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10. Der Geldmarkt 10.1 Die Bedeutung von Geld 10.1.1 Geldfunktionen Auf dem Geldmarkt treffen Nachfrage nach und Angebot an Geld aufeinander. Damit diese Marktkomponenten in ihren okonomischen Abhangigkeiten naher beschrieben werden konnen, ist es erforderlich, zunachst das Gut Geld in seiner Bedeutung zu erlautem. Geld ist namlich nicht in allen Volkswirtschaften und nicht zu allen Zeiten das gleiche technische Gut. Vielfach gibt es zudem meh- rere Giiter, die gleichzeitig nebeneinander als Geld fimgieren, wobei es gleichwohl Unterschiede in ihren Eignung hierfur geben kann, so daB sie keine vollstandigen Substitute darstellen. Welche okonomischen Eigenschaften mu8 nun ein Gut besitzen, damit es als Geld verwendet werden kann? Diese Frage beantwortet die Wirtschaftstheorie mit dem Hinweis auf Eigenschaften, die ein Gut besitzen, oder Funktionen, die es erfiillen muB oder solI. Es gibt mit anderen Worten kein Geld oder kein Geld-Gut an sich, sondem Geld erhalt seine Bedeutung erst dadurch, daB es fur die Wirt- schaftssubjekte wirtschaftliche Funktionen erfiillt, die nachstehend aufgefiihrt sind. (1) Tauschmittelfunktion. Ein Gut kann dann zum Geld-Gut werden, wenn es als Tauschmittel bei vielen Tauschvorgiingen benutzt werden kann. Dies erfor- dert, daB die Tauschpartner das Geld-Gut kennen und in seiner Tauschmittelei- genschaft beurteilen konnen. Es ist im iibrigen vorteilhaft, wenn das Geld-Gut teilbar und leicht transportierbar ist, so daB es problemlos fur vielfc1ltige Tauschvorgange einsetzbar ist. Mit Hilfe eines haufig verwendbaren Tausch- mittels kann der direkte Tausch, Gut 1 gegen Gut 2, in einen indirekten Tausch, Gut 1 gegen Geld - Geld gegen Gut 2, transformiert werden. Der in- direkte Tausch unter Verwendung eines Tauschmittels hat den wesentlichen Vorteil, daB eine Person, die ein Gut gegen ein anderes tauschen mochte, nicht so lange warten oder so lange suchen muB, bis sie zufc1llig einen Tauschpartner findet, der gerade bereit ist, das spezifische Gut der Person gegen das von ihr gewiinschte andere Gut und zudem in den beabsichtigen Mengen einzutau- schen. Das Geld als Tauschmittel reduziert diese Kosten des Wartens und des Suchens und schafft eine wesentliche Voraussetzung fUr einen arbeitsteili- gen Wirtschaftsproze8. (2) Wertautbewahrungsfunktion. Ein als Geld-Gut benutztes Tauschmittel findet urn so leichter Verwendung, je mehr es in der Lage ist, den Wert aus einem Gfitertausch fiber die Zeit hin zu erhalten. Tauschvorgange erfolgen fiber die Zeit hin, und die Wirtschaftssubjekte werden nur dann Geld als Tauschmittel bei einem Tauschvorgang akzeptieren, wenn sie es ihrerseits in spateren Tauschvorgangen ohne Wertverlust weiter einsetzen konnen. Das Geld wird in- soweit von den Wirtschaftssubjekten als ein Vermogensbestandteil angesehen, G. Graf, Grundlagen der Volkswirtschaftslehre © Physica-Verlag Heidelberg 2002

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Page 1: [Physica-Lehrbuch] Grundlagen der Volkswirtschaftslehre || Der Geldmarkt

10. Der Geldmarkt

10.1 Die Bedeutung von Geld

10.1.1 Geldfunktionen

Auf dem Geldmarkt treffen Nachfrage nach und Angebot an Geld aufeinander. Damit diese Marktkomponenten in ihren okonomischen Abhangigkeiten naher beschrieben werden konnen, ist es erforderlich, zunachst das Gut Geld in seiner Bedeutung zu erlautem. Geld ist namlich nicht in allen Volkswirtschaften und nicht zu allen Zeiten das gleiche technische Gut. Vielfach gibt es zudem meh­rere Giiter, die gleichzeitig nebeneinander als Geld fimgieren, wobei es gleichwohl Unterschiede in ihren Eignung hierfur geben kann, so daB sie keine vollstandigen Substitute darstellen.

Welche okonomischen Eigenschaften mu8 nun ein Gut besitzen, damit es als Geld verwendet werden kann? Diese Frage beantwortet die Wirtschaftstheorie mit dem Hinweis auf Eigenschaften, die ein Gut besitzen, oder Funktionen, die es erfiillen muB oder solI. Es gibt mit anderen Worten kein Geld oder kein Geld-Gut an sich, sondem Geld erhalt seine Bedeutung erst dadurch, daB es fur die Wirt­schaftssubjekte wirtschaftliche Funktionen erfiillt, die nachstehend aufgefiihrt sind. (1) Tauschmittelfunktion. Ein Gut kann dann zum Geld-Gut werden, wenn es als

Tauschmittel bei vielen Tauschvorgiingen benutzt werden kann. Dies erfor­dert, daB die Tauschpartner das Geld-Gut kennen und in seiner Tauschmittelei­genschaft beurteilen konnen. Es ist im iibrigen vorteilhaft, wenn das Geld-Gut teilbar und leicht transportierbar ist, so daB es problemlos fur vielfc1ltige Tauschvorgange einsetzbar ist. Mit Hilfe eines haufig verwendbaren Tausch­mittels kann der direkte Tausch, Gut 1 gegen Gut 2, in einen indirekten Tausch, Gut 1 gegen Geld - Geld gegen Gut 2, transformiert werden. Der in­direkte Tausch unter Verwendung eines Tauschmittels hat den wesentlichen Vorteil, daB eine Person, die ein Gut gegen ein anderes tauschen mochte, nicht so lange warten oder so lange suchen muB, bis sie zufc1llig einen Tauschpartner findet, der gerade bereit ist, das spezifische Gut der Person gegen das von ihr gewiinschte andere Gut und zudem in den beabsichtigen Mengen einzutau­schen. Das Geld als Tauschmittel reduziert diese Kosten des Wartens und des Suchens und schafft eine wesentliche Voraussetzung fUr einen arbeitsteili­gen Wirtschaftsproze8.

(2) Wertautbewahrungsfunktion. Ein als Geld-Gut benutztes Tauschmittel findet urn so leichter Verwendung, je mehr es in der Lage ist, den Wert aus einem Gfitertausch fiber die Zeit hin zu erhalten. Tauschvorgange erfolgen fiber die Zeit hin, und die Wirtschaftssubjekte werden nur dann Geld als Tauschmittel bei einem Tauschvorgang akzeptieren, wenn sie es ihrerseits in spateren Tauschvorgangen ohne Wertverlust weiter einsetzen konnen. Das Geld wird in­soweit von den Wirtschaftssubjekten als ein Vermogensbestandteil angesehen,

G. Graf, Grundlagen der Volkswirtschaftslehre© Physica-Verlag Heidelberg 2002

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mit dem okonomische Werte fiber die Zeit hin aufbewahrt, ehe sie in spateren Perioden fiir neue Tauschvorgange benutzt werden. Geld muB daher die Wert­aufbewahrungsfunktion erfiillen.

(3) Recheneinheitsfunktion. Die Verwendung eines Geld-Gutes als haufig benutz­tes Tauschmittel fiihrt dazu, daB die Bewertung der zu tauschenden GUter in den Einheiten des Geld-Gutes selbst erfolgt. Die Tauschrelationen werden in Geld ausgedrUckt. Geld fungiert damit als Recheneinheit und allgemeiner Wert­maBstab. Dies verringert die Tauschrelationen, die ein Wirtschaftssubjekt ken­nen und berUcksichtigen muB, was wiederum das Durchfiihren von Tauschvor­gangen erleichtert und zur Arbeitsteilung beitragt.

(4) Zahlungsmittelfunktion. Die Zahlungsmittelfunktion kann einerseits als Un­terfunktion der Tauschmittelfunktion angesehen werden. Andererseits er­scheint es angebracht, sie als eigenstiindige Funktion zu betrachten, weil sie sich aus der jeweiligen Rechtsordnung fiir das Geldwesen einer Volkswirt­schaft ergibt. Beobachtbare Volkswirtschaften heben ein Geld-Gut regelmaBig als gesetzliches Zahlungsmittel hervor. Damit wird es zum alleinigen Mittel, das aIle Glaubiger zur Begleichung von Geld-Forderungen akzeptieren mUssen. Der Staat tritt in aller Regel als SchOpfer des gesetzlichen Zahlungsmittels auf, urn mit diesem Instrument wirtschaftspolitische Ziele zu erreichen.

Die Geldfunktionen werden bei der Betrachtung der Wirtschaftsgeschichte tatsiichlicher Volkswirtschaften Uber die Zeit hin von den dort verwendeten Geld­GUtem nicht durchweg gleich gut und gleich vollstiindig erf"tiIIt. Ein Gut, das als Geld benutzt wird, besitzt aber zumindest die beiden Funktionen des Tausch­mittels und des Wertaufbewahrungsmittels gleichzeitig. Die anderen Eigenschaften mUssen jedoch nicht immer damit verbunden sein. So sind vielfach Beobachtungen zu machen, daB in einer Volkswirtschaft das gesetzliche Zahlungsmittel seine Ei­genschaften als Tauschmittel und als Wertaufbewahrungsmittel verliert, weil z.B. eine Inflation diese Funktionen in Frage stellt. Die Wirtschaftssubjekte greifen dann gegebenenfalls auf Zigaretten als Tauschmittel oder auf auslandische Wah­rongen als Wertaufbewahrungsmittel zurUck. Zahlungsmittel- und Tauschmittel­funktionen konnen insoweit auseinanderfallen und von unterschiedlichen Geld­GUtem wahrgenommen werden. Auch die Recheneinheitsfunktion kann sich von der Tauschmittelfunktion unterscheiden. Beispielsweise sind bei der Einfiihrung des Euro als Bargeld viele Wirtschaftssubjekte noch nicht an die neuen Tauschre­lationen gewohnt (gewesen) und rechnen daher zum Teil noch in den alten Wah­rungsbetragen weiter. Dies fiihrt dazu, daB das umlaufende Geld die Rechenein­heitsfunktion erst spater erhalt und in der Zwischenzeit lediglich als Umrechnungs­faktor von und zur alten Wahrung benutzt wird.

Ein von den Wirtschaftssubjekten als gut und sic her eingeschiitztes Geldsy­stem fiihrt jedoch dazu, daB das in einer Volkswirtschaft verwendete Geld-Gut aile vier Geldfunktionen gleichzeitig erfUllt. Wird dies von einem Geldsystem, einer Wahrung, erreicht, so besitzt dieses Geld fUr die Volkswirtschaft eine Produktiv­Funktion, denn es erleichtert und fordert die Arbeitsteilung und die GUterproduk­tion. Es reduziert die Kosten der Abwicklung von Tauschprozessen und es trligt

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dazu bei, Such-Kosten fUr das Auffmden von wertbestiindigen Vermogensanlage­formen w verringem und entsprechende Transaktionskosten w vermeiden.

10.1.2 Historische Erscheinungsformen des Geldes

Historische Geldsysteme haben als Geld-Gut vorrangig solche physischen Giiter gewahlt, die vielen Wirtschaftssubjekten von ihren materiellen Eigenschaften her gut bekannt waren, sich leicht transportieren und teilen lieBen, eine gute Wertbe­standigkeit besaBen und die sowohl knapp als auch vor leichter Falschung gesichert waren. Der Geld-Wert entsprach dabei vielfach dem Waren-Wert des Geld-Gutes, so daB solche Geldsysteme als Warengeldsysteme bezeichnet werden konnen. Entwickelte Warengeldsysteme benutzen Metalle, insbesondere Edelmetalle, weil diese am ehesten die genannten Eigenschaften aufweisen und die Geldfunk­tionen gleichzeitig erfiillen. Die Vorliebe fUr Metallwahrungen auf der Grundlage von Edelmetallen beruht im ubrigen vorrangig darauf, daB Edelmetalle ein im allgemeinen durch die Produktionskosten strikt beschranktes V orkommen und damit eine natiirliche Knappheit haben, was insbesondere der Wertaufbewah­rungsfunktion der Wahrung wgute kommt. Ais Beispiel eines Warengeldsystems auf der Grundlage des Edelmetalls Gold kann eine reine Goldumlaufswahrung angesehen werden, bei der die gesamte Geldmenge aus Goldmtinzen besteht, wobei der Metallwert der Mtinzen mit dem aufgepragten Nennwert iibereinstimmt. Der­artige Miinzen werden Kurantmiinzen genannt.

Bereits in historischen Zeiten kam und kommt es immer wieder w der Er­scheinungsform des stoffwertlosen Geldes. Damit ist gemeint, daB auf einem Medium, welches selbst nur einen geringen oder fast gar keinen Waren-Wert besitzt, ein Zeichen fiir einen Geld-Wert (eine Ziffer wie z.B. 100) angebracht wird. Papierwahrungen sind eine typische Erscheinungsform dieses stoffwertlo­sen Geldes. Das Papier selbst hat einen vergleichsweise geringen Materialwert, ist aber das Tragermedium fUr einen unter Umstanden hohen Geld-Wert oder einen hohen durch eine Ziffer aufgedruckten Betrag, der dem Nennwert entspricht. Miinzen haben trotz ihrer Verwandtschaft w Metallgeldsystemen vielfach die Eigenschaft des stoffwertlosen Geldes, da sie in der Regel nur einen geringen Me­tallwert besitzen und der aufgepragte Geld-Wert oder Nennwert den Metallwert bei weitem ubersteigen kann. Diese Mtinzen nennt man Scheidemiinzen. Das stoff­wertlose Geld wird auch als Zeichengeld bezeichnet, da die nahew wertlosen Medien (Papier oder Metall) lediglich daw dienen, ein Geldzeichen w tragen.

Zeichengeldsysteme erfordem von ihrer Idee her nur geringe Produktions­kosten, d.h. das Auibringen der Geldzeichen auf die fast wertlosen Tragermedien verursacht nur geringe Kosten und solI auch bewuBt "billig" sein. Zeichengeldsy­sterne wollen damit vor allem den Gutertausch anregen, denn das dafiir benotigte Tauschmittel kann kostengtinstig und rasch zur Verfiigung gestellt werden und ist nicht, wie beispielsweise bei einer Goldwahrung, mit hohen Produktionskosten und erheblichem Zeitaufwand verbunden. Zeichengeldsysteme konnen damit rasch den sich andemden Bedingungen angepaBt werden und eignen sich insoweit besonders

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fUr expansive Volkswirtschaften, in denen die Guterproduktion und die Tausch­vorgange zunehmen.

Wenn aber nur geringe Produktionskosten entstehen, lieBe sich mit Zeichen­geldsystemen jederzeit fast jede beliebige Menge an Geld-Wert produzieren. Die Summe des Nennwerts aller Geldzeichen konnte beliebige GroBenordnungen annehmen und wilrde insbesondere keinerlei Begrenzung nach oben unterliegen. Damit besrunde jedoch die Moglichkeit, daB fUr das Zeichengeldsystem keine Knappheit mehr existierte, wodurch die Wertaufbewahrungsfunktion des Zeichen­geldsystems verloren ginge. FOr jedes Zeichengeldsystem ergibt sich daher die besondere Problematik der Sicherstellung der Knappheit des Geldes in der Form, daB die Summe der ausgegebenen Geldzeichen nicht so groB werden darf, daB dadurch die Wertaufbewahrungsfunktion in Frage gestellt ist. DaB diese Frage von besonderer Bedeutung ist, zeigen die vielfaltigen inflatorischen Entwicklungen bis hin zu Hyperinflationen, die in Zeichengeldsystemen beobachtbar waren und sind.

Zeichengeldsysteme, die auf die Wertbestandigkeit der Wahrung achten und die Wertaufbewahrungsfunktion fUr die Wahrung erhalten wollen, versuchen dieses Ziel zum Teil dadurch zu erreichen, daB mit Hilfe einer Deckung der Geld­zeichen durch Waren und insbesondere durch Gold die Knappheit des Geldes, bzw. des ausgegebenen Nennwerts der Geldzeichen sichergestellt wird. Es hat sich dieser Weg der Deckung des Zeichengeldes durch Waren aber nicht nur als aufwendig und teuer erwiesen. Er steht vielfach im Widerspruch zu wirtschaftspo­litischen Zielen, die in einer Volkswirtschaft yom Staat und den fUr die Wahrung verantwortlichen Instanzen verfolgt werden. Eine Deckung des Zeichengeldes durch Waren ist vor allem keineswegs erforderlich, um die Wertbestandigkeit der Wah rung zu erhalten oder Inflation zu vermeiden. Zur Sicherstellung der Knappheit des ausgegebenen Volumens an Zeichengeld genOgt es vielmehr, die Summe der Geldzeichen in einem Knappheitsverhaltnis zu den damit in einer Volkswirtschaft umzusetzenden oder zu tauschenden Gliter zu halten. Das Geld bleibt mit anderen Worten dann wertbestandig, wenn es im Verhaltnis zu den Gutermengen, die damit getauscht werden, knapp ist und in der Erwartung der Wirtschaftssubjekte knapp bleibt.

10.1.3 Aktuelle Geldarten

Die aktuellen Erscheinungsformen des Geldes bestehen in den Geldarten des seit 1999 existierenden Euro-Raums, in dem seit 1.1.2002 auch das gemeinsame Bar­geld als gesetzliches Zahlungsmittel existiert. Konkret lassen sich folgende Geld­

arten unterscheiden: • Miinzen. Sie werden von der Bundesrepublik Deutschland, d.h. der Bundes­

regierung, ausgegeben, wobei europarechtliche V orschriften zu beachten sind. Die Europaische Zentralbank genehmigt z.B. den Umfang der Ausgabe. Die weiterhin bestehende nationale Miinzhoheit zeigt sich in den nationalen MOoz­seiten der Euro-MOnzen.

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• Banknoten. Sie werden von der Deutschen Bundesbank ausgegeben, wobei sie sich an die entsprechende Genehrnigung der Europaischen Zentralbank zu hal­ten hat. Auf Euro lautende Banknoten sind das einzige unbesehrankte gesetz­liehe Zahlungsmittel.

• Buehgeld (Sichteinlagen, Giralgeld, Depositen). Es wird von den Geschafts­banken ausgegeben. Buchgeld ist in der Regel taglich verfUgbar. Die Glaubiger des Buchgelds, die Nichtbanken, konnen mittels Scheck und Uberweisung, aber auch mit Kreditkarten und den Modalitaten des Electronic Banking uber ihre Buchgeldbestande verfiigen.

Buchgeld und die gesetzlichen Zahlungsmittel erfUllen unmittelbar die Tausehmittelfunktion. Sie dienen bei kurzfristigen Planungen auch als Wert­aufbewahrungsmittel, besitzen in unserem Wahrungssystem die Reehenein­heitsfunktion und stellen damit insgesamt aus Sicht der Wirtschaftssubjekte Geld in seiner vollen Bedeutung dar.

Wenn es jedoch nicht nur auf die sofortige oder tagliche Zahlungs- oder Tauschbereitschaft ankommt, sondem die Wertautbewahrungsfunktion star­ker in den Vordergrund rucken soli, werden die Wirtschaftssubjekte auf andere Geldarten zurUckgreifen, die sich vielfach automatisch oder ansonsten rasch und ohne groBen Wertverlust zu Geld (im Sinne des Tauschrnittels) machen lassen.

• Termin- oder Festgelder. Dies sind Einlagen, die zu vereinbarten Terminen zu Buchgeld werden. Sie bieten eine von der Laufzeit oder Festlegungsfrist abhan­gige Verzinsung und eignen sich als Anlageform, wenn die Verfiigbarkeit der Mittel mit Blick auf spatere Termine planbar ist und auf die spateren Zahlungs­termine abgestellt werden solI.

• Spareinlagen. Spareinlagen werden mit unterschiedlich langen Kiindigungs­fristen angeboten.

