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Politische Theorien der Gegenwart I: Eine Einführung Bearbeitet von André Brodocz, Gary S Schaal erweitert, überarbeitet 2009. Taschenbuch. 550 S. Paperback ISBN 978 3 8252 2218 5 Format (B x L): 12 x 18,5 cm Weitere Fachgebiete > Philosophie, Wissenschaftstheorie, Informationswissenschaft > Wissenschaftstheorie > Sozialphilosophie, Politische Philosophie Zu Inhaltsverzeichnis schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte.

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Politische Theorien der Gegenwart I:

Eine Einführung

Bearbeitet vonAndré Brodocz, Gary S Schaal

erweitert, überarbeitet 2009. Taschenbuch. 550 S. PaperbackISBN 978 3 8252 2218 5

Format (B x L): 12 x 18,5 cm

Weitere Fachgebiete > Philosophie, Wissenschaftstheorie, Informationswissenschaft >Wissenschaftstheorie > Sozialphilosophie, Politische Philosophie

Zu Inhaltsverzeichnis

schnell und portofrei erhältlich bei

Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft.Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programmdurch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr

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Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage

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UTB 2218

UTB (S) Impressum10-05 QXD 26.01.2011 8:53 Uhr Seite 1

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André Brodocz Gary S. Schaal (Hrsg.) Politische Theorien der Gegenwart I Eine Einführung 2., erweiterte und aktualisierte Auflage Verlag Barbara Budrich Opladen & Farmington Hills 2006

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Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier. Die Deutsche Nationalbibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für die Publikation ist bei Der Deutschen Nationalbibliothek erhältlich. Alle Rechte vorbehalten. © 2006 Verlag Barbara Budrich, Opladen & Farmington Hills Verlags-ISBN 3-86649-984-1 www.budrich-verlag.de UTB-ISBN 10 3-8252-2218-7 UTB-ISBN 13 978-3-8252-2218-5 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeiche-rung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Satz: Beate Glaubitz Redaktion und Satz, Leverkusen Umschlaggestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Druck: Ebner & Spiegel GmbH, Ulm Printed in Germany

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Inhalt Band I

Vorwort zur zweiten UTB-Auflage.......................................... 9

Einleitung ................................................................................. 11

Kapitel IDie politische Theorie der Frankfurter Schule:Franz L. Neumann (Bernd Ladwig) ......................................... 29

Kapitel IIDie politische Theorie des Libertarianismus: Robert Nozickund Friedrich A. von Hayek (Peter Niesen) ............................ 69

Kapitel IIIDie politische Theorie der Politökonomie:James M. Buchanan (Joachim Behnke) ................................... 111

Kapitel IVDie politische Theorie des Pragmatismus:John Dewey (Thomas Noetzel)................................................. 149

Kapitel VDie politische Theorie des freiheitlichen Republikanismus:Hannah Arendt (Thorsten Bonacker) ....................................... 177

Kapitel VIDie politische Theorie des Konservatismus:Michael Oakeshott (Michael Becker)....................................... 215

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Inhalt Band I6

Kapitel VIIDie politische Theorie der liberal-prozeduralistischenDemokratie: Robert A. Dahl (Gary S. Schaal)........................ 247

Kapitel VIIIDie politische Theorie des Dezisionismus:Carl Schmitt (André Brodocz).................................................. 277

Kapitel IXDie politische Theorie der Integration:Rudolf Smend (Marcus Llanque)............................................. 313

Kapitel XDie politische Theorie der Systemanalyse:David Easton (Dieter Fuchs) .................................................. 341

Kapitel XIDie politische Theorie der Rationalisierung:Max Weber (Rainer Schmidt) .................................................. 367

Kapitel XIIDie politische Theorie konkurrierender Eliten:Joseph Schumpeter (William E. Scheuerman).......................... 397

Kapitel XIIIDie politische Theorie des Neo-Marxismus:Antonio Gramsci (Hans-Jürgen Bieling) ................................. 435

Kapitel XIVDie politische Theorie der Gouvernementalität:Michel Foucault (Thomas Lemke) ............................................ 467

Zwischenbetrachtung: Entwicklungspfade der PolitischenTheorie nach 1945 (Gary S. Schaal) ....................................... 499

Register ................................................................................... 541

Hinweise zu den Autoren ........................................................ 549

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Inhalt Band II

Vorwort zur zweiten UTB-Auflage.......................................... 9

Vorwort zur ersten UTB-Auflage............................................. 10

Einleitung ................................................................................. 13

Kapitel IDie politische Theorie des politischen Liberalismus:John Rawls (Peter Niesen) ....................................................... 27

Kapitel IIDie politische Theorie des Kommunitarismus:Charles Taylor (Hartmut Rosa) ............................................... 65

Kapitel IIIDie politische Theorie der Deliberation:Jürgen Habermas (David Strecker & Gary S. Schaal) ............ 99

Kapitel IVDie politische Theorie des Neoaristotelismus:Martha Craven Nussbaum (Grit Strassenberger) .................... 151

Kapitel VDie politische Theorie der Dekonstruktion:Jacques Derrida (Thorsten Bonacker) ..................................... 193

Kapitel VIDie politische Theorie des zivilgesellschaftlichenRepublikanismus: Claude Lefort und Marcel Gauchet(Oliver Marchart) ................................................................... 225

Kapitel VIIDie politische Theorie der Hegemonie: Ernesto Laclau undChantal Mouffe (Urs Stäheli) .................................................. 257

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Inhalt Band II8

Kapitel VIIIDie politische Theorie des Pragmatismus:Richard Rorty (Thomas Noetzel) ............................................. 289

Kapitel IXDie politische Theorie des Neo-Institutionalismus:James March und Johan Olsen (André Kaiser) ....................... 317

Kapitel XDie politische Theorie der reflexiven Modernisierung:Anthony Giddens (Jörn Lamla) .............................................. 347

Kapitel XIDie politische Theorie des Neo-Marxismus:Bob Jessop (Hans-Jürgen Bieling) ......................................... 383

Kapitel XIIDie politische Theorie symbolischer Macht:Pierre Bourdieu (Daniel Schulz) ................................................ 413

Kapitel XIIIDie politische Theorie des Feminismus:Judith Butler (Claudia Creutzburg) ........................................ 441

Kapitel XIVDie politische Theorie des Rational Choice:Anthony Downs (Joachim Behnke) ......................................... 477

Kapitel XVDie politische Theorie autopoietischer Systeme:Niklas Luhmann (André Brodocz)............................................ 509

Register ................................................................................... 529

Hinweise zu den Autoren ......................................................... 535

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Vorwort zur zweiten UTB-Auflage

Vier Jahre nach Erscheinen der ersten UTB-Auflage der „Poli-tischen Theorien der Gegenwart, I“ sind wir in der angenehmenLage, der rasanten Entwicklung innerhalb der Politischen Theoriemit einer aktualisierten und erweiterten zweiten Auflage Rechnungzu tragen.

Wir sind sehr glücklich darüber, dass die beiden Bände zu denPolitischen Theorien der Gegenwart so positiv aufgenommen wur-den. Mit der Aktualisierung verbinden wir die Hoffnung, dass sieauch weiterhin für den einen umfassende Einführung und den an-deren eine schnell zugängliche Referenz auf dem Stand der For-schung sein mögen.

Nicht nur die zeitgenössische politische Theorie ist unübersicht-lich, sondern auch die deutsche Rechtschreibung. Wir haben es da-her unseren AutorInnen freigestellt, ob sie gemäß den alten oderden neuen Regeln schreiben wollen.

