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Heribert Gierl Heribert Gieri Planung der Sortimentstiefe im Handel 1. ProblemsteUung Unter Sortimentstiefe wird die Anzahl der angebo- tenen alternativen KaufmSglichkeiten, mit denen Nachfrager einen Kaufwunsch befriedigen kbnnen, verstanden, als Indikator kann die Anzahl der als substitutiv anzusehenden Produkte gelte'n. Im Ge- gensatz dazu gibt die Sortimentsbreite die Anzahl der additiven KaufmSglichkeiten an (vgl. ML~ller- Hagedorn 1984, S. 148; Hansen 1990, S. 207). Handelsunternehmen, die mehrere Produktberei- che im Sortiment f0hren, k6nnen nicht in allen Pro- duktbereichen die Sortimentstiefe beliebig ver~n- dern. Bei begrenzter Verkaufsfl&che m(3ssen Zunah- men der Sortimentstiefe in einem Produktbereich (Artikelgruppe, Warengruppe usw.) nach Auslastung noch bestehender Freir~ume zu Lasten der Sorti- mentstiefe in einem anderen Produktbereich gehen. Es entsteht somit ein Planungsprobtem, in dessen Rahmen eine optimale Aufteilung des Engpasses Verkaufsfl~che auf Raumanteile, die je Produktbe- reich in Anspruch genommen werden, zu suchen ist (vgl. Barth 1988, S. 170). Die M6glichkeit, Sorti- mentstiefen in einem Teil der Produktbereiche zu er o weitern, ohne andere Bereiche auszudLinnen, d(~rfte meist nur bei gleichzeitiger Ausdehnung der Ver- kaufsfl~che gegeben sein. Die Einsatzm~glichkeiten des absatzpolitischen Instruments Sortimentstiefe sind daher stark von strategischen Entscheidungen eber Verkaufsfl~che und Standort eingeengt (vgl. hierzu Baumol/Ide 1956; Hansen 1990, S. 14,222 f.). AUgemein wird eine Sortimentstiefenplanung fSr die verschiedenen Produktbereiche nach dem Fin- gerspitzengefiJhl abgelehnt. In diesem Beitrag wer- den einige theoretische 0berlegungen zum Einflul} der Sortimentstiefe auf wirtschaftliche ErfolgsgrS- Ben dargelegt, anschlieSend werden Planungskal- kSle angesprochen und es wird ihre Sinnhaftigkeit diskutiert. Prof. Dr. Hertber[ GJerl, Lehrstuhl fur Marketing. Universitat Regensburg. D-8400 Regensburg.Universit~tsstraBe 31. 2. Einige verhaltenstheoretische Oberlegungen Die Sortimentstiefe kann in dreifacher Hinsicht Einflu8 auf wirtschaftliche Erfolgsgr58en nehrnen. Zum einen beeinfluBt die Sortimentstiefe die Attrak- tivit&t von Ein kaufsst~itten aus der Sicht der Nachfra- ger. Je tiefer ein Sortiment ist, um so gr58er wird die Anziehungskraft des Produktbereichs sein (Einkaufs- erlebnis, Magnetwirkung) und um so eher wird ein Nachfrager aufgrund der Auswahl dieses Gesch~tft bevorzugen. Zum anderen beeinfluSt die Sortiments- tiefe auch die Kaufwahrscheinlichkeit yon Konsu- menten im Gesch~ft. Je gr(~t3er die Auswahl der Produkte ist0 um so eher wird ein Konsument ein Produkt finden, das seinen W~nschen gerecht wird. SchlieBlich ergeben sich bei Nachfrageverbund zwischen Produktbereichen bei wachsender Sorti- mentstiefe eines Produktbereichs zunehmende Chancen, dab Kunden nur um der selten angebote- nen Produkte willen die Einkaufsst&tte besuchen, aber bei dieser Gelegenheit auch Produkte aus anderen Produktbereichen kaufen. Ab einer hohen Sortimentstiefe 1~13t sich eine S~it- tigungserscheinung oder sogar ein RSckgang der Attraktivit~t der Einkaufsst~itte bzw. der Kaufwahr- scheinlichkeit vermuten, da steigende Sortiments- tiefen f~r Konsumenten auch hSheren Suchaufwand erfordern. ML~ller-Hagedom und Heidel steliten mittels theo- retischer 0bedegungen fest, dal} kein eindeutiger funktionaler Zusammenhang zwischen "13efe und Abs~tzen (oder Ums~tzen) eines Sortiments forrnu- liert werden kann. Sie unterschieden vier Konsu- mentengruppen anhand der beiden Kriteden Kauf- absicht eines Produkts und Stabilit~it yon Produkt- pr~iferenzen (M~ller-Hagedorn/Heidel 1986, S. 44): Konsumenten, die den Kauf eines Produktes aus dem Produktbereich bereits planen und nur "ihr" konkretes Produkt kaufen wollen (Gruppe 1), 9 Konsumenten, die ebentalls Kaufabsicht im Pro- 20 31. Jahrgang.Nr. 120. Se,te20-26 de~" msdPkt 1992/1

