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20 Heilberufe / Das Pflegemagazin 2014; 66 (1) Deutscher Pflegetag 2014 Nachhaltiges Personalmanagement Pflegekräftefluktuation: Mitarbeiter- bindung beginnt am ersten Tag Pflege in Deutschland ist schlecht bezahlt, hat ein schlechtes Image und ist von immer weniger Pflegekräften bei immer mehr Patienten zu leisten. Wer kann es Pflegekräften verdenken, wenn sie sich eine Alternative suchen: Fluktuation ist die Lösung. Dieses ist jedoch Fluch und Segen zugleich – für Pflegekraft und Klinik. N icht erst seit Veröffentlichung der NEXT-Studie wissen wir, die be- rufliche Verweildauer von Pflege- kräften liegt deutlich unter derer anderer Berufsgruppen. Die Fluktuation von Pflegekräften innerhalbe der Branche sowie der gänzliche Ausstieg aus dem erlernten Beruf ist überdurchschnittlich hoch. Somit wird die Pflegekräftefluk- tuation stets negativ konnotiert. Betrachtet man sich einmal recht nüch- tern die Definition von Fluktuation, so beschreibt dies den Abgang bzw. die Ab- gangsrate von Arbeitnehmern. Dieser Umstand kann vielerlei Gründe haben: persönliche beispielsweise als Bestandteil der eigenen Karriereplanung, betriebliche bedingt durch Unzufriedenheit mit Ar- beitsinhalt oder Arbeitszeit sowie über- betriebliche aufgrund der Branche oder der Region. Fluktuation ist daher mehr- dimensional zu betrachten und bietet durchaus auch Chancen – für Pflegekraft und Unternehmen. Fluktuation – im Fokus der Wissenschaft Von 2002 bis 2007 untersuchte die NEXT- Studie (nurses‘ early exit study – www. next-study.net) in elf europäischen Län- dern die Ursachen, Umstände und Folgen des vorzeitigen Berufsausstiegs aus dem Pflegeberuf. Die Studie zeigt, dass in Deutschland fast jede fünfte Pflegekraft mehrmals im Monat mit dem Gedanken spielt den Pflegeberuf zu verlassen. Hier- bei sind besonders die jüngeren Pflege- kräfte betroffen, da 25% der 25–30-Jäh- rigen sich aktiv überlegen, den Kittel an den Nagel zu hängen. Hingegen ziehen nur rund 10% der Pflegekräfte zwischen 45 und 50 Jahren diesen Schritt in Erwä- gung. Werden die Betroffenen danach gefragt, welche Faktoren sie mit dem Wunsch ver- binden, die Pflege zu verlassen, so werden insbesondere das Anstreben einer Profes- sionalisierung, der Wunsch nach einer besseren Arbeitsorganisation sowie ge- sundheitliche Argumente genannt. Doch wie lange dauert die Entscheidung von beruflich Pflegenden von den ersten Überlegungen bis zum tatsächlichen Ein- richtungswechsel? In der Praxis haben sechs Monate vor dem tatsächlichen Verlassen der Einrich- tung 52% der Pflegenden noch keine Überlegungen dazu angestellt, die Hälfte der Pflegenden fällt die endgültige Ent- scheidung zum tatsächlichen Verlassen der Einrichtung erst drei Monate vor dem letzten Arbeitstag. Somit spielt zwar ein hoher Anteil an Pflegekräften regelmäßig mit den Gedanken die Pflege zu verlassen, die Umsetzung findet jedoch recht kurz- fristig statt. Um hier als Unternehmen zu handeln, sollten Aktivitäten und Instru- mente sowohl diese kurzfristige Perspek- tive beinhalten jedoch auch langfristig ansetzen. Perspektiven für den Mitarbeiter Wie bereits genannt ist die Fluktuation ein mehrdimensionaler Prozess im Un- ternehmen. Verlässt eine Pflegekraft das Unternehmen, betrifft dies drei Ebenen: Individualebene Abteilungsebene Gesamtorganisationsebene Der Pflegekraft, die ein Unternehmen verlässt, bietet der berufliche Wechsel unter Umständen die Möglichkeit zur Weiterentwicklung. Dieser kann sowohl persönlich als auch fachlich mit einer neuen Herausforderung verbunden sein, wie beispielsweise durch den Wechsel in eine höhere Position oder eine spezifische Fachabteilung/-klinik. Auch können ne- gative Faktoren, wie beispielsweise phy- sische oder psychische Gesundheitsbe- einträchtigungen, die mit der derzeitigen Position verbunden sind, durch eine be- rufliche Umorientierung vermieden wer- den. Daneben ist die berufliche Veränderung auch mit Hürden und Anstrengungen verbunden. Während es auf der einen Seite gilt, ein vertrautes und bekanntes Team, die damit verbundenen persön- lichen Bindungen und den eigenen, erar- beiteten Status innerhalb der Abteilung und des Unternehmens am alten Arbeits- platz zurückzulassen, bedarf es zusätz- licher Anstrengungen, um sich am neuen Arbeitsplatz einzuarbeiten und die dort vorherrschenden Strukturen und Per- sonen kennenzulernen – dies alles in einer Doi: 10.1007/s00058-014-0118-8 Buchtipp Julia Hornung Nachhaltiges Perso- nalmanagement in der Pflege – Das 5-Säulen-Konzept. Springer-Verlag 2013 ISBN 978-3-642-29996-4 34,95 €

