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12. Konjunkturen 12.1 Das Phanomen der Konjunktur 12.1.1 Das Erscheinungsbild der Konjunktur Die Wirtschaftstatigkeit vollzieht sich in beobachtbaren Volkswirtschaften der Gegenwart und der Vergangenheit nie vollig gleichfOnnig. Zu allen Zeiten hat es Schwankungen und trendmaBige Veriinderungen der Wirtschaftstatigkeit gegeben, die mehr oder weniger viele Bereiche einer Volkswirtschaft erfassen. Nicht aIle diese Prozesse werden mit dem Begriff Konjunktur belegt, d.h. nicht aile Abwei- chungen von einem station1i.ren Ablauf der gesamtwirtschaftlichen Wirtschaftspro- zesse in Fonn eines sich gleichfonnig wiederholenden Kreislaufs sind Konjunktur- schwankungen. Eine allgemeine Umschreibung des Phiinomens lautet, daB unter Konjunkturen mehrjihrige Schwankungen der wirtschaftlichen Aktivitit in einer Volkswirtschaft insgesamt zu verstehen sind. Zum Erscheinungsbild von Konjunkturen zahlen daher vier charakteristi- sche Merkmale. (l)Konjunkturen betreffen einen Zeitraum, der ein Kalenderjahr oder Wirt- schaftsjahr iibersteigt. Innerhalb des Zeitraums eines Jahres sind in vielen Teilbereichen der Wirtschaft Schwankungen festzustellen, die aber nicht dem Phiinomen einer Konjunktur entsprechen. Die gewichtigeren dieser unterjiihri- gen Schwankungen sind Saisonschwankungen. Auf diese triffi: man nicht nur in der Landwirtschaft, sondem auch im Baugewerbe, in der Touristik oder im Reiseverkehr und im Einzelhandel, der regelmaBig gegen Jahresende im Weih- nachtsgeschiift steigende Umsatzzahlen aufweist. Solche innerhalb eines Jahres ablaufenden Saisonschwankungen differieren vielfach zwischen den einzelnen Wirtschaftsbereichen nach AusmaB und Jahreszeit. Zudem werden nicht alle Wirtschaftsbereiche einer Volkswirtschaft davon erfaBt, zumal bei nicht syn- chronem Verlauf der Saisonschwankungen kompensatorische Wirkungen ein- treten konnen. Die Saisonschwankungen wiederholen sich von der Idee her mit geringen kalendennaBigen oder witterungsbedingten ModifIkationen Jahr fUr Jahr. (2) Konjunkturen sind als Schwankungen von den liingerfiistigen Trends wie beispielsweise dem Wirtschaftswachstum zu unterscheiden. Wachstum be- deutet ein von Jahr zu Jahr gemessenes dazu aber tiber einen liingeren Zeitraum fortschreitendes Ansteigen der Gtiterproduktion in einer Volkswirtschaft. Am Ende dieses liingeren Zeitraums erreicht die Gilterproduktion deutlich hOhere Werte als zu Beginn des Zeitraums. Konjunkturen konnen demgegentiber von der Grundvorstellung der Schwankung her durchaus mit dem gleichen volks- wirtschaftlichen Gtitervolumen enden, mit dem sie begonnen haben. Die Wirt- schaftsentwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg war in vielen Liindem durch Wirtschaftswachstum gekennzeicbnet. Zugleich waren allerdings die Wachs- G. Graf, Grundlagen der Volkswirtschaftslehre © Physica-Verlag Heidelberg 2002

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12. Konjunkturen

12.1 Das Phanomen der Konjunktur

12.1.1 Das Erscheinungsbild der Konjunktur

Die Wirtschaftstatigkeit vollzieht sich in beobachtbaren Volkswirtschaften der Gegenwart und der Vergangenheit nie vollig gleichfOnnig. Zu allen Zeiten hat es Schwankungen und trendmaBige Veriinderungen der Wirtschaftstatigkeit gegeben, die mehr oder weniger viele Bereiche einer Volkswirtschaft erfassen. Nicht aIle diese Prozesse werden mit dem Begriff Konjunktur belegt, d.h. nicht aile Abwei­chungen von einem station1i.ren Ablauf der gesamtwirtschaftlichen Wirtschaftspro­zesse in Fonn eines sich gleichfonnig wiederholenden Kreislaufs sind Konjunktur­schwankungen. Eine allgemeine Umschreibung des Phiinomens lautet, daB unter Konjunkturen mehrjihrige Schwankungen der wirtschaftlichen Aktivitit in einer Volkswirtschaft insgesamt zu verstehen sind.

Zum Erscheinungsbild von Konjunkturen zahlen daher vier charakteristi­sche Merkmale. (l)Konjunkturen betreffen einen Zeitraum, der ein Kalenderjahr oder Wirt­

schaftsjahr iibersteigt. Innerhalb des Zeitraums eines Jahres sind in vielen Teilbereichen der Wirtschaft Schwankungen festzustellen, die aber nicht dem Phiinomen einer Konjunktur entsprechen. Die gewichtigeren dieser unterjiihri­gen Schwankungen sind Saisonschwankungen. Auf diese triffi: man nicht nur in der Landwirtschaft, sondem auch im Baugewerbe, in der Touristik oder im Reiseverkehr und im Einzelhandel, der regelmaBig gegen Jahresende im Weih­nachtsgeschiift steigende Umsatzzahlen aufweist. Solche innerhalb eines Jahres ablaufenden Saisonschwankungen differieren vielfach zwischen den einzelnen Wirtschaftsbereichen nach AusmaB und Jahreszeit. Zudem werden nicht alle Wirtschaftsbereiche einer Volkswirtschaft davon erfaBt, zumal bei nicht syn­chronem Verlauf der Saisonschwankungen kompensatorische Wirkungen ein­treten konnen. Die Saisonschwankungen wiederholen sich von der Idee her mit geringen kalendennaBigen oder witterungsbedingten ModifIkationen Jahr fUr Jahr.

(2) Konjunkturen sind als Schwankungen von den liingerfiistigen Trends wie beispielsweise dem Wirtschaftswachstum zu unterscheiden. Wachstum be­deutet ein von Jahr zu Jahr gemessenes dazu aber tiber einen liingeren Zeitraum fortschreitendes Ansteigen der Gtiterproduktion in einer Volkswirtschaft. Am Ende dieses liingeren Zeitraums erreicht die Gilterproduktion deutlich hOhere Werte als zu Beginn des Zeitraums. Konjunkturen konnen demgegentiber von der Grundvorstellung der Schwankung her durchaus mit dem gleichen volks­wirtschaftlichen Gtitervolumen enden, mit dem sie begonnen haben. Die Wirt­schaftsentwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg war in vielen Liindem durch Wirtschaftswachstum gekennzeicbnet. Zugleich waren allerdings die Wachs-

G. Graf, Grundlagen der Volkswirtschaftslehre© Physica-Verlag Heidelberg 2002

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tumsphasen mehrfach von konjunkturellen Abschwtingen unterbrochen worden. Wirtschaftswachstum und Konjunkturschwankungen haben sich insoweit tiber­lagert. Es ist im allgemeinen nicht leicht herauszufinden, ob sich die beiden Phanomene gegenseitig bedingen oder beeinflussen. Aus der Beobachtung tat­sachlicher Volkswirtschaften zeigt sich aber, daB das Wirtschaftswachstum niemals gleichformig oder stetig verlaufen ist, sondem immer durch Schwan­kungen gepragt war. Dies zeigt auch die weiter unten zu findende Abb. 68. Manche Beobachter haben angesichts des lange lahre anhaltenden Wachstums das Konjunkturphanomen als nicht mehr existent angesehen und nur noch von Wachstumsschwankungen gesprochen. Dies darf aber nicht daruber hinwegtau­schen, daB der WirtschaftsprozeB weiterhin von Schwankungen gekennzeichnet ist, die wegen des Wachstumstrends jedoch nach oben verzerrt sind, so daB die Abschwungsphasen nur kiirzer ausfallen und selbst bei einem konjunkturellen Tief das Gtitervolumen noch weit tiber dem Niveau des vorangegangenen Tiefs liegen kann.