Planung der sortimentstiefe im handel

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Page 1: Planung der sortimentstiefe im handel

Heribert Gierl

Heribert Gieri

Planung der S o r t i m e n t s t i e f e im H a n d e l

1. ProblemsteUung

Unter Sortimentstiefe wird die Anzahl der angebo- tenen alternativen KaufmSglichkeiten, mit denen Nachfrager einen Kaufwunsch befriedigen kbnnen, verstanden, als Indikator kann die Anzahl der als substitutiv anzusehenden Produkte gelte'n. Im Ge- gensatz dazu gibt die Sortimentsbreite die Anzahl der additiven KaufmSglichkeiten an (vgl. ML~ller- Hagedorn 1984, S. 148; Hansen 1990, S. 207).

Handelsunternehmen, die mehrere Produktberei- che im Sortiment f0hren, k6nnen nicht in allen Pro- duktbereichen die Sortimentstiefe beliebig ver~n- dern. Bei begrenzter Verkaufsfl&che m(3ssen Zunah- men der Sortimentstiefe in einem Produktbereich (Artikelgruppe, Warengruppe usw.) nach Auslastung noch bestehender Freir~ume zu Lasten der Sorti- mentstiefe in einem anderen Produktbereich gehen. Es entsteht somit ein Planungsprobtem, in dessen Rahmen eine optimale Aufteilung des Engpasses Verkaufsfl~che auf Raumanteile, die je Produktbe- reich in Anspruch genommen werden, zu suchen ist (vgl. Barth 1988, S. 170). Die M6glichkeit, Sorti- mentstiefen in einem Teil der Produktbereiche zu er o weitern, ohne andere Bereiche auszudLinnen, d(~rfte meist nur bei gleichzeitiger Ausdehnung der Ver- kaufsfl~che gegeben sein. Die Einsatzm~glichkeiten des absatzpolitischen Instruments Sortimentstiefe sind daher stark von strategischen Entscheidungen eber Verkaufsfl~che und Standort eingeengt (vgl. hierzu Baumol/Ide 1956; Hansen 1990, S. 14,222 f.).

AUgemein wird eine Sortimentstiefenplanung fSr die verschiedenen Produktbereiche nach dem Fin- gerspitzengefiJhl abgelehnt. In diesem Beitrag wer- den einige theoretische 0berlegungen zum Einflul} der Sortimentstiefe auf wirtschaftliche ErfolgsgrS- Ben dargelegt, anschlieSend werden Planungskal- kSle angesprochen und es wird ihre Sinnhaftigkeit diskutiert.

Prof. Dr. Hertber[ GJerl, Lehrstuhl fur Marketing. Universitat Regensburg. D-8400 Regensburg. Universit~tsstraBe 31.

2. Einige verhaltenstheoretische Oberlegungen

Die Sortimentstiefe kann in dreifacher Hinsicht Einflu8 auf wirtschaftliche Erfolgsgr58en nehrnen. Zum einen beeinfluBt die Sortimentstiefe die Attrak- tivit&t von Ein kaufsst~itten aus der Sicht der Nachfra- ger. Je tiefer ein Sortiment ist, um so gr58er wird die Anziehungskraft des Produktbereichs sein (Einkaufs- erlebnis, Magnetwirkung) und um so eher wird ein Nachfrager aufgrund der Auswahl dieses Gesch~tft bevorzugen. Zum anderen beeinfluSt die Sortiments- tiefe auch die Kaufwahrscheinlichkeit yon Konsu- menten im Gesch~ft. Je gr(~t3er die Auswahl der Produkte ist0 um so eher wird ein Konsument ein Produkt finden, das seinen W~nschen gerecht wird. SchlieBlich ergeben sich bei Nachfrageverbund zwischen Produktbereichen bei wachsender Sorti- mentstiefe eines Produktbereichs zunehmende Chancen, dab Kunden nur um der selten angebote- nen Produkte willen die Einkaufsst&tte besuchen, aber bei dieser Gelegenheit auch Produkte aus anderen Produktbereichen kaufen.

