10
8. Zwischen ergebnisse fur ein Giitermarktgleichgewicht 8.1 Die Gesamtnachfrage auf dem Gutermarkt Die einzelnen Bestandteile der gesamtwirtschaftiichen GUtemachfrage, die in den vorangegangenen Abschnitten (7.1 - 7.4) naher erlautert wurden, konnen nun in Form eines Zwischenergebnisses zusammengefaBt werden. Es wird dabei darum gehen, in einer isolierten und vereinfachten Betrachtung lediglich des Gutermarktes zu zeigen, wie auf wenigen Bausteinen aufbauend makrookonomische Analyse betrieben werden kann. Dabei steht hier die eher technische Vorgehensweise im Vordergrund der Betrachtung. Die inhaltlichen Ergebnisse mussen als isolierte Teilresultate verstanden werden, die keinesfalls direkt wirtschaftspolitisch inter- pretierbar und ubertragbar sind. Hierfiir ware in einem nachsten Schritt die Einbe- ziehung aller im folgenden noch zu behandelnden weiteren gesamtwirtschaftlichen Markte erforderlich, aus denen sich nicht nur andere Tendenzen ergeben konnen, sondem deren Einbeziehung aus Grunden des Kreislaufzusammenhangs und der Beriicksichtigung der gesamtwirtschaftlichen Knappheitsrestriktionen notwendig ist. Die bisher gewonnenen Ergebnisse uber die okonomischen Abhangigkeiten der Nachfragekomponenten konnen bei der Bildung einer Zusammenfassung der gesamtwirtschaftlichen Guternachfrage wie folgt mit einbezogen werden: Gesamtnachfrage auf dem Gutermarkt: C(Y) + I(Y, i) + St + X(P, p., e). In vereinfachten Betrachtungen des gesamtwirtschaftlichen GUtermarkts, wie sie seit den Zeiten von Keynes in der Wirtschaftstheorie ublich geworden sind, geht man von der Hypothese aus, daB die Gesamtnachfrage auf dem Gutermarkt auch zu einem GUterangebot in der gleichen GroBenordnung fiihrt, oder daB die Giiternachfrage insgesamt das Volumen des Giiterangebots bestimmt. Dies ist eine Umkehr des Sayschen Theorems. Sie wird vielfach mit den historischen Ge- gebenheiten der Weltwirtschaftskrise begriindet, wonach damals unterausgelastete Produktionskapazitaten vorlagen und eine Zunahrne der gesamtwirtschaftiichen Gutemachfrage relativ problemlos eine gleich groBe Ausweitung der GUterproduk- tion hatte hervorrufen konnen. Erganzend wird darauf verwiesen, daB die Auswei- tung der Guterproduktion angesichts der unterausgelasteten KapaziHiten ohne Preissteigerungen moglich ist, so daB die reale GUtemachfrage sich ausschlieBlich im Volumen der Guterproduktion niederschlagt und keine gesamtwirtschaftli- chen Preiseffekte verursacht. Benutzt man daher das Symbol Y zur Kennzeichnung der realen Giiterpro- duktion und des daraus resultierenden realen Einkommens, so laBt sich die Gleich- gewichtsbedingung fUr den gesamtwirtschaftIichen Giitermarkt wie folgt fas- sen: Y = C + I + St + X oder G. Graf, Grundlagen der Volkswirtschaftslehre © Physica-Verlag Heidelberg 2002

[Physica-Lehrbuch] Grundlagen der Volkswirtschaftslehre || Zwischenergebnisse für ein Gütermarktgleichgewicht

  • Upload
    gerhard

  • View
    212

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: [Physica-Lehrbuch] Grundlagen der Volkswirtschaftslehre || Zwischenergebnisse für ein Gütermarktgleichgewicht

