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Skript zur Vorlesung Physikalische Chemie I ur Studierende der Biochemie, Biologie und des Lehramts (3. Semester) von PD Dr. Stephan A. B¨ aurle Skript erstellt von M. Bernhardt, M. Hammer, M. Knorn WS 2009/2010

Physikalische Chemie I...3 Elektrochemie 76 4 Physikalisch-chemische Konzepte in der Forschung 77 Empfohlene Literatur 1.Peter W. Atkins, " Physikalische Chemie\, Wiley-VCH, ISBN-13:978-3527315468

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  • Skript zur Vorlesung

    Physikalische Chemie I

    für Studierende der Biochemie, Biologie und des Lehramts(3. Semester)

    von

    PD Dr. Stephan A. Bäurle

    Skript erstellt von

    M. Bernhardt, M. Hammer, M. Knorn

    WS 2009/2010

  • “Eine wirklich gute Idee erkennt man daran, dass ihre Verwirklichung von vornehereinausgeschlossen erschien”,

    Albert Einstein

  • Vorbemerkung

    Dieses Skript ist eine Abschrift des handschriftlichen Manuskripts “AufschriebPC1” der Vorlesung Physikalische Chemie I für Studierende der Biochemie, Biolo-gie und des Lehramts (3. Semester) von Priv.-Doz. Dr. Stephan A. Bäurle unddient als Begleitmaterial zu dieser Vorlesung. Es erhebt keinen Anspruch aufVollständigkeit und kann Fehler enthalten, welche bei der Übertragung zustan-de kommen können.

    Es soll nicht als Ersatz zum Besuch der Vorlesung sowie der Übungen dienen.

    Fehler und Anregungen können gerne unter folgenden E-mail-Adressen 1 gemeldetwerden.

    [email protected], [email protected], [email protected]

  • Inhaltsverzeichnis

    1 Reaktionskinetik 41.1 Reaktionsgeschwindigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

    1.1.1 Konzentrationsabhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit . . . . 51.1.2 Gesamt-Reaktionsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51.1.3 Umsatzvariable XA(t) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

    1.2 Reaktionen 1. Ordnung in Bezug auf ein Edukt . . . . . . . . . . . . . . 61.2.1 Allgemeine Formulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61.2.2 Halbwertszeit t1/2 für Reaktionen 1. Ordnung: . . . . . . . . . . . 71.2.3 Mittlere Lebensdauer τ eines Edukt-Teilchens . . . . . . . . . . . 8

    1.3 Reaktionen 2. Ordnung in Bezug auf ein Edukt . . . . . . . . . . . . . . 81.3.1 Allgemeine Formulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81.3.2 Halbwertszeit t1/2 für Reaktionen 2. Ordnung in Bezug auf Edukt

    A: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91.4 Reaktionen der Gesamtordnung 2, jedoch jeweils 1. Ordnung in Bezug auf

    2 Edukte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101.4.1 Allgemeine Formulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101.4.2 Halbwertszeit t1/2 (bezüglich Edukt A) für ungleiche Anfangskon-

    zentrationen: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121.5 Temperaturabhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeitskonstanten . . . . 12

    1.5.1 Temperaturverhalten nach Arrhenius . . . . . . . . . . . . . . . . 121.5.2 Moderne Gleichungen zur Beschreibung der Temperaturabhängigkeit

    der Geschwindigkeitskonstanten k: . . . . . . . . . . . . . . . . . 151.6 Reaktionsmechanismus und Reaktionsordnung . . . . . . . . . . . . . . . 151.7 Hin- und Rückreaktionen 1. Ordnung (Gleichgewichtsreaktionen) . . . . . 161.8 Folgereaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181.9 Parallelreaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201.10 Folgereaktionen mit vorgelagertem Gleichgewicht und Quasistationarität 221.11 Enzymreaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

    1.11.1 Michaelis-Menten-Kinetik: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261.11.2 Lineweaver-Burk-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

    1.12 Reaktionen an fester Katalysatoroberfläche . . . . . . . . . . . . . . . . . 291.12.1 Fall 1: Adsorption/Desorption eines Gases A auf/von einer Kata-

    lysatoroberfläche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291.12.2 Fall 2: Unimolekulare Reaktion an der Katalysatoroberfläche der

    adsorbierten Spezies . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

    1

  • Inhaltsverzeichnis 2

    1.12.3 Fall 3: Bimolekulare Reaktion an der Katalyseoberfläche zwischenadsorbierten Spezies . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

    2 Thermodynamik 382.1 Grundlagen und Wiederholung 1. Semester . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

    2.1.1 System und Umgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382.1.2 Prozesse und Randbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382.1.3 Innere und äußere Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392.1.4 Nullter Hauptsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402.1.5 Erster Hauptsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402.1.6 Entropie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412.1.7 Zweiter Hauptsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442.1.8 Dritter Hauptsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

    2.2 Gibbs’sche Fundamentalgleichungen und charakteristische Funktionen . . 462.2.1 Innere Energie U . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462.2.2 Enthalpie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482.2.3 Helmholtz-Energie (freie Energie) F . . . . . . . . . . . . . . . . . 492.2.4 Gibbs’sche Energie (freie Enthalpie) G . . . . . . . . . . . . . . . 50

    2.3 Thermodynamisches Gleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512.4 Gleichgewichte chemischer Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

    2.4.1 Gleichgewichtsbedingung und chemische Potentiale . . . . . . . . 542.4.2 Gibbs’sche Reaktionsenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562.4.3 Konzentrationsabhängigkeit des chemischen Potentials . . . . . . 572.4.4 Thermodynamische Aktivität verschiedener Stoffklassen . . . . . . 582.4.5 Massenwirkungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

    2.5 Phasengleichgewichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 612.5.1 Clausius-Clapeyron-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 612.5.2 2-Phasen-Gleichgewichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 652.5.3 Gibbs’sche Phasenregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 692.5.4 Raoult’sches Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 692.5.5 Dampfdruckerniedrigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 712.5.6 Siedepunktserhöhung und Schmelzpunktserniedrigung . . . . . . . 72

    3 Elektrochemie 76

    4 Physikalisch-chemische Konzepte in der Forschung 77

  • Empfohlene Literatur

    1. Peter W. Atkins,”Physikalische Chemie“, Wiley-VCH, ISBN-13:978-3527315468

    2. Gerd Wedler,”Lehrbuch der Physikalischen Chemie“, Wiley-VCH, ISBN-13:978-

    3527310661

    3. Wolfgang Bechmann, Joachim Schmidt,”Einstieg in die physikalische Chemie für

    Nebenfächler“, Vieweg+Teubner, ISBN-13:978-3834806079

    4. E. Zeidler,”Teubner-Taschenbuch der Mathematik“, Vieweg+Teubner, ISBN-13:978-

    3835101234

    3

  • 1 Reaktionskinetik

    beschäftigt sich mit der Geschwindigkeit und dem Mechanismus einer Reaktion.Aus kinetischen Messdaten werden phänomenologische Geschwindigkeitsgesetzeaufgestellt.

    Chemische Reaktionsgleichung (allg. Form):

    νAA+ νBB + ..→ νPP + νQQ+ ..

    mit A, B,.. =̂ Ausgangsstoffe (Edukte)

    νA, νB..>0 =̂ stöchiometrische Koeffizienten der Edukte

    P , Q,.. =̂ Endstoffe (Produkte)

    νP , νQ..>0 =̂ stöchiometrische Koeffizienten der Produkte

    1.1 Reaktionsgeschwindigkeit

    Mögliche Definition:

    v? = − 1νA· dnA

    dt= − 1

    νB· dnB

    dt= .. =

    1

    νP· dnP

    dt= ..

    mit dnA =̂ Änderung der Stoffmenge nA des Edukts A im Zeitintervall dt

    (dni mit i=B,..,P,Q,.. entsprechend)

    und v? > 0.

    Nachteil dieser Definition ist, dass die Reaktionsgeschwindigkeit v? von der Größe desbetrachteten Reaktionssystems abhängt.

    4

  • 1.1. REAKTIONSGESCHWINDIGKEIT 5

    Bessere Definition: für viele Anwendungen

    ν =ν?

    V= − 1

    νA·

    dnAV

    dt= − 1

    νA· dcA

    dt= ..

    mit V als Volumen des Reaktionssystems.

    Vereinbarung: im Folgenden werden alle stöchiometrischen Reaktionsgleichungen soformuliert, dass νA = 1, d.h.

    v = −dcAdt

    1.1.1 Konzentrationsabhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit

    Es gilt der allgemeine Ansatz (hier der Edukte):

    v = k · CαA · CβB · ... · C

    σS · ...

    mit k =̂ Geschwindigkeitskonstante der betrachteten Reaktion

    α =̂ Reaktionsordnung in Bezug auf Reaktionspartner A (entsprechend für β, σ)

    Anmerkung: α = 0 bedeutet, dass v nicht von der Konzentration des Stoffes Aabhängt.

    1.1.2 Gesamt-Reaktionsordnung

    m = α + β + ...+ σ + ..

    bildet sich aus der Summe der Reaktionsordnungen aller Reaktionspartner (Edukte).

    1.1.3 Umsatzvariable XA(t)

    Definition: Stoffmenge des Edukts A pro Volumen V , die zwischen t = 0 (Beginn derReaktion) und t umgesetzt wird, d.h.:

    XA(t) =nA(t = 0)− nA(t)

    V= CA(t = 0)− cA(t) (1.1)

    mit CA(t = 0) =̂ Anfangskonzentration von A.

  • 1.2. REAKTIONEN 1. ORDNUNG IN BEZUG AUF EIN EDUKT 6

    1.2 Reaktionen 1. Ordnung in Bezug auf ein Edukt

    Bei diesem Reaktionstyp ist die Reaktionsgeschwindigkeit zum Zeitpunkt t proportionalzur Konzentration eines Reaktionspartners zum Zeitpunkt t.

    Beispiele:

    1. radioaktiver Zerfall (→ siehe Übungen)

    2. Zerfall vieler Moleküle, die mehr als drei Atome besitzen, wie z.B.:

    N2O5 → N2O4 +1

    2O2 (1.2)

    Geschwindigkeitsgesetz:

    v = −dcN2O5dt

    = k · cN2O5

    1.2.1 Allgemeine Formulierung

    für den Fall, dass ein Stoff A in einer Reaktion 1. Ordnung bezüglich cA verbraucht wird,d.h. entsprechend der Reaktionsgleichung

    Ak−→ P

    Geschwindigkeitsgesetz:

    v = −dcAdt

    = k · cA

    Integration des obigen Geschwindigkeitsgesetzes:

    dcAcA

    = d ln cA = −k · dt

    ∫ ln cA(t)ln cA(t=0)

    d lncA = −k∫ tt=0

    dt

    ln cA(t)− ln cA(t = 0) = −k · t

    Mit Abkürzung cA(t = 0) = a ergibt sich:

    ln cA(t) = ln a− k · t

    Graphische Darstellung: ln cA(t) als Funktion von t ergibt eine Gerade mit derSteigung −k und dem Ordinatenabschnitt ln a.

    ln

    (cA(t)

    a

    )= −k · t

  • 1.2. REAKTIONEN 1. ORDNUNG IN BEZUG AUF EIN EDUKT 7

    Abb. 1.1: Konzentration des Edukts A als Funktion der Zeit im Falle einer Reaktion 0., 1.und 2. Ordnung

    Graphische Darstellung: ln (cA(t)/a) als Funktion von t ergibt eine Gerade mit derSteigung −k und dem Ordinatenabschnitt Null.

    Auflösen nach cA(t) liefert:cA(t) = a · exp(−k · t) (1.3)

    Das Abklingverhalten der Konzentration von A, ausgehend vom Startwert cA(t = 0) = awird durch die Abklingfunktion f(t) = exp(−k · t) beschrieben, welche allein durch denParameter k bestimmt wird (siehe Abb. (1.1)).

    Beispiel Reaktionsgleichung (1.2):

    cN2O5(t) = cN2O5(t = 0) · exp(−k · t)

    1.2.2 Halbwertszeit t1/2 für Reaktionen 1. Ordnung:

    Die Halbwertszeit entspricht dem Zeitintervall t1/2, in dem die Konzentration cA(t) aufden halben Wert abgefallen ist, wie z.B. von cA(t = 0) = a auf cA(t = t1/2) =

    a2

    Allgemeiner Zusammenhang zwischen cA(t1), cA(t2) und Zeitdifferenz (t2 − t1) für Re-aktionen 1. Ordnung (Substraktion von integralem Zeitgesetz):

    lncA(t1)

    cA(t2)= k · (t2 − t1)

  • 1.3. REAKTIONEN 2. ORDNUNG IN BEZUG AUF EIN EDUKT 8

    Einsetzen von cA(t2) =cA(t1)

    2und t2 − t1 = t1/2 liefert:

    t1/2 =ln 2

    k≈ 0.7

    k

    Hieraus lässt sich ersehen, dass die Halbwertszeit t1/2 bei Reaktionen 1. Ordnung kon-zentrationsunabhängig ist.

    1.2.3 Mittlere Lebensdauer τ eines Edukt-Teilchens

    Die mittlere Lebensdauer τ eines Edukt-Teilchens ergibt sich aus den individuellen Le-bensdauern der Edukt-Teilchen τ1, τ2, τ3,..., gerechnet ab dem Zeitpunkt t = 0, wiefolgt:

    τ =τ1 + τ2 + τ3 + ..

    N(t = 0)

    wobei N(t=0) der Anzahl der Edukt-Teilchen bei t = 0 entspricht.

    Für Reaktionen 1. Ordnung gilt:

    τ =1

    k(1.4)

    Einsetzen von Gleichung (1.4) in Gleichung (1.3) ergibt, dass zum Zeitpunkt t = τ dieAnzahl bzw. Konzentration der Edukt-Teilchen auf den Bruchteil 1

    e≈ 0.37 abgefallen

    ist.

    1.3 Reaktionen 2. Ordnung in Bezug auf ein Edukt

    Beispiel:2NO2 → 2NO +O2

    Geschwindigkeitsgesetz:

    v = −dcNO2dt

    = k · c2NO2

    1.3.1 Allgemeine Formulierung

    für den Fall, dass ein Stoff A in einer Reaktion 2. Ordnung bezüglich cA verbraucht wird:

    v = −dcAdt

    = k · c2A

  • 1.3. REAKTIONEN 2. ORDNUNG IN BEZUG AUF EIN EDUKT 9

    Integration des Geschwindigkeitgesetztes:

    −dcAc2A

    = −c−2A · dcA = k · dt

    −∫ cA(t)cA(t=0)=a

    c−2A · dcA = k ·∫ tt=0

    dt

    1

    cA(t)− 1a

    = k · t

    1

    cA(t)=

    1

    a+ k · t (1.5)

    Graphische Darstellung: 1cA(t)

    als Funktion von t ergibt eine Gerade mit der Stei-

    gung k und dem Ordinatenabschnitt 1a.

    Durch Auflösen von Gleichung (1.5) nach cA(t) ergibt sich:

    cA(t) = a ·1

    1 + k · a · t(1.6)

    Das Abklingverhalten der Konzentration von A, ausgehend vom Startwert cA(t = 0) =a, wird durch die Abklingfunktion f(t) = 1

    1+k·a·t beschrieben, welche durch k und abestimmt wird (siehe Abb. (1.1)) .

    1.3.2 Halbwertszeit t1/2 für Reaktionen 2. Ordnung in Bezug aufEdukt A:

    Allgemeiner Zusammenhang zwischen cA(t1), cA(t2) und Zeitdifferenz (t2−t1) ergibt sichdurch Subtraktion von Gleichung (1.5):

    1

    cA(t2)− 1cA(t1)

    = k · (t2 − t1)

    Einsetzen von cA(t2) =cA(t1)

    2und t2 − t1 = t1/2 liefert:

    t1/2 =1

    k · a

    Hieraus ist ersichtlich, dass die Halbwertszeit t1/2 bei Reaktionen 2. Ordnung abhängigvon der Anfangskonzentration a ist.

  • 1.4. REAKTIONEN DER GESAMTORDNUNG 2, JEDOCH JEWEILS 1.ORDNUNG IN BEZUG AUF 2 EDUKTE 10

    1.4 Reaktionen der Gesamtordnung 2, jedoch jeweils 1.Ordnung in Bezug auf 2 Edukte

    Beispiel:H2 + I2 → 2HI

    Geschwindigkeitsgesetz:

    v = −dcH2dt

    = k · cH2 · cI2

    1.4.1 Allgemeine Formulierung

    für den Fall, dass ein Stoff A in einer Reaktion 2. Gesamtordnung, jedoch 1. Ordnungin Bezug auf Edukt A und B verbraucht wird, gemäß folgender Reaktionsgleichung:

    A+B → P (1.7)

    Geschwindigkeitsgesetz:

    v = −dcAdt

    = k · cA · cB (1.8)

    Lösung für gleiche Anfangskonzentrationen:

    cA(t = 0) = cB(t = 0)

    Mit cA(t = 0) = a und cB(t = 0) = b folgt

    a = b (1.9)

    Aufgrund der Stöchiometrie von Reaktion (1.7) gilt dann zu jedem Zeitpunkt t:

    cA(t) = cB(t) (1.10)

    Einsetzen in Gleichung (1.8) liefert:

    v = −dcAdt

    = k · c2A

    Durch Integration ergibt sich1:

    cA(t) = a ·1

    1 + a · k · t

    1Vergleich mit Fall Reaktion 2. Ordnung in Bezug auf Edukt A in Gleichung (1.6)

  • 1.4. REAKTIONEN DER GESAMTORDNUNG 2, JEDOCH JEWEILS 1.ORDNUNG IN BEZUG AUF 2 EDUKTE 11

    und wegen Gleichung (1.9) und Gleichung (1.10)

    cB(t) = b ·1

    1 + b · k · t

    Lösung für ungleiche Anfangskonzentrationen

    Es gilt:cA(t = 0) 6= cB(t = 0) d.h. a 6= b

    Aufgrund der Stöchiometrie der Reaktion gilt hier zu jedem Zeitpunkt t:

    cB(t) = cA(t) + (b− a)

    Einsetzen in Gleichung (1.8) liefert:

    −dcAdt

    = k · cA · [cA(t) + (b− a)]︸ ︷︷ ︸=cB(t)

    Integriertes Geschwindigkeitsgesetz:

    lncA(t)

    cA(t) + (b− a)= ln

    cA(t)

    cB(t)= ln

    a

    b− (b− a) · k · t (1.11)

    Durch Auflösen von Gleichung (1.11) nach cA(t) ergibt sich:

    cA(t) = a ·(b− a)

    b · exp((b− a) · k · t)− a= a · f(t)

    Das Abklingverhalten der Konzentration von A, ausgehend vom Startwert cA(t = 0) = a,wird durch die Abklingfunktion f(t) beschrieben, welche sowohl durch k als auch durcha und b bestimmt wird (siehe Abb. (1.1)).

    Näherung für Fall b� a:

    ln cB(t) ≈ ln b und (b− a) ≈ b

    Damit ergibt sich aus Gleichung (1.11):

    ln cA(t) = ln a− b · k · t

    Daraus folgt:cA(t) = a · exp(−b · k · t)

  • 1.5. TEMPERATURABHÄNGIGKEIT DERREAKTIONSGESCHWINDIGKEITSKONSTANTEN 12

    In diesem Fall ergibt sich näherungsweise eine Reaktion 1. Ordnung, welche als einesogenannte Reaktion pseudo 1. Ordnung bezeichnet wird (Vergleiche mit Reaktion1. Ordnung (Gleichung (1.3))).

    1.4.2 Halbwertszeit t1/2 (bezüglich Edukt A) für ungleicheAnfangskonzentrationen:

    Allgemeiner Zusammenhang zwischen cA(t1), cA(t2), cB(t1), cB(t2) und (t2 − t1):

    1

    b− a· ln cA(t1) · cB(t2)

    cA(t2) · cB(t1)= k · (t2 − t1)

    Einsetzen von cA(t1) = a, cB(t1) = b, cA(t2) =a2, cB(t2) = b−

    a

    2︸ ︷︷ ︸=cA(t2)︸ ︷︷ ︸

    = a2

    +(b−a)

    und (t2 − t1) =

    tA1/2 liefert:

    tA1/2 =1

    k· 1b− a

    · ln(2− ab

    )

    Hieraus ist erkennbar, dass tA1/2 von beiden Ausgangskonzentrationen a und b abhängigist.

    1.5 Temperaturabhängigkeit derReaktionsgeschwindigkeitskonstanten

    1.5.1 Temperaturverhalten nach Arrhenius

    Temperaturverhalten von k(t) wird in vielen Fällen durch die sogenannte Arrhenius-Gleichung wiedergegeben:

    d ln k

    dT=

    EaR · T 2

    (1.12)

    wobei Ea der Aktivierungsenergie der betrachteten Reaktion (näherungsweise tempera-turunabhängig) entspricht.

    Integration von Gleichung (1.12) liefert:∫ ln k(T )ln k(T=∞)

    d ln k =EaR

    ∫ TT=∞

    1

    T 2dT

  • 1.5. TEMPERATURABHÄNGIGKEIT DERREAKTIONSGESCHWINDIGKEITSKONSTANTEN 13

    Abb. 1.2: Reaktionsgeschwindigkeitskonstante als Funktion der Temperatur unter der An-nahme, dass die Aktivierungsenergie Ea temperaturunabhängig ist.

    ln k = ln k(T =∞)− EaR · T

    wobei k(T = ∞) = kmax dem maximalen Wert der Geschwindigkeitskonstanten ent-spricht. Es folgt:

    k(T ) = kmax · exp(− EaR · T

    )Anmerkung: Häufig wird kmax auch als präexponentieller Faktor oder als Frequenzfak-tor A bezeichnet.

    Division obiger Gleichung durch k(T = 298K) und Logarithmieren liefert die Gera-dengleichung:

    ln

    (k(T )

    k(T = 298K)

    )= − Ea

    R · T+ ln

    (kmax

    k(T = 298K)

    )Arrhenius-Auftragung:

    Auftragung von ln k gegen 1T

    zur graphischen Bestimmung der Aktivierungsenergie Ea(siehe Abb. 1.2, 1.3 und 1.4)

  • 1.5. TEMPERATURABHÄNGIGKEIT DERREAKTIONSGESCHWINDIGKEITSKONSTANTEN 14

    Abb. 1.3: Bestimmung der Aktivierungsenergie Ea mit Hilfe der Arrhenius-Auftragung ln kgegen 1/T .

    Abb. 1.4: Bestimmung des präexponentiellen Faktors durch Extrapolation von ln(k(T )/k(T =298K)) auf 1/T=0.

    Steigung der Geraden:d ln k

    d( 1T

    )= −Ea

    R

  • 1.6. REAKTIONSMECHANISMUS UND REAKTIONSORDNUNG 15

    Dieses Verfahren wurde von dem schwedi-schen Physikochemiker Svante August Arr-henius (*1837-1923) entwickelt. Er erhieltden Nobelpreis 1903.

    1.5.2 Moderne Gleichungen zur Beschreibung derTemperaturabhängigkeit der Geschwindigkeitskonstanten k:

    ln k(T ) = α +β

    T+ γ · lnT

    mit α, β und γ als Konstanten, oder:

    ln k(T ) = a+ b · T c

    mit a, b und c als Konstanten.

    1.6 Reaktionsmechanismus und Reaktionsordnung

    Elementarreaktion: Teilschritt einer Gesamtreaktion, der nicht mehr in weitere Teil-schritte unterteilt werden kann.

    Molekularität: einer chemischen Reaktion beschreibt die Anzahl der Moleküle, dieam geschwindigkeitsbestimmenden Schritt der Reaktion beteiligt sind.

    An einer Elementarreaktion können beteiligt sein:

    Ein Teilchen (Molekül, Ion, Radikal, . . . ) → unimolekulare Reaktion.Bsp.:

    (CH2)3︸ ︷︷ ︸Cyclopropan

    → CH3 − CH = CH2︸ ︷︷ ︸Propen

  • 1.7. HIN- UND RÜCKREAKTIONEN 1. ORDNUNG(GLEICHGEWICHTSREAKTIONEN) 16

    Zwei Teilchen (Moleküle, Ionen, Radikale, . . . ) → bimolekulare Reaktion.Bsp.: Esterverseifung

    CH3COOCH2CH3︸ ︷︷ ︸Essigsäureethylester

    +OH− → CH3COO−︸ ︷︷ ︸Acetation

    +CH3CH2OH︸ ︷︷ ︸Ethanol

    Drei Teilchen (Moleküle, Ionen, Radikale, . . . ) → trimolekulare Reaktion.Dieser Typ von Elementarreaktionen kommt nur sehr selten vor, da die Wahr-scheinlichkeit für den Zusammenstoß dreier Teilchen während der Reaktion sehrgering ist.

    Anmerkung: Die Molekularität einer Reaktion kann nur die Werte 1-3 annehmen.Höhere Werte sind nicht bekannt. Besteht die Gesamtreaktion nur aus einem Elemen-tarschritt, so ist die Ordnung der Gesamtreaktion gleich der Molekularität der Elemen-tarreaktion. Komplexe Reaktionen bestehen aus mehreren Elementarschritten. Sind alleTeilschritte einer komplexen Reaktion bekannt, kann die Gesamtkinetik aus der Kinetikder Elementarreaktionen abgeleitet werden.

    1.7 Hin- und Rückreaktionen 1. Ordnung(Gleichgewichtsreaktionen)

    Schema:A

    khin−−−→←−−−krück

    P

    Für die Geschwindigkeit der Gesamtreaktion gilt:

    −dcAdt︸ ︷︷ ︸

    RGGesamt

    = khin · cA(t)︸ ︷︷ ︸RGhin

    − krück · cP (t)︸ ︷︷ ︸RGrück

    (1.13)

    bzw.:RGgesamt = RGhin −RGrück (1.14)

    wobei RG =̂ Reaktionsgeschwindigkeit.

    Für die Konzentrationen der Reaktionsteilnehmer gilt:

    cP (t) = cP (t = 0) + [cA(t = 0)− cA(t)]︸ ︷︷ ︸Anteil von A, der zu P wegreagiert ist

    = p+ [a− cA(t)] (1.15)

    mit p = cP (t = 0). Für die Anfangsbedingung p = 0 ergibt sich aus Gleichung (1.15):

    cP (t) = a− cA(t) (1.16)

  • 1.7. HIN- UND RÜCKREAKTIONEN 1. ORDNUNG(GLEICHGEWICHTSREAKTIONEN) 17

    Mit Gleichung (1.16) nimmt Gleichung (1.13) folgende Form an:

    −dcAdt

    = khin · cA(t)− krück · [a− cA(t)]

    = [khin + krück] · cA(t)− krück · a(1.17)

    Grenzfälle von Gleichung (1.17):

    1. Beginn der Reaktion t = 0: cA(t) = a[− dcA

    dt

    ]t=0

    = khin · a

    Für diesen Fall ergibt sich ein einfaches Geschwindigkeitsgesetz für eine Reaktion 1.Ordnung ohne Rückreaktion.

    2. Im chemischen Gleichgewicht gilt:

    RGGesamt = 0

    Aus Gleichung (1.14) folgt somit:

    RGhin = RGrück (1.18)

    khin · [cA]Gleichgewicht = krück · [cP ]Gleichgewicht[cPcA

    ]Gleichgewicht

    =khinkrück

    = K (1.19)

    wobei K die Gleichgewichtskonstante darstellt.

    Aus Gleichung (1.19) erhalten wir durch Logarithmieren und Differentiation:

    d lnK = d ln

    [khinkrück

    ]

    Einsetzen der integralen Form der Arrhenius-Gleichung (1.12) für die Temperaturabhängigkeitvon k:

    khin(T ) = kmax · exp[− E

    hina

    R · T

    ]krück(T ) = kmax · exp

    [− E

    rücka

    R · T

    ]

  • 1.8. FOLGEREAKTIONEN 18

    liefert:d lnK

    d( 1T

    )= −E

    hina − Erücka

    R

    Diese Gleichung beschreibt die Temperaturabhängigkeit der GleichgewichtskonstantenK.

    Auftragung von lnK gegen 1T

    liefert die Steigung d lnKd(1/T )

    . Hieraus kann man die Dif-

    ferenz der Aktivierungsenergien Ehina − Erücka der Gleichgewichtsreaktion bestimmen.

    Durch Integration von Gleichung (1.17) ergibt sich:

    cA(t) = a ·[ =0 für t→∞︷ ︸︸ ︷

    khinkhin + krück

    · exp [−(khin + krück) · t] +krück

    khin + krück

    ]Nach langer Zeit t→∞ wird das chemische Gleichgewicht der Reaktion erreicht und esfolgt aus obiger Gleichung:

    [cA]Gleichgewicht = a ·krück

    krück + khin

    Mit Gleichung (1.16) ergibt sich:

    [cP ]Gleichgewicht = a− [cA]Gleichgewicht = a ·[1− krück

    krück + khin

    ]Das Zeitverhalten des Edukts A und Produkts P für eine Hin- und Rückreaktion 1.Ordnung ist in Abb. (1.5) aufgetragen. Hieraus ist ersichtlich, dass sich nach langer Re-aktionsdauer ein Gleichgewicht der Konzentrationen der Reaktionsteilnehmer einstellt.Für den Quotienten der Konzentration von Produkt und Edukt im Gleichgewicht folgtsomit: [

    cPcA

    ]Gleichgewicht

    =

    a ·[1− krück

    krück+khin

    ]a · krück

    krück+khin

    =khinkrück

    = K

    Der Quotient der Konzentration im Gleichgewicht ist identisch mit der Gleichgewichts-konstanten bzw. dem Quotienten der Geschwindigkeitskonstanten der Reaktion.

    1.8 Folgereaktionen

    Schema:A

    k1−→ P k2−→ Q

  • 1.8. FOLGEREAKTIONEN 19

    Abb. 1.5: Konzentration des Edukts A und Produkts P als Funktion der Zeit im Falle einerHin- und Rückreaktion 1. Ordnung.

    Für den Fall, dass beide Teilschritte unimolekular ablaufen, gilt:

    −dcAdt

    = k1 · cA

    mit der Lösung:cA(t) = a · exp (−k1 · t) (1.20)

    Für das Zwischenprodukt P gilt hingegen:

    dcPdt

    = k1 · cA︸ ︷︷ ︸Bildung aus A

    − k2 · cP︸ ︷︷ ︸Reaktion zu Q

    Einsetzen von Gleichung (1.20) ergibt:

    dcPdt

    + k2 · cP = k1 · a · exp (−k1 · t) (1.21)

    inhomogene Differentialgleichung 1. Ordnung

    Lösen der Differentialgleichung (1.21) für k1 6= k2 liefert:

    cP (t) = a ·k1

    k2 − k1·[

    exp (−k1 · t)− exp (−k2 · t)]

  • 1.9. PARALLELREAKTIONEN 20

    Abb. 1.6: Konzentration des Edukts A, Zwischenprodukts P und Folgeprodukts Q als Funk-tion der Zeit im Falle einer Folgereaktion 1. Ordnung.

    Für die Konzentration des Endprodukts Q gilt:

    cQ(t) = a− [cA(t) + cP (t)]

    Eine Auftragung des Zeitverhaltens der Konzentration für eine Folgereaktion 1. Ordnungin Bezug auf alle Reaktionsteilnehmer ist in Abb. (1.6) dargestellt.

    1.9 Parallelreaktionen

    Schema:A

    k1−→ P

    Ak2−→ Q

    Für den Fall, dass beide Elementarreaktionen unimolekular ablaufen, gilt:

    dcPdt

    = k1 · cA (1.22)

    dcQdt

    = k2 · cA (1.23)

  • 1.9. PARALLELREAKTIONEN 21

    Abb. 1.7: Konzentration des Edukts A, Produkts P und des parallelentstehenden ProduktsQ als Funktion der Zeit im Falle einer Parallelreaktion 1. Ordnung

    sowie:

    −dcAdt

    =dcPdt

    +dcQdt

    = (k1 + k2) · cA

    Durch Integration ergibt sich die Lösung:

    cA(t) = a · exp(− (k1 + k2) · t

    )(1.24)

    Verknüpfung von Gleichung (1.22) und Gleichung (1.23) über cA(t) liefert:

    dcP =k1k2· dcQ

    Durch Integration erhalten wir:

    cP (t) =k1k2· cQ(t) (1.25)

    Aufgrund der Stöchiometrie gilt:

    a = cA(t) + cP (t) + cQ(t) (1.26)

  • 1.10. FOLGEREAKTIONEN MIT VORGELAGERTEMGLEICHGEWICHT UND QUASISTATIONARITÄT 22

    Aus den Gleichungen (1.24), (1.25) und (1.26) folgt schließlich:

    cP (t) =k1

    k1 + k2· a ·

    [1− exp (−(k1 + k2) · t)

    ]

    cQ(t) =k2

    k1 + k2· a ·

    [1− exp (−(k1 + k2) · t)

    ]Eine Auftragung des Zeitverhaltens der Konzentrationen für eine Parallelreaktion 1.Ordnung ist in Abb. (1.7) dargestellt.

    1.10 Folgereaktionen mit vorgelagertem Gleichgewichtund Quasistationarität

    Chemische Reaktionen in der Biologie und Biochemie bestehen in der Regel aus mehrerenTeilreaktionen. Ein typisches Reaktionsschema lautet:

    Ak1−−→←−−k−1

    Bk2−→ C

    Unter der Annahme, dass alle Teilreaktionen Zeitgesetzen 1. Ordnung folgen, ergebensich folgende differentielle Zeitgesetze:

    dcAdt

    = −k1 · cA + k−1 · cB (1.27)

    dcBdt

    = k1 · cA − k−1 · cB − k2 · cB

    dcCdt

    = k2 · cB

    Aufgrund der Stoffmengenerhaltung gilt außerdem:

    cA + cB + cC = c0A

    wobei c0A = cA(t = 0) = a die Anfangskonzentration von A darstellt (Schreibweise in derBiochemie gebräuchlich). Hieraus folgt:

    dcA + dcB + dcC = 0

    Obiges Gleichungssystem ist mit herkömmlichen analytischen Integrationsverfahren fürden allgemeinen Fall nicht lösbar. Mit Hilfe numerischer Integrationsverfahren können je-doch die Konzentrationsverläufe der Reaktionsteilnehmer ermittelt werden (siehe hierzuAbb. (1.8)).

  • 1.10. FOLGEREAKTIONEN MIT VORGELAGERTEMGLEICHGEWICHT UND QUASISTATIONARITÄT 23

    Abb. 1.8: Konzentrationsverlauf des Edukts A, Zwischenprodukts B und des EndproduktsC als Funktion der Zeit bei einer Folgereaktion 1. Ordnung mit vorgelagertem Gleichgewicht(allgemeiner Fall).

    Allgemeiner Fall: in Abb. (1.8) beobachtet man, dass cA exponentiell abnimmt undcB ein Maximum durchläuft. Dagegen cC zuerst langsamer als cB und nach dem Wen-depunkt exponentiell bis zum maximalen Wert ansteigt.

    Wichtiger Spezialfall: wird in Abb. (1.9) gezeigt. Hier erfolgt Bildung von B ausA langsam. Dies stellt den geschwindigkeitsbestimmenden Schritt der Gesamtreaktiondar. Dann reagiert reaktives Zwischenprodukt B schnell entweder zu A zurück oder zu Cweiter, d.h. k−1, k2 � k1. Dies hat zur Folge, dass die Konzentration von B auf sehr klei-nem Niveau gegenüber den anderen Konzentrationen bleibt. Hieraus resultiert eine sehrflache Kurve. In diesem Fall kann für Zwischenprodukt B ein quasistationärer Zustandangenommen werden:

    dcBdt

    = k1 · cA − k−1 · cB − k2 · cB ≈ 0 (1.28)

    Durch Auflösen obiger Gleichung nach cB ergibt sich:

    cB = cA ·k1

    k−1 + k2

  • 1.10. FOLGEREAKTIONEN MIT VORGELAGERTEMGLEICHGEWICHT UND QUASISTATIONARITÄT 24

    Abb. 1.9: Konzentrationsverlauf des Edukts A, Zwischenprodukts B und Endprodukts Cbei einer Folgereaktion 1. Ordnung mit vorgelagertem Gleichgewicht. Spezialfall: Bildung vonB aus A erfolgt langsam und B reagiert schnell entweder zu A zurück oder zu C weiter.Konzentration von B bleibt sehr klein gegenüber den anderen Konzentrationen. In diesem Fallkann ein quasistationärer Zustand für Zwischenprodukt B angenommen werden.

    Einsetzen in Gleichung (1.27) liefert schließlich:

    dcAdt

    = −k1 · cA +k1 · k−1k−1 + k2

    · cA = −

    =k︷ ︸︸ ︷k1 · k2k−1 + k2

    ·cA

    dcCdt

    =k1 · k2k−1 + k2︸ ︷︷ ︸

    =k

    ·cA

    Durch Einführung der Konstanten k = k1·k2k−1+k2

    ergibt sich näherungsweise eine Differen-tialgleichung 1. Ordnung für Edukt A:

    dcAdt

    = −k · cA

    mit integralem Zeitgesetz:

    ln

    (cAc0A

    )= −k · t

  • 1.11. ENZYMREAKTIONEN 25

    Abb. 1.10: Enzym Urease isoliert aus dem Bakterium Klebsellia Aerogenes. Es katalysiert dieHydrolysereaktion von Harnstoff zu Kohlenstoffdioxid und Ammoniak.

    Dies entspricht näherungsweise einer Reaktion 1. Ordnung folgenden Typs:

    Ak−→ C

    Obige Herleitung zeigt, dass eine Folge von Reaktionen, in der nur der langsamste Re-aktionsschritt für die Gesamtreaktion maßgeblich ist, näherungsweise als eine Reaktion1. Ordnung angesehen werden kann. Die quasi-stationäre Näherung kann in der Regelzur Behandlung von Reaktionen mit reaktivem Zwischenprodukt, wie z.B. von Enzym-und Radikalreaktionen, herangezogen werden.

    1.11 Enzymreaktionen

    Katalysatoren: sind Moleküle, die die Geschwindigkeit einer Reaktion erhöhen, jedochaus der Reaktion unverändert hervorgehen.Enzyme: sind biologische Katalysatoren auf Basis von Aminosäuren (Proteine), welchebei der Steuerung des Stoffwechselgeschehens eine wichtige Rolle spielen.Beispiel: Urease kommt besonders in Pflanzensamen und Bakterien vor (siehe Abb.(1.10)). Sie katalysiert die Hydrolyse-Reaktion von Harnstoff:

    H2NCONH2 + 3H2OUrease−−−−→ 2NH+4 +OH− +HCO−3

  • 1.11. ENZYMREAKTIONEN 26

    1.11.1 Michaelis-Menten-Kinetik:

    nach Leonor Michaelis und Maud Menten 1913.

    Typisches Reaktionsschema einer Enzymreaktion:

    S + Ek1−−→←−−k−1

    ESkP−→ P + E

    wobei S =̂ Substrat

    E =̂ freies Enzym

    ES =̂ Enzym-Substrat-Komplex

    P =̂ Produkt

    Annahme: Hinreaktion sei 2. Gesamtordnung; die Rückreaktion sowie die Produkt-bildungsreaktion sei 1. Ordnung.

    Differentielle Zeitgesetze für ES und P :

    dcESdt

    = k+1 · cS · cE︸ ︷︷ ︸T1

    −( k−1︸︷︷︸T2

    + kp︸︷︷︸T3

    ) · cES (1.29)

    dcPdt

    = kP · cES (1.30)

    wobei T1 =̂ Bildung von ES aus E und S

    T2 =̂ Rückbildung von E und S

    T3 =̂ Weiterreaktion zu P und E

    Für die Gesamtkonzentration des Enzyms gilt:

    c0E = cE + cES (1.31)

  • 1.11. ENZYMREAKTIONEN 27

    Mittels Gleichung (1.31) können wir cE aus Gleichung (1.29) eliminieren und wir erhal-ten:

    dcESdt

    = k+1 · cS · c0E − (k+1 · cS + k−1 + kp) · cES (1.32)

    Bei Enzymreaktionen arbeitet man in der Regel mit sehr kleinen Enzymkonzentrationen,d.h. cS � cES, und Substratüberschuß cS ≈ c0s. Für den Fall, daß der Enzym-Substrat-Komplex als reaktives Zwischenprodukt mit k−1, kP � k+1 angenommen werden kann,kann die quasi-stationäre Näherung auf Gleichung (1.32) angewendet werden:

    dcESdt≈ 0

    Durch Auflösen nach cES ergibt sich:

    cES =cS

    cS +KM· c0E (1.33)

    wobei

    KM =k−1 + kPk+1

    (1.34)

    die sog. Michaelis-Konstante darstellt. Einsetzen von Gl. (1.33) in Gleichung (1.30)liefert schließlich die Produktbildungsgeschwindigkeit:

    vP =dcPdt

    = kP · c0E ·cS

    cS +KM

    Mit Hilfe der Definition für den Maximalwert von vP :

    vmaxP = kP · c0E

    welcher an der Substrat-Sättigungsgrenze erreicht wird, ergibt sich schliesslich das soge-nannte Michaelis-Menten-Gesetz:

    vP = vmaxP ·

    cScS +KM

    (1.35)

    wobei cS ≈ c0S. Es stellt eine grundlegende Beziehung der Enzym-Kinetik dar !

    Die sogenannte Wechselrate (turn-over-rate) des Enzyms:

    kcat =vmaxPc0E

    beschreibt wieviele Substratmoleküle von einem substratgesättigten Enzymmolekül proZeit umgesetzt werden.

  • 1.11. ENZYMREAKTIONEN 28

    Abb. 1.11: Graphische Darstellung der Michaelis-Menten-Kinetik, in der die Produktbildungs-geschwindigkeit als Funktion der Gesamtkonzentration des Substrats aufgetragen wird.

    Die Produktbildungsgeschwindigkeit vP wird in enzymkinetischen Messungen als Funk-tion von c0S gemessen. Da das exakte cS während der Reaktion nur schwer bestimmbarist, wird cS ≈ c0S angenommen und vP (c0S) aufgetragen (siehe Abb. (1.11)). Aus derAuftragung des Michaelis-Menten-Gesetzes ist erkennbar, dass bei c0S = KM die Pro-duktbildungsgeschwindigkeit vP = v

    maxP /2 ist, daher wird die Michaelis-Konstante KM

    auch als Halbsättigungskonzentration bezeichnet !

    1.11.2 Lineweaver-Burk-Gleichung

    Um Meßwerte von vP auf Verträglichkeit mit der Michaelis-Menten-Kinetik zu prüfenund gleichzeitig die Konstanten KM und v

    maxP zu bestimmen, formt man das Michaelis-

    Menten-Gesetz Gl. (1.35) so um, dass man eine Geradengleichung, die sog. Lineweaver-Burk-Gleichung, erhält:

    1

    vP=

    KMvmaxP

    · 1cS

    +1

    vmaxP

    mit cS ≈ c0S. Auftragung von 1/vP gegen 1/c0S liefert eine doppelt-reziproke Auftragung(siehe Abb. (1.12)). Wenn experimentell ermittelte Wertepaare für v−1P und (c

    0S)−1 eine

    Gerade ergeben, dann gehorcht die Enzymreaktion einer Michaelis-Menten-Kinetik. Ausden Achsenabschnitten der Lineweaver-Burk-Auftragung lassen sich die Werte für dieKonstanten des Michaelis-Menten-Gesetzes KM und v

    maxP ablesen.

  • 1.12. REAKTIONEN AN FESTER KATALYSATOROBERFLÄCHE 29

    Abb. 1.12: Doppelt-reziproke Auftragung nach Lineweaver-Burk zur Bestimmung derMichaelis-Konstanten KM und des Maximalwerts der Produktbildungsgeschwindigkeit vmaxP .

    1.12 Reaktionen an fester Katalysatoroberfläche

    1.12.1 Fall 1: Adsorption/Desorption eines Gases A auf/von einerKatalysatoroberfläche

    Reaktionsschema:

    Adsorption: A(g)+ad-PlatzkAds−−→ A(ad)

    Desorption: A(ad)kDes−−→ A(g)+ad-Platz

    wobei ad-Platz ein Adsorptionsplatz an der Katalysatoroberfläche darstellt.

    Annahme: Die Teilreaktion der Adsorption sei bimolekular und die der Desorpti-on unimolekular. Zudem sind alle Adsorptionsplätze gleichwertig und besitzen daher diegleiche Besetzungswahrscheinlichkeit.

  • 1.12. REAKTIONEN AN FESTER KATALYSATOROBERFLÄCHE 30

    Für die Geschwindigkeiten der Adsorptions- und Desorptionsteilreaktionen gilt dann:

    RGAdsorption =1

    AKat·

    dnA(ad)dt

    = kAds · pA · (1− θ) (1.36)

    RGDesorption = −1

    AKat·

    dnA(ad)dt

    = kDes · θ (1.37)

    wobei AKat =̂ Oberfläche des KatalysatorsdnA(ad) =̂ Änderung der Stoffmenge von A am Adsorptionsplatz im

    Zeitintervall dtpA =̂ Partialdruck von A in der Gasphaseθ =̂ Bedeckungsgrad (Maß für die Oberflächenkonz. der mit A-Teilchen

    besetzten Adsorptionsplätze1− θ =̂ Maß für die Oberflächenkonz. der unbesetzten Adsorptionsplätze

    Definition des Bedeckungsgrades:

    θ =Zahl der besetzten Adsorptionsplätze.

    Gesamtzahl der Adsorptionsplätze.

    Für das Adsorptions-Desorptionsgleichgewicht gilt:

    RGAdsorption = RGDesorption (1.38)

    Mit Gleichung (1.36) und Gleichung (1.37) folgt für obige Gleichung:

    kAds · pA · (1− θ) = kDes · θ

    welche umgeschrieben werden kann als

    θ

    1− θ=kAdskDes

    · pA = α · pA (1.39)

    mit

    α =kAdskDes

    =1

    pA· θ

    1− θDie Größe α entspricht dem Kehrwert des Partialdruckes p∗A, welcher bei Halbbesetzungder Adsorptionsplätze θ = 1

    2im System herrscht, d.h. α = 1

    p∗A.

    Auflösen von Gleichung (1.39) nach θ liefert die sog. Langmuir-Isotherme:

    θ =α · pA

    1 + α · pA

  • 1.12. REAKTIONEN AN FESTER KATALYSATOROBERFLÄCHE 31

    Abb. 1.13: Bedeckungsgrad der Katalysator-Oberfläche als Funktion des Partialdrucks einerSubstanz A in der Gasphase wird durch die sog. Langmuir-Isotherme wiedergegeben.

    Graphische Auftragung von θ als Funktion von pA wird in Abb. (1.13) gezeigt.

    Zwei Grenzfälle:

    1. Kleine Partialdrücke pA � p∗A:

    θ ≈ α · pA ∝ pA

    Bei kleinen Partialdrücken ergibt sich ein lineares Verhalten für den Bedeckungsgrad(siehe Abb. (1.13)) !

    2. Große Partialdrücke pA � p∗A:

    1− θ ∝ 1pA

    ⇒ θ pA→∞−→ 1

    Bei großen Partialdrücken tendiert der Bedeckungsgrad gegen die Sättigungsgrenze (sie-he Abb. (1.13)) !

  • 1.12. REAKTIONEN AN FESTER KATALYSATOROBERFLÄCHE 32

    Beweis:

    1− θ = 1− α · pA1 + α · pA

    =1

    1 + α︸︷︷︸1

    p∗A

    ·pA

    =1

    1 + pAp∗A

    =p∗A

    p∗A + pA

    pA�p∗A≈ p∗A

    pA

    ⇒ 1− θ ∝ 1pA⇒ θ pA→∞−→ 1

    1.12.2 Fall 2: Unimolekulare Reaktion an der Katalysatoroberflächeder adsorbierten Spezies

    Adsorptions-Desorptionsgleichgewicht:

    A(g) + ad− Platz � A(ad)

    Folgereaktion:

    A(ad)k→ P (g)

    Für die Reaktionsgeschwindigkeit gilt:

    1

    Akat· dnP

    dt= k · θ = k · α · pA

    1 + α · pA

    Die Geschwindigkeit der Folgereaktion an der Oberfläche ist proportional zum Be-deckungsgrad θ.

    Zwei Grenzfälle:

    1. Schwache Adsorption, d.h. α · pA � 1 bzw. pA � p∗A:

    1

    Akat· dnP

    dt≈ k · α · pA

    Bei schwacher Adsorption ergibt sich näherungsweise ein Geschwindigkeitsgesetz 1. Ord-nung bzgl. pA !

  • 1.12. REAKTIONEN AN FESTER KATALYSATOROBERFLÄCHE 33

    2. Starke Adsorption, d.h. α · pA � 1 bzw. pA � p∗A:

    1

    Akat· dnP

    dt≈ k

    Bei starker Adsorption ergibt sich näherungsweise ein Geschwindigkeitsgesetz nullterOrdnung !

    1.12.3 Fall 3: Bimolekulare Reaktion an der Katalyseoberflächezwischen adsorbierten Spezies

    Adsorption-Desorptionsgleichgewicht von Spezies A und B an der Katalysatoro-berfläche:

    A(g) + ad-Platz � A(ad)

    B(g) + ad-Platz � B(ad)

    Folgereaktion:

    A(ad) +B(ad)k→ P (g)

    Bei vielen Katalysereaktionen beruht der Mechanismus auf Stößen zwischen adsorbiertenSpezies an der Katalysatoroberfläche, wobei die Spezies um die gleichen Adsorptions-plätze konkurrieren. Solche Reaktionen bezeichnet man als Langmuir-Hinshelwood-Reaktionen !

  • Aufgaben zur Kinetik:

    1. Aufgabe: Reaktion erster Ordnung

    14C ist ein radioaktives Kohlenstoffisotop, das nach einer Reaktion erster Ordnung mit einer Halbwertszeit von 5730a zerfällt (β- Zerfall). Es entsteht in der oberen Atmosphäre aus Stickstoff unter Einwirkung von Höhenstrahlung. Durch Entstehung und Zerfall stellt sich ein Gleichgewicht ein. Solange ein Organismus lebt, führt er immer weiter 14C durch Nahrung / Assimilation zu. Nach dem Absterben zerfällt 14C jedoch nur noch. Dies macht es möglich, über die verbleibende Radioaktivität, die zu der Menge an verbleibenden 14C proportional ist, das Alter von archäologischen Funden abzuschätzen.

    Die Eismumie aus den Ötztaler Alpen weist nur noch eine restliche Radioaktivität von 52,7 % eines lebenden Menschen auf. Wann ist der Mann gestorben?

    2. Aufgabe: Reaktionsumsatz einer Reaktion 2. Ordnung

    Die Esterhydrolyse verläuft unter basischen Bedingungen irreversibel, da das für die Rückreaktion nicht weiter reaktive Säureanion entsteht. Bei der hier betrachteten Hydrolyse von Essigsäureethylester beträgt die Geschwindigkeitskonstante 0,11 L mol-1 s-1.

    CH3COOC2H5(aq) + OH-(aq) CH3COO- (aq) + CH3CH2OH (aq)

    Eingesetzt wurden die Edukte jeweils in einer Konzentration von 0,150 mol/l. Wie hoch sind die verbleibenden Esterkonzentrationen nach: 15 s, 15 min und 15 h ? Skizzieren Sie den Verlauf der Konzentrationen der Edukte und Produkte in der Reaktion in einem c über t Diagramm.

    3. Aufgabe: Reaktionsordnung und Aktivierungsenergie

    Das Molekül N2O5 zersetzt sich in einer Zerfallsreaktion zu N2O4 und O2. Bestimmen Sie die Ordnung der Reaktion durch eine geeignete Auftragung mit Hilfe der unten angegebenen Messdaten. Ermitteln Sie dann die Reaktionsgeschwindigkeitskonstante, die Halbwertszeit, sowie die Aktivierungsenergie der Reaktion.

    45°C 65°Ct/s c(N2O5) / mol l-1 c(N2O5) / mol l-1

    0 2,330 2,330200 2,109 0,880400 1,909 0,332600 1,728 0,125800 1,564 0,0471000 1,416 0,018

  • 4. Aufgabe: Hin- und Rückreaktion und Gleichgewicht

    Bei der Bildung von HI in der Gasphase:

    H2(g) + I2(g) 2HI(g)

    wurde in einer Versuchsreihe bei einer Temperatur von 698,6K folgende Gleichgewichts-konzentrationen gemessen:

    [H2] in Mol/l [I2] in Mol/l [HI] in Mol/l

    4,5647 0,7378 13,54400,4789 0,4789 3,53411,1409 1,1409 8,4100

    Dabei läuft die Reaktion in Form einer Elementarreaktion ab.

    a) Bestimmen Sie die Gleichgewichtskonstante der Reaktion.b) Wie verhalten sich bei Erreichen des Gleichgewichts die Reaktionsgeschwindigkeiten

    der Hin- und Rückreaktionen zueinander?c) Wie verhalten sich die Geschwindigkeitskonstanten der Hin- und Rückreaktion

    zueinander?

    5. Aufgabe: Folgereaktion erster Ordnung Bei einem biotechnologischen Prozess entsteht aus der Substanz A das Produkt B, das selbst wieder zu dem Produkt C weiterreagiert. Die Reaktion soll nach folgendem Reaktionsschema ablaufen:

    A B C

    wobei kA und kB jeweils die Geschwindigkeitskonstanten der ersten und zweiten Teilreaktion darstellen. Jede Reaktionsstufe ist eine Reaktion erster Ordnung.

    a) Geben Sie das differentielle Zeitgesetz für die Konzentration von B an, woraus sich folgendes integrales Zeitgesetz für cB ergibt:

    cB t =k A c A

    0

    k B−k Ae−k A t−e−kB t

    wobei cA0 die Anfangskonzentration der Substanz A darstellt.

    b) Leiten Sie einen Ausdruck für den Zeitpunkt her, bei dem die Konzentration von B ihr Maximum erreicht und berechnen Sie die maximale Konzentration von B.

    c) Wie verhalten sich die beiden hergeleiteten Größen aus 5 a), wenn kB ansteigt während kA konstant gehalten wird ?

  • 6. Aufgabe: Parallelreaktion erster Ordnung

    131I ist ein radioaktives Iod-Isotop, das bei der Kernspaltung entstehen kann. 131I ist ein β- Strahler der mit einer Halbwertszeit von 8d zerfällt. Wird Iod vom Körper aufgenommen, lagert es sich hauptsächlich in der Schilddrüse ein. Die biologische Halbwertszeit beim Menschen in der Schilddrüse (durch Ausscheidung) beträgt 140d. Daraus folgt eine besonders starke Belastung der Schilddrüse bei Unfällen mit Radioaktivität, der man versucht mit Iod Tabletten entgegen zu wirken.

    a) Berechnen Sie die effektive Halbwertszeit von 131I im menschlichen Körper.b) Wie lange dauert es bis die mit 131I aufgenommene Radioaktivität in einem Menschen

    um 99 % abgenommen hat ?

    7. Aufgabe: Konzentrationsverlauf und Quasistationärität

    a) Geben Sie das Reaktionsschema an und skizzieren Sie die Konzentrationsverläufe der beteiligten Substanzen in Abhängigkeit der Reaktionsdauer für folgende Fälle:

    i. Irreversible Parallelreaktion erster Ordnung ii. Hin-/Rückreaktion erster Ordnung iii. Folgereaktion mit vorgelagertem Gleichgewicht

    b) Welche Voraussetzungen müssen zur analytischen Lösung der differentiellen Zeitgesetze aus Aufgabe 7 a) iii. mit Hilfe der Quasistationaritätsbedingung erfüllt sein ?

    8. Aufgabe: Folgereaktion und Quasistationärität

    Aceton geht unter Säurekatalyse mit sich selbst eine Aldolkondensation ein. Dies geschieht nach folgendem vereinfachtem Reaktionschema:

    O

    CH3 CH3+ H+

    k(+)

    k(-)

    OH

    CH2 CH3+ H+

    Aceton Enol

    OH

    CH2 CH3

    O

    CH3 CH3+

    k(p)

    CH3

    O

    CH3

    CH3

    + OH2

    Enol Aceton Produkt (4-Methylpent-3-en-2on)

    a) Leiten Sie unter Verwendung der Näherung des quasi-stationären Zustandes für das reaktive Zwischenprodukt (Enol) einen Ausdruck für die Konzentration des Enols her. b) Leiten Sie daraus einen Ausdruck für die Produktbildungsgeschwindigkeit her.

  • 9. Aufgabe: Michaelis-Menten-Kinetik

    Das von Fleming entdeckte Antibiotikum Penicillin ist ein β-Lactam Antibiotikum, das bei gram-positiven Bakterien die Ausbildung der Zellwand verhindert. Manche Stämme von Staphylococcus aureus haben jedoch eine Gegenstrategie gegen das Penicillin entwickelt. Sie besitzen die β-Lactamase (auch als Penicillinase bekannt), die β-Lactam-Antibiotika, wie das Penicillin, hydrolysieren und somit unwirksam machen kann. Im Rahmen einer Versuchsreihe sollte die Reaktionskinetik der Penicillinhydrolyse untersucht werden. Dazu wurde die von 1ng β-Lactamase (MW = 29,6 kDa) hydrolysierte Menge an Penicillin pro Minute in Abhängigkeit der Penicillinkonzentration in einem Reaktionsansatz von 1ml gemessen. Es wurden hierbei folgende Messdaten ermittelt:

    Konzentration cPenicillin[µM]

    Produktbildungsgeschwindigkeit νP [nmol/min ml]

    1 0,113 0,255 0,34

    10 0,4530 0,5850 0,61

    Nehmen Sie an, dass sich die Penicillinkonzentration während des Versuchs nicht merklich ändert.

    a) Zeigen Sie anhand einer geeigneten Auftragung obiger Messwerte, ob die β-Lactamase der Michaelis-Menten-Kinetik gehorcht. Wenn ja, welchen Wert für die Michaelis- Menten-Konstante KM besitzt die β-Lactamase ? b) Welchen Wert hat die maximale Produkbildungsgeschwindigkeit ? c) Welche Wechselzahl hat das Enzym unter den angegebenen Bedingungen, wenn man davon ausgeht, dass das Enzym nur ein aktives Zentrum besitzt ?

  • 2 Thermodynamik

    2.1 Grundlagen und Wiederholung 1. Semester

    2.1.1 System und Umgebung

    System: Teil des Weltalls, der bei der Untersuchung betrachtet wird (siehe Abb. (2.1)).

    Umgebung: Rest des Weltalls, der an das System angrenzt und gegebenfalls mitdiesem in Wechselwirkung steht.

    Ein System bezeichnet man als:

    abgeschlossen bzw. isoliert, wenn weder Energie- noch Stoffaustausch mit derUmgebung stattfindet;

    geschlossen, wenn Energie- aber kein Stoffaustausch stattfindet;

    offen, wenn Energie- sowie Stoffaustausch stattfindet.

    2.1.2 Prozesse und Randbedingungen

    Prozesse, die an einem System ausgeführt werden, bezeichnet man je nach Randbedin-gungen als:

    isotherm: bei konstanter Temperatur;

    isobar: bei konstantem Druck;

    isochor: bei konstantem Volumen;

    adiabatisch: ohne Wärmeaustausch;

    reversibel: wenn sich, bei der Ausführung, das System bei jedem Prozessschrittim Gleichgewicht befindet (kann näherungsweise durch infinitesimale Änderun-gen der Zustandsvariablen erreicht werden) und der Prozess auf demselben Wegevollständig umkehrbar ist;

    irreversibel: wenn die Änderungen nicht umkehrbar sind.

    38

  • 2.1. GRUNDLAGEN UND WIEDERHOLUNG 1. SEMESTER 39

    Abb. 2.1: Anschauliche Definition der Begriffe System, Umgebung und Weltall in der Ther-modynamik.

    2.1.3 Innere und äußere Energie

    Innere Energie:

    beschreibt die Gesamtenergie, die im System vorhanden ist, z.B. in Form kinetischerEnergie (Bewegung) oder potentieller Energie (Anziehungs-/Abstoßungskräfte) der Mo-leküle. Generell ist jede Energie, die nicht durch Bewegung des Gesamtsystems verändertwerden kann, zur inneren Energie zu zählen.

    Äußere Energie:

    wird durch die Einwirkung äußerer Kräft (z.B. Gravitationskraft) erzeugt und verändertdie Bewegung des Gesamtsystems, wie z.B. Lageenergie.

  • 2.1. GRUNDLAGEN UND WIEDERHOLUNG 1. SEMESTER 40

    2.1.4 Nullter Hauptsatz

    Satz:”Wenn ein System A sich im thermischen Gleichgewicht mit dem System B und B

    sich im thermischen Gleichgewicht mit System C befindet, so ist C auch im thermischenGleichgewicht mit System A.“

    Anmerkung: Bei der Annäherung an das thermische Gleichgewicht findet so langeein Wärmeaustausch statt, bis die Temperaturen aller Systeme gleich sind.

    2.1.5 Erster Hauptsatz

    ist die Verallgemeinerung des Energieerhaltungssatzes für chemische Systeme undbesagt, dass die innere Energie U eines abgeschlossenen Systems konstant ist.

    Mathematische Formulierung für abgeschlossene Systeme:

    U = const.

    Äquivalente Aussagen:

    1. Innere Energie U ist eine Zustandsfunktion, d.h. ihr Wert hängt nur vom Zustanddes Systems ab, jedoch nicht vom Weg der Herstellung (siehe Abb. (2.2)).

    2. Es ist nicht möglich ein”Perpetuum mobile“ zu bauen, d.h. eine Maschine, die

    Energie aus dem Nichts erzeugt.

    In einem geschlossenen System (kein Stoffaustausch) kann die innere Energie nur durchWärmeaustausch dQ oder Arbeit dW verändert werden. Es gilt daher:

    dU = dQ+ dW

    wobei Q =̂ Wärmemenge

    W =̂ Arbeit

    Anmerkung: Während die Änderung der inneren Energie nur vom Anfangs- undEndzustand abhängt, hängt die Wärme und Arbeit vom Weg ab. Die letzteren beidenGrößen sind daher keine Zustandsfunktionen.

  • 2.1. GRUNDLAGEN UND WIEDERHOLUNG 1. SEMESTER 41

    Abb. 2.2: Erster Hauptsatz der Thermodynamik als Verallgemeinerung des Energieerhal-tungssatzes für chemische Systeme. Die innere Energie U ist eine Zustandsfunktion, d.h. ihrWert hängt nur vom Zustand des Systems ab, nicht vom Weg der Herstellung.

    2.1.6 Entropie

    Thermodynamische Definition:

    dS =dQrevT

    wobei:dQrev = C · dT

    mit dQrev =̂ ausgetauschte Wärmemenge bei reversibler Prozessführung

    C =̂ Wärmekapazität

    T =̂ Temperatur

  • 2.1. GRUNDLAGEN UND WIEDERHOLUNG 1. SEMESTER 42

    Beispiel:

    Abb. 2.3: Veranschaulichung einer reversibel geführten isothermen Expansion eines idealenGases vom Volumen V1 auf Volumen V2.

    Wenn man ein System (siehe Abb. (2.3)), gefüllt mit 1 Mol idealem Gas, isotherm undreversibel vom Volumen V1 auf V2 expandiert, ändert sich die innere Energie des abge-schlossenen Systems nicht, d.h. U = const. und dementsprechend dU = 0. Die geleisteteVolumenarbeit des Systems wird durch die zugeführte Wärme aus der Umgebung kom-pensiert:

    ∆Ugesamt = ∆Qrev + ∆WV ol = 0

    wobei:

    ∆WV ol = −∫ V2V1

    p · dVp=R·T

    V︷︸︸︷= −R · T

    ∫ V2V1

    1

    V· dV = −R · T ln V2

    V1

    Auflösen obiger Gleichung nach ∆Qrev und einsetzen in die thermodynamische Definitionder Entropie ergibt:

    ∆S =∆QrevT

    = R · ln V2V1

    Die Volumenarbeit des Systems wird durch einen entsprechenden Wärmeaustausch mitder Umgebung ausgeglichen.

    Mikroskopische Betrachtung

    Mikrozustand: wird durch die mikroskopischen Eigenschaften der einzelnen Teilchenbestimmt.

    Makrozustand: charakterisiert die makroskopischen Eigenschaften des Systems.

  • 2.1. GRUNDLAGEN UND WIEDERHOLUNG 1. SEMESTER 43

    Beispiel:

    Abb. 2.4: Verteilung von Atomen auf 2 Behälter zur Veranschaulichung der Begriffe “Mikro-zustand” und “Makrozustand”.

    Eine bestimmte Anzahl an Argon(Ar)-/Helium(He)-Atomen sollen auf 2 Behälter, d.h.Behälter 1 (B1) und Behälter 2 (B2), verteilt werden, welche durch eine permeableMembran getrennt sind (siehe Abb. (2.4)). Der Makrozustand wird durch die Anzahlder Teilchen in jedem Behälter charakterisiert, d.h. (NB1 = 5; NB2 = 4). Der Mikro-zustand wird hingegen dadurch bestimmt, welche Teilchen sich in welchem Behälterbefinden, d.h. (B1 = (1, 2, 3, 4, 5),B2 = (6, 7, 8, 9)).

    Zu jedem makroskopischen, thermodynamischen Zustand gibt es eine große Anzahl mi-kroskopischer Realisierungsmöglichkeiten (Mikrozustände), wobei der Gleichgewichtszu-stand der Zustand mit den meisten Realisierungsmöglichkeiten ist.

    Statistische Definition der Entropie

    S = kB lnW Boltzmanngleichung

    wobei W =̂ Anzahl der Realisierungsmöglichkeiten (Mikrozustände)

    kB =̂ Boltzmann-Konstante

    Da die Entropie mit der Anzahl der Realisierungsmöglichkeiten anwächst, ist die Entro-pie des Gleichgewichtszustandes (vollständige Durchmischung im Beispiel von Abb.(2.4)) maximal.

  • 2.1. GRUNDLAGEN UND WIEDERHOLUNG 1. SEMESTER 44

    Die statistische Definition der Entropie wur-de von dem österreichischen Physiker Lud-wig Boltzmann (*1844-1906) aufgestellt.

    2.1.7 Zweiter Hauptsatz

    In einem abgeschlossenen System nimmt die Entropie bei irreversiblen Prozessen zu, d.h.

    ∆Sirr > 0

    dagegen bei reversiblen Prozessen bleibt sie konstant, d.h.

    ∆Srev = 0

    Beispiel: Das Universum ist insgesamt abgeschlossen. Irreversible Prozesse laufen darinspontan in Richtung maximaler Entropie ab.

    2.1.8 Dritter Hauptsatz

    Jeder reine ideal-kristallisierte Stoff besitzt am absoluten Nullpunkt die Entropie Null,d.h.

    S = 0 bei T = 0 K

    Ausnahme: Nullpunktsentropie bei Kristallen mit eingefrorener Fehlordnung.

    (Fortsetzung Thermodynamik 3. Semester)

  • Aufgaben zur Wiederholung der Thermodynamik:

    1. Aufgab e: Erster Hauptsatz

    An einem System wird Arbeit von 14,6 kJ geleistet. Dabei leistet das System selbst eine Volumenarbeit Wvol von 2,6 kJ. An die Umgebung werden in Form von Wärme 10,9 kJ abgegeben. Wie groß ist die Änderung der inneren Energie (U) des Systems ?

    2. Aufgabe: Zweiter Hauptsatz

    a) Wie lautet die thermodynamische Definition für die Änderung der Entropie und was folgt hieraus für diese Größe bei konstanter Temperatur ?

    b) Wie ändert sich die Entropie einer großen Menge Wasser (Temperatur bleibt näherungsweise konstant), wenn man eine Wärmemenge von 100 kJ bei 0°C bzw. 95°C zuführt ?

    c) Ein ruhender Mensch gibt pro Sekunde etwa 100 J Wärme an die Umgebung ab. Wie viel Entropie erzeugt somit ein Mensch bei einer Umgebungstemperatur von 20°C pro Tag in seiner Umgebung ?

    3. Aufgabe: Enthalpie

    Enthalpie und Enthalpieänderung sind definiert als H=U+pV bzw. ΔH=ΔU+Δ(pV). Wie groß ist ΔH-ΔU für eine isobare Erwärmung von 1 mol Zn(fest) von 25°C auf 98°C bei 1 bar, das sein Volumen von 9,16 ml/mol auf 9,22 ml/mol ändert ?

    4. Aufgabe: Gibbsche freie Energie und Entropie

    Eisen kann aus Eisen(III)oxid durch folgende Reaktion gewonnen werden:

    2Fe2O3(s) + 3C(s) → 4Fe(s) + 3CO2(g)

    a) Bestimmen Sie unter der Annahme, dass der CO2 Druck konstant 1 bar beträgt und ΔH° und ΔS° temperaturunabhängig sind, die Mindest- bzw. die Maximal-Temperatur, unter der obige Reaktion spontan abläuft. Verwenden Sie hierzu folgende Daten:

    Substanz Fe2O3(s) C(s) Fe(s) CO2(g) Bildungsenthalpie ΔH° in kJ/mol

    -824,3 0 0 -395,5

    Standard-Entropie S° in J/(K mol)

    87,4 5,7 27,3 213,7

    b) Wie lautet die statistische Definition der Entropie ?

  • 2.2. GIBBS’SCHE FUNDAMENTALGLEICHUNGEN UNDCHARAKTERISTISCHE FUNKTIONEN 46

    2.2 Gibbs’sche Fundamentalgleichungen undcharakteristische Funktionen

    2.2.1 Innere Energie U

    Geschlossene Systeme

    Funktionaler Zusammenhang zwischen innerer Energie U und Entropie S für geschlos-sene Systeme:

    U = U(S, V ) (2.1)

    wobei Stoffmenge n = const. Für eine infinitesimale Änderung gilt dann das totaleDifferential:

    dU =

    (∂U

    ∂S

    )V

    dS +

    (∂U

    ∂V

    )S

    dV (2.2)

    was man als adiabatisch-isochore Zustandsänderung bezeichnet.

    Annahme: Wir berücksichtigen nur reversible Volumenarbeit, welche am System bzw.vom System geleistet wird.

    Der 1. Hauptsatz nimmt dann folgende Form an:

    dU = dQrev + dWV ol

    Einsetzen von dQrev = T · dS und dWV ol = −p · dV in obige Gleichung ergibt:

    dU = T · dS − p · dV (2.3)

    Koeffizientenvergleich zwischen Gleichung (2.2) und Gleichung (2.3) liefert:(∂U

    ∂S

    )V

    = T

    (∂U

    ∂V

    )S

    = −p

    Anmerkung: Bisher waren chemische Reaktionen ausgeschlossen, da alle Stoffmengenim System konstant. Prozesse mit veränderlichen Stoffmengen können durch Erweiterungobiger Gleichungen auf offene Systeme betrachtet werden.

  • 2.2. GIBBS’SCHE FUNDAMENTALGLEICHUNGEN UNDCHARAKTERISTISCHE FUNKTIONEN 47

    Offene Systeme

    Innere Energie für geschlossene Systeme (Gleichung (2.1)) wird für den Fall offenerSysteme, d.h. mit veränderlichen Stoffmengen ni 6= const., erweitert:

    U = U(S, V, n1, n2, . . . )

    Für eine infinitesimale Änderung gilt dann:

    dU =

    (∂U

    ∂S

    )V,ni

    dS +

    (∂U

    ∂V

    )S,ni

    dV +∑i

    (∂U

    ∂ni

    )S,V,ni6=j

    dni (2.4)

    Wir definieren das sog. chemische Potential für eine adiabatisch-isochore Zustandsänderung:

    µi =

    (∂U

    ∂ni

    )S,V,nj 6=i

    (2.5)

    wobei ni =̂ Stoffmenge des Stoffes i, welcher sich an der Zustandsänderung (chemischenReaktion) beteiligt. Wenn wir Gleichung (2.5) in Gleichung (2.4) einführen, so erhaltenwir:

    dU = TdS − pdV +∑i

    µidni (2.6)

    wobei: (∂U

    ∂S

    )V,ni

    = T(∂U

    ∂v

    )S,ni

    = −p

    Gleichung (2.6) wird als erste Gibbs’sche Fundamentalgleichung bezeichnet (diffe-rentielle Form) !

    U ist eine homogene Funktion ersten Grades in Bezug auf die unabhängigen VariablenS, V, n1, n2, . . . , d.h. es gilt:

    U(λS, λV, λn1, λn2, . . . ) = λU(S, V, n1, n2, . . . )

    Für homogene Funktionen ersten Grades f(x, y, z) gilt der Euler’sche Satz (ohne Be-weis):

    f(x, y, z) =

    (∂f

    ∂x

    )y,z

    x+

    (∂f

    ∂y

    )x,z

    y +

    (∂f

    ∂z

    )x,y

    z

    Mit Hilfe obiger Gleichung ergibt sich für die innere Energie U(S, V, n1, n2, . . . ):

    U = TS − pV +∑i

    µini (2.7)

  • 2.2. GIBBS’SCHE FUNDAMENTALGLEICHUNGEN UNDCHARAKTERISTISCHE FUNKTIONEN 48

    Gleichung (2.7) ist die integrale Form der ersten Gibbs’schen Fundamentalgleichung (2.6)und ist eine sog. charakteristische Funktion, welche auch als Euler-Gleichung be-zeichnet wird.

    Anmerkung: unabhängige Variablen S, V, ni sind nicht immer praktisch bei der Hand-habung im Experiment. Dies gilt insbesondere für die Entropie S. In vielen Fällen sind diekonjugierten Variablen, welche über die partielle Ableitungen der charakteristischenFunktion nach den unabhängigen Variablen definiert sind, praktischer. Für die innereEnergie U sind diese gegeben durch : T,−p, µi. Im Experiment ist es einfacher Bedin-gungen mit T, p = const. (isobar-isotherme Bedingungen) zu erzeugen als S, V = const..Dies ist die Motivation zur Bildung weiterer charakteristischer Funktionen !

    Die konjugierten Variablen sind jedoch nicht alle voneinander unabhängig, aufgrund dersog. Gibbs-Duhem-Relation:

    0 = SdT − V dp+∑i

    nidµi

    Diese Gleichung schränkt die Auswahl an konjugierten Variablen ein. Daher wird i.a. µikonstant gehalten.

    2.2.2 Enthalpie

    Definition:H = U + pV (2.8)

    Totales Differential von H:dH = dU + pdV + V dp

    Einsetzen von Gleichung (2.6) in obige Gleichung liefert:

    dH = TdS + V dp+∑i

    µidni (2.9)

    Diese Gleichung bezeichnet man als zweite Gibbs’sche Fundamentalgleichung (dif-ferentielle Form) !

    Durch Koeffizientenvergleich obiger Gleichung mit der allgemeinen Form des totalenDifferentials von H, ergeben sich die partiellen Ableitungen von H:(

    ∂H

    ∂S

    )p,ni

    = T

    (∂H

    ∂p

    )S,ni

    = V

  • 2.2. GIBBS’SCHE FUNDAMENTALGLEICHUNGEN UNDCHARAKTERISTISCHE FUNKTIONEN 49(

    ∂H

    ∂ni

    )S,V,nj 6=i

    = µi

    Integrale Form von H ist eine Funktion von S, p, ni, d.h.:

    H = H(S, p, ni)

    Einsetzen von Gleichung (2.7) in Gleichung (2.8) liefert die charakteristische Funktionvon H:

    H = TS +∑i

    µini (2.10)

    2.2.3 Helmholtz-Energie (freie Energie) F

    Definition:F = U − TS (2.11)

    Totales Differential von F:dF = dU − TdS − SdT

    Einsetzen von Gleichung (2.6) in obige Gleichung ergibt:

    dF = −SdT − pdV +∑i

    µidni

    Diese Gleichung wird als dritte Gibbs’sche Fundamentalgleichung (differentielleForm) bezeichnet !

    Durch Koeffizientenvergleich obiger Gleichung mit der allgemeinen Form des totalenDifferentials von F, erhalten wir die partiellen Ableitungen von F:(

    ∂F

    ∂T

    )V,ni

    = −S

    (∂F

    ∂V

    )T,ni

    = −p(∂F

    ∂ni

    )T,V,nj 6=i

    = µi

    Integrale Form von F ist Funktion von T, V, ni, d.h.:

    F = F (T, V, ni)

  • 2.2. GIBBS’SCHE FUNDAMENTALGLEICHUNGEN UNDCHARAKTERISTISCHE FUNKTIONEN 50

    Einsetzen von Gleichung (2.7) in die Definition von F (Gleichung (2.11)) ergibt diecharakteristische Funktion von F:

    F = −pV +∑i

    µini

    2.2.4 Gibbs’sche Energie (freie Enthalpie) G

    Definition:G = H − TS (2.12)

    Totales Differential von G:dG = dH − TdS − SdT

    Einsetzen von Gleichung (2.9) in obige Gleichung liefert:

    dG = −SdT + V dp+∑i

    µidni

    Diese Gleichung wird als vierte Gibbs’sche Fundamentalgleichung (differentielleForm) bezeichnet !

    Durch Koeffizientenvergleich obiger Gleichung mit der allgemeinen Form des totalenDifferentials von G, erhalten wir die partiellen Ableitungen von G:(

    ∂G

    ∂T

    )p,ni

    = −S

    (∂G

    ∂p

    )T,ni

    = V(∂G

    ∂ni

    )T,p,nj 6=i

    = µi

    Einsetzen von Gleichung (2.10) in die Definition von G (Gleichung (2.12)) liefert diecharakteristische Funktion von G:

    G =∑i

    µini

    Die Gibbs’sche Energie und die dazugehörige Definition des chemischen Potentialssind wichtig zur Beschreibung von Prozessen mit Stoffmengenumsatz bei konstantemDruck und Temperatur, d.h. von Prozessen unter experimentellen Bedingungen.

  • 2.3. THERMODYNAMISCHES GLEICHGEWICHT 51

    Satz von Schwartz

    Die gemischten 2. partiellen Ableitungen einer Zustandsfunktion f (wie z.B. U, H, F undG) müssen gleich sein, d.h. es gilt:

    ∂2f

    ∂x∂y=

    ∂2f

    ∂y∂x

    Maxwell-Beziehungen

    Kombiniert man die partiellen Ableitungen der charaktistischen Funktionen U, H, Fund G unter Verwendung des Satzes von Schwartz, so ergeben sich die sog. Maxwell-Beziehungen (ohne Herleitung):(

    ∂T

    ∂V

    )S

    = −(∂p

    ∂S

    )V(

    ∂T

    ∂p

    )S

    =

    (∂V

    ∂S

    )p(

    ∂p

    ∂T

    )V

    =

    (∂S

    ∂V

    )T(

    ∂V

    ∂T

    )p

    = −(∂S

    ∂p

    )T

    Die Maxwell-Beziehungen erlauben es partielle Ableitungen von Zustandsvariablen, wiez.B. Temperatur T oder Entropie S, als Ableitung anderer Zustandsvariablen, wie z.B.Volumen V oder Druck p, auszudrücken.

    2.3 Thermodynamisches Gleichgewicht

    Definition der Entropie:

    dS =dQrevT

    (2.13)

    wobei dQrev =̂ ausgetauschte Wärmemenge bei reversibler Prozessführung.

    Eine reversible Prozessführung führt dazu, dass das System bei jedem infinitesimalenProzessschritt im Gleichgewicht ist.

  • 2.3. THERMODYNAMISCHES GLEICHGEWICHT 52

    Abb. 2.5: Maximum der Entropie als Gleichgewichtsbedingung für abgeschlossene Sy-steme.

    1. Abgeschlossene Systeme:

    Es erfolgt weder Stoff- noch Energieaustausch des Systems mit der Umgebung,d.h. es gilt:

    dQrev = 0

    Wegen Gleichung (2.13), ergibt sich dann hieraus als Gleichgewichtsbedingung:

    dS = 0

    Für abgeschlossene Systeme ist das thermodynamische Gleichgewicht durch dasMaximum der Entropie charakterisiert (siebe Abb. (2.5)).

    2. Geschlossene Systeme:

    Es erfolgt kein Stoffaustausch mit der Umgebung, jedoch Wärmeaustausch sowiereversible Volumenarbeit ist zugelassen.

    a) Fall 1: T, V = const.

    1. Hauptsatz:dU = dQrev + dWV ol

    Mit dQrev = TdS und dWV ol = −pdV folgt:

    dU = TdS − pdV (2.14)

  • 2.3. THERMODYNAMISCHES GLEICHGEWICHT 53

    Da V = const. ist dV = 0 und daher ergibt sich:

    dU = TdS

    bzw.dU − TdS = 0 (2.15)

    Aus F = U − TS erhalten wir das Differential:

    dF = dU − TdS − SdT

    Unter Berücksichtigung, dass dT = 0 wegen T = const., können wir Gleichung(2.15) in obige Gleichung einsetzen und wir erhalten schließlich:

    dF = 0

    Für geschlossene Systeme unter isochor-isothermen Bedingungen ist das ther-modynamische Gleichgewicht durch das Minimum der Helmholtz-Energiecharakterisiert.

    b) Fall 2: T, p = const.

    Durch Umformung von Gleichung (2.14) erhalten wir:

    dU − TdS + pdV = 0 (2.16)

    Einsetzen der folgenden Gleichung:

    dH = dU + pdV + V dp

    in die Differentialgleichung von G:

    dG = dH − TdS − SdT

    liefert:dG = dU − TdS + pdV − SdT + V dp

    Unter isobar-isothermen Bedingungen dp = 0 und dT = 0 ergibt sich:

    dG = dU − TdS + pdV (2.17)

    Einsetzen von Gleichung (2.16) in Gleichung (2.17) liefert die Gleichgewichts-bedingung:

    dG = 0

    Für geschlossene Systeme unter isobar-isothermen Bedingungen ist das ther-modynamische Gleichgewicht durch das Minimum der Gibbs’schen Ener-

  • 2.4. GLEICHGEWICHTE CHEMISCHER REAKTIONEN 54

    Abb. 2.6: Minimum der Gibbs-Energie als Gleichgewichtsbedingung für Prozesse unterisobar-isothermen Bedingungen.

    gie charakterisiert (siehe hierzu Abb. (2.6)). Sie liefert die Gleichgewichtsbe-dingung für Systeme, welche im Experiment in der Regel bei p, T = const.ablaufen.

    2.4 Gleichgewichte chemischer Reaktionen

    2.4.1 Gleichgewichtsbedingung und chemische Potentiale

    Betrachtet wird ein System, in welchem folgende Reaktion:

    A � B (2.18)

    abläuft, wie z.B. eine einfache Umlagerungsreaktion. Hierbei gilt die Stoffmengenbezie-hung:

    dnA = −dnB (2.19)

    Die Gleichgewichtsbedingung für das betrachtete System bei p, T = const. lautet:

    dG = 0 (2.20)

  • 2.4. GLEICHGEWICHTE CHEMISCHER REAKTIONEN 55

    Für dG gilt allgemein die 4. Gibbs’sche Fundamentalgleichung:

    dG = −SdT + V dp+∑i

    µidni (2.21)

    Im Falle der betrachteten Reaktion gilt somit:

    dG = −SdT + V dp+ µAdnA + µBdnB (2.22)

    Aus Gleichung (2.20) und Gleichung (2.22) erhalten wir mit p, T = const.:

    µAdnA + µBdnB = 0

    Mit Gleichung (2.19) ergibt sich:

    µAdnB = µBdnB

    Division durch dnB 6= 0 liefert schließlich:

    µA = µB

    Hieraus folgt, dass im Gleichgewicht der Umlagerungsreaktion die chemischen Potentialedes Stoffes A und B gleich sind.

    Allgemeingültige Beziehung für Gleichgewicht einer chemischen Reaktion zwischenverschiedenen Stoffen bei p, T = const.:∑

    i

    νiµi = 0

    wobei νi =̂ stöchiometrischer Koeffizient des Stoffes i.

    Herleitung:

    Für p, T = const. ergibt sich aus Gleichung (2.21):

    dG =∑i

    µidni (2.23)

    Mit Gleichgewichtsbedingung dG = 0 folgt aus obiger Gleichung:∑i

    µidni = 0 (2.24)

    Anmerkung: Bei einer chemischen Reaktion sind die differentiellen Stoffmengenänderungendni nicht unabhängig voneinander, sondern über die Stöchiometrie der Reaktion mitein-

  • 2.4. GLEICHGEWICHTE CHEMISCHER REAKTIONEN 56

    ander verknüpft. Es gilt:

    dn1 : dn2 : dn3 : . . . = ν1 : ν2 : ν3 : . . .

    Der Ablauf einer chemischen Reaktion kann besonders einfach mit Hilfe der Reakti-onslaufzahl ξ beschrieben werden, wobei ξ = 0 “kein Umsatz” und ξ = 1 “molarerUmsatz” bedeutet.

    Die Größen dni können dann wie folgt ausgedrückt werden:

    dni = νidξ (2.25)

    Aus Gleichung (2.24) und Gleichung (2.25) ergibt sich somit:∑i

    µidni =∑i

    µiνidξ =

    (∑i

    νiµi

    )dξ = 0

    Division durch dξ 6= 0 liefert: ∑i

    νiµi = 0

    Beispiel:CH3CH2OH + 3O2 2CO2 + 3H2O (2.26)

    Die Gleichgewichtsbedingung für diese Reaktion lautet somit:

    2µCO2 + 3µH2O − µCH3CH2OH − 3µO2 = 0

    2.4.2 Gibbs’sche Reaktionsenergie

    für eine beliebige chemische Reaktion ist wie folgt definiert:

    ∆rG =∑i

    νiµi (2.27)

    Diese Größe kann als Indikator für den Ablauf einer chemischen Reaktion hergenom-men werden.

    Herleitung:

    Einsetzen von Gleichung (2.25) in Gleichung (2.23) ergibt:

    dG =

    (∑i

    νiµi

    )dξ

  • 2.4. GLEICHGEWICHTE CHEMISCHER REAKTIONEN 57

    Integration von ξ = 0 (noch kein Umsatz) bis ξ = 1 (molarer Umsatz) bei p, T = const.ergibt: ∫ GE

    GA

    dG =∑i

    νiµi

    ∫ ξ=1ξ=0

    GE −GA = ∆rG =∑i

    νiµi

    wobei GA =̂ Gibbs’sche Energie am Anfang der ReaktionGE =̂ Gibbs’sche Energie am Ende der Reaktion

    Die Bedingung für den Abauf einer Reaktion in der durch die Reaktionsgleichung vor-gegebenen Richtung lautet:

    ∆rG < 0

    Gleichgewichtsbedingung:∆rG = 0

    Verbrennungsreaktion von Ethanol im obigen Beispiel (2.26) ist exergonisch, d.h. eswird Energie freigesetzt und sie läuft freiwillig ab, solange bis das Gleichgewicht derReaktion erreicht ist. Dagegen ist die Rückreaktion endergonisch, d.h. ∆rG > 0. Esmuss Energie aufgewendet werden, damit die Rückreaktion ablaufen kann.

    2.4.3 Konzentrationsabhängigkeit des chemischen Potentials

    Aufteilung des chemischen Potentials eines Stoffes i in einen stoffspezifischen, konzentra-tionsunabhängigen Term und in einen konzentrationsabhängigen Term erfolgt gemäß:

    µi = µi +RT ln ai (2.28)

    mit µi =̂ Standardwert des chemischen Potentials. Der Zahlenwert von µi wird

    bestimmt durch die Art des Stoffes i, Temperatur T und Standardwert

    für Aktivität ai = 1

    ai =̂ thermodynamische Aktivität des Stoffes i

  • 2.4. GLEICHGEWICHTE CHEMISCHER REAKTIONEN 58

    2.4.4 Thermodynamische Aktivität verschiedener Stoffklassen

    1. Gase:

    Ideale Gase:ai =

    pip

    wobei pi =̂ Partialdruck des Gases i

    p =̂ Standarddruck p = 1 bar = 105 Pa

    Reale Gase:

    ai =fip

    wobei fi =̂ Fugazität des Stoffes i, welche wie folgt definiert ist:

    fi = ϕi · pi

    wobei ϕi =̂ Fugazitätskoeffizient des Stoffes i

    2. Lösungen:

    Ideale Lösungen (stark verdünnte reale Lösungen):

    ai =cic

    wobei ci =̂ Konzentration des Stoffes i in mol/l

    c =̂ Standardkonzentration 1 mol/l

    Reale Lösungen (konzentrierte Lösungen):

    ai =yi · cic

    wobei yi =̂ Aktivitätskoeffizient des Stoffes i

  • 2.4. GLEICHGEWICHTE CHEMISCHER REAKTIONEN 59

    3. Kondensierte Mischungen:

    Ideale Mischungenai = xi

    wobei xi =̂ Stoffmengenbruch (auch Molenbruch) des Stoffes i

    Standardzustand für kondensierte Mischungen entspricht xi = 1, d.h. reiner Stoffi bei Gesamtdruck 1 bar.

    Reale Mischungen:ai = γi · xi

    wobei γi =̂ Aktivitätskoeffizient des Stoffes i

    2.4.5 Massenwirkungsgesetz

    Einsetzen von Gleichung (2.28) in Gleichgewichtsbedingung∑

    i νiµi = 0 ergibt:∑i

    νiµi +RT

    ∑i

    νi · ln ai = 0 (2.29)

    In Analogie zu Gleichung (2.27) definieren wir:

    ∆rG =

    ∑i

    νiµi (2.30)

    wobei ∆rG die Gibbs’sche Standard-Reaktionsenthalpie darstellt. Mit Hilfe von Glei-

    chung (2.30) und der folgenden Umformung für den 2. Term in Gleichung (2.29):

    RT∑i

    νi ln ai = RT ln

    (∏i

    (ai)νi

    )erhalten wir für Gleichung (2.29):∏

    i

    (ai)νi = exp

    (− ∆rG

    RT

    )= Ka (2.31)

    wobei Ka =̂ Massenwirkungsgesetz(MWG)-Konstante (thermodyn. Gleichgewichts-konstante) als Funktion der Aktivitäten ai

  • 2.4. GLEICHGEWICHTE CHEMISCHER REAKTIONEN 60

    Beispiel:

    1. MWG für die Verbrennungsreaktion von Ethanol in Beispiel (2.26):

    Ka =a2CO2 · a

    3H2O

    a3O2 · aCH3CH2OH

    2. MWG für gasförmige Reaktionsteilnehmer (ideale Gase):

    Ka =∏i

    aνii =∏i

    (pip

    )νi=∏i

    pνii∏i

    (1

    p

    )νi= Kp ·

    ∏i

    (1

    p

    )νi(2.32)

    wobei Kp =∏i

    pνii =̂ MWG-Konstante als Funktion der Partialdrücke pi

    Analog können MWG-Konstanten für Lösungen und kondensierte Mischungen als Funk-tion der Konzentrationen bzw. Stoffmengenbrüche der beteiligten Stoffe definiert werden.

    Temperaturabhängigkeit der MWG-Konstanten

    Allgemein gilt (ohne Herleitung):[∂ lnKa∂T

    ]p

    =∆rH

    RT 2(2.33)

    wobei ∆rH =̂ Standard-Reaktionsenthalpie. ∆rH

    ist prinzipiell eine Funktion vonder Temperatur T. Oftmals ist die Temperaturabhängigkeit jedoch gering. Für relativkleine Temperaturbereiche ist

    ∆rH ≈ const.

    In diesem Fall kann Gleichung (2.33) unter Annahme, dass p = const., integriert werden:∫ Ka(T2)Ka(T1)

    d lnKa =∆rH

    R

    ∫ T2T1

    1

    T 2dT

    und wir erhalten:

    lnKa(T2)− lnKa(T1) = −∆rH

    R·(

    1

    T2− 1T1

    )Obige Gleichung zeigt, dass in dieser Näherung lnKa auch als Funktion von 1/T be-trachtet werden kann, wobei dann für die Ableitung gilt:[

    ∂ lnKa∂( 1

    T)

    ]p

    = −∆rH

    R

  • 2.5. PHASENGLEICHGEWICHTE 61

    Abb. 2.7: Graphische Auftragung von ln Ka als Funktion von 1/T für eine exotherme Reaktionliefert die van’t Hoff’sche Reaktionsisobare.

    Graphische Auftragung von lnKa als Funktion von 1/T für eine exotherme Reaktion(siehe Abb. (2.7)) liefert die sog. van’t Hoff’sche Reaktionsisobare.

    2.5 Phasengleichgewichte

    2.5.1 Clausius-Clapeyron-Gleichung

    liefert eine Beziehung zwischen Temperatur und Druck für 2-Phasen-Gleichgewichte inSystemen mit einer Komponente.

    Beispiel in Abb. (2.8):

    System, bei dem eine reine flüssige Phase (l) mit seiner Dampfphase (g) im Gleich-gewicht steht. Hierbei ist der Dampfdruck p eindeutig durch Temperatur T bestimmt,d.h.:

    p = p(T )

    und ist unabhängig vom Gesamtvolumen. Die Gleichgewichtsbedingung lautet für diesenFall:

    µ(g)(p, T ) = µ(l)(p, T ) (2.34)

    Bei Änderung der Temperatur von T auf T +dT stellt sich ein neues Gleichgewicht ein,

  • 2.5. PHASENGLEICHGEWICHTE 62

    Abb. 2.8: 2-Phasengleichgewicht zwischen einer reinen flüssigen Phase und der dazugehörigenreinen Gasphase (Dampfphase).

    wobei ein Druck p+ dp erhalten wird. Die Gleichgewichtsbedingung lautet nun:

    µ(g)(p, T ) + dµ(g) = µ(l)(p, T ) + dµ(l) (2.35)

    Aufgrund von Gleichung (2.34) folgt für Gleichung (2.35):

    dµ(g) = dµ(l) (2.36)

    Für dµ gilt in einem Ein-Komponenten-System das totale Differential:

    dµ =

    (∂µ

    ∂T

    )p

    dT +

    (∂µ

    ∂p

    )T

    dp (2.37)

    wobei mit Hilfe des Satzes von Schwartz gilt:(∂µ

    ∂T

    )p

    =∂

    ∂T

    (∂G

    ∂n

    )p

    =∂

    ∂n

    (∂G

    ∂T

    )p

    Mit der partiellen Ableitung (siehe 4. Gibbs’sche Fundamentalgleichung):(∂G

    ∂T

    )p,n

    = −S

    und (∂S

    ∂n

    )p

    = Sm

  • 2.5. PHASENGLEICHGEWICHTE 63

    ergibt sich für obige Beziehung: (∂µ

    ∂T

    )p

    = −Sm

    Auf entsprechendem Weg lässt sich zeigen, dass:(∂µ

    ∂p

    )T

    = Vm

    Hiermit ergibt sich für Gleichung (2.37):

    dµ = −SmdT + Vmdp

    Einsetzen in Gleichung (2.36) folgt dann:

    −S(g)m dT + V (g)m dp = −S(l)m dT + V (l)m dp

    [V (g)m − V (l)m ]dp = [S(g)m − S(l)m ]dT

    und wir erhalten schließlich die sog. Clapeyron-Gleichung:

    dp

    dT=S

    (g)m − S(l)m

    V(g)m − V (l)m

    =∆V erd,mS

    ∆V erd,mV(2.38)

    wobei ∆V erd,mS =̂ molare Verdampfungsentropie

    ∆V erd,mV =̂ molares Verdampfungsvolumen

    Da im Gleichgewicht bei T = const. folgende Beziehung gilt:

    ∆V erd,mG = ∆V erd,mH − T ·∆V erd,mS = 0

    folgt hieraus:∆V erd,mH = T∆V erd,mS (2.39)

    wobei ∆V erd,mH =̂ molare Verdampfungsenthalpie

    Einsetzen von Gleichung (2.39) in Gleichung (2.38), ergibt schließlich:

    dp

    dT=

    ∆V erd,mH

    T∆V erd,mV(2.40)

    wobei∆V erd,mV = V

    (g)m − V (l)m

  • 2.5. PHASENGLEICHGEWICHTE 64

    Bei nicht zu hohen Drücken gilt:V (g)m >> V

    (l)m

    1. Näherung: molares Volumen der Flüssigkeit kann vernachlässigt werden, d.h.

    ∆V erd,mV = V(g)m − V (l)m ≈ V (g)m

    2. Näherung: es wird ideales Verhalten angenommen, d.h. es gilt:

    V (g)m =RT

    p

    Einsetzen dieser Näherungen in Gleichung (2.40), liefert uns die sog. Clausius-Clapeyron-Gleichung:

    dp

    dT=

    ∆V erd,mH

    R · T 2p

    wobei ∆V erd,mH =̂ molare Verdampfungsenthalpie

    R =̂ universelle Gaskonstante

    Division obiger Gleichung durch Druck p liefert:

    dp/p

    dT=

    d ln p

    dT=

    ∆V erd,mH

    R · T 2

    Integration obiger Gleichung durch Trennung der Variablen:

    d ln p =∆V erd,mH

    R

    1

    T 2dT

    in den Grenzen von p und p bzw. von Siedetemperatur TV erd bis T unter der Benutzungder Näherung:

    ∆V erd,mH = const. 6= f(T )

    liefert den funktionalen Zusammenhang zwischen Dampfdruck p und Temperatur T fürdas Gas-Flüssig-Gleichgewicht:

    ln (p

    p) = −∆V erd,mH

    R

    (1

    T− 1TV erd

    )Durch Exponentierung kann alternativ auch geschrieben werden:

    p = p exp

    [− ∆V erd,mH

    R

    (1

    T− 1TV erd

    )]

  • 2.5. PHASENGLEICHGEWICHTE 65

    Abb. 2.9: Dampfdruck-Kurve von Wasser; einfache Auftragung von Druck gegen Temperatur.

    mit TV erd =̂ Verdampfungstemperatur bzw. Siedetemperatur bei p = p = 1bar

    Einfache Auftragung der obigen Gleichung liefert die sog. Dampfdruckkurve (siehe Dampf-druckkurve für Wasser in Abb. (2.9)).

    Mit Hilfe der logarithmisch-reziproken Auftragung der Dampfdruckkurve kann aus derGeradensteigung die molare Verdampfungsenthalpie ∆V erd,mH bestimmt werden (sieheAbb (2.10) für den Fall von Wasser).

    2.5.2 2-Phasen-Gleichgewichte

    Allgemein gilt für 2-Phasen-Gleichgewichte (s/g), (s/l) und (l/g):

    dp

    dT=

    ∆uH

    T ·∆uV

  • 2.5. PHASENGLEICHGEWICHTE 66

    Abb. 2.10: Dampfdruck-Kurve von Wasser; logarithmisch-reziproke Auftragung ln p gegen1/T .

    mit ∆uH =̂ Umwandlungsenthalpie

    ∆uV =̂ Umwandlungsvolumen

    Durch Verwendung der Clausius-Clapeyron-Gleichung für die Gleichgewichte ”fest/-gasförmig”(s/g), ”fest/flüssig”(s/l) und ”flüssig/gasförmig”(l/g) erhält man das sog.Phasendiagramm eines Stoffes.

    → Schematisches Phasendiagramm eines reinen Stoffes (siehe in Abb (2.11)).

    Merkmale:

    1. Gleichgewicht flüssig ↔ gasförmig ⇒ Dampfdruckkurve

    2. Gleichgewicht fest ↔ flüssig ⇒ Schmelzdruckkurve

    3. Gleichgewicht fest ↔ gasförmig ⇒ Sublimationsdruckkurve

  • 2.5. PHASENGLEICHGEWICHTE 67

    Abb. 2.11: Schematisches Phasendiagramm eines reinen Stoffes mit normalen Verhalten inBezug auf die Schmelzdruckkurve.

    4. Verdampfungspunkt (Siedepunkt) TV erd bei p = p = 1 bar

    5. Schmelzpunkt TSchm bei p = p = 1 bar

    6. Kritischer Punkt Tk: Temperatur oberhalb dessen der Phasenübergang

    ”flüssig/gasförmig”verschwindet. In dem letzteren Temperaturbereich können flüssige

    und gasförmige Phase nicht mehr voneinander unterschieden werden.

    7. Tripelpunkt T3: Temperatur an der alle drei Phasen ”gasförmig/flüssig/fest”im Gleichgewicht zueinander stehen.

    Anmerkung: Da beim Schmelzen eines reinen Stoffes Wärme aufgenommen wird, ist∆Schm,mH > 0. Außerdem nimmt in der Regel das Volumen zu und daher gilt:

    ∆Schm,mV = V(l)m − V (s)m > 0

    In diesem Fall erhalten wir analog zu Gleichung (2.40):

    dp

    dT=

    ∆Schm,mH

    T ·∆Schm,mV> 0 (2.41)

    und dadurch ergibt sich eine positive Steigung für die Schmelzdruckkurve (normalesVerhalten).

    Schematisches Phasendiagramm von Wasser siehe Abb. (2.12).

  • 2.5. PHASENGLEICHGEWICHTE 68

    Abb. 2.12: Schematisches Phasendiagramm von Wasser (Druck-Achse logarithmische Skala).

    Merkmale:

    1. Siedepunkt (p=1 bar): TV erd = 373, 15 K (100°C

    2. Schmelzpunkt (p=1 bar): TSchm = 273, 15 K (0°C

    3. Tripelpunkt: T3 = 273, 16 K, p3 = 0, 006 bar

    4. Kritischer Punkt: Tk = 647, 3 K, pk = 218 bar

    Besonderheit:

    ist die sog. Dichteanomalie des Wassers. Sie liegt darin begründet, dass Wasser-Moleküle sich unterhalb 4°C über ihre Wasserstoffbrückenbindungen neu anordnen. Dieneugebildeten Strukturen nehmen einen größeren Raum ein und daher nimmt das molareVolumen von Wasser bei sinkender Temperatur unterhalb von 4°C stetig zu, d.h.:

    ∆Schm,mV = V(l)m − V (s)m < 0

    Aufgrung von Gleichung (2.41) und ∆Schm,mH > 0 hat dies eine negative Steigungder Fest-Flüssig-Übergangslinie zur Folge.

  • 2.5. PHASENGLEICHGEWICHTE 69

    2.5.3 Gibbs’sche Phasenregel

    Für ein System im inneren Gleichgewicht gilt folgender Zusammenhang zwischen derAnzahl der Phasen (p), Komponenten (k) und Freiheitsgrade (f):

    f = k − p+ 2

    Anwendung auf ein System mit einer Komponente, d.h. k = 1 (z.B. H2O)

    f = −p+ 3

    1. Fall: eine Phase (s,l oder g), d.h. p=1

    ⇒ 2 Freiheitsgrade f = 2, d.h. p und T können unabhängig voneinander vari-iert werden (Bewegung innerhalb der Phasengebiete (s), (l) oder (g)).

    2. Fall: zwei Phasen, welche miteinander im Gleichgewicht stehen, d.h. (s/g, s/loder l/g) und daher p=2

    ⇒ 1 Freiheitsgrad f = 1, d.h. wenn T variiert wird, dann ist p festgelegt, dap(T ) (Bewegung auf den durchgezogenen Gleichgewichtskurven).

    3. Fall: drei Phasen, welche miteinander im Gleichgewicht stehen, d.h. (s/l/g) unddaher p=3

    ⇒ 0 Freiheitsgrade f = 0, p und T sind festgelegt (Tripelpunkt).

    2.5.4 Raoult’sches Gesetz

    Wir betrachten das Gleichgewicht einer kondensierten Mischung (bzw. Lösung) der Sub-stanz I und S mit der gasförmigen Phase der Substanz I (siehe Abb. (2.13)).

    Gleichgewichtsbedingung dG = 0 liefert:

    µI(g) = µI(Mischung)

    Bei idealem Verhalten der Substanz I in der Gasphase gilt:

    µI(g) = µI (g) +RT ln

    pIp

    wobei µI (g) das chemische Potential der Substanz I in der Gasphase bei pI = p = 1 bar

    bedeutet.

  • 2.5. PHASENGLEICHGEWICHTE 70

    Abb. 2.13: Gleichgewicht einer kondensierten Mischung (bzw. Lösung) der Substanz I und Smit der gasförmigen Phase der Substanz I.

    Bei idealem Verhalten der Substanz I in der Mischung gilt:

    µI(Mischung) = µI (Mischung) +RT lnxI

    wobei µI (Mischung) das chemische Potential der Substanz I in der Mischung bei xI = 1darstellt, d.h. für einen reinen kondensierten Stoff I. Daher folgt hieraus:

    µI(Mischung) = µI (Mischung)

    Wir betrachten zunächst das Gleichgewicht zwischen dem reinen kondensierten Stoff I(xI = 1) und der Gasphase. Für diesen Fall gilt:

    µI (g) +RT lnp?Ip

    = µI (Mischung) (2.42)

    wobei p?I =̂ Gleichgewichtspartialdruck der reinen Komponente I. Im allgemeinen Fallgilt:

    µI (g) +RT lnpIp

    = µI (Mischung) +RT lnxI (2.43)

    Subtrahiert man Gleichung (2.43) von Gleichung (2.42) ergibt sich:

    RT lnpIp?I

    = RT lnxI

    Durch Umformung erhalten wir schließlich das sog. Raoult’sche Gesetz:

    pI = xI · p?I (2.44)

  • 2.5. PHASENGLEICHGEWICHTE 71

    Abb. 2.14: Phasendiagramm eines Lösungsmittels mit Dampfdruckerniedrigung, Siedepunkt-serhöhung und Schmelzpunktserniedrigung, hervorgerufen durch Lösen eines zusätzlichen Stof-fes.

    Das Raoultsche Gesetz setzt den Partialdruck der Substanz I in der Gasphase, welchesim Gleichgewicht mit der kondensierten Mischung steht, in Beziehung zum Gleichge-wichtspartialdruck p?I der reinen Substanz I.

    2.5.5 Dampfdruckerniedrigung

    Lösen eines Stoffes S in einem Lösungsmittel LM mit Dampfdruck p?LM führt zu einerDampfdruckerniedrigung des Lösungsmittels.

    Anwendung des Raoult’schen Gesetzes (Gleichung (2.44)):

    pLM = xLM · p?LM

    Mit xLM = 1− xS folgt:

    pLM = (1− xS) · p?LM = p?LM − xS · p?LM

    Wir erhalten hieraus die Dampfdruckerdniedrigung:

    p?LM − pLM = xS · p?LM (2.45)

    Eine schematische Auftragung des Phasendiagramms für ein reines Lösungsmittel sowieder Lösung wird in Abb. (2.14) gezeigt (hier LM =̂ Wasser und S =̂ Salz).

  • 2.5. PHASENGLEICHGEWICHTE 72

    Charakteristische Merkmale:

    1. Dampfdruckerniedrigung: p?LM − pLM bei TV erd2. Siedepunktserhöhung: T ′V erd − TV erd bei 1 bar

    3. Schmelzpunktserniedrigung: T ′Schm − TSchm bei 1 bar

    2.5.6 Siedepunktserhöhung und Schmelzpunktserniedrigung

    Lösen eines Stoffes S in einem Lösungsmittel LM führt neben einer Dampfdruckernied-rigung auch zu einer Siedepunktserhöhung und Schmelzpunktserniedrigung derLösung.

    Herleitung erfolgt über folgenden Ansatz:

    (p?LM − pLM)TV erd ≈(

    dpLMdT

    )TV erd

    · (T ′V erd − TV erd) (2.46)

    Obige Näherung ist insbesondere gut für verdünnte Lösungen, d.h. xS 0 folgt T′V erd − TV erd > 0, was eine Siedepunktserhöhung bedeutet.

    Ähnliche Vorgehensweise wie bei der Siedepunktserhöhung ergibt für die Schmelzpunkt-serniedrigung:

    T ′Schm − TSchm =(neg. Vorzeichen)︷︸︸︷

    − R · T2Schm

    ∆Schm,mH· xS

    Da ∆Schm,mH > 0 folgt T′Schm − TSchm < 0, was eine Schmelzpunktserniedrigung

    bedeutet.