Kranken-haus. Herausgegeben von: Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung e.V. (dip), Köln. www.dip.de/fileadmin/data/pdf/projekte/Pflege-Thermometer_2014.pdf (letzter Ab-ruf vom 23.11.2015)Isfort, M. (2012): Menschen mit Demenz im Krankenhaus. Eine Handreichung der inter-disziplinären Arbeitsgruppe der Diözesan- Arbeitsgemeinschaft der katholischen Kran-kenhäuser (DIAG) in der Erzdiözese Köln. Deutsches Institut für angewandte Pflege- forschungKirchen-Peters, S. (2012): Analyse von hem-menden und förderlichen Faktoren für die Verbreitung demenzsensibler Konzepte in Akutkrankenhäusern. Institut für Sozialfor-schung und Sozialwirtschaft e.V. SaarbrückenMinisterium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter (MGEPA) (Hrsg.) (2012): Der alte Mensch im OP. Praktische Anregungen zur besseren Versorgung und Verhinderung eines perioperativen Altersdelirs Pinkert, C.; Holle, B. (2012): Menschen mit Demenz im Akutkrankenhaus. Literaturüber-sicht zu Prävalenz und Einweisungsgründen. In: Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie 45 (8) 728–734Thiem, U.; Greuel, H.W.; Reingräber, A. et al. (2012): Positionspapier zur Identifizierung ger-iatrischer Patienten in Notaufnahmen in Deutschland. In: Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie 45 (4) 310–314Wingenfeld, K.; Kleina, T. (2007): Die Versor-gung demenzkranker älterer Menschen im Krankenhaus. Veröffentlichungsreihe des In-stituts für Pflegewissenschaft an der Universi-tät Bielefeld (IPW); P 07, 135

Dr. Monika Büchler ist Diplom-Medizin- pädagogin und pädagogische Mitarbeiterin

der Pflegeschule an der Medizinischen Hochschule Hannover.

Mail: [email protected]

Katja Freund ist Geschäftsführerin des Klinischen Ethik-Komitees der Medizinischen

Hochschule Hannover. Sie ist diplomierte Krankenschwester und Beraterin für Ethik

im Gesundheitswesen.Mail: [email protected]

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DIE SUCHE NACH INDIVIDUALITÄT

Basale Stimulation bei an Demenz erkrankten Menschen. Berührung ist ein unverzichtbarer Bestandteil des mensch lichen Lebens. Für Menschen, die über Worte und Gesten nur noch schwer zu erreichen sind, gewinnt die Kommunikation über Berührung immer mehr an Bedeutung. Basale Stimulation ist ein Konzept, das Berührung im Pflegealltag bewusst einsetzt, um diese Menschen in ihrer Welt zu erreichen.

Von Thomas Buchholz und Ansgar Schürenberg

S tille im Zimmer. Nur ein leises Rascheln von Stoff ist zu hö-

ren. Mit leicht erhöhtem Oberkör-per liegt Frau Münch im Bett. Der Kopf ist zur Zimmerdecke gerichtet. Starr und statisch wirkt der Blick. In ihren Augen spiegelt sich die De-ckenleuchte wieder. Die Hände auf dem Brustkorb, die Beine angewin-kelt und überkreuzt, liegt sie da. Hin und wieder schließt sie die Augen. Immer wieder beginnt sie mit den Fingerspitzen ihrer rechten Hand den eigenen Brustkorb zu reiben. Sie wirkt, also ob sie in einer eigenen Welt von Gedanken verharrt.

Ein Mensch, dessen Zustand kein Einzelfall ist. Besucher, Patien-ten, Betreuer, Pflegende und Ange-hörige sowohl im Pflegeheim, im häuslichen Bereich oder in Kliniken treffen zunehmend auf Mitmen-schen mit derartigen Verhaltenswei-sen. Diese verunsichern andere Menschen, weil sie nicht wissen, wie sie sich ihnen gegenüber verhalten sollen.

Die größer werdende Gruppe schwer an Demenz erkrankter Men-schen stellt hohe Ansprüche an die psychischen und sozialen Kompe-tenzen aller beteiligten Personen. Dieser gesellschaftlichen Herausfor-derung, der insbesondere die Politik

trotz zaghafter Bemühungen nicht gewachsen zu sein scheint, stellen sich Pflegende täglich.

Menschen mit starker Demenz erleben sich primär, eventuell sogar ausschließlich, über ihren Körper be-ziehungsweise als körperlich – oder besser gesagt als Körper-Ich. Pfle-gende Angehörige sowie die Berufs-gruppe der professionell Pflegenden selbst müssen stets neue Antworten finden, um diese Personen unterstüt-zen und sie würdevoll begleiten zu können. Durchhaltevermögen, die Gelassenheit, Dinge zu ertragen (z. B. die Demenz), die nicht zu ändern sind, sich als Partner für eine be-grenzte Zeit ganz auf den beein-trächtigten Menschen einzulassen und mit ihm in Austausch zu treten, sind notwendige Fähigkeiten, die Pflegende für die Pflege von de-menzkranken Menschen erlernen sollten.

Den Erkrankten wertschätzen und würdigen

Wie können wir an Demenz er-krankten Menschen begegnen? Wie nähern wir uns der schwierigen Le-benssituation dieser Menschen an? Das Konzept der Basalen Stimulati-on möchte helfen, auf diese Fragen

menschliche und pflegerische Ant-worten zu suchen. Antworten, wel-che durch konkrete Umgangsweisen im Alltag des Betroffenen spürbar werden, also eine ständige Suche nach der Individualität des Anderen und damit gleichzeitig seine Wert-schätzung und Würdigung. Das Konzept möchte Pflege so organisie-ren, damit erfülltes Leben möglich ist. Ein Leben, das sich am erkrank-ten Menschen orientiert und nicht an vorgegebenen Programmen. Nicht Abläufe oder festgelegte standar -disierte Vorgehensweisen stehen im Vordergrund des Konzepts, sondern die lebendige Begleitung im Alltag und die menschliche Begegnung.

Im Verlauf der oft viel zu kurzen pflegerischer Kontakte kann den-noch herausgefunden werden, welche Themen des Lebens den an Demenz Erkrankten beschäftigen. Lebens-kräfte, die im früheren Leben gewirkt haben, wie Angst, Schuld, Scham oder Wille, Mut, Hoffnung und Ver-trauen können heute noch wirken und trotz Desorientierung ausgelöst oder angesprochen werden.

Orientierung geben, zu helfen, sich im eigenen Körper und dadurch ebenso in der Umgebung zurechtzu-finden, Sicherheit zu erleben durch verlässliche Bezugspersonen und

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Pflegen + Unterstützen

spürbare menschliche Begleitung sind zentrale Anliegen der Basalen Stimulation. Hinter dem Konzept steht weniger ein therapeutischer Anspruch, sondern besonders die Lebensbegleitung in schwierigen Si-tuationen. Erlebt ein schwer beein-trächtigter Mensch Verständnis, An-erkennung, Nähe und Begleitung durch sorg- und achtsam handelnde Menschen, wird das Leben leichter und unbeschwerter, zumindest für den Moment der Begegnung.

Mit diesen Erwartungen sehen sich Pflegende konfrontiert, denn „nur in einer echten, einfühlenden und akzeptierenden Beziehung ist ein auf das Wohlbefinden und Lebensqua lität ausgerichteter Alltag möglich“ (Bundesministerium für Gesundheit 2006).

Die Anforderung des „nur“ stellt hohe Ansprüche an die Kompeten-zen der Pflegenden, welche Psycho-therapeuten erst nach jahrelanger, spezifischer Schulung erreichen. Im Alltag erleben Pflegende die Stim-mungen des Betroffenen, seine schö-nen und angenehmen „Seiten“, aber auch Ängste, Verzweiflung, Ableh-nung, Abwehr und Aggression.

Schicksale, traumatische Erfah-rungen, Verluste von Angehörigen, Trauer und Frustrationen, die das Leben mit sich bringen, machen kei-nen Halt vor dem Krankenhaus oder Heim. Damit sind Pflegende insbe-sondere in Langzeiteinrichtungen konfrontiert mit seelischen, sozialen, psychischen, medizinischen und kör-perlichen „Themen“ ihrer anvertrau-ten Patienten oder Bewohner.

Da Pflegende selbst kaum frei sind von eigenen „Lebensthemen“, können leicht Übertragungen ge-schehen. Persönlichkeiten mit Zu-trauen in die eigene Person, Wider-standsfähigkeit im Umgang mit Kri-sen, ein ausgewogenes, reflektiertes Verhältnis von Nähe und Distanz, aber auch Sanftmut, Fähigkeit zur Zuwendung und Vergebung sind ge-fragt. Länger andauernde psy-chische, aber auch körperliche Belas-tungen konstruktiv zu verarbeiten und zu verkraften, helfen, sich jen-seits eigener Interessen – während der Dienstzeit – ganz in den „Dienst“ eines anderen Menschen zu

Gefühle erleben

sich bewegen

verstehen

Menschen erfahrenkommunizieren

wahrnehmen

den eigenen Körper spüren

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MODELL DER GANZHEITLICHKEIT – HEXAGON

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stellen. Die schwierigen Anforde-rungen und Aufgaben der Pflege bringen gezwungenermaßen mit sich, in intimste Körperbereiche vor-zudringen und Tätigkeiten auszu-führen, die von an Demenz Erkrank-ten weder verstanden noch gewollt werden (z. B. bei Stuhl- und Harn -inkontinenz oder Mundpflege). So wird Pflege leicht als Angriff gewer-tet, zumindest aber als Eingriff in die Integrität dieses Menschen verstan-den. Situationsbezogenes Handeln zum Wohle des Betroffenen ist dann notwendig. Abstand nehmen von der geplanten Pflege ist unter Umstän-den dringend angezeigt, individuelle Lösungen nötig. Denn jeder an De-menz erkrankte Mensch ist anders, reagiert anders und braucht andere Dinge.