(3) Konjunkturen betreffen damber hinaus eine Volkswirtschaft insgesamt. 1m Sprachgebrauch s10Bt man zwar auch auf die Formulierung Branchenkonjunk­tur, mit der Schwankungen der Wirtschaftstatigkeit eines kleineren Wirt­schaftsbereichs oder einer Branche belegt werden. 1m allgemeinen wird aber yom Konjunkturphanomen nur dann gesprochen, wenn nicht nur eine Branche davon betroffen ist oder wenige Branchen parallele Veranderungen der Wirt­schaftstatigkeit aufweisen. Konjunkturschwankungen erfassen daher groBe Teile der Volkswirtschaft und tUhren dort zu gleichgerichteten Veranderungen der wirtschaftlichen Aktivitat.

(4) Mit dem Plural Konjunkturen soil schlieBlich zum Ausdruck gebracht werden, daB die Schwankungen der Wirtschaftstatigkeit keine einmaligen Erscheinun­gen sind, die sich gewissermaBen in einer Zyklenbewegung erschopfen. Kon­junkturen wiederholen sich, ohne daB es hierbei RegelmaBigkeiten tiber die zeitliche Dauer und das AusmaB der Schwankungen geben muB. Nacheinander folgende Schwankungen werden sich daher vielfach deutlich unterscheiden, wie es wiederum in Abb. 68 unten zum Ausdruck kommt. Konjunkturen mUnden mit anderen Worten nicht in einen Gleichlauf der Wirtschaftsentwicklung ein, sondem in einen jeweils weiteren Zyklus, der nach aller Erfahrung weder mit dem vorangegangenen noch mit einem sonstigen aus der Vergangenheit tiber­einstimmen wird.

12.1.2 Zyklenmoster

Konjunkturschwankungen sind individuelle, zeitabhangige Schwankungen der Wirtschaftstatigkeit in einer Volkswirtschaft. Auch wenn sie sich nicht gleichen, besitzen sie doch neben den bereits genannten Charakteristika einige Ahnlich­keiten im Grundmuster. So zeichnet sich jede Konjunktur dadurch aus, daB es einen Aufschwung in Form einer (beschleunigten) Zunahme der Gtiterproduktion gibt. Ob der Aufschwung dann in eine Hochkonjunktur oder einen Boom mtin-

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det, ist nicht sicher. Die Hochkonjunktur ware durch Produktionsengpasse und Preissteigerungen gekennzeiehnet. Vielfach halt lediglich das Wachstum der Gti­terproduktion an, ohne daB es zu Uberhitzungen kommen muB, die einer Hoch­konjunktur zu eigen sind. Wie lange die Phase des Aufschwungs oder der positiven Wachstumsraten ist, kann ebenfalls nicht generell festgelegt werden.

Das notwendige Kennzeiehen einer Konjunkturschwankung besteht aber in einem schlieBlich eintretenden Abschwung, wobei die Giiterproduktion zumin­dest zunachst nieht absolut zuriickgehen muB, aber deutliche sinkende Zuwachs­raten aufweisen wird. Sofem die Wachstumsraten negativ werden, die Giiterpro­duktion also gegentiber den Vorperioden absolut sinkt, spricht man vielfach von Rezession. Ob aus einer Rezession eine krisenhafte Erscheinung in Form einer durch Firmenzusammenbriiche und durch hohe Arbeitslosigkeit gekennzeiehneten allgemeinen Wirtschaftskrise wird, hangt yom Einzelfall ab und ist beispielsweise seit dem Zweiten Weltkrieg in keiner der westlichen Industriestaaten beobachtbar. Die Zeitdauer des Abschwungs bis zum konjunkturellen Tief liillt sich nicht a11-gemein festlegen.

FUr einen Konjunkturzyklus ist es aber wiederum kennzeiehnend und not­wendig, daB die Abschwungstendenz in Form der sinkenden Zuwachsraten oder der absolut sinkenden Gtiterproduktion irgendwann durch eine Erholungsphase beendet wird, in der sich die Gtiterproduktion oder ihre Zuwachsraten stabilisieren und schlieBlich einem emeuten Aufschwung Platz machen.

In der Konjunkturforschung hat man immer wieder auch nach Regelmiillig­keiten der Konjunkturzyklen Ausschau gehalten, urn daraus fUr den Verlauf der wirtschaftlichen Schwankungen Erkenntnisse zu gewinnen und urn Reaktionsmog­lichkeiten fUr die Wirtschaftspolitik abzuleiten. Eines der Resultate aus den Beob­achtungen wirtschaftlicher Schwankungen war die Einteilung der Konjunkturen nach unterschiedlichen Zyklenliingen. So sind kurzfristige Wellen von etwa 4-jahriger Dauer von Kitchin und Crum in den USA und in England entdeckt wor­den. Diese kurzen Wellen werden daher als Crum-Kitchin-Zyklen bezeichnet. Bereits im 19. lahrhundert hat der Franzose Juglar Zyklen mittlerer Dauer mit einer ZyklenIange von 7 bis 11 Jahren nachgewiesen. SchlieBlich wurden von dem Russen Kondratieff lange Wellen mit einer Dauer von 50 bis 60 Jahren postuliert. Die Existenz solcher langen Wellen solI an groBe industriegeschichtli­che Neuerungen oder Erfindungen gekoppelt sein, die sich zunachst anregend auf die Wirtschaftstatigkeit niederschlagen ehe sie ihre Dynamik verlieren und schlieBlich nach einiger Zeit von nachfolgenden technischen Neuerungen abgelOst und tiberholt werden.

Wahrend sieh fUr Crum-Kitchin-Zyklen oder luglar-Zyklen immer wieder statistische Beobachtungen finden lassen, erscheint es tiberaus problematisch, Kondratieff-Zyklen tiberhaupt mit konsistenten MaBgroBen zu erfassen und damit als reales Phanomen zu erkennen. Die Vorste11ung der langen Wellen taucht vie 1-fach auch eher auBerhalb wirtschaftswissenschaftlicher Darste11ungen auf, zumal sie sich besonders eignet, wenn es darum geht, Vermutungen oder Spekulationen tiber langerfristige wirtschaftliche oder gese11schaftliche Veranderungen zu formu-

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lieren, fUr die es zwar einzelne Argumente gibt, die sieh aber nieht notwendiger­weise in ein gesehlossenes und naehpriitbares System integrieren lassen miissen.

12.2 Konjunkturindikatoren

12.2.1 Historische MaBgroBen

Konjunkturen sind keine auf die Neuzeit oder auf ein bestimmtes Wirtsehafts­system begrenzten Erscheinungen. Sie sind allerdings seit der industriellen Re­volution zu Beginn des 19. Jahrhunderts in erweiterter Form und in raseherer Folge eingetreten und wurden insoweit aueh als regelmaBiges Phanomen offenkundiger. Woran aber kann man nun solche umfassenden wirtsehaftliehen Sehwankungen messen? Damit ist die Frage naeh Indikatoren oder MaBgroBen fUr Konjunktur­sehwankungen gestellt. Diese laBt sich zuniiehst mit ausgewiihlten historisehen Ansiitzen erliiutern, indem auf die sehr allgemeine Fragestellung verwiesen wird, wie historisehe wirtsehaftliehe Sehwankungen tiberhaupt in Erseheinung treten und sodann aueh erfaBt oder gemessen werden konnten.

In historisehen Zeiten war das Gewicht der landwirtschaftIichen Prod uk­tion an der Gtiterproduktion einer Volkswirtsehaft viel graDer als heute und es fehlten zugleieh die weitgehenden auBenwirtsehaftliehen Lieferbeziehungen, mit denen Produktionssehwankungen aueh tiber Kontinente hinweg hatten kompensiert werden konnen. Von daher liegt es nahe, daB Schwankungen in der Agrarpro­duktion, d.h. gute Ernten und schlechte Ernten oder MiBernten, sich in der Ver­sorgung der Bevolkerung mit Nahrungsmitteln niedergeschlagen haben. Infolge­dessen haben sich vorrangig Hungersnote als ein fUr alle erkennbares Zeiehen einer geringen Versorgung mit Glitern ins BewuBtsein eingepragt. Ais Musterbeispiel einer solchen Konjunkturschwankung seien die sieben fetten und die sieben mage­ren Jahre des Buchs Genesis im Alten Testament angefiihrt. Ais Indikator der Wirt­sehaftsentwicklung erseheint die gemessene Menge des geernteten Getreides. "Es begannen jetzt die sieben fruchtbaren Jahre, in denen die Felder reiche Ertrage brachten. " (Gen.41,47) "In den Speichern haufte sich das Getreide wie der Sand am Meer. Josef mujJte schliejJlich darauf verzichten, es abmessen zu lassen, wei! man nicht mehr damit nachkam. " (Gen. 41, 49) "Als die sieben reichen Jahre voriiber waren, brachen die Hungerjahre an .,. In allen Landern aujJer Agypten herrschte Hungersnot. " (Gen. 41, 53,54) "Auch in A.gypten hungerten die Men­schen .. "(Gen. 41, 55) " ... aus allen anderen Landern kam man ... nach Agypten; denn uberall herrschte Hunger. "(Gen.41, 57).