Pflegekräftefluktuation: Mitarbeiterbindung beginnt am ersten Tag

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Page 1: Pflegekräftefluktuation: Mitarbeiterbindung beginnt am ersten Tag

20 Heilberufe / Das P�egemagazin 2014; 66 (1)

Deutscher Pflegetag 2014

Nachhaltiges Personalmanagement

Pflegekräftefluktuation: Mitarbeiter-bindung beginnt am ersten Tag Pflege in Deutschland ist schlecht bezahlt, hat ein schlechtes Image und ist von immer weniger Pflegekräften bei immer mehr Patienten zu leisten. Wer kann es Pflegekräften verdenken, wenn sie sich eine Alternative suchen: Fluktuation ist die Lösung. Dieses ist jedoch Fluch und Segen zugleich – für Pflegekraft und Klinik.

Nicht erst seit Veröffentlichung der NEXT-Studie wissen wir, die be-rufliche Verweildauer von Pflege-

kräften liegt deutlich unter derer anderer Berufsgruppen. Die Fluktuation von Pflegekräften innerhalbe der Branche sowie der gänzliche Ausstieg aus dem erlernten Beruf ist überdurchschnittlich hoch. Somit wird die Pflegekräftefluk-tuation stets negativ konnotiert.

Betrachtet man sich einmal recht nüch-tern die Definition von Fluktuation, so beschreibt dies den Abgang bzw. die Ab-gangsrate von Arbeitnehmern. Dieser Umstand kann vielerlei Gründe haben: persönliche beispielsweise als Bestandteil der eigenen Karriereplanung, betriebliche bedingt durch Unzufriedenheit mit Ar-beitsinhalt oder Arbeitszeit sowie über-betriebliche aufgrund der Branche oder der Region. Fluktuation ist daher mehr-dimensional zu betrachten und bietet durchaus auch Chancen – für Pflegekraft und Unternehmen.

Fluktuation – im Fokus der WissenschaftVon 2002 bis 2007 untersuchte die NEXT-Studie (nurses‘ early exit study – www.next-study.net) in elf europäischen Län-dern die Ursachen, Umstände und Folgen des vorzeitigen Berufsausstiegs aus dem Pflegeberuf. Die Studie zeigt, dass in Deutschland fast jede fünfte Pflegekraft mehrmals im Monat mit dem Gedanken spielt den Pflegeberuf zu verlassen. Hier-bei sind besonders die jüngeren Pflege-

kräfte betroffen, da 25% der 25–30-Jäh-rigen sich aktiv überlegen, den Kittel an den Nagel zu hängen. Hingegen ziehen nur rund 10% der Pflegekräfte zwischen 45 und 50 Jahren diesen Schritt in Erwä-gung.

Werden die Betroffenen danach gefragt, welche Faktoren sie mit dem Wunsch ver-binden, die Pflege zu verlassen, so werden insbesondere das Anstreben einer Profes-sionalisierung, der Wunsch nach einer besseren Arbeitsorganisation sowie ge-sundheitliche Argumente genannt. Doch wie lange dauert die Entscheidung von beruflich Pflegenden von den ersten Überlegungen bis zum tatsächlichen Ein-richtungswechsel?