8. Zwischen ergebnisse fur ein Giitermarktgleichgewicht

8.1 Die Gesamtnachfrage auf dem Gutermarkt

Die einzelnen Bestandteile der gesamtwirtschaftiichen GUtemachfrage, die in den vorangegangenen Abschnitten (7.1 - 7.4) naher erlautert wurden, konnen nun in Form eines Zwischenergebnisses zusammengefaBt werden. Es wird dabei darum gehen, in einer isolierten und vereinfachten Betrachtung lediglich des Gutermarktes zu zeigen, wie auf wenigen Bausteinen aufbauend makrookonomische Analyse betrieben werden kann. Dabei steht hier die eher technische Vorgehensweise im V ordergrund der Betrachtung. Die inhaltlichen Ergebnisse mussen als isolierte Teilresultate verstanden werden, die keinesfalls direkt wirtschaftspolitisch inter­pretierbar und ubertragbar sind. Hierfiir ware in einem nachsten Schritt die Einbe­ziehung aller im folgenden noch zu behandelnden weiteren gesamtwirtschaftlichen Markte erforderlich, aus denen sich nicht nur andere Tendenzen ergeben konnen, sondem deren Einbeziehung aus Grunden des Kreislaufzusammenhangs und der Beriicksichtigung der gesamtwirtschaftlichen Knappheitsrestriktionen notwendig ist.

Die bisher gewonnenen Ergebnisse uber die okonomischen Abhangigkeiten der Nachfragekomponenten konnen bei der Bildung einer Zusammenfassung der gesamtwirtschaftlichen Guternachfrage wie folgt mit einbezogen werden:

Gesamtnachfrage auf dem Gutermarkt: C(Y) + I(Y, i) + St + X(P, p., e).

In vereinfachten Betrachtungen des gesamtwirtschaftlichen GUtermarkts, wie sie seit den Zeiten von Keynes in der Wirtschaftstheorie ublich geworden sind, geht man von der Hypothese aus, daB die Gesamtnachfrage auf dem Gutermarkt auch zu einem GUterangebot in der gleichen GroBenordnung fiihrt, oder daB die Giiternachfrage insgesamt das Volumen des Giiterangebots bestimmt. Dies ist eine Umkehr des Sayschen Theorems. Sie wird vielfach mit den historischen Ge­gebenheiten der Weltwirtschaftskrise begriindet, wonach damals unterausgelastete Produktionskapazitaten vorlagen und eine Zunahrne der gesamtwirtschaftiichen Gutemachfrage relativ problemlos eine gleich groBe Ausweitung der GUterproduk­tion hatte hervorrufen konnen. Erganzend wird darauf verwiesen, daB die Auswei­tung der Guterproduktion angesichts der unterausgelasteten KapaziHiten ohne Preissteigerungen moglich ist, so daB die reale GUtemachfrage sich ausschlieBlich im Volumen der Guterproduktion niederschlagt und keine gesamtwirtschaftli­chen Preiseffekte verursacht.

Benutzt man daher das Symbol Y zur Kennzeichnung der realen Giiterpro­duktion und des daraus resultierenden realen Einkommens, so laBt sich die Gleich­gewichtsbedingung fUr den gesamtwirtschaftIichen Giitermarkt wie folgt fas­sen:

Y = C + I + St + X oder

G. Graf, Grundlagen der Volkswirtschaftslehre© Physica-Verlag Heidelberg 2002

Page 2: [Physica-Lehrbuch] Grundlagen der Volkswirtschaftslehre || Zwischenergebnisse für ein Gütermarktgleichgewicht

188

Y = C(Y) + I(Y, i) + St + X(P, Pa, e).

Es ist leicht erkennbar, daB eine der~ge Gleichung mit fiinf Unbekannten (Y, i, P, Pa, e) und einer exogenen GroBe St flir sich allein kein Ergebnis und keine Aussage zulaBt, obwohl die darin einflieBenden Reaktionsweisen bereits uberaus vereinfacht sind.

8.2 Ein Multiplikator in einem einfachen Giitermarktmodell

Als weiteres Zwischenergebnis kann auf das Verfahren der gesamtwirtschaftlichen Multiplikatoranalyse in einem einfachen Giitermarktmodell zuruckgegriffen werden. Damit zeigt sich nicht zuletzt auch die prinzipielle Verfahrensweise der komparativen Statik in der Makrookonomik. Die komparative Statik besteht in der Betrachtung von (meist zwei) unterschiedlichen Gleichgewichtssituationen, die sich durch Anderung einer EinfluBgroBe oder einer Variablen ergeben, wobei der UbergangsprozeB von einem Gleichgewicht zum anderen nicht immer naher dar­gestellt wird oder nach manchen Annahmen so schnell erfolgt, daB zwischen dem einen und dem anderen Gleichgewichtszustand kaum eine zeitliche Differenz be­steht. 1m Zusammenhang mit der Behandlung des Markgleichgewichts (Abschnitt 2.6) wurde diese Verfahrensweise der komparativen Statik bereits benutzt und an­hand lediglich grafischer Darstellungen verdeutlicht (z.B. in Abb. 20 und 21). Die hier gewahlte Darstellung solI weitergehender sein und auch die analytischen Zu­sammenhange zwischen den Gleichgewichten aufzeigen.