• Geldsubstitute. Bereits bei den unterschiedlichen Sparformen ergibt sich die Frage, inwieweit sich nicht auch festverzinsliche Wertpapiere (u.a. Staatsanlei­hen) als Substitute fUr langerfristig festzulegende Spareinlagen oder Termingel­der eignen konnen. Die Antwort hierzu fallt positiv aus, denn die Wirtschafts­subjekte werden immer auch weitere Anlagemoglichkeiten fUr Geld, auf das vorubergehend oder fUr langere Frist nicht zu Tausch- oder Zahlungszwecken zuruckgegriffen werden muB, prufen und auch wahmehrnen. Damit zeigt sich, daB die Geldarten in einem engen Substitutionsverhaltnis zu altemativen Wert­aufbewahrungsmitteln und Anlageformen stehen.

Fur Fristen mit bis zu zwei Jahren haben sich in Deutschland und im Euro­Raum insbesondere Geldmarktpapiere und Geldmarktfonds als Anlageform durchgesetzt. Geldmarktpapiere werden beispielsweise von Banken begeben. Sie haben einen hohen Grad an Liquiditat, da sie an den Geldmiirkten gehandelt werden, deren Teilnehrner ihrerseits aus Banken und sonstigen Finanzinstituten bestehen. Geldmarktfonds sind Investmentfonds, die hauptsachlich in Geld­marktpapiere bzw. in sonstige marktfahige Schuldverschreibungen mit einer Restlaufzeit von bis zu einem Jahr bzw. in Bankeinlagen investieren und eine

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Rendite erzielen moehten, die den Geldmarktzinsen nahekommt. SehlieBlieh eignen sieh von Banken ausgegebene Sehuldversehreibungen, die ubertragbar sind und auf Finanzmarkten gehandelt werden, als Substitut zu Bargeld und Siehteinlagen.

Die Geldsubstitute umfassen aber aueh risikobehaftetere Anlageformen wie u.a. Aktien oder Finanzanlagen im Ausland auf3erhalb des Euro-Raums. Damit ergibt sieh ein grundsatzlieh unbegrenzter Substitutionsbereieh zum Geld im Sinne des Tausehmittels. Die Substitutionsmogliehkeiten fUr Geld, das der Wertaufbewahrung dienen solI, enden nieht bei kurzfristigen Finanzanlagen oder Forderungen an Banken, sondem erstreeken sich prinzipieIl auf aIle ande­ren Vermogenswerte oder Vermogensgegenstande. Diese bestehen selbstver­standlieh aueh in Realvermogensbestandteilen wie Hauser, Grundstiieke, Sammlungen, die sieh ebenfalls zu Geld als Tausehmittel transformieren lassen aueh wenn die Transformation gegebenenfaIls einigen Zeitaufwand erfordem wird. Es gibt mithin keine definitive Begrenzung fUr die Erseheinungsfor­men oder Arten des Geldes. Zu den Geldsubstituten zahlen daher

• aile anderen Aktiva oder Vermogensgegenstande.

10.1.4 Volkswirtschaftliche Geldmengen

Mit Geldmengendefinitionen werden die in einer Volkswirtsehaft vorhandenen Geldmengenaggregate erfaf3t und gegenseitig abgegrenzt. Wegen der Vielzahl der Geldarten und Geldsubstitute laf3t sieh nieht nur eine einzige volkswirtsehaft­liehe Geldmenge feststellen, sondem es konnen mehrere untersehiedliehe Geldmengen ermittelt werden, die mehr oder weniger viele Erseheinungsformen des Geldes oder der geldnahen Substitute umfassen.

Ausgangsbasis fUr das Geldsystem in einer Volkswirtsehaft ist das von der Zentralbank des Landes geschaffene Zentralbankgeld (einsehlief3lieh der Mun­zen). Es existiert in Form von Bargeld bei Niehtbanken und in Form von Einlagen der Gesehaftsbanken bei der Zentralbank. Man kann daher die Zentralbankgeld­menge als Summe aus dem auf3erhalb des Bankensystems umlaufenden Bargeld C und den Zentralbankeinlagen der Banken R ansehen. Aus Sieht der Gesehafts­banken sind deren Zentralbankeinlagen hoehliquide Reserven, so daf3 sieh die Zentralbankgeldmenge wie folgt ergibt:

Zentralbankgeldmenge = C + R.

Die Zentralbankgeldmenge bildet die Grundlage des Geldwesens in einer Volkswirtsehaft. Dies wird vielfaeh aueh dadureh zum Ausdruek gebraeht, daf3 die Zentralbankgeldmenge als Basisgeld oder monetare Basis bezeiehnet wird. Die Gleiehsetzung der Zentralbankgeldmenge mit dem Basisgeld beruht auf der Uberlegung, daf3 aIle anderen Erseheinungsformen des Geldes immer einen Bezug zur dieser Basis als der hoheitlieh gesehaffenen Grundlage des Geldwesens, dem gesetzliehen Zahlungsmittel, aufweisen, bzw. besitzen mussen. Zumindest muf3 das

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Bankensystem in der Lage sein oder sich die Fiihigkeit erhalten, alternative Anla­geformen oder Erscheinungsformen des Geldes, seien es Sicht-, Termin- oder Spareinlagen sowie weitere geldnahe Forderungen zu den Falligkeiten problemlos in Form von Zentralbankgeld zur VerfUgung zu stellen.

Das Zentralbankgeld ist auch insoweit von geldpolitischer Bedeutung als es nicht mehr fUr direkte SteuerungsmaBnahmen der Zentralbank bereitsteht. Dber die Verwendung des Zentralbankgeldes entscheiden vielmehr grundsatzlich die Wirt­schaftssubjekte, die das Zentralbankgeld besitzen. Es sei schlieBlich noch darauf verwiesen, daB die Zentralbankeinlagen der Banken R nach dieser Defmition nicht mit der Mindestreserve ubereinstimmen mussen, die von den Geschaftsbanken bei der EZB zu unterhalten ist.

Betrachtet man Geld vorwiegend in seiner allgemeinen Tauschmittelfunk­tion, so wird das entsprechende volkswirtschaftliche Geldvolumen durch die Summe aus Bargeldumlauf C und den Sichteinlagen der Nichtbanken D ge­bildet. Beide Geldarten eignen sich im taglichen Leben gleichermaBen fUr Trans­aktionen. Vnter ihnen verstehen die Wirtschaftssubjekte in jedem Fall Geld. Das so gebildete Geldvolumen wird ohne niihere inhaltlich Konkretisierung Geldmenge Ml genannt:

Ml = C + D .

In der Definition der Europaischen Zentralbank ist die Geldmenge Ml die Summe aus dem Bargeldumlauf und den taglich falligen Einlagen bei den Monetaren Fi­nanzinstituten (MFIs) im Euro-Raum.

Vnter Berucksichtigung von kurzerfristigen Substituten zu Sichteinlagen kann eine weitere GeldmengengroBe abgrenzt werden. Hierzu werden Anlage­formen einbezogen, deren Festlegungsfrist oder Restlaufzeit kurz ist. Sie besitzen daher fUr ihre Halter hinreichende Geld-Qualitat oder Geld-Niihe. Fur die gegen­uber Ml erweiterte Geldmenge M2 ergibt sich:

M2 = Ml + sonstige kurzfristige Einlagen

Die Europaische Zentralbank zahlt zu den kurzfristigen Einlagen die Einlagen mit vereinbarter Laufzeit von bis zu zwei Jahren sowie die Einlagen mit vereinbarter Kiindigungsfrist von bis zu drei Monaten.

Werden daruber hinaus zusatzliche Geldsubstitute einbezogen, die sich noch starker durch ihre Wertaufbewahrungsfunktion oder ihren Anlagecharakter aus­zeichnen, entsteht die Geldmenge M3, deren Definition wie folgt lautet:

M3 = M2 + marktfahige Finanzinstrumente .

Die Europaische Zentralbank versteht unter marktfahigen Finanzinstrumenten Re­pogeschafte, Geldmarktfondsanteile und Geldmarktpapiere sowie Schuldverschrei­bungen mit einer Vrsprungslaufzeit von bis zu zwei Jahren. Vnter Repogeschaften wird der Gegenwert der von berichtenden MFIs zu einem gegebenen Preis verkauf-

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ten Wertpapiere unter der gleichzeitigen Verpflichtung, dieselben oder ahnliche Wertpapiere w einem festgelegten Tag in der Zukunft wrlickzukaufen, verstanden. Repogeschafte sind Wertpapierpensionsgeschafte, die z.B. von der Europaischen Zentralbank im Rahmen ihrer Geldpolitik eingesetzt werden (siehe Abschnitt 10.6).

Die Europaische Zentralbank publiziert die Geldmengenaggregate, unter de­nen sie die monetaren Verbindlichkeiten der MFIs und der Zentralstaaten (Post, Schatzamter) gegentiber im Euro-Wahrungsgebiet ansassigen Nicht-MFIs (ohne Zentralstaaten) versteht.

Tabelle 5: Volkswirtschaftliche Geldmengen im Euro-Raum

Bestande am Ende des Berichtszeitraums in Mrd. Euro Position

1997 1998 1999 2000 2001 (Okt.)

Barge1dum1auf 318,4 323,6 350,0 347,6 296,7 M1 1.615,2 1.776,6 1.959,3 2.076,4 2.141,4 M2 3.667,2 3.893,3 4.120,8 4.289,2 4.546,7 M3 4.217,5 4.441,7 4.778,5 4.900,9 5.334,6

QueUe: Europaische Zentra1bank: Monatsberichte (jewei1s TabeUe 2.4)

Tabelle 5 enthalt die Werte der gebrauchlichen GeldmengengroBen, die im Euro-Raum unterschieden werden und die fUr die Geldpolitik von vorrangigem In­teresse sind. Ein Blick auf die Daten der fiinf Jahre belegt, daB sich die Geldmen­gengroBen keineswegs voIIig gleichartig oder parallel entwickeln. Dies belegt allein der Bargeldumlauf, wobei der Oktoberwert 2001 inhaltlich nicht mit den Jahresendwerten kompatibel ist. Die Geldpolitik hat gleichwohl der Entwicklung besondere Beachtung w schenken, wenn sie einen systematischen EinfluB auf das in einer Volkswirtschaft existierende Geldvolumen austiben will. Dabei ist w be­riicksichtigen, daB die Geldmengenaggregate durchaus von den in jeweiligen Be­obachtungsperioden tiblichen Gebrauchen der Wirtschaftssubjekte abhangig sind. Sie bestimmen tiber die Abwicklung ihrer Tauschvorgange und die dabei einge­setzten Geldarten und sie entscheiden eigenstandig tiber ihr Anlageverhalten in mehr oder weniger liquiden Aktiva. SchlieBIich ist wegen dieser institutionellen Bedingungen w erwahnen, daB die Abgrenzung der GeldmengengroBen und deren jeweilige geldpolitische Bedeutung sich innerhalb des Euro-Raums und im Ver­gleich w anderen Volkswirtschaften keinesfalls decken muB. Die jeweiligen Zah­lungssitten und die jeweiligen Substitutionsprozesse zwischen den Anlageformen des Vermogens konnen Will Teil erheblich voneinander abweichen und werden im tibrigen von aktueIIen Wirtschaftsentwicklungen und den damit verbundenen Er­wartungen gepragt. Insoweit steht die GeldpoIitik immer wieder vor der Frage, welches Geldmengenaggregat fUr ihre geldpolitischen VorstelIungen geeignet ist, bzw. woran sich ihr EinfluB auf das von ihr anwstrebenden Ziel der Preisstabilitat am wverlassigsten messen laBt.

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10.2 Die Geldverfassung in Deutschland

10.2.1 Die Geldverfassung zu den Zeiten der DM

Am 20. Juni 1948 wurde die DM erstrnalig in den drei westlichen Besatzungszo­nen von Deutschland in Form eines Kopfgeldes je Bewohner in Hohe von zunachst 40 DM ausgegeben. Zuvor war die alte Reichsmark-Wahrung abgeschafft wor­den. Diese Wahrungsreform wurde von der Bank deutscher Lander umgesetzt, die seit Marz 1948 ihre Aufgabe als Zentralbank zunachst in der amerikanischen und britischen Zone sowie schlieBlich auch rur die franzosische Zone wahrgenom­men hat. Der Bank deutscher Lander ging entstehungsgeschichtlich die Bildung von Landeszentralbanken voraus, die urn die Jahreswende 1946/47 in der US­Zone und einige Monate spater in der franzosischen Zone als selbstandige Institu­tionen geschaffen wurden. Anfang 1948 sind auch in der britischen Zone Landes­zentralbanken installiert worden. Obwohl die Bank deutscher Lander juristisch eine gemeinsame Tochter der Landeszentralbanken darstellte, haben die Bank deutscher Lander und die Landeszentralbanken wie ein einheitliches Zentralbanksystem gear­beitet. Die Zweistufigkeit und der foderale Aufbau der Bank deutscher Lander zeigten sich darin, daB der Zentralbankrat als oberstes Organ fUr die Gesamtpolitik des Systems neben seinem hauptamtlichen Prasidenten und dem Prasidenten des Direktoriurns der Bank deutscher Lander aIle Prasidenten der Landeszentralbanken urnfaBte.

Die Bank deutscher Lander hatte zunachst kein Notenemissionsrecht. Es wurde ihr erst durch das Emissionsgesetz vom 18.6.1948 gegeben. Das Geldemis­sionsmonopol umfaBte zunachst auch Kleingeldzeichen. Einige Monate nach der Bildung der ersten Bundesregierung ist die Mlinzhoheit auf den Bund iibertragen worden.

Die Bank deutscher Lander existierte bis 1957. Mit dem Gesetz iiber die Deutsche Bundesbank vom 26. Juli 1957 wurde der zweistufige Aufbau des Zen­tralbanksystems beseitigt und eine einheitliche Zentralbank als Deutsche Bundes­bank errichtet. Dabei wurden die Landeszentralbanken einschlieBlich der Berliner Zentralbank mit der Bank deutscher Lander verschmolzen und diese dann zur Bun­desbank umgestaltet. Die Landeszentralbanken waren damit rechtlich nicht mehr selbstandig, sondem wurden zu Hauptverwaltungen der Deutschen Bundesbank in den Bundeslandem.

Die Deutsche Bundesbank [mdet ihre rechtliche Grundlage im Gesetz fiber die Deutsche Bundesbank. Nach § 2 dieses Gesetzes ist sie eine bundesun­mittelbare juristische Person des offentlichen Rechts, deren Grundkapital dem Bund zusteht. Die Deutsche Bundesbank hat ihren Sitz in Frankfurt am Main. Zunachst war allerdings Frankfurt nur als Ubergangslosung vorgesehen, da der Sitz der Bundesbank grundsatzlich am Sitz der Bundesregierung sein sollte. Die bis zum Jahr 2002 existierenden Organe der Deutschen Bundesbank sind der Zentral­bankrat, das Direktorium und die V orstande der Landeszentralbanken.

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Der Zentralbankrat ist das oberste Organ der Deutschen Bundesbank. Er bestimmt die Wahrungs- und Kreditpolitik der Bank. Er besteht aus dem Prasiden­ten und dem Vizeprasidenten der Deutschen Bundesbank, den weiteren Mitglie­dem des Direktoriums und den Prasidenten der Landeszentralbanken.

Das Direktorium ist fUr die Durchf"lihrung der Beschliisse des Zentral­bankrats verantwortlich. Es leitet und verwaltet die Bank und ist somit das ausfiih­rende Organ. Das Direktorium besteht aus dem Prasidenten und dem Vizeprasi­denten der Deutschen Bundesbank sowie bis zu sechs weiteren Mitgliedem. Die Mitglieder des Direktoriums mussen besondere fachliche Eignung besitzen. Sie werden vom Bundesprasidenten auf Vorschlag der Bundesregierung fUr in der Regel acht Jahre bestellt.

Die Deutsche Bundesbank unterhalt (his zum Jahr 2002) je eine Hauptver­waltung mit der Bezeichnung Landeszentralbank fUr den Bereich des Landes Baden-Wurttemberg, des Freistaates Bayem, der Lander Berlin und Brandenburg, der Freien Hansestadt Bremen und der Lander Niedersachsen und Sachsen-Anhalt, der Freien und Hansestadt Hamburg und der Lander Mecklenburg-Vorpommem und Schleswig-Holstein, des Landes Hessen, des Landes Nordrhein-Westfalen, der Lander Rheinland-Pfalz und Saarland, der Freistaaten Sachsen und ThOringen. Die Vorstande der jeweiligen Landeszentralbanken bestehen aus dem Prasidenten und dem Vizeprasidenten und gegebenenfalls einem weiteren Mitglied. Die Prasidenten der Landeszentralbanken werden vom Bundesprasidenten auf Vorschlag des Bun­desrates (und dort konkret aufVorschlag der betreffenden Lander) fUr in der Regel acht Jahre bestellt.

Die im Vergleich zu politischen Wahlzyklen in Deutschland (vier bis fiinf Jahre) lange Amtsperiode der MitgJieder des Zentralbankrates (acht Jahre) ver­leiht diesem Gremium eine ausgepragte Unabhangigkeit auch und besonders ge­genuber m5glichen politischen Bestrebungen und Motiven, die in Parlamenten und Regierungen von Bund und Landem vorherrschen k5nnten. Die Deutsche Bun­desbank erwies sich damit seit ihrem Bestehen national und im intemationalen Vergleich als geldpolitische Instanz mit weitgehender Unabhangigkeit von kurzfri­stigen politischen Einflussen.

Ihre Organisation und Aufgaben unterliegt allerdings auch den durch die Ein­fiihrung des Euro geanderten Rahmenbedingungen. Insoweit ist die in diesem Ab­schnitt dargestellte Geldverfassung historisch und trifft vorrangig die Epoche in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts.

Die geldpolitischen Funktionen der Deutschen Bundesbank ergaben sich aus dem Bundesbankgesetz. In allgemeiner Form konnten bis zur 3. Stufe der Euro­paischen Wirtschafts- und Wahrungsunion, d.h. bis zum 1.1.1999, sieben Haupt­aufgaben der Bundesbank festgehalten werden, die zwischenzeitlich weitgehend auf die Europaische Zentralbank ubergegangen sind. • Sicherung der Wahrung. Diese Aufgabe war der Bundesbank gewissermaBen

als oberstes Ziel aufgetragen. Das Ziel einer sicheren Wahrung hat aber zumin­dest zwei Aspekte, die sich unter Umstanden in einem Widerstreit befmden k5nnen. So besteht der interne Sicherheitsaspekt der Wahrung darin, daB das

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von der Bundesbank ausgegebene Geld innerhalb der Volkswirtschaft seinen Wert erhalt, d.h. der nationale Geldwert stabil bleibt. Sicherung der Wiih­rung kann in einer offenen Volkswirtschaft auch mit Blick auf die externe Si­cherheit der Wahrung im Vergleich zu anderen Wiihrungen gesehen werden. Die nationale Wiihrung kann im Vergleich zu anderen Wahrungen dann als si­cher gelten, wenn der Wechselkurs fUr die heimische Wahrung stabil ist und

zumindest keine Abwertung der heimischen Wahrung eintritt. • Abwicklung des ZahluDgsverkehrs im Inland uDd mit dem Ausland. Diese

Aufgabe umfaBte die Versorgung der Volkswirtschaft mit Bargeld (Noten und Mililzen). Die Aufgabe bestand daneben darin, daB die Bundesbank den unba­ren ZahluDgsverkehr mit abwickelte. Mit dem Ubergang zum beleglosen elek­tronischen Zahlungsverkehr bei den Geschaftsbanken hat sich die Clearing­Funktion der Bundesbank allerdings reduziert, da die Geschaftsbanken ver­mehrt Zahlungen in den eigenen Netzen weiterleiten oder bilateral austauschen.

• Die Deutsche Bundesbank war verpflichtet, unter Wahrung ihrer Aufgabe die allgemeine Wirtschaftspolitik der Bundesregierung zu unterstUtzen. Allerdings ist die Bundesbank bei der Austibung ihrer Befugnisse keinen Wei­sungen der Bundesregierung unterworfen.

