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Kanton 1971 Einführung des Frauen- stimmrechts auf Bundesebene 2010 Frauenmehrheit im Bundesrat 2008 Ausschluss der beiden SVP-Bundesräte Gründung der Bürgerlich-Demokratischen Partei Wahl eines SVP-Bundesrates, Ueli Maurer 2007 Abwahl von Bundesrat Christoph Blocher 2003 Bruch mit der «Zauberformel» Wahl von Christoph Blocher als zweiter SVP-Bundesrat 1999 Totalrevision der Bundesverfassung 1888 Gründung der Sozialdemo- kratischen Partei 1891 Wahl des ersten katholisch-konser- vativen Bundesrates, Joseph Zemp Einführung der Verfassungsinitiative 1894 Gründung der Freisinnig- demokratischen Partei Gründung der Katholischen Volkspartei 1848 Gründung des Bundesstaates Wahl des ersten Bundesrates mit sieben Freisinnigen 1861 Beginn der demokratischen Bewegung gegen den Freisinn 1873 Ausbruch des Kulturkampfs 1874 Totalrevision der Bundesverfassung Einführung des Referendums 1847 1850 1860 1870 1880 1890 1900 1910 1920 1930 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2011 Whigs / Liberal Conservative Labour Others Irish National Freisinn-Linke / FDP KK / CVP BGB / SVP SPS LdU Andere BDP Freisinn-Linke / FDP KK / CVP BGB / SVP SPS BDP Andere Freisinn-Mitte / LPS Freisinn-Mitte / LPS Freisinn-Mitte / LPS 1961–1965 1966–1970 1971–1975 1976–1980 1981–1985 1986–1990 1991–1995 1996–2000 2001–2005 2006–2010 Abgrenzung Öffnung Wohlfahrt Eigentum EVP FDP SP CVP NA GP LdU AP LPS SVP FDP SP CVP EVP GLP SVP GP Quelle: Hermann 2011 FDP CVP SPS SVP 70 60 50 40 30 20 10 0 Quelle: Gruner, Die Parteien in der Schweiz, 1969, BFS; eigene Darstellung Quelle: www.telegraph.co.uk/news/election; eigene Darstellung Konzept, Text: Markus Schär Gestaltung: Arnold. Inhalt und Form AG, www.a-if.ch Zauberformel ohne Zauber Die «Zauberformel» von 1959 (2 FDP, 2 CVP, 2 SPS, 1 SVP) verleiht der Schweizer Kollegi- alregierung mehr als vierzig Jahre lang eine einzigartige Stabilität. Nur die Sozialdemo- kraten geben sich ab 1983, als ihre Kandida- tin Lilian Uchtenhagen nicht in den Bundes- rat gewählt wird, «schampar unbequem»: Sie sind gleichzeitig Regierungspartei und Op- position. Der Bürgerblock zerbricht 1992 in der Auseinandersetzung um den Beitritt der Schweiz zum EWR. Die SVP verdoppelt in- nert zwölf Jahren ihren Wähleranteil und be- wegt sich von FDP und CVP weg. Zwischen 2007 und 2011 können die «oppositionellen Bundesratsparteien» SPS und SVP das Parla- ment blockieren. Die Parteien spielen Opposition Seit den 1980er-Jahren fasste die SPS bei der Hälſte der Volksabstimmungen eine andere Parole als der Bundesrat, seit fünf Jahren tut dies auch die SVP. Quelle: www.swissvotes.ch, eigene Darstellung Die Parteien driften auseinander Aufgrund der Parolen von 1985–1991 (grau) und 2005–2011 (rot) zeigt sich, wie sich die Positionen der Parteien voneinander wegbewegen. Das Buch zum Thema Taugt das Schweizer Regierungssystem angesichts der Krise der Konkordanz noch für die Zukunſt? Diese Frage untersuchte im Auſtrag von Avenir Suisse der bekannte Politikwissenschaſter Michael Hermann. Er stellt in seinem Buch «Konkordanz in der Krise» die Erfolgsgeschichte des Schweizer Modells dar. Und er empfiehlt: «Revitalisieren statt abschaffen!» 