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Physik in unserer Zeit / 31. Jahrg. 2000 / Nr. 4 © WILEY-VCH Verlag GmbH, 69469 Weinheim, 2000 0031-9252/00/0407-0144 $ 17.50 + .50/0 144 L icht ist in Vakuum eine transversale, elek- tromagnetische Welle [1]: elektrische und magnetische Feldvektoren E und B , sowie der Wellenvektor k , dessen Richtung die Ausbreitungsrichtung angibt, stehen senk- recht aufeinander. Die Länge des Wellenvek- tors, k, ist 2 π geteilt durch die Wellenlänge λ. In Materie wird das sich ausbreitende elek- tromagnetische Feld von einer Polarisations- welle begleitet. Es entsteht ein quantenme- chanischer Mischzustand aus elektromagneti- scher und Polarisationswelle – ein Polari- ton. Polaritonen haben eine lange Geschichte. Er- funden wurden sie Ende der fünfziger Jahre, um die optischen Eigenschaften von Festkör- pern – der uns umgebenden festen Materie – zu erklären. Durch die Entwicklung von Me- thoden zur Strukturierung von Festkörpern auf der Nanometerskala haben sich im vergan- genen Jahrzehnt völlig neue Aspekte ergeben: „Kristallisation“ von Licht aufgrund räumlich periodischer Modulation polarisierbarer Me- dien öffnet nicht nur neue Perspektiven für unser Verständnis wie unsere Welt funktio- niert, sondern birgt auch Potenzial für An- wendungen in der Nanooptoelektronik. Polarisierbarkeit Eine ebene monochromatische Welle ist durch ihre Kreisfrequenz ω = 2πν und ihren Wellenvektor charakterisiert. Die Dispersion, der Zusammenhang zwischen Frequenz und Betrag des Wellenvektors ist linear ω = ck (1) mit der Vakuumlichtgeschwindigkeit c = 299792458 m/s (siehe „Die Maxwell-Glei- chungen“, Seite 146). In der Quantenmechanik findet man, dass das elektromagnetische Feld mit anderen Systemen Energie nur in ganzzahligen Vielfa- chen von hν (h = 6,6260755 10 –34 Js, Planck- Konstante) austauschen kann. Diese Quanten des elektromagnetischen Feldes nennt man Photonen und der Impuls eines solchen Pho- tons ist der Wellenvektor multipliziert mit der Planck-Konstanten geteilt durch 2π. Experi- mentelle Beweise für diese Plancksche Licht- quantenhypothese sind zahllos, etwa der von Millikan entdeckte und von Einstein gedeutete Photoeffekt, die Energieverteilung eines schwarzen Strahlers oder der Compton-Effekt. In Materie werden die Eigenschaften des Lichtes aufgrund der Wechselwirkung mit den Atomen drastisch verändert. Das elektri- sche Feld des Lichts verschiebt die Ladungen – Elektronen und positiv geladene Ionen- rümpfe – gegeneinander. Es polarisiert das Medium, das es durchquert. Die Ladungen in einem Festkörper sind durch harmonische Kräfte aneinander gebunden. Die Anregung dieser harmonischen Oszillatoren durch das elektrische Feld zu erzwungenen Schwingun- gen liefert dann die Polarisationswelle, die das elektromagnetische Feld begleitet. Die Kenntnis der Eigenschaften der Polarisati- onswelle gestattet es, die optischen Eigen- schaften der Stoffe, ihre Farbe oder den ho- hen Glanz von Metallen zu verstehen. Die optischen Eigenschaften werden allgemein durch eine komplexwertige Brechzahl ñ(ω) oder die dielektrische Funktion ε (ω) be- schrieben. Letztere verknüpft das elektrische Feld mit der Polarisation P oder der dielek- trischen Verschiebung D D = ε 0 ε (ω) E = ε 0 E + P (2) Abbildung 1 zeigt Real- und Imaginärteil der dielektrischen Funktion, ε 1 und ε 2 , für ein einfaches Modell unabhängiger gedämpfter Oszillatoren mit identischen Eigenfrequen- zen (siehe „Der Lorentz-Oszillator“, Seite 149). Die Frequenzabhängigkeit spiegelt das Verhalten einer Amplitudenresonanzkurve wider. Aus den Maxwell-Gleichungen folgt, dass bei der Frequenz, bei der ε (ω) = 0, eine longitudinale Welle auftreten kann, bei der PHOTONIK Eine elektromagnetische Welle in einem Medium wird von einer Polarisationswelle begleitet. Es entsteht ein Polariton, ein kollektiver Quantenzustand aus Licht und Materie. Räumlich periodische Modulationen der Polarisierbarkeit führen zu photonischen Kristallen, die für die optische Nachrichtenübertragung ungeahnte Möglichkeiten eröffnen. Claus Klingshirn Polaritonen – Lichtquanten in Materie a b ε 1 ε s ε b ε 2 ω 0 ω 0 ω L ω ω L ω γ = 0 γ = 0,2LT γ = 0 γ = 0,2LT Abb. 1. Real- und Imaginärteil der komple- xen dielektrischen Funktion ε 1 ( ω) und ε 2 ( ω) für verschwindende und kleine Dämpfung γ der Oszillatoren; LT = ω L ω 0 .

Polaritonen — Lichtquanten in Materie

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Physik in unserer Zeit / 31. Jahrg. 2000 / Nr. 4© WILEY-VCH Verlag GmbH, 69469 Weinheim, 2000 0031-9252/00/0407-0144 $ 17.50 + .50/0

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Licht ist in Vakuum eine transversale, elek-tromagnetische Welle [1]: elektrische und

magnetische Feldvektoren E→

und B→

, sowieder Wellenvektor k

, dessen Richtung dieAusbreitungsrichtung angibt, stehen senk-recht aufeinander. Die Länge des Wellenvek-tors, k, ist 2 πgeteilt durch die Wellenlänge λ.In Materie wird das sich ausbreitende elek-tromagnetische Feld von einer Polarisations-welle begleitet. Es entsteht ein quantenme-chanischer Mischzustand aus elektromagneti-scher und Polarisationswelle – ein Polari-ton.

Polaritonen haben eine lange Geschichte. Er-funden wurden sie Ende der fünfziger Jahre,um die optischen Eigenschaften von Festkör-pern – der uns umgebenden festen Materie –zu erklären. Durch die Entwicklung von Me-thoden zur Strukturierung von Festkörpernauf der Nanometerskala haben sich im vergan-genen Jahrzehnt völlig neue Aspekte ergeben:„Kristallisation“ von Licht aufgrund räumlichperiodischer Modulation polarisierbarer Me-dien öffnet nicht nur neue Perspektiven fürunser Verständnis wie unsere Welt funktio-niert, sondern birgt auch Potenzial für An-wendungen in der Nanooptoelektronik.