Unser aufrichtiger Dank gilt allen Autorinnen und Autoren, diesich wieder einmal der Mühe unterzogen haben, zu Ihren Textenzurückzukehren und sie auf den aktuellen Stand der Forschung zubringen.

Dank auch an Barbara Budrich, die uns für diese beiden Bändeeine neue Verlagsheimat geschenkt hat.

Dresden, im August 2006André Brodocz & Gary S. Schaal

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Einleitung

André Brodocz & Gary S. Schaal

1. Politische Theorie zwischen normativerBegründbarkeit und empirischer Verfasstheit

Die zeitgenössische politische Theorie ist unübersichtlich. EinBlick in die Literatur offenbart eine Vielzahl verschiedener Theo-rieangebote, die sich in rasanter Geschwindigkeit auseinander be-wegen. Die beiden Bände Politische Theorien der Gegenwart I undII wollen diese Unübersichtlichkeit innerhalb der Theorieentwick-lung reduzieren und einen Überblick über die politischen Theoriender Gegenwart liefern. Hierzu muss am Anfang eine Antwort aufeine scheinbar triviale Frage gefunden werden: Was ist politischeTheorie? Existieren angesichts der Pluralität politischer Theorienplausible Auswahlkriterien, um die relevanten Theorieangeboteidentifizieren zu können? Worin besteht – trotz der internen Diver-genzen und Pluralisierungstendenzen – das Konstituierende für dasLabel politisch?

Orientiert man sich zunächst an der Titulierung, dann lassensich darunter jene Ansätze verstehen, die eine Theorie zum Gegen-standsbereich ,Politik‘ formulieren. Dies ist jedoch so allgemein,um nicht zu sagen tautologisch, gefasst, dass es kaum mehr als ei-nen – sicherlich konsensuellen – Ausgangspunkt bezeichnet. Wel-chen Gegenstand der Begriff ,Politik‘ überhaupt zu fassen bean-sprucht, was Politik von anderen sozialen Gegenständen wie z.B.Wirtschaft, Wissenschaft oder Religion unterscheidet, ist bereitshöchst umstritten (vgl. Lutz 1992: 17ff.). Kann Politik überhauptals solch ein eigenständiger Gegenstand verstanden werden, oderist Politik (bzw. das Politische) nicht vielmehr eine bestimmte Ei-genschaft, Qualität oder spezifische Verbindung der genannten so-zialen Gegenstände (Heller 1991)? Das Gemeinsame politischer

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Theorien könnte aber auch in der Methodik zu finden sein, die die,Politik‘ erschließt, selbst wenn deren genaues Verständnis um-stritten ist. Doch auch hier lässt sich kein expliziter Konsens finden(vgl. Held 1991a: 13; Hartmann 1997: 30). Das Gemeinsame allerAnsätze, die gegenwärtig als politische Theorien firmieren, istdemnach weder ein identisch anzugebender Gegenstand noch eineidentische Methode. Lässt sich angesichts dieses eher resignativstimmenden Überblicks das Gemeinsame in der zeitgenössischenpolitische Theorie noch formulieren? Oder ist es mittlerweile, wieJürgen Hartmann (1997: 237) zu bedenken gibt, nicht sinnvoller,wenn man nicht mehr von politischer Theorie, sondern nur nochvon „politikwissenschaftlichen Theorien“ spricht? Zu notieren istzunächst, dass ein substantieller oder methodisch-prozeduralerKonsens nur mit Mühe festgestellt werden kann. Da aus der Per-spektive des Theoretikers und seiner Rezipienten jedoch offen-sichtlich eine Vielzahl von Motivationen existieren, die eine Theo-rie als „politische“ zu charakterisieren, besteht eine Auflösung desDilemmas darin, aus der Beobachterperspektive jene Theorien als„politische“ zu verstehen, die als solche bezeichnet und diskutiertwerden. Eine solche Konstruktion enthebt den Beobachter derNotwendigkeit, intersubjektiv geteilte Kriterien hinsichtlich desGegenstandsbereiches oder der Methode politischer Theorien spe-zifizieren zu müssen. Anhand einer Inhaltsanalyse deutschsprachi-ger Fachzeitschriften zeigen Jürgen W. Falter und Gerhard Göhler(1986; vgl. daran anschließend auch Steiert 1994), dass die politi-sche Theorie in drei Bereiche differenziert wird: Metatheorien, sy-stematische bzw. eher empirische Theorien sowie die stärker nor-mative Akzente setzende politische Philosophie und Ideenge-schichte. Sieht man von der rein selbstreflexiven Kategorie derMetatheorie ab (siehe hierzu Noetzel/Brodocz 1996), wird an Faltersund Göhlers Dreiteilung deutlich, dass sich die politischen Theoriender Gegenwart durch eine empirische und eine normative Dimensionauszeichnen lassen: Die zeitgenössischen politischen Theorien wer-den darum auch oft primär nach normativen und empirischen Theo-rien kategorisiert (vgl. z.B. Müller 1994; Lutz 1992: 143ff.).

Dabei gelten die normativen Theorien als diejenigen, die Ant-worten auf die Frage nach der Begründbarkeit von Politik geben.Von empirischen Theorien ist demgegenüber die Rede, wenn dieFrage nach der empirischen Verfasstheit von Politik beantwortet

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werden soll. Diese Kategorisierung ist allerdings nicht unproble-matisch, legt sie doch den Eindruck nahe, dass normative politi-sche Theorien nicht empirisch und empirische politische Theoriennicht normativ sind. Dabei drängt sich schon an der Unterschei-dung von normativ und empirisch die Frage auf, ob diese selbst ei-ne empirische Unterscheidung oder eine normative Unterscheidungist. Zwischen der Frage nach der Begründbarkeit und der Fragenach der empirischen Verfasstheit von Politik sehen wir dagegeneine konstitutive Spannung, die zunächst zugunsten der einen oderder anderen Seite aufgelöst werden muss – ansonsten kommt einepolitische Theorie nicht auf den Weg, sie verharrt in der Unent-schiedenheit. Die politischen Theorien der Gegenwart sehen wirdarum vor allem dadurch ausgezeichnet, dass sie die Spannungzwischen der Begründbarkeit und der empirischen Verfasstheit vonPolitik theorieintern reflexiv werden lassen, nachdem sie sich aufeine Perspektive als Ausgangspunkt festgelegt haben.1 Das heißt:Politische Theorien, die mit der Frage nach der Begründbarkeitbeginnen, wenden sich anschließend der Spannung zwischen denMöglichkeiten dieser Begründung und der empirischen Verfasst-heit von Politik zu. Bestehende politische Institutionen, Ordnungenoder Prozeduren werden hier entweder vor dem Hintergrund theore-tisch explizierter Standards evaluiert oder auf Basis dieser Standardsneu entworfen (institutional design). Politische Theorien, die mit derFrage nach der empirischen Verfasstheit von Politik beginnen, neh-men sich dementsprechend im Anschluss daran der Spannung zwi-schen dieser Verfasstheit und der Möglichkeit ihrer Begründung an:Die Art und Weise, wie Politik begründet wird und werden kann, istin dieser Herangehensweise immer nur ein Ausdruck der Möglich-keiten, die das konkrete empirische Institutionengefüge und die Ge-sellschaftsstruktur zulassen. Die Angemessenheit dieser Begründun-gen muss empirische Problemlagen der Politik, sozio-moralischeDispositionen der Bürger u.ä. berücksichtigen.

