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POLITISCHER BERICHT AUS DER RUSSISCHEN FÖDERATION Dr. Markus Ehm Leiter der Verbindungsstelle Moskau Nr. 14/2011 – 24. November 2011

POLITISCHER BERICHT AUS DER RUSSISCHEN FÖDERATION · Herausgebers wieder. Die Autoren tragen für ihre Texte die volle Verantwortung

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POLITISCHER BERICHT AUS DER RUSSISCHEN FÖDERATION Dr. Markus Ehm Leiter der Verbindungsstelle Moskau Nr. 14/2011 – 24. November 2011

IMPRESSUM Herausgeber Copyright 2011, Hanns-Seidel-Stiftung e.V., München Lazarettstraße 33, 80636 München, Tel.: +49 (0)89 1258-0, E-Mail: [email protected], Online: www.hss.de Vorsitzender Dr. h.c. mult. Hans Zehetmair, Staatsminister a.D., Senator E.h., Hon.-Prof. Hauptgeschäftsführer Dr. Peter Witterauf Verantwortlich Ludwig Mailinger Leiter des Büros für Verbindungsstellen Washington, Brüssel, Moskau / Internationale Konferenzen Hanns-Seidel-Stiftung e.V. Tel.: +49 (0)89 1258-202 oder -204 Fax: +49 (0)89 1258-368 E-Mail: [email protected]

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung, Verbreitung sowie Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil dieses Berichtes darf in irgendeiner Form

(durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung der Hanns-Seidel-Stiftung e.V. reproduziert oder unter Verwendung

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Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder. Die Autoren tragen für ihre Texte die volle Verantwortung.

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Die Russische Föderation vor der Wahl zur Staatsduma: Was sagen die Parteien zur Wirtschaftspolitik?

Am 4. Dezember 2011 findet in der Russischen Föderation die Staatsdumawahl statt. In der laufenden Legislaturperiode sind die Mandate wie folgt verteilt:

Partei Vorsitzender Profil Sitze

Einiges Russland (ER) Wladimir W. Putin zentristisch, seit 2009 konservativ (Eigenverständnis), staatsnah (Beamtenpartei)

315

Gerechtes Russland (GR) Nikolaj W. Lewitschew links-zentristisch, sozialdemokratisch (Eigenverständnis)

38

Liberal-Demokratische Partei (LDPR) Wladimir W. Schirinowskij nationalistisch 40

Kommunistische Partei (KPRF) Gennadij A. Sjuganow “geläuterter“ Kommunismus 57

Der vorliegende Beitrag widmet sich dem wirtschaftspolitischen Teil der jeweiligen Wahlprogramme. Im Fokus stehen die Thesen der oben genannten politischen Organisationen.1 Ebenso finden die Positionen der liberal orientierten, nicht im Parlament vertretenen Jabloko-Partei2 Beachtung.3 Dieser Gruppierung werden derzeit nur geringe Chancen eingeräumt, die 7%-Hürde zu überwinden.4 Die Darstellung konzentriert sich auf folgende Bereiche: Modernisierung der Wirtschaft und Verringerung der Abhängigkeit vom Rohstoffexport (1), Steuerreform (2), Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen (3), Vermeidung des Kapitalflusses nach Offshore-Finanzplätzen5 (4), Wohnungs- und Kommunalwirtschaft (5), Landwirtschaft und ländlicher Raum (6) sowie Eigentumsfrage (7). Das Fazit bringt zum Ausdruck, dass der Rohstoffreichtum einer Diversifizierung der Wirtschaft weiterhin im Weg stehen könnte. (8).

1 Der Parteitag von „Einiges Russland“ beschloss am 24.09.2011 spontan, dass die dort gehaltenen Reden

von Staatspräsident Dmitrij A. Medwedew und Preminister Wladimir W. Putin als Wahlprogramm gelten sollen (http://kremlin.ru/news/12802; siehe dazu auch Markus Ehm, Bayernkurier vom 01.10.2011, S.9). „Gerechtes Russland“ verabschiedete sein Wahlprogramm zunächst auf seinem Parteitag am 16.04.2011 und bestätigte es am 24.09.2011, ebenfalls auf einem Parteitag (http://www.spravedlivo.ru/information/hronic/). Im Hinblick auf die Kommunistische Partei (http://kprf.ru/crisis/offer/97653.html ) und die Liberal-Demokratische Partei (http://www.ldpr.ru/events/We_are_111_positions_for_th) finden sich keine Hinweise bezüglich des Zustandekommens der Wahlprogramme. Vermutlich haben die beiden Protagonisten Gennadij A. Sjuganow bzw. Wladimir W. Schirinowskij die Programme wesentlich beeinflusst.