Polarisierbarkeit

Eine ebene monochromatische Welle istdurch ihre Kreisfrequenz ω = 2πν und ihrenWellenvektor charakterisiert. Die Dispersion,der Zusammenhang zwischen Frequenz undBetrag des Wellenvektors ist linear

ω = c k (1)

mit der Vakuumlichtgeschwindigkeit c =299792458 m/s (siehe „Die Maxwell-Glei-chungen“, Seite 146).

In der Quantenmechanik findet man, dass daselektromagnetische Feld mit anderen Systemen Energie nur in ganzzahligen Vielfa-chen von hν (h = 6,6260755 10–34 Js, Planck-Konstante) austauschen kann. Diese Quantendes elektromagnetischen Feldes nennt manPhotonen und der Impuls eines solchen Pho-tons ist der Wellenvektor multipliziert mit derPlanck-Konstanten geteilt durch 2π. Experi-

mentelle Beweise für diese Plancksche Licht-quantenhypothese sind zahllos, etwa der vonMillikan entdeckte und von Einstein gedeutetePhotoeffekt, die Energieverteilung einesschwarzen Strahlers oder der Compton-Effekt.

In Materie werden die Eigenschaften desLichtes aufgrund der Wechselwirkung mitden Atomen drastisch verändert. Das elektri-sche Feld des Lichts verschiebt die Ladungen– Elektronen und positiv geladene Ionen-rümpfe – gegeneinander. Es polarisiert dasMedium, das es durchquert. Die Ladungen ineinem Festkörper sind durch harmonischeKräfte aneinander gebunden. Die Anregungdieser harmonischen Oszillatoren durch daselektrische Feld zu erzwungenen Schwingun-gen liefert dann die Polarisationswelle, diedas elektromagnetische Feld begleitet. DieKenntnis der Eigenschaften der Polarisati-onswelle gestattet es, die optischen Eigen-schaften der Stoffe, ihre Farbe oder den ho-hen Glanz von Metallen zu verstehen. Dieoptischen Eigenschaften werden allgemeindurch eine komplexwertige Brechzahl ñ(ω)oder die dielektrische Funktion ε(ω) be-schrieben. Letztere verknüpft das elektrischeFeld mit der Polarisation P

oder der dielek-trischen Verschiebung D

D→

= ε0 ε(ω) E→

= ε0 E→

+ P→

(2)

Abbildung 1 zeigt Real- und Imaginärteil der dielektrischen Funktion, ε1 und ε2, für eineinfaches Modell unabhängiger gedämpfterOszillatoren mit identischen Eigenfrequen-zen (siehe „Der Lorentz-Oszillator“, Seite149). Die Frequenzabhängigkeit spiegelt dasVerhalten einer Amplitudenresonanzkurvewider. Aus den Maxwell-Gleichungen folgt,dass bei der Frequenz, bei der ε(ω) = 0, einelongitudinale Welle auftreten kann, bei der

PHOTONIK

Eine elektromagnetische Welle in einem Medium wird von einer Polarisationswelle begleitet. Es entsteht ein Polariton, ein kollektiver Quantenzustand aus Licht und Materie.

Räumlich periodische Modulationen der Polarisierbarkeit führen zu photonischen Kristallen, die für die optische Nachrichtenübertragung ungeahnte Möglichkeiten eröffnen.

Claus Klingshirn

Polaritonen – Lichtquanten in Materie

a

b

ε1

εs

εb

ε2

ω0

ω0 ωL ω

ωL ω

γ = 0γ = 0,2∆LT

γ = 0γ = 0,2∆LT

Abb. 1. Real- und Imaginärteil der komple-xen dielektrischen Funktion εε1(ωω) und εε2(ωω)für verschwindende und kleine Dämpfungγγder Oszillatoren; ∆LT = ωωL–ωω0.

Polaritonen

elektrisches Feld und Polarisation entgegen-gesetzt gerichtet und parallel zum Wellenvek-tor schwingen, während das Magnetfeld ver-schwindet. Die Frequenz, bei der die dielek-trische Funktion null wird, heißt daherlongitudinale Eigenfrequenz ωL. Die Reso-nanzstelle liegt bei der transversalen Eigen-frequenz ω0.

Die dielektrische Funktion ist das Quadratder komplexen Brechzahl ñ(ω) = n(ω) +iκ(ω). Ihr Realteil beschreibt die Phasenge-schwindigkeit des Lichts nach Eintritt in dieMaterie und entspricht daher dem Realteil kdes Wellenvektors

(3)

Der Imaginärteil des Wellenvektors, ki, gibtdagegen die Abnahme der Amplitude in Aus-breitungsrichtung wieder. Er ist eng mit demAbsorptionskoeffizienten α (ω) verknüpft

(4)

Abbildung 2 zeigt Real- und Imaginärteil desBrechungsindex und das Reflexionsvermögenin der Umgebung einer Resonanzstelle beisenkrechtem Lichteinfall. Für verschwinden-de Dämpfung erreicht R zwischen ω0 und ωL den Wert 1. Zwischen transversaler undlongitudinaler Eigenfrequenz gibt es keinepropagierende Lichtwelle im Medium. Diegesamte einfallende Lichtintensität wird re-flektiert. Mit zunehmender Dämpfung wer-den die Strukturen immer mehr verwaschen.Treten in Materie mehrere Eigenfrequenzenauf, so überlagern sich in der linearen Optikdie einzelnen Beiträge additiv.

Polaritonen

Ebenso wie im Vakuum kann Licht in MaterieEnergie mit der Umgebung nur in ganzzahli-gen Vielfachen von Quanten hν austauschen.Letztere beschreiben aber hier den Mischzu-stand aus elektromagnetischer und Polarisa-tionswelle und heißen Polaritonen [3]. Der zuden Polaritonen gehörende Wellenvektor mul-tipliziert mit h/2π wird auch als Quasiimpulsbezeichnet. Die Dispersion der Polaritonen,das heißt der Zusammenhang zwischen Kreis-frequenz und Wellenvektor ω(k

), lässt sich ausder komplexen Brechzahl über die Gleichun-gen (3) und (4) leicht herleiten. Abbildung 3zeigt das Ergebnis für den Lorentz-Oszillator.