Intuitiv und situativ pflegen

Aus diesen personenbezogenen und fachlichen Anforderungen heraus lei-ten sich die Absichten des Konzepts der Basalen Stimulation in der Pflege ab.Basal stimulierende Pflege soll■ sich an den Bedürfnissen und Gefühlen der Pflegebedürftigen aus-richten,■ wachsam im Austausch mit der beteiligten Person erfolgen,■ intuitiv und situativ angepasst sein,■ individualisiert den Alltag des Betroffenen begleiten.

Wie werden diese Ziele bei der basal stimulierenden Pflege von Frau Münch berücksichtigt? Diese Dame mit fortgeschrittener Demenz er-fährt länger andauernde Kontakte hauptsächlich in Zeiten der Körper-pflege. Kooperieren Pflegende und Betreuungskräfte (nach § 87 b Abs. 3 SGB XI), werden basal stimulie- rende Angebote durch Einzelbetreu-ung ergänzt. Findet ein vorbereiteter, für Frau Münch nachvollziehbarer Kontakt über ihren Körper statt, un-terlässt sie die „Kratzbewegungen“ am Brustkorb, wirkt aufmerksam und wacher zugleich. Insbesondere bei deutlich spürbaren Waschbewe-gungen oder Berührungen mit ei-nem langsamen, streichenden Cha-rakter in gleicher Richtung, die mehrfach regelmäßig wiederkehren,

lächelt sie hin und wieder. Bei gleichbleibend nachvollziehbarem Rhythmus der Berührung und Be-wegung stellt Frau Münch für eine Zeit lang das Kratzen ein. Hin und wieder zeigen sich aber auch deutli-che Zeichen von Abwehr, wenn sie Pflegesituationen überfordern. Das Kratzen nimmt zu, ihre Bewegungen werden schneller, ja schüttelnd. Sie wirkt dann so, als ob sie sich die Fin-ger verbrannt hätte. Die Bewegun-gen scheinen, dem Abwinken gleich, sagen zu wollen: „Geh aus dem Weg. Verschwinde!“ Solche Bewegungen als kommunikative Zeichen wahrzu-nehmen, sie verbal wertfrei zu be-schreiben und eventuell non-verbal durch eindeutige Berührung han-delnd zu beantworten, wäre im Sin-ne der basal stimulierenden Pflege.

Intensive Begleitung schafft Verständnis

Was geschieht in solchen Momenten der Begegnung? Das Netz der Ganz-heitlichkeit menschlicher Entwick-lung versucht, sich derartiger Verhal-tensweisen erklärend anzunähern. Fröhlich und Haupt unternehmen mit dem sogenannten Hexagon den Versuch darzustellen, was in jedem Moment der kindlichen Entwick-lung gleichzeitig passiert: Gefühle spüren, den eigenen Körper erleben, Menschen erfahren, sich bewegen, kommunizieren, wahrnehmen und verstehen – all diese einzelnen Ele-mente sind gleichzeitig wirksam, gleich wirklich und gleich wichtig. Sie nehmen in ihrer Gesamtheit Einfluss auf die Entwicklung des Menschen.

Annahme des Konzepts ist, dass menschliches Leben in einem sol-chen Prozess der Entwicklung bis hin zum Tod geschieht, unabhängig vom seelischen, geistigen und kör-perlichen Zustand eines Menschen. Entwicklung von Demenzkranken ist selbst für viele Fachleute kaum vorstellbar. Sie wird dann meist als ein langsamer Prozess des Abbaus an Fähigkeiten verstanden. Aber auch das ist Entwicklung. Eine Entwick-lung zum Ende des Lebens hin. Eine Entwicklung jedoch, die wiederum intensive Begleitung braucht.

Für Außenstehende kaum erkenn-bar, scheinen Frau Münch diese Ent-wicklungsmöglichkeiten zu fehlen. Frau Münch verfügt über sehr gerin-ge Fähigkeiten, sich zu bewegen. Sich selbst wahrzunehmen fällt ihr schwer. Bis auf das blendende Licht scheint das lange Liegen in Rücken-lage, die Informationen über ihren eigenen Körper in den Hintergrund treten zu lassen. Es sieht aus, als würde sie nicht verstehen, was es be-deutet, wenn eine Pflegefachperson ihr das Drehen in die Seitenlage ver-bal ankündigt. Ihre Weise zu kom-munizieren ist, nach Haltemöglich-keiten zu suchen und damit den Pflegenden mitzuteilen, dass irgend-etwas an dieser Situation ihr Unbe-hagen auslöst. Offensichtlich ent-steht das Gefühl von Angst, aus dem Bett zu fallen. Ohne Rücksichtnah-me wirkt die Pflegende unter Um-ständen bedrohlich auf Frau Münch. Reflektiert die Pflegefachperson die-se Zeichen nicht und setzt ihr „Pro-gramm“ fort, könnte der Verlust an Vertrauen die mögliche Folge sein.

Diese Schilderung der einwir-kenden Elemente des Hexagon-Konzepts auf das mögliche Erleben während einer Pflegesituation ver-deutlicht, auf welch unterschiedli-chen Ebenen des Mensch-Seins ba-sal stimulierende Pflege den Betrof-fenen „anspricht“ und wie das Han-deln Pflegender umfassend auf den Anderen einwirkt. Sich dessen im Pflegealltag bewusst zu werden, er-fordert hohe persönliche und fachli-che Kompetenzen der Pflegenden.

Eine davon ist, die Fähigkeit sich und sein Handeln zu hinterfragen. Sich immer wieder klar darüber zu werden, wie im Moment möglicher-weise die Bedürfnisse und das Befin-den des an Demenz erkrankten Menschen sind. Zu fühlen, welche Gefühle gerade mich selbst beglei-ten, kommt ebenso hinzu wie zu fra-gen, ob und wie jene Gefühle die di-rekte Begegnung mit dem Pflegebe-dürftigen beeinflussen. Vorherr-schender Zeitdruck und das „Gefühl im Nacken“ als Pflegefachperson für viele Patienten und Bewohner ver-antwortlich zu sein, hinterlässt „Spu-ren“ bei der Begegnung und in der Selbstwahrnehmung der Pflegenden.

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Sehr leicht entsteht der Eindruck von Stress und das Gefühl, den ge-samten Anforderungen nicht mehr zu genügen. Aus Selbstschutz verfällt man unbedacht in eine Routine, wel-che zur Abspaltung vom Betroffenen führen kann. Handlungen am und mit dem Körper des Pflegebedürfti-gen gehorchen dann mehr den stan-dardisierten Stationsabläufen und dem Druck „fertig zu werden“, denn dem Anspruch menschlicher Begeg-nung im Pflegeprozess.

Pflegender und Bewohner sind gleichwertig

Genau das ist ein Anliegen des Kon-zepts der Basalen Stimulation, insbe-sondere bei der Pflege des an De-menz erkrankten Menschen. Eine gewisse Zeit – und seien es nur die fünf Minuten – beim Waschen des Rückens ganz bei dem Pflegebedürf-tigen zu sein, ihn klar zu berühren, ihm damit eindeutig spürbare Infor-mationen über sich und die Leben-digkeit seines Körpers sowie auf-merksame Nähe zu geben, reichen oftmals aus, um Zuwendung und Wohlbefinden zu vermitteln. Basale Begegnungen brauchen nicht unbe-dingt zeitlich geplante Arrange-ments, sondern passieren im alltägli-chen Leben. Vorausgesetzt, beide be-teiligte Menschen sind offen und bereit, sich darauf einzulassen.

Im Sinne des Hexagons sollten sich Pflegende also immer wieder vor und während der Pflegesituation fra-gen: Was nimmt dieser Mensch mo-mentan wahr? Wie spürt er den eige-nen Körper? Wie bewegt er sich? Was versteht er im Augenblick? Welches Empfinden drückt er aus? Wie erlebt er meine Person? Wie teilt er sich mit?

Basale Stimulation, als ein Kon-zept menschlicher Begegnung, be-trachtet die Interaktionspartner als gleichwertig. Daher können die Ele-mente des Hexagons als Anfragen an sich selbst formuliert und auf das Er-leben in der Begleitungssituation be-zogen werden. Eine derartige Refle-xion schafft Klarheit über die Motive eigenen Handelns.

Wenn Frau Münch, im Bett lie-gend, ihren Brustkorb fortwährend „kratzt“, könnte sie damit ausdrü-

cken, dass sie momentan zu wenig an Wahrnehmungsmöglichkeiten er-lebt. Sie setzt ihre noch zur Verfü-gung stehende, sehr eingeschränkte Bewegung der Hand als Ausdruck ihres momentanen Zustands ein. Vielleicht ist dies ein Versuch mitzu-teilen, dass das Licht der Zimmerde-cke sie blendet. Sie versteht, sich ge-gen das Blenden zur Wehr zu setzen, auf ihre Weise. Sie schließt die Au-gen, zieht sich in ihren Körper zu-rück. Sich durch das Kratzen selbst Spürinformationen zu verschaffen, liegt im Bereich des Möglichen oder sie setzt dieses als Hilferuf ein. Frau Münch teilt anderen Menschen mit: „Hier ist etwas nicht in Ordnung.“ Man könnte sagen, sie zeigt „selbst-expressives Verhalten“ (Buchholz/Schürenberg 2013).