Ab einer hohen Sortimentstiefe 1~13t sich eine S~it- tigungserscheinung oder sogar ein RSckgang der Attraktivit~t der Einkaufsst~itte bzw. der Kaufwahr- scheinlichkeit vermuten, da steigende Sortiments- tiefen f~r Konsumenten auch hSheren Suchaufwand erfordern.

ML~ller-Hagedom und Heidel steliten mittels theo- retischer 0bedegungen fest, dal} kein eindeutiger funktionaler Zusammenhang zwischen "13efe und Abs~tzen (oder Ums~tzen) eines Sortiments forrnu- liert werden kann. Sie unterschieden vier Konsu- mentengruppen anhand der beiden Kriteden Kauf- absicht eines Produkts und Stabilit~it yon Produkt- pr~iferenzen (M~ller-Hagedorn/Heidel 1986, S. 44):

Konsumenten, die den Kauf eines Produktes aus dem Produktbereich bereits planen und nur "ihr" konkretes Produkt kaufen wollen (Gruppe 1),

�9 Konsumenten, die ebentalls Kaufabsicht im Pro-

20 31. Jahrgang. Nr. 120. Se,te 20-26 de~" msdPkt 1992/1

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Planung der Sortimentstiefe im Handel

duktbereich haben und auch bereit sind, anstelle eines nicht verffigbaren, stark pr&ferierten Pro- dukts auf ein anderes, weniger pr~ifedertes aus- zuweichen (Gruppe 2),

Personen, deren Kaufabsicht noch nicht auf ein konkretes Produkt ausgerichtet ist (Gruppe 3), und

Personen, die in der Einkaufsst~tte impulsiv ei- nen Kauf aus dem Produktbereich ttitigen (Grup- pe 4).

Die Wahrscheinlichkeit, dab ein Konsument aus der ersten oder zweiten Gruppe aus dem Produktbe- reich ein Produkt erwirbt, steigt mit der Sortiments- tiefe. Diese Personen finden mit zunehmender Wahrscheinlichkeit "ihr" bzw. ein noch geeignetes Produkt. Ob Konsumenten aus der dritten Gruppe ein Produkt kaufen, h~ngt davon ab, ob sie eine hohe, mittlere oder geringe Auswahl bevorzugen. Geringe Auswahl entlastet zeitlich und psychisch. Eine umfangreiche Auswahl in einem Produktbe- reich erweckt Aufmerksarnkeit bei Konsumenten der vierten Gruppe und ISst impulsive K~ufe aus. Wenn Konsumenten der ddtten Gruppe einen hohen Anteil der Kunden ausmachen und diese Kunden yon umfangreichen Sortimenten abgeschreckt werden, kann mit zunehmender Sortirnentstiefe ein ROck- gang wirtschaftlicher Erfolgsgr68en auftreten (vgl. auch Huppert 1987, S. 52).

Gist entwarf ein Popularit&tskonzept, das einen steigenden Zusamrnenhang zwischen Sortiments- tiefe und Urnsatz unterstellt und grunds~tzlich zur Planung der Sortirnentstiefe in verschiedenen Pro- duktbereichen eingesetzt werden k6nnte (Gist 1968, S. 259 f.). Diesern Konzept liegt die Idee zugrunde, dab vorrangig diejenigen Produkte angeboten wer- den (sollten), nach denen tatsfichlich Bedarf besteht. Eine Planung der Sortimentstiefe in den verschiede- nen Produktbereichen w~re nach Mat3gabe der Absatz- bzw. Urnsatzkonzentration auf Produkte vorzunehmen, so daft das "letzte" hinzugenornmene Produkt je Produktbereich dieselben Absatzzahlen oder Urns&tze hat. Der verhaltenstheoretischen Sinnhaftigkeit dieses Vorschlags ging Hackl (1991) nach. Er stellte 16 Experten (Inhabern und Gesch~fts- f0hrern von Einzelhandelsunternehmen) die Frage, ob in Produktbereichen, in denen sich die Kfiufe der Kunden faktisch auf wenige in der Einkaufsst~tten angebotene Produkte bzw. Marken konzentderen, auch nut diese wenigen Produkte angeboten wet- den k0nnen zugunsten einer hOheren Sortirnentstie-

fe in den Produktbereichen, in denen sich die Anteile der Abs~tze nicht auf wenige Produkte konzentrie- ren. Die Experten erachteten dieses Konzept als kurzsichtig. Sie argurnentierten, dab nicht nur die tatsfichlich meist gekauften Produkte gefOhrt wer- den mfissen, sondern auch die den Konsumenten bekannten Produkte; Konsurnenten w0nschten die MOglichkeit, die Richtigkeit ihrer Entscheidung zu fiberpr0fen. In dem Vorschlag von Gist wird ihrer Meinung nach den Wfinschen der Konsurnenten an die Sortirnentstiefe nicht in geeigneter Weise Re- chung getragen.