• Die Deutsche Bundesbank hatte das ausschlie6liche Recht, in Deutschland Banknoten auszugeben. Sie war die Notenbank. Die von ihr ausgegebenen auf Deutsche Mark lautenden Noten waren bis Ende 2001 das einzige unbe­schrankte gesetzliche Zahlungsmittel.

• Die Deutsche Bundesbank ist die Bank des Staates. Sie ist gem1iB Art. 88 Grundgesetz vom Bund errichtet. Dies spiegelt sich unter anderem darin wider, daB das Grundkapital der Bundesbank dem Bund zusteht und eventuelle Ge­winne an den Bund abgeflihrt werden. Die Bundesbank ist daneben verpflich­tet, wiihrungspolitische GruDdsatzentscheiduDgeD des Staates, die auf der Grundlage des Art. 73, Nr. 4 Grundgesetz getroffen werden, auszufiihren und zu erfiillen. So beschlieBt z.B. die Bundesregierung tiber wahrungspolitische Grundsatzfi:agen. Damit lagen auch die Entscheidungen tiber den Beitritt zum Europaischen Wahrungssystem EWS (1979), die deutsche Wahrungsunion (1990) oder die Einfiihrung einer gemeinsamen europaischen Wahrung nicht bei der Bundesbank, sondem bei der Bundesregierung, bzw. bei den parlamen­tarischen Verfassungsorganen (Bundestag und Bundesrat). Der Bund hat das Auspragungsrecht (Mtinzregal) flir die Mililzen, die er an die Bundesbank ge­gen Zentralbankgeld abgibt. In Hohe der Differenz zwischen dem Nennwert der Mililzen und deren Herstellungskosten erhalt der Bund einen Mililzgewinn. Be­reits mit der zweiten Stufe der Europaischen Wirtschafts- und Wahrungsunion sind zum 1. Januar 1994 zwei Teilfunktionen weggefallen, die die Bundes­bank bis dahin als Bank des Staates noch erfiillte: zum einen bestand die Mog­lichkeit der Kassenkreditgewiihrung, d.h. Bund, Lander und die Sonderver­mogen des Bundes konnten bis dahin von der Bundesbank in den durch § 20 Bundesbankgesetz festgelegten Hochstgrenzen Kassenkredite erhalten. Parallel zum Wegfall der Kassenkreditmoglichkeiten wurden die zentralen offentlichen

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Haushalte von der Einlagepflicht befreit. Die Einlagepflicht bestand darin, daB insbesondere der Bund und die Lander ihre liquiden Mittel bei der Bundesbank unterhalten muBten, wo sie dem Geldkreislauf entzogen waren. Durch den Wegfall der Einlagepflicht kannen sie nun die liquiden Mittel verzinslich im Geschaftsbankensektor anlegen.

• Die Deutsche Bundesbank war die Bank der Banken. Die Geschaftsbanken konnten bei der Bundesbank Zentralbankgeld leiben, urn ibre Liquiditat zu erbalten. Die Geschaftsbanken sind zwar insgesamt bestrebt, mit dem in der Volkswirtschaft vorhandenen Bestand an Zentralbankgeld die BargeldwUnsche von Einlegem und Kreditnehmem zu erfUlIen. Allerdings lassen sich Aus­schlage in der Nachfrage nach Zentralbankgeld nicht ausschlieBen. In diesen Fallen kannen die Geschaftsbanken aber durch Refinanzierung oder Kreditauf­nahme bei der Bundesbank ihren Bedarf an Zentralbankgeld ausgleichen. Diese Funktion der Zentralbank wird als lender of last resort bezeichnet.

• Die Deutsche Bundesbank unterhalt weiterhin eine Wahrungsreserve. Diese hat aus historischer Sicht mit dazu beigetragen hat, die intemationale Liquiditat der deutschen Volkswirtschaft zu sichem. Die akonomische Bedeutung der Funktion als Halterin der offiziellen Wahrungsreserven hat allerdings in der jiingsten Vergangenheit im Zusammenhang mit dem freien intemationalen Ka­pitalverkehr und dem gestiegenen Volumen an Auslandsanlagen privater Wirt­schaftssubjekte deutlich abgenommen.

10.2.2 Deutschland als Mitglied des Euro-Raums

Anfang Mai 1998 beschloB der EU-Rat einvemehmlich, daB 11 Mitgliedstaaten, namlich Belgien, Deutschland, Spanien, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Osterreich, Portugal und Finnland die fUr die EinfUhrung der gemein­samen Wahrung am 1. Januar 1999 notwendigen Voraussetzungen erfiiIlten. Einen Monat spater wurde die Europaische Zentralbank (EZB) errichtet, welche die Auf­gaben des Europaischen Wahrungsinstituts (EWI) iibemahm. Der Sitz der EZB war durch einen BeschluB der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten aus 1993 mit Frankfurt am Main festgelegt worden. Zentrale rechtliche Regeln fUr die Europaische Zentralbank und fUr das Eurosystem insgesamt finden sich in den Artikeln 105-115 des EG-Vertrags sowie im Protokoll iiber die Satzung des Euro­paischen Systems der Zentralbanken und der Europaischen Zentralbank aus dem Jahr 1992.

Die institutionellen Gegebenheiten des Euro-Raums sind mehrschichtig, zu­mal der Euro als gemeinsame europaische Wahrung nicht in allen Mitgliedstaaten der EU gleichzeitig eingefUhrt wurde. Soweit die Europaische Union insgesamt angesprochen wird, ist im EG-Vertrag yom Europaiscben System der Zentral­banken (ESZB) die Rede. Zum Europaischen System der Zentralbanken (ESZB) zahlen die Europaische Zentralbank (EZB) und die nationalen Zentralbanken aller bisherigen 15 Mitgliedstaaten (Art. 107, Abs. I EG-Vertrag).

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Neben dem ESZB existiert seit 1999 das Eurosystem. Dem Eurosystem ge­horen die Lander an, die den Euro bereits eingefiihrt haben. AuBer den oben erwahnten elf Mitgliedstaaten, die seit 1999 zum Eurosystem zahlen, ist seit An­fang 2001 auch Griechenland Mitglied des Eurosystems. Die EU-Lander Dane­mark, GroBbritannien und Schweden sind im Jahr 2002 noch keine Teilnehmer des Eurosystems. Fur sie gelten zwar auch einige Verpflichtungen des ESZB. Ihre Zentralbanken unterliegen aber nicht den Weisungen der EZB und deren Geld­politik.

Kernstiick des Eurosystems und des ESZB ist die Europaische Zentral­bank (EZB). Sie hat eine Leitungsstruktur, die derjenigen der Bundesbank ent­lehnt ist. Sie wird geleitet vom EZB-Prasidenten und dem EZB-Vizeprasiden­ten, die zusarnmen mit vier weiteren Mitgliedern das Direktorium bilden. Die Mitglieder des Direktoriurns werden von den Regierungen der Mitgliedstaaten auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs auf Empfehlung des Rates, der hierzu das Europaische Parlament und den EZB-Rat anhort, aus dem Kreis der in Wah­rungs- und Bankfragen anerkannten und erfahrenen Personlichkeiten einvemehm­lich ausgewiihlt und emannt. Ihre Amtszeit betragt acht Jahre; Wiederemennung ist nicht zulassig (Vgl. Art 112, Abs. 2 EG-Vertrag). Das Direktorium fiihrt die lau­fenden Geschiifte der EZB. Es filhrt insbesondere die Geldpolitik gemiiB den Leit­linien und Entscheidungen des EZB-Rates aus und erteilt hierzu den nationalen Zentralbanken die erforderlichen Weisungen.

Das oberste Beschlu130rgan der EZB ist der EZB-Rat. Er besteht aus den Mitgliedem des Direktoriurns der EZB und den Prasidenten der nationalen Zen­tralbanken des Euro-Raums. Jedes Mitglied des EZB-Rates hat eine Stimme. Der EZB-Rat erliiJ3t die Leitlinien und Entscheidungen, die notwendig sind, urn die Er­filIlung der dem ESZB ubertragenen Aufgaben zu gewahrleisten. Der EZB-Rat legt die Geldpolitik der Gemeinschaft fest.

"Bei der Wahrnehmung der ihnen ... iibertragenen Befugnisse, Aufgaben und Pflichten darf weder die EZB noch eine nationale Zentralbank noch ein Mitglied der Beschluftorgane Weisungen von Organen oder Einrichtungen der Gemein­schaft, Regierungen der Mitgliedstaaten oder anderen Stellen einholen oder ent­gegennehmen. Die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft sowie die Regie­rungen der Mitgliedstaaten verpflichten sich, diesen Grundsatz zu beachten und nicht zu versuchen, die Mitglieder der Beschluftorgane der EZB oder der natio­nalen Zentralbanken bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu beeinflussen. " (Art. 108 EG-Vertrag).

Die vom EG-Vertrag vorgesehenen wiihrungspolitischen Aufgaben richten sich zwar an das ESZB insgesamt. Solange jedoch noch nicht aIle Mitgliedstaaten der EU dem Eurosystem beigetreten sind, beziehen sich die Aufgabenstellungen in erster Linie auf die EZB und das Eurosystem. "Das vorrangige Ziel des ESZB ist es, die Preisstabilitat zu gewahrleisten. Soweit dies ohne Beeintrachtigung des Ziels der Preisstabilitat moglich ist, unterstiitzt das ESZB die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Gemeinschaft ... Das ESZB handelt im Einklang mit dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbe-

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werb, wodurch ein ejJizienter Einsatz der Ressourcen gefordert wird .... " (Art 105, Abs. 1 EG-Vertrag). " Die grundlegenden Aufgaben des ESZB bestehen darin, - die Geldpolitik der Gemeinschaft festzulegen und auszujUhren, - Devisengeschafte im Einklang mit Artikel 111 durchzujUhren, - die offlZiellen Wahrungsreserven der Mitgliedstaaten zu halten und zu verwalten, - das reibungslose Funktionieren der Zahlungssysteme zu fordern. " (Art. 105, Abs.2 EG-Vertrag). "Die EZB hat das ausschlieftliche Recht, die Ausgabe von Banknoten innerhalb der Gemeinschaft zu genehmigen. Die EZB und die nationalen Zentralbanken sind zur Ausgabe von Banknoten berechtigt. Die von der EZB und den nationalen Zen­tralbanken ausgegebenen Banknoten sind die einzigen Banknoten, die in der Ge­meinschaft als gesetzliches Zahlungsmittel gelten. " (Art. 106, Abs. 1 EG-Vertrag). "Die Mitgliedstaaten haben das Recht zur Ausgabe von Munzen, wobei der Um­fang dieser Ausgabe der Genehmigung durch die EZB bedarf ... "(Art. 106, Abs. 2 EG-Vertrag).

So lange es in der EU noch einen Unterschied zwischen Teilnehmem und Nichtteilnehmem am Eurosystem gibt, stellt sich wegen der vom EG-Vertrag vorgesehen Zielgruppe (allen Mitgliedstaaten) ein Abstimmungsproblem. Dieses wird dadurch angegangen, daB ein Erweiterter Rat installiert wurde. Der Erwei­terte Rat besteht aus dem Prasidenten und dem Vizeprasidenten der EZB sowie aus den Prasidenten der nationalen Zentralbanken aller Mitgliedstaaten der EU. Der Erweiterte Rat trim keine geldpolitischen Beschliisse. Er hat im wesentli­chen eine Informationsfunktion und solI die noch ausstehenden Kandidaten in der EU fUr den Beitritt zum Eurosystem vorbereiten.

Aus der Satzung des ESZB und der EZB ergibt sich, daB das Kapital der EZB bei der Aufuahme ihrer Tatigkeit 5 Milliarden ECU betragt. Die nationalen Zentralbanken sind alleinige Zeichner und Inhaber des Kapitals der EZB. Die Hl>he der Anteile wird aus einem Schliissel bestimmt, in den je zur Hiilfte die Be­volkerungszahl des Mitgliedstaates und sein Bruttoinlandsprodukt eingehen. Ent­sprechend den Anteilen am Kapital der EZB iibertragen die nationalen Zentralban­ken der EZB Betriige aus ihren Wiihrungsreserven. SchlieBlich enthalt die Satzung auch eine Verteilungsregelung fUr den Gewinn bzw. Verlust der EZB. Die Deut­sche Bundesbank halt einen Anteil von 24,5 % des Kapitals der EZB.

10.2.3 Die Geschiftsbanken in Deutschland

Die Geschaftsbanken nehmen Einlagen vom allgemeinen Publikurn (den Nichtban­ken) an, urn damit Kredite zu vergeben. 1m iibrigen sind sie im Wertpapiergeschaft tatig. Diese allgemeine Definition der Geschaftsbanken wird von der Europaischen Zentralbank zwischenzeitlich mit einem anderen Begriff inhaltlich gefUllt, wobei die traditionelle Definition einer Bank nicht vollig mit der neuen Abgrenzung iibereinstimmt. In diesem Zusammenhang haben wir bereits mehrfach die Gruppe der Monetaren Finanzinstitute (MFIs) erwahnt.

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Die EZB verwendet die Bezeichnung MFI fUr drei Arten von geldschOpfen­den Kredit- und Finanzinstituten (zur GeldschOpfung siehe lOA unten): • Zurn einen werden die Zentralbanken zur Gruppe der MFIs gerechnet. Die

Zentralbanken sind aber keine Geschiiftsbanken, da sie nicht mit dem allgemei­nen Publikum in Kreditbeziehungen treten.

• Zweitens zahlen zu den MFIs die gebietsansassigen Kreditinstitute im Sinne des Gemeinschaftsrechts. Diese sind definiert als Untemehmen, deren Tatigkeit darin besteht, Einlagen oder andere ruckzahlbare Gelder des Publikums ein­schlieBlich der ErlOse aus dem Verkauf von Bankschuldverschreibungen an das Publikum entgegenzunehmen und Kredite auf eigene Rechnung zu gewahren. Hierzu zahlen die Universalbanken, die Sparkassen, die Postbank, Genossen­schaftsbanken, Kreditgenossenschaften, Privatbanken, Spezialbanken wie u.a. Bausparkassen oder Hypothekenbanken.

• Die dritte Gruppe besteht aus allen sonstigen gebietsansassigen Finanzinsti­tuten, deren wirtschaftliche Tatigkeit darin besteht, Einlagen bzw. Einlagensub­stitute im engeren Sinne von anderen Wirtschaftssubjekten als MFIs entgegen­zunehmen und auf eigene Rechnung Kredite zu gewahren undloder in Wertpa­pieren zu investieren. Zu dieser Gruppe gehoren hauptsachlich die Geldmarkt­fonds.

In Deutschland besteht das Geschiiftsbankensystem vorwiegend aus Universal­banken, die grundsatzlich jede Art von Bankgeschaft betreiben konnen, also Ein­lagen annehmen, Kredite gewahren und sich im Wertpapiergeschiift betatigen. Das Geschiiftsbankensystem in Deutschland wird gepragt von drei gro6en Instituts­gruppen: • KreditbaDkeD bzw. private BankeD. Dies sind privatrechtlich organisierte

Institute beispielsweise in der Gesellschaftsform der AG. Ihre Betatigungsfel­der liegen vor allem im Kredit- und Wertpapiergeschaft sowie in der Vermo­gensverwaltung. Innerhalb dieser Gruppe wird noch unterschieden in GroBban­ken, Regionalbanken und sonstige Kreditbanken (wie z.B. die Privatbankiers) und die Zweigstellen auslandischer Banken.

• Sparkassensektor. Zu diesem Sektor zahlen zunachst die Sparkassen, die iiberwiegend Anstaiten des offentlichen Rechts in der Tragerschaft von Ge­bietskorperschaften sind. Als Korperschaften des offentlichen Rechts wollen sie einen offentlichen Aufirag realisieren, der insbesondere in der Forderung des Sparens und in der ErfUllung des Kreditbedarfs der Arbeitnehmer, des Mit­telstandes, der gewerblichen Wirtschaft und der offentlichen Hand gesehen wird. FUr Sparkassen gilt derzeit (noch) die Anstaitslast und die Gewahrtra­gerhaftung. Diese Prinzipien verptlichten den Trager, im Innenverhaltnis die Funktionsflihigkeit der Anstalt zu gewahrleisten und im AuBenverhaltnis subsi­diar fUr die Verbindlichkeiten des Instituts einzustehen. Daruber hinaus gilt fUr Sparkassen das Regionalprinzip. Dadurch gibt es in der Regel keine iiber­schneidenden Geschiiftsgebiete und keinen direkten Wettbewerb zwischen den Sparkassen untereinander. Auf der Ebene eines Verbandsbereichs verfUgen die

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Sparkassen tiber zentrale Kreditinstitute in Fonn der Landesbanken oder Gi­rozentralen.

• Genossenschaftssektor. Dieser Sektor umfaBt die nach dem Regionalprinzip arbeitenden Kreditgenossenschaften. Diese zielen mit ihren Bankaktivitaten ur­spriinglich auf die Betriebe der Landwirtschaft (Raiffeisen-Banken) und des Handwerks (Volksbanken) abo AuBerdem existieren genossenschaftliche Zen­tralbanken.

Dariiber hinaus besteht das Geschaftsbankensystem in Deutschland aus Spezial­banken, die nicht aIle Bankgeschafte wahrnehmen. Dazu zahlen die Realkredit­institute oder Hypothekenbanken, die Bausparkassen und die Banken mit Sonder­aufgaben.

Gemessen an der Bilanzsumme in 2001 ist der Sparkassensektor mit tiber 35 Prozent der groBte Teilsektor der Geschaftsbanken in Deutschland. Die Kreditban­ken oder privaten Banken erreichen etwa 28 %. Der Genossenschaftssektor, der die meisten Institute umfaBt, erreicht 12 % der Bilanzsumme aller Bankengruppen.

10.3 Die Nachfrage nach Geld

10.3.1 Der Nutzen der Geldhaltung

Mit der Nachfrage nach Geld sollen okonomische Eintltisse erfaBt werden, die Umfang und Veranderung der Geldhaltung oder der Kassenhaltung der Wirt­schaftssubjekte bestimmen. Es wird mithin nach den Bestimmungsgriinden gefragt, die z.B. private Haushalte und Untemehmen bewegen, Geld in barer Fonn oder in Fonn von Sichteinlagen zu halten, die kaum eine Verzinsung aufweisen. Hierbei stellt sich die primare Frage, wieso Wirtschaftssubjekte tiberhaupt Geld halten, denn Geld ist zumindest in den Fonnen des direkten Tauschmittels nahezu er­tragslos. Bargeld oder Sichteinlagen stiften mit anderen Worten keinen unmittelbaren Nutzen, wenn davon abgesehen wird, daB sich einige wenige Perso­nen an aus ihrer Sicht schonen Mtinzen oder Scheinen erfreuen konnen und sie aus diesem Grund MUnzen oder Scheine nachfragen.

LaBt man diesen Sammler-Aspekt aus einer speziellen Liebhaberei auBer Be­tracht, so wird ein ertragsloses Aktivum wie Geld nur dann nachgefragt, wenn es sonstige okonomische Vorteile verspricht, aus denen sich fUr die Halter des Geldes ein Nutzen ergibt. Die Vorteile der Geldhaltung bestehen in der jederzeitigen Tauschbereitschaft, die Geld ennoglicht und die nur mit Geld als dem liquidesten Vennogensbestandteil gegeben ist. Nur die Verfiigung tiber Geld verschafft jeder­zeit eine sofortige Tauschmoglichkeit und laBt dam it auch bei nicht geplanten oder unvorhergesehenen Tauschgelegenheiten oder unvorhergesehenen Tauschwiin­schen die tatsachliche problem lose Ausfuhrung der Tauschvorgange zu. Geld erOffnet insoweit einen Freiheitsgrad fUr Tauschmoglichkeiten tiber die Zeit hin, den kein anderes Gut gibt. Diese Freiheit, ungeplante Transaktionen ausfiih­ren, bzw. unerwartete, gUnstige Tauschmoglichkeiten wahmehmen zu konnen,

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stiften aus der Sicht der Wirtschaftssubjekte einen Nutzen, der zumindest so groB oder groBer sein muB als der mogliche Ertrag, einer zu Geld altemativen, bei­spielsweise zinsbringenden, Anlage.