Die traditionelle Vorgehensweise zur Losung des mathematisch-formalen Problems aus de~ Giitermarktgleichgewichtsbedingung besteht darin, nicht nur die Staatsnachfrage St als exogen und in der Beobachtungsperiode gegeben anzuse­hen, sondem dies auch fUr die Investitions- und die Exportnachfrage anzunehmen. Aus der Verhaltensfunktion fUr die Investitionsnachfrage, I(Y, i), wird dann lund aus der von Pre~komponenten abhangigen Exportfunktion, X(P, Pa, e) wird die exogene GroBe X. Wenn erganzend flir die Konsumfunktion noch die lineare Naherung (C = a + bY) verwandt wird, ergibt sich nach dieser Vereinfachung die Gleichgewichtsbedingungen auf dem Giitermarkt wie folgt:

- - -Y = a + bY + I + St + X .

Dies ist nun ~in~ Gleic!:ung mit nur noch einer Unbekannten, namlich Y. Neben den GroBen I, St und X sind die Parameter der Konsumfunktion, die GroBen a und b, als konstant und gegeben unterstellt.

Die Funktion fUr das Giitermarktgleichgewicht laBt nunmehr durch Auflo­sen nach Y eine eindeutige Losung zu:

Y - bY = a + I + St + X oder

- - -Y(l - b) = a + I + St + X oder

Page 3: [Physica-Lehrbuch] Grundlagen der Volkswirtschaftslehre || Zwischenergebnisse für ein Gütermarktgleichgewicht

1 - - -Y = -(a + I + St + X)

I-b

189

Die GroBe _1_, die multiplikativ mit den autonomen oder hier als gegeben I-b

unterstellten NachfragegroBen verbunden ist, wird als Multiplikator bezeichnet. Der Multiplikator hangt seinem Wert nach allein von der Konsumneigung b abo FUr beobachtbare positive Werte der Konsumneigung b von kleiner eins nimmt der Multiplikator Werte von deutlich groBer als eins an. 1st z.B. die Konsumneigung b = 0,8, so besitzt der Multiplikator die GroBe

_1_ = _1_ = _1_ = 5 . 1- b 1- 0,8 0,2

Liegt die Konsumneigung b bei 0,9, so hat der MUltiplikator den Wert 10. Diese multiplikative Beziehung ist nun von Bedeutung, wenn die zuletzt an­

geschriebene Bestimmungsgleichung fUr Y betrachtet wird. Dort sind die auto­nomen sowie die konstant angenommenen NachfragegroBen in der Klammer mit

dem Multiplikator _1_ derart verbunden, daB die Gesamtnachfrage Y das urn den I-b

Multiplikator vergroBerte Vielfache der autonomen GroBen und NachfragegroBen ist.

Der rechentechnische ProzeB, der zum Multiplikator gefiihrt hat, beruht auf der fUr einfache GOtermarktmodelle typischen Annahme, daB die Summe der Nachfragekomponenten mit dem GOterangebot oder der GOterproduktion gleich­gesetzt werden kann. Denn nur dann laBt sich eine Aussage zum GOtermarkt insge­samt ableiten. Diese Annahme entspricht der typisch Keynesianischen Tradi­tion, wonach das Giiterangebot sich der Giiternachfrage jeweils vollig ela­stisch anpa6t. Wird dies aus Vereinfachungsgriinden - und nur aus diesen -zugestanden, so folgt aus dem insoweit gefundenen Multiplikator, daB sich bei Anderung einer autonomen NachfragegroBe die gesamtwirtschaftliche Nachfrage bzw. das gesamtwirtschaftliche GOterangebot und damit die GOterproduktion sowie die dafUr erforderliche Beschaftigung urn ein multiplikatives Vielfaches der Nach­frageanderung oder des Nachfrageimpulses gleichgerichtet ~eriindem.