, Empir ische Befunde zum Z u s a m - menhang zwischen Sor t iments . t ie fe und w i r t s c h a f t l i c h e m Er- folg

Aus verhaltenstheoretischen 0berlegungen I~ t sich nicht Iogisch ableiten, dab eine zunehmende Sortimentstiefe auch mit h6herern Umsatz mit Pro- dukten dieses Produktbereichs verbunden ist. Falls bestimrnte obere Umits der Sortimentstiefe 0ber- schritten werden (information overload), d0rfte auch bei bestimmten Konsumenten tier Eindruck der UnLibersichtlichkeit entstehen, mit der Konsequenz, dab sie in einer anderen Einkaufsst~tte mit 0ber- schaubarerem Angebot in diesem Produktbereich einkaufen.

Es kann versucht werden, dieses Defizit an Richt- gr66en for die Planung der Sortimentstiefen zu beseitigen, indem statistische Regelm~iSigkeiten durch empirische Forschungen aufgedeckt werden. Die bislang vodiegenden Ergebnisse basieren meist auf Zeitreihenanalysen. Typisch fOr solche Studien ist es, die zeitlichen Umsatzver~nderungen der Be- triebe, die ihre Sortimentstiefe in einem Produktbe- reich erhOhten, mit den Umsatzver&nderungen der Betriebe zu vergteichen, die die Sortimentstiefe im gleichen Zeitraum und im gleichen Produktbereich reduzierten. Exemplarisch for eine Analyse dieser Art wird bier eine Studie auf der Grundlage yon Daten des Nielsen-Handelspanel skizziert (vgl. Ta- belle 1).

Die Analyse von Ruppe zeigt, dab die Betriebe, die die Sortimentstiefe bei Joghurt erweiterten, Umsatz- zuw&chse in diesem Produktbereich hatten und die Betriebe, die diesen Produktbereich ausd0nnten, entweder geringe Umsatzzuw~chse oder -einbul3en zu verzeichnen hatten. Analoge Berechnungen nab-

der m a r k t 199~' 1 21

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Heribert Gierl

Gesch~ifte, die inner- halb eines Jahres im Produktbereich Joghurt

... viele zus~tzliche Produkte aufnahmen

... die Sortimentstiefe nicht vedinderten

... eine Reduktion des Sortiments vomahmen

Verbraucherm~lrkte

Sortiments- ver~nderung

+43 %

Umsatz- ver~nderung

+6,9 %

Super SB-Gesch~ifte

Sortiments- ver~nderung

+41%

Umsatz- ver~nderung

+3 .0%

+20%

- 1 %

+3.0%

1.0 %

+11%

- 1 4 %

-11.4%

- 1 4 . 3 %

Basis: Nielsen-Handelspanel (SABINE-Programm 1982/83) Quelle: Ruppe 1983, S. 63 f.

Tab. 1: Die Auswirkungen yon Ver~nderungen der Sortimentstiefe auf den Umsatz im Zeitvergleich - Ein Beispiel

men M011er-Hagedorn und Heidel (1986) for die drei Produktbereiche Zahnpasten, Haarwaschmittel und Geschirrsp01mittel vor. FOr zwei Beobachtungszeit- r~ume und fOnf Betriebstypen des Einzelhandels stellten sie die Umsatzentwicklungen der Betriebe den Ver~nderungen der Sortimentstiefe gegen0ber. Auch sie konnten tendenziell einen Umsatzzuwachs der erweiterten Produktbereiche und einen Umsatz- r0ckgang in ausged0nnten Produktbereichen bei Zahnpasten und Haarwaschmitteln nachweisen.