Der untere Ast der Dispersionskurve ähneltzunächst der für Photonen und ist linear, aber

k ( )c

( )2i = ≡κ ω ω α ω

k n( ) c= ω ω

mit einer kleineren Steigung (c/n statt c). Beider Resonanzstelle flacht der Verlauf ab. Indem Intervall zwischen ω0 und ωL ist dieWellenzahl für verschwindende Dämpfungrein imaginär und es gibt keine propagierendeMode. Bei der Frequenz ωL beginnt ein lon-gitudinaler Zweig, der obere Ast der Polari-tonendispersion, der bei hohen Wellenzahlenin einen photonenähnlichen Verlauf umbiegt.Handelt es sich bei der betrachteten Reso-nanzstelle um die einzige, oder um die mitder höchsten Frequenz, so nähert sich die Po-laritonendispersion des oberen Astes der vonPhotonen in Vakuum. Andernfalls bleibt derBrechungsindex und damit die Steigung nochvon 1 verschieden. Eine endlich große An-kopplung des Lichtfeldes an die Oszillatorenin Materie ist notwendigerweise mit einerendlichen longitudinal-transversal Aufspal-tung ωL– ω0 verbunden.

Polaritonen in Materie

In dreidimensionalen kristallinen Festkör-pern spielen für die optischen Eigenschaftendie elementaren Anregungen die Rolle desLorentz-Oszillators. Das sind die optischenPhononen (Gitterschwingungen), die Plas-

monen (Schwingungen des Elektronengases)und Exzitonen (Elektron-Loch-Paare) sowieoptische Übergänge, die an Störstellen lokali-siert sind (siehe „Kollektive Anregungen inFestkörpern“, Seite 150) [2, 3].

Die Dispersion von Phonon-Polaritonen,den Quanten des Mischzustandes der elek-tromagnetischen Welle und der Polarisations-welle von optisch anregbaren Gitterschwin-gungen, entspricht genau der in Abbildung 3.Die Energien der Resonanz liegen in Halblei-tern und Isolatoren im Bereich von 10 bis 100meV, also im Infraroten. Die Dispersion derPhonon-Polaritonen lässt sich durch Mes-sung der inelastischen Lichtstreuung (Ra-man-Streuung) bestimmen [3, 4].

Bei Plasmonen ist die Plasmafrequenz dielongitudinale Schwingungsfrequenz der frei-en Elektronen gegen den positiven Ladungs-hintergrund der Atomrümpfe. Die transver-sale Eigenfrequenz verschwindet wegen feh-lender Scherelastizität des Elektronengases.Daher ist der untere Zweig der Plasmon-Po-laritonendispersion null (Abbildung 3): FürFrequenzen bis ωL ist das Reflexionsvermö-gen 1. Dies, zusammen mit der Tatsache, dassallgemein die Plasmafrequenz zur Wurzel ausder Dichte der freien Ladungsträger propor-tional ist, erklärt das hohe Reflexionsvermö-gen der Ionosphäre für Kurzwellen, abernicht mehr für Ultrakurzwellen.

Dies erklärt auch das hohe Reflexionsvermö-gen von Metallen und dotierten Halbleitern,die je nach Dotierungskonzentration bis zu1020 Elektronen pro Kubikzentimeter (!) ent-halten. Sie sind bis zu Energien von einigenhundert meV undurchsichtig und hochreflek-tierend [5]. Dabei ergeben sich interessanteErscheinungen, wenn die Eigenfrequenzender optischen Phononen und der Plasmonenzusammenfallen.

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a

b

ω0 ωL ω

ω0

R1 c

ωL ω

ω0 ωL ω

��εg

��εb

y = 0y = 0,2∆LT

y = 0y = 0,2∆LT

y = 0y = 0,2∆LT

n

κ

Licht in Vakuumßω

ßωL

ßω0–

oberer Polariton Ast

unterer Polariton Ast

Im k Re k

longitudinaler Ast

Abb. 2 (a) Realteil und (b) Imaginärteil desBrechungsindex; (c) Reflexionsvermögen Rals Funktion der Frequenz ωω in der Näheeiner Resonanz.

Abb. 3. Dispersionskurve des Polaritons inder Umgebung einer Resonanzstelle fürverschwindende Dämpfung; gestrichelt:zum Vergleich die Dispersionskurve vonPhotonen im Vakuum.

Photonik

In den gängigen Metallen liegt die Plasmafre-quenz aufgrund der hohen Ladungsträger-dichte im ultravioletten Spektralbereich. Me-talle sind im gesamten sichtbaren Spektralbe-reich hochreflektierend. Damit erklärt sichder hohe Glanz vieler einfacher Metalle wieNatrium oder Aluminium. Die Farbe von

Buntmetallen wie Kupfer oder Gold ist aufdie Überlagerung der Plasmonenresonanzmit einem Interbandübergang (siehe „Kollek-tive Anregungen in Festkörpern“, Seite 150)zurückzuführen, der zu einem Einbruch desReflexionsvermögens in Bereichen des sicht-baren Spektrums führen kann.

Quantenobjekte aus einem unbesetzten Platzim Valenzband – einem Loch – und einemElektron im Leitungsband von Halbleiternoder Isolatoren sind als „Exzitonen“ be-kannt. Sie besitzen eine wasserstoffähnlicheSerie von gebundenen Zuständen unterhalbder Bandlücke (siehe „Kollektive Anregun-gen in Festkörpern“, Seite 150).

Die Dispersionskurve eines Exziton-Polari-tons sieht wieder ähnlich aus wie die in Ab-bildung 3. Allerdings laufen die Dispersions-kurven des unteren Polaritonenastes und deslongitudinalen Exzitons für größere Wellen-vektoren nicht in eine horizontale Geradeein, sondern in einen parabolischen Verlauf.Dies ist auf die kinetische Energie der Exzito-nen zurückzuführen, die proportional zumQuadrat des Impulses ist.

Die Dispersion der Exziton-Polaritonenwurde mit zahlreichen Methoden ausführlichuntersucht [3]. Ein Messverfahren besteht imWesentlichen aus einer Flugzeitmessung aneinem kurzen Lichtpuls von etwa 1 ps Dauer,der sich durch den Kristall bewegt.

Wichtig ist dabei, dass die spektrale Breite desPulses kleiner ist als die longitudinal-trans-versal Aufspaltung der Resonanz. Dann istder Quotient aus geometrischer Kristalldickeund Flugzeit gleich der Gruppengeschwin-digkeit des Polaritions, vg, der Steigung derDispersionskurve,

(5).

Offensichtlich wird diese Steigung knappober- und unterhalb der Resonanzstelle sehrklein und damit auch die Gruppengeschwin-digkeit. In CuCl konnten beispielsweise Wer-te bis herunter zu einigen 10–5 c beobachtetwerden [6]! Licht wird hier aufgrund der Po-larisation also extrem abgebremst.