Steigen beispielsweise die autonomen Investitionen I urn M, so ergibt sich bei ausschlieBlicher BerOcksichtigung der GOtermarktzusammenhiinge, daB die Gesamtnachfrage und das Gesamtangebot und somit das gesamtwirtschaftliche

1 Einkommen im neuen GOtermarktgleichgewicht urn --M anwachst, d.h. es gilt:

1 ~Y=-M

l-b

I-b

~ Y ist in diesem angenommenen Fall aber urn ein Vielfaches grofier als ~1. Ein gegebener exogener Nachfrageimpuls fiihrt demnach aufgrund des Multipli­kators zu einer gleichgerichteten Verstarkung der gesamtwirtschaftlichen Nach-

Page 4: [Physica-Lehrbuch] Grundlagen der Volkswirtschaftslehre || Zwischenergebnisse für ein Gütermarktgleichgewicht

190

frage und der gesamtwirtschaftlichen GUterproduktion, die gr6Ber ist als der ausl6-sende Impuls.

Nach dem in Gleichungsform formulierten Zusammenhang ist es dabei uner­heblich, von welcher Nachfragekomponente der AnstoB ausgeht. Es k6nnten statt der Investoren auch die Konsurnenten ihren autonomen Konsurn a urn Aa erh6hen oder der Staat bzw. die Nachfrager nach Exportgiitem ihr Nachfragevolurnen auto­nom urn ASt bzw. AX steigem. Das Ergebnis auf das Glltermarktgleichgewicht ist

jeweils eine ErMhung von Y urn das _1_-fache und damit urn das durch den I-b

Multiplikatorwert zum Ausdruck kommende Vielfache des anfanglichen Impulses. Wie ist dieser rechentechnische Zusammenhang okonomisch zu verstehen

und zu interpretieren? Der Hinweis auf die zugrundeliegende Keynesianische Sicht geniigt zunachst noch nicht, bzw. er ist urn eine okonomische Wirkungsanalyse zu erganzen. Diese moB von der Konstruktion des Multiplikators her auf der einzig 6konomisch begriindbaren Gr6Be beruhen, die im Multiplikator enthalten ist, der Konsumneigung b, die zwischen null und eins liegt. FOr den Multiplikator­prozeB ist damit lediglich das Konsumentenverhalten entscheidend, das in Form der Konsumneigung b darauf hinauslauft, daB Einkommensanderungen sich in Anderungen der Konsurnausgaben niederschlagen.

Unterstellt man mithin, daB ausgehend von einem Giitermarktgleichgewicht ein autonomer Impuls seitens der Investitionsnachfrage, AI, auftritt, so fiihrt dieser direkt zu einer entsprechend erMhten GUterproduktion und einem demnach gestie­genen Einkommen. Das zusatzliche Einkommen flieBt Haushalten zu, die gemiiB ihrer Konsurnfimktion im AusmaB ihrer Konsumneigung b zusatzliche Konsurn­nachfrage ausuben. Hierdurch steigt aber die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und in unmittelbarer Folge wiederum die Gllterproduktion und das dabei erzielte Ein­kommen. Dieses flieBt nun ebenfalls den Haushalten zu, welche es emeut im Aus­maB ihrer Konsumneigung fUr weitere zusatzliche Nachfrage nach Konsurngiitem verwenden werden. Damit ergibt sich wiederum eine zusatzliche Gllterproduktion und ein Einkommenszuwachs, der auch in dieser Runde fUr zusatzlichen Konsurn verwendet wird. Die Zuwachse bei der GUtemachfrage, der GUterproduktion und dem Einkommen fallen jedoch von Runde zu Runde kleiner aus, da die Konsurnen­ten das zusatzliche Einkommen nie vollstandig fUr den Konsurn verwenden, son­dem immer einen Teil auch zusatzlich sparen. Die gesamtwirtschaftlichen Nachfra­gewirkungen des Sparens an anderer Stelle des Kreislaufs werden in dem einfachen GUtermarktmodell aber vemachlassigt. Es kommt daher insgesamt zu einem Pro­zeB nacheinander geschalteter Einkommenszuwachse, der von seiner Dimension

her durch den Multiplikatorwert _1_ festgelegt ist. I-b

Der Zusammenhang zwischen Nachfrageimpuls und der daraus resultie­renden gesamtwirtschaftlichen Produktions- und EinkommenserhOhung kann auch mittels einer Abbildung veranschaulicht werden. Hierzu solI von der ge­samtwirtschaftlichen Glltemachfragefimktion ausgegangen werden, in der die Inve­stitionsnachfrage, die Staatsnachfrage und die Exportnachfrage gegebene, exogene

Page 5: [Physica-Lehrbuch] Grundlagen der Volkswirtschaftslehre || Zwischenergebnisse für ein Gütermarktgleichgewicht

191

GroI3en sind und die Konsurnfunktion durch die einfache lineare Naherung erfaI3t werden kann. Die gesamtwirtschaftliche Giiternachfrage ergibt sich mithin in Form der bereits bekannten vereinfachten Gleichung:

- - -Y = a + bY + I + St + X.