Die MaBgroBen fUr die landwirtschaftliehe Produktion sind seither auf andere Produkte neben dem Getreide ausgedehnt worden, haben aber bis zum Ausgang des Mittelalters ihre Funktion als wesentliehes Kennzeichen fUr die wirtschaftliche Entwicklung einer Volkswirtsehaft insgesamt erhalten. Die Agrarproduktion stand aueh deshalb im Vordergrund, weil die Messung der Gliterproduktion von Hand-

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werkern, Kiinstlern und Hfuldlern oder die des Staates (der Obrigkeit) sowie des Klerus nieht hinreichend vollstfuldig m5gIich war oder vorgenommen wurde.

Mit der Industrialisierung ist das erkennbare Volumen der Industriepro­duktion gestiegen und zugleich hat die Abhfulgigkeit der Bev5Ikerung von der rein nationalen Agrarproduktion abgenommen, wei! der wachsende internationale Wa­renhandel zum Ausgleieh von Versorgungsengpassen in einzelnen VoIkswirt­schaften oder Gebieten der Erde beitragen konnte. Als Indikatoren der Wirt­schaftstatigkeit sWilt man seit dem 19. lahrhundert verstarkt auf MaDe der Indu­strieproduktion, wobei quantitative technische Einheiten im Vordergrund stehen. MaBe wie die Stahlproduktion in Mio. Tonnen, die Kohlef6rderung in Mio. Ton­nen, die Warentransportleistung der Eisenbahn in Kilometer-Tonnen, die Baulei­stung an Schiffstonnage und dergleichen wurden verwendet. Mit diesen techni­schen Gr5Ben der Industrieproduktion lassen sich selbstverstandlich wirtschaftliche Schwankungen nachvoIlziehen, denn in wirtschaftlich guten Zeiten steigt die men­genmaBige Produktion dieser Giiter an, und sie sinkt in einem wirtschaftlichen Abschwung oder Niedergang. Gleichwohl muB daraufverwiesen werden, daB diese Mengenangaben aIlenfaIls grobe Naherungsgr5Ben fUr die gesamte 5konomische, bewertete Guterproduktion oder das Einkommen in einer Volkswirtschaft sind. Die mengenmaBig erfaBte Industrieproduktion stellt inuner nur einen Teil der Gii­terproduktion eines Landes dar. Es kommt hinzu, daB technische MaBgr5ilen wie Tonnen keine unbedingt sinnvollen okonomischen Indikatoren fUr die wirt­schaftliche Aktivitat der betrachteten Wirtschaftsbereiche sein mussen, so daB sie als KonjunkturmaB von vornherein unvollstfuldig bleiben und gegebenenfalls zu 5konomischen Fehlinterpretationen fUhren k5nnen.

Gegen Ende des 19. lahrhunderts traten neben der Industrieproduktion auch Indikatoren verswkt ins Blickfeld, die aus dem monetaren oder Vermogensbe­reich der VoIkswirtschaften stammten. Es wurden damit Zinsentwicklungen zur Konjunkturbeurteilung herangezogen oder die Entwicklungen von Aktienkursen. 1m ubrigen sind Preisveranderungen insbesondere bei Rohstoffen oder bei Indu­strieprodukten als m5gIiches MaB fUr die Wirtschaftstatigkeit gewertet worden.

Mit dem Ubergang zum 20. lahrhundert versuchte man Konjunkturschwan­kungen in zunehmendem MaBe auch in ihrem EinfluB auf Arbeitsmarktgege­benheiten zu erfassen, bzw. die Verfulderungen im AusmaB der Besch!iftigung oder der Arbeitsiosigkeit als Indikatoren heranzuziehen. Der Zusammenhang zwischen guter Wirtschaftslage und hoher Besch!iftigung sowie zugleieh geringer Arbeitslosigkeit und schlechter Wirtschaftslage, die mit hoher Arbeitslosigkeit einhergeht, wurde von Konjunkturbeobachtern seit der Zeit der Industrialisierung und der damit verbundenen Zunahme der Industriearbeiterzahlen immer wieder verfolgt. Die dabei unterstellten engen gegenseitigen Abhfulgigkeiten zwischen Wirtschaftstatigkeit und Arbeitslosigkeit bestanden und bestehen jedoch keinesfalls inuner, wie oben im Kapitel 9 erUiutert wurde.

Seit den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts machte schlieBIich die Erfas­sung der gesamtwirtschaftlichen Guterproduktion und des gesamtwirtschaftlichen Einkommens als MaBgr5Ben fUr die wirtschaftliche Aktivitat einer VoIkswirtschaft

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erhebliche Fortschritte. Die insoweit entwickelten MaBkonzepte Bruttoinlands­produkt, Bruttosozialprodukt, Volkseinkommen und zuletzt Bruttonationalein­kommen werden daher als umfassende Indikatoren der wirtschaftlichen Aktivitaten und ihrer Schwankungen herangezogen. Die dafiir erforderliche Volkswirtschaftli­che Gesamtrechnung ist gleichwohl erst nach dem Zweiten Weltkrieg hinreichend vollstandig ausgearbeitet worden, so daB ihre Ergebnisse detailliert und zeitnah zur VerfUgung stehen.

12.2.2 Anforderungen an Konjunkturindikatoren

Die aktuelle Konjunkturbeobachtung durch die Wirtschaftspolitik, die Zentral­banken, den Sachverstandigenrat und die Wirtschaftsforschungsinstitute erfolgt mit einem bunten Bild unterschiedlicher Indikatoren, die sich zudem aus verschie­denen einzelnen MaBgroBen zusammensetzen und deren Gewichte und Interpreta­tionen nicht einheitlich sind. Trotz des umfassenden MaBkonzepts fiir die Giiter­produktion in einer Volkswirtschaft in Form des Bruttoinlandsprodukts gibt es viele weitere Indikatoren. Ein einheitlicher, allgemein anerkannter Konjunk­turindikator liegt nicht vor. Begriinden laBt sich diese Unzulanglichkeit zum einen damit, daB die Konjunkturen in den Volkswirtschaften iiber die Zeit hin und zwischen den unterschiedlichen Volkswirtschaften zwar durch Parallelitaten im Auf und Ab der Wirtschaftsaktivitaten gekennzeichnet sind, gleichwohl aber durch spezifische Einzelereignisse und Besonderheiten ausgelost oder in ihrem Verlauf gepragt werden, so daB ein einzelner Indikator die Konjunkturen von vornherein nur unzureichend erfassen kann.

Es kommt hinzu, daB Konjunkturindikatoren danach ausgewahlt und in­terpretiert werden, welche wirtschaftstheoretische Konzeption als Begriindung fiir wirtschaftliche Schwankungen Verwendung findet. Jeder Indikator steht insoweit in einer Abhangigkeit zu einer wirtschaftstheoretischen Basis, die es erst ermog­licht, einen gemessenen Sachverhalt in seiner wirtschaftlichen Bedeutung zu erfas­sen. Die gemessenen GroBen und ihre sich andemden Werte iiber einen Konjunk­turzyklus hin sind daher immer nur innerhalb einer wirtschaftstheoretischen Mo­dellvorstellung aussagefahig. Konjunkturindikatoren miissen mit anderen Worten nicht nur mit Blick darauf ausgewahlt werden, daB sie ein optisch einpragsames Bild der Veranderungen der wirtschaftlichen Aktivitat vermitteln. Sie sollen auch helfen, die Schwankungen auf erklarende Einfliisse zuriickzufUhren. Ein guter Indikator hat demnach bei der Suche nach den Grunden fiir das Entstehen und das AusmaB der Schwankungen beizutragen und damit wiederum die Voraussetzungen fUr einen zielgerichteten Einsatz wirtschaftspolitischer Mittel zu schaffen.