In der Praxis haben sechs Monate vor dem tatsächlichen Verlassen der Einrich-tung 52% der Pflegenden noch keine Überlegungen dazu angestellt, die Hälfte der Pflegenden fällt die endgültige Ent-scheidung zum tatsächlichen Verlassen

der Einrichtung erst drei Monate vor dem letzten Arbeitstag. Somit spielt zwar ein hoher Anteil an Pflegekräften regelmäßig mit den Gedanken die Pflege zu verlassen, die Umsetzung findet jedoch recht kurz-fristig statt. Um hier als Unternehmen zu handeln, sollten Aktivitäten und Instru-mente sowohl diese kurzfristige Perspek-tive beinhalten jedoch auch langfristig ansetzen.

Perspektiven für den MitarbeiterWie bereits genannt ist die Fluktuation ein mehrdimensionaler Prozess im Un-ternehmen. Verlässt eine Pflegekraft das Unternehmen, betrifft dies drei Ebenen:

▶ Individualebene ▶ Abteilungsebene ▶ Gesamtorganisationsebene

Der Pflegekraft, die ein Unternehmen verlässt, bietet der berufliche Wechsel unter Umständen die Möglichkeit zur Weiterentwicklung. Dieser kann sowohl persönlich als auch fachlich mit einer neuen Herausforderung verbunden sein, wie beispielsweise durch den Wechsel in eine höhere Position oder eine spezifische Fachabteilung/-klinik. Auch können ne-gative Faktoren, wie beispielsweise phy-sische oder psychische Gesundheitsbe-einträchtigungen, die mit der derzeitigen Position verbunden sind, durch eine be-rufliche Umorientierung vermieden wer-den.

Daneben ist die berufliche Veränderung auch mit Hürden und Anstrengungen verbunden. Während es auf der einen Seite gilt, ein vertrautes und bekanntes Team, die damit verbundenen persön-lichen Bindungen und den eigenen, erar-beiteten Status innerhalb der Abteilung und des Unternehmens am alten Arbeits-platz zurückzulassen, bedarf es zusätz-licher Anstrengungen, um sich am neuen Arbeitsplatz einzuarbeiten und die dort vorherrschenden Strukturen und Per-sonen kennenzulernen – dies alles in einer D

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Buchtipp

Julia Hornung

Nachhaltiges Perso-nalmanagement in der Pflege – Das 5-Säulen-Konzept.

Springer-Verlag 2013 ISBN 978-3-642-29996-4 34,95 €

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Lage der wirtschaftlichen Unsicherheit bedingt durch die Probezeit.

Perspektiven für das UnternehmenJedoch auch für die einzelne Abteilung ist der Weggang einer Pflegekraft mit posi-tiven wie negativen Konsequenzen ver-bunden. Auch in der Abteilung gilt es, die durch den Weggang neu zu besetzende Stelle in einer Übergangsphase zu kom-pensieren sowie im Anschluss die nach-folgende, neue Pflegekraft einzuarbeiten. Auch dieser Findungsprozess innerhalb des Teams ist Chance und Herausforde-rung in einem. Mit dem Weggang einer Pflegekraft geht stets auch für die Abtei-lung Wissen verloren – Wissen um Struk-turen und Prozesse, aber auch – und dies stellt den noch bedeutsameren Teil des Wissensverlusts dar – implizites Wissen um Personen, welches nur mühevoll von neuen Mitarbeitenden erlernt werden kann.

Die Gewinnung einer neuen Pflegekraft bietet jedoch auch die Chance, neues Wis-sen und andere Kompetenzen in das be-stehende Team einzubringen, so dass Impulse die Abteilung bereichern können. Zudem sollte auch der personalpolitische Spielraum, innerhalb dessen bestehende Altersstrukturen gezielt ausgeglichen oder spezifische Qualifikationen hinzugewon-nen werden können, im Zuge des Einstel-lungsprozess nicht unterschätzt werden.

Die Fluktuation von Pflegekräften be-trifft darüber hinaus auch die Gesamtor-ganisation. Die dargestellten positiven wie negativen Konsequenzen gelten ebenfalls für die Abteilung und für das Unterneh-men. Zudem stellen Fluktuationsbewe-gungen aus oder in das jeweilige Unter-nehmen auch Gefahren beziehungsweise Chancen für das Image im Sinne des Personalmarketings dar. Das kann zu er-höhten Kosten für die Personalakquise neuer Mitarbeitender führen.