1 In eine ähnliche Richtung geht Andrew Vincents (1997a: 5, Hervorhebung im

Original) Unterscheidung von „inclusive and exclusive readings of the theory-practice link. The latter brings pristine theory to politics, the former finds orretrieves theory from political practice.“

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2. Der Aufbau des Bandes

Der Gegenwart, auf die diese beiden Bände zur politischen TheorieBezug nehmen, kommt eine doppelte Bedeutung zu. Zum einendient sie als eine quantitative Kategorie der Chronologie, mit derder Zeithorizont abgesteckt wird, über den hier informiert werdensoll. In diesem Sinn behandelt der zweite Band die Gegenwart alsChiffre für den Zeitraum der letzten 30 Jahre. Er stellt darum jenepolitische Theorien vor, die die heutigen Diskussionen maßgeblichbestimmen.2 Der Gegenwart kommt jedoch zum anderen immerauch eine qualitative Bedeutung zu, insofern sie sich von der Ver-gangenheit abhebt. Um diesen Aspekt der Gegenwärtigkeit nichtaus dem Blick zu verlieren, um also die Gegenwärtigkeit der poli-tischen Theorien der Gegenwart verstehen zu können, müssenschließlich auch jene politische Theorien einbezogen werden, andie die heutigen Theorien unmittelbar anschließen. Sie sind Gegen-stand des vorliegenden, ersten Bandes von „Politische Theoriender Gegenwart“.

Diese politischen Theorien aus der unmittelbaren Vergangen-heit dessen, was als gegenwärtig gilt, wirken jedoch nicht determi-nierend. Vielmehr funktionieren sie eher als Weichensteller, indemsie etwa bestimmte Probleme auf das Abstellgleis stellen – sei es,dass sie sie lösen oder aber als unbedeutend ignorieren. Weichen-stellend sind sie nicht zuletzt aber auch dann, wenn sie Fragenaufwerfen, ohne bereits eine befriedigende Antwort vorlegen zukönnen. Die Gegenwärtigkeit einer politischen Theorie zeigt sichheute darum immer erst vor diesen Horizont der unmittelbarenVergangenheit. Nur so wird deutlich, ob eine politische Theoriebereits vorhandene Theorien argumentativ stärkt und für die Ge-genwart anschlussfähig macht oder ob diese Theorien von ihr ar-gumentativ verworfen und für die Gegenwart als überholt bei Seitegeschoben werden. Carl Schmitts Dezisionismus bietet ein Beispieldafür, gegen welche Antworten nahezu die gesamte politischeTheorie der Gegenwart anschreibt, während genau umgekehrt Ele-mente aus Max Webers politiktheoretischen Überlegungen aufganz unterschiedliche Art und Weise immer wieder neu variiertwerden. Ebenso wird vor dem Horizont der Vergangenheit erst 2 Siehe hierzu auch die Einleitung zu Politische Theorien der Gegenwart II.

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deutlich, ob eine politische Theorie nicht sogar gänzlich jenenBahnen bricht, die die Vergangenheit ihr bieten, wenn sie geradenicht bloß die vorhandenen Antworten bestätigt oder verwirft, son-dern sogar die Fragen selbst durch neue Fragen in Frage stellt.John Rawls’ Relevanz für die politische Theorie der Gegenwartetwa kann nur als ein solcher neuer Akzent nachvollzogen werden.Nicht zuletzt deshalb bildet seine politische Theorie des politi-schen Liberalismus auch den Auftakt zum zweiten Band und dientuns als zeitlicher Index für die Gegenwart.

Der erste Band versammelt aber nicht nur politische Theorien,gegen die angegangen oder mit denen gegangen wird. Die Ge-schichte der politischen Theorie zeigt zudem, dass gerade die poli-tischen Theorien, die in ihrer Gegenwart kaum beachtet und infol-gedessen schon vergessen schien, dann relevant werden, wenn ihreGegenwart zu einer Vergangenheit geworden ist, die es nun zuüberwinden gilt. Hannah Arendts politische Theorie ist vielleichtdas gegenwärtig beste Beispiel für solche aufgeschobenen, abernicht aufgehobenen Rezeptionen. Während zu Arendts Zeiten ihrepolitische Theorie des freiheitlichen Republikanismus fast nur auftaube Ohren gestoßen ist, so ist sie in den letzten zehn Jahren zueiner der am lebendigsten diskutierten Theorien geworden. Um auchsolche, scheinbar gegenwärtig (noch) brach liegende Anschlüssenicht zu vernachlässigen, präsentieren wir in diesem Band auch po-litische Theorien wie jene von Michael Oakeshott, um die es einer-seits ,verdächtig‘ ruhig geblieben ist, da sie in ihrer Zeit offensicht-lich zu sperrig für eine breite Rezeption gewesen sind; die aber an-dererseits gegenwärtig erste neue Aufmerksamkeit erfahren, geradeweil sie jenseits der bisher gegangenen Wege entlang führen.

Dass die Gegenwart als zeitlicher Index und als Abgrenzungs-markierung von vergangenen Wegen nicht immer zusammenfallenmüssen, dokumentieren vor allem zwei andere Theoretiker. Ob-wohl etwa Anthony Downs’ Grundlegung der Rational ChoiceTheorie bereits in den 50er Jahren erschienen ist und damit eigent-lich hinter unseren Zeithorizont von Gegenwart zurückfällt, so bil-den seine Annahmen doch auch heute immer noch den Kern dieserForm von politischer Theorie (darum ist Downs’ Theorie auch inBand II zu finden). Michel Foucaults Schriften aus den 70er Jahrenfallen dagegen zwar qua Datum unter das, was wir als den Zeit-raum der Gegenwart behandeln, allerdings sind sie bereits heute

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durch ganz unterschiedliche Rezeptionen von verschiedenen aktu-ellen politischen Theorien – wie zum Beispiel jenen von ErnestoLaclau und Chantal Mouffe oder Judith Butler – zu jener weichen-stellenden Vergangenheit geworden, die in diesem Band vorgestelltwerden soll.

Das vorliegende Buch versteht sich als Lehrtext für Studierendeund als Überblicksband für Kolleginnen und Kollegen im Bereichder politischen Theorie. Damit er als Lehrtext fungieren kann, exi-stieren zwei Strukturierungsprinzipien: Einerseits folgen die einzel-nen Beiträge – mit kleinen Abweichungen – einem identischenStrukturprinzip, das direkt im Anschluss dargestellt wird. Anderer-seits ist die Abfolge der Beiträge durch eine These, die abschlie-ßend präsentiert werden soll, motiviert. Eine angemessene Dar-stellung der einzelnen Theorien muss dabei immer zwei Aufgabenbewältigen: Zum einen muss sie größere Theoriestränge bündeln,zum anderen muss sie aber trotzdem hinreichend sensibel mit dentheorieinternen Unterschieden umgehen. Nicht in Frage kommtdeshalb eine Darstellung, die sich ausschließlich einzelnen Autorenwidmet, da sie zu schnell den intellektuellen Kontext eines Autors –der häufig ein Verstehen einer Theorie erleichtert, wenn nicht erstermöglicht – aus den Augen verliert. Gleichfalls problematisch er-scheint aber auch das Formulieren von Modellen – wie es prominentDavid Held in „Models of Democracy“ (Held 1987) durchgeführt hat–, da so zu unsensibel mit internen Theorieentwicklungen umgegan-gen würde. Wir haben uns deshalb für eine Synthese entschieden.Sie besteht in einer spezifischen Präsentation der Theoriestränge,die einzelne Autoren in ihren intellektuellen Kontext einbettet.