1943 Angesichts der Gefahr, die vom Dritten Reich droht, bekennen sich die Sozialdemokraten in den Dreissigerjahren zur Landesver- teidigung, und seit 1937 gilt in der Maschinen- und Metallindustrie das Friedensabkommen. Als sich im Zweiten Weltkrieg der Sieg der Alliierten abzeichnet, wählen die Bürgerlichen mit Ernst Nobs den ersten sozialdemokratischen Bundesrat. 1954 Als Ernst Nobs 1951 zurücktritt, ersetzt ihn Max Weber – als Mili- tärdienstverweigerer angefeindet. Er bereitet eine Finanzreform vor, die den sozialen Ausgleich zwischen direkter und indirekter Besteuerung bringen soll. Die Vorlage scheitert 1953 in der Volks- abstimmung, Weber tritt zurück. Der Bundesratssitz der SPS geht kurzfristig an die FDP, Ende 1954 an die KK. 1959 Um die Sozialdemokraten wieder in den Bundesrat einzubinden und die Vorherrschaſt des Freisinns zu brechen, erfindet Martin Rosenberg, der Generalsekretär der KK, die «Zauberformel»: FDP, KK und SPS bekommen je zwei Sitze, die BGB einen. Die Spielregeln macht die Bundesver- sammlung klar, als sie nicht die Kandidaten wählt, die die SPS vorgeschlagen hat. 2003 Die SVP, die in den 1990er-Jahren ihren Wähleranteil verdoppelt hat, macht die Wahlen von 2003 zum Plebiszit über ihren Vor- denker Christoph Blocher. Nach dem erneuten Wahlsieg fordert sie ultimativ einen Bundesratssitz für ihn. Die Bundesversammlung wählt Blocher – sie will damit wie einst bei KK und SPS eine potentiell obstruktive Opposition einbinden. 2007 Anders als die Vertreter der Sozial- demokraten lässt sich Blocher im Bundesrat nicht domestizieren: Er gebärdet sich eher als Opposi- tionsführer. Die Bundesversamm- lung wählt deshalb statt ihm Eveline Widmer-Schlumpf. Die SVP schliesst ihre beiden Bundes- räte aus, diese gründen die Bür- gerlich-Demokratische Partei. Die SVP erhält 2008 wieder einen Bundesratssitz. 1848 Nach der Gründung des Bundes- staates sitzen mehr als vierzig Jahre lang sieben Vertreter der «freisinnigen Grossfamilie» im Bundesrat. Der Freisinn spaltet sich auf in Demokraten, Radi- kale und Liberale. Dank dem Re- ferendum können ab 1874 die Katholiken zusammen mit frei- sinnigen Föderalisten vorwiegend aus der Romandie das Parlament blockieren. 1891 Die Katholiken lehnen im Kultur- kampf alles ab, was «von Bern oben» kommt, so auch die Ver- staatlichung der Eisenbahnen 1891. Der freisinnige Eisenbahn- minister Emil Welti tritt zurück. Für ihn kommt Joseph Zemp, der die Opposition angeführt hat, als erster Katholisch-Konservativer in den Bundesrat – und bringt die Verstaatlichungsvorlage 1898 beim Volk durch. 1929 Im Ersten Weltkrieg klaffen Gräben zwischen dem Bürgertum und den Bauern einerseits und den notleidenden Arbeitern und Angestellten anderseits. Wegen der Polarisierung nach dem Lan- desgeneralstreik von 1918 und dem Wahlerfolg der Sozialdemo- kraten von 1919 wählt die Bun- desversammlung Rudolf Minger, der 1917 die Bernische Bauern- und Bürgerpartei gegründet hat. Grossbritannien: Das Konkurrenzsystem führt zu schnellen Wechseln in der Regierung House of Commons Verteilung in Sitzen Als älteste parlamentarische Demokratie hat Grossbritannien ein ausgeprägtes Zwei-Parteien- System. Im 19. Jahrhundert kämpſten die liberalen Whigs gegen die konservativen Tories, im 