Wie könnte man im Sinne des Konzepts mit Frau Münch umge-hen? Der Beginn wäre eine Analyse in erwähnter Art und Weise. Erst dann würde man mit ihr in direkten Kontakt treten. Sich selbst ankündi-gen durch eine eindeutige Berüh-rung hilft schon, ihre Aufmerksam-keit auf meine Person zu lenken. Das Ansprechen und beschreiben dessen, was sie tut – „Frau Münch, Sie rei-ben mit den Fingern ihren Brust-korb“ – vermittelt ihr, wahrgenom-men, aber nicht bewertet zu werden. Das Aufnehmen ihrer Bewegungen, indem der Pflegende das Kratzen mit seiner Hand begleitet, wäre eine Möglichkeit, das Gespräch auf der Körperebene aufzunehmen. Eine an-dere Option wäre es, mit der flach aufgelegten Hand die reibenden Be-wegungen von ihr zu übernehmen, aus dem Reiben ein sanftes Klopfen werden zu lassen.

Intelligenz des Bauchgefühls nutzen

Was letztendlich dauerhaft helfen würde, ihre eingeschränkten Mög-lichkeiten zu erweitern, obliegt der Kreativität, der Fantasie und der Be-reitschaft, nach Lösungen zu suchen. Subjektive Antworten aller Betei -ligten werden folgen. Beobachtung, Austausch im gesamten Team und gemeinsame, zuverlässige Vorgehens-weisen sind gefragt. Bei der unmittel-

baren Situation der Umsetzung des Überlegten sind jedoch Intuition, Aufmerksamkeit für sich, den Ande-ren, die Sache und Reflexion des ei-genen Tuns gefragt. Intuition, also Bauchgefühl, ist „gefühltes Wissen“, das „rasch im Bewusstsein auftaucht, dessen tiefere Gründe uns nicht be-wusst sind und das stark genug ist, danach zu handeln“ (Gigerenzer 2013). Sie entstehen als Folge von „Faustre-geln, die im evolvierten Gehirn und der Umwelt verankert“ sind (Gige-renzer 2007). „Bauchgefühle mögen ziemlich simpel erscheinen, doch ih-re tiefere Intelligenz äußert sich in der Auswahl der richtigen Faustregel für die richtige Situation“ (ebd.).

Auf der Stufe des Pflegeexperten scheinen diese Regeln fachlich stark verinnerlicht zu sein, glaubt man der Pflegewissenschaftlerin Patricia Ben- ner. Dem „Bauchgefühl“ zu vertrau-en und danach zu handeln ist jedoch jedem Menschen möglich. Das kann ein Schlüssel zugewandter basal sti-mulierender Begegnung mit dem an Demenz erkrankten Menschen jen-seits von Techniken sein und der Be-ginn eines Dialogs auf körperlicher Ebene.

Benner, P. (1994): Stufen zur Pflegekompetenz. From novice to expert. Verlag Hans Huber, Bern Buchholz, T. Schürenberg, A. (2013): Basale Stimulation in der Pflege alter Menschen. An-regungen zur Lebensbegleitung. Hans Huber. 4. Auflage. Bern Bundesministerium für Gesundheit (2006): Rahmenempfehlungen zum Umgang mit he-rausforderndem Verhalten bei Menschen mit Demenz in der Stationären Altenhilfe. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/fa_redaktion_bak/pdf_publikatio nen(Forschungsbericht_Rahmenempfehlun gen_Umgang_Demenz-pdfFröhlich, A. (1993): Pädagogische Aspekte der Förderung von Kindern und Jugendlichen mit cerebralen Bewegungsstörungen. S. 17–25. In: Bundesverband für Körper- und Mehrfachbe-hinderte e.V. (Hrsg.): Kinder mit cerebralen Be-wegungsstörungen. Verlag selbstbestimmtes Leben. Düsseldorf 1993Gigerenzer, G. (2007): Bauchentscheidungen. Die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition. C. Bertelsmann. MünchenGigerenzer, G. (2013): Bauchentscheidungen. Die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition. Vortrag am 05.02.2013. Heinz Nixdorf Museum. www.youtube.com/watch?v=IderadHRCu8

Für die Verfasser:Thomas BuchholzDiplom-Pädagoge und KrankenpflegerAm Feldsaum 5, 76316 [email protected]

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Demenz: Pflegende Angehörige unterstützenLiteraturarbeit Die meisten der rund 1,5 Millionen Menschen mit Demenz werden zu Hause versorgt. Dies kann für Angehörige sinnstiftend, aber auch belastend sein. Es ist eine wichtige Aufgabe ambulant tätiger Pflegepersonen, im kontinuierlichen Unterstützungsprozess Überlastungen pflegender Angehöriger zu erkennen. Sind die Grenzen der Angehörigenpflege erreicht, sollte – wenn nötig – die Überleitung in eine stationäre Pflegeeinrichtung mit gezielter Beratung unterstützt werden.

Von L. Reisinger, S. Krutter und Prof. Dr. Dr. h. c. J. Osterbrink

P flegende Angehörige bestreiten häufig den gesam-ten Alltag gemeinsam mit ihrem hilfebedürftigen

Familienmitglied (8). Wesentliche Aufgaben sind nicht nur pflegerische Maßnahmen, sondern auch emotionale Unterstützung und gemeinsame Beschäftigungen. Das Auftreten von sogenanntem herausfordernden Verhalten in verschiedensten Situationen kann den Alltag der Be-troffenen erheblich erschweren (9).

An pflegende Angehörige, die Menschen mit De-menz betreuen, werden hohe Anforderungen gestellt und es ergibt sich eine Vielzahl an Belastungssituationen. Rund ein Drittel der pflegenden Angehörigen haben mit Überlastungen zu kämpfen (10, 11). Belastungen können entweder aus dem Alltag oder aus dem familiären Um-feld erwachsen. Sie lassen sich verschiedenen Bereichen zuordnen, die in Abbildung 1 genauer dargestellt werden.

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Forschung

Die Belastungen können sich auf die seelische und körperliche Gesundheit auswirken. Bis zu einem Drittel der pflegenden Angehörigen leiden beispielsweise an Depressionen (11). Auch Auswirkungen auf das kardio-vaskuläre System und Immunsystem sowie Erkrankun-gen des Bewegungsapparats werden beschrieben (12, 10). Häufig gehen diese Auswirkungen mit gesundheits-schädlichem Verhalten wie Rauchen und Alkoholgenuss einher. Daneben treten präventive Maßnahmen, wie kör-perliche Betätigung und Vorsorgeuntersuchungen, in den Hintergrund (2).

Grenzen der Angehörigenpflege erkennen

Um Belastungen zu senken und eine Überlastung zu ver-hindern, ist eine Einschätzung der Belastungssituation ein wichtiger Bestandteil des Unterstützungsprozesses. Das sogenannte Zarit-Burden-Interview oder der Pfle-gekompass können ambulant Pflegende beim Assess-ment unterstützen (13, 14, 15). Wie komplex der pflege-rische Unterstützungsprozess pflegender Angehöriger von Menschen mit Demenz ist, zeigt auch Abbildung 2 auf den nächsten beiden Seiten. Hier ist der kontinuierli-che Unterstützungsprozess grafisch dargestellt.

Auf das Assessment aufbauend sind Schulungen, emotionale Unterstützung und Beratung individuell auf die Bedürfnisse oder bestehenden Problemlagen anzu-passen (1, 7). Anzustreben ist dabei eine Rücksichtnah-me auf den Alltag der Betroffenen, da gerade das Gelin-gen des Alltags eine zentrale Bedeutung für die Versor-gungssituation im häuslichen Bereich darstellt. Durch eine individuell abgestimmte Unterstützung kann nicht nur die Qualität der pflegerischen Versorgung, sondern auch die Lebensqualität der Angehörigen und an De-menz erkrankten Personen erhöht werden. Nicht zuletzt lässt sich so die häusliche Betreuungssituation möglichst lange aufrechterhalten (1, 16).

Trotz alledem können gefährliche Verläufe auftreten und die Grenzen der Angehörigenpflege erreicht wer-den. An einem solchen Punkt sollte ein Transfer ins voll-stationäre Setting erwogen werden. In Deutschland zie-hen 60 bis 80 Prozent aller Demenzkranken im Verlauf ihrer Erkrankung in ein Pflegeheim um; nur 20 bis 40 Prozent werden bis zu ihrem Tod zu Hause versorgt (17). Die Institutionalisierung – also der Übertritt von der Häuslichkeit in ein Pflegeheim – ist ein komplexes Geschehen, dem verschiedenste Gründe zugrunde liegen (18). Als Gründe, die mit der Demenzerkrankung in Zu-sammenhang stehen, werden die Schwere der Demenz, der Grad der kognitiven Einschränkung, der allgemeine Gesundheitszustand, die Einschränkungen in den Akti-vitäten des täglichen Lebens und der sich daraus erge-bende Pflegebedarf angegeben. Das Vorhandensein einer Depression und herausforderndes Verhalten fallen hier besonders schwer ins Gewicht (19, 20, 21).

Bei den Gründen, die beim pflegenden Angehörigen festzumachen sind, spielen soziodemografische Faktoren wie Berufstätigkeit eine Rolle. Maßgeblich sind jedoch

Gründe wie eine reduzierte Lebensqualität, ein hohes Belastungserleben, das Gefühl, gefangen zu sein in der Rolle des pflegenden Angehörigen, und eine negative Bewertung der eigenen pflegerischen Fähigkeiten (19, 20, 21).