Vergleiche des Zusammenhangs zwischen Sorti- mentstiefe und Umsatz bei verschiedenen Betrieben sind nur aussagekr&ftig, wenn auch die Marktbedin- gungen (Sortimentstiefe der Konkurrenz, Standort, Marktpotential usw.) der Betriebe und die Umfelder der betrachteten Produktbereiche vergleichbar sind. Diese Bedingungen sind in den beiden oben skiz- zierten Studien nicht kontrolliert. Dar0ber hinaus ist zu ben3cksichtigen, dab eine Erweiterung der Sorti- mentstiefe in einem Produktbereich in der Regel Auswirkungen auf die m0gliche Sortimentstiefe in anderen Produktbereichen hat. Eine isolierte Be- trachtung eines Produktbereichs liefert daher for die Planung der Sortimentstiefe in mehreren Produktbe- reichen meist nicht ausreichende Datengrundlagen.

Es lassen sich auch in Ouerschnittsvergleichen Einfl0sse der Sortimentstiefe auf betriebliche Er- folgsgrOSen konkurrierender Betriebe untersuchen. Gegenstand einer Studie, deren Ergebnisse hier vorgestellt werden, waren zehn MObeleinzelhan-

delsuntemehmen im Raum Regensburg, die nach Verkaufsfl&che, Standort, Sortimentsbreite, Preisni- veau und MObelstil vergleichbar waren. Die Sorti- mentstiefe In den f0nf Produktbereichen Wohnzim- mer, EBzimmer, KLichen, Schlafzimmer und Jugend- zimmer wurde durch Beobachtung festgestellt. Da Absatz- oder Umsatzzahlen von den Betdeben nicht zur Verfi3gun 9 gestellt wurden, muSte ersatzweise auf beobachtbare Gr0Ben ausgewichen werden. Direkt beobachtbar waren die Anzahl der Interes- senten, die Verweildauer der Interessenten und die Anzahl der Kaufabschl~sse in einem festen Beob- achtungszeitraum je Produktbereich. Die Beobach- tungen wurden ganzt&gig in gleichwertigen Untersu- chungszeitr~umen durchgef0hrt (Hauck 1991). StO- rungen durch besondere Aktionen waren nicht zu vermuten. Die empidschen Zusammenh~nge zwi- schen Sortimentstiefe (Anzahl der Alternativen) und Anzahl der Interessenten pro Beobachtungsperiode sind in nachfolgender Tabelle dargestellt. Diese Tabelle weist auch die Sch~tzungen yon Parametem linearer und Iogistischer Funktionen zwischen Sorti- mentstiefe und Interessentenanzahl je Produktbe- reich sowie die G0te dieser Zusammenh~nge aus. Auch im Querschnittsvergleich auf der Grundlage der Beobachtungen in unmittelbar miteinander konkurrierenden Betrieben tritt ein positiver Zusam- menhang zwischen Sortimentstiefe und Interessen- tenanzahl (vor,~konomischer Indikator for wirtschaft- liche ErfotgsgrOBen) zutage. Je tiefer das Sortiment eines Produktbereichs ist, desto hOher ist die Anzahl der Interessenten fOr diesen Produktbereich (Tab. 2).

22 der m~rk~ l ~ t

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Planung der Sortimentstiefe im Handel

Wohn- zimmer

Er~- zimmer

Ki3chen

Schlaf- zimmer

Jugend- zimmer

X

Y

Anbieter

A B C D E F G H I

35 27 69 41 58 38 65 57 61 32 8 38 35 31 13 36 10 20

28 31 24 18 37 19 45 29 45 13 4 8 8 7 5 12 3 6

53 3 31 17 19 17 52 27 29 40 0 35 18 20 12 30 5 12

32 25 28 22 19 31 39 24 47 22 5 18 12 14 8 15 4 20

18 6 21 20 17 16 24 14 23 6 2 9 7 4 3 10 4 3

J a

96 51 1.9

95 30 1.6

43 28 1.3

52 29 1.7

31 19 5.0

Wirku ngszusarnmenhang (Model/)

y=a+bx b r 2

0.47 0.45

0.30 0.74

0.64 0.63

y=n/]l +exp(a-bx)] a b n r 2-

2.0 0.029 67 0.45

2.7 0.036 41 0,80

2.1 0.063 45 0.62

2.5 0.050 52 0.53 0.51 0.51

0.62 0.66 4.3 0.145 31 0.81

x: Sortimentstiefe, y: Anzahl der Interessenten pro Zeitpenode

Tab. 2: Die Auswirkungen yon Ver~nderungen der Sortimentstiefe auf die Interessentenanzahl im Quer- schnittsvergleich - Ein Beispiel

In folgender Graphik ist der Zusammenhang zwi- schen Sortimentstiefe und Interessentenanzahl in

den konkurr ierenden M6bele inzelhandelsunter- nehmen am Beispiel Jugendm6bel dargestellt.