Da es keine abgeschlossene makrookonomische Theorie gibt, s10Bt man entsprechend auf unterschiedliche Konjunkturindikatoren und abweichende Interpretationen. 1m Extremfall werden von Konjunkturbeobachtem lediglich MaBgroBen unter Zuhilfenahme erheblichen statistischen bzw. okonometrischen Aufwands konstruiert und erhoben, ohne daB ein nachpriifbarer Gedanke an deren Aussagefahigkeit im Rahmen eines wirtschaftstheoretischen Zusammenhangs ver-

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schwendet wird. Es geht dann lediglich urn "measurement without theory", was nichts anderes bedeutet, als daB GroBen konstruiert und gemessen werden, deren Aussagefahigkeit von vornherein unklar bleibt und zum Teil mit null anzusetzen ist.

Unabhlingig von der verwandten wirtschaftstheoretischen Konzeption sollen Konjunkturindikatoren eine Konjunkturschwankung gut abbilden und einen Zyklus generieren, der den Aufschwung und den Abschwung nachvollziehbar dar­stellt. Gute Indikatoren zeichnen sich zudem dadurch aus, daB sie die konjunk­turellen Wendepunkte exakt markieren und damit den Ubergang von der Auf­schwungs- zur Abschwungsphase und urngekehrt eindeutig erkennen lassen.

Wenn mit dem Zyklenbild zugleich Versuche zur Erklfuung der Konjunktur­schwankungen verbunden sein sollen, ist es von besonderer Bedeutung, auf Indi­katoren zuruckgreifen zu konnen, die der wirtschaftlichen Entwicklung vor­auslaufen und nach Moglichkeit eine Kausalbeziehung zu der spater eintretenden Gesamtentwicklung aufweisen. Die Suche nach solchen vorauslaufenden Indikato­ren ist nicht durchweg von Erfolg gekront Hierbei spielt wiederum eine Rolle, daB Konjunkturen nicht immer auf die gleiche Ursache zuruckzufiihren sind, so daB in Abhlingigkeit von den jeweiligen Ursachen auch jeweils andere vorauslaufende Indikatoren herauszufinden sind und verfolgt werden miissen.

Gleichlaufende Indikatoren bewegen sich zeitlich parallel zur Wirtschafts­entwicklung, wahrend nachlaufende Indikatoren den Stand der Wirtschaftsent­wicklung erst mit einer zeitlichen Verzogerung anzeigen. Faktisch gleichlaufende Indikatoren konnen allerdings zu nachlaufenden Indikatoren werden, wenn die statistische Erhebung der Indikatorenwerte eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt und die tatsachlichen Werte des gleichlaufenden Indikators erst dann vorliegen, wenn beispielsweise drei bis sechs Monate seit Eintritt der Entwicklung vergangen sind.

12.2.3 Ausgewahlte Konjunkturindikatoren

Unter der Vielzahl der Konjunkturindikatoren stoBt man immer wieder auf Indi­katorengruppen, die vorwiegend groBe Wirtschaftsbereiche in Blickfeld rucken. Es sind dies die Bereiche Giiterproduktion und Giitemachfrage, Arbeitsmarkt, Au­Benwirtschaft sowie Geld und Preise. Die Verwendung der Indikatoren wird zu­meist nicht nliher begriindet und laBt sich nur indirekt in einen wirtschaftlichen Wirkungszusammenhang einordnen.

Ais MaB fUr die Giiterproduktion nimmt das reale Bruttoinlandsprodukt eine zentrale Stellung ein. Abb. 68 zeigt anhand der Wachstumsraten dieses Indi­kators die in Zyklen verlaufende Wirtschaftsentwicklung in Deutschland von 1961 bis 2000 auf.

Die Konjunkturentwicklung, die in Abb. 68 mit Hilfe der Wachstumsraten des realen Bruttoinlandsprodukts dargestellt ist, macht deutlich, daB im Beobach­tungszeitraurn vier Rezessionsjahre zu verzeichnen sind, in denen negative Wachstumsraten auftreten. Es sind dies die Jahre 1967, 1975, 1982 und 1993. Die

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Zeitraume zwischen den Rezessionsjahren, die von der Dauer dem Juglar-Zyklus entsprechen, verlaufen aber weder stetig noch nach dem in Lehrbiichem zu fmden­den Zyklenmuster einer Sinuskurve, sondem lassen eher noch kiirzere Schwankun­gen mit geringeren Ausschlagen erkennen und spiegeln insoweit die Zyklendauer der kurzen Wellen wider.

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QueUe: Eigene Berechnungen auf der Basis der Daten zum BIP in konstanten Preise aus den Jahresgut­achten des Sachverstandigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 1998/99, Tab. 21 * und 2001/02, Tab. 17 *. Die Werte bis 1991 beziehen sich auf das friihere Bundesgebiet, die Werte ab 1992 beziehen sich auf Deutschland.

Abb. 68: Konjunkturzyklen in Deutschland

Neben dem realen Bruttoinlandsprodukt, das als Indikator keine weiteren wirtschaftstheoretischen Voraussetzungen fUr die gemessenen Werte unterstellt, wird nicht selten auf einen MaBstab zurUckgegriffen, der sich nur mittels eines wirtschaftstheoretischen Konzepts begriinden laBt, gemeint ist hier die Produkti­onslucke oder die gesamtwirtschaftliche Kapazitatsauslastung. Insbesondere der Sachverstandigenrat, die Bundesbank aber auch beispielsweise die OECD benutzen diese MaBgrofie. Die Produktionsliicke (output gap) ist die Differenz zwischen dem effektiven und dem normalen Auslastungsgrad der volkswirtschaftli­chen Produktionskapazitaten. Unter dem gesamtwirtschaftlichen Produktionspo­tential selbst wird jene Wirtschaftsleistung verstanden, die bei gegebener Techno­logie mit den vorhandenen Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital produziert

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werden kann, wenn diese mit norma1er Intensitat genutzt werden. Die absolute Produktions1iicke gibt AufschluB dariiber, inwieweit wlihrend eines bestimmten Zeitraums effektive Giitemachfrage (gemessen am rea1en BIP) und rea1isierbares Giiterangebot (gemessen am gesamtwirtschaft1ichen Produktionspotential) nurne­risch iibereinstimmen beziehungsweise voneinander abweichen. Die relative Pro­duktions1iicke, d.h. die absolute Produktions1iicke bezogen auf das Produktionspo­tentia1, wird a1s Spannungsindikator fUr den giiterwirtschaftlichen Bereich einer Volkswirtschaft benutzt, mit dessen Hilfe die zyklische Position der Wirtschaft festgestellt werden solI (Vgl. Deutsche Bundesbank, Monatsbericht April 1997, S. 34 0. Diese Produktionsliicke setzt eine ganz spezielle Hypothese fUr die daran gemessenen Konjunkturschwankungen voraus, da sie die Schwankungen als Ab­weichungen von einem Produktionstrend interpretiert, wobei sich der Produktions­trend ausschliel3lich aus einer Produktionsfunktion ergibt, die ihrerseits auf oko­nomische Signale einer jeweiligen Periode nicht reagieren kann. Den Produktions­trend a1s Normalentwick1ung zu charakterisieren, entspricht einem mechanistischen Weltbild und abstrahiert insoweit von okonomischen Gegebenheiten. Was okono­misch unter spezifischen wirtschaftlichen Bedingungen eines Zeitraurns "normal" ist, kann aus keiner Produktionsfunktion entnommen werden, sondem ergibt sich a1s Resultat der Marktverhli1tnisse, in die alle Informationen der Wirtschaftssub­jekte eintlieBen. Die Produktionsliicke erscheint daher als eine Spielart nichtOko­nomischen Denkens, mit dem okonomische Zusammenhange von vornherein nicht sinnvoll betrachtet werden konnen. Dies gilt dann noch urn so mehr, wenn die Produktions1iicken lediglich mit keynesianischen Nachfrageschwankungen erklart werden, und die anderen gesamtwirtschaftlichen Markte neben dem Giitermarkt unberucksichtigt bleiben.