Grenzen der Angehörigenpflege ergeben sich auch durch das Fehlen lokaler ambulanter oder teilstationärer Versorgungsangebote für Menschen mit Demenz. Die häusliche Versorgungssituation abrupt an ihre Grenzen bringen können auch kritische Ereignisse wie das Ausfal-len eines Angehörigen, der sich bislang an der Pflege be-teiligt hat. Als bedeutsam erweist sich in diesem Zusam-menhang insbesondere die Plötzlichkeit eines Ereignis-ses, was bei pflegenden Angehörigen auch zu einem plötzlichen Anstieg des Belastungserlebens führt und die Entscheidung für eine Institutionalisierung nachhaltig fördert (20).

Der Wechsel vom häuslichen ins stationäre Versor-gungssetting ist eine äußerst schwierige Entscheidung für pflegende Angehörige, auf die sich viele nicht ausrei-chend vorbereitet fühlen. Neben einer Erleichterung bringt die getroffene Entscheidung oftmals auch Schuld- und Versagensgefühle mit sich (22). Es ist die Aufgabe von professionell Pflegenden und Hausärzten, pflegende Angehörige hier bestmöglich zu unterstützen und auf diese Weise negative Gefühle zu minimieren (19, 22).

Soziale Belastungen

Physische Belastungen

Psychische Belastungen

Finanzielle Belastungen

� Verlust von sozialen Beziehungen, Zeitmangel, eingeschränkte Kommunikationsfähigkeit, Isolation, Fremdbestimmtheit (1)

� Vereinbarung der Pflegeaufgabe mit Beziehung, Kindererziehung, Haushalt und Beruf (2)

� fehlende gesellschaftliche Anerkennung, verändertes Rollenbild innerhalb der Familie (3)

� Vernachlässigung der eigenen Bedürfnisse (4)

� Schlafprobleme, Müdigkeit, Erschöpfung (1, 5)

� körperliche Anstrengung (3)

� Zukunftsängste, Stress, depressive Gefühle (6)

� Umgang mit herausforderndem Verhalten (3)

� Kompetenzmangel bei Übernahme der Pflegetätigkeit (7)

� Fortschreiten der Erkrankung (4)

� teure Therapien, teure professionelle Hilfsangebote, Verringerung der Wochenarbeitszeit oder Aufgabe der Anstellung (7)

� geringe Vergütung der informellen Pflege (2)

Abb. 1Belastungen pflegender Angehöriger

von Menschen mit Demenz

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Forschung

Vorzeitiger Institutionalisierung vorbeugen

Resümee: Es entspricht dem Wunsch der meisten an De-menz erkrankten Personen und deren Angehörigen, die Versorgungssituation in der eigenen Häuslichkeit so lan-ge wie möglich aufrechtzuerhalten. Für die pflegenden Angehörigen birgt diese Entscheidung jedoch häufig vie-le Herausforderungen und Belastungen. Zur Unterstüt-zung der Angehörigenpflege sind die Hilfs- und Unter-stützungsmaßnahmen durch professionell Pflegende speziell an den Alltag der pflegenden Angehörigen sowie an deren individuelle Belastungssituation anzupassen, da ein Gelingen des Alltages entscheidend ist für eine häus-liche Versorgungssituation.

Um einer vorzeitigen Institutionalisierung vorzubeu-gen, ist es zentrale Aufgabe professionell Pflegender, die Grenzen der Angehörigenpflege im Blick zu haben. Mit-hilfe von Assessment-Instrumenten können gefährliche Verläufe und plötzlich auftretende kritische Ereignisse rechtzeitig erkannt werden. Ein weiteres wichtiges Handlungsfeld ambulant Pflegender ist auch die gemein-same Entscheidungsfindung im Hinblick auf die Institu-tionalisierung. Die Initiierung eines früh ansetzenden Prozesses der gemeinsamen Entscheidungsfindung könnte den pflegenden Angehörigen diese schwierige

Entscheidung erleichtern (22) und ein Überschreiten der Grenzen der Angehörigenpflege, das allzu oft in Ver-nachlässigung oder gar Gewalt mündet, verhindern.

Um diese Aufgaben wahrzunehmen, sind nicht nur weitere, am Alltag ansetzende Unterstützungsmaßnah-men zu entwickeln, sondern auch speziell am Alltag an-setzende Assessmentinstrumente zum besseren Erken-nen der Grenzen der häuslichen Versorgungssituation. Zu einer Verbesserung der Situation wären auch Bera-tungskonzepte dahingehend zu spezifizieren, pflegende Angehörige bei der Entscheidungsfindung im Rahmen des Institutionalisierungsprozesses zu unterstützen.

(1) Brügger, S. et al. (2015): Belastungserleben und Coping-Strategien pflegender Angehöriger. Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, 1–5(2) Brodaty, H.; Donkin, M. (2009): Family caregivers of people with de-mentia. Dialogues in Clinical Neuroscience, 11 (2), 217–227(3) Etters, L. et al. (2008): Caregiver burden among dementia patient caregivers: A review of the literature. Journal of the American Acade-my of Nurse Practitioners, 20, 423–428(4) Sequeira, C. (2013): Difficulties, coping strategies, satisfaction and burden in informal Portuguese caregivers. Journal of Clinical Nursing, 22 (3–4), 491–500(5) McCurry, S.M. et al. (2007): Sleep disturbance in caregivers of per-sons with dementia: contributing factors and treatment implications. Sleep Medicine Reviews, 11 (2), 143–153(6) Varela, G. et al. (2011): Alzheimer’s Care at Home. : A focus on care-givers strain. Professioni Infermieristiche, 64 (2), 113–117(7) Collins, L.G.; Swartz, K. (2011): Caregiver Care. American Academy of Family Physician, 11 (83), 1309–1317

Häuslich-ambulantes Setting

1) Unterstützung im AlltagPflegende tragen über gezielte Unterstützung zum Gelingen des Alltags bei

3) Vorbeugung von ÜberlastungPflegerische Unterstützungs-maßnahmen sollen pflegende Angehörige vor Überlastung schützen und vorzeitiger Institutionalisierung entgegenwirken

2) Erkennen von BelastungenPflegende erkennen soziale, physische, psychische und finanzielle Belastungen des pflegenden Angehörigen

4) Erkennen der Grenzen der AngehörigenpflegePflegende haben mögliche gefährliche Verläufe im Versorgungsalltag im Blick

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Forschung

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Lisa Reisinger ist Studierende des Masterstudi-ums Pflegewissenschaft am Institut für Pflege-wissenschaft und -praxis an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Salzburg. Mail: [email protected]

Simon Krutter ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Pflegewissenschaft und -praxis an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Salzburg. Mail: [email protected]

Prof. Dr. Dr. h. c. Jürgen Osterbrink leitet das Institut für Pflegewissenschaft und -praxis an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Salzburg. Mail: [email protected]

Abb. 2Kontinuierlicher und zu Ende gedachter Unterstützungsprozess pflegender Angehöriger von Menschen mit Demenz

Stationäres Setting

5) Initiierung der InstitionalisierungPflegende thematisieren rechtzeitig den notwendigen Transfer des Menschen mit Demenz ins stationäre Setting

6) Beratung bei der EntscheidungsfindungPflegende führen Gespräche mit den Angehörigen, um verschiedene Versorgungsmög-lichkeiten abzuwägen

7) Begleitung der InstitutionalisierungPflegende begleiten die Angehöri-gen während der Zeit des Transfers des Menschen mit Demenz ins stationäre Setting

Transfer vom häuslichen ins stationäre Setting

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Studie DemenzMonitor. Für die Betrer uung von MMene scchehenn mimitt DeDememenznz uundnd hhererauaus-forderndem Verhalten werrrrrdedededennnn unuuu terschiedliche pflegerische Maßnahmen empfpfohohlen.Wie werden diese in der stationären Altenhilfe umggggesetzt? Die Ergebnisse ddeses DeD menzMoMonitors, an der mehr als 50 Einrichtungen teilnahmen, bieten AuAufsfschc luss.

Von Dr. Rebecca Palm und Dr. Bernhard Holle

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D ie Versorgung von Men-schen mit Demenz stellt un-

ter anderem in der stationären Alten-hilfe eine besondere pflegerische He-rausforderung dar, da hier besonders viele Menschen mit Demenz leben. Nach Schätzungen haben 50 Prozent der Bewohner von stationären Alten-hilfeeinrichtungen eine Demenzdiag-nose (Hoffmann et al. 2014). Deut-lich mehr Bewohner gelten jedoch in ihren kognitiven Leistungen als be-einträchtigt, nämlich rund 70 Prozent (Schäufele et al. 2013).

Mit dem Verlust der kognitiven Fähigkeiten geht oftmals eine Ver-änderung des Verhaltens der Bewoh-ner einher, die von der Umgebung als schwierig und heraufordernd erlebt werden. Als sogenannte „herausfor-dernde Verhaltensweisen“ werden körperliche und verbale Aggressio-nen sowie motorische und verbale Unruhe verstanden (Bartholo-meyczik et al. 2006, Halek & Bar-tholomeyczik 2006). Herausfordern-des Verhalten stellt eine große Belas-tung dar – sowohl für den Bewohner selbst als auch für alle in die Pfle- ge mit eingebundenen Personen (Schmidt et al. 2012). Aufgrund der hohen Prävalenz als auch der klini-schen Relevanz wird in der Praxis den herausfordernden Verhaltens-weisen große Aufmerksamkeit ge-widmet. So konzentrieren sich natio-nal als auch international zahlreiche Forschungsprojekte auf Ansätze, die einen optimierten Umgang mit den Bewohnern untersuchen (Reuther et al. 2014, Zwijsen et al. 2015).

DemenzMonitor: Was kommt in der Praxis an?