Die exogen gegebenen NachfragegroI3en I, St und X kann man sich als betrags­maBig fixe Ausgaben- oder Nachfragesummen vorstellen, die von der Hohe des gesamtwirtschaftlichen Einkommens unabhangig sind. Lediglich die Konsumnach­frage ist weiterhin einkommensabhangig und hat das in Abb. 40 oben dargestellte Aussehen.

Die Gesamtnachfragefunktion nach Giitem laBt sich nun in Abb. 49 iiber­tragen. Sie wird in ihrem Verlauf im wesentlichen gepragt ~u!ch die _darin ent­haltene Konsumfunktion. Die anderen NachfragegroI3en, I, St und X, wirken sich wegen der hier gemachten Annahmen wie eine VergroI3erung des Achsenab­schnitts a der Konsumfunktion aus, bzw. sie fiihren zu einer Parallelverschiebung der Konsumfunktion nach oben. - -

Die anfangliche Gesamtnachfragefunktion ist als C + I + St + X grafisch dargestellt. Hierbei sind die Nachfragekomponenten entlang der Ordinate additiv aufgetragen. Die Abszisse zeigt das Giiterangebot und das daraus resultierende Einkommen an. Das Giitermarktgleichgewicht liegt nun dort vor, wo die Giiter­nachfrage dem Giiterangebot entspricht. Die in Abb. 49 enthaltende Hilfslinie, die 4So-Linie oder Winkelhalbierende, ist der geometrische Ort, bei dem Ordinaten­werte und Abszissenwerte iibereinstimmen. Die 4So-Linie zeigt mit anderen Wor­ten die Punkte an, bei denen mogliche Gleichgewichte zwischen Giitemachfrage und Giiterangebot existieren. Oberhalb der Winkelhalbierenden ist die Nachfrage groI3er als das Angebot, unterhalb davon ist das Ang.:bot_groI3~ als die Nachfrage.

Die anfangliche Gesamtnachfragekurve, C + I + St + X, hat einen Schnitt­punkt mit der 4So-Linie beim Einkommensniveau Yo. Dort wird das Giiterangebot durch die Summe der Nachfragekomponenten vollstandig nachgefragt. Es herrscht Giitermarktgleichgewicht.

Als Beispiel einer exogenen Nachfrageerhohung ist in Abb. 49 eine auto­nome Mehmachfage nach Investitionsgiitem, AI, unterstellt worden. In der Ab­bildung wirkt sich das wie eine Parallelverschiebung der Gesamtnachfrage­kurve urn iiI nach oben aus-=-- J2ie Siesamtnachfragekurve besteht nun aus der Summe der Komponenten: C, I, St, X und IiI. Die Nachfrageausweitung fiihrt bei dem hier unterstellten vollig elastischen Giiterangebot zu einer Ausweitung der Giiterproduktion, die aufgrund des Konsurnentenverhaltens groI3er ist als der exo­gene Nachfrageimpuls. In der Abbildung zeigt sich dies darin, daB der Schnitt­punkt der neuen Gesamtnachfragekurve (C + 1+ St + X + IiI) mit der 4So-Linie beim Einkommensniveau Y I liegt, wobei der Einkommenszuwachs Ii Y, d. h. die Differenz zwischen Y I und Yo, den Nachfrageimpuls IiI urn ein wesentliches iiber-

Page 6: [Physica-Lehrbuch] Grundlagen der Volkswirtschaftslehre || Zwischenergebnisse für ein Gütermarktgleichgewicht

192

steigt. Der analytische Zusammenhang zwischen AI und A Y kommt durch den

Multiplikator zurn Ausdruck und lautet wiederum: A Y = _1_ AI. I-b

C, I, St, X

+ 1+ St+ X Y

Abb. 49: Auswirkung einer exogenen Nachfrageerh5hung auf das Giitennarkt­gleichgewicht

Die hier vorgestellte Multiplikatoranalyse beruht auf drei explizit ge­machten Annahmen, die sich auffolgende Punkte beziehen: • Das Giiterangebot ist vollig elastisch. FUr den Fall einer exogenen Nachfra­

geerMhung kann es hinreichend schnell und vollstiindig ausgeweitet werden. AusschlieBlich die jeweilige Giitemachfrage bestimmt somit den Umfang der Giiterproduktion und die Hohe des Einkommens.