1m iibrigen werden die Nachfragekomponenten auf dem Giitermarkt und deren jeweilige Entwicklung betrachtet, urn daraus Griinde fUr gesamtwirtschaft­liche Schwankungen herauszufinden. Der private Verbrauch und die Konsum­ausgaben des Staates finden dabei Beachtung. Noch intensiver wird aber die Investitionsnachfrage betrachtet, wei1 sie im Unterschied zu den Verbrauchsgro­Ben besonders erwartungsabhlingig ist und in aller Regel groBeren Schwankungen unter1iegt. Dies laBt die Investitionen als vie1fach geeigneten Konjunkturindikator erscheinen, der wegen der Abhlingigkeit von auf die Zukunft gerichteten Erwar­tungen als voraus1aufender Indikator verwendet werden konnte.

In Abb. 69 ist die Entwicklung der Investitionen anhand der Wachstumsraten der realen Bruttoanlageinvestitionen in Deutschland im Zeitraum von 1961 bis 2000 dargestellt. Es zeigt sich daB die Investitionen nicht nur deutliche Schwan­kungen aufweisen, sondem daB beispielsweise die negativen Wachstumsraten in den Jahren 1967, 1973-75, 1981-82 und 1992-93 auffiilIig mit den durch das reale BIP gemessenen Rezessionsjahren in Abb. 68 iibereinstimmen. In aller Regellau­fen auch die Investitionsentwicklungen der gesamten Giiterproduktion voraus.

Aus der Parallelitat der Zyklenmuster von BIP und Investitionen liillt sich al­lerdings noch keine kausale Erkliinmg der Konjunkturschwankungen ableiten. Hierbei ist auch zu berucksichtigen, daB das Gewicht der Investitionen am Brut­toinlandsprodukt iiber den Zeitraum hin von iiber einem Viertel auf etwa ein Fiinf-

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tel abgenommen hat. Dies mindert die konjunkturelle Wirksamkeit von A.nderun­gen in der Investitionstatigkeit.

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Jahr

Quelle: Eigene Berechnungen auf der Grundlage der Daten zu den realen Anlageinvestitionen bzw. den realen Bruttoanlageinvestitionen der lahresgutachten des Sachverstandigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, 1998/99, Tab. 28*,2001/02 ,Tab. 24 *. Gebietsangaben wie in der Quelle zu Abb. 68.

Abb. 69: Entwicklung der Investitionen in Deutschland

1m gleiehen Beobachtungszeitraum hat sich jedoch das Gewicht der realen Ausfuhr an Waren und Diensdeistungen im Verhaltnis zum BIP nachhaltig erhoht. Es iibertrifft mit rd. einem Drittel das der Investitionen deutlich. Daher liegt es nahe, die Ausfuhr und ihre Veranderungen als fUr die nationale Giiterproduktion bedeutsame GroBen zu betrachten. Angesichts des groBen Gewiehts der Ausfuhr als gesamtwirtschaftliche Nachfragekomponente und der aus nationaler Sieht weit­gehenden Exogenitat der Finanzierung der Ausfuhrstrome kann eine konjunkturelle Wirksamkeit der Ausfuhr fUr die deutsche Volkswirtschaft nicht ausgeschlossen werden. Abb. 70 stellt infolgedessen die Wachstumsraten der deutschen Ausfuhr gemessen an der realen Ausfuhr von Waren und Dienstleistungen dar. Zumindest in den Rezessionsjahren 1993 und 1975 zeigt sich eine Parallelitat der Ausfuhrent­wicklung mit der des Bruttoinlandsprodukts. Die Abbildung aIle in darf aber noch nieht als kausale Interpretation der Konjunkturausschlage in Deutschland verstan-

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den werden. Hierzu waren weitergehende wirtschaftstheoretische Fundierungen erforderlich, die an dieser Stelle nicht eriautert werden konnen.

Jahr

Quelle: Vgl. die Quellenangaben zu Abb. 69.

Abb. 70: Entwicklung der deutschen Ausfuhr

Neben den genannten Indikatoren [mdet man aus dem Bereich der Giiterpro­duktion und der Gutemachfrage vomehmIich die Produktionsindizes der Industrie und die Indizes der Auftragseingange im Verarbeitenden Gewerbe als Konjunk­turindikatoren. Beide liegen zeitlich friiher vor ais die Daten zum Bruttoiniands­produkt. Gieichwohl sind beide Indikatoren nor beschriinkt aussagekriiftig, weil sie sich Iediglich aufkIeinere Teilbereiche der Guterproduktion beziehen.

Den Indikatoren des Arbeitsmarkts wird in der Wirtschaftspolitik vielfach eine besondere Bedeutung beigemessen. Diese Bedeutung ist vomehmlich mit der sozialen oder sozialpolitischen Dimension von Arbeitsmarktentwicklungen er­klarbar. Als Ma8gro8en fUr die Konjunktur sind Arbeitsmarktdaten jedoch nieht ohne weitere Interpretation zu verwenden.

Recht offenkundig ist der Zusammenhang zwischen gesamtwirtschaftlicher Aktivitat oder Giiterproduktion und der Zahl der Erwerbstatigen. Mit stei­gender Giiterproduktion nimmt auch die Zahl der Erwerbstatigen ZU, mit rUckiaufiger Giiterproduktion sinkt sie. Dieser prinzipielle Zusammenhang wird

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allerdings dadurch beeintracbtigt, daB einerseits Produktionsschwankungen mit der gleichen Zahl von Erwerbstatigen realisiert werden, wofUr auf Uberstunden oder Kurzarbeit ausgewichen wird. Zum anderen ist damit zu rechnen, daB bei nachhaltigen Veriinderungen der Gilterproduktion die Zahl der Erwerbstatigen im Aufschwung zwar steigt und im Abschwung fallt, dies jedoch mit einer zeitlichen Verzogerung eintritt, nachdem bereits Uberstunden oder reduzierte Arbeitszeiten als Puffer ausgeschOpft wurden. Die Zahl der Erwerbstatigen ist daher ein nach­laufender Indikator. Die zeitverzogerte Parallelitat der Entwieklungen von Er­werbstatigenzahl und Guterproduktion wird schlieOlich noch dadurch verzerrt, daB uber die Zeit hin Produktivitatssteigerungen eintreten, so daB gleiche Gutermen­gen mit weniger Erwerbstatigen produziert werden konnen. 1m Aufschwung wer­den deshalb nieht viel mehr Erwerbstatige benotigt, im Abschwung aber viele Arbeitsplatze entfallen.

Die MaBgroBe Arbeitslose verlauft auf den ersten Blick spiegelbiJdlich zur Erwerbstitigenzahl und damit zur Konjunktur. Ein Sinken der Arbeitslosenzahlen im Aufschwung und ein Steigen im Abschwung ergibt sich jedoch nur bei Kon­stanz der Erwerbspersonen. Wenn die Erwerbspersonen selbst zunehmen, kon­nen in einem konjunkturellen Aufschwung sowohl die Zahlen der Erwerbstatigen als auch die der Arbeitslosen steigen. Ein konjunktureller Abschwung wird bei steigenden Erwerbspersonen ein starkeres Anwachsen der Arbeitslosenzahlen mit sich bringen als es durch die rucklaufige Erwerbstatigkeit zu erwarten ware. Die Arbeitslosenzahlen sind demnach absolut oder als Quote kein besonders geeigneter Indikator der Wirtschaftsentwieklung, zumal wenn die erwahnten Produktivitats­steigerungen hinzukommen.

Au8enwirtscbaftlicbe Ma8groJlen wie die Warenexporte, der AuBenbei­trag, Leistungsbilanzsalden oder Wechselkursniveaus werden zur Charakterisie­rung der Wirtschaftslage immer wieder herangezogen. Ihre Interpretation als MaBgroBe oder AnstoB fUr konjunkturelle Entwieklungen ist jedoch problema­tisch, da wie aus Kapitel 11 erkennbar uberaus vielziihlige Einflusse auf diese GroBen wirken. Nur nach griindlicher PrUfung des weiteren internationalen wirt­schaftlichen Umfelds lassen sich eventuelle konjunkturelle Zusammenhiinge her­auskristallisieren. Dieser Frage gehen im ubrigen die Forschungen nach, die sich mit dem internationalen Konjunkturzusammenhang befassen und dabei ver­schiedene Hypothesen zur internationalen Konjunkturtransmission uberprufen.