Seit 2007 liegen für den deutschspra-chigen Raum wissenschaftlich erar-beitete Rahmenempfehlungen für den Umgang mit herausforderndem Verhalten bei Menschen mit De-menz in der stationären Altenhilfe vor (Bartholomeyczik et al. 2006). Empfohlen werden neben einer An-passung des Milieus, einer speziellen Qualifizierung des Personals und der Erarbeitung eines demenzspezifi-schen Betreuungskonzeptes verschie-dene pflegerische Interventionen.

Derzeit liegen kaum Erkenntnisse dazu vor, ob und in welchem Maß die empfohlenen Interventionen in der Praxis umgesetzt werden. Die Studie DemenzMonitor untersucht deshalb: Werden die empfohlenen Interven-tionen Verhaltensassessments, Fallbe-sprechungen und Validation in Ein-richtungen der stationären Altenhilfe umgesetzt? Und wenn ja, unter wel-chen Rahmenbedingungen?

Empfohlene Interventionen: In den Rahmenempfehlungen werden Ver-haltensassessments zur strukturierten Erfassung von herausforderndem Ver-halten genannt. Ziel ist es, Verhaltens-weisen präzise beschreiben zu können, um auf dieser Grundlage Maßnahmen zu planen und zu evaluieren.

Weiterhin werden Fallbespre-chungen empfohlen. Diese sind ein Instrument zum gezielten Austausch der verschiedenen in die Betreuung involvierten Akteure. Ziel ist es, über den Austausch von Erfahrungen und Erlebnissen, komplexe Problemlagen und ihre Ursachen zu erörtern sowie Lösungsstrategien zu entwickeln (Reuther et al. 2012). Die Evidenz hinsichtlich der Effektivität von Fallbesprechungen ist schwach. Sie gelten aber als vielversprechender Ansatz, um positive Effekte in der Versorgung zu erreichen (Reuther et al. 2012, Zwijsen et al. 2015).

Die Validation ist eine Kommu-nikationsmethode für Menschen mit Demenz, die auf einer wertschätzen-den Haltung basiert. Aus der De-

menz resultierende Lebensweisen und Verhaltensänderungen werden vom Gegenüber akzeptiert (Feil 2000, Richard 2000). Der Effekt von Validation kann jedoch heute auf-grund fehlender qualitativ hochwer-tiger Studien schwer eingeschätzt werden (Neal & Briggs 2003).

Umsetzung von Verhaltensassess-ments: Die Ergebnisse zeigen, dass in 26 von 51 Einrichtungen ein As-sessment des Verhaltens der Bewoh-ner durchgeführt wird. Am häufigs-ten kommt in den Einrichtungen das Cohen Mansfield Agitation Inven-tory (CMAI) zum Einsatz (13 Ein-richtungen). Sechs Einrichtungen nutzten ein selbst entwickeltes In-strument, drei nutzten das Neuro-psychiatric Inventory (NPI), zwei das Resident Assessment Instrument (RAI) und jeweils eine Einrichtung die Nurses Observation Scale for Geriatric Patients (NOSGER) und das Innova-tive Demenz Assessment (IDA).

Betrachtet man den Anteil der Bewohner, die in den teilnehmenden Wohnbereichen der Einrichtung mit einem Verhaltensassessment einge-schätzt wurden, so zeigen sich deut-liche Unterschiede zwischen den Einrichtungen. In 14 Einrichtungen liegt der Anteil der mit einem ent-sprechenden Assessment einge-schätzten Bewohner zwischen 20 und 100 Prozent, in zwölf Einrich-tungen bei unter 20 Prozent und in 25 Einrichtungen wurde bei keinem der Bewohner ein Verhaltensassess-

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ment durchgeführt. Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass die Durchführung von Verhaltensassess-ments nicht die Regel in deutschen Altenhilfeeinrichtungen ist.

Eine Analyse der Merkmale der Einrichtungen mit einer hohen durchschnittlichen Anzahl an Be-wohnern, die mit einem Verhaltens-assessment eingeschätzt wurden, zeigt, dass es sich bei zehn von 14 Einrichtungen um solche mit einem gesonderten Versorgungsvertrag für die Betreuung von Menschen mit Demenz handelt.

Durchführung von Fallbesprechun-gen: Von den 51 Einrichtungen wur-de in 50 bei mindestens fünf Prozent der Bewohner eine Fallbesprechung seit Einzug durchgeführt. Im Mittel erfolgten aber bei einem wesentlich höheren prozentualen Anteil Fallbe-sprechungen (69 %). Jedoch zeigten sich auch hier deutliche Unterschie-de: In 13 Einrichtungen (25 %) lag der Anteil von Bewohnern, bei de-nen eine Fallbesprechung durchge-führt wurde, unter 36 Prozent, in weiteren 13 Einrichtungen unter 86 Prozent und in den restlichen 25 Einrichtungen bei über 86 Prozent.

Hinsichtlich der Teilnehmer der Fallbesprechungen zeigte sich, dass nur Mitarbeiter der Pflege in nahezu allen Einrichtungen zu einem hohen Prozentsatz teilnehmen – im Mittel bei 88 Prozent der Fallbesprechun-gen. Der Bewohner selbst, Angehö-rige, gesetzliche Betreuer, Pflege-dienstleitung, weiteres Betreuungs-personal, Ärzte, therapeutisches Per-sonal und Mitarbeiter der Hauswirt-schaft waren im Mittel bei weniger als 20 Prozent der Fallbesprechun-gen anwesend.

Die Frage, welche Faktoren dazu beitragen, dass in manchen Einrich-tungen mehr Fallbesprechungen durchgeführt werden, als in anderen, ist schwer zu beantworten. Eine bes-sere Personalausstattung scheint dies nicht zu erklären, wie weiterführenden Analysen der DemenzMonitor-Da-ten gezeigt haben (Palm et al. 2016).

Umsetzung von Validation: In 49 der 51 Einrichtungen wurde Valida-tion angewendet. In 25 Einrichtun-gen lag der Anteil der Bewohner, bei denen Validation angewendet wurde, bei über 75 Prozent. In 31 der 49 Einrichtungen, die Validation an-wendeten, erfolgte dies bei 100 Pro-

zent der Bewohner täglich im Rah-men der Alltagskommunikation. In nur vier Einrichtungen wurde Vali-dation bei mehr als 30 Prozent der Bewohner in geplanten Einzelsit-zungen angewendet. 32 Einrichtun-gen wendeten keine Einzelsitzungen an. In sechs Einrichtungen wurden bei mehr als 30 Prozent der Bewoh-ner Validation in Gruppensitzungen angewendet, 38 Einrichtungen wen-deten keine Gruppensitzungen an. Validation wurde häufiger als Kri-senintervention eingesetzt: in 21 Einrichtungen lag der Anteil der Be-wohner, bei denen Validation als Kri-senintervention umgesetzt wurden bei über 30 Prozent. 13 Einrichtun-gen nutzten Validation bei keinem Bewohner als Krisenintervention.

Umsetzung ist auf dem Weg

Insgesamt verdeutlichen die hier vor-gestellten Ergebnisse, dass die in den Rahmenempfehlungen für den Um-gang mit herausforderndem Verhal-ten bei Menschen mit Demenz in der stationären Altenhilfe beschriebenen Interventionen zumindest teilweise ihren Weg in die Versorgungspraxis gefunden haben. Die Heterogenität der Umsetzung lässt jedoch darauf schließen, dass der Grad der Imple-mentierung dieser Interventionen je-weils stark von den Bedingungen und Kontextfaktoren in den jeweiligen Einrichtungen geprägt wird.

Für die zukünftige wissenschaft-liche Entwicklung und Empfeh-lung geeigneter Interventionen sollte zukünftig verstärkt der Blick auf die vorherrschenden Rahmenbedingun-gen gelegt werden, um für das jewei-lige Umfeld anpassbare Interventi-onsportfolios zu entwickeln.

Bartholomeyczik, S., Halek, M., Sowinski, C. et al. (2006). Rahmenempfehlungen zum Umgang mit herausforderndem Verhalten bei Menschen mit Demenz in der stationären Al-tenhilfe (pp. 153). Witten.Buscher, I., Reuther, S., Holle, D. et al. (2012). Das kollektive Lernen in Fallbesprechungen. Theoretische Ansätze zur Reduktion heraus-fordernden Verhaltens bei Menschen mit De-menz im Rahmen des Projektes FallDem. Pflegewissenschaft, 03 (12), 168–178Feil, N. (2000). Validation in Anwendung und Beispielen. München: Reinhardt

DEMENZMONITOR – ZIELE UND METHODENAm Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) am Standort Witten wurde zwischen 2012 und 2014 die Studie DemenzMonitor durchgeführt (Palm et al. 2013). Es handelt sich dabei um eine quantitative Beobachtungsstudie, deren Daten anhand eines standardisierten Fragebogens erhoben wurden. Die Angaben zu den Einrichtungen und Wohnbereiche wurden größtenteils von Mitarbeitern der Leitungsebene erfasst, die Bewohner-daten wurden von den Bezugspflegenden erhoben. Die Datenerhebung zu den in diesem Beitrag vorgestellten Ergebnissen erfolgte im Jahr 2013 innerhalb eines Monats.

Die Teilnahme der Einrichtungen an der Studie erfolgte freiwillig nach einem Aufruf in verschiedenen Medien (Newsletter, Pressemitteilungen). Bei der Stichprobe handelt es sich demnach um eine Gelegenheitsstichprobe. Die teilnehmenden Wohnbereiche wurden von den Einrichtungen bestimmt. Bei den Bewohnern der teilnehmenden Wohnbereiche wurde eine Vollerhebung angestrebt.