Eine Voraussetzung flir diese Uberlegung besteht darin, daB die GeldzuflUsse zu einem Wirtschaftssubjekt, z.B. in Form von Einkommenszahlungen, nicht konti­nuierlich erfolgen und in jedem Fall nicht jederzeit in der Hohe vorkommen wie bei den Wirtschaftssubjekten TauschwUnsche entstehen oder sich gUnstige Tausch­gelegenheiten erofihen, die mit entsprechenden Geldabflussen verbunden sind. Die Zufliisse und Abfliisse an Geldmitteln fallen zeitlich und der Hohe nach ausein­ander oder die Zahlungsvorgange sind nicht himeichend synchronisiert. FUr die UberbrUckung der Zahlungstermine ist die Geldhaltung ein geeignetes Mittel. Das Halten von Geld und damit auch die Nachfrage nach Geld erfolgt wegen der unvollstandigen Synchronisation der Zahlungsvorgange. WUrden mit anderen Worten die Zu- und AbflUsse von Geld bei den Wirtschaftssubjekten zeitlich und der Hohe nach zusammenfallen, gabe es mithin eine vollstandige Synchronisation der Zahlungsvorgange, so ware keine Geldhaltung notwendig, da es dann den auf­gezeigten Nutzen nicht besaBe. Das Auseinanderfallen der Zahlungsvorgange selbst beruht auf institutionellen Regeln (z.B. feste Gehaltszahlungstermine oder Steuertermine), ergibt sich daneben aber auch durch die bei allen Wirtschaftssub­jekten immer bestehenden Unsicherheiten und Zufalligkeiten von Tauschvorgan­gen, die nur mit Hilfe der Geldhaltung aufgefangen werden konnen.

10.3.2 Transaktionskassenhaltung

Woran orientiert sich nun die Geldhaltung der Hohe nach? Die Geldhaltung oder Nachfrage nach Geld wird abhangig sein von den WUnschen und Moglichkeiten der Wirtschaftssubjekte, Tauschhandlungen oder Transaktionen Uber die Zeit hin mit Geld durchzuflihren. Das AusmaB der Tauschhandlungen ist seinerseits davon abhangig, welche okonomischen Moglichkeiten oder Ressourcen die Wirtschafts­subjekte zur Verfiigung haben oder erwarten. Die Nachfrage nach Geld wird sich daher am Einkommen als der flir die meisten Wirtschaftssubjekte entscheidenden GroBe ausrichten, die ihre okonomischen Verfiigungs- oder Tauschmoglichkeiten beschrankt.

Mit LT sei der Teil der Geldnachfrage bezeichnet, der aus dem Transaktions­motiv resultiert. LT erfaBt damit die Liquiditatsnachfrage aus dem Wunsch, Tauschvorgange abwickeln zu konnen. Benutzt man wiederum das Symbol Y fUr das gesamtwirtschaftliche Einkommen, so kann die Geldnachfrage LT als eine Funktion des Einkommens Y gesehen werden, unter der Voraussetzung, daB andere okonomische EinflUsse konstant gehalten werden:

LT = LT(Y) .

Die GroBen LT und Y sind hier wiederum als reale GroBen zu verstehen. Die Ab­hangigkeit der Geldnachfrage yom Einkommen wird als positiv zu unterstellen

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sein, so daB mit steigendem gesamtwirtschaftlichen Einkommen auch die nach­gefragte Menge an Geld zunimmt und damit die Transaktionskassenhaltung steigt. Abb. 60 zeigt den Verlauf der einkommensabhangigen Geldnachfrage auf, wenn andere okonomische Einfliisse als konstant angenommen werden.

Der positive Zusammenhang zwischen Geldnachfrage und Einkommen wird in seinem AusmaB, d.h. in der Steigung der LrFunktion in Abb. 60, von den Zah­lungsrhythmen und den Zahlungsgewohnheiten bestimmt. Solche Gewohnheiten sind bei kurzfristiger Betrachtung weitestgehend gegeben und konnen als kon­stant unterstellt werden. Die gegebenen Zahlungsgewohnheiten fuhren demnach zu einem im Verhaltnis zum Einkommen proportionalen Geldbedarf.

y

Lr

Lr

Abb. 60: Einkommensabhangige Geldnachfrage

In Hingerfristiger Betrachtung sind allerdings allmahliche Veranderungen der Zahlungsgewohnheiten zu beobachten, die den Zusammenhang zwischen Einkommen und Volumen an Geldnachfrage modifizieren. Hierbei liegen beispielsweise zwei gegenHiufige Tendenzen vor. Zum einen fiihrt die intensivere Nutzung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs dazu, daB bei steigendem Einkommen weniger Geld in Form von Bargeld benotigt wird (Bargeld ist ein nicht unwesentIi­cher BestandteiI von Lr; siehe Tab. 5 oben). Zum anderen kann auch festgestellt werden, daB fur den Bereich der expandierenden Schattenwirtschaft, in der die Transaktionen anonym und daher mit Bargeld abgewickelt werden, eine verstarkte Bargeldnachfrage ausgeiibt wird.

Das Motiv der Geldhaltung, urn Transaktionen damit abzuwickeln, steht in den wirtschaftstheoretischen Uberlegungen der Klassik an erster bzw. ausschlieB­licher Stelle. In der kiirzerfristigen Analyse von Keynes wird das Transaktions­motiv ebenfalls hervorgehoben. Keynes erweitert aber das Transaktionsmotiv urn das Vorsichtsmotiv, was seinerseits zwei Aspekte umfaBt. Zum einen wird es eine Geldnachfrage geben, urn unvorhergesehene Transaktionen abwickeln zu kon­nen. Diese Erganzung wirkt sich okonomisch wie eine VergroBerung des Volu­mens der Geldnachfrage aus dem Transaktionsmotiv aus, da unvorhergesehene

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Ausgaben in ihrer GroBenordnung mit den geplanten Transaktionen in einem Zu­sammenhang stehen dlirften. Zum anderen umfaBt das Vorsichtsmotiv bei Keynes die Geldhaltung aus der Oberiegung, daB Geld eine Sicherheit fiber seinen Bar­wert bietet. 1m Unterschied zu festverzinslichen Wertpapieren, deren Kurse auch fallen konnen, behalt Bargeld seinen Nennwert oder Barwert, so daB eine Kassen­haltung aus dem Vorsichtsmotiv naheliegt, wenn Unsicherheiten fiber Kursent­wicklungen oder Wertentwicklungen alternativer Anlageformen zu Geld bestehen. Mit diesem zweiten Tei!aspekt des Vorsichtsmotivs wird allerdings die Kassen­haltung aus dem Transaktionsmotiv veriassen, da insoweit Geld als Wertaufbewah­rungsmittel gesehen wird.

10.3.3 Zinsabhangige Geldnachfrage

Geld als Wertaufbewahrungsmittel ist aus Sicht der Halter von Geld ein Aktivum oder ein Vermogensbestandteil. Als VermogensgroBe ohne direkten monetaren Ertrag steht Geld immer in einem Substitutionsverhaltnis zu anderen ertragbrin­genden Vermogensanlageformen, wie z.B. Wertpapieren, die einen Ertrag in Form von Zinsen abwerfen und zum Teil nur ein geringes Kursrisiko aufweisen. Ein Wirtschaftssubjekt, das Geld fUr seine Transaktionen und wegen der Unsicherheit fiber Zeitpunkt und Hohe der Transaktionen nachfragt, wird seine Geldhaltung nicht nur am erwarteten Transaktionsvolumen ausrichten, sondern auch in Betracht ziehen, daB es Alternativen zum ertragslosen Geld gibt, die sich im Zweifel fiber aile Geldsubstitute und damit aile zinsbringenden Aktiva oder nutzenstiftenden Vermogensbestandtei!e erstrecken konnen. Von groBter Bedeutung werden viel­fach die geldnahen, zinsbringenden Anlageformen sein. Weisen die geldnahen Anlageformen einen hohen Zins auf, wird das Halten von Geld oder die Liquidi­tatspraferenz yom Volumen her geringer sein, wei! die Alternative besonders er­tragbringend ist und somit mehr Nutzen stiftet als die jederzeit vorhandene Tauschbereitschaft. Sind die Zinsen der geldnahen Anlageformen dagegen gering, so ist der Nutzen der verzinslichen Anlage vergleichsweise klein im Verhaltnis zum Nutzen der Tauschbereitschaft. Entsprechend wird bei einem hOheren Zins weniger Geld gehalten werden und bei einem geringeren Zins wird die nachge­fragte Menge nach Geld groBer sein.

Dieser oben zunachst vernachlassigte okonomische EinfluB auf die Geldnach­frage kommt durch eine zinsabhangige Komponente der Geldnachfrage zum Aus­druck, die mit Ls bezeichnet sein soil:

Ls = LsCi)

Diese zinsabhangige Geldnachfrage ist in Abb. 61 grafisch veranschaulicht. Die zinsabhangige Geldnachfrage wurde von Keynes als wesentlicher Be­

standteil der Geldnachfrage hervorgehoben und von ibm mit der Bezeichnung Spe­kulationskasse belegt. Diese Bezeichnung wurde von ihm vorrangig deshalb ge­wahlt, weil diese Geldnachfragekomponente nicht nur auf alternative Ertrage bei

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Geldsubstituten reagiert, sondern tiber ihre Erwartungsabhangigkeit spekulative Momente umfaBt. Die Erwartungen beziehen sich hierbei auf Zinsanderungen, die von den Wirtschaftssubjekten bei vornehmlich extremen Zinsniveaus (sehr hohen oder sehr geringen) erwartet und fUr eigene spekulative Uberlegungen genutzt werden.

Ls Abb. 61: Zinsabhiingige Geldnachfrage

So erwarten einerseits bei einem vergleichsweise hohen Zins viele Wirt­schaftssubjekte keine weitere Zinssteigerung mehr, sondern aIlenfaIls konstante, eher aber fallende Zinsen. FUr die von Keynes als einzige Alternative zur Geldhal­tung unterstellte Anlage in festverzinslichen Wertpapieren gilt aber bei hohen Marktzinsen, daB ihr Kurswert (oder ihr aktueller Marktwert) gering ist. Zugleich wird der Kurswert der Wertpapiere bei fallenden Zinsen ansteigen. Erwirbt ein Vermogensbesitzer bei hohen Zinsen Wertpapiere, so hat er vielfach mit drei Vor­teilen dieser Art der Vermogensanlage im Verhiiltnis zu dem ertragslosen Geld zu rechnen: (1) die Anlage in Wertpapieren fUhrt zu einem hohen laufenden Zinser­trag, der an den fixen Nennwert der Wertpapiere gekoppelt ist; (2) falls die wahr­scheinliche Entwicklung eintritt und die Erwartung auf fallende Zinsen sich emIlt, ergibt sich bei den Wertpapieren eine Steigerung im Kurswert oder Marktwert und dam it ein Kursgewinn; (3) schlieBlich ist bei vergleichsweise hohen Zinsen die Wahrscheinlichkeit gering, daB die Wertpapieranlage ein nennenswertes Risiko besitzt, d.h. ein Kursrisiko aufweist, weil ein weiteres Steigen des Zinses und damit ein Kursverlust nach den auf Erfahrungen begriindeten Erwartungen nicht oder in keinem bedeutsamem Umfang mehr auftreten kann. Vermogensbesitzer werden daher insgesamt den Teil ihrer Geldnachfrage, der zinsreagibel ist, bei hohen Zinsen so gering wie moglich halten und eine Vermogensanlage in Wertpapie­ren vorziehen.

Rei einem vergleichsweise geringen Zins erwarten andererseits viele Wirt­schaftssubjekte keine weitere Zinssenkung mehr, sondern rechnen mit konstanten, eher aber wieder steigenden Zinsen. Festverzinsliche Wertpapiere haben bei gerin-

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gen Zinsen einen hohen Kurswert. Wiirde ein Vennogensbesitzer bei den ver­gleichsweise geringen Zinsen Wertpapiere kaufen, so hatte er nur einen geringen, laufenden Zinsertrag und im iibrigen das Risiko, daB mit steigenden Zinsen der Kurswert der Wertpapiere fallt, so daB bei einem Verkauf der Wertpapiere vor deren Fiilligkeit ein Wertverlust eintreten wiirde. Bei dem geringen Zins spricht mithin vieles dafiir, keine festverzinslichen Wertpapiere als Vermogensanla­geform zu wahlen, sondern Geld zu halten und dieses erst dann anzulegen, wenn die Zinsen wieder gestiegen sind. Bei einem geringen Zinsniveau wird daher das Volumen der zinsabhangigen Geldnachfrage groB sein.

In der keynesianischen Literatur findet man in diesem Zusammenhang zu­meist liingere Ausfiihrungen zu einem Phanomen, das noch niemand beob­achtet hat und das auch der angebliche Vater des Konzepts, 1.M. Keynes, in seiner konkreten wirtschaftlichen Umwelt nicht beobachten konnte. Es ist die Rede von der sogenannten Liquiditatsfalle, die bei einem geringen Zins grafisch zu einem horizontalen Verlauf der Ls-Funktion in Abb. 61 fUhren wiirde. Gedanklich konnte man die Liquiditiitsfalle damit begriinden, daB bei einem geringen Zinsniveau Wertpapieranlagen vollig unrentabel bzw. zu risikoreich wiirden, so daB die Wirt­schaftssubjekte nur noch Geld als Vennogensanlage hielten. Diese gedankliche Konstruktion ist unter anderem deshalb nicht beobachtbar, weil es zu Geld auBer den von Keynes als einzige Alternative unterstellten festverzinslichen Wert­papieren weitere ertragbringende Substitute gibt, auf die selbst bei geringen Zinsen immer noch ausgewichen werden wird. 1m iibrigen widerspricht es ganz generell dem beobachtbaren menschlichen Verhalten, das sich immer in Abwiigungsprozes­sen und Substitutionsprozessen niederschliigt, daB Nachfragebeziehungen zu einem unendlich starren oder unendlich elastischen Verhalten fiihren. Die von der keyne­sianischen Literatur unterstellte Liquiditiitsfalle ist gleichbedeutend mit einer un­endlichen Elastizitat der Geldnachfrage. Dies mag als gedankliche Hilfe fUr eine Extremposition dienlich sein, sollte jedoch von vornherein nicht Erwiigung gezo­gen werden, wenn es urn beobachtbare wirtschaftliche Gegebenheiten oder urn wirtschaftspolitische Empfehlungen geht. Gleichwohl sind in der keynesianischen Literatur viele wirtschaftspolitische SchluBfolgerungen anzutreffen, die aus­schlieBlich auf der Annahme einer Liquiditatsfalle beruhen. Ihnen ist von vorn­herein jeglicher Bezug zu beobachtbaren wirtschaftlichen Gegebenheiten abzusprechen.

10.3.4 Die gesamtwirtschaftliche Geldnachfrage

Die gesamtwirtschaftliche Nachfrage nach Geld ist nach aHem positiv einkom­mensabhiingig und negativ mit dem Zinsniveau verbunden. Diese beiden ge­wichtigsten Einfliisse sind hier unabhiingig voneinander beleuchtet und erortert worden, wobei zum Teil der Vorgehensweise von Keynes gefolgt wurde, der die Geldnachfrage drei separaten Teilmotiven zuordnet: dem Transaktionsmotiv, dem Vorsichtsmotiv und dem Spekulationsmotiv. Eine soleh strikte Trennung der Mo­tive fUr die Geldnachfrage ist zwar hilfreich, urn unterschiedliche wirtschaftliche

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Einfltisse zu erfassen, darf jedoch nicht davon ablenken, daB die Einfltisse auf die Geldnachfrage tatsachlich gleichzeitig wirken und insoweit eine jeweils gegensei­tige Abhangigkeit der Geldnachfragemotive vorliegt.

Die gesamtwirtschaftliche Geldnachfrage L solI nun in Abb. 62 zusam­mengefaBt werden, wobei sie vereinfachend als Summe der beiden Nachfrage­komponenten LT und Ls dargestellt wird, d.h.:

L = LT + Ls ,bzw.

L = L(Y, i) .

Die gesamtwirtschaftliche Geldnachfrage weist nach unseren Uberlegungen eine durchgangig negative Zinsabhangigkeit auf und verschiebt sich mit steigenden Einkommenswerten in der Abbildung nach rechts, womit die mit steigendem Einkommen hoheren Nachfragemengen zur Abwicklung der laufenden Transaktio­nen oder Umsatze zum Ausdruck kommen. Mit den beiden Nachfragefunktionen Lo und LJ sind die gesamtwirtschaftlichen Geldnachfragen beim geringeren Ein­kommensniveau Yo und beim hoheren Einkommensniveau Y J veranschaulicht.

L

Abb. 62: Gesamtwirtschaftliche Geldnachfragefunktion

AbschlieBend sei noch der Hinweis gegeben, daB tiber die seit vielen Jahren festzustellenden Neuerungen bei den Anlageformen fUr geldnahe Forderungen und durch die weitgehende Offenheit der internationalen Kapitalmarkte die Substitutionsprozesse zwischen Geld und geldnahen Aktiva generell zugenommen haben. Dies beeinfluOt vomehmlich die Neigung oder die Elastizitat der gesamt­wirtschaftIichen Geldnachfrage und hat tiber dies en Weg auch Einfluf3 auf die Wirksamkeit geldpolitischer Maf3nahmen, ohne diese jedoch prinzipiell in Frage zu stellen.

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10.4 Das Angebot an Geld

10.4.1 Entstehung von Zentralbankgeld

In unserem Geldsystem gibt es nicht nur eine Geldart und einen Geldanbieter. Die unterschiedlichen Erscheinungsformen des Geldes werden vielmehr von unterschiedlichen Geldanbietern fUr ihre Angebotsprozesse genutzt. Mit der von der Rechtsordnung bewirkten Hervorhebung und der Sonderstellung der Zen­tralbank als Anbieterin des gesetzlichen Zahlungsmittels, des Basisgeldes, kommt es aber zu Abhiingigkeiten aller Geldangebotsprozesse von der Geldbasis und somit allgemein der Angebotsprozesse untereinander. Es ist deshalb von besonde­rer Bedeutung, wie Zentralbankgeld in Umlauf kommt, bzw. wie es angeboten wird und nach welchen Kriterien und wirtschaftlichen Abhangigkeiten sich Um­fang und Veranderung der angebotenen Zentralbankgeldmenge ergeben.

Die Entstehung von Zentralbankgeld oder die Ausgabe von Zentralbank­geld durch die dafiir zustandige Institution, fiiiher die Deutsche Bundesbank und heute der Europaische Zentralbank, kann prinzipiell auf dreierlei Weisen erfol­gen. Aile drei Vorgehensweisen waren und sind beobachtbar: (1) Die einfachste Moglichkeit der Geldausgabe besteht darin, das Zentral­

bankgeld den Wirtschaftssubjekten als Geschenk zur Verfiigung zu stell en, ihnen mithin bestimmte Mengen an Nominalwert von Papiergeld zu iibergeben. Diese Ausgabeart kann durch Verwendung spezieller Kriterien gleichmaBig oder nachprufbar gestaltet werden. So wurde beispielsweise im Jahr 1948 die Deutsche Mark unter anderem dadurch eingefiihrt, daB jeder Bewohner der damaJigen drei Westzonen ein Kopfgeld von zunachst 40,-- DM (am 20. Juni 1948) und von weiteren 20,-- DM (im August/September 1948) ausgehandigt bekam. 1m iibrigen erhielten Offentliche Kassen, Bahn und Post sowie aile Ar­beitgeber ebenfalls eine Erstausstattung als DM-Guthaben bei ihren Banken, so z.B. die Arbeitgeber 60,-- DM je Beschaftigten. Selbst wenn fUr das Kopfgeld in DM im gleichen Nominalwert Reichsmark abzuliefem waren, handelte es sich okonomisch nicht urn einen Tausch, sondem urn ein einseitiges Geschenk' da die Reichsmark mit der Wahrungsurnstellung auf DM weitgehend wertlos geworden war.