Abb. 1: Der Zusammenhang zwischen Sortimentstiefe und Interessenanzahl in konkurrierenden M6belein-

zelhandelsuntemehmen am Beispiel Jugendzimmer

der m.rk~ 1992/1 23

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HerJbert Gierl

4. Empfehlungen zur Planung der Sortimentstiefe

Im folgenden wird die wohl am h~iufigsten vorzufin- dende Situation, in der die Planung der Sortiments- tiefe erfolgt, unterstellt. Zum einen wird angenom- men, dab die VerkaufsfPiche eine Restriktion dar- stellt; dies bedeutet fi3r ein Einzelhandelsuntemeh- men mit mehreren Produktbereichen im Sortiment, dab die Sortimentstiefenplanung nicht fLir einzelne Produktbereiche isolierl geschehen kann. Zum anderen wird angenommen, dab die m5gliche An- zahl der im Verkaufsraum plazierten Einheiten je Produkt keine neuen Entscheidungsspielr~tume erSffnet. Weiterhin wird hier einfachheitshalber un- terstellt, dab durch die Planung cler Aufteilung der Verkaufsfl~iche weitgehend die Sortimentstiefe fest- gelegt ist.

Es werden drei Vorgehensweisen zur Planung der Sortimentstiefe - genauer: der Ver&nderung der Sortimentstiefenstruklur - n~her betrachtet, eine branchenorientierte, eine ergebnisorientierte und eine konkurrenzorientierte Planung.

4.1. B r a n c h e n o r i e n t i e r t e Sort i - mentstiefenplanung

Eine erste Vorgehensweise, Sortimentstiefen fest- zulegen, ergibt sich mit der Verwendung branchen- durchschnittlicher Kenngr58en. Hierbei lassen sich zwei MOglichkeiten fLir die eigene Planung un- terscheiden,

eine Aufteilung der eigenen Verkaufsfl&che nach MaSgabe der branchendurchschnittlichen Auf- tei}ung der Verkaufsfl&che und

eine Aufteilung der eigenen Verkaufsfl~che ge- m~8 branchendurchschnittlicher Ums~tze im Produktbereich.

Die Zielsetzung, die der Entscheidung for eine dieser beiden Verfahren zugrundeliegt, ist letztlich die Imitation des Verhaltens aller Betriebe in dersel- ben Branche, evtl. mit &hnlicher Betriebsgr58e.

Orientierungen an der brancheniJblichen Sorti- mentstiefe oder am branchenLibtichen Verkaufsfl~i- chenanteil kOnnen Betriebsvergleiche, wie sie z. B. das Deutsche Handelsinstitut verSffentlicht, geben. Sie gew~hren Einblick in die Bandbreiten der Sorti- mentstiefe, in der vonder GreBe her vergleichbare

Betriebe die Produktbereiche anbieten. In folgender Tabelle sind die Ergebnisse einer solchen Studie bei- spielhaft dargestellt (Tabelle 3). Weiterreichende Ana- lysen des Deutschen Handelsinstituts enthalten auch Empfehlungen.

Bebiebsform Anzahl Artikel bei Tee

Durchschnitt Bandbreite Richtwert

Supermarkt 55 40-81 k.A.

kleiner 57 41-85 71 Verbrauchermarkt

8F 57-107 k.A. groSer Verbrauchermarkt

Basis: Betriebsvergletche d. Deutschen Handelsinstitutes; k.A.: ketne Ang .abe; Quelle: Huppert 1987, S. 53, 55

Tab. 3: Ergebnisse eines Betriebsvergleichs hin- sichtlich Sortimentstiefen

Altemativ hierzu kann anstelle der durchschnittli- chen Verkaufsfl~chenaufteilung auch der durch- schnittliche Umsatz je Produktbereich herangezo- gen werden. Ausgehend vom Branchenumsatz mit Produktbereichen I~lBt sich eine Aufteilung der eige- nen Verkaufsfl~che auf die Produktbereiche vomeh- men. Solche Branchenums~tze sind entweder wie- derum Betriebsvergleichen zu entnehmen (z.B. auf der Basis von Handelspanel und Verbandsstatisti- ken) oder aus Statistiken des Ausgabeverhaltens von Haushalten (z.B. aus Daten von Haushaltspanel und Verbraucheranalysen). Eine Aufteilung der Ver- kaufsfl~tche z.B. anhand des Branchenumsatzes kSnnte f(Jr das Beispiel MObel wie folgt aussehen (Tabelle 4).