An der Datenerhebung haben 51 Einrichtungen der stationären Altenhilfe mit 104 Wohnbereichen und 1 808 Bewohnern teilgenommen. Von den Einrichtungen gehören 65 Prozent einem frei-gemeinnützigen Träger an, 33 Prozent einem privaten, eine Einrichtung befand sich in kommunaler Trägerschaft. Die Einrichtungen bieten im Mittel 124 Plätze an, die sich im Mittel auf vier Wohnbereiche verteilen. In sechs der 51 Einrichtungen leben ausschließlich Menschen mit Demenz, 23 Einrichtungen halten mindestens einen segrega-tiven Demenzwohnbereich vor, 22 haben ausschließlich integrative Wohnbereiche. In zwölf Einrichtungen wurde für die segregativen Demenzwohnbereiche ein gesonderter Versor-gungsvertrag abgeschlossen.

Die meisten Bewohner der Einrichtungen gehörten der Pflegestufe 2 an (40 %), gefolgt von Pflegestufe 1 (36 %) und Pflegestufe 3 (20 %). Von allen Bewohnern der teilnehmenden Einrichtungen wiesen 63 Prozent eine erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz nach § 45 a SGB XI auf.

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Gitlin, L. N., Kales, H. C. & Lyketsos, C. G. (2012). Nonpharmacologic management of behavioral symptoms in dementia. Jama, 308 (19), 2020–2029Halek, M. & Bartholomeyczik, S. (2006). Verstehen und Handeln. For-schungsergebnisse zur Pflege von Menschen mit Demenz und heraus-forderndem Verhalten. Hannover: Schlütersche Hoffmann, F., Kaduszkiewicz, H., Glaeske, G. et al. (2014). Prevalence of dementia in nursing home and community-dwelling older adults in Germany. Aging Clin Exp Res, 26 (5), 555–559Neal, M. & Briggs, M. (2003). Validation therapy for dementia. Coch- rane Database Syst Rev (3), CD001394Palm, R., Köhler, K., Bartholomeyczik, S., Holle, B. (2014). Assessing the ap-plication of non-pharmacological interventions for people with dementia in German nursing homes: feasibility and content validity of the dementia care questionnaire (DemCare-Q). BMC Res Notes, 7, 950Palm, R., Köhler, K., Schwab, C. G. et al. (2013). Longitudinal evaluation of dementia care in German nursing homes: the „DemenzMonitor“ study protocol. BMC Geriatr, 13, 123Palm, R., Trutschel, D., Simon, M. et al. (2016). Differences in Case Conferences in Dementia Specific vs Traditional Care Units in German Nursing Homes: Results from a Cross-Sectional Study. J Am Med Dir Assoc, 17 (1), 91 e99–13Reuther, S., Dichter, M. N., Buscher, I. et al. (2012). Case conferences as in-terventions dealing with the challenging behavior of people with dementia in nursing homes: a systematic review. Int Psychogeriatr, 24 (12), 1891–1903Reuther, S., Holle, D., Buscher, I. et al. (2014). Effect evaluation of two types of dementia-specific case conferences in German nursing homes (FallDem) using a stepped-wedge design: study protocol for a rando-mized controlled trial Trials (Vol. 15, pp. 319). EnglandRichard, N. (2000). Demenz, Kommunikation und Körpersprache. Inte-grative Validation (IVA). In P. Tackenberg & A. Abt-Zegelin (Eds.), Demenz und Pflege. Frankfurt: MabuseSchäufele, M., Köhler, L., Hendlmeier, I. et al. (2013). Prävalenz von Demenzen und ärztliche Versorgung in deutschen Pflegeheimen: eine bundesweite repräsentative Studie. Psychiatrische Praxis, 40 (04), 200–206Schmidt, S. G., Dichter, M. N., Palm, R., Hasselhorn, H. M. (2012). Dis-tress experienced by nurses in response to the challenging behaviour of residents – evidence from German nursing homes. J Clin Nurs, 21 (21–22), 3134–3142Wingenfeld, K., Kleina, T., Franz, S. et al. (2011). Entwicklung und Er-probung von Instrumenten zur Beurteilung der Ergebnisqualität in der stationären Altenhilfe – Abschlussbericht (pp. 326). Bielefeld, Köln: In-stitut für Pflegewissenschaft an der Universität Bielefeld (IPW) und In-stitut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik GmbH (ISG)Zwijsen, S. A., Gerritsen, D. L., Eefsting, J. A. et al. (2015). Coming to grips with challenging behaviour: a cluster randomised controlled trial on the ef-fects of a new care programme for challenging behaviour on burnout, job satisfaction and job demands of care staff on dementia special care units. Int J Nurs Stud, 52 (1), 68–74Weiterführende Ergebnisse der Studie DemenzMonitor können auf der Homepage eingesehen werden: https://www.dzne.de/standorte/witten/projekte/demenzmonitor.html

Der Forschungsbericht der Studie kann dort heruntergeladen oder bei den Autoren angefordert werden.

Dr. Rebecca Palm ist Gesundheits- und Krankenpflegerin, Dipl.-Pflegewirtin (FH), MSc, und ist am Deutschen Zentrum für neuro- degenerative Erkrankungen (DZNE) e. V. in Witten tätig.

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Dr. Bernhard Holle ist Gesundheits- und Krankenpfleger, BScN, MScN, und arbeitet am Deutschen Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) e. V. in Witten.

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Wohlfühlort in der Notaufnahme

Lärm, Hektik, unbekannte Gesichter – Patienten mit Demenz sind in Notaufnahmen häufig überfordert. Das Alexianer Krankenhaus Hedwigshöhe hat vor diesem Hintergrund ein besonderes Projekt gestartet: Eine Warte-Insel soll Stress und Anspannung effektiv vorbeugen.

Von Axel Küppers

I n kaum einen anderen Berliner Bezirk sind die Men-schen so alt wie in Treptow-Köpenick. Fast jeder

Dritte ist dort im Schnitt 60 Jahre oder älter; in Gesamt-Berlin ist es jeder Vierte. Bei den hochaltrigen Menschen liegt der Bezirk im Berliner Süden sogar an erster Stelle.

Sensibilisierung durch Qualifizierung

Das Alexianer Krankenhaus Hedwigshöhe in Treptow-Köpenick verzeichnet aufgrund der regionalen Bevölke-

Projekt „Warte-Insel für Menschen mit Demenz“

rungsstruktur und des demografischen Wandels eine deutliche Zunahme demenziell Erkrankter. Die besonde-re Nähe zum Thema „Demenz im Krankenhaus“ hat die Klinikverantwortlichen veranlasst, bei einer Ausschrei-bung der Robert Bosch Stiftung teilzunehmen. Pflegedi-rektorin Ann-Christin Reimer und Chefärztin der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik Pro-

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hörigen, ein Bild an der Wand, eine schalldämpfende Außenhaut, etwas zu lesen, angenehme Farben sowie ein Kissen und eine Decke in der Warte-Insel eingeplant.

Auf Grundlage der Rückmeldungen der Pflegenden wird zudem ein Manual erstellt, in dem Lösungsvor-schläge zusammengefasst werden. „Dieses Handbuch wird zunächst in der Notaufnahme getestet“, berichtet Pflegedirektorin Reimer. Am Ende, so der Plan, liegt ein Leitfaden für die Versorgung Demenzerkrankter vor, von dem auch andere Krankenhäuser profitieren können.

Darüber hinaus soll die Erfassung in das sogenannte Manchester-Triage-System integriert werden. Dabei handelt es sich um ein standardisiertes Verfahren zur Ersteinschätzung in der Notaufnahme von Krankenhäu-sern. Der Vorteil eines solchen Verfahrens, das 1995 erst-mals im nordenglischen Manchester angewandt wurde: Die Pflegenden übernehmen die Ersteinschätzung, so-dass der Arzt sicher und nachvollziehbar weiß, wen er als Erstes behandeln muss. Fehler sind so gut wie ausge-schlossen. Als erste Uniklinik führte 2008 die Berliner Charité dieses Verfahren ein. Das Alexianer Kranken-haus Hedwigshöhe ist seit 1992 akademisches Lehrkran-kenhaus der Charité.

Nicht nur in der vertikalen, sondern auch in der hori-zontalen Ausrichtung haben die Verantwortlichen des Krankenhauses Hedwigshöhe die entsprechenden Stel-len eingebunden – und zwar über die Notaufnahme hi-naus. So wurden Feuerwehr und Rettungsdienst für die besondere Problematik Demenz sensibilisiert. „Die Mit-arbeiter der Rettungsdienste sollen die Patienten in ihrer Häuslichkeit sicherer einschätzen können, um sie dann in unserem Krankenhaus besser übergeben zu können“, sagt Reimer.

Strahlkraft für andere Kliniken

Und so bewegt sich das Krankenhaus im Berliner Süden zielstrebig in eine Richtung, demenzerkrankte Patienten mit besonderer Expertise zu empfangen und sie schnell und sicher medizinisch zu versorgen. Reimer: „Wenn die vielfältig benannten Rahmenbedingungen für kognitiv eingeschränkte Patienten Berücksichtigung finden, dann profitieren alle Patienten davon.“ Dreh- und Angel-punkt, so die Pflegedirektorin, bleibt die ständige Quali-fizierung aller Beteiligten sowie ein fortwährender offe-ner Diskurs zu den bestehenden Herausforderungen. „Nur so kann eine sensibilisierte Haltung gegenüber dem Einzelnen erhalten und gefördert werden.“

Die Entwicklung in Hedwigshöhe dürfte Strahlkraft für andere Kliniken haben. Die Mechanismen sind auf alle Krankenhäuser übertragbar. Die Pflegedirektion und ihr Team leisten im Verbund mit Partnern und Förderern echte Pionierarbeit.