Unter den GeldgroOen ragen historisch Zinsen und Preise hervor, da sie am leichtesten erfaBbar und meBbar waren. Fur heutige international verflochtene Volkswirtschaften ist jedoch zu beachten, daB beispielsweise die langfristigen Zinsen in einer Volkswirtschaft wesentlich von den internationalen Kapitalmarkten gepragt werden und sich insoweit einer nationalen konjunkturpolitischen Interpre­tation entziehen. Sie mussen daher nicht systematisch mit konjunkturellen Auf­oder Abschwiingen verbunden sein. Soweit bei den kiirzerfristigen Zinsen, den Geldmarktzinsen, ein groBerer Grad an nationaler Autonomie besteht, werden steigende Zinsen in einer Boomphase und sinkende Zinsen im Abschwung zu er­warten sein. Hierbei konnen sich allerdings noch Uberlagerungen mit Inflationser-

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scheinungen ergeben, wodurch die nominellen Zinsen erst niiher aufbereitet oder analysiert werden mUssen, ehe sich daraus ein RUckschluB auf die Konjunktur ziehen laBt.

Zwischen Preisen und Konjunktur besteht ebenfalls kein stabiler Zusam­men hang, auch wenn in einigen historischen Perioden konjunkturelle Auf­schwiinge mit Preissteigerungen und Abschwiinge mit fallenden oder langsamer steigenden Preisen verbunden waren.

Hin und wieder erwartet man von Geldmengenentwicklungen gleichgerich­tete Veranderungen der GUterproduktion und damit der Konjunktur. Insbesondere eine steigende und zwar unerwartet steigende Geldmenge oder eine unerwartet zunehmende Wachstumsrate des Geldvolumens kann einen anregenden EinfluB auf die GUterproduktion haben, der sich allerdings nach kurzer Zeit verfluchtigt und lediglich einen Preisanstieg oder eine hOhere Inflationsrate zu Folge haben wird. Entsprechend umgekehrte Tendenzen k6nnen von einer nicht vorausgesehenen Geldmengenreduktion oder einer unerwarteten Verringerung der Geldmengen­wachstumsrate ausgehen. Wie aber im Zusammenhang mit den Transmissionsme­chanismen unter 10.6.4 dargestellt, sind die Abhangigkeiten zwischen Geldmenge und Giiterproduktion keinesfalls sicher oder feststehend, so daB sich Geldmengen­gr6Ben nicht automatisch als Indikatoren fiir die Konjunkturentwicklung eignen.

Die bisher insgesamt aufgezeigte Unsicherheit bei der Einschlitzung der Qualitat der Konjunkturindikatoren beruht in erster Linie auf dem Fehlen einer stringenten wirtschaftstheoretischen Basis fiir die Indikatoren und deren konkrete MeBwerte. Bislang versuchen viele Konjunkturbeobachter diesem Dilemma da­durch zu entgehen, daB sie auf weitere MaDgroDen zurUckgreifen, deren wirt­schaftstheoretische Interpretationsmoglichkeit noch geringer ist als bei den oben angefiihrten Gr6Ben. Auch wenn dies den Anspruchen einer seri6sen wissen­schaftlichen V orgehensweise nicht geniigt, wird dieser Weg beschritten und nicht selten damit gerechtfertigt, daB die Ergebnisse aus der Verwendung von eher im­pressionistischen Indikatoren vielfach nicht schlechter und zum Teil sogar besser sind als die aus den Uberkommenen MaBen. Zu erwiihnen sind hier Stimmungsin­dikatoren, wie beispielsweise der Ifo-Geschliftsklima-Index oder der F AZ-Kon­junkturindikator. Auch fiir das Euro-Wiihrungsgebiet liegen sogenannte Gesamt­indikatoren vor, die Informationen aus unterschiedlichen Quellen und zu ver­schiedenen Aspekten der Wirtschaft mit Blick auf die aktuelle Entwicklung und kurzfristigen Aussichten fiir die Konjunktur zusammenfassend darstellen. Die EZB stellt aber zu Recht fest, daB solche Gesamtindikatoren eine umfassende Wirt­schaftsanalyse, die auf einer breiten Palette von Einzelindikatoren beruht, nicht ersetzen kann. (Vgl. EZB Monatsbericht November 2001, S. 45 tl).

Die Eignung einer wirtschaftlichen Gr6Be als Konjunkturindikator existiert nicht per se, sondern erfordert die Einbindung der Gr6Be in einen fundierten wirtschaftstheoretischen Zusammenhang, der kausale Verbindungen zwischen dem Indikator, seinen MeBwerten und der gesamtwirtschaftlichen AktiviUit deut­lich machen kann. Hieran kranken die meisten Indikatoren, wobei das Problem

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weniger bei den Indikatoren selbst liegt, als bei der makrookonomischen Theorie, die bislang kaum in der Lage ist, eine hinreichende theoretisehe Basis zu lief em.

12.3 Konjunkturtheorien

12.3.1 Aufgabenstellung der Konjunkturtheorien

Konjunkturtheorien sollen ErkIarungen dafiir lief em, wieso es zu den Schwan­kungen der gesamtwirtschaftlichen Aktivitat kommt und welche Wirkungsab­Uiufe zwischen einzelnen okonomisehen GroBen vonstatten gehen, damit sich gesamtwirtsehaftliche Aufsehwfulge und Abschwfulge ergeben. Bei der Erklarung der Schwankungen und der okonomisehen Ablaufe in den Aufsehwfulgen und Absehwfulgen wird man nieht immer von gleichartigen AnstoBen oder deekungs­gleichen Wirkungszusammenhangen ausgehen konnen. Daher wird es erforderlich sein, mehrere ErkIarungsansatze oder Theorien in Betracht zu ziehen, die sieh in den jeweils unterschiedliehen Gegebenheiten besonders eignen. Die Konjunktur­theorien haben neben einer okonomiseh stringenten Konjunkturerklarung dazu beizutragen, schlussige und gut interpretierbare Indikatoren zu definieren. SehlieBlich soll eine okonomisch fundierte Konjunkturtheorie auch die Vorausset­zungen dafUr lief em, daB konjunkturpolitische Ma6nahmen zielgeriehtet einge­setzt werden konnen, sofem die Konjunkturursaehen und die Ablaufe uberhaupt Ansatzmoglichkeiten bieten, denn nieht jede Konjunkturschwankung wird sich wirtsehaftspolitiseh steuem oder beeinflussen lassen.

Die Konjunkturtheorie als Forsehungsriehtung wird vielfach als Kronung der Wirtschaftstheorie angesehen, denn Konjunkturtheorie will nieht nur Einzeler­seheinungen aus dem WirtsehaftsprozeB analysieren, sondem die wirtsehaftliehen Abhangigkeiten fUr eine gesamte Volkswirtschaft erfassen und dabei die dynami­sehen Zusammenhange herausarbeiten, die in ihrer Konsequenz zu den Schwan­kungen der wirtsehaftliehen Aktivitat fiihren. Eine empirisch bedeutsame Kon­junkturtheorie moB insoweit das Zusammenspiel der behandelten vier gesamtwirt­schaftliehen Markte, des Giitermarktes, des Arbeitsmarktes, des Geldmarktes und des Marktes fUr intemationales Kapital analytisch betraehten, da sich erst aus allen vier Markten gemeinsam ein sinnvolles Bild der gesamtwirtsehaftliehen Prozesse unter Berueksichtigung der Kreislaufabhangigkeiten ergibt.

Damit sind ErkIlirungsversuche, die Schwankungen einer gesamten Volkswirtsehaft aus lediglich einem Markt heraus begrfinden, wie z.B. die sim­plen Multiplikator-Akzelerator-Modelle, die sieh ausschlieBlieh auf einige Giiter­marktzusammenhange stiitzen, von vornherein kaum als verwertbare Konjunk­turtheorie geeignet. Diese Kritik gilt aueh, wenn nur Teilaspekte des Giitermarktes mit Teilaspekten des Arbeitsmarktes verknupft werden, urn daraus Beschaftigungs­veranderungen zu begriinden. In der wirtsehaftspolitischen Diskussion sind solche verkfuzten Ansatze, beispielsweise bei staatlichen Konjunkturprogrammen, gleiehwohl haufig anzutreffen, zumal sie flir AuBenstehende einfache Handlungs-

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moglichkeiten zu erofihen scheinen. Die auf der Grundlage so1cher verkiirzten Ansatze angestrebten beschaftigungspolitischen Konsequenzen, werden sich in aller Regel mangels hinreichender okonomischer Fundierung, nicht einstellen. Diese prinzipielle Einschrankung fUr Konjunkturerklarungen soIl im wesentlichen davor hiiten, aus Einzelerscheinungen auf einem Markt bereits einen tatsachlichen Grund fUr gesamtwirtschaftliche Schwankungen abzuleiten. Hierfiir ist nicht nur eine hinreichende Dimension eines AnstoBes erforderlich, sondem es muB ein okonomisch begriindeter Obertragungsweg bzw. ein TransmissionsprozeB iiber alle anderen gesamtwirtschaftlichen Markte hin bestehen, der im Endergebnis zu ge­wichtigen Schwankungen in der Giiterproduktion fiihrt. Entsprechend umgekehrt gilt auch, daB eine wirtschaftspolitische MaBnahme auf einem Markt nicht notwen­digerweise konjunkturelle Auswirkungen haben wird. Sie erweist sich nur dann als konjunkturell bedeutsam, wenn auch andere Markte aus dem Kreislaufzusammen­hang oder dem TransmissionsprozeB nachhaltig beeinfluBt werden.