20. Jahrhundert Konser- vative gegen Labour. Die Parteien wechselten sich in Regierung VFKUDI½HUWH )OlFKH und Opposition oſt in schneller Folge ab. In der Schweiz ist das Volk die Opposition. Will der Bundesrat zu tragfähigen Lösungen kom- men, muss er sich auf eine mög- lichst grosse Mehrheit abstützen. Wenn sich eine Partei zu sehr zu einer schlagkräſtigen Opposi- tion entwickelte – wie die Katho- lisch-Konservativen nach der Verfassungsrevision von 1874 oder die Sozialdemokraten nach dem Landesgeneralstreik von 1918 –, wurde sie in den Bundesrat ein- gebunden. Der Wähleranteil der Bundesratsparteien VFKUDI½HUWH )OlFKH lag so meist über 80 %. Nationalrat Die Volkskammer (oben) wurde im 19. Jahrhundert von der «freisinnigen Grossfamilie» beherrscht, mit dem eher linken Flügel (später FDP) und der Mitte (später LPS). Den Umbruch brachte die Einführung der Proporz- wahl 1919. 6WlQGHUDW In der Ständekammer (links) hatten die Katholiken immer eine starke Stellung. FDP und KK/CVP hielten bis 1931 mehr als 40 Sitze und haben heute noch die Mehrheit. 6WlQGHUDW Verteilung in Sitzen Bundesrat Zusammensetzung Nationalrat Verteilung in Prozent Schweiz: Konkordanz und KollegLDOLWlW VRUgen für Stabil LWlW LQ GHU 5egierung Sonderfall Schweiz Konkordanz Die Schweiz ist ein Sonderfall, nicht nur mit ihrer Neutralität, ihrem Föderalismus und ihrer direkten Demokratie, sondern auch mit ihrem Regierungssystem: Der Bundesrat zeichnet sich aus durch eine weltweit einzigartige Stabilität. In der 163-jähri- gen Geschichte des Bundesstaates änderte sich die parteipoliti- sche Zusammensetzung der Landesregierung – von kurzen Übergangslösungen abgesehen – nur neunmal. Die «Zauberfor- mel» von 1959 bewährte sich 44 Jahre lang. In parlamentarischen Demokratien, so in Grossbritannien als ältester VLHKH *UDILN XQWHQ, wechseln sich dagegen die Parteien in Regierung und Oppositi- on oft in schneller Folge ab und stossen gerne die Projekte der Vorgänger wieder um. Die Schweiz braucht eine Regierung, in der alle wichtigen Par- teien sitzen, gerade wegen ihrer direkten Demokratie: Vorlagen, hinter denen Bundesrat und Parlament nur mit knappen Mehr- heiten stehen, scheitern oft in der Volksabstimmung. Deshalb musste jede Opposition, die die Gesetzgebung lahmlegen konn- te, in die Regierung eingebunden werden, so 1891 die Katho- lisch-Konservativen, 1943/59 die Sozialdemokraten und 2003 die erstarkte SVP mit einem zweiten Sitz. Die Vertreter der Bundes- ratsparteien hatten so in der Bundesversammlung meist einen Anteil von mehr als 80%, zeitweise bis zu 95%. Die politische Stabilität brachte der Schweiz ökonomischen Erfolg: Die Jahre nach 1891, 1943/59 und 2003, mit einer Regie- rung im Gleichgewicht, gehören zu den Blütezeiten der Schwei- zer Wirtschaft. Die Stabilität bietet Sicherheit für die Unterneh- mer und Wettbewerbsvorteile für das Land. Die Schweiz sollte also die Konkordanz pflegen – sie, wie es der Politikwissen- schafter Michael Hermann in einer Studie für Avenir Suisse empfiehlt, «nicht abschaffen, sondern revitalisieren». Abweichende Parolen in Prozent 1985–1991 2005–2011 FDP FDP FDP FDP FDP FDP FDP FDP FDP CVP LPS SPS SVP SPS SPS SPS BDP CVP SVP CVP CVP CVP CVP CVP SVP SVP SVP CVP CVP SVP FDP