• Das Konsumentenverhalten druckt sich vorwiegend in der Konsumneigung b aus, die angibt, wieviel von einem Einkommenszuwachs fUr zusatzlichen Konsum ausgegeben wird. Die Konsumneigung liegt im iibrigen im Bereich zwischen null und eins.

• Ein exogener Nachfrageimpuls setzt einen ProzeB von Einkommensrunden in Bewegung, die abnehmende Tendenz haben, wobei die Einkommensrunden durch einen konvergierenden ProzeB dargestellt werden konnen. Es ist fUr den AnstoB der Einkommensrunden unerheblich, von welcher Seite oder von wel­cher Nachfragekomponente der Impuls ausgeht. FUr die Abb. 49 wurde ein An­stoB durch eine exogene ErMhung der Investitionsnachfrage beispielhaft her­ausgegriffen. Der Nachfrageimpuls kann aber auch von seiten der Konsumenten

Page 7: [Physica-Lehrbuch] Grundlagen der Volkswirtschaftslehre || Zwischenergebnisse für ein Gütermarktgleichgewicht

193

(':\a), des Staates (':\St) oder der Nachfrager nach Exportgiitem (L\X) stammen. Er wird jeweils zur gleichen, urn den Multiplikator verstarkten Einkommensan­derung fiihren.

Diese drei Annahmen besitzen je fUr sich einige Plausibilitat, sofem auf eine einfa­che Analyse und lediglich auf einen Baustein eines makrookonomischen Modells abgestellt wird. Die vollige Elastizitat des Giiterangebots muB jedoch in jedem Fall kritisch hinterfragt werden, da mit dieser Annahme die makrookonomisch gegebenen Knappheitsbedingungen aus der Betrachtung ausgeschaltet werden kon­nen, wodurch die okonomische Bedeutung der Analyse unter Umstanden vollig untergeht.

Die vielfach nicht offengelegte weitere Annahme fUr das Wirksamwerden des Multiplikatorprozesses besteht darin, daB der Nachfrageimpuls unabhangig von welcher Nachfragekomponente er ausgeht, keinen logisch dam it verkniipften Finanzierungseffekt haben darf, der zur Nachfragereduktion an anderer Stelle fiihrt. Da aber Giitemachfrage immer nur ausgeiibt werden kann, wenn die Nach­frager iiber entsprechende Finanzmittel verfiigen, ist zur wirtschaftspolitisch kor­rekten Interpretation eines exogenen Nachfrageimpulses jeweils die Frage zu kIaren, wie der Impuls finanziert wird und ob die Finanzierung der Nachfrage­ausweitung an einer Stelle nicht gleichzeitig an anderen Stellen eines gesamtwirt­schaftlichen Kreislaufs mit Wirkungen verbunden ist, die dem Nachfrageimpuls entgegen laufen.

Die Problematik laBt sich am leichtesten fUr einen Nachfrageimpuls verfol­gen, der von seiten des Staates ausgeht. Bei ausschlieBlicher Betrachtung der Auswirkung einer zusatzlichen Staatsausgabe, ,:\St, ergibt sich in unserem ver­einfachten Giitermarktmodell eine multiplikativ verstarkte gesamtwirtschaftliche