Angesichts dieser Anforderungen darf es nicht verwundem, daB eine allge­meine oder allgemein anerkannte Konjunkturtheorie nieht existiert. Die Auf­gabenstellung der Konjunkturtheorien, okonomische Erklarungen von gesamt­wirtschaftlichen Schwankungen unter Beachtung der Interdependenz der vier ma­krookonomischen Markte vorzulegen, ist nicht gelOst. Die vorliegenden Erkla­rungsversuche bleiben daher von vornherein auf Teilaspekte beschrankt, auch wenn diese durchaus gewichtig sein mogen.

12.3.2 Exogene Konjunkturtheorien

Konjunkturtheorien lassen sich recht grob danach einteilen, wo sie den entschei­den den AnstoB fUr die wirtschaftliche Veranderung vermuten, der sich dann in einem Zyklenmuster der gesamtwirtschaftlichen Aktivitat niederschlagt. Exogene Konjunkturtheorien unterstellen, daB der Ansto8 von au8erhalb des Wirt­schaftsprozesses einer Volkswirtschaft stammt. Ais Beispiele hierfiir konnen Na­turkatastrophen, Kriege, politische Handlungen und Auslandseinfliisse gelten, die yom Inland her nicht beeinfluBbar sind.

So kann eine Naturkatastrophe als Beispielsfall eines exogenen AnstoOes angenommen werden. Die Katastrophe vemichtet u.a. Vermogensgegenstande in groBerem AusmaB. Wenn die Wirtschaftssubjekte diese Vermogensgegenstande wie Gebaude und Gebrauchsvermogen als ZielgroBen ihres wirtschaftlichen Ver­haltens sehen, werden sie nach der Katastrophe eine verstarkte Giitemachfrage ausilben, um den Vermogensbestand wiederherzustellen. Dies kann einen kon­junkturellen Aufschwung auslOsen, sofem die Finanzierung der verstarkten Nach­frage nicht an anderer Stelle der Volkswirtschaft zu ausfallender Nachfrage fiihrt, was jedoch vielfach zu erwarten ist. Selbstverstandlich wird sich ein moglicher Aufschwung auf dem Giitermarkt auch auf dem Arbeitsmarkt niederschlagen, er kann dort aber durch die Reaktionen des Reallohns modifiziert werden, so daB nicht automatisch eine groBere Zunahme der Erwerbstatigen resultiert. Die Nach­frageausweitung wird in dem Beispielsfall auch zeitlich und dem Volumen nach

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begrenzt sein, weshalb der Aufschwung nach einiger Zeit quasi von allein in Ab­schwachungstendenzen miindet.

Ais Musterbeispiele exogener KonjunkturanstoBe werden die sogenannten Politik-ZykJen angesehen. Der politische Bereich einer Volkswirtschaft verfolgt vielfach spezifische auBerokonomische Ziele, was nicht immer ohne Riickwirkun­gen auf die wirtschaftlichen Aktivitaten bleiben muB. Hierbei sind nicht so sehr die iiblichen Steuersatzanderungen bzw. mehr oder weniger hohe Gesamtausgaben des Staatssektors von Bedeutung, die sich im wesentlichen in der allokativen Wirkung erschOpfen, d.h. nur die Giiterzusammensetzung in der Volkswirtschaft, nicht aber das Gesamtvolurnen der Giiterproduktion verandem. Entscheidender sind vielmehr die Handlungen des Staates, die zu grundsatzlichen Veranderung der Wirtschafts­bedingungen und der fundamentalen Einkommens- und Ertragserwartungen fiihren. Ais markantes Beispiel fUr Politik-Zyklen fiiiherer Jahre seien die Vorhaben einer Reihe von Regierungen bis in die 70er Jahre erwabfit, die weite Bereiche der Wirt­schaft verstaatlichen wollten und auch entsprechende MaBnahmen in die Wege geleitet haben. Zurn Teil wurden sie hiemach relativ bald durch andere parlamenta­rische Mehrheiten abgelost, die das Verstaatlichungsprogramm wieder rUckgangig gemacht haben. Unabhangig von den angestrebten Vor- und Nachteilen verstaat­lichter Wirtschaftsprozesse bleibt als Konsequenz eine massive EinfluBnahme auf die jeweiligen Grundbedingungen wirtschaftlichen Handelns und damit die Erwar­tungen der Wirtschaftssubjekte. Sofem es den Regierungen gelingt, diesen EinfluB zyklenhaft auszuiiben, sind Schwankungen in der gesamtwirtschaftlichen Aktivitat nicht auszuschlieBen.

Zurn Teil wird die Wirkungsweise dieser exogenen AnstOBe durch die Politik auch bei iiblichen Wahlzyklen unterstellt. Regierungen, die wiedergewahlt werden wollen, werden sich rechtzeitig vor der Wahl urn wirtschaftlich giinstige Bedin­gungen in der Volkswirtschaft bemiihen, urn ihre Wahlchancen zu verbessem. Nach der Wahl sind belastende Eingriffe dann urn so wahrscheinlicher. Damit sich hieraus Konjunkturzyklen entwickeln konnten, miiBten die Politiker aber auf die Erwartungen der Wirtschaftssubjekte EinfluB nehmen, d.h. eine geringfiigige Va­riation der Einnahmen und Ausgaben des Staates wird wirtschaftlich eher wir­kungslos bleiben.

Eine besondere Art der Politik-Zyklen liegt schlieBlich vor, wenn die Zen­tralbank als staatliche Instanz mit Hilfe ihres geldpolitischen Instrumentariurns Ansto6e auslOst, die sich iiber die gesamte Volkswirtschaft hin fortpflanzen kon­nen. Einige Transmissionsmechanismen unterstellen diese Moglichkeit und geben der Zentralbank damit nicht nur eine konjunkturpolitische Steuerungsaufgabe, sondem billigen im UmkehrschluB der Zentralbank auch die Fahigkeit zu, aktiv Konjunkturprozesse zu verursachen. Speziell fUr die letztgenannte Uberlegung gibt es in der Konjunkturgeschichte durchaus Beispiele. So hat die Geldpolitik in der Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts sicherlich zur Verstar­kung des ersten Impulses aus dem Borsenkursverfall beigetragen. Auch in der Bundesrepublik Deutschland sind die Abschwiinge der Jahre 1967 und 1975 nicht vollig ohne Zutun der damaligen Geldpolitik zustande gekommen.

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Zwischenzeitlich ist wohl die geldpolitische Strategie der Zentralbanken ge­andert worden und es kommt hinzu, daB die Aktivitliten der Geldpolitik und der Finanzpolitik intensiver beobachtet werden. Vertreter der Theorie der rationalen Erwartungen sehen daher die Moglichkeiten filr realwirtschaftliche Konsequen­zen von geldpolitischen MaBnahmen, insbesondere von Geldmengenanderungen als nicht mehr allzu groB an. Die Wirtschaftssubjekte kennen naIDlich sowohl den Eintritt einer Geldmengenanderung als auch das schlieBliche Ergebnis davon und sie werden daher nicht mehr iiberrascht. Sie stellen sich vielmehr von vornherein auf die Konsequenzen der Anderung ein und nehmen beispielsweise den moglichen Inflationseffekt vorweg. Es bleibt damit kein Raum filr realwirtschaftliche Anpas­sungen in einem UbergangsprozeB. Die Geldpolitik kann infolgedessen auch kei­nerlei konjunkturelle Impulse auslosen. Die rationalen Erwartungen der Wirt­schaftssubjekte fiihren nicht nur zur Antizipation der Ergebnisse geldpolitischer Handlungen, sondem auch der Aktivitaten der Finanzpolitik, weshalb auch diese von vornherein ohne guterwirtschaftliche Wirkung bleiben, d.h. Finanzpolitik eignet sich ebenfalls nicht zur Stabilisierung von Konjunkturen.