Axel Küppers ist Journalist aus dem niederrhei-nischen Kempen. Er begleitete die Entwicklung der Warte-Insel im Krankenhaus Hedwigshöhe. Mail: [email protected]

Von Dresdner Architekten entwickeltDie Warte-Insel soll Patienten mit Demenz künftig einen Rückzugsraum in der Notaufnahme bieten

fessorin Vjera Holthoff-Detto haben das Projekt „INA-Dem: Konzept- und Prozessentwicklung in einer inter-disziplinären Notaufnahme zur Behandlung von Men-schen mit Demenz“ eingereicht. Neben weiteren sechs Krankenhäusern deutschlandweit hat die Jury der Robert Bosch Stiftung Hedwigshöhe ausgewählt und das Pro-jekt für drei Jahre gefördert.

Das Projekt „INA-Dem“ sieht zum einen eine breit angelegte Qualifizierungsoffensive vor. Pflegedirektorin Reimer hat speziell für die Pflegenden der Somatik ein Curriculum erstellt, das für die Wahrnehmung und den Umgang von kognitiv eingeschränkten Patienten sensibi-lisieren soll. Teil der Qualifizierungsoffensive war eine Auftaktveranstaltung durch die Alzheimer-Gesellschaft Berlin und darauf aufbauende regelmäßige Fallsupervi-sionen. Die Reflexion soll die bereits vorhandenen Be-wältigungsstrategien der Pflegenden in den Fokus neh-men, sodass sie selbstständig zu Lösungsansätzen kom-men.

Innovative Warte-Insel entwickelt

Ein weiterer wichtiger Baustein des Projekts ist die Zusammenarbeit mit der Fakultät Architektur der Tech-nischen Universität Dresden. Lehrstuhlinhaberin Profes-sorin Gesine Marquardt hat sich auf Einladung des Krankenhauses Hedwigshöhe eine Zeitlang in die dorti-ge Notaufnahme begeben und die Abläufe beobachtet.

Das Ergebnis: Gemeinsam mit dem Dresdner Archi-tektenbüro Cooperation_4 ist unter Leitung von Profes-sorin Marquardt eine Warte-Insel entwickelt worden, die physische und kognitive Einschränkungen älterer Patien-ten mit Demenz berücksichtigt. Auf wenigen Quadrat-metern soll ihnen und ihren Angehörigen ein Raum zum Zurückziehen und Wohlfühlen geboten werden. Der Prototyp soll in Kürze aufgestellt sein. Nutzbar ist die Warte-Insel letztlich nicht nur für Menschen mit De-menz, sondern für alle Menschen, die in der Ausnahme-situation einer Krankenhaus-Notaufnahme besonderen Schutzes bedürfen.

Grundlage der Entwicklung waren insgesamt 34 In-terviews, die Projektmitarbeiter mit Angehörigen von Menschen mit Demenz, Pflegepersonen, Rettungs-dienstmitarbeitern und Ärzten geführt haben. Als Resul-tat werden Aspekte wie ein Becher Wasser, die Möglich-keit zu liegen, Nähe zur Toilette, Integration von Ange-

Praxis

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Ärger Angst Ekel Freude

WAS DIE MIMIK VERRÄT

Mimikresonanz für Menschen mit Demenz. Der Gesichtsausdruck und die Körperhaltung sagen viel darüber, was ein Mensch mit Demenz gerade fühlt. In der Pflege bietet uns das die Chance, Emotionen richtig zu deuten und wertschätzend darauf zu reagieren.

Von Margarete Stöcker

E ine ganz normale Situation in einer Pflegeeinrich-tung: Eine dementiell erkrankte Frau steht abends

in ihrem Zimmer am Fenster und schaut nach draußen in die Dunkelheit. Nun betritt eine Pflegende das Zimmer und bittet sie, mit ihr ins Badezimmer zu kommen. Es ist Abend, und die ältere Dame benötigt Unterstützung bei der Abendversorgung. Vieles kann jetzt geschehen – die Frau kommt mit, vielleicht lächelt sie und freut sich über die pflegerische Hilfe. Es kann aber auch sein, dass die Erkrankte die Situation nicht erfassen kann und mit Un-sicherheit, Angst oder Ärger, vielleicht sogar Trauer oder Verzweiflung reagiert.

Allen diesen Emotionen ist gemeinsam, dass sie rechtzeitig erkannt werden sollten. Denn dadurch kön-nen Situationen wertschätzend verändert werden. Die oben aufgeführten Emotionen zeigen sich im Gesicht. Zum Beispiel ziehen sich die Augenbrauen bei Ärger nach unten und zusammen. Ein Mensch, der gerade nachdenkt oder vielleicht schlecht sieht, zeigt einen ähn-lichen Gesichtsausdruck. Kommt die Emotion Ärger, wird dieser mimische Ausdruck intensiver. Zum proto-typischen Ausdruck des Ärgers gehören weiterhin die hochgezogenen oberen Augenlider, die unteren ange-spannten Augenlider sowie die gepressten Lippen.

Um diese, oft kurzen Bewegungen im Gesicht zu er-kennen, ist es erforderlich, die eigene Wahrnehmung zu schärfen und die Mimik, Stimme und Körpersprache unseres Gegenübers genauer wahrzunehmen.

Gefühle verstehen und sie bestätigen

Zeigt ein Mensch mit Demenz Angst, ist Sicherheit ver-loren gegangen. Vielleicht erlebt er die Umgebung als fremd oder befürchtet, alleine gelassen zu werden. Wird diese Angst nicht erkannt oder fehlinterpretiert, kann es sein, dass der Betroffene eine pflegerische Maßnahme gegen seinen Willen „über sich ergehen“ lässt. Oder er wird versuchen, die Situation zu vermeiden. Beides kann dazu führen, dass er wenig bis gar nicht gepflegt werden kann, sich unwohl fühlt, Schutzmechanismen zeigt – eine sogenannte Negativspirale entsteht.

Angst zeigt sich im Gesicht, prototypisch, durch das Hochheben und Zusammenziehen der Augenbrauen. Forschungsergebnisse zeigen, dass dies eine sehr zuver-lässige Muskelbewegung im Gesicht ist. Weitere Merk-male finden Sie bei den Augenlidern, das obere Augenlid ist hochgezogen und das untere angespannt. Im unteren Gesicht sind die Lippen nach außen gespannt.

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Neutral Trauer Überraschung Verachtung

Angst und Überraschung werden häufig verwechselt. Die Augenbrauen sind auch hochgezogen, jedoch nicht zusammen. Sie bleiben in der Form. Im unteren Gesicht ist der Mund entspannt geöffnet. Überraschung ist die einzige Emotion, die wirklich nur für einen Bruchteil ei-ner Sekunde echt ist, denn dann wird erkannt, was vorher unbekannt war. Überraschung ist also eine „Weiche“, die Emotion, die nach dem Erkennen sichtbar wird, ist ent-scheidend.

„Negative“ Emotionen entstehen oft, wenn Grundbe-dürfnisse nicht befriedigt werden, zum Beispiel nach aus-reichend Schlaf, Nahrungsaufnahme oder sozialer Aner-kennung. Die Art und Weise, wie ein Mensch seine Be-dürfnisse mitteilt, ist ganz unterschiedlich. Ob er verär-gert etwas einfordert, andere gar angreift, sich leidend oder resignativ äußert, ist geprägt von den erlernten Lebensmustern und individuellen Erfahrungen.

„Mimikresonanz für Menschen mit Demenz“ (MRMD) ist ein Konzept für alle Akteure, die in der Be-gegnung mit an Demenz erkrankten Menschen tätig sind. Ziel des Konzeptes ist es, Denken, Fühlen und Ver-halten des betroffenen Menschen zu erkennen, es zu be-schreiben und zu reagieren. MRMD ist dabei als Ange-bot zu verstehen, denn es kann niemals die ganze Wirk-lichkeit erfasst werden. Doch es können Weichen für eine gelingende Kommunikation gestellt werden.

Mimik lesen, lässt sich trainieren

Für einen Menschen mit Demenz wird es immer schwie-riger, komplexe Vorgänge zu erfassen, Verknüpfungen herzustellen und die Emotionen zu steuern. Was bleibt, sind Gefühle. Diese zeigen sich in der Mimik, im Aus-druck der Stimme sowie in der Körpersprache. Es ist eine der wichtigsten Fähigkeiten für den Aufbau einer guten Beziehung, zu erkennen, wie sich der an Demenz er-krankte Mensch fühlt. Diese Fähigkeit auszubauen, steht im Mittelpunkt des Konzepts der Mimikresonanz. Die Mimikresonanz-Trainings wurden 2011 durch den Mimik-Experten Dirk W. Eilert entwickelt.

Da die Kognition für Menschen mit Demenz immer weiter abgebaut wird, nehmen Emotionen einen größe-ren Stellenwert ein. Für Pflegende ist es wichtig, diese

Emotionen richtig zu deuten. Hierbei kann das Erken-nen der Mimik enorm hilfreich sein.

Jede Emotion zeigt sich durch typische Veränderun-gen im Gesicht. Ekel und Schmerz werden im Gehirn im gleichen Zentrum verarbeitet und können sich im Gesicht ähnlich zeigen. So kann es in der pflegerischen Begegnung leicht zu Verwechselungen kommen. Der Pflegebedürftige bekommt sein Essen, die Nase wird ge-kräuselt, die Oberlippe wird hochgezogen. Dies sind die Zeichen für Ekel, können aber auch einen Schmerz dar-stellen. Tritt diese Beobachtung im Zusammenhang mit dem Essen auf, kann sie leicht als Ekel fehlinterpretiert werden.