Plakat: Konkordanz im Bundesrat

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Die Geschichte der Konkordanz im Bundesrat auf einen Blick. (c) by Avenir Suisse, 2011

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Page 1: Plakat: Konkordanz im Bundesrat

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1914Ausbruch des

Ersten Weltkriegs

1917 Wahl des einzigen Bundesrates

der Liberalen, Gustave Ador

1918Landesgeneralstreik

1919Wahl des Nationalrats nach Proporz

Bruch der freisinnigen Mehrheit

Wahl eines zweiten katholisch- konser vativen Bundesrates

1921Gründung der Kommunistischen Partei

1929Wahl des ersten Bundesrates

der Bauernpartei, Rudolf Minger

1931Umstellung auf vierjährige Legislaturperiode

1959Wahl des Bundes-rates nach «Zauberformel»

1954Rücktritt des sozial-demokratischen Bundesrates Max Weber

1944Gründung der Partei der Arbeit

1943Wahl des ersten sozialdemokra - tischen Bundesrates, Ernst Nobs

1939Ausbruch des Zweiten Weltkriegs

1937Gründung des Landesrings der UnabhängigenFriedensabkommen in der Metallindustrie

1936Gründung der Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei

1984Wahl von Elisabeth Kopp (FDP) als erste Bundesrätin

1983Gründung vonGrüner Partei und Grüner Alternative

1978Aufnahme des Juras als 23. Kanton

1971Einführung des Frauen- stimmrechts auf Bundesebene

2010Frauenmehrheit im Bundesrat

2008Ausschluss der beiden SVP-Bundesräte

Gründung der Bürgerlich-Demokratischen Partei

Wahl eines SVP-Bundesrates, Ueli Maurer

2007Abwahl von Bundesrat Christoph Blocher

2003Bruch mit der «Zauberformel»

Wahl von Christoph Blocher als zweiter SVP-Bundesrat

1999Totalrevision der Bundesverfassung

1888Gründung der Sozial demo -

kra tischen Partei

1891Wahl des ersten

katholisch-konser - vativen Bundesrates,

Joseph Zemp

Einführung der Verfassungs initiative

1894Gründung der Freisinnig-

demokratischen Partei

Gründung der Katholischen Volkspartei

1848Gründung des Bundesstaates

Wahl des ersten Bundes rates mit sieben Freisinnigen

1861Beginn der demokratischen

Bewegung gegen den Freisinn

1873 Ausbruch des Kulturkampfs

1874 Totalrevision der Bundesverfassung

Einführung des Referendums

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Konzept, Text: Markus SchärGestaltung: Arnold. Inhalt und Form AG, www.a-if.ch

Zauberformel ohne ZauberDie «Zauberformel» von 1959 (2 FDP, 2 CVP, 2 SPS, 1 SVP) verleiht der Schweizer Kollegi-alregierung mehr als vierzig Jahre lang eine einzigartige Stabilität. Nur die Sozialdemo-kraten geben sich ab 1983, als ihre Kandida-tin Lilian Uchtenhagen nicht in den Bundes-rat gewählt wird, «schampar unbequem»: Sie sind gleichzeitig Regierungspartei und Op-position. Der Bürgerblock zerbricht 1992 in der Auseinandersetzung um den Beitritt der Schweiz zum EWR. Die SVP verdoppelt in-nert zwölf Jahren ihren Wähleranteil und be-wegt sich von FDP und CVP weg. Zwischen 2007 und 2011 können die «oppositionellen Bundesratsparteien» SPS und SVP das Parla-ment blockieren.