Exogene Anst68e konnen immer auch fiber die au8enwirtsehaftliehen Verbindungskaniile auf eine Volkswirtschaft zukommen. In 11.1 sind wesentliche auBenwirtschaftliche Verflechtungen dargestellt, die zumindest jeweils zu einem ersten konjunkturellen Impuls beitragen konnen. Da die deutsche Volkswirtschaft gemessen an der Weltwirtschaft klein ist, moB mit einer Vielzahl solcher AnstoBe aus der iibrigen Welt gerechnet werden.

Damit sole he Anst68e sich aber tatsachlich in Sehwankungen der gesamt­wirtschaftlichen Giiterproduktion niederschlagen und sich auch auf die Verhalt­nisse auf dem Arbeitsmarkt auswirken, ist eine weitere Bedingung erforderlich. Diese besteht darin, daB die Miirkte nicht so flexibel und daIDpfend reagieren, wie es mit dem frei sich bildenden Markgleichgewicht in Abschnitt 2.6 erlautert wurde. Es moB vielmehr zu unvollstiindigen Preisreaktionen kommen, die zu Mengeme­aktionen in Form von OberschoBangeboten oder OberschuBnachfragen fiihren, wodurch sich wiederum auf anderen Miirkten Mengenveranderungen ergeben. Diese "Unvollstandigkeiten" der Preisreaktionen losen iiberhaupt erst die Schwan­kungen in der Giiterproduktion aus und lassen Ubertragungsprozesse oder Trans­missionsprozesse auf andere Miirkte zustande kommen. Die Schwankungen sind dann noch ausgepragter, wenn die AnstOBe durch die Erwartungen der Wirtschafts­subjekte nicht in ihrem Resultat vorweggenommen werden konnen, wenn also bei den Wirtschaftssubjekten unzutreffende Erwartungen vorliegen oder es bei ihnen zu Uberraschungen kommt.

12.3.3 Endogene Konjunkturtheorien

Friihere konjunkturtheoretische Schriften enthalten eine FiilIe an endogenen Kon­junkturursaehen, die sieh aus dem Zusammenspiel der Wirtsehaftssubjekte in einer Volkswirtschaft ergeben, ohne daB es besonderer AnstoBe von aoBen be­diirfte. Solche endogenen Konjunkturursachen sind im 19. Jahrhundert im Zusam-

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menwirken zwischen Konsumenten und Investoren gesehen worden. In der unzu­reichenden Koordinierung von Konsumausgaben und Investitionstatigkeit sollte demnach der Grund fUr Phasen der Uberinvestition (mit unzureichendem Absatz) und Phasen der Unterkonsumtion (mit unzureichender Nachfrage) liegen, die je­weils zu wirtschaftlichen Krisen oder Konjunkturabschwiingen fiihren. Nach einem AnpassungsprozeB ergibt sich aber wieder ein Aufschwung, der jedoch durchaus in Uberhitzungen resultieren kann. Konjunkturen sind dementsprechend auch als ein Problem des Kreislaufprozesses in einer Volkswirtschaft definiert worden. Die Kreislaufstrome konnen demnach nicht von einem Sektor zum anderen unverandert und ohne zeitliche Verzogerung weiterlaufen. Es gibt vielmehr Zeitverschiebungen im Ablaufbzw. Veranderungen in den StromgroBen an einer Stelle des Kreislaufs, die bei anderen Sektoren realwirtschaftliche Konsequenzen auslosen.

Eine spezifische endogene KonjunkturerkHirung findet sich in Teilen der Uberlegungen von Keynes und im keynesianischen Gedankengebaude insge­samt. Danach ist der private Sektor einer Volkswirtschaft, d.h. die Konsumenten und die Investoren, aus sich heraus instabil und neigt zu zyklischen Schwankun­gen. Demgegeniiber wird dem Staat ein langerfristiger Planungshorizont unterstellt, so daB sich hieraus die Forderung nach einer stabilisierenden antizyklischen Fi­nanzpolitik ergibt. Die Beobachtungen in parlamentarischen Demokratien unter­stiitzen diese Ansicht allerdings keineswegs.

An der Grenze zwischen endogenen und exogenen Konjunkturtheorien ste­hen die Uberlegungen, die von den Vertretem der Theorie der realen Konjunk­turzyklen (real business cycles) vorgetragen werden. Sie unterstellen durchaus funktionierende Markte, die sich rasch oder sogar unverziiglich zu den jeweiligen Gleichgewichten hin bewegen. Wenn es gleichwohl und trotz der auBerdem unter­stellten rationalen Erwartungen zu Schwankungen in der Giiterproduktion kommt, so liegt das an immer wieder auftretenden AnstoBen oder Schocks, die in friiheren Ansatzen ausschlieBlich in Produktivitatsveranderungen gesehen wurden. Zwi­schenzeitlich berUcksichtigt die Theorie der realen Konjunkturzyklen aber auch AnstoBe von seiten der Finanzpolitik, der Geldpolitik und der AuBenwirtschaft.

Nach der Theorie der realen Konjunkturzyklen werden die AnstoOe von reprasentativen Entscheidungseinheiten (Haushalte und Untemehmen) in ihre langerfristigen Planungen einbezogen. Der reprasentative Haushalt plant hierbei nicht nur seine Konsumnachfrage, sondem auch sein Arbeitsangebot iiber die Zeit hin und optimiert unter Beriicksichtigung der verfugbaren Mittel eine langfristige Ziel- oder Nutzenfunktion. Wesentlich ist hierbei die Verbindung zwischen Nach­frageverhalten auf dem Giitermarkt und Angebotsverhalten auf dem Arbeitsmarkt, wodurch der AnstoB wegen des endogenen Verhaltens der Wirtschaftssubjekte zu Zyklen in der Wirtschaftstatigkeit fiihren kann. Die reprasentativen Untemehmen reagieren auf die AnstoBe ebenfalls mit einer Anpassung ihrer langfristigen Plane, weshalb sich heutige Produktionsanderungen auch im Investitionsverhalten kiinfti­ger Perioden auswirken.

Die Konjunkturzyklen, die sich aufgrund dieser Hypothesen ergeben, beste­hen nicht in Fluktuationen urn ein gedachtes, trendmiiBiges Produktionspoten-

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tial, sondern stellen Fluktuationen im Produktionspotential selbst dar, das den Vorstellungen und Planen der Wirtschaftssubjekte folgt und sich keineswegs konti­nuierlich verandem muI3. Nach der Theorie der realen Konjunkturzyklen ist es auch wenig sinnvoll, die Schwankungen durch wirtschaftspolitische MaBnahmen bekampfen zu wollen, sofem dies iiberhaupt moglich ist. Der wirtschaftspolitische, insbesondere finanzpolitische Mitteleinsatz ware genauso wenig vemiinftig, wie eine dam it bezweckte Steigerung der Giiterproduktion, wenn die Produktivitat ge­ring ist, oder eine Dampfung der Giiterproduktion, wenn die Produktivitat hoch ist. Ubertragen auf Saisonschwankungen in der landwirtschaftlichen Produktion be­deutet diese Argumentation, daB man sinnvollerweise die Agrarproduktion im Winter nicht ankurbelt und sie dafiir zur Emtezeit dampft.

Die Theorie der realen Konjunkturzyklen ist die wesentliche strikt konjunk­turtheoretische Neuerung seit vie len Jahren. Sie ist keinesfalls unumstritten. Durch Berucksichtigung von Interdependenzen und des langerfristigen okonomischen Verhaltens hebt sie sich aber zu Recht von den immer noch popularen aber in der Regel vollig unzureichenden Konjunkturerklarungen abo Wenn es ihr noch gelange, die Interdependenzen iiber aIle vier makrookonomischen Markte zu erfassen, konnte sie in der Tat zur bedeutsamsten Konjunkturtheorie werden.