Normalerweise würde man bei einem Flug-zeitexperiment mit Pikosekundenpulsen ei-nen exponentiellen Abfall der transmittiertenIntensität als Funktion der Zeit erwarten,weil die optische Anregung im Kristall auf-grund der Dämpfung im Laufe der Zeit ab-klingt. Abbildung 4 zeigt, dass dies nicht ganzder Fall ist, wenn die spektrale Breite des Pul-ses größer als die Longitudinal-transversal-Aufspaltung wird: Durch die Ausbreitungvon Polarisationswellen mit fast gleicher Fre-quenz im Kristall entstehen Schwebungsin-terferenzen, die zu den beobachteten Oszilla-tionen im Zeitverlauf der durchgelassenen

vkg

dd

= ω

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Die Maxwell-Gleichungen

Die klassische Elektrodynamik wird durchdie Maxwellschen Gleichungen beschrie-ben. Sie lauten in differentieller Form fürdie makroskopischen Felder in SI-Einheiten[1]

∇ · D→→

= � ∇ · B→→

= 0 (1)

∇ × E→→

= – B→·

∇ × H→→

= j→→

+ D→→·

(2)

D→→

= ε0 E→→

+ P→→

B→→

= µ0 H→→

+ M→

(3)

Der Nabla-Operator ∇ ist ein Vektor, dereine Differentationsvorschrift enthält undin kartesischen Koordinaten die Form

besitzt. Der Punkt bedeutet eine Differen-tiation nach der Zeit.

Die beiden Gleichungen (1) sagen, dass dieQuellen der dielektrischen Verschiebung D

die freien Raumladungen � sind und dassdie magnetische Flussdichte B

quellenfreiist. Die Gleichungen (2) geben an, dass dieWirbel der magnetischen Erregung H

durchdie elektrische Stromdichte j

und die zeitli-chen Änderungen von D

gegeben sind, dieder elektrischen Feldstärke E

durch die zeit-lichen Änderungen von B

. Die Materialglei-chungen (3) verknüpfen die beiden elektri-schen und magnetischen Feldgrößen überdie Polarisation beziehungsweise die Mag-netisierung der Materie; εo = 8,854 10–12

As/Vm und µo = 4π10–7 Vs/Am sind Natur-konstanten. Im Vakuum gilt � = j

=P

= M→

= 0.

Damit lassen sich durch Einsetzen die Wel-lengleichungen für die Felder herleiten undman erhält für die elektrische Feldstärke

∇ 2E→

(r→

, t) – µ0ε0 E→··

(r→

, t) = 0. (4)

Lösungen sind im einfachsten Fall ebeneWellen

∇ =

�x y z, ,

E→

= E→

0 ei (k→

· r→ – ωt). (5)

Entsprechendes gilt für B→

.

Um auf analoge Wellengleichungen fürLicht in Materie zu kommen, muss manNäheres über die Materialgleichungen (3)wissen. Oft gelten Proportionalitäten

P→

= ε0 χe(ω) E→

M→

= µ0 χm(ω) H→

(6)

oder anders ausgedrückt

D→

= ε0 (χe+1) E→

= ε0ε (ω) E→

, (7)

B→

= µ0 (χm+1) H→

= µ0µ (ω) H→

. (8)

Dabei sind χe und χm die elektrische undmagnetische Suszeptibilität, ε (ω) die dielek-trische Funktion und µ(ω) die Permeabi-lität. Diese lineare Näherung ist die Grund-lage der linearen Optik und liefert die Wel-lengleichung, hier dargestellt für E

,

∇ 2E→

(r→

, t) – µ0ε0 µε E→··

(r→

, t) = 0. (9)

Dabei haben wir die elektrische Leitfähig-keit σ mit j

= σ E→

zur dielektrischen Funkti-on geschlagen. Da µ für sehr viele Materiali-en und über sehr weite Frequenzbereichesehr nahe bei eins liegt, setzen wir µ(ω) = 1.Die optischen Eigenschaften sind in dieserNäherung in der dielektrischen Funktionenthalten. Setzt man einen Ansatz wie in (5)in (9) ein, so erhält man

∇ 2E→

(r→

, t) + ω 2c2

ε(ω)E→

(r→

, t) = 0. (10)

Diese Gleichung zeigt eine erstaunlicheÄhnlichkeit mit der stationären Schrödin-ger-Gleichung

∇ 2ϕ (r→

, t) + 2m�2

(E→

– V(r→

)) ϕ (r→

, t) = 0. (11)

Ein wichtiger Unterschied ist, dass die Wel-lenfunktion ϕ (r

, t) eine skalare, das elektri-sche Feld aber eine vektorielle Größe ist.

Polaritonen

Intensität führen [6, 7, 8]. Diese nennt manaufgrund ihrer Quantennatur auch Propaga-tionsquantenschwebungen.

Besonders eindrucksvoll findet man das beider Resonanz eines Exzitons in Cu2O [6], dasaufgrund von Besonderheiten des Materialsbesonders schwach an das Licht ankoppelt.Man könnte erwarten, dass bei schwacherAnkopplung an das Lichtfeld das Polariton-konzept überflüssig wird. Dies ist aber nichtder Fall, wie die ausgeprägten Schwebungenin Abbildung 4a zeigen.

Bei Natriumatomen haben wir einen starkenoptischen Übergang im gelben Spektralbe-reich, der bereits im Schulunterricht vorge-führt wird. Dieser entspricht ziemlich genaudem obigen Lorentz-Oszillator. Die typischeResonanzstruktur in der Umgebung wurdeschon Ende des letzten Jahrhunderts durchdie Brechung von Licht in einem Natrium-dampfprisma bestimmt (Abbildung 5) [9].Rechnet man die gemessene Brechzahl in

Wellenvektoren um und die Wellenlänge inPhotonenenergien, so erhält man aus Abbil-dung 5 die Dispersion von Polaritonen inNa-Dampf in der Nähe der Resonanzstelle.Das Polariton besteht hier aus einer Überla-gerung der elektromagnetischen Welle undeiner Polarisationswelle, die von den Na-Atomen getragen wird. Zur Zeit der damali-gen Messungen war weder das Konzept der Photonen noch das der Polaritonen be-kannt und man interpretierte die Resonanzim Brechzahlspektrum im Rahmen des klassischen Lorentz-Oszillatormodells. Dawir heute wissen, dass das Lichtfeld auch imNa-Dampf quantisiert ist, können wir dasPolaritonenmodell natürlich auch auf diesesSystem anwenden. Die Propagationsquan-tenschwebung von kurzen Pulsen, die sich inNa-Dampf ausbreiten, zeigt Abbildung 4b[7].