Eine okonomisch entsprechend zu bewertende Geldausgabe erfolgte im Zu­sammenhang mit der deutschen Wahrungsunion zum 1. Juli 1990 und der Einfiihrung der DM im Gebiet der damaligen DDR. Den Wirtschaftssubjekten in der DDR wurden die auf Mark der DDR lautenden Guthaben auf Konten bei Geldinstituten in Deutsche Mark umgetauscht (Barbestande waren zuvor einzu­zahlen). Der allgemeine Umstellungssatz betrug 1 DM fUr 2 Mark der DDR. Natiirlichen Personen wurde ein bevorzugter Umstellungssatz von 1 : 1 bis zu bestimmten Hochstgrenzen eingeraurnt. Dieser Umtausch ist wiederum als Aus­gabe von Zentralbankgeld auf dem Wege als Geschenk zu werten, da die Kontenbestande in Mark der DDR lediglich den MaBstab fUr die zuzuteilenden

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DM-Betrage abgaben und ansonsten mit der Wahrungsunion wertlos geworden waren.

Bei der Ausgabe von Zentralbankgeld als Geschenk ergibt sich allerdings kein festgelegtes Verfahren, wie im Rahmen der Zentralbankbilanz die Gegen­buchung zu gestalten ist. Eine Ausgabe von Zentralbankgeld stellt in der Zen­tralbankbilanz einen Passivposten, d.h. eine Verbindlichkeit dar. In gleicher Hohe miissen buchungstechnisch Aktivposten, Vermogensbestande oder Forde­rungen entstehen. In der Zentralbankbilanz muB der GeldschOpfungsvorgang in jedem Fall doppelt gebucht werden:

Zentralbankbilanz Aktiva

Zunahme der Aktiva = Wert des als Geschenk ausgege­

benen Zentralbankgeldes

Passiva Zunahme der Pass iva

aus der Ausgabe von Zentral­bankgeld

1m Zusammenhang mit der Wahrungsreform 1948 wurden dabei sogenannte Ausgleichsforderungen gebildet, die zum Teil als Aktivposten in der Bundes­bankbilanz in Erscheinung treten. Die mit der Wahrungsunion 1990 rechentech­nisch entstandenen Ausgleichsforderungen sind in der Bundesbankbilanz nicht direkt erkennbar. Schuldner der Umstellungsdifferenz aus dem Umtauschvor­gang von Mark der DDR in DM ist vielmehr der Kreditabwicklungsfond geworden, dessen Schuldtitel die Banken in Form marktmaJ3ig verzinster Wert­papiere iibemommen haben.

Obwohl die Ausgabe von Geld in Form eines Geschenkes eine relativ ein­fache Moglichkeit darstellt, die Volkswirtschaft mit Basisgeld oder Zen­tralbankgeld zu versorgen, wird diese Methode nicht allzu haufig angewandt, weil sie wohl mit nachfolgenden kritischen Einwanden zu rechnen hat, die eine dauerhafte Geldversorgung einer Volkswirtschaft auf diesem Weg er­schweren. Die Ausgabe von Zentralbankgeld als Geschenk macht jedermann offenkundig, daD ein heutiges Papiergeldsystem keine irgendwie geartete Deckung benotigt und daB damit die Werthaltigkeit des Geldes nicht aus dem System selbst folgt. Die jederzeit bestehende beliebige Gestaltungsfreiheit in einem Papiergeldsystem kann und mu/3 nicht immer nur am Ziel der Aufrecht­erhaltung der Wertaufbewahrungsfunktion des Geldes orientiert sein. Ein Pa­piergeldsystem laBt sich prinzipiell fUr jedes andere politische oder wirtschafts­politische Ziel einsetzen, auch wenn es unter Umstanden hierzu nur kurzfristig dienen kann. Ein Geldsystem, das auf dem Weg der Ausgabe als Geschenk zu­stande kommt, wird es von vornherein besonders schwer haben, das Ver­trauen zu erwerben, das fUr ein allgemein anerkanntes Tauschmittel erforder­lich ist, welches zugleich auch als Wertaufbewahrungsmittel dienen solI. Dies liegt nicht nur daran, daB den buchungstechnischen Gegenpositionen die Werthaltigkeit fehlt, sondem auch daran, daB diese Entstehungsart des Geldes nicht dem entspricht, was sich viele Wirtschaftssubjekte unter seriosem Bank-

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geschiift vorstellen. Es fehlen mithin die banktechnischen Voraussetzungen dafiir, daB dieser Weg das Vertrauen in eine Wahrung sicherstellt. Daher be­schrankt sich die Ausgabe von Geld als Geschenk auf Ausnahmesituationen.

(2) Eine zweite Moglichkeit der Schaffung und Ausgabe von Zentralbankgeld besteht darin, daB die Zentralbank Guter ankauft und diese mit ihrem selbstgeschaffenen Papiergeld bezahlt. Dies setzt allerdings ein bereits vor­handenes Vertrauen in die Geldeigenschaften des von der Zentralbank als Tauschmittel benutzten Geldes voraus. Yom Grundsatz her gibt es dabei keine Einschrankung auf spezifische Gilter, die die Zentralbank gegen ihr eigenes Geld erwirbt. Es hat sich aber vielfach als ublich erwiesen, daB Zentralbanken in erster Linie Aktiva, d.h. Vermogensbestandteile in Form von Gold, Devisen oder entsprechende Rechte (z.B. Sonderziehungsrechte) gegen nationales Zentralbankgeld ankaufen.

Soweit sich die jeweiligen Tauschpartner zu dem Verkauf von Gold und Devisen gegen das Papiergeld der Zentralbank bereit finden, sind damit we­sentliche offene Fragen der Geldmengenschopfung und deren banktechnische Abwicklung geklart. Die Bereitschaft zum Verkauf von Gold oder Devisen gegen das Papiergeld einer Zentralbank wird in aller Regel eine Begren­zung aufweisen, wei! Gold und Devisen sieh in anderen, auch intemationalen Tauschhandlungen als werthaItig erweisen. Die Tauschpartner der Zentralbank werden daher nur solches Zentralbankgeld und nur in solchen Mengen akzep­tieren, soweit sie sich dadurch wirtschaftlich nieht schlechter stellen. Eine Zen­tralbank, die Gold und Devisen gegen von ihr geschaffenes Papiergeld erwirbt, muB daher Sorge dafiir tragen, daB das von ihr ausgegebene Zentralbankgeld ebenso werthaltig ist wie die angekauften Aktiva. Daraus ergibt sich zwar keine absolute wohl aber eine relative Begrenzung fUr die Schaffung von Zentral­bankgeld durch eine Zentralbank.

1m ilbrigen fallt beim Erwerb von Giltem und der damit verbundenen Aus­gabe von Zentralbankgeld gewissermaBen automatisch und leicht nachvollzieh­bar die bank- und buchungstechnische Abwicklung in der Zentralbankbi!anz an. Die Zentralbank erwirbt Aktiva und gibt im Gegenzug Passiva in Form von Zentralbankgeld aus. Die Zentralbankbilanz verlangert sich entsprechend:

Zentralbankbilanz Aktiva Passiva

Zunahme der Aktiva aus dem Er- Zunahme der Passiva aus der werb von Gold und Devisen Ausgabe von Zentralbankgeld

Der Vorgang der Ausgabe oder Schaffung von Zentralbankgeld durch den Erwerb von Aktiva kann selbstverstandlich auch leicht umgekehrt werden. Durch den Verkauf von Gold oder Devisen seitens der Zentralbank gegen eigene Wiihrung flieBt an sie Zentralbankgeld zurUck. Es ist dem volkswirt­schaftlichen ProzeB entzogen, weshalb man auch von Zentralbankgeldver­nichtung spricht.

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Ein dem Tausch vergleichbarer Modus fiir die Entstehung von Zentralbank­geld ist auch bei der EinfUhrung des Euro im VerhaItnis zu den fiiiheren nationalen Wahrungen des Euro-Raums angewandt worden. Aus Sieht der Wirtschaftssubjekte ist es allerdings ein reiner Umtausch, und auch die natio­nalen Zentralbanken haben den UmtauschprozeB nieht rur eine Schaffung von zusatzlichem Zentralbankgeld vorgesehen.

(3) Die dritte Moglichkeit der Zentralbankgeldschaffung liegt in der Vergabe von Krediten durch die Zentralbank. Hierbei raumt die Zentralbank einem Kreditnehmer einen Kredit ein und stellt die Kreditsumme in Form ihres eige­nen Zentralbankgeldes zur Verrugung. Die Zentralbanken gewahren die Kredite meist nicht dem allgemeinen Publikum. Sie beschranken sich vielmehr auf die Geschaftsbanken als Kreditnehmer.

Gewabrt die Zentralbank einen Kredit, so schlagt sich dies in ihrer Bilanz als Bilanzverlangerung nieder:

Zentralbankbilanz Aktiva Passiva

Zunahme an F orderungen Zunahme an Zentralbankgeld

Die Europaische Zentralbank benutzt wie friiher die Bundesbank und auch an­dere Zentralbanken fUr die Kreditvergabe an Geschaftsbanken spezifische banktechnische Vorgehensweisen und Instrumente, die im Abschnitt 10.6 noch naher erlautert werden. Ein Zentralbankkredit an Geschaftsbanken ist beispielsweise kein Blankokredit, und er wird zudem nur auf relativ be­grenzte Zeit eingeraumt. Die mit der Kreditvergabe geschaffene Zentralbank­geldmenge steht somit dem Kreditnehmer nur fiir die begrenzte Kreditlaufzeit zur Verrugung. Bei Falligkeit des Kredits kommt es automatisch zu einer Zen­tralbankgeldvemichtung und einer Bilanzverkiirzung der Zentralbank. Der Geldschopfungsproze6 mittels Krediten der Zentralbank ist insoweit im­mer an einen Geldvernichtungsproze8 gekoppelt. Damit hat die Zentralbank eine flexible Moglichkeit, auf das Volumen der umlaufenden Zentralbankgeld­menge einzuwirken.

10.4.2 Die Geldschopfung der Geschaftsbanken

Der Geldangebotsproze6 in einer Volkswirtschaft wird nun aber nicht aus­schlie61ich von der Zentralbank beeinflu6t. Die Zentralbank bestimmt zwar weitestgehend das Volumen der von ihr ausgegebenen Zentralbankgeldmenge. Die Geschiiftsbanken und die Nichtbanken (private und offentliche Haushalte, Un­temehmen und das Ausland) wirken aber mit ihren Zahlungsgewohnheiten und ih­rem zins- und erwartungsabhangigen Anlageverhalten zusatzlich auf den Geld­angebotsproze8 ein. Aus einer jeweiligen Zentralbankgeldmenge entsteht somit nicht mechanisch bzw. automatisch die gleiche volkswirtschaftliehe Geldmenge, die beispielsweise mit den GroBen M 1 bis M3 erfafibar ist. Geschaftsbanken und

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Nichtbanken werden vielmehr zwischen Geld und den Geldsubstituten jeweils die Kombination wahlen, die ihnen in Abhangigkeit von Ertragen und Tauschmittelbe­darf am gUnstigsten erscheint. Gleichwohl existiert ein enger, nicht vollig beliebi­ger Zusammenhang zwischen der in einer Volkswirtschaft vorhandenen Zentral­bankgeldmenge und den weiteren Geldmengengro6en.

Der Zusammenhang zwischen der Zentralbankgeldmenge und den volkswirt­schaftlichen GeldmengengroBen MI bis M3 ist durch wenige, ausgewahlte wirt­schaftliche Einflusse erfaBbar. Er stellt sich durch eine multiplikative Beziehung dar und wird durch den GeldschOpfungsmultiplikator bzw. erweiterte Geldmulti­plikatoren beschrieben. Der Geldschopfungsmultiplikator ist der numerische Wert, urn den das Bankensystem eine jeweilige Zentralbankgeldmenge urn Gescbafts­bankengeld vergroBem kann. Das von den Geschaftsbanken geschaffene Buchgeld ist mit anderen Worten ein multiplikatives Vielfaches des Zentralbankgeldes oder Basisgeldes.

Wenn eine Gescbaftsbank A beispielsweise durch eine Bareinzahlung eines Kunden 1.000 Euro in Banknoten oder Zentralbankgeld erhalten hat, so wird sie nach ihrer Erfahrung des Kundenverhaltens davon ausgehen konnen, daB eine Einzahlung nur dann erfolgt, wenn der Kunde den Betrag nicht umgehend und vollstandig wieder abhebt, sondem rur einige Zeit bei der Bank belaBt. Er wird allerdings nach einiger Zeit uber Teile des eingezahlten Betrages verrugen, z.B. durch Schecks oder Uberweisungen oder durch Barabhebungen. Dem muB die Bank Rechnung tragen, dadurch daB sie von dem eingezahlten Betrag eine Re­serve bildet, mit der die Verrugungen des Kunden abgewickelt werden konnen. Die Reserve wird aber nicht in vollstandiger Rohe des eingezahlten Betrages erforderlich sein, sondern lediglich einen Bruchteil davon ausmachen, wei I die Bank uber die Zeit hin auch mit weiteren Einzahlungen anderer Kunden rechnen kann.

Den als Reserve zu haltenden Bruchteil der ersten Einzahlung wird die Bank nach ihrer Erfahrung des Kundenverhaltens einschatzen konnen. Wir unterstellen der Einfachheit halber einen Reservesatz von 25 %, den die Bank fur die Verfu­gungen zurUckbehalt. In diesem Zusammenhang ist der Hinweis angebracht, daB die MFIs verpflichtet sind, bei der Europaischen Zentralbank eine Mindestreserve auf ihre liquiden Einlagen zu unterhalten. Die bankubliche Reservehaltung zur Aufrechterhaltung der Liquiditat der Bank und die geldpolitische Verpflichtung uberschneiden sich ins owe it.

Die Ausgangssituation laBt sich anhand der Bilanz der Geschaftsbank A dar­stellen:

Aktiva Zentralbankgeld (UberschuBreserve) Reserve (u.a.

Mindestreserve)

Geschaftsbank A Passiva

750 Verbindlichkeiten 1000

250

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Der Teil des eingezahlten Betrages an Zentralbankgeld, den die Bank A nieht fUr ihre Reservehaltung benOtigt, hier 75% von 1.000 Euro oder 750 Euro, wird als UberschuOreserve bezeichnet. Er steht ihr fiir eine verzinsliehe Anlage zur Verru­gung. Die Bank A wird mithin in Hohe von 750 Euro einen Kredit vergeben. In Hohe des Kreditbetrages wird Geschiftsbankengeld neu geschaffen. Wenn der Kreditbetrag dem Kreditnehmer sofort ins SolI gestellt wird, d.h. im AusmaB des Kredits gleieh eine Verbindliehkeit ausgewiesen wird, sehliigt sieh der V organg in einer Bilanzverlingerung der Geschaftsbank A urn folgende Positionen nieder:

Geschiftsbank A Aktiva Passiva

Kredit = Forderungen 750 Verbindliehkeiten 750

Der Kreditnehmer bei der Bank A nimmt in aller Regel den Kredit nur auf, wenn er damit eine Forderung bezahlen moB. Es wird daher unterstellt, daB der Kreditnehmer bei der Bank A den Kreditbetrag von 750 Euro auf ein Konto bei der Bank B tiberweist oder einzahlt, weil sein Glaubiger dort eine Kontover­bindung unterhiilt. FUr die Bank B bedeutet dies in jedem Fall einen ZufluB an Zentralbankgeld und einen Zuwaehs an Kundeneinlagen oder, aus Sieht der Bank B, an Verbindliehkeiten. Die Bank B sieht sieh nun wiederum in der Situation, daB sie fUr die erhOhte Einlage eine Reserve unterhalten moB, die aueh bei ihr mit 25 % angenommen sei. Die Bank B wird daher 25 % von 750 Euro oder 187,50 Euro als Reserve (u.a. in Form der Mindestreserve) unterhalten. Der Rest der Einlage, hier 75 % von 750 Euro oder 562,50 Euro stehen ihr als OberschoBreserve emeut fUr die Vergabe eines Kredits zur VerfUgung.

Aus Sieht der Bank B ergibt sieh somit als Ausgangssituation folgende Bi­lanz:

Aktiva Zentralbankgeld

(ObersehoBreserve) Reserve (u.a.

Mindestreserve)

Gescbaftsbank B Passiva

562,50 Verbindlichkeiten 750

187,50

Auf dieser Grundlage kann die Geschaftsbank B einen Kredit vergeben. Sie sehOpft dabei die ObersehuBreserve vollstandig aus und schafft damit ihrerseits Geschaftsbankengeld. Dies sehlagt sieh in einer Bilanzverlangerung nieder:

Geschiftsbank B Aktiva Passiva

Kredit = Forderungen 562,50 Verbindliehkeiten 562,50

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Der Kredit der Bank B wird ebenfalls zur Begleichung einer Forderung auf­genommen, wobei unterstellt sein solI, daB der Kreditnehmer bei der Bank B den Kreditbetrag zur Bank C iiberweist, weil dort eine Kontoverbindung seines GUiu­bigers besteht. Hierdurch beginnt eine weitere Runde in dem ProzeB der Buch­geldscbiipfung durch das Geschiiftsbankensystem. Die Bank Chat durch die Uber­weisung des Betrages von 526,50 Euro auf einer ihrer Kundenkonten eine erMhte Einlage in Form von Zentralbankgeld. Sie wird wie die anderen Banken die hier unterstellten 25 % als Reserve halten, d.h. sie halt 25 % von 526,50 Euro oder 131,63 Euro als Reserve. Der Restbetrag von 394,87 Euro steht ihr als OberschuB­reserve zur Kreditvergabe und damit zur Schaffimg von Geschiiftsbankengeld zur VerfUgung. Der ProzeO der muItiplen Geldscbiipfung durch die Geschiiftsban­ken wird so lange fortgesetzt, bis die gesamte erstmals entstandene Uber­schuOreserve zu tatsiichlicher Reserve geworden ist.

Dies liiBt sich allgemein wie folgt fassen. Die Entstehung von Geschiiftsban­kengeld entspricht beim hier unterstellten allgemeinen Reservesatz r von 25 % oder

von r = ! einer Summe, die ausgehend von der erstmaligen Entstehung der Uber-4

schuBreserve OR durch eine Summe der GeschaftsbankengeldscMpfung, d.h. :E D, dargestellt werden kann:

Summe der GeschiiftsbankengeldscMpfung = Summe der zusiitzlichen durch die Geschaftsbanken vergebenen Kredite oder

:E D = OR + (1 - r)OR + (1 - r)(1 - r)OR + ... + (1 - r)nOR + ... + (1 - r)"'UR,

oder mit den konkreten Zahlenwerten:

1 1 1 1 ." :E D = 750 + (1 -- )750 + (1-- )(1 -- )750 + ... + (1--) 750

4 4 4 4

= 750 + 526,50 + 394,87 + .... + 0 .

Der Wert dieser unendlichen geometrischen Reihe ist:

1: D = :E (1 - r)n OR = 1 OR = 4· OR = 4· 750 = 3.000. 1-(1-r)

Die Schaffimg von Geschiiftsbankengeld entspricht bei dem hier angenommenen Reservesatz r von 25 % oder einem Viertel dem Vierfachen der zuniichst entstan­denen OberschuBreserve. Der GeldscMpfungsmultiplikator fUr das auf der Basis von Zentralbankgeld geschaffene Geschiiftsbankengeld betriigt mithin 4.

Das AusmaB, in dem die Geschiiftsbanken Buchgeld schaff en konnen und damit der Wert des GeldscbiipfungsmuItiplikators, ist von der Reservehaltung abhiingig, wobei die Reservehaltung sich zuniichst (als Prozentsatz r) auf die Einlagen bezieht, die den Banken zuflieBen. Die Hohe der ReservehaItung als

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Prozentsatz wird nun ihrerseits davon beeinflu8t, wie die Zahlungsgewohnhei­ten der Nichtbanken aussehen. Dabei spielt es eine Rolle, in welchem Umfang die Nichtbanken in barer Form tiber die Einlagen verfUgen, welche Zeitraume sie verstreichen lassen, ehe sie solche VerfUgung treffen, d.h. wie lange das einge­zahlte Geld den Banken zur "freien" VerfUgung steht, und schliel3lich welche Form der Einlage die Nichtbanken wahlen, wobei die Rohe der Zinsen und die allge­meinen wirtschaftlichen Erwartungen die Anlageform und die Neigung beeinflus­sen, zwischen unterschiedlichen Anlagearten zu substituieren. Damit ergibt sich insgesamt, daB das VerhaIten der Nichtbanken fiber ihre Gelddispositionen von den Geschaftsbanken zu beachten ist und einen wesentlichen Einflu8 auf die Rohe der Reservehaltung und die empirische GroBe von r austibt.