1 Einkommensanderung im AusmaB von ,:\ Y = -- ,:\St.

l-b Die von diesem MuItiplikatorzusammenhang dargestellte Wirkung eines

Staatsausgabenprogramms auf das gesamtwirtschaftliche Einkommen wiirde aber nur dann fUr eine beobachtbare Volkswirtschaft zutreffend wiedergegeben wer­den, wenn der Staat seine Ausgaben so finanzieren konnte, daB an anderen Stellen des Wirtschaftskreislaufs daraus keine belastenden oder nachfragedampfenden Effekte entsrunden. Der Staat miiBte mithin seine zusatzlichen Ausgaben mit freien und bisher verborgenen Finanzreserven finanzieren, die zugleich realen, giiterwirtschaftlichen Reserven entsprechen miissen und nicht nur aus nominellen Geldbetragen bestehen diirfen. Nur im Fall von Vermogenszuwachsen, die dem Staat (wie Manna yom Himmel) zuflieBen und die fmanziellen Ressourcen in der Volkswirtschaft insgesamt erhOhen, konnte ein nachfragedampfender Effekt unter­bleiben. Es kommt hinzu, daB die dem Staat zuflieBenden Mittel die Preisrelatio­nen in der V olkswirtschaft nicht negativ beeinflussen und die anderen Vermogens­werte nicht entwerten diirfen. In der Regel kann der Staat seine laufenden Ausga­ben und seine zusatzlichen Ausgaben nicht mit wunderhaften Vermogenszufliissen fmanzieren. Er muB vielmehr auf Steuern oder Kredite zurUckgreifen. Damit entstehen zwangsweise bei anderen Wirtschaftssubjekten an anderen Stellen des

Page 8: [Physica-Lehrbuch] Grundlagen der Volkswirtschaftslehre || Zwischenergebnisse für ein Gütermarktgleichgewicht

194

Wirtschaftskreislaufs Entzugswirkungen, die den positiven Nachfrageeffekt der zusiitzlichen Staatsausgaben einschlieBlich der multiplikativen Wirkung von vom­herein verhindem.

Die Frage nach der Finanzierung und deren Auswirkung im Rahmen eines Wirtschaftskreislaufs moB auch gestellt werden, wenn eine exogene Nachfrage­erhohung seitens der Investoren erfolgt. Eine zusatzliche Investitionsnachfrage AI erfordert ebenfalls einen Finanzbedarf, der sich unter Umstanden nur uber zu­siitzliche Kredite decken laBt, was zinssteigemd wirkt und an anderer Stelle des Kreislaufs zu Nachfrageeinschriinkungen fiihren kann. Auch wenn die Konsumen­ten aufgrund einer Mode oder optimistischer Erwartungen ihre Konsurnnachfrage autonom urn Aa erhohen, mussen sie entweder auf Kredite oder auf Erspamisse zu­rUckgreifen und dadurch an anderer Stelle des Kreislaufs Mittel abziehen, wodurch in aller Regel wiederum Tendenzen zu einer ZinserhOhung ausgelost werden

Lediglich eine yom Ausland ausgeubte zusatzliche Nachfrage nach Export­giitern konnte ohne nennenswerte entgegengerichtete Finanzierungswirkungen im Inland zustande kommen, sofem nicht bereits die Wechselkursentwicklung den Nachfrageimpuls neutralisiert.

8.3 Die IS-Kurve

Schon bald nach dem Erscheinen der General Theory von Keynes hat l.R. Hicks (1937) versucht, den Ansatz von Keynes so zu fassen, daB er mit bisherigen Ana­lysen verbunden werden kann. In diesem Zusammenhang wurde von Hicks die IS­Kurve als Giiterrnarktgleichgewichtskurve entwickelt. Die IS-Kurve greift dabei zwei okonomische Wirkungszusammenhiinge des Gtitermarktes auf. Zurn einen gibt es die positiv einkornrnensabbangige Konsurnfunktion, bzw. ihr Korrelat die positiv einkommensabhangige Sparfunktion sowie einen eventuellen Zinseinflu8, der sich negativ auf die Konsumnachfrage oder positiv auf das Sparen auswirkt, oder in der hier benutzten Symbolik:

c = c (Y, i) bzw. S = S (Y, i).

Zurn zweiten ist die Investitionsnachfrage ebenfalls positiv einkommensab­hiingig und negativ zinsabhiingig, d.h.:

I = I (Y, i).

SolI das Gtiterangebot der Summe aus den hier ausschlieBlich betrachteten beiden Nachfragekomponenten gleich sein, gilt die Giiterrnarktgleichgewichts­bedingung:

Y = C(Y, i) + I(Y, i) oder

Page 9: [Physica-Lehrbuch] Grundlagen der Volkswirtschaftslehre || Zwischenergebnisse für ein Gütermarktgleichgewicht

195

IcY, i) = S(Y, i).