Die Kerne des Eisenisotops 57Fe zeigen im γ-Spektrum bei 14,4 keV eine sehr schmaleResonanz, die häufig für Mößbauer-Spek-

troskopie verwendet wird. In einer Metall-folie, die diese Atomkerne enthält, propagiertdie Gammastrahlung im Bereich der Re-sonanz ebenfalls als Polariton, also als Über-lagerung einer elektromagnetischen Welleund einer Polarisationswelle, die in diesemFalle von der Polarisation der Atomkerneherrührt. Mit kurzen Pulsen aus einem Synchrotron wurden kürzlich die Propa-gationsquantenschwebungen in diesem Sys-tem bei 14,4 keV nachgewiesen [8] (Abbil-dung 4c).

Sowohl in Natriumdampf als auch bei den57Fe Kernen wurden direkt an der jeweiligenResonanzstelle Ausbreitungsgeschwindigkei-ten von kurzen Lichtpulsen im Bereich vonwenigen 10 m/s (!) beobachtet [8, 10]. Des-halb ist es nicht erstaunlich, dass sich die Bre-chung und Beugung von Röntgenlicht anKristallen quantitativ nur dann richtig be-schreiben lässt, wenn die von Eins verschie-dene Brechzahl in diesem Spektralbereichberücksichtigt wird [11].

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Abb. 5. Die Ablenkung von Licht in einem Prisma aus Natrium-dampf [9].

Abb. 4. Propagationsquantenschwebungen nach Ausbreitung ei-nes kurzen Lichtpulses in der Umgebung von Resonanzstellen (a)eines Exzitons in Cu2O; (b) der gelben Absorptions-/Emissions-linie in Natriumdampf; (c) des Mößbauer-Übergangs bei 14,4 keVin 57Fe-Kernen [6, 7, 8].

tran

smit

tier

te I

nten

sitä

t (w

ilk. E

inh.

)

100

10–1

10–2

10–3

101

102

103

0

0

0 100 200 300 400 500 600 700

0

0,04

0,08

0,12

40-40 80 120

500 1000

Experiment

Cu2OT=2K

a

b

c

Theorie

Experiment

Theorie

Experiment

Theorie

Na-Dampf

57Fe0,55 Cr0,25 Ni0,2

Zeit (ps)

Zeit (ps)

Zeit (ns)

1500 2000 2500

Photonik

Photonische Kristalle

Aus der Festkörperphysik [2] ist bekannt,dass sich in einem System, das gegenüber Git-tertranslationen invariant ist, für kollektiveAnregungen aufgrund des gitterperiodischenPotentials verbotene Energiebreiche ausbil-den können. Das Energiespektrum der Elek-tronen in einem Kristall besteht aus erlaubtenEnergiebändern und verbotenen Ener-gielücken. In letzteren ist die Ausbreitungvon elektronischen Anregungen des Systemsnicht möglich. In Gegensatz dazu kann in einem konstanten Potential jede beliebigeEnergie auftreten, weil die Dispersion derElektronen parabolisch ist.

Analoges Verhalten erwartet man auch fürPolaritonenwellen. In einem Medium mit räumlich konstanter und frequenzunabhängi-ger Brechzahl ist die Dispersion kontinuier-lich und linear, etwa auf dem unteren Polari-tonenast (Abbildung 3) für kleine Frequen-zen. Stellt man nun eine Struktur her, die aus alternierenden, periodisch angeordnetenSchichten großer und kleiner Brechzahlenbesteht, so kann für Licht, das sich senkrechtdazu ausbreitet, eine verbotene Zone – eineBandlücke – auftreten, bevorzugt bei Wellen-zahlen, die reziproken Gitterabständen ent-sprechen. Hier ist keine Ausbreitung vonLicht möglich, obwohl die Brechzahlen nir-gends irgendwelche Besonderheiten aufwei-sen, wie etwa eine Resonanz. Die Ener-gielücke für Licht ist besonders ausgeprägt,wenn die Differenz zwischen den Brechzah-len groß ist und sich die jeweiligen Schicht-dicken umgekehrt wie die Brechzahlen ver-halten. Da sich das Licht in dieser „photoni-

schen“ Energielücke nicht ausbreiten kann,wird es total reflektiert. In der Tat ist die An-wendung dieses Prinzips bei dielektrischenSpiegeln seit langem bekannt.

Die Idee, Bandstrukturen für Licht in Mate-rie auch mit zwei- und dreidimensionaler Pe-riodizität zu entwickeln, erfuhr in diesemJahrzehnt im Zusammenhang mit optischerNachrichtenübermittlung einen starken Auf-schwung [12]. Für diese Strukturen ist der Name photonische Kristalle eingeführt worden, obwohl „polaritonische Kristalle“zutreffender wäre, da zumindest in einem derbeiden Materialien, aus denen die Strukturbesteht, die Brechzahl verschieden von 1 seinmuss.

Diese Systeme werden derzeit sehr intensivuntersucht. Ein Ziel ist, eine dreidimensionaleStruktur zu entwickeln, die für alle Ausbrei-tungs- und Polarisationsrichtungen von Lichteine Bandlücke hat. Dies hätte recht unerwar-tete Konsequenzen: Brächte man in eine der-artige Struktur ein Atom, das im spektralenBereich der photonischen Bandlücke Lichtemittiert, so wäre die Emission trotzdem un-terdrückt. Das Atom könnte zwar Lichtquan-ten emittieren. Diese könnten sich aber in demumgebenden photonischen Kristall nicht aus-breiten, blieben in der Umgebung des Atomslokalisiert und würden reabsorbiert.

Zur Zeit versucht man, eine echte Bandlückein Strukturen zu realisieren, die von der desnatürlichen Edelopal abgeleitet sind. Edel-opal besteht aus Bereichen, die aus periodischangeordneten, kleinen SiO2(Quarz)-Kügel-chen (Durchmesser weniger als 1 µm) in

Form einer flächenzentrierten dichtestenPackung aufgebaut sind. Die Zwischenräumesind mit Wasser (oder Luft) gefüllt. DieBrechzahldifferenz beider Materialien istnicht groß genug, um eine dreidimensionaleBandlücke zu erzielen. Jedoch bestehen fürvorgegebene Richtungen Frequenzintervalle,in denen Ausbreitung von Licht nicht mög-lich ist. Das erklärt das richtungsabhängigeFarbenspiel von Edelopal.