Die Elitentheorie umfasst beispielsweise eine Reihe von Autoren– Pareto, Mosca, Schumpeter u.a. –, die von der Jahrhundertwendebis in die 40er Jahre eine Skepsis hinsichtlich der Demokratiefähig-keit der Bürger zu einem theoretischen Paradigma machten. Alsbedeutendster Theoretiker der Elitentheorie gilt zweifellos JosephSchumpeter, weshalb er pars pro toto als sogenannter Referenzheo-retiker für die Elitentheorie vorgestellt wird. Im Anschluss an dieDarstellung des Referenztheoretikers und der gegen ihn vorge-brachten Kritik erfolgt zudem noch eine Skizze alternativer Auto-ren aus demselben theoretischen Paradigma. Damit nehmen die The-orievarianten – im gewählten Beispiel also Pareto und Mosca – einenzwar geringeren, jedoch nicht vernachlässigten Platz in der Prä-

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Einleitung 1717

sentation ein. Notwendig für diesen Aufbau ist deshalb die Identi-fizierung von theoretischen Paradigmen und Referenztheoretikern.Dies ist zwar nicht immer so einfach wie im Beispiel der Eliten-theorie, doch kann für alle vorgesehenen Theoriestränge diesesVerfahren sinnvoll durchgeführt werden.

Um die Vergleichbarkeit der einzelnen Theorien trotz ihrer in-haltlichen Unterschiedlichkeit zu ermöglichen, wird jede Theoriezwar in einem eigenen, jedoch immer strukturidentischen Kapiteldargestellt. Die gemeinsame Struktur aller Kapitel sieht fünf Ab-schnitte vor. Der erste Abschnitt dient als Einleitung in die para-digmatische Theorie und ihren Referenztheoretiker. In wenigenZeilen werden hier die biographischen Notizen zum Referenztheo-retiker sowie sein historisch-politischer Kontext skizziert. Darüberhinaus gibt es erste Hinweise auf die theoretische Herkunft der Re-ferenzautors und auf seine Standardwerke. Der zweite Abschnittübernimmt die Rekonstruktion der Theorie anhand des Referenztheo-retikers. Um die Konsistenz der Beiträge über die Referenzautorenzu wahren, werden – unabhängig von den sonstigen theoretischenSpezifika – eine Reihe von Fragen abgearbeitet, die unseres Erach-tens aus einer politiktheoretischen Perspektive von besonderer Be-deutung sind. Diese Fragen lassen sich in drei Gruppen zusammen-fassen. Zunächst gilt es, die elementaren Konzepte des Ansatzes zuklären: Welches sind die theoretischen Grundbegriffe? Auf welchezentrale Frage reagiert der Ansatz? Zum Beispiel: Welcher Begriffdes Politischen liegt vor? Welche Form politischer Macht wirdvorgeschlagen? Gibt es eine spezifische Vorstellung von Gerech-tigkeit? Eine zweite Gruppe von Fragen wendet sich an die empiri-sche Verfasstheit der Politik, die der referierte Ansatz diagnosti-ziert: In welcher Verfassung sieht der Referenztheoretiker seinenGegenstand? Zum Beispiel: Wird die Politik durch die ökonomi-schen oder andere soziale Verhältnisse determiniert? Bringt diemoderne Gesellschaft einen ausreichenden Wertekonsens hervor?Ist die Demokratie den gesellschaftlichen Herausforderungen derZeit gewachsen? Die dritte Gruppe von Fragen kreist um normati-ve Leistungskriterien: Wie wird Politik im Allgemeinen und De-mokratie im besonderen definiert und begründet? Zum Beispiel:Welches sind ihre normativen Bewertungsstandards: Gerechtigkeit,Stabilität oder anderes? Welche institutionellen Arrangements sindvorgesehen, diese Standards zu unterstützen? Oder handelt es da-

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bei um Fragen der Rationalität und Tugend seitens der Bürger?Der dritte Abschnitt dient der Kritik an dem jeweiligen Referen-zautor, wobei zwei unterschiedlichen Formen der Kritik unter-schieden werden. Um auch hier das intellektuelle Umfeld des Refe-renztheoretikers zu erschließen, findet einerseits die Kritik seinerZeitgenossen Berücksichtigung. Weil sich im Zuge ihrer Rezepti-onsgeschichte zentrale Kritikpunkte jedoch häufig verändern oderzumindest in ihrer internen Gewichtung verschieben, wird anderer-seits noch die heute diskutierte, also die gegenwärtige Kritik ange-sprochen. Der vierte Abschnitt präsentiert schließlich das Tableaufür alternative Theorieentwicklungen innerhalb des Paradigmas.Auch hier ist wieder eine Differenzierung in zeitgenössische, dasintellektuelle Umfeld des Referenztheoretikers ausmachende undgegenwärtige Theoriealternativen vorgesehen. Jedes Kapitel schließtmit einer kommentierten Literaturliste, die weniger den Anspruch derVollständigkeit, als vielmehr jenen der informierten Anleitung fürintensiveres Nachlesen erhebt.

Die Anordnung der einzelnen Beiträge in diesem Band bedientsich der eingangs vorgeführten Spannung zwischen der Frage nachder empirischen Verfasstheit und der Frage nach der Begründbar-keit von Politik. Im ersten Teil werden zunächst jene Theorienvorgestellt, an deren Beginn die Frage nach der Begründbarkeitvon Politik steht. In diesem Sinne analysiert die politische Theorieder Frankfurter Schule von Franz Neumann (Kapitel I, verfasstvon Bernd Ladwig) – auf Basis des von Max Horkheimer Ende der30er Jahre entworfenen Programms des interdisziplinären Materia-lismus – Funktion, Stellung und normative Begründung des Rechts.Diese Studien sind doppelt fundiert: Einerseits sind sie begrün-dungslogisch normativer Natur, andererseits übernimmt Neumannvon der kritischen Theorie die Rückbindung der normativen An-sprüche an historische Realanalysen. Anders als bei orthodoxenMarxisten steht für Neumann – vor allem in seinem Spätwerk – dieFreiheit als Bedingung für Emanzipation und als Voraussetzung fürdie vollständige Entfaltung aller menschlichen Möglichkeiten imMittelpunkt. Die Freiheit steht wiederum in einem engen internenVerhältnis zum Recht, da die Rationalität des Rechts ein Mindest-maß an Freiheit und Gleichheit garantiert. Neumann hat aber nichtnur, wie viele ältere und neuere Liberale, den Rationalitätsaspektim Recht betont. Er hat zugleich auf die Grenzen dieses Gesichts-

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punktes hingewiesen. Immer wieder betont Neumann, dass dievöllige Auflösung von Politik in Recht ein falscher Traum ist; im-mer wieder weist er darauf hin, dass Ermessen und Entscheidungkonstitutive Merkmale jeder, auch der vernünftigsten Politik sind.Wegweisend ist die politische Theorie der Frankfurter Schule inetlichen Hinsichten. So ebnete sie mit ihrer Betonung der Rechts-förmigkeit von Demokratie den Weg für rechtstheoretische und -soziologische Studien der Demokratie (zu denken ist hier u.a. anFaktizität und Geltung von Jürgen Habermas). Darüber hinaus sinddort die – wenn auch noch rudimentären – Anlagen einer Kriti-schen Theorie der Institutionen zu finden, die später im deutschenSprachraum von Claus Offe und Rainer Schmalz-Bruns detaillier-ter ausgeführt worden sind.