Die ReservehaItung hangt daneben davon ab, wie leicht es den Banken im Zweifel fallt, sich im gesamten System der Geschaftsbanken mit Zentralbank­geld, das sie nicht selbst schaffen konnen, zu versorgen, urn bei Geldabfltissen liquide zu bleiben. Auf dem Geldmarkt findet dieser Ausgleich zwischen den Geschaftsbanken start, d.h. dort werden die Liquiditatsengpasse und Liquiditats­spitzen zwischen den Geschaftsbanken tiber den Geldhandel im wesentlichen ausgeglichen. Der Geldmarkt ist nun aber keinesfalls gleichmaBig in der Lage, diesen Saldenausgleich herbeizufUhren, sondem er weist saisonale und konjunktu­relle Ausschlage auf, was sich unter anderem in der Rohe des Geldmarktzinses niederschlagt. Die Geschaftsbanken werden deshalb bei ihrer Reservehaltung auf die Geldmarktkonditionen achten, so daB sie in Abhangigkeit von den Zins- und Liquiditatsbedingungen auf dem Geldmarkt ihre ReservehaItung festsetzen oder anpassen mtissen.

Die Reservehaltung der Geschaftsbanken fUr ihre Einlagen Mnnte auch eine Abhangigkeit von der Rohe der bei der Europaischen Zentralbank zu unter­haltenden Mindestreserven haben. Der EinfluB der Mindestreserven war bei­spielsweise in friiheren Jahren im Rahmen der Geldpolitik der Bundesbank bis Ende der 70er Jahre von Bedeutung. Zwischenzeitlich sind die Mindestreserven aber eher von geringem Einflu8, da die Europaische Zentralbank die Reserve­satze auf ein geringes Niveau festgesetzt hat. 1m tibrigen beabsichtigt sie nicht, Anderungen des Mindestreservesatzes als wesentliches geldpolitisches Instrument einzusetzen.

Die zentralen Einfliisse auf die ReservehaItung gehen daher aus yom Ver­haIten der Nichtbanken und yom VerhaIten der Geschaftsbanken in Verbin­dung mit den Geldmarktbedingungen. Es bleibt allerdings noch der Hinweis, daB die Banken ihre Reservehaltung in aller Regel nicht in Form von Bargeldbestanden vomehmen, sondem ihrerseits die Reserve selbst wieder in verzinslicher, aber liquider oder disponibler Form unterhalten werden.

Das hier betrachtete Geldangebot wird mithin einerseits gepragt von der Zen­tralbank und deren geldpolitischen Vorstellungen. Den GeldangebotsprozeB fUr Zentralbankgeld steuert sie hierbei vomehmlich tiber die geldpolitischen Instru­mente, die im Abschnirt 10.6 erlautert werden. Andererseits wirken die Nichtban­ken und das Geschaftsbankensystem mit ihren Zahlungsgewohnheiten und ihrem

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Anlageverhalten auf die GeldscMpfungsmultiplikatoren ein, mit denen der Zusam­menhang zwischen volkswirtschaftlichen GeldmengengroBen und der Zentralbank­geldmenge zum Ausdruck kommt. Die Zentralbank entscheidet daher nicht vollig autonom tiber das Geldangebot. AIle anderen Marktteilnehmer sind durch ihr oko­nomisches Verhalten ebenfalls am GeldangebotsprozeB beteiligt, auch wenn sie dabei im Unterschied zur Zentralbank nur in geringerem MaBe durch bewuBte Einzelaktionen auf die Entwicklung der GeldgroBen EinfluB nehmen konnen.

10.5 Das Geldmarktgleichgewicht

10.5.1 Zusammentreffen von Geldnachfrage und Geldangebot auf dem Geldmarkt

Auf dem Geldmarkt treffen Nachfrage nach und Angebot an Geld zusammen. Da­bei ergibt sich im Fall eines exogen festliegenden Geldangebots das in Abb. 63 dargestellte Bild.

io

M

P L,M

Abb. 63: Geldmarktgleichgewicht bei exogenem Geldangebot

Die in Abb. 63 enthaltene Geldnachfragefunktion L(y, i) entspricht einer ge­samtwirtschaftlichen Geldnachfragefunktion, wie sie beispielsweise in Abb. 62 enthalten ist. Die Geldnachfrage driickt aus, welche unterschiedlichen realen Geld­mengen die Wirtschaftssubjekte bei altemativen realen Zinsen zu halten wUnschen. Die Verlaufsform der Geldnachfragefunktion ist durch die Liquiditatspraferenz ge­prligt, wonach bei einem hoheren realen Zins die reale Geldnachfrage u.a. wegen der Mheren Opportunitatskosten der Geldnachhaltung geringer ausfiiIlt und bei ei­nem niedrigen Zins dem Volumen nach ausgeweitet wird.

Die Geldangebotsfunktion ist in Abb. 63 als exogen unterstellt worden. Damit solI zum Ausdruck gebracht werden, daB die volkswirtschaftliche Geld-

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menge M, die immer eine nominale GroBe darstellt und daher zunachst durch eine Preisbereinigung zur realen Geldangebotsmenge zu transformieren ist, dadurch daB M durch das Preisniveau P dividiert wird, zunaehst unabhangig vom realen Zins­niveau sein konnte. Unter dieser Annahme verlauft die Geldangebotsfunktion beim

Realwert der nominalen Geldmenge M, d.h. bei M, vertikal nach oben. p

Der SChnittpunkt von Geldnachfrage und Geldangebot legt das reale Zinsni­veau io fest, bei dem der Geldmarkt im Gleiehgewieht ist.

Diese Betrachtung des Geldmarktgleiehgewichts in Abb. 63 beruht auf Uberaus groben Vereinfaehungen. Zumindest zwei dieser Vereinfaehungen sind bewuBt in Frage zu stellen. (I) Das Geldangebot in einer Volkswirtsehaft ergibt sieh, wie oben in 10.4 ausge­

fiihrt wurde, nicht nur dureh eine exogene Festlegung der nomine lien Geld­menge M beispielsweise seitens der Zentralbank. Das Geldangebot wird in sei­ner Dimension als Tauschmittel immer bestimmt durch das Verhalten der Wirt­sehaftssubjekte, das sich in ihren Zahlungsgewohnheiten und in ihrer Substitu­tionsbereitschaft zwischen den Geldarten und den Geldsubstituten nieder­schlagt. Die GroBe des Geldsehiipfungsmultiplikators und damit der Umfang des Buchgelds ist von dem Verhalten der Wirtsehaftssubjekte abhiingig und unterIiegt seinerseits vielfaltigsten EinflUssen, die insbesondere von Erwartun­gen Uber die Entwieklung der kUnftigen Wirtschaftstatigkeit im allgemeinen und der Zinssatze fur alternative Anlagen im besonderen abhangen. Dieses Verhalten kann im Zusammenwirken mit den Gesehaftsbanken dazu fuhren, daB bei steigenden Zinssatzen eine gegebene Zentralbankgeldmenge intensiver zur Buchgeldsehaffung benutzt wird. Die Geldangebotsfunktion in Abb. 63 wlirde dann nicht vertikal, sondern nach rechts ansteigend verIaufen.

(2) Die Annahme des exogenen Geldangebots in Abb. 63 ist daruber hinaus in­soweit unzutreffend als die reale Geldmenge in der Volkswirtschaft nieht einzig und allein dureh die Zentralbank und das Bankensystem bestimmt wird, sondern sich wiederum in Abhangigkeit yom wirtsehaftlichen Verhalten der Teilnehmer der Volkswirtschaft auf allen Markten, insbesondere denen fur GUter ergibt. Denn auf den GUtermarkten bilden sich die Preise heraus, die ih­rerseits erst Grundlage fur das Errechnen eines Preisniveaus P sind. Ein exoge­nes reales Geldangebot laBt sieh nur bei einem engen Rahmen an okonomi­schen Verhaltensweisen unterstellen, die man nieht genereII untersteIIen kann. Es dUrfte am ehesten fur eine Vergangenheitsperiode feststellbar sein und sich keinesfalls als in der kurzen Frist einfach zu realisierende Planungs- oder Ziel­groBe erweisen.

Diese grundsatzlichen Anmerkungen machen die Darstellung eines Geldmarkt­gleichgewichts nicht unmoglieh, sollten aber gleichwohl zeigen, daB es im ma­krookonomischen Zusammenhang immer schwer fallt, ein isoliertes Gleiehgewicht ohne dessen Einbindung in die Interdependenz anderer gesamtwirtschaftlieher Markte konsistent zu beschreiben.

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10.5.2 Die LM-Kurve

Das Geldmarktgleichgewicht hat sich in Abb. 63 in einem Schnittpunkt zwischen Geldnachfrage und Geldangebot veranschaulichen lassen. Es wurden dafUr nicht nur ein gegebenes Geldangebot in Form einer gegebenen nominellen Geldmenge M zusammen mit einem gegebenen Anlage- und Substitutionsverhalten zwischen den Geldarten untersteIlt, sondern auch mit der gegebenen Geldnachfrage L ein be­stimmtes Einkommensniveau Y angenommen, das zu der damit verbundenen rea­len Geldnachfrage fiihrt.

In Analogie zur IS-Kurve als der Giitermarktgleichgewichtsbeziehung bei al­ternativen Einkommens- und Zinsniveaus (siehe 8.3 oben) ist es in der Makrooko­nomik seit Hicks (1937) ublich, auch fUr den Geldmarkt ahnliche Zusammenhange abzuleiten. Als Ausgangspunkt hierfUr eignet sich die Abb. 64.

io

M p

Abb. 64: Alternative Geldmarktgleichgewichte

L,M

In Abb. 64 sind zwei Geldmarktgleichgewichte dargesteIlt, die sich bei einer

gegebenen real en Geldmenge M und alternativen Geldnachfragefunktionen erge-p

ben. Die beiden Geldnachfragefunktionen sollen sich nur dadurch unterscheiden, daB sie die Liquiditatsnachfrage bei einem geringeren Realeinkommensniveau Yo und bei einem hoheren Einkommensniveau Y I aufzeigen. Bei einem hoheren Ein­kommensniveau fallt die Geldnachfrage in ihrem Volumen groBer aus, weil fUr die Transaktionszwecke mehr liquide Mittel benotigt werden. So lange das reale Geld­angebot aber konstant bleibt, fUhrt dies dazu, daB der Geldmarkt bei steigendem Einkommen nur dann im Gleichgewicht ist, wenn zugleich der reale Zins i ansteigt. Dies wird in Abb. 64 dadurch deutlich, daB bei dem geringeren Einkommensniveau Yo das Zinsniveau io gilt und bei dem hoheren Einkommensniveau Y I der Geld­mark beim Zinsniveau i l im Gleichgewicht ist.

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Ubertragt man die derart abgeleiteten Resultate der alternativen Geldmarkt­gleichgewichte in ein Diagramm, das die unterschiedlichen Zins- und Realeinkom­mensniveaus verbindet, fur die Geldmarktgleichgewicht herrscht, so resultiert dar­aus die LM-Kurve, wie sie in Abb. 65 enthalten ist.

y

Abb. 65: LM-Kurve

Die LM-Kurve zeigt, daB bei einem gegebenen realen Geldangebot auf dem Geld­markt nur dann Gleichgewichte eintreten, wenn steigende reale Einkommensni­veaus mit steigenden realen Zinsniveaus einhergehen.

In der Literatur findet man im Zusammenhang mit der LM-Kurve eine FUlle von Uberlegungen, die sich damit beschiiftigen, wie die LM-Kurve durch die Geldpolitik, d.h. eine Zentralbank, in ihrer Lage beeinfluBt, bzw. verschoben werden kann, urn damit beispielsweise expansiv zu wirken und durch ein gerin­geres Zinsniveau zu einem hOheren Einkommenswert zu gelangen. Dies konnte u.a. dann erreicht werden, wenn sich die LM-Kurve in Abb. 65 nach rechts verschieben lieBe und zudem in einem gemeinsamen Gleichgewicht von Geld- und GUtermarkt eine unveranderte IS-Kurve (s. 8.3) unterstellt wird.

Diese Uberlegungen, die sich vielfach auf das Modell von Hicks (1937) be­ziehen, der ein gemeinsames Gleichgewicht von Geldmarkt und GUtermarkt in einer Volkswirtschaft mit dem gemeinsamen Schnittpunkt von LM-Kurve und IS­Kurve veranschaulicht hat, kranken an wesentlichen okonomischen Mangeln. Diese sind vorrangig den beiden nachfolgenden Problembereichen zuzuordnen. (1) Die LM-Kurve ist von der Geldpolitik nicht beliebig in ihrer Lage zu be­

einflussen. Denn die Geldpolitik hat keine Verfiigung Uber ein wesentliches Konstruktionselement der LM-Kurve, namlich die reale Geldmenge. Die Geld­politik kann die nomine lIe Geldmenge beeinflussen, sie ist aber nicht in der Lage, die reale Geldmenge beispielsweise nach ausschlieBlich eigenen Vor­stellungen zu vermehren oder zu verringern. Die reale Geldmenge hiingt viel­mehr yom Verhalten aller Wirtschaftssubjekte innerhalb und auBerhalb der Volkswirtschaft ab und entsteht durch die Vielzahl der Reaktionen und Ver­haltensweisen dieser Wirtschaftssubjekte auf allen gesamtwirtschaftlichen Markten. Vereinfacht ausgedruckt heiBt dies auch, daB die Geldpolitik nicht

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(beliebig) reales Vermogen in der Volkswirtschaft schaff en oder vemichten kann, dadurch daB sie das Volumen der Geldzeichen, eine simple nomine lIe GroBe, verandert. Verschiebungen der LM-Kurve sind daher nicht mit einfa­chen geldpolitischen MaBnahmen einer Zentralbank erreichbar.

(2) Das Zusammenffihren der LM-Kurve mit der IS-Kurve in einem gemein­samen Diagramm mit dem Realeinkommen auf der Abszisse und dem realen Zinsniveau auf der Ordinate ist zwar in vielen Texten seit Hicks iiblich, ver­nachUissigt aber zumindest den wesentlichen Unterschied bei den fUr den Giitermarkt und den Geldmarkt relevanten ZinsgroOen. Auf dem Geldmarkt werden Entscheidungen vorwiegend von der kurzfristigen GeldmarktzinsgroBe okonomisch beeinfluBt. Auf dem Giitermarkt sind hingegen eher langerfristige Zinsen oder reale Ertragsraten von Bedeutung. Dies sind zwar jeweils Zinsen oder Ertragsraten, aber sie betreffen grundsatzlich andere okonomische Zu­sammenhange. Die Geldpolitik ist insoweit beispielsweise auch nicht in der Lage, durch Veranderungen der von ihr festzulegenden kurzfristigen Zinsen ei­nen eindeutigen oder vorhersehbaren EinfluB auf die realen Ertragsraten zu er­reichen, die fUr das Verhalten der Wirtschaftssubjekte auf dem Giitermarkt ent­scheidend sind.

Die LM-Kurve ist nach all em nicht mehr als ein mogliches Zwischenergebnis zur Beschreibung der gesamtwirtschaftlichen Geldmarktverhiiltnisse bei ganz spezifischen Ausgangsverhaltnissen, wie einem gegebenen realen Geldangebot. Sie sollte nicht unbedacht mit anderen makrookonomischen Markten verbunden Wer­den unter der Voraussetzung, daB die anderen Markte wie z.B. der Giitermarkt jeweils isoliert und unabhangig yom Geldmarktgeschehen betrachtet werden kon­nen. Dies gilt insbesondere auch umgekehrt, denn das Giitermarktgeschehen beein­fluBt unmittelbar die reale Geldnachfrage und das Geldschopfungsverhalten der Geschaftsbanken. Damit kann nicht davon ausgegangen werden, daB die Zentral­bank in der Lage ist, die LM-Kurve durch geldpolitische MaBnahmen in einer feststehenden, voraussehbaren Weise zu verschieben. Soweit eine derartige An­nahme in der Literatur dennoch getroffen wird, sind die daraus abgeleiteten wirt­schaftspolitischen SchluBfolgerungen in aller Regel von geringer Relevanz.

10.6 Geldpolitik

10.6.1 Zwischenziele und Indikatoren der Geldpolitik

Fiir die Europaische Zentralbank ist das Ziel der Preisstabilitiit ihre erste und zentrale Aufgabe. Insoweit wird die EZB zu priifen haben, wie sie sich diesem Ziel nahem kann, welche Instrumente sie einsetzt und wie sie die Wirkungsweise und das AusmaB eines Instruments zu beurteilen hat, mit dem sie das Ziel anstrebt. Hierbei besteht zunachst die Problematik darin, daB eine direkte EinfluOnahme der Europaischen Zentralbank auf das Ziel Preisstabilitat gar nicht moglich ist. Preise sind bei individuellen Kaufvorgangen vereinbarte Tauschverhaltnisse, die

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von den Tauschpartnem festgelegt werden und tiber die ausschlieBlich die Tausch­partner im Rahmen offener Markte selbst entscheiden. Es kommt hinzu, daB die Zahl der Tauschvorgange bereits an einem einzigen Tag im Euro-Raum tiberaus groB ist. Selbst die Einflihrung von Kontrollen oder die Durchfiihrung von OberwachungsmaBnahmen konnte nie ltickenlos und vollstandig sein. AuBerdem waren solche Kontrollen viel zu aufwendig und teuer und in jedem Fall mit der marktwirtschaftlichen Grundvorstellung freier und offener Markte unvereinbar.

Fur die Zentralbank gibt es daher nur indirekte Wege, das Ziel der Preis­stabilitat anzustreben. Es sind deshalb Zwischenziele herauszufinden, die durch die Instrumente der EZB beeinflu6bar sind. Aber selbst mit der Formulierung eines Zwischenziels, wie z.B. der Geldmenge oder des Geldmengenwachstums, liegen noch nicht unmittelbar die erforderlichen Mittel zur Steuerung des Zwi­schenziels vor. Die tatsachlich verfligbaren Instrumente, wie die Festsetzung kurz­fristiger, nomineller Zinsen muB keinen systematischen Zusammenhang mit ir­gendeiner ebenfalls noch auszuwahlenden volkswirtschaftlichen Geldmenge haben.

Damit stellt sich das Indikatoren-Problem, d.h. die weitere Frage nach der Auswahl des Indikators, der einen systematischen Zusammenhang mit dem Mit­teleinsatz aufweist. Wie wirken sich beispielsweise steigende kurzfristige Zinsen auf das Geldmengenwachstum aus? 1st dieser Zusammenhang stabil und vorherseh­bar? Eignet er sich im gUnstigsten Fall immer zur unmittelbaren oder berechenba­ren Erreichung des angestrebten Ziels der Preisstabilitat? Indikatoren sollen daher zunachst dazu dienen, Art und Ausma13 der Wirkung des Einsatzes eines geldpoli­tischen Instruments empirisch erfassen zu konnen. Indikatoren sind noch nicht das Ziel. Gute Indikatoren haben allerdings Zwischenziel-Eigenschaft und stehen in keinem vollig beliebigen Verhaltnis zum angestrebten Ziel. Gute Indikatoren soll­ten mit me13baren Indikatorenwerten ein feststehendes AusmaB der Zielerreichung erkennen lassen.

Die hier angesprochenen Zusammenhange zwischen geldpolitischem Mittel oder Instrument, dem Indikator (der Ma13groBe flir die feststellbare Wirkung des Instruments), dem Zwischenziel (einer durch Instrumenteneinsatz steuerbaren GroBe) und dem geldpolitischen Ziel (Preisstabilitat) lassen sich durch die fun­dierte makrookonomische Theorie zumindest ansprechen. Die Wirtschaftstheorie hat aber aktuell kein abgeschlossenes System der Wirkungsweise geldpolitischer Instrumente anzubieten. Welche Zinsfestsetzung der Zentralbank bei welchem weltwirtschaftlichen Umfeld flir welche kurz- oder mittelfristig zu erwartende Inflationsrate die richtige ware, kann insoweit gegenwartig kein wirtschaftstheo­retisches Modell zuverlassig beantworten. Einen traditionellen wirtschaftstheore­tischen Ansatz, der sich in aller Regel gleichwohl flir langerfristige Zusammen­hange als hilfreich erweist und erwiesen hat, wollen wir nachfolgend skizzieren.