Füllt man die Zwischenräume zwischen denKugeln statt mit Wasser mit Silizium (Brech-zahl n = 3) und entfernt die SiO2-Kügelchendurch eine selektive Ätztechnik, so würdeman eine periodische Anordnung von „Luft-kugeln“ in einer Siliziummatrix erhalten. DieTheorie sagt voraus, dass derartige Struktu-ren, die man auch bald herstellen zu könnenhofft, eine echte Bandlücke aufweisen (Abbil-dung 6). Abbildung 6b zeigt die daraus resul-tierende Zustandsdichte in Abhängigkeit vonder Energie. Deutlich ist die Energielücke imBereich um 0,8 zu sehen. Der Vergleich miteiner Struktur von SiO2-Kugeln in Luft (Ab-bildung 6c) zeigt dagegen nur eine Modulati-on der Zustandsdichte über der Frequenz, dieaber nirgends den Wert Null erreicht.

Besonders interessante Effekte lassen sich er-warten, wenn es gelingt, die Bandstrukturdurch äußere Einflüsse wie elektrische odermagnetische Felder gezielt zu beeinflussen,etwa durch den Einsatz von Flüssigkristallen,die die Luftkugeln auskleiden [12] oder vonferromagnetischen oder -elektrischen Mate-rialien. Die oben erwähnte Emission könntedamit gezielt ein- und ausgeschaltet werden,Ein weiterer Aspekt ist der Einsatz von Ma-

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Abb. 6. (a) Die Polaritonenbandstruktur für eine dichteste Packung von Luftkugeln in Si für verschiedenen Richtungen im Wellenvek-torraum und (b) die daraus resultierende Zustandsdichte in Abhängigkeit von der Frequenz sowie im Vergleich dazu die für SiO2-Kugelnin Luft (c). Energie in Einheiten ωωa/2ππc (aus [12]).

1

ba c0,9

0,8

0,7

0,6

0,5

0,4

0,3

0,2

0,1

0

1

0,9

0,8

0,7

0,6

0,5

Zus

tand

sdic

hte

(will

k. E

inh.

)

0,4

0,3

0,2

0,1

00 10,90,80,70,60,50,40,30,20,1 0 10,90,80,70,60,50,40,30,20,1X U

Ene

rgie

(ωa/

2πc)

L X W KΓ

Wellenvektor EnergieEnergie

Polaritonen

terialien, die in der Umgebung einer photoni-schen Bandlücke auch eine Resonanzstellehaben, so dass zum einen eine der beidenBrechzahlen stark mit der Frequenz variiertund zum anderen die photonische Bandlückesowie die Reststrahlbande miteinander inWechselwirkung treten.

Photonische Atome

Ein weiterer Zugang zu photonischen Struk-turen geht von winzigen Hohlraumresonato-ren aus [13]. Im einfachsten Fall bestehen einsolcher aus einem Kasten mit spiegelndenWänden (Reflexionsvermögen 1). Da an denWänden Knoten des elektrischen Feldes seinmüssen, sind nur Schwingungszustände mitwohldefinierten Frequenzen möglich. Derhier verwendete Resonator ist etwas kompli-zierter und in Abbildung 7a dargestellt.

Zur Herstellung werden epitaktisch zwei di-elektrische Spiegel aufgewachsen mit einerHalbleiterschicht dazwischen. In diese ist einQuantenfilm eingebettet in dem quasi-zwei-dimensionale Exzitonen [3] angeregt werdenkönnen. Diese Struktur bildet zunächst nurin einer Richtung einen „Hohlraum“ oderFabry-Pérot-Resonator. Die Polaritonen, diesich durch Mischung der Fabry-Pérot- undder Exzitonenresonanzen ausbilden, sind in[14] beschrieben. In einem nächsten Schrittwird diese Struktur auf lithographischemWege so abgeätzt, dass nur kleine quadrati-sche Säulen mit der Kantenlänge W stehenbleiben (Abbildung 7a). Der große Brech-zahlsprung zwischen dem Halbleitermaterialzwischen den dielektrischen Spiegeln und derumgebenden Luft bildet die Resonatorgeo-metrie in den beiden anderen Raumrichtun-gen. Die Exzitonen in dem Quantenfilm kop-peln nur mit den Moden der Kavität und bil-den Kavitätspolaritonen aus. Diese sind inLumineszenz beobachtbar, da das Refle-xionsvermögen insbesondere der seitlichenSpiegel kleiner als eins ist.

Abbildung 7b zeigt die Energien der tiefstenEigenzustände dieser Kavitätspolaritonen inAbhängigkeit von der lateralen KantenlängeW. Wie theoretisch zu erwarten verschiebensich die Moden mit abnehmendem W zuhöheren Energien.

In einem nächsten Schritt wurden zwei dieserphotonischen Atome zu einem „Molekül“gekoppelt, in dem man einen Steg dazwi-schen stehen ließ (siehe Titelbild). Wie bei gekoppelten Oszillatoren allgemein zu er-

warten, spalten die Eigenzustände energe-tisch auf, wobei die gegenphasig gekoppelteMode eine etwas höhere Energie hat als die

gleichphasige [13]. Dieser Sachverhalt istauch für den gebundenen und ungebundenenZustand in einem H2-Molekül bekannt.

Physik in unserer Zeit / 31. Jahrg. 2000 / Nr. 4

149

Abb. 7. (a) Prinzipieller Aufbau eines „photonischen Atoms“. (b) Abhängigkeit der Reso-natorenmoden von der Kantenlänge W (nach [13]).

a

b

W

1,412

M000

M010

M011

M020

M021

M030M022

1,404

1,4001 2

TheorieExperiment

Ene

rgie

(eV

)

3 4 5

1,408

λ

Kantenlänge

Der Lorentz-Oszillator

Das einfachste Modell zur Berechnung vonε (ω) geht von einem Ensemble von Oszilla-toren aus, die an das Lichtfeld ankoppeln.Eine Realisierung sind etwa Massen m mitLadung q, die mit Federn (Federkonstanteβ ) an ihre Ruhelagen gebunden sind, in dersich aus Neutralitätsgründen die Ladung – qbefindet.

Im Modell dieser Lorentz-Oszillatoren istdie Bewegungsgleichung für die Auslen-kung u(t) in komplexer Schreibweise

mü(t) – γmu· (t) + βu(t) = qE0e–iωt. (1)

Das ist die Differentialgleichung eines ge-dämpften (γ ≠ 0) harmonischen Oszillators,der von einer äußeren periodischen Kraftangetrieben wird.

Die Bewegungsgleichung (1) liefert für diedielektrische Funktion

(2)

wobei ω0 die Eigenfrequenz der Lorentz-Oszillatoren ist [3]. N ist die Anzahldichte

ε ω εω ω ωγ

ε ω ε

( )q mN

( )

= +− −

≡ +

12

0

02 2

1 2

/i

i ( )ω

der Oszillatoren. Der Zähler in (2) gibt an,wie stark die Lorentz-Oszillatoren an daselektromagnetische Feld ankoppeln undwird als Oszillatorstärke Fj bezeichnet.