Polster- Wo~n- Schtaf- Juge~d- K0chen sonstlge Sunvne mObet zimmer z]mmer zimrner M~bel

24 % t9 % 15 % 6 % 21% 1,5 % 100 %

Tab, 4: Verkaufsfl&chenaufteilung nach dem Bran- chenumsatz

Branchenorientierte Sortimentstiefenplanungen sind einfach zu praktizieren und datenm~iSig leicht aufzufiJllen. Problematisch ist die Zielsetzung dieser Verfahren (Anpassung an einen "Durchschnitt"), die keine klare Positionierung eines Handelsuntemeh- mens nach Produktbereichen zul~iSt. Die umsatzori- entierte Variante dieser Technik ist zwar bedarfs-, aber nicht notwendigerweise nachfragerorientiert, da sie dem Ph~inomen nicht Rechung tr&gt, dab

24 der msmkt 199~

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Planung der Sortimentstiefe im Handel

Konsumenten nicht nur zum Kaufen in ein Gesch~ft kommen, sondem auch um der Auswahl in einem Produktbereich wiUen ein Gesch~iff besuchen. Nicht alle Konsumenten wollen nur "ihr" Produkt kaufen, sie wollen auch Vergleiche mit anderen Produkten in der Einkaufsst~itte anstellen, selbst wenn sie diese Produkte dann tats~ichlich nicht kaufen. Dan3ber hinaus bleiben Sortimentstiefen der Konkurrenten bier unber0cksichtigt.

4.2. E r g e b n i s o r i e n t i e r t e Sort i . mentstiefenplanung

Eine zweite Alternative der Sortimentstiefenpla- hung basiert auf aktuellen betrieblichen Ergebnissen von Produktbereichen. Idee dieser Verfahren ist es, denjenigen Produktbereich zu erweitem, in dem der Umsatz pro Produkt oder der Deckungsbeitrag pro Produkt relativ hoch ist und gleichzeitig "schlechte~ re" Produktbereiche auszud~nnen.

Zielsetzung dieser Verfahren ist es, den Gesamt- umsatz oder Gesamtdeckungsbeitrag zu maximie- ren. Eine Sortimentstiefe wird dieser Zielsetzung zufolge solange erweitert, wie der erreichte Zuwachs an Ed0s die zus&tzlichen Kosten und entgangenen Gewinne bei ausgedLinnten Produktbereichen 0ber- steigt (vgl. Berekoven 1990, S. 84).

Es ist je Produktbereich eine KenngrSBe zu be- stimmen, die auf Ums~itzen oder Deckungsbeitr&- gen bzw. Rentabilit~ten basiert. Solche Kenngr~Sen k5nnen z.B. Umschlagnutzen-GrSBen (Aufschlags- spanne x Umschlagh~iufigkeit) oder die direkte Pro- duktrentabilit~it (VerkaufsedSs ohne MwSt - reale Einkaufskosten - Transportkosten - Kosten for das Produkt in der Einzelhandelsstufe for Personal, Raum und Zinsen for gebundenes Kapital) sein. Diese Kenngr08en lassen sich sowohl for den Durchschnitt aller Produkte eines Produktbereichs als auch fi3r die "Schlul'flicht-Produkte" je Produktbereich ermitteln.

Um diese Verfahren einsetzen zu k6nnen, sind for Planungszwecke intern verf0gbare Daten ausrei- chend, sie sind daher datenm~13ig vergleichsweise unproblematisch handhabbar.

Es ist aber auch zu fragen, ob Ausweitungen von Produktbereichen mit hohen Kenngr68en zulasten von Produktbereichen mit geringen Kenngr58en tats~chlich die Gesamterfolgsgr~13en verbessern.

Eine Ver&nderung der Sortimentstiefe hat nicht not- wendigerweise eine proportionale Ver~nderung des Umsatzes bzw. Deckungsbeitrags zur Folge. Pro- duktbereiche ohne sonderlichen Deckungsbeitrag kSnnen Beweggr0nde sein, dab Konsumenten 0ber- haupt eine Einkaufsst&tte besuchen und Verbund- k&ufe stattfinden (Produktbereiche mit Son- derpreisen, Grundnahrungsmittel usw.). Bestenfalls sind solche Techniken fOr die Zwecke eines "allm~th- lichen Herantastens" an die optimalen Sortiments- tiefen geeignet.