10.6.2 Die Quantitatstheorie

In der klassischen NationalOkonomie fmden sich bereits Aussagen tiber grundle­genden Zusammenhange, die fur das Preisniveau bzw. die Preisstabilitat in einer

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Volkswirtschaft von Bedeutung sind. Diese okonomischen Abhangigkeiten haben danach insbesondere Fisher (19 II), Don Patinkin (1965) und Friedman (1968) niiher untersucht bzw. erIautert.

Ausgangspunkt hierbei ist die mikrookonomische GrundfeststeIIung, daB bei Tauschvorgangen, die mit Geld abgewickelt werden, der Zahlungsbetrag oder Geldbetrag m gleich dem vereinbarten Wert des Tausches oder dem Kaufpreis ist, wobei der Wert des Tausches aus der getauschten Giitermenge x multipliziert mit dem Preis p besteht.

Bei einem konkreten Kauf von einem Kilo Bananen zum Preis von 1,50 Euro gilt daher:

Geldbetrag (1,50 Euro) = Wert des Tausches 1,50 € = 1 Kilo· 1,50 Euro pro Kilo Bananen

oder aIIgemein: m = x·p

Bei einem Einkauf mehrerer Giiter, z.B. im Supermarkt, gilt dieser Zu­sammenhang weiterhin. Die Gleichheit existiert dabei fUr eine Summe von Geld­betragen und Werten mit der Folge, daB die Zahlungssumme an der Kasse der Wertsumme (dem wirtschaftlichen Wert des Inhalts des Einkaufswagens) gleich ist, d.h. es gilt fUr die Tauschvorgiinge mit insgesamt n GUtem, die von i = 1 bis n reichen:

ml = XI·PI

+ m2 = X2·P2 + m3 = X3·P3

+ mn = xn·Pn oder

L mi = LXi· Pi oder

Zahlungssumme = Wertsumme .

Die Zahlungssumme setzt sich aus den Geldbetriigen fUr die einzelnen zu tau­schenden Giiter zusammen. Die Wertsumme ergibt ihrerseits sich aus den Produk­ten von Mengen und Preisen der i Giiter Ibis n.

Diese bei einer einzelwirtschaftlichen Transaktion zu verzeichnende Uber­einstimmung von Zahlungssumme und Wertsumme laBt sich nun auch auf aIle Transaktionen in einer gesamten Volkswirtschaft Ubertragen, sofem hierbei der Ubergang von der mikrookonomischen auf die makrookonomische Ebene hinrei­chend beachtet wird. Bei gesamtwirtschaftlicher Betrachtung kann namlich nicht auf eine einzelne Transaktion zu einem Zeitpunkt abgestellt werden, sondem

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es mUssen aIle Transaktionen betrachtet werden, die fiber einen Zeitraum hin erfolgen. Zahlungs- und Wertsummen ergeben sich dementsprechend z.B. fUr ein Kalenderjahr.

Will man fur einen derartigen Zeitraum eine Zahlungssumme anhand bereits bekannter gesamtwirtschaftlicher GeldgroBen konstruieren, so liegt es einerseits nahe, eine gesamtwirtschaftliche Geldmenge als AusgangsgroBe zu wahlen. Geld­mengen sind jedoch Bestandsgrofien, die zu einem Zeitpunkt gelten und ermittelt werden. Urn den zeitlichen Verlauf Uber eine Periode hin zu erfassen, muB daher die BestandsgroBe multipliziert werden mit dem Uber den Zeitraum hin erfolgen­den Umschlag oder mit der Umlaufsgeschwindigkeit, mit der sich eine Geld­menge wahrend eines Jahres umschlagt. Eine gesamtwirtschaftliche Geldmenge kann im Verlaufe eines J ahres mehrfach fUr Transaktionen eingesetzt werden. Die gesamtwirtschaftliche Zahlungssumme kann infolgedessen als Produkt aus gesamtwirtschaftlicher Geldmenge M und Umlaufsgeschwindigkeit dieser Geldmenge V angesehen werden, d.h. makrookonomisch gilt:

Zahlungssumme = M· V

Welches konkrete Geldmengenaggregat M hierbei benutzt wird, ist unten noch zu erortem.

Die mit den Zahlungen umgesetzten Werte setzen sich in einer Volkswirt­schaft aus einer Vielzahl von Giitermengen und dazugeMrenden Preisen zusam­men. Sie entsprechen dem Handelsvolumen, das Uber eine Periode hin umgesetzt und das mit den dazu gehorenden Preisen multipliziert wird. Dieses Handelsvolu­men, bzw. das Volumen der Tauschwerte ist nun aber keine statistisch ermittelte GroBe. FUr praktische Zwecke mu/3 daher auf eine Naherungsgro8e zuriickge­griffen werden. Hierfur bieten sich gesamtwirtschaftliche GroBen an wie das Brut­toinlandsprodukt oder - wenn auf kUnftige Perioden abgesteIlt wird - das erwartete Produktionsvolumen. Mit dem Bruttoinlandsprodukt oder dem Produktionsvolu­men ist vorrangig ein MaB fUr die quantitativ erfaBbaren GUtermengen gefunden; es sei wiederum mit der NaherungsgroBe Y (als realer GroBe) bezeichnet. Urn zu einer WertgroBe zu gelangen, muB das GUtermaB noch mit einem gesamtwirt­schaftlichen Preisniveau P multipliziert werden. Insoweit ergibt sich die gesamt­wirtschaftliche Wertsumme wie folgt:

Wertsumme = y. P

Es ist hierbei ein empirisches Problem, welches Preisniveau P von der statistischen Ermittlung und der wirtschaftspolitischen Bedeutung her zur Bildung des Produkts in der Wertsumme Verwendung findet.

Die Gleichheit von Zahlungssumme und Wertsumme wird wie dargelegt auch gesamtwirtschaftlich gelten, so daB sich folgende Beziehung ergibt:

M·V = y.p

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Diese Gleichung geht auf die Fisher'sche Verkehrsgleichung zuriick. In der Fisher'schen Verkehrsgleichung wird das Handelsvolumen als gesamtwirtschaftli­che MengengroBe benutzt. Wir konnen sie in Analogie dazu als Quantitiits­gleichung bezeichnen, wobei mit dem Begriff Quantitatsgleichung die Beziehung zur Geldmenge zum Ausdruck kommen solI.

Die Verkehrsgleicbung kann nun zur Kliirung der Frage herangezogen werden, welche Abhangigkeiten zwischen der Geldmenge M und dem Preisniveau P existieren. Insbesondere wenn die GroBen V und Y zunachst als gegeben unter­stellt werden, ergibt sich ein direkter Zusammenhang zwischen M und P. In der Quantitiitstheorie wird dieser Zusammenhang kausal und in einer Richtung verlaufend dargestellt. Danach fiihrt eine steigende Geldmenge M zu einem An­stieg des Preisniveaus P in dem durch die Quantitatsgleichung beschriebenen AusmaB. Wird daneben angenommen, daB gleichzeitig die reale Gtiterproduktion Y zunimmt, wird die steigende Geldmenge auch fiir die Abwicklung der vermehr­ten Transaktionen herangezogen und kann sich dementsprechend nicht in Preisstei­gerungen niederschlagen. SchlieBlich kann sich die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes V tiber die Zeit hin verandem, so daB hierdurch der EinfluB der Geldmen­genanderung auf das Preisniveau modifiziert wird.

In der neueren Quantitiitstheorie stehen volkswirtschaftliche Gegebenheiten im Vordergrund, die von einem Wachstum der realen Giiterproduktion ausge­hen und insoweit fiir die Erhaltung der Preisniveaustabilitat immer auch ein Wachstum der nominellen Geldmenge als erforderlich ansehen. Die Quantitats­gleichung wird daher nach einer Umformung in Wachstumsraten geschrieben, so daB sich aus den mathematischen Produkten auf jeder Gleichungsseite Summen ergeben. Formal geschieht dies durch Logarithmieren der Quantitatsgleichung mit Hilfe des narurlichen Logarithmus:

WR(M) + WR(V) = WR(Y) + WR(P) ,

wobei WR fiir die Wachstumsrate steht, die fiir die GroBe in der dazugehorenden Klammer gebildet wird. Nach dieser Formulierung besagt die Quantitatsgleichung, daB die Summe aus den Wachstumsraten der Geldmenge M und der Umlaufsge­schwindigkeit des Geldes V der Summe aus den Wachstumsraten der realen Gtiter­produktion Y und des Preisniveaus P gleich ist. Durch Umformung dieser Bezie­hung ergibt sich:

WR(M) = WR(Y) + WR(P) - WR(V)

Diese Umformung macht auf besonders anschauliche Weise deutlich, welcher Zusammenhang zwischen Geldmengenveranderungen und Veranderungen des Preisniveaus besteht. Das Wachstum der Geldmenge WR(M) dient entweder zur Finanzierung des Wachstums der realen Gliterproduktion und der dafiir erforderli­chen Transaktionen WR(Y) oder fiir das Wachstum des Preisniveaus WR(P), wo-

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bei noch die Veranderung der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes WR(V) zu berUcksichtigen ist.

Unterstellt man hierbei zunachst eine in der kurzen Frist gegebene, weitge­hende Konstanz der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes und der ihr zugrunde liegenden Zahlungsgewohnheiten, so zeigt die zuletzt angeschriebene Umformulie­rung der Verkehrsgleichung, daB die Wachstumsrate des Geldes nur insoweit mit stabilen Preisen vereinbar ist, als sie die Wachstumsrate der realen Giiterproduk­tion nicht iibersteigt. Das Geldangebot in einer Volkswirtschaft hat sich demnach an den Erfordemissen auszurichten, die sich aus der realen Giiterproduktion und den damit verbunden Umsatzprozessen ergeben. Fur die Wertbestandigkeit des Geldes in einer Volkswirtschaft ist insoweit eine enge Beziehung zum Gutervo­lumen in der Volkswirtschaft ausschlaggebend. Wachst die Geldmenge schnel­ler als das Giitervolumen, so kann bei Konstanz von V mit steigenden Preisen oder Inflation gerechnet werden. Bleibt die Geldmenge in ihrem Wachstum unterhalb des Wachstums des gesamtwirtschaftlichen GUtervolumens, so werden die Preise der Tendenz nach absinken.

Die Formulierung der Quantitatsgleichung hat bislang nur einen allgemei­nen Zusammenhang zwischen den vier gesamtwirtschaftlichen GroBen M, Y, P und V aufgezeigt. Eine Zentralbank muD sich jedoch im Rahmen ihrer Aufga­benerfUllung und geldpolitischen Moglichkeiten an beobachtbaren und beeinfluB­baren GroBen orientieren. Eine Konkretisierung besteht zunachst darin, fUr das Giitervolumen in einer Volkswirtschaft Y das erwartete reale Bruttoinlandspro­dukt zu benutzen. Der Preisindex P konnte sich zum einen auf grofiere Aggregate der Verwendungsrechnung des Bruttoinlandsprodukts beziehen. Zwn anderen ist jedoch zu beachten, daB ein Preisindex gewahlt wird, der im Rahmen der allge­meinen Wirtschaftspolitik von besonderer Bedeutung ist. Die Europaische Zen­tralbank konzentriert sich hierbei auf den Harmonisierten Verbraucherpreisin­dex (HVPI) fUr den Euro-Raum. Damit werden die Preise oder deren Verande­rungen erfafit, die fur die meisten der privaten Haushalte wesentlich sind. Der Harmonisierte Verbraucherpreisindex besteht aus Bestandteilen der nationalen Preisindizes fUr private Haushalte, die nach harmonisierten Verfahren abgegrenzt werden. Der HVPI ist die ZielgroBe der EZB fUr die Messung der Preisstabilitat im Euro-Raum.

Es verbleiben die Konkretisierungen fur M und V. In diesem Zusammenhang hat die Europaische Zentralbank fUr die Verbaltnisse im Euro-Raum eine recht sta­bile Beziehung zwischen der GeldmengengroBe M3 und dem MaB fUr P, dem HVPI ermittelt, so daB sie fUr ihre Uberlegungen zwn Geldangebot die Geldmen­gengroOe aus der Verkehrsgleichung mit der GroBe M3 annahert. Damit ergibt sich - gewissermaBen als RestgroBe - aus dem definitorischen Zusammenhang der Verkehrsgleichung die Umlaufsgeschwindigkeit V, die sich nun auf den Um­schlag der Geldmenge M3 bezieht.

Die Deutsche Bundesbank benutzte fruher fUr ihr Geldangebot die Uberle­gungen, die sich aus der Verkehrsgleichung ergeben. Sie legte seit 1974 jahrlich fUr das folgende Jahr ein Wachstumsziel der Geldmenge fest, wn ihr Verhalten

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offenkundig zu machen und fur andere Entscheidungstrager der Wirtschaftspolitik einen Orientierungsrahmen bereitzustellen. Zunachst harte sie als ZielgroBe der Geldpolitik die Zentralbankgeldmenge gewahlt. Sie ist jedoch seit 1988 auf die Geldmenge M3 iibergegangen, da in der Zentralbankgeldmenge der Anteil des Bargeldumlaufs relativ groB ist, und dessen Bedeutung andererseits insoweit sinkt, als das von der Bundesbank ausgegebene Bargeld seit geraumer Zeit nicht mehr nur ausschlieBlich fUr Umsatzprozesse in der deutschen Volkswirtschaft benutzt wurde, sondem in steigendem MaBe auch im Ausland als Transaktions- und Wert­aufbewahrungsmirtel Verwendung gefunden hat.

Die Europaische Zentralbank verwendet als eine Saule ihrer geldpolitischen Strategie ebenfalls die Wachstumsratenformulierung der Quantitatsgleichung und strebt danach einen Referenzwert fUr die Geldmenge M3 im Eurosystem an. Der Referenzwert selbst wird mit einer Wachstumsrate der Geldmenge M3 von 4,5% pro Jahr angesetzt. Damit ist beabsichtigt, daB ein reales Giiterwachstum von 2 bis 2,5 % finanziert werden kann. Der dariiber hinaus gehende Betrag der Geldmen­gensteigerung soli eine geringfUgige Preissteigerung bis maximal 2 % zulassen und im iibrigen dafUr zur Verfiigung stehen, daB Wirtschaftssubjekte auBerhalb des Euro-Raums sich mit Eurobestanden als Anlage- und Transaktionswahrung aus­starten. Die Bestandteile der auf Euro lautenden Geldmenge, die sich auBerhalb des Euro-Raums befinden, konnen selbstverstandlich im Euro-Raurn nicht inflationar wirken. Das AbflieBen von auf Euro lautenden Geldbestanden aus dem Euro-Raum fUhrt vielmehr zu der Konsequenz, daB die Umlaufsgeschwindigkeit V der Geld­menge M3 im Euro-Raum selbst absinkt.

10.6.3 Geldpolitische Instrumente der EZB

Die Europaische Zentralbank verfiigt iiber eine Reihe von geldpolitischen Instru­menten, urn ihre Ziele, insbesondere das Ziel der Preisstabilitat fur den Euro, zu erreichen. Die Instrumente besitzen dabei Ahnlichkeiten mit den friiher von der Bundesbank eingesetzten Mirteln, worauf nachfolgend bei den jeweiligen Einzel­fallen hingewiesen wird. Sie erscheinen jedoch zumindest insoweit als andersartig, weil sie mit neuen und teilweise banktechnisch gepragten Begriffen belegt sind.

Offenmarktgeschafte spielen die wichtigste Rolle in der Geldpolitik der EZB. Sie werden eingesetzt, urn die Zinssatze und die Liquiditat auf den Geld­markten zu steuem und Signale zum geldpolitischen Kurs zu geben. Offenmarkt­geschafie bestehen im Ankauf und Verkauf von Wertpapieren durch die Zen­tralbank auf eigene Rechnung. Die Initiative fUr den AbschluB von Offenmarkt­geschafien und das Volumen der Transaktionen liegen hierbei in der Hand der Zentralbank. Mit einem Kauf von Wertpapieren schafft die Zentralbank zusatz­liches Zentralbankgeld, wie es oben in 1004.1 allgemein dargestellt ist. Die dam it eintretende Geldmengenvermehrung konnte expansiv wirken. Ein Verkauf von Wertpapieren fiihrt zur Zentralbankgeldvemichtung, was einen kontraktiven EinfluB haben kann. Offenmarktpolitik laBt sich im iibrigen in Form eines defini­tiven Ankaufs oder Verkaufs durchfiihren, was sich in einer zeitlich unbefristeten

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Schopfung oder Vemichtung von Zentralbankgeld niederschlagt. Daneben existie­ren Offenmarktgeschafte mit Riickkaufsvereinbarung. Sie werden auch als Pensionsgeschafte bezeichnet, da die Zentralbank hierbei Wertpapiere nur unter der Bedingung ankauft, daB die verkaufenden MFIs sie zu einem festgelegten Ter­min wieder zurUckkaufen. Die Wertpapiere werden insoweit nur fUr eine be­schrankte Zeit in Pension genommen. Die ZentralbankgeldschOpfung erfolgt damit befristet und geht am Ende der Frist mit einer Zentralbankgeldvemichtung einher.

Die Offenmarktpolitik der Europaischen Zentralbank erfolgt zum groBten Teil in Form des Hauptrefinanzierungsinstruments. Damit werden regelmaI3ig stattfindende liquiditatszufiihrende befristete Transaktionen in wochentlichem Abstand mit einer Laufzeit von zwei W ochen verstanden. Diese Transaktionen werden von den nationalen Zentralbanken im Rahmen von Standardtendern durchgefUhrt. Der Begriff "Standardtender" bezieht sich darauf, daB die Transak­tionen innerhalb von 24 Stunden von der Tenderankfindigung bis zur Bestatigung des Zuteilungsergebnisses abgewickelt werden. Die Tender ihrerseits konnen als Festsatztender (Mengentender) oder Tender mit variablem Zinssatz (Zinstender) gestaltet werden. Bei einem Mengentender gibt die EZB den Zinssatz vor und die Teilnehmer geben Gebote fiber den Betrag ab, den sie bereit sind, zu diesem Fest­satz zu verkaufen. Gegebenenfalls werden die von den MFIs genannten Betrage nicht vollstandig aufgenommen, sondem durch die EZB nur mir einem Anteilswert bedient. Bei einem Zinstender geben die Teilnehmer Gebote fiber die Betrage und die Zinssatze ab, zu denen sie Geschafte mit den nationalen Zentralbanken ab­schlieBen wollen. Hierbei hat die EZB allerdings einen Mindestzins vorgegeben. Der Mindestzins oder der Festzins ist der Hauptrefinanzierungszinssatz HRI. Er ist einer der Leitzinsen im Eurosystem.

Die langerfristigen Refinanzierungsgeschiifte sind liquiditatszufUhrende befristete Transaktionen in monatlichem Abstand und mit einer Laufzeit von drei Monaten. Uber diese Geschafte sollen den Geschaftspartnem zusatzliche langerfri­stige Refinanzierungsmittel zur VerfUgung gestellt werden. Sie werden von den nationalen Zentralbanken im Wege von Standardtendem durchgefUhrt. 1m allge­meinen betreibt die EZB dieses Instrument in Form des Zinstenders, tritt also als Preisnehmer auf. Der Zinssatz der langerfristigen Refinanzierungsgeschiifte LRG hat in Deutschland eine besondere Bedeutung, weil er nach der Basiszins­satz-BezugsgroBen-Verordnung vom 10.2.1999 und dem Diskontsatz-Uberlei­tungsgesetz vom 9.6.1998 an die Stelle des Diskontsatzes getreten ist.