Die letzte Gleichung macht deutlich, daB im AusmaB der Investitionsnach­frage und der Giiterproduktion von Investitionsgiitem eine gleich groBe Finanzie­rung durch das Sparen oder ein Verzicht auf Konsumgutnachfrage notwendig ist. Da eine ErhOhung des Zinssatzes in der Giitermarktgleichgewichtsbedingung die Giitemachfrage senkt, erhiilt man als graphische Abbildung der Gleichgewichts­bedingung Kombinationen des Zinssatzes i und der Produktion Y. Entlang einer inversen Beziehung zwischen i und Yoder einer abwiirts geneigten Kurve wird diese Gleichgewichtsbedingung erfiillt. Die Beziehung wird als IS-Kurve bezeich­net. Sie ist in Abb. 50 dargestellt.

Y

Abb. 50: IS-Kurve

Die IS-Kurve zeigt Kombinationen von Zins- und Realeinkommensniveaus, bei denen der Giitermarkt in einer geschlossenen Volkswirtschaft im Gleichgewicht ist. Der negative Verlauf der IS-Kurve in Abb. 50 ergibt sich deshalb, weil mit hoheren Zinsen die Giitemachfrage von seiten der Investoren und der Konsumen­ten geringer ausfiillt und das entsprechende Realeinkommensniveau, das von der Giitemachfrage bestimmt wird, niedriger sein wird. Sinkende Zinsen lassen ein hoheres Nachfrageniveau zu. Lage und Verlauf der IS-Kurve werden von den Reaktionsweisen der Giitemachfrage gepragt, die sich vomehmlich in der Zinsela­stizitat der Giitemachfrage und der Konsumneigung als dem Parameter, der die Reaktion des gesamtwirtschaftlichen Konsums bei Anderungen des Realeinkom­mens erfaBt, niederschlagen.

Die IS-Kurve stellt gegeniiber der Multiplikatoranalyse im vorangegange­nen Abschnitt eine Erweiterung dar, denn es wird mit der IS-Kurve neben der Einkommensabhangigkeit auch die Zinsreagibilitat der Giitemachfrage beriick­sichtigt, wiihrend fUr die Multiplikatoranalyse lediglich die Einkommensabhan­gigkeit des Konsums als Verhaltenshypothese benutzt wurde. Die IS-Kurve ist insoweit eine allgemeinere Darstellung der Giitermarktverhiiltnisse in einer ge­schlossenen Volkswirtschaft.

Die 6konomischen Zusammenhange auf dem Giitermarkt beziehen sich dabei auf reale GrlSOen. Die Nachfragekomponenten sind reale Beziehungen, die yom

Page 10: [Physica-Lehrbuch] Grundlagen der Volkswirtschaftslehre || Zwischenergebnisse für ein Gütermarktgleichgewicht

196

7.2.2 bei der zinsabhiingigen Investitionsfunktion erlautert wurde. Der Zins i ist daher eine reale, langfristige ZinsgroBe, die sich nicht direkt beobachten lliBt.

SchlieBlich sei darauf verwiesen, daB Hicks die IS-Kurve als eine Gilter­marktgleichgewichtsbeziehung konstruiert hat, die fUr eine vergangene Periode gilt (vgl. Hicks, 1980). Viele makrookonomische Modelle keynesianischer Pragung benutzen dagegen die IS-Kurve, urn damit Auswirkungen von autonomen Ande­rungen der Giltemachfrage in Form von Verlagerungen der IS-Kurve in kilnftigen Perioden zu erfassen. Solche Verlagerungen der IS-Kurve, die beispielsweise durch eine StaatsausgabenerhOhung unterstellt werden, kommen allerdings nur dann zustande, wenn die weiteren Kreislaufabhiingigkeiten fllr den Nachfrageim­puIs unbeachtet bleiben. Die insoweit fllr wirtschaftspolitische Zwecke abgeleiteten Resultate sind auch als Zwischenergebnis eines Modells von geringer okonomi­scher Relevanz. Das Instrument der IS-Kurve lliBt sich jedoch durchaus nutzbrin­gend verwenden. Dies setzt aber voraus, daB es in einen sinnvollen makrookono­mischen Rahmen integriert wird, der Budgetrestriktionen mit urnfaBt, die sich aus dem Kreislaufzusammenhang ergeben.