Für die politische Theorie des Libertarianismus von RobertNozick und Friedrich Hayek (Kapitel II, verfasst von Peter Niesen)steht die Frage im Zentrum, wie Staatlichkeit – noch zumal in dernachhaltig intervenierenden Form der sozialstaatlichen Demokratie– überhaupt begründet werden kann, wenn davon ausgegangenwird, dass jede Person ein ursprüngliches Recht auf Eigentum ander eigenen Person und daraus resultierend an den Früchten der ei-genen Arbeit besitzt. Nozick argumentiert, dass nur jener Staat ge-recht ist, der spezifischen Anforderungen gerecht wird: Er garan-tiert die persönlichen Freiheiten (insbesondere den Schutz des Ei-gentums), er verteidigt den Marktwettbewerb und schränkt seinepolitische Autonomie auf spezifische Bereiche und Tätigkeiten ein,so dass die Freiheit der Marktwirtschaft nicht behindert wird. DiePointe des Ansatzes von Nozick besteht darin, dass eine gerechteEigentumsverteilung auf historisch erworbene Anrechte (entitle-ments) und nicht auf abstrakte normative Ideale von Gerechtigkeitzurückzuführen ist. Daraus folgt, dass ein Zustand krasser Ungleich-verteilung von Eigentum zu einem gegebenen Zeitpunkt dann nichtungerecht ist, wenn er Resultat fairer Transaktionen auf Basis vonerworbenen Anrechten ist. Ähnlich argumentiert Hayek, dass dasKonzept der (sozialen) Gerechtigkeit bereits auf der semantischenEbene viel zu diffus ist, als dass es als normative Fundierung spezifi-scher Politiken dienen könnte. Aufgrund des inhärent interventioni-stischen Moments von Demokratien, d.h. den Einschränkungen derprivaten Autonomie, die aus der Ausweitung der öffentlichen Au-tonomie resultieren, sind Libertarianisten keine glühenden Ver-

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fechter der Demokratie. Nozick plädiert daher auch für eine De-moktesis, d.h. für einen Volksbesitz an den Rechten aller, währendHayek für ein Zwei-Kammern-System plädiert, dessen eine Kam-mer sich am Volkswillen und die andere sich an der Volksmeinungorientieren soll. Die theoretische Relevanz dieses Ansatzes bestehtdarin, dass er den hegemonialen Liberalismus gleichsam von derliberalen Seite her normativ herausfordert. Die praktische Relevanzdes Libertarianismus besteht in seinem intellektuellen Einfluss aufdie Regierungsprogramme von M. Thatcher und R. Reagan Ende der70er bis Ende der 80er Jahre.

Innerhalb der politischen Theorie der Politökonomie von JamesBuchanan (Kapitel III, verfasst von Joachim Behnke) kann einepolitische Ordnung kontraktualistisch begründet werden. Andersals Kontraktualisten wie z.B. Robert Nozick, ergibt sich der Ver-trag für Buchanan jedoch nicht aus naturrechtlichen Überlegungen,sondern resultiert – vermittelt über einige Zwischenschritte – ausder theoretisch überaus sparsamen Ausgangsbasis des methodolo-gischen Individualismus. Das vertragstheoretische Argument er-bringt bei Buchanan die Leistung, Evaluationsmaßstäbe für die Le-gitimität politischer Regeln und Prozesse – nicht aber: politischerZustände oder Ergebnisse von politischen Prozessen – zu entwik-keln. Aus dieser Überlegung folgt direkt, dass der Staat nicht dieAufgabe hat, spezifische Zustände zu erreichen oder Verteilungenzu optimieren, sondern nur für eine reibungslose Koordination derHandlungen der Bürger zu sorgen hat. Innerhalb der Spieltheorieist bekannt, dass öffentliche Güter von zweckrationalen Akteurensuboptimal hergestellt werden. Daher besitzt der Staat bei Bucha-nan als Leistungsstaat darüber hinaus die Aufgabe, kollektive Gü-ter zu produzieren, wenn die Bürger dies freiwillig und einstimmigbefürworten. Da in real existierenden Demokratien in der Regeldas Mehrheitsprinzip gilt, konfligiert die Entscheidungsregel mitbasalen vertragstheoretischen Argumenten. Besondere Aufmerk-samkeit schenkt die politische Theorie der Politökonomie daherder potentiellen Ausbeutung einer Minderheit durch die demokrati-sche Mehrheit. Dies zu verhindern führt Buchanan das „gererality-principle“ ein, welches gewährleisten soll, dass die positiven Ef-fekte einstimmiger Entscheidungen sich auch in mehrheitsdemo-kratisch gefassten wieder finden lassen. Weichenstellend ist diepolitische Theorie der Politökonomie einerseits durch ihren Ver-

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such, vertragstheoretische Überlegungen nicht naturrechtlich zubegründen und andererseits durch die Vorstellung einer kontrak-tualistischen Dynamik, die sich nicht in einem einmaligen Ver-tragsschluss erschöpft, sondern den Vertrag immer wieder neu aus-handelt.

Aufgrund der als unmöglich angenommenen Korrespondenzvon Wissen und Welt verneint John Deweys politische Theorie desPragmatismus (Kapitel IV, verfasst von Thomas Noetzel) die Fra-ge nach der prinzipiellen Begründbarkeit von Politik. Wissenspeist sich statt dessen aus Erfahrung. Erfahrungen werden ihrer-seits dadurch generiert, dass Erwartungen durch Handeln immerwieder neu überprüft und im Enttäuschungsfall revidiert werden.Sozial und politisch ist dieser Wissensbegriff insofern relevant, alsmit ihm das Entstehen von Öffentlichkeit als ein Erfahrungsaus-tausch erklärt werden kann, der notwendig wird, wenn die unmittel-bar Betroffenen allein nicht mehr problemlösungsfähig sind. Staat,Demokratie, Politik sind danach nichts anderes als historische Er-gebnisse solcher Öffentlichkeiten. Aufgrund ihrer Offenheit für einenbreiten Austausch von unterschiedlichen Erfahrungen erhält die deli-berative Demokratie in Deweys politischer Theorie einen herausge-hobenen Stellenwert. Ihre eigene politische Relevanz sieht dieseTheorie schließlich nicht nur in der wissenschaftlichen Systematisie-rung von Erfahrungen, sondern schon in ihrem eigenen Beitrag zurKonstitution des öffentlichen Erfahrungsaustausch. Den gegenwär-tigen politischen Theorien beweist Deweys Pragmatismus, dass dieUnbegründbarkeit von Politik nicht auf antidemokratische Pfadeführen muss, sondern sogar den Weg zu einer radikaldemokrati-schen, Öffentlichkeit und Deliberation stark machenden politischenTheorie weisen kann.