Feinsteuerungsoperationen werden von Fall zu Fall zur Steuerung der Marktliquiditat und der Zinssatze durchgefUhrt, und zwar insbesondere, urn die Auswirkungen unerwarteter marktmaBiger Liquiditatsschwankungen auf die Zins­satze auszugleichen. Die Feinsteuerung erfolgt in erster Linie fiber befristete Transaktionen, kann aber auch in Form von definitiven Kaufen bzw. Verkaufen, Devisenswapgeschaften und der Hereinnahme von Termineinlagen bestehen. Fein­steuerungsoperationen werden fiblicherweise von den nationalen Zentralbanken fiber Schnelltender oder bilaterale Geschafte durchgefiihrt. Die EZB hat beispiels­weise am 12. und 13. September 2001 solche Feinsteuerungsoperationen veranlaBt.

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Dariiber hinaus kann die EZB strukturelle Operation en tiber die Emission von Schuldverschreibungen, befristete Transaktionen und definitive Kaufe bzw. Verkaufe durchfiihren. Diese Operationen stehen zur Verfiigung, wenn die EZB die strukturelle Liquiditatsposition des Finanzsektors gegenuber dem ESZB anpassen will. Bisher wurden solche strukturellen Operationen noch nicht eingesetzt.

Die standigen Fazilitaten dienen dazu, Ubernachtliquiditat bereitzustellen oder zu absorbieren. Sie setzen Signale zum allgemeinen Kurs der Geldpolitik und stecken Ober- und Untergrenzen der Geldmarktsatze fUr Tagesgelder abo Die EZB sieht in den Zinsen fUr die standigen Fazilitaten ebenfalls Leitzinsen, die neben dem HR! fUr die Geldmarkte von Bedeutung sind. Mit den standigen Fazilitaten oder Moglichkeiten wird den Geschaftsbanken die Gelegenheit gegeben, fUr kurze Fristen, d.h. uber Nacht, Zentralbankgeld zu beschaffen oder Einlagen bei der Zentralbank anzulegen. Die InItiative geht hierbei von den Geschaftsbanken aus.

1m Rahmen der Spitzenrefinanzierungsfazilitat konnen Geschaftsbanken von den nationalen Zentralbanken Ubernachtliquiditat zu einem vorgegebenen Zinssatz gegen refinanzierungsfahige Sicherheiten beschaffen. In der Regel gibt es keine Kredithochstgrenzen mit der Ausnahme, daB ausreichende Sicherheiten zur Verfiigung stehen mtissen. Der Zinssatz fUr die Spitzenrefinanzierungsfazilitat, der SFR-Satz, bildet im allgemeinen die Obergrenze des Tagesgeldsatzes. Er lag zumeist einen Prozentpunkt uber dem HR!, dem Zinssatz fUr das Hauptrefinanzie­rungs instrument. Fur deutsche Verhaltnisse ist von Bedeutung, daB der Zinssatz der Spitzenrefinanzierungsfazilitat aufgrund der Lombardsatz-Uberleitungs-Ver­ordnung vom 18.12.1998 an die Stelle des Lombardsatzes getreten ist.

Die standigen Fazilitaten bestehen daneben in der Einlagefazilitat. Die Ge­schaftsbanken konnen die Einlagefazilitat nutzen, urn bei den nationalen Zentral­banken Guthaben fiber Nacht bis zum nachsten Geschaftstag anzulegen. In der Regel gibt es keine Betragsbegrenzung fUr die entsprechenden Einlagekonten. Der Zinssatz fUr die Einlagefazilitat bildet im allgemeinen die Untergrenze des Tagesgeldsatzes. Er lag durchweg einen Prozentpunkt unter dem HR!.

Beide Erscheinungsformen der standigen Fazilitaten sind seit Bestehen der EZB in verhaltnismaBig geringem Umfang genutzt worden. FUr die Zinsbildung auf dem Geldmarkt mogen sie allerdings eine Rolle gespielt haben.

Die Europaische Zentralbank benutzt schlieBlich das Instrument der Mindest­reservepflicht. Die Geschaftsbanken haben danach einen bestimmten Prozentsatz ihrer Einlagen bei den nationalen Zentralbanken zu unterhalten. Der Mindestre­servesatz betragt 2 %. Es ist derzeit nicht beabsichtigt, ihn als kurzfristiges geldpo­litisches Steuerungsinstrument einzusetzen, d.h. zu variieren, gleichwohl behalt sich die EZB jederzeitige Anderungen der Reservesatze vor. Die Einlagen, fUr die Mindestreserven zu unterhalten sind, bestehen gegenwartig aus den taglich falligen und den mit vereinbarter Laufzeit und Kundigungsfrist von bis zu 2 Jahren, den Schuldverschreibungen mit vereinbarter Laufzeit von bis zu 2 Jahren und den Geldmarktpapieren. Langerfristige Einlagen mit Laufzeiten von uber 2 Jahren sind mit einem Reservesatz von 0 % belegt und insoweit nicht tatsachlich mindestreser­vepflichtig. Der Mindestreservepflicht ist unter Zugrundelegung einer einmonati-

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gen Erfiillungsperiode nachzukornmen. Die Mindestreserven werden verzinst und zwar mit dem Durchschnitt des EZB-Satzes fur die Hauptrefinanzierungsge­schafte des Eurosystems wahrend der Mindestreserve-Erfiillungsperiode.

10.6.4 Transmissionsmechanismen

Die geldpolitischen Instrumente der Europaischen Zentralbank aber auch die ande­rer Zentralbanken werden eingesetzt, urn Ziele der Wirtschaftspolitik im allgemei­nen und Ziele der Geldpolitik im besonderen zu erreichen. Fur die EZB steht das Ziel der Preisstabilitat im Vordergrund. Es gibt aber auch geldpolitische Instanzen oder Wirtschaftspolitiker, die mit dem Einsatz der geldpolitischen Instrumente die generelle Wirtschaftsentwicklung glauben steuem zu konnen. Die entsprechenden Vorstellungen gehen dabei so weit, daB die Geldpolitik nicht nur zur Stabilisierung von Konjunkturentwicklungen, sondem auch zur Beeinflussung der langerfristigen Wachstumstrends in einer Volkswirtschaft eingesetzt werden konnte. Injedem Fall sind hierfiir Hypothesen erforderlich, wie sich durch einen Einsatz eines geldpolitischen Instruments auf dem Geldmarkt eine Konsequenz auf dem Gii­termarkt und bei der Preisbildung der Guter ergibt. Die dabei zu unterstellende Wirkungskette muf3 einen Ubertragungsweg erkennen lassen. Dieser Ubertra­gungsweg oder Transmissionsmechanismus solI aufzeigen wie sich beispiels­weise durch eine Anderung des nominellen Geldmarktzinses AnstOf3e fur die reale Giiterproduktion und das Preisniveau der Giiter ergeben.

Der Transmissionsmechanismus als makrookonomisches Phanomen laBt sich durch wirtschaftstheoretische Hypothesen strukturieren und nachvollziehen. 1m Idealfall ist dafiir ein geschlossenes makrookonomisches Modell heranzuzie­hen, das den Ubertragungsweg in seinen zwingenden okonomischen Ablaufen aufzeigt. Solche Modelle existieren aber derzeit nicht. Vielmehr sind die meisten makrookonomischen Modelle grundsatzlich nicht in der Lage, den Ubertra­gungsproze8 plausibel darzustellen, da sie entweder mit fixen Preisen oder mit einem gegebenen gesamtwirtschaftlichen Einkornmen operieren und geldpolitische Impulse dahingegen Auswirkungen sowohl auf das Preisniveau als auch mogli­cherweise auf die reale Giiterproduktion haben. Insoweit sind Geldpolitiker auf einige der nachstehend erlauterten Hypothesen iiber die Transmissionsmechanis­men angewiesen, die keineswegs in vollstandigen makrookonomischen Modellen bestehen. Es ist daher auch nieht iiberraschend, daB Geldpolitiker von ihrer Auf­gabe als einer Kunst der Geldpolitik sprechen und weniger auf die "einfache" An­wendung wirtschaftstheoretischer Erkenntnisse bauen. Es kornmt hinzu, daB die Hypothesen iiber Transmissionsmechanismen keinesfalls gleichartige Ablaufe und Resultate nahelegen und es damber hinaus im jeweiligen Entscheidungsfall zu unterschiedlichen Ergebnissen in den Ablaufen kornmen kann, wei! die gesamtwirt­schaftlichen Gegebenheiten iiber die Zeit hin variieren und von daher den Trans­missionsmechanismus modifizieren.

Die Ubertragung geldpolitischer Impulse vollzieht sich nach Ansicht der EZB (Monatsberieht Juli 2000) generell in zwei Phasen. In der ersten Phase wir-

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ken sich Veranderungen der Leitzinsen oder des Basisgelds auf die Lage am Fi­nanzmarkt aus. Dies schlagt sich in den Marktzinsen, den Preisen fUr Vermogens­werte, dem Wechselkurs und den allgemeinen Liquiditatsbedingungen und Kredit­konditionen der Wirtschaft nieder. In der zweiten Phase greifen diese A.nderungen der Finanzmarktlage auf die nominalen Ausgaben der privaten Haushalte und der Unternehmen fUr Giiter iiber. Auf langere Sicht wirken sich solche nomine lIen Veranderungen nicht auf den Giitersektor der Volkswirtschaft aus, sondern bee in­flus sen nur das Preisniveau. Kurzfristig konnte es jedoch zu Veranderungen der realen Giiterproduktion kommen. In welchem MaB dies geschieht, hangt von der Reaktionsweise der Preise auf den Markten flir Giiter und Produktionsfaktoren und damit von der Flexibilitat der Volkswirtschaft abo Zudem gibt es noch direktere Transmissionskanale, insbesondere den EinfluB geldpolitischer MaBnahmen auf die Inflationserwartungen, die sich direkt auf die Preisgestaltung auswirken kon­nen. Die Transmissionsmechanismen hangen selbstverstandlich auch von den sich andernden institutionellen Gegebenheiten beispielsweise im Euro-Raum ab und unterliegen zudem jeweiligen okonomischen und auBerokonomischen Einfliissen aus den nationalen Volkswirtschaften und aus dem weltwirtschaftlichen Geflige. Dies bedingt insgesamt eine erhebliche Unsicherheit iiber die Wirkungsweise mo­netarer Impulse der Zentralbank.

In der Geldtheorie werden mehrere Transmissionskaniile unterschieden (Deutsche Bundesbank, Monatsbericht September 2001). So betont der Zinskanal, daB hOhere Zinsen tendenziell die Attraktivitat von Investitionen verringern und den Anreiz zur Bildung von Ersparnissen erhOhen. Beides wirkt dampfend auf die laufenden Giiterausgaben. Daher wirken ZinserhOhungen kontraktiv auf die Wirt­schaftsentwicklung, Zinssenkungen hingegen bedeuten einen expansiven Impuls.

Der Wechselkurskanal berllcksichtigt, daB eine mit Zinserhohungen verbun­dene Geldpolitik bei flexiblen Wechselkursen zu einer Aufwertungstendenz flir die heimische Wahrung fiihrt, was auslandische Waren und Dienstleistungen fUr Inlan­der verbilligt und inlandische Giiter flir Auslander verteuert. Dies dampft die Ex­portmoglichkeiten und reduziert die Nachfrage nach im Inland produzierten Gii­tern. Entsprechend umgekehrt wird sich eine Zinssenkung der Zentralbank auswir­ken und insoweit einen expansiven Effekt haben.

Der Bankkreditkanal setzt im Unterschied zu den bereits genannten Trans­missionswegen nicht am Verhalten der Nichtbanken an, sondern am Angebot an Bankkrediten. Danach reduziert eine Zinserhohung, die im allgemeinen als restrik­tive oder kontraktive geldpolitische MaBnahme dargestellt wird, tendenziell die bei Banken gehaltenen Einlagen, da die Nichtbanken im Zuge der ZinserhOhung auf alternative Anlageformen ausweichen. Prinzipiell konnte die Hohe der Bankkredite hiervon unbeeinfluBt bleiben, wenn die Bank in ausreichendem MaB zusatzliche Mittel aufnimmt. Sind jedoch fUr die Bank einerseits die abgezogenen Einlagen und die anderen Formen der Mittelaufnahme sowie andererseits die Kredite und die anderen Aktive nicht vollstandig substituierbar, dann flihrt die geldpolitisch ausgelOste Reduktion der Einlagen zu einem Riickgang des Kreditangebots. Dies wirkt dampfend auf die Ausgaben fUr Giiter, wenn der Reduktion der Kredite keine entsprechende Ausweitung alternativer Finanzierungsformen gegeniibersteht. Da-

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mit muB keineswegs gerechnet werden, da auf den Finanzmarkten unvolIstandige Substitutionsbeziehungen bestehen, die sich durch ungleiche Informationen zwi­schen den Kapitalnehmem und unterschiedlichen Kapitalgebem ergeben.

Der Bilanzkanal basiert auf der FeststelIung, daB Aktiva von Kreditnehmem im Rahmen der Bonitatsprufung und als Sicherheiten eine wichtige Rolle bei der Kreditvergabe spielen. Steigt durch geldpolitische Entscheidungen das Zinsniveau, sinkt aufgrund des damit verbundenen Anstiegs des Diskontierungsfaktors der Gegenwartswert zukunftiger Zahlungsstrome. Wenn sich darliber hinaus das hO­here Zinsniveau uber den Zins- und Wechselkurskanal auch negativ auf die Hohe der Zahlungsstrome selbst auswirkt, reduziert dies den Wert der davon betroffenen Aktiva. Dieser RUckgang kann zur Foige haben, daB die Banken ihre Kreditver­gabe risikoreicher einschatzen und ihr Kreditangebot reduzieren. Wie beim Bank­kreditkanal wirkt also die Geldpolitik uber eine Anderung des Bankkreditangebots. AlIerdings ist der Bilanzkanal nicht auf Bankkredite beschrankt, sondem liiJ3t sich auch auf andere Finanzierungsformen wie Wertpapieremissionen Ubertragen.

Sowohl der Bankkreditkanal als auch der Bilanzkanal zeigen Moglichkeiten auf, wie Anderungen der Geldmarktzinsen durch die Zentralbank zu Reaktionen im Verhalten der Banken bei ihrer Kreditvergabe fUhren konnen. Diese Reaktionswei­sen sind jedoch ausschliel3lich mikrookonomisch begrlindet. Wie sich hieraus Preis- und Mengeneffekte auf dem gesamtwirtschaftlichen GUtermarkt und mit welcher Reaktionszeit ergeben, laBt sich anhand der beiden Kanale nicht zwingend erkennen. Damit bleibt aber der Ubertragungsweg von Impulsen der Geldpolitik zu den Preis- und Mengenresultaten fUr die gesamte V olkswirtschaft weiterhin im unklaren. Dies gilt im Ubrigen insbesondere fUr keynesianische und neukeynesiani­sche Ansatze In alIer Regel bedienen sie sich einer Zusammenfiihrung von IS­Kurve und LM-Kurve in einem gemeinsamen GUter-Geldmarkt-Gleichgewicht, deren Sinnhaftigkeit oben mehrfach hinterfragt wurde.

Es bleibt noch, auf einen monetaristischen Ansatz hinzuweisen, der vor­nehmlich von Brunner (1970) vorgelegt wurde. Danach verandert ein geld politi­scher Impuls in Form einer Veranderung der Zentralbankgeldmenge und der dar­aus resultierenden Zinsanderung die Effektivverzinsung von Aktiva bzw. deren Ertragsraten. Bei einer Zinssenkung aufgrund einer GeldbasisvergroBerung der Zentralbank ergibt sich damit ein Anreiz, von finanzielIen Aktiva auf reale Vermo­gensgegenstande auszuweichen, was zu einer verstarkten Investitionstatigkeit fUhrt. Zusammen mit einer wegen der falIenden Zinsen vermehrten KonsumgUtemach­frage resultieren hieraus steigende Preise fUr die GUter und schliel3lich werden auch die Zinsen im Geldbereich wieder ansteigen. Der monetiire Impuls hat daher nur einen vorubergehenden Effekt auf die reale GUtemachfrage. Die Geldmengen­zunahme schlagt sich deshalb dauerhaft lediglich in einer Preisniveausteigerung nieder.

Der monetaristische Ansatz will ganz bewuBt den Zusammenhang zwischen geldpolitischem Impuls, der realwirtschaftlichen Auswirkung auf dem GUtermarkt und dem letztlich verbleibenden Effekt beim Preisniveau herausarbeiten. Er be­nutzt hierfUr mikrookonomische Verhaltensannahmen Uber die prinzipielI unbe­grenzte Substituierbarkeit zwischen Aktiva, was ihm von manchen okonomisch

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weniger geschulten Kritikern auch vorgeworfen wird. Dies ist daher kein ernst zu nehmender Einwand. Wesentlicher erscheinen die Probleme des Ubergangs von der Mikroebene auf gesamtwirtschaftlich wesentliche Zusammenhange sowie die von Vertretern der Neuklassik hervorgehobenen rationalen Erwartungen, die un­terstellen, daB die Wirtschaftssubjekte sich von geldpolitischen Aktivitaten inso­weit nicht tauschen lassen, als sie deren letztendliche Auswirkung bereits erwarten und sich deshalb von vornherein auf das Endergebnis - hier die steigenden Preise -einstellen. Die vorubergehende EinfluBnahme auf die reale Giiterproduktion durch den geldpolitischen Impuls entfallt daher von vornherein und es kommt nur zum Preisniveaueffekt. Selbst wenn sicherlich nicht aile Beobachter eines geldpoliti­schen Impulses die gleichen "rational en" Erwartungen haben, kann sich der Uber­tragungsprozeB eines Impulses hierdurch verkiirzen oder er entfallt vollig. Geldpo­litische Instrumente, die sich auf nomine lie Zinsen oder die Zahl der Geldzeichen in der Volkswirtschaft auswirken, konnen mit dem ersten Impuls, d.h. der bloBen Anderung der Zinsen oder der Menge an Geldzeichen, schon das Ende ihres Ein­flusses erreicht haben. Realwirtschaftliche Konsequenzen miissen mit dem Einsatz der Instrumente nicht verbunden sein.

Die Frage nach dem Transmissionsmechanismus der Geldpolitik ist nach al­lem wesentlich flir die Einschatzung deren okonomischer Wirkungsmoglichkeiten. Da die Transmissionsmechanismen und ihre Ergebnisse aber nicht feststehen, bleibt auch die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Geldpolitik undeutlich. Die Europaische Zentralbank hat sich unter Umstanden auch deshalb fUr eine sogenannte Zwei-Saulen-Strategie entschieden. Ein Saule besteht aus der langer­fristigen Beziehung zwischen volkswirtschaftlicher Geldmenge und dem Preisni­veau. Diese Beziehung wird als langerfristig geltend anerkannt und daher wird auch ein Referenzwert flir die Wachstumsrate der Geldmenge M3 angestrebt. Die zweite Saule will die eher kiirzerfristig wirksamen Einfliisse auf die Preise erfassen und berucksichtigt daher die Nominalzinsen und die Zinsstruktur, das reale BIP­Wachstum im Euro-Raum, das auBenwirtschaftliche Umfeld des Euro-Raums, den Wechselkurs des Euro, die Verbraucherpreise und die Inflationserwartungen, die Tarifabschliisse und die offentlichen Finanzen. We1che Gewichtigkeiten hierbei existieren bzw. we1che zeitlichen Ablaufe zwischen geldpolitischem Mitteleinsatz und letztlicher Wirkung iiber aile diese Bestandteile der zweiten Saule fUr das Preisniveau vorliegen, bleibt hier von vornherein undeutlich oder unerklart, was nichts anderes reflektiert als die weitgehende Unkenntnis fiber tatsachliche Ab­laufe von Transmissionsmechanismen.

Aile Uberlegungen zur EinfluBnahme der Geldpolitik auf die reale Wirt­schaftsentwicklung - sei es auf den kiirzerfristigen Konjunkturverlauf oder auf das langerfristige Wachstum der Giiterproduktion - sind nach allem hOchst spekulativ. Beobachtbar und immer wieder nachvollziehbar bleiben die langerfristigen Konse­quenzen von Geldmengenzuwachsen, die, sofern sie das giiterwirtschaftliche Wachstum iiberschreiten, sich schlieBlich in Preissteigerungen niederschlagen.