4.3. Konkurrenzorientierte Sorti- mentstiefenplanung

Eine weitere Technik besteht darin, durch Konkur- renzanalysen festzustellen, in welchen Produktbe- reichen eine Verringerung der Sortimentstiefe einen geringfi3gigen Rfickgang der Erfolgsgr~l}e herbei- fohrt und in welchem Produktbereich dieser frei werdende Verkaufsraum for eine starke Steigerung der Erfolgsgr6Se eingesetzt werden kann. Hierbei sind Wirkungsgesetzm~lBigkeiten zwischen Sorti- mentstiefen und ErfolgsgrOSen zugrundezulegen, die bei ergebnisorientertierten Planungen keine Verwendung gefunden hatten.

Auch diesem Verfahren liegt die Zielsetzung zu- grunde, betriebliche Erfolgsgr(313en wie Umsatz oder Deckungsbeitrag zu maximieren. Bei tier Festlegung der Sortimentstiefe kOnnen aber datengest0tzt Wir- kungsprognosen der Ver&nderung der aktuellen Sortimentstiefen erfolgen.

Grundlage solcher Verfahren sind Daten, wie sie exemplarisch in Tabelle 2 for konkurrierende M6bel- einzelhandelsuntemehmen enthalten waren. Unter Beachtung von intemen Informationen zu Raum- restrikionen, Deckungsbeitrag pro Produkteinheit und Kaufwahrscheinlichkeit pro Interessent lassen sich mittels dynamischer Optimierungen auch opti- male Sortimentstiefen simultan for mehrere Pro- duktbereiche errechnen.

Der Aufwand solcher Verfahren isi weniger re- chentechnischer Natur, da unmittelbare Handlungs- konsequenzen auch aus der graphischen Darstel- lung der Wirkungsfunktionen und der Positionierung des eigenen Unternehmens in diesen Wirkungsfunk- tionen abgeleitet werden k6nnen, er liegt mehr in der Erfassung hinreichend genauer Daten begr0ndet.

der ma.rkt, ~ 25

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Heribert Gierl

Dan3ber hinaus k0nnen starke Ve~nderungen der Sortimentstiefe in einem Produktbereich Konsequen- zen for den Verlauf einer Wirkungsfunktion haben.

4.4. Fazit

Eine Empfehlung, die Sortimentstiefen so zu pla- nen, daPJ im Sinne eines marginalanalytischen Prin- zips die zus~tzlichen ErlOse durch eine Erweiterung der Sortimentstiefe in einem Produktbereich nicht mehr durch zus~tzliche Kosten (incl. entgangener Gewinne bei ausged0nnten Produktbereichen) ge- deckt sind, kann nicht ausgespochen werden, da die Kosten for die Daten, den dieses Kalk01 erfordert, zu hoch w~,ren. Dar0ber hinaus w~.ren zeitliche Anpas- sungsprobleme der Konsumenten an eine ver&nder- te Struktur der Sortimentstiefen zu ben3cksichtigten.

Es stehen aber einige praktikable Techniken zur Verf0gung, mit deren Hilfe Richtungen der Ver~nde- rung der Sortimentstiefe zu erkennen sind. Es sollten immer mehrere solcher Techniken eingesetzt wer- den, um die Befunde eines Verfahrens dutch i;thnli- che Befunde aus anderen Verfahren absichem zu kSnnen.

5. Folgerungen fGr die Vertriebspo- litik der Hersteller

Die direkte Produktrentabilit&t dient Herstellem als ein wesentliches Argument for Produktplazierungen irn Handel. Dieses Argument kOnnte sinnvoll erg~nzt werden, wenn auch die aktuelle Sortimentstiefe des Produktbereichs, dem das interessierende Produkt angegliedert werden soil, in die Plazierungs(Jberle- gungen aufgenommen wird und datengest0tzte Empfehlungen im Sinne einer branchen- und kon- kurrenzorientierten Sortimentstiefenplanung im Handel als Informationsbasis dienen kOnnen.

Versch~rfte Wettbewerbsbedingungen um knap- pe F&chen im Einzelhandel aufgrund zuk0nftigen Raumbedarfs for die Sammlun.g von Ver- packungsmaterialien d0rften Uberlegungen in diese Richtung nahelegen.

Literatur

Barth, K.: Betriebswirtschaftslehre des Handels, 1988, Wiesbaden: Gabler.

Baumol, W.J. & Ide, E. A.: Variety in retailing. In: Management Science, 1956, Vol. 3, p. 93-101.

Berekoven, L: Erfolgreiches Einzelhandelsmarke- ting, 1990, MOnchen: Beck.

Gist, R.R.: Retailing: concepts and decisions, 1968, New York: Wiley.

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