Für die politische Theorie des freiheitlichen Republikanismusvon Hannah Arendt (Kapitel V, verfasst von Thorsten Bonacker)gründet sich die Autonomie des Politischen darauf, dass das Politi-sche auf keinen Grund zurückzuführen ist. Was wir wollen, hängtdanach weder von unserer Natur noch von einer historische Ge-setzmäßigkeit ab. Das, was wir wollen, können wir jedoch nur ge-meinsam erreichen, so dass öffentliche Räume zur gemeinsamenBeratung schließlich institutionalisiert werden. Normativ auszei-chenbar werden dann jene politische Ordnungen, die eine breiteTeilhabe an diesen Beratungen gewährleisten. Ihre Unbegründbar-

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keit macht Politik danach nicht nur erst möglich, sondern auch nö-tig. Die empirische Verfasstheit von Politik ist somit nicht von ih-rer Begründung zu trennen. Hieraus folgt dann auch die politischeRelevanz dieser Theorie, wenn sie vor vermeintlich letzten Be-gründungen als Wegbereiter des Totalitarismus warnt. Den politi-schen Theorien der Gegenwart bereitet dieser freiheitliche Repu-blikanismus deshalb einen Weg, wie eine spezifisch politische Au-tonomie gerade aus dem Verlust letzter Gründe gewonnen werdenkann.

Aufgrund der Bedingtheit menschlichen Handelns sieht Micha-el Oakeshotts politische Theorie des Konservatismus (Kapitel VI,verfasst von Michael Becker) keine Möglichkeiten für eine unbe-dingte Begründung von Politik. Entscheidend für eine politischeOrdnung sind vielmehr immer die historisch gewachsenen rechtli-chen Regeln, welche in Rechtsprechung und Gesetzgebung zu be-wahren sind. Allerdings kommt diesen Regeln ihre herausgehobeneStellung nicht deshalb zu, weil sie für die unterschiedlichen Hand-lungen der einzelnen Bürger koordinierend wirken, sondern weil esdie Rechte sind, die die Bürger als ihre Rechte, als die Rechte ihrerbürgerlichen Vereinigung anerkannt haben. Am Verhältnis derBürger zu ihrem Recht gibt danach die empirische Verfasstheit vonPolitik immer auch schon Auskunft über ihre so immer schon nurbedingte Begründbarkeit. Nicht zuletzt gewinnt diese politischeTheorie darum auch ihre politische Relevanz aus der Kritik an jenenpolitischen Ansprüchen und Forderungen, die für sich Unbedingtheitproklamieren. Gegenwärtigen politischen Theorien liefert Oakes-hotts Konservatismus vor allem Anknüpfungspunkte dafür, dassdas Recht nicht bloß koordinierende, sondern auch integrativeFunktionen übernimmt, weshalb der prinzipiellen Positivität desRechts immer auch seine historische Bedingtheit gegenübersteht.

Die politische Theorie der liberal-prozeduralistischen Demokra-tietheorie von Robert A. Dahl (Kapitel VII, verfasst von Gary S.Schaal) kritisiert an der zeitgenössischen Demokratietheorie, dass siezu häufig normative Ideale von Demokratie mit ihren empirischenErscheinungsformen konfundiert. Daher unternimmt sie den Ver-such, eine Theorie des demokratischen Prozesses zu entwerfen, diesowohl den normativen Gehalten von Demokratie als auch ihrer em-pirischen Praxis gerecht wird. Dies gelingt ihr, da sie eine strikte ka-tegoriale Trennung zwischen Demokratie, mit der ausschließlich die

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normativen Dimension angesprochen wird, und Polyarchie, die dieim Vergleich zu den normativen Idealen immer defizitären realenManifestierungen der Idee von Demokratie beschreibt, vornimmt.Dabei geht sie davon aus, dass Demokratie sowohl normativ als auchempirisch begründbar ist. Empirisch, da Polyarchien sich als das –grosso modo – beste politische System herausgestellt haben. Norma-tiv kann Demokratie mit der Idee intrinsischer Gleichheit begründetwerden. Auf ihrer Grundlage spezifiziert Dahl fünf Kriterien des de-mokratischen Prozesses. Je stärker der demokratische Gehalt dieserfünf Kriterien real ausgeschöpft wird, desto demokratischer ist dieentsprechende Polyarchie. Die Kriterien fungieren also als Evaluati-onskriterien für die Demokratiehaftigkeit und zur Einordnung realerPolyarchien in ein Raster von vier polyarchischen Entwicklungsstu-fen. Die politische Theorie der liberal-prozeduralistischen Demokra-tietheorie ist aus zumindest drei Gründen weichenstellend für diezeitgenössische politische Theorie. Erstens verdeutlicht sie for-schungskonzeptionell, wie eine sinnvolle Verbindung von normativerund empirisch-analytischer Theorie aussehen kann. Zweitens liefertsie noch heute den weithin geteilten Minimalkonsens liberaler De-mokratietheorie. Schließlich strukturiert sie die empirische Demo-kratieforschung, da sie dieser „handhabbare“ demokratische Evalua-tionskriterien zur Verfügung stellt.

Dahls politische Theorie markiert quasi die Schnittstelle zwi-schen den beiden Teilen dieses Bands, wenn sie die Spannung zwi-schen der Frage nach der empirischen Verfasstheit und der Fragenach der Begründbarkeit von Politik einmal von der einen Seiteund das andere mal von der anderen Seiten aufzulösen versucht.Demgegenüber steht bei jenen Theorien, die im zweiten Teil vor-gestellt werden, allein die Frage nach der empirischen Verfasstheitvon Politik am Anfang der Theoriebildung. In Carl Schmitts politi-sche Theorie des Dezisionismus (Kapitel VIII, verfasst von AndréBrodocz) steht die Frage nach der empirischen Verfasstheit von Po-litik vor der Frage nach ihrer Begründbarkeit, weil das Politischedank seiner spezifischen Unterscheidung von Freund und Feind alseine selbständige Art zu denken und zu handeln in modernen Gesell-schaften immer schon unabhängig von außerpolitischen Maßstäbenwie Recht oder Moral ist. Folglich verweist die Frage nach der Be-gründbarkeit unter diesen Bedingungen das Politische allein aufsich selbst. So erscheinen dann auch nur jene Formen von Politik

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begründbar, die in ihren Entscheidungen den politischen Willender jeweils betroffenen Einheit – und nicht etwa die Summe allerbetroffenen individuellen Willen – zu repräsentieren vermögen, fürdie sie entscheiden. Trotz der Selbständigkeit des Politischen ver-lieren politische Theorien – so auch die des Dezisionismus – alleindeshalb nicht an Bedeutung, da sich alle unpolitischen Gegensätzeauch zu politischen steigern können. Auch wenn Schmitts Dezisio-nismus zweifellos weit hinter die demokratischen Standards zu-rückfällt, die in den Debatten innerhalb der gegenwärtigen politi-schen Theorie inzwischen erreicht worden sind, so ist sie dochimmer noch insofern von zentraler Bedeutung, als sie die Herstel-lung politischer Einheit bzw. kollektiver Identität als konstitutivesElement des Politischen hervorhebt.

Rudolfs Smends politische Theorie der Integration (Kapitel IX,verfasst von Marcus Llanque) sieht in der empirischen Verfasstheitvon Politik ihren notwendigen Ausgangspunkt. Denn ihr zufolge istdie Integration der Bürger zu einer gesellschaftlichen Einheit diewesentliche Funktion des Politischen. So bleibt auch ein Verfas-sungsrecht immer abhängig von dem politisch-kulturellen Kontext,der das jeweilige Verfassungsverständnis bestimmt. Die normativeAuszeichnung einer Verfassung und der durch sie institutionali-sierten politischen Institutionen hängt darum von ihrer integrativenWirkung ab. Integrationspotentiale und -defizite offen zu legen,macht schließlich auch die politische Relevanz dieser politischenTheorie aus. Für die politischen Theorien der Gegenwart ist sie in-sofern von Bedeutung, als sie die Einheitsstiftung als ein politi-sches Problem entfaltet und somit auf die enge Verzahnung vonKultur und Politik hinweist.