2 Vorsitzender: Sergej S. Mitrochin. 3 Zum Programm siehe http://www.yabloko.ru/content/rossiya_trebuet_peremen_platforma.

4 Nach einer am 22.11.2011 veröffentlichten Umfrage des Allrussischen Zentrums für die Erforschung der öffentlichen Meinung kann Jabloko mit einem Ergebnis von 3,3% rechnen. Die würde danach an der 7%-Hürde, welche zur Bildung einer Fraktion berechtigt, scheitern. Siehe die Internetseite des Ersten Fernsehkanals, http://www.1tv.ru/news/election/191672.

5 Es handelt sich um Finanzplätze, die sich durch niedrige Steuern, ein hohes Maß an Vertraulichkeit und eine minimale Finanzmarktaufsicht und -regulierung auszeichnen (Steueroase). Siehe dazu http://de.wikipedia.org/wiki/Offshore-Finanzplatz.

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1. Modernisierung und Verringerung der Abhängigkeit vom Rohstoffexport Gegenwärtig stammt fast die Hälfte der Staatseinnahmen aus dem Energiegeschäft. Sinkende Erdölpreise würden das Staatsbudget empfindlich belasten. Diese Abhängigkeit trat in der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise deutlich zu Tage.6 Alle fünf erwähnten Parteien sind sich bewusst, dass Russland seine Wirtschaft modernisieren und diversifizieren muss. Man will sich mit einer umfassenden Industrialisierung von der überragenden Ausfuhrabhängigkeit von Energie und Rohstoffen befreien. Bei der Beschreibung dieses Ziels werden allerdings vage Begriffe verwendet. „Einiges Russland“ spricht von der Schaffung einer „innovationsfreundlichen Infrastruktur“. „Gerechtes Russland“ kritisiert die „primitive Rohstoffwirtschaft“, ein Begriff, der von Staatspräsident Medwedjew geprägt wurde.7 Die LDPR will die in den 90er Jahren zerstörten Produktionskapazitäten wieder herstellen, nun jedoch auf Innovationen basierend. Die KPRF strebt eine „Modernisierung non stop“ an. Einzig Jabloko erwähnt bezüglich der Einnahmen aus dem Rohstoffgeschäft einen weiteren Aspekt. Diese Partei will dafür sorgen, dass die Oligarchen und Staatsdiener nicht übermäßig an solchen Erlösen partizipieren. 2. Steuerreform Die vier bisher in der Staatsduma vertretenen Parteien wollen sich vom derzeitigen einheitlichen Steuersatz von 13% für Arbeitsgehälter8, welcher ab dem ersten Rubel gilt, lösen und höhere Einkommen stärker besteuern. Während aber „Einiges Russland“ dazu keine weiteren Aussagen macht, fordern die anderen drei Parteien ausdrücklich progressive Steuersätze. Die Pläne von „Gerechtes Russland“ sehen vor, Arbeitseinkommen von mehr als drei Millionen Rubel (ca. 75.000 Euro) stärker als bisher zu belasten. „Gerechtes Russland“ bezieht sich auf eine offizielle Statistik, wonach gerade einmal 0,2% der Gesamtbevölkerung ein derartig hohes Gehalt beziehen, der Anteil dieser Gruppe aber gleichzeitig ein Drittel des gesamten Arbeitseinkommens aller Berufstätigen beträgt. Nach den Vorstellungen der LDPR soll ein Steuersatz von fünf bis 30% abhängig von der Höhe des Arbeitseinkommens eingeführt werden. Zudem spricht man sich für einen Familienfreibetrag von 15.000 Rubel (ca. 3.750 Euro) im Jahr aus, wobei nicht näher definiert wird, was unter einer „Familie“ zu verstehen ist. Die Kommunisten bringen allgemein den Wunsch nach einer Steuerprogression und der Entlastung ärmerer Schichten zum Ausdruck.

6 Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26.08.2011, S. 14. 7 So der Staatspräsident auf dem Wirtschaftsforum in Davos im Januar 2011. Siehe die Internetseite der

Präsidialadministration der Russischen Föderation, http://kremlin.ru/news/10163.

8 Streng gesehen verwendet das russische Steuerrecht den Begriff „Steuer auf das Einkommen von