Hat ein System mehrere Eigenfrequenzenω0j, so ist über diese zu summieren. Da der Beitrag eines einzelnen Summanden für ω k ω0j gegen Null geht und für ω K ω0j gegen Fj/ω

20j, können wir in der

Umgebung einer isolierten Resonanzstelleω0 schreiben

(3),

wobei der Beitrag aller tieferliegenden Re-sonanzen (ω0j K ω) vernachlässigt und derBeitrag aller höherliegenden (ω0j k ω) Re-sonanzstellen in einer Hintergrunddielek-trizitätskonstante εb zusammengefasst sind.

Für die Resonanzstelle mit der höchsten Ei-genfrequenz (zum Beispiel die K-Kante imRöntgengebiet) ist εb = 1. Wenn die Eigen-frequenz ω0 selbst von k

abhängt, hängt diedielektrische Funktion von zwei unabhän-gigen Variablen ab, ε (ω , k

). Man bezeichnetdies als räumliche Dispersion.

ε ω εω ω γ ω

( ) F

02

= +bi– –2

Kollektive Anregungen im Festkörper

Photonik

die durch Energielücken voneinander ge-trennt sein können (Abbildung oben).

Die Energiebänder werden gemäß der Fer-mi-Dirac-Statistik mit Elektronen besetzt.Die voll besetzten Bänder heißen Valenz-bänder, die nicht oder teilweise besetztenLeitungsbänder. Bleibt bei der Besetzungder Zustände bei der Temperatur T = 0 Kein teilweise besetztes Leitungsband über,so liegt ein Metall vor. Hat man nur vollbe-setzte Valenzbänder und darüber, von einerEnergielücke Eg getrennt, leere Leitungs-bänder, so hat man einen Halbleiter wenn 0 < Eg < 4 eV und einen Isolator wenn Eg > 4 eV.

Ein unbesetzter Zustand in einem anson-sten vollbesetzten Band, ein Loch, verhältsich wie ein Teilchen mit positiver Ladung.

In der Umgebung der Bandextrema, etwabei k

o, kann die Dispersion von Elektronenund Löchern durch eine Parabel angenähertwerden, jedoch mit einer gegenüber freienElektronen veränderten Krümmung

Ε (k→

) = �2

2m*(k

– k→

0)2. (2)

Dabei ist m* die effektive Masse. Kristall-elektronen und Löcher sind Quasiteilchen,aber noch keine kollektiven Anregungen.

Die Anregungen bestehen aus der Anre-gung eines Elektrons vom Valenz- ins Lei-

Physik in unserer Zeit / 31. Jahrg. 2000 / Nr. 4

150

Phononendispersion eines Kristalls mitzwei Atomen pro primitiver Einheits-zelle.

Bandstruktur von Elektronen in einemKristall. Dargestellt ist ausgehend vom Γ-Punkt (k

= 0) die Dispersion für zweiverschiedenen Richtungen in der erstenBrillouin-Zone

Ein dreidimensionaler Kristall besteht aussehr vielen positiv geladenen Ionenrümpfenund Elektronen pro Kubikzentimeter. Eineanalytische Behandlung eines solchen Viel-teilchensystems ist aussichtslos. Man be-trachtet daher nur einen Teil des Festkör-pers (zum Beispiel die Ionenrümpfe oderdie Elektronen oder die magnetischen Mo-mente) und versucht mit einigen Näherun-gen die Bewegungsgleichung dieses Teil-systems so zu formulieren, dass sie deneneines harmonischen Oszillators oder einerharmonischen Welle äquivalent sind.

Die entsprechenden kollektiven Anregun-gen können in Analogie zum harmonischenOszillator quantisiert werden. Die Quantender kollektiven Anregungen heißen Quasi-teilchen und sind durch ihre Energie hνund ihren Wellenvektor k

charakterisiert.

Phononen sind die Quanten der Gitter-schwingungen, der kollektiven Oszillatio-nen der Atome um ihre Gleichgewichtslage.Es gibt in jedem Kristall für jede Richtungim k

-Raum drei akustische Zweige (Abbil-dung unten), die die Ausbreitung von Schallbeschreiben, nämlich zwei transversale (TA)und einen longitudinalen (LA). Diese kön-nen nicht an Licht ankoppeln. Hat der Kri-stall S Atome in der primitiven Einheitszelleso liegen darüber noch 3 S – 3 optischeZweige. Sind die optischen Schwingungenmit einem elektrischen Dipolmoment ver-bunden, so koppeln sie an das Licht an.

Der Wellenvektor lässt sich bei allen Anre-gungen in einer räumlich periodischen

Dabei sind n die Dichte der freien Ladungs-träger, m ihre Masse und εb der Wert der di-elektrischen Funktion für ω k ωp.

Der Wert von �ωp liegt bei Metallen im Be-reich um 5 bis 15 eV, in Halbleitern je nachDotierung und daraus resultierender La-dungsträgerkonzentration im Bereich vonNull bis zu einigen hundert meV. Die trans-versale Eigenfrequenz ist für das Elektro-nengas null. Damit ergibt sich die in obigerAbbildung vereinfacht dargestellte Disper-sionskurve für Plasmonen.

Die erlaubten Energiezustände der Elektro-nen liegen in Kristallen in Energiebändern,

Struktur, einem Kristall, auf einen kleinenBereich im Wellenvektorraum beschränken,die erste Brillouin-Zone. Für ein einfachkubisches Gitter mit der Gitterkonstante aerstreckt sie sich von – π/a < kj ≤ π/a (j =x, y, z). Außerhalb wiederholen sich alleDispersionskurven periodisch.

Die Energien der optischen Phononen liegen im infraroten Spektralbereich, ty-pisch bei Energien von 10 bis 100 meV.

Liegt in einem Kristall ein Gas freier La-dungsträger vor, etwa in einem Metall oderin einem dotierten Halbleiter, können dieseeine kollektive, longitudinale Schwingunggegen die positive Hintergrundladung aus-führen. In Analogie zu einem ionisiertenGas wird diese Schwingung als Plasma-schwingung bezeichnet, ihre Energiequan-ten als Plasmonen. Die Plasmafrequenz ist

(1)ω ε εp

b=

n em

2 1 2

0

/

.

Dispersion von Plasmonen.