Die politische Theorie der Systemanalyse von David Easton(Kapitel X, verfasst von Dieter Fuchs) ist eine der bedeutendstennicht-normativen allgemeinen Theorien der Politik in und für dieModerne. Ihr Ziel ist es, eine Rahmentheorie der Analyse des poli-tischen Lebens mit großer Reichweite zu entwickeln, in die sichTheorien mittlerer und kurzer Reichweite gleichsam einpassenkönnen. Ausgangspunkt dieser Theorie ist die empirische Frage,wie ein politisches System unter Wahrung seiner grundlegendenStrukturmerkmale persistent bleiben und seine systemischen Funk-tionen erfüllen kann, obwohl die Grenze zwischen dem politischenSystem und seiner Umwelt aufgrund von systemexternen Anforde-

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rungen und daraus (im schlechtesten Fall) resultierenden „Streß“verloren zu gehen droht. Für die Persistenz eines politischen Sy-stems sind zwei Variablen auf seiner Inputseite von zentraler Be-deutung: Demands und Support. Beide stehen in einem engen Ver-hältnis, das sich daraus ergibt, dass die Aufgabe jedes politischenSystems die Herstellung und Durchsetzung kollektiv bindenderEntscheidungen in die Gesellschaft ist. Diese Entscheidungen sindjedoch nicht unabhängig von den Bürgern, vielmehr reagiert daspolitische System in den ihm gesetzten Grenzen responsiv auf dieWünsche (Demands) der Bürger. Damit die Demands in kollektivbindende Entscheidungen umgesetzt werden können, benötigt daspolitische System die Unterstützung der Bürger (Support), die dreiunterschiedlichen politischen Objekten gelten kann: der politischenGemeinschaft, dem Regime und den Entscheidungsträgern. Ihnenkönnen zwei unterschiedliche Arten von Unterstützung zuteil wer-den: diffuse und spezifische Unterstützung. Nur wenn ein politi-sches System hinreichend Unterstützung seitens seiner Bürger er-hält, kann es persistent bleiben. Die politische Theorie der System-analyse versteht sich als eine explizit nicht-normative. Die Logikder Analyse folgt vielmehr funktionalen Systemeigenlogiken, daherprämiert Easton auch kein politisches System normativ (denkbar wä-re z.B. unter den Bedingungen der Moderne hier die Demokratie).Die weichenstellende Funktion von Easton – und zugleich seinepraktische Relevanz – besteht in der funktionalen Bestimmung desPolitischen einerseits und der analytischen Differenzierung unter-schiedlicher Unterstützungsformen und – objekten andererseits.

Aus der Perspektive der politischen Theorie der Rationalisierungvon Max Weber (Kapitel XI, verfasst von Rainer Schmidt) geht dieFrage der empirischen Verfasstheit von Politik der Frage ihrer Be-gründbarkeit voran. Dabei ist die empirische Verfasstheit von Politikganz wesentlich von den subjektiven Sinnzuschreibungen der einzel-nen Individuen und nicht etwa von einer allgemeinen individuums-unabhängigen Gesetzmäßigkeit geprägt. Die damit verbundene not-wendige kulturelle Einbettung von Politik lässt es darum auch nichtzu, dass von der empirischen Verfasstheit eines politischen Seins aufein begründbares normatives Sollen geschlossen werden kann: Seinund Sollen fallen auseinander. Darum folgt etwa aus den durch dieRationalisierung gekennzeichneten Gesellschaften der Moderne nichtzwangsläufig die Auszeichenbarkeit einer entsprechend rationalen

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Politik. Die Frage nach der Begründbarkeit von Politik verliert aller-dings dadurch nicht an Brisanz. Vielmehr wird sie in die Frage ver-wandelt, was als rechtfertigender Grund unterstellt wird. Eine so atte-stierte Unbegründbarkeit von Politik ist für die politische Praxisselbst insofern relevant, als sie für die Rechtfertigung politischenHandelns allein das Handeln und seine Folgen selbst zulässt. Vonden politischen Theorien der Gegenwart aus betrachtet, erscheintdiese Theorie damit in zweierlei Hinsicht weichenstellend: Zum ei-nen verweist sie auf das konstitutive Moment, das der kulturellenEinbettung von Politik zukommt; zum anderen liefert sie Hinweisedarauf, dass Begründungen unter Bedingungen der Unbegründbar-keit nicht an politischer Wirksamkeit verlieren.

Die politische Theorie konkurrierender Eliten Joseph Schum-peters (Kapitel XII, verfasst von William E. Scheuerman), versuchteine realistische und deskriptive Theorie der Demokratie mit demanalytisch-konzeptionellen Instrumentarium der Wirtschaftswissen-schaften zu entwickeln, die Vorreiter für eine Reihe von eher eliti-stisch geprägten „realistischen“ Demokratietheorien werden sollte.Empirischer Ausgangspunkt der Theorie konkurrierender Eliten istdie Beobachtung, daß die liberale Demokratie – um funktionierenzu können – historisch auf Voraussetzungen aufbaut, die durch ge-sellschaftliche Prozesse der Rationalisierung unterminiert werden.Da das gesellschaftliche „Substrat“ von Demokratie in den westli-chen Demokratien in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhundertsfehlte, kann die empirische liberale Demokratie nichts anderes seinals ein fader Abgesang auf die hochfliegenden demokratischenIdeale der partizipativen Demokratietheorie. Schumpeter identifi-ziert bereits in diesem Ideal unrealistische Konstruktionsfehler, dadie den Bürgern unterstellte Rationalität – die für die Realisierungdes demokratischen Ideals notwendig ist – empirisch nicht vorfind-bar ist. Daher gefährdet diese Form von Demokratie sich selbst.Deshalb plädiert die Theorie konkurrierender Eliten dafür, vom poli-tisch apathischen Bürger vorausgehend, eine realistische Demokra-tietheorie zu formulieren, deren Kern darin besteht, sie nur noch alseine Methode zu verstehen, fähige politische Führer aus einem re-lativ kleinen Kreis konkurrierender politischer Eliten zu wählen –und gegebenenfalls abwählen zu können. Dieser Ansatz nimmt sei-nen Ausgangspunkt zwar in der empirischen Diagnose mangelnderRationalität, wechselt jedoch dann den theoretischen Modus und

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formuliert eine normative Demokratietheorie, die sich selbst je-doch ent-ideologisiert wahrnimmt. Weichenstellend für die zeitge-nössische politische Theorie ist der Ansatz von Schumpeter inso-fern, als dass er der empirisch inspirierten Demokratietheorie ent-scheidende Impulse gegeben hat und mit der Inkorporation wirt-schaftswissenschaftlicher Methodik Wegbereiter von Rational-Choice Ansätzen in der Demokratietheorie war.