Die Parteien spielen Opposition Seit den 1980er-Jahren fasste die SPS bei der Hälfte der Volksabstimmungen eine andere Parole als der Bundesrat, seit fünf Jahren tut dies auch die SVP.

Quelle: www.swissvotes.ch, eigene Darstellung

Die Parteien driften auseinander Aufgrund der Parolen von 1985–1991 (grau) und 2005–2011 (rot) zeigt sich, wie sich die Positionen der Parteien voneinander wegbewegen.

Das Buch zum Thema Taugt das Schweizer Regierungssystem angesichts der Krise der Konkordanz noch für die Zukunft? Diese Frage untersuchte im Auftrag von Avenir Suisse der bekannte Politikwissenschafter Michael Hermann. Er stellt in seinem Buch «Konkordanz in der Krise» die Erfolgsgeschichte des Schweizer Modells dar. Und er empfiehlt: «Revitalisieren statt abschaffen!»

1943Angesichts der Gefahr, die vom Dritten Reich droht, bekennen sich die Sozialdemokraten in den Dreissigerjahren zur Landesver-teidigung, und seit 1937 gilt in der Maschinen- und Metallindustrie das Friedensabkommen. Als sich im Zweiten Weltkrieg der Sieg der Alliierten abzeichnet, wählen die Bürgerlichen mit Ernst Nobs den ersten sozialdemokratischen Bundesrat.

1954Als Ernst Nobs 1951 zurücktritt, ersetzt ihn Max Weber – als Mili-tärdienstverweigerer angefeindet. Er bereitet eine Finanzreform vor, die den sozialen Ausgleich zwischen direkter und indirekter Besteuerung bringen soll. Die Vorlage scheitert 1953 in der Volks - abstimmung, Weber tritt zurück. Der Bundesratssitz der SPS geht kurzfristig an die FDP, Ende 1954 an die KK.

1959Um die Sozialdemokraten wieder in den Bundesrat einzubinden und die Vorherrschaft des Freisinns zu brechen, erfindet Martin Rosenberg, der Generalsekretär der KK, die «Zauberformel»: FDP, KK und SPS bekommen je zwei Sitze, die BGB einen. Die Spielregeln macht die Bundesver-sammlung klar, als sie nicht die Kandidaten wählt, die die SPS vorgeschlagen hat.

2003Die SVP, die in den 1990er-Jahren ihren Wähleranteil verdoppelt hat, macht die Wahlen von 2003 zum Plebiszit über ihren Vor- denker Christoph Blocher. Nach dem erneuten Wahlsieg fordert sie ultimativ einen Bundesratssitz für ihn. Die Bundesversammlung wählt Blocher – sie will damit wie einst bei KK und SPS eine potentiell obstruktive Opposition einbinden.

2007Anders als die Vertreter der Sozial-demokraten lässt sich Blocher im Bundesrat nicht domestizieren: Er gebärdet sich eher als Opposi-tionsführer. Die Bundesversamm-lung wählt deshalb statt ihm Eveline Widmer-Schlumpf. Die SVP schliesst ihre beiden Bundes-räte aus, diese gründen die Bür-gerlich-Demokratische Partei. Die SVP erhält 2008 wieder einen Bundesratssitz.

1848Nach der Gründung des Bundes-staates sitzen mehr als vierzig Jahre lang sieben Vertreter der «freisinnigen Grossfamilie» im Bundesrat. Der Freisinn spaltet sich auf in Demokraten, Radi-kale und Liberale. Dank dem Re - ferendum können ab 1874 die Katholiken zusammen mit frei-sinnigen Föderalisten vorwie gend aus der Romandie das Parlament blockieren.