LOTO2TO1LATA2TA1

Wellenvektor

Phon

onen

ergi

e

Wellenvektor

PlasmonßωL

ßω0

Ene

rgie

Wellenvektor

Ele

ktro

nene

nerg

ie

Leitungs-bänder

Energie-lücke

Valenz-bänder

L XΓ

Polaritonen

tungsband unter gleichzeitiger Erzeugungeines Loches. Man hat es also stets mit Elek-tron-Loch-Paaranregungen zu tun. Im Be-reich der Band-Bandübergänge sind dieÜbergangsfrequenzen, die in das Lorentz-Oszillatormodell einzusetzen sind, konti-nuierlich verteilt, wobei jedoch in manchenEnergiebereichen, den kritischen Punkten,eine Anhäufung von Oszillatorstärke auf-treten kann. Weiterhin wird die Oszillator-stärke durch die Coulomb-Wechselwirkungvon Elektron und Loch verändert.

Insbesondere am Rand der Bänder führt dieCoulumb-Wechselwirkung zur Ausbildungvon Exzitonenzuständen. Für den häufigenFall, dass Leitungsbandminimum und Va-lenzbandmaximum bei k

= 0 liegen (Halb-leiter oder Isolatoren mit direkter Band-lücke), ergibt sich die unten dargestellteDispersionsrelation der Exzitonen. Der un-angeregte Kristall hat Gesamtimpuls �k

= 0und Energie gleich Null. Darüber folgt un-terhalb der Bandlücke eine wasserstoff-atomähnliche Serie von gebundenen Elek-tron-Loch-Paarzuständen. Die Bindungs-energie liegt je nach Materialparameter (wieeffektive Massen oder Dielektrizitätskon-stante) im Bereich von wenigen meV bis zueinigen hundert meV. Die Exzitonenzustän-de bei k

= 0 können an das Lichtfeld ankop-peln. Bei der Bandlücke beginnt das Ionisa-tionskontinum der Exzitonen, das kontinu-ierlich in höhere Band-Bandübergängeüberleitet.

Kürzlich gelang es sogar, eine eindimensiona-le Kette von vielen gekoppelten photonischenAtomen herzustellen. Durch winkelaufge-löste Lumineszenzmessungen wurde gezeigt,dass sich dabei eine photonische Bandstruk-tur mit einer Energielücke ausbildet [13].

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gelang es,durch Anwendung der Quantenmechanikdas diskrete Termschema der Atome zu ver-stehen. Über die Untersuchung der Molekülekam man dann zum Verständnis der Elektro-nenzustände in Kristallen und der Entwick-lung der elektronischen Bandstruktur. Seitden siebziger Jahren geht man den Weg rück-wärts: Durch geeignete Strukturierung sperrtman Elektronen in zweidimensionale Quan-tenfilme, eindimensionale Quantendrähteund in nulldimensionale Quantenpunkte ein[3]. Da die Quantenpunkte ein diskretes Energiespektrum aufweisen, werden sie auchals künstliche Atome bezeichnet und wir er-leben gerade, wie diese wieder zu künstlichenKristallen zusammengesetzt werden.

In der Optik wurden in den fünfziger undsechziger Jahren Polaritonen als Quanten vonLicht in Materie eingeführt. Anschließendbegann man an Oberflächen oder in Quan-tenfilmen Polaritonen in Systemen reduzier-ter Dimensionalität zu untersuchen [3, 14].Die natürliche Weiterentwicklung führte zuPolaritonen in Quantendrähten und Quan-tenpunkten sowie jetzt zu photonischen Ato-men. Nun sind wir dabei, aus den photo-nischen Atomen wieder ein-, zwei- unddreidimensionale Strukturen aufzubauen:photonische Kristalle. Diese zeigen Effekte,die teilweise schon aus der Ausbreitung undBeugung von Röntgenlicht bekannt sind,aber auf Grund der größeren Brechzahlun-terschiede viel stärker ausfallen.

Die Forschungen auf diesem modernen Gebiet der Physik liefern eine Fülle faszinie-render Erkenntnisse. Sie betreffen sowohlAspekte der Grundlagenforschung, wie bei-spielsweise die Überprüfung der Quanten-elektrodynamik, als auch technische Anwen-dungen wie die Herstellung von Mikrolasernfür optische Informationsverarbeitung. Bei-spielhaft zeigt sich auch hier wieder das engeWechselspiel zwischen Theorie, Experimentund technischer Applikation, das für so vieleBereiche der Physik charakteristisch ist.

Der Autor bedankt sich bei seinen akademischenLehrern, bei seinen Mitarbeitern und bei vielenKollegen für zahlreiche anregende Diskussionen.

Literatur

[1] Siehe Lehrbücher der Elektrodynamik wiebeispielsweise Demtröder, Experimentalphy-sik Vol. 2 (Springer Verlag, Berlin 1995).

[2] C. Kittel, Einführung in die Festkörperphysik(Oldenbourg Verlag, München 1993).

[3] C. Klingshirn, Semiconductor Optics (Sprin-ger Verlag, Berlin 1997).

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[5] G. W. Spitzer, H. Y. Fan, Phys. Rev. 106, 882(1957); C. Klingshirn, phys. stat. vol. b 202,857 (1997).

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[9] Das Bild ist entnommen aus Müller-PouilletsLehrbuch der Physik und Meteorologie, 2.Band, 3. Buch S. 227 (Vieweg, Braunschweig1909); Originalarbeit: Wood, Phil. Mag. 3, 128(1902).

[10] L. V. Hau et al., Nature 397, 594 (1999).[11] M. v. Laue, Die Interferenz von Röntgenstrah-

len (Akad. Verlags. Ges., Leipzig 1923).[12] A. Birner K. Busch and F. Müller, Physikal.

Blätter 55, 27 (1999).[13] J. P. Reithmaier et al., Phys. Rev. Lett. 78, 378

(1997); M. Bayer et al., Phys. Rev. Lett. 81,2582 (1998); A. I. Tartakovskii et al., Phys.Rev. B 59, 10251 (1999); A. Kuther et al., Phys.Rev. B 58, 15744 (1998).

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[15] S. John and K. Busch, IEEE JQE, in press(1999).

Physik in unserer Zeit / 31. Jahrg. 2000 / Nr. 4

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Dispersionsrelation von Exzitonen ineinem Halbleiter (oder Isolator).

Bindungs-energie

Bandlücke

nB= 1

nB= 2nB= 3

nB= ∞

Wellenvektordes Exzitons

Kontinuum

Der Autor:

Physikstudium in Erlan-gen, Promotion 1975. Ha-bilitation 1980 in Karls-ruhe. 1981 Berufung andie Universität Frank-furt, 1987 an die Univer-sität Kaiserslautern und1992 an die UniversitätKarlsruhe. Gastaufent-halte in Straßburg,Holmdel (USA) undCambridge (USA).

Anschrift:

Prof. Dr. C. Klingshirn, Institut für AngewandtePhysik der Universität Karlsruhe, Wolfgang-Gaede-Straße 1, 76128 Karlsruhe.