Weil Erkenntnis immer in einen sozialen, kulturellen und histo-rischen Kontext eingebunden ist, setzt Antonio Gramscis politischeTheorie des Neo-Marxismus (Kapitel XIII, verfasst von Hans-Jürgen Bieling) an der empirischen Verfasstheit von Politik an.Diese wird bestimmt von dem Verhältnis der von den Produktiv-kräften geprägten Sozialstruktur zu den von ihr ermöglichten, nichtjedoch determinierten kulturellen Deutungskämpfen in der Zivilge-sellschaft. Die Frage nach der Begründbarkeit von Politik ist da-nach bloß Teil dieser Kämpfe um kulturelle Hegemonie. Nur wenndabei eine zur herrschenden Sozialstruktur passende kulturelleDeutung auch eine hegemoniale Stellung in der Zivilgesellschaftgewinnt, wird schließlich die empirische Verfasstheit der Politik zueinem stabilen ,geschichtlichen Block‘. Da eine solche hegemo-niale Deutung sich immer wieder neu gegen konkurrierende Deu-tungen durchsetzen muss, entfalten politische Theorien als hege-moniale oder – wie im Fall des Neo-Marxismus – als gegen-hege-moniale Deutungen ihre politische Relevanz. Für die politischenTheorien der Gegenwart ist dieser Neo-Marxismus von Bedeutung,indem er die politische Kraft von kulturellen Deutungskämpfenaufzeigt und in der Zivilgesellschaft sozial verortet.

Michel Foucaults politische Theorie der Gouvernementalität(Kapitel XIV, verfasst von Thomas Lemke) nimmt insofern ihrenAusgangspunkt an der empirischen Verfasstheit von Politik, alsdiese an der Objektivierung des Menschen zum ,Subjekt‘ teil-nimmt. In diesem Sinne gehört etwa die liberale Begründung vonPolitik als eine spezifische Mentalität des Regierens faktisch zu ei-ner Politik, die die individuelle Freiheit des Subjekts durch diekollektive Sicherheit des Staates zwar herstellt, aber auch zugleichbegrenzt. Macht ist deshalb nicht an sich schlecht, allerdings ist sieinsofern gefährlich, als sie in dauerhaften Herrschaftsbeziehungenfixiert werden kann. Ihre politische Relevanz sieht Foucaults Theoriedarum im Aufzeigen solch gefährlicher Fixierungen von Macht als

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Herrschaft und zwar ohne dass dafür Macht an sich in Frage gestelltwerden muss. Diese für die Konstitution des modernen ,Subjekts‘schöpferische Kraft der Macht macht dann auch die besondere Be-deutung dieser politischen Theorie für die gegenwärtigen politischenTheorien aus. Denn sie weist darauf hin, dass ,das freie Individuum‘,,das Subjekt‘ nicht Voraussetzung, sondern Ergebnis von Politik ist.

In der Zwischenbetrachtung (verfasst von Gary S. Schaal) wirdschließlich versucht, die Entwicklung der Politischen Theorie nach1945 zu skizzieren. Dieses Kapitel synthetisiert die Einzeldarstel-lungen der beiden Bände, um so größere Linien in der Entwicklungder Theoriestränge, aber auch der Disziplin selber, zu verdeutli-chen. Die Lektüre kann dabei helfen, ein Orientierungsraster zuentwickeln, das die intellektuelle Verortung der einzelnen Theorienerleichtert.

Literatur

Falter, Jürgen W./Göhler Gerhard (1986): Politische Theorie. Entwicklungund gegenwärtiges Erscheinungsbild. S. 118-141 in: Klaus von Beyme(Hrsg.): Politikwissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Politi-sche Vierteljahresschrift Sonderheft 17. Opladen.

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David Held (Ed.): Political theory today. Cambridge.Hindess, Barry (1997): The object of political theory. S. 254-271 in: Andrew

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liche Informationen 23 (1), 5-8.Vincent Andrew (Hrsg.) (1997): Political theory: tradition and diversity. Cam-

bridge. – (1997a): Introduction. S. 1-27 in: ders. (Ed.): Political theory: tradition and

diversity. Cambridge.

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Kapitel IDie politische Theorie der Frankfurter Schule:Franz L. Neumann

Bernd Ladwig

Inhalt

1. Kritische und politische Theorie .................................... 30

2. Recht und Macht ............................................................ 342.1. Der Niedergang des Rechts im monopolistischen

Kapitalismus ................................................................... 342.2. Zum Verhältnis von funktionaler und normativer

Argumentation ................................................................ 392.3. Der Nicht-Staat des Nationalsozialismus ....................... 402.4. Politische und soziale Macht .......................................... 442.5. Politische Freiheit .......................................................... 49

3. Zur Kritik an einem (selbst-)kritischen Theoretiker ....... 523.1. Die zeitgenössische Kritik aus dem ,inneren Kreis‘ ....... 523.2. Die Rezeption im Vorfeld und Umkreis der

außerparlamentarischen Opposition ............................... 533.3. Heutige Einwände .......................................................... 55

4. Alternative Wege einer kritischen Theoriedes Politischen ................................................................ 58

4.1. Zeitgenössische Verzweigungen .................................... 584.2. Was bleibt? .................................................................... 61

Literatur ................................................................................... 62

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Bernd Ladwig30

1. Kritische und politische Theorie

Von „Frankfurter Schule“ ist oft gleichbedeutend mit „KritischerTheorie“ die Rede. Historisch ist das nicht ganz korrekt: EineFrankfurter Schule im engeren Sinne ging erst aus der Lehrtätigkeitder vormaligen Emigranten Max Horkheimer und Theodor W.Adorno an der Frankfurter Universität der Nachkriegszeit hervor(Wellmer 1993). Im weiteren Sinne allerdings beginnt ihre Ge-schichte in den dreißiger Jahren: Nachdem Horkheimer die Leitungdes Frankfurter Instituts für Sozialforschung übernommen hatte,entfaltete sich dort eine eigenständige Spielart des „westlichenMarxismus“ (Perry Anderson): Die ,Kritische Theorie‘ antworteteauf das Ausbleiben der sozialistischen Revolutionen in den entwik-kelten Gesellschaften des Westens und auf die zweifache Katastro-phe von Faschismus und Stalinismus mit einer philosophisch be-gründeten und empirisch informierten Selbstkritik des historischenMaterialismus.

Das von Horkheimer zu Beginn der dreißiger Jahre entworfeneProgramm eines interdisziplinären Materialismus versammelte un-terschiedliche Fachperspektiven unter dem Dach einer geschichts-philosophisch reflektierten Gesellschaftstheorie. Vor allem dieEinbeziehung von Psychoanalyse und Kulturtheorie gilt gemeinhinals Verdienst der Frankfurter Schule; bedeutete sie doch einenBruch mit dem ökonomischen Reduktionismus der Zweiten (sozi-aldemokratischen) Internationale. Für Politikwissenschaft war hin-gegen ein ähnlich prominenter Platz im Forschungsprogramm nichtvorgesehen. Weiterhin dominierte in ihm das orthodox-marxisti-sche Bild von Politik als Funktion der Produktionsverhältnisse.

Daran sollte auch die Erweiterung des Institutsprogramms imamerikanischen Exil nichts ändern. Zwar untersuchten die Instituts-mitglieder Otto Kirchheimer und Franz Neumann den Wandel recht-licher und politischer Institutionen im Übergang zum organisiertenKapitalismus und zu faschistischen Herrschaftsformen. Diese Wis-senschaftler standen aber, anders als Horkheimer, Adorno, FriedrichPollock und Leo Löwenthal, eher am Rande des Institutsgeschehens.Ihre Arbeiten blieben daher ohne nachhaltigen Einfluß auf denDenkweg der Hauptvertreter Kritischer Theorie (vgl. Jay 1976).

Dieses Desinteresse wird heute von einigen Historikern derFrankfurter Schule als Fehler angesehen (z.B. Söllner 1982; Wig-