Jede Emotion hat im Erleben des Betroffenen eine Berechtigung, sonst würde sie nicht entstehen. Auch Trauer hat diese Berechtigung und braucht eine entspre-chende Wertschätzung. Der typische Gesichtsausdruck von Trauer sieht folgendermaßen aus: Die Augenbrauen-Innenseiten gehen nach oben, die Mundwinkel sind nach unten gezogen, der Kinnbuckel ist angehoben.

Es kann vorkommen, dass Menschen trotz trauriger Grundstimmung versuchen zu lächeln. Es ist wichtig, zwischen echtem und unechtem Lächeln zu unterschei-den. Das unechte Lächeln wirkt oft wie eine Maske. Bei beiden Arten des Lächelns sind die Mundwinkel schräg nach oben gezogen. Bei der tatsächlich erlebten Freude senkt sich zusätzlich die Augendeckfalte nach unten. Die Augen wirken dann etwas kleiner und scheinen zu funkeln.

Wer Emotionen anhand der Mimik deuten kann, ist in der Lage, den Bedürfnissen von Menschen mit De-menz adäquat zu begegnen. Darüber können Sicherheit, Halt, Verständnis und Mitgefühl vermittelt werden – das Wichtigste, was diese Menschen brauchen.

Literatur über die Verfasserin.

Margarete Stöcker, M.A., ist Gründerin des Mimikresonanz-Instituts in Schwerte (www.mimikresonanz-institut.de)Mail: [email protected]

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„MITTENDRIN UND KEINESWEGS ABGESCHOTTET“Erstes deutsches Demenzdorf. Die niederländische Einrichtung De Hogeweyk gilt seit Jahren als innovative Wohnform für Menschen mit Demenz. Marktplatz, Supermarkt, Frisörsalon – das künstlich geschaffene Quartier sieht aus wie ein gemütliches Dorf. Die Bewohner sollen dort einen möglichst normalen Alltag erleben. Ein solches „Demenzdorf“ gibt es mittlerweile auch in Deutschland.

Von Ingrid Hilgers

A uch ein Jahr nach der Eröffnung des ersten De-menzdorfs in Deutschland sind die Kritiker nicht

verstummt. „Der Zaun ist störend, das ist wie eine geschlossene Einrichtung“, heißt es. Oder: „Hier wird Inklusion verhindert.“

Kerstin Stammel hat gelernt, mit solchen Äußerun-gen umzugehen – zumal sie nie persönlich geäußert wur-den. Die 45-jährige Altenpflegerin und Betriebswirtin gehört zu den Initiatoren des Demenzdorfs „Tönebön am See“ am Stadtrand der niedersächsischen Kleinstadt Ha-meln. Von Anfang an hat sie die Ideen, Planungen und Umsetzung der Anlage für Demenzerkrankte mitgestal-tet und begleitet.

„Bei unseren Planungen“, sagt Stammel, „stand die Struktur für demenzkranke Menschen im Vordergrund und nicht die Pflege.“ Die Bewohner sollten nicht nur satt und sauber sein, sondern sie sollten ihren Alltag erle-ben können. Konkret heißt das, die Bewohner helfen mit beim Einkaufen, beim Kochen, bei der Zubereitung des Frühstücks oder bei der Gartenarbeit. „Es gibt Bewohne-rinnen, die haben ihr Leben lang das Essen für die Fami-

lien zubereitet.“ Wenn man ihnen einen Apfel und ein Messer in die Hand drücke, fingen sie an, zu schälen. „Wir wollen mit unserem Konzept so lange wie möglich das Gewohnte fördern.“ Das sei eine Möglichkeit, Hospitalismus zu verhindern, denn wenn Menschen keine Aufgaben mehr hätten, keine Anregungen mehr erhielten, dann werde Integration in die Gemeinschaft verhindert.

Das Gewohnte fördern

Während Stammel ihre Überlegungen zum Demenzdorf schildert – wobei aus der Sicht der Initiatoren es nie De-menzdorf heißen sollte, sondern Lebensraum für Men-schen mit Demenz – sieht man, wie draußen ein älterer Herr die Stangen eines Zeltes sorgfältig auseinander-schraubt und auf dem Boden stapelt. Holzbänke und Tische werden zusammengeklappt.

„Männer mögen es, wenn sie an handwerklichen Dingen beteiligt sind“, sagt Stammel und erzählt, dass der demenzkranke Mann regelmäßig dem Hausmeister

Fotos: I. Hilgers

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helfe. Abends sei er dann so müde, dass er keine Psycho-pharmaka zum Einschlafen brauche. „Die Menschen, die hier leben, sind am Alltag beteiligt.“ Das sei ausdrücklich gewünscht.

Eine Bewohnerin liebe es beispielsweise, die Krümel vom Tisch zusammenzufegen. Warum denn nicht? Sie habe ihren Mitarbeiterinnen mühsam beigebracht, nicht sofort allen Dreck und jeden Krümel wegzufegen, son-dern auch noch etwas für die Bewohner übrig zu lassen. Alles natürlich auf freiwilliger Basis. Im Demenzdorf in Hameln leben ausschließlich Menschen, die in ihrem häuslichen Umfeld nicht mehr zurechtkommen.

Stammel hat deutschlandweit und darüber hinaus viele Heime gesehen und sie war unzufrieden mit der Art und Weise, wie dort Demenzerkrankte betreut wurden. Viele Häuser seien zu eng gebaut, es gebe zu wenig Mög-lichkeiten, sich dort zu bewegen und die Bewohner, die unter Bewegungsdrang leiden, werden häufig mit Medi-kamenten ruhig gestellt. „Wenn es im Heim totenstill ist, dann stimmt dort etwas nicht.“

Die 45-Jährige wollte für die Bewohner der Anlage eine große Außenfläche, eine Art Treffpunkt, in deren Mitte ein Brunnen steht, so wie es auch auf dem Markt-platz in Hameln der Fall ist. „Die Bewohner haben ge-meinsam mit Ehrenamtlichen Hochbeete mit Gemüse und Salaten bepflanzt, es gibt einen Naschgarten mit Heidelbeeren, Stachelbeeren und Erdbeeren, und jeder kann sich nach Lust und Laune bedienen.“ Es solle in al-len Bereichen möglichst viel Alltagsleben geben.

Das Demenzdorf besteht aus vier „Villen“, in denen jeweils 13 Bewohner leben. Vor einigen Türen flattert frisch gewaschene Wäsche, die von den Bewohnern auf-gehängt wurde. „Die Pflege“, so Stammel, „ist bei uns fast wie ein ambulanter Dienst.“ Bei ihnen stünden die All-tagsgestalter im Vordergrund, die die Bewohner wie in einer Großfamilie beim Waschen, Kochen, Einkaufen unterstützten. „Die Pflegekräfte kommen nur, wenn sie gebraucht werden, beispielsweise bei der Medikamenten-vergabe, zum Blutdruckmessen oder Ähnlichem.“

Die 45-Jährige ist stolz auf das Konzept, das nur funktio-nieren könne, wenn es von den Mitarbeitern und den Angehörigen getragen werde. Daher gibt es regelmäßige Gespräche mit Angehörigen und Mitarbeitern.

Susanne Schreiter ist die Tochter einer demenzer-krankten älteren Dame. Sie sagt voller Überzeugung: „Es gibt in Deutschland nichts Besseres, und der großzügig angelegte Garten lädt zum Verweilen ein.“ Ihre Mutter könne hier geschützt spazieren gehen, ohne dass sie – die Tochter – Angst haben müsse, dass die Mutter das Areal verlasse. Nachts seien alle Türen alarmgesichert, sodass die Bewohner im Dunklen im Garten laufen könnten, ohne dass sich jemand daran störe.

„Mehr Inklusion als anderswo“

Paulina Zwiklinska arbeitet als gerontopsychiatrische Pflegefachperson im Demenzdorf. Sie erlebt ihre Arbeit in der neuartigen Einrichtung als sinnvoll. „Viele Men-schen, die hierher kommen, haben zu Hause Psychophar-maka und Beruhigungsmittel erhalten.“ Unter ärztlicher Aufsicht würden hier die Medikamente reduziert, weil die Bewohner die Möglichkeit hätten, ihren Bewegungsdrang auf natürliche Weise auszuleben.

„Einmal“, erinnert sich die 27-Jährige, „habe ich eine Bewohnerin nach dem Urlaub kaum noch erkannt, weil sie wegen einer reduzierten Medikamentengabe gut an-sprechbar und lebendig wirkte.“ Inklusion? Bei dieser Frage muss Zwiklinska lachen. „Bei uns findet mehr In-klusion statt als anderswo.“ Es gebe regen Kontakt zum Reiterhof, der gleich nebenan sei, einmal im Monat gebe es ein Konzert, zu dem auch Gäste von außerhalb geladen seien, die Nordic-Walking-Gruppe aus dem Ort gehe mit Bewohnern rund um den See, die Jugendmusikschule sei häufig zu Gast und Ehrenamtliche würden mit den Bewohnern gemeinsam Beete bepflanzen. „Wir sind“, sagt Zwiklinska, „mittendrin und keineswegs abgeschottet.“

Ingrid Hilgers, Journalistin, [email protected]

Das Demenzdorf „Tönebön am See“ in Hameln besteht aus vier „Villen“, in denen jeweils 13 ältere Menschen mit Demenz leben. Das Gewohnte soll in dieser Einrichtung so lange wie möglich gefördert werden