Die Frage nach dem „Warum?“Bei der Frage, warum eine Pflegekraft eine Abteilung verlässt, lassen sich die Gründe in so genannte Push- und Pull-Faktoren differenzieren. Unter Push-Faktoren sind negative Aspekte zu verstehen, die die Pflegekraft dazu bewegen, ihren Platz zu verlassen. Die Ursachen liegen somit in-nerhalb des bisherigen Tätigkeitsspek-trums und können beispielsweise ein

schlechtes Arbeitsklima oder mangelhafte Organisationsstrukturen sein. Im Gegen-satz dazu liegen die Pull-Faktoren außer-halb des bisherigen Tätigkeitsspektrums und sind als externe Anreize zu verstehen - beispielsweise ein alternatives Arbeits-platzangebot oder eine Weiterqualifikati-on im Rahmen eines Vollzeitstudiums. Die tatsächlich vorliegenden Push- und Pull-Faktoren variieren je nach Qualifi-kationsniveau und Alter der Pflegekraft sowie nach Typ der Pflegeeinrichtung und Art des Versorgungssystems.

Fluktuationsmanagement als Teil des PersonalmanagementsAus Sicht der Klinik gilt es, die Push-Faktoren zu reduzieren und die Pull-Faktoren gezielt zu nutzen und in die ei-gene Organisation einzubinden. Ein Fluktuationsmanagement setzt daher an verschiedenen Aspekten an.

Sofern sich eine Pflegekraft bereits un-widerruflich zur Kündigung entschieden hat, gilt es, den Ausstieg für den ausschei-denden Mitarbeitenden positiv zu gestal-ten. Das kann beispielsweise durch ein Austrittgespräch erfolgen. Hier sollten auch der Verlauf der verbleibenden Ar-beitstage sowie Übergaberegelungen ver-abredet werden. Ein solches Gespräch eignet sich zudem, um mögliche Fluktu-ationsgründe zu erfahren, welche der Klinik wichtige Hinweise zur Verhinde-rung möglicher weiterer Kündigungen geben. Ein aktives, präventives Fluktuati-onsmanagement setzt jedoch weit vor dem Austrittsgespräch an. Um als Lei-tungskraft mögliche Abwanderungsten-denzen im Stationsteam zu erkennen, sollten zum Beispiel im Rahmen der re-gelmäßigen Mitarbeitergespräche gezielt Fragen zur Arbeitsplatzzufriedenheit und möglicher Verbesserungswünsche gestellt werden. Potenzielle Pull-Faktoren können beispielsweise individuell aufgenommen werden und in Form einer Weiterbildung oder eines berufsbegleitenden Studiums in die derzeitige Tätigkeit integriert wer-den. Hierdurch werden den einzelnen Mitarbeitenden Perspektiven aufgezeigt. Ein erfolgreiches Fluktuationsmanage-ment umfasst somit mehr als eine positive Trennungskultur.

Eine weitere zentrale Rolle spielt die zuständige Führungskraft, da die meisten Mitarbeitenden eigentlich nicht das Un-

ternehmen verlassen, sondern ihre jewei-lige Führungskraft. Eine gute Führung ist somit neben den weiteren personalwirt-schaftlichen Instrumenten eine zentrale Stellschraube zur Fluktuationsprävention. Weiterhin lassen sich auch verschiedenste Instrumente der Personalbindung zur Fluktuationsprävention in das bestehende Personalmanagement integrieren. Es sollte somit das langfristige Ziel sein, Mit-arbeitende bereits ab ihrem ersten Tag an das Unternehmen zu binden und darüber hinaus sich als Arbeitgebermarke am Markt zu platzieren.

▶ Fluktuation ist immer mehrdimensio-nal zu betrachten und bietet durchaus Chancen – für Pflegekraft und Unter-nehmen.

▶ Um Abwanderungstendenzen zu er-kennen, sollten im Rahmen der regel-mäßigen Mitarbeitergespräche gezielt Fragen zur Arbeitsplatzzufriedenheit und möglicher Verbesserungswün-sche gestellt werden.

▶ Ziel des Personalmanagements sollte sein, Mitarbeitende bereits ab ihrem ersten Tag an das Unternehmen zu binden.

FA Z IT FÜ R D I E PFLEG E

Julia Hornung, M.A.Vorstandsassistentin Sozialwerk St. Georg Emscherstr. 62 45891 Gelsenkirchen [email protected]