1891Die Katholiken lehnen im Kul tur - kampf alles ab, was «von Bern oben» kommt, so auch die Ver-staatlichung der Eisenbahnen 1891. Der freisinnige Eisenbahn-minister Emil Welti tritt zurück. Für ihn kommt Joseph Zemp, der die Opposition angeführt hat, als erster Katholisch-Konservativer in den Bundesrat – und bringt die Verstaatlichungsvorlage 1898 beim Volk durch.

1929Im Ersten Weltkrieg klaffen Gräben zwischen dem Bürgertum und den Bauern einerseits und den notleidenden Arbeitern und Angestellten anderseits. Wegen der Polarisierung nach dem Lan- desgeneralstreik von 1918 und dem Wahlerfolg der Sozialdemo-kraten von 1919 wählt die Bun-desversammlung Rudolf Minger, der 1917 die Bernische Bauern- und Bürgerpartei gegründet hat.

Grossbritannien: Das Konkurrenzsystem führt zu schnellen Wechseln in der Regierung

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Als älteste parlamenta ri sche Demokratie hat Grossbritannien ein aus geprägtes Zwei-Parteien- System. Im 19. Jahrhun dert kämpften die liberalen Whigs gegen die kon servativen Tories, im 20. Jahrhundert Konser - vative gegen Labour. Die Parteien wechselten sich in Regierung

und Opposition oft in schneller Folge ab.

In der Schweiz ist das Volk die Opposition. Will der Bundesrat zu tragfähigen Lösungen kom-men, muss er sich auf eine mög-lichst grosse Mehrheit abstützen. Wenn sich eine Partei zu sehr zu einer schlagkräftigen Opposi-tion entwickelte – wie die Katho -lisch-Konservativen nach der Verfassungsrevision von 1874 oder die Sozialdemokraten nach dem Landesgeneralstreik von 1918 –, wurde sie in den Bundesrat ein-gebunden. Der Wähleranteil der Bundesratsparteien

lag so meist über 80 %.

Nationalrat Die Volkskammer (oben) wurde im 19. Jahrhundert von der «freisinnigen Grossfamilie» beherrscht, mit dem eher linken Flügel (später FDP) und der Mitte (später LPS). Den Umbruch brachte die Einführung der Proporz-wahl 1919.

In der Ständekammer (links) hatten die Katholiken immer eine starke Stellung. FDP und KK/CVP hielten bis 1931 mehr als 40 Sitze und haben heute noch die Mehrheit.

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Die Schweiz braucht eine Regierung, in der alle wichtigen Par-teien sitzen, gerade wegen ihrer direkten Demokratie: Vorlagen, hinter denen Bundesrat und Parlament nur mit knappen Mehr-heiten stehen, scheitern oft in der Volksabstimmung. Deshalb musste jede Opposition, die die Gesetzgebung lahmlegen konn-te, in die Regierung eingebunden werden, so 1891 die Katho- lisch-Konservativen, 1943/59 die Sozialdemokraten und 2003 die erstarkte SVP mit einem zweiten Sitz. Die Vertreter der Bundes-ratsparteien hatten so in der Bundesversammlung meist einen Anteil von mehr als 80%, zeitweise bis zu 95%.

Die politische Stabilität brachte der Schweiz ökonomischen Erfolg: Die Jahre nach 1891, 1943/59 und 2003, mit einer Regie-rung im Gleichgewicht, gehören zu den Blütezeiten der Schwei-zer Wirtschaft. Die Stabilität bietet Sicherheit für die Unterneh-mer und Wettbewerbsvorteile für das Land. Die Schweiz sollte also die Konkordanz pflegen – sie, wie es der Politikwissen-schafter Michael Hermann in einer Studie für Avenir Suisse empfiehlt, «nicht abschaffen, sondern revitalisieren».

Abweichende Parolen in Prozent

1985–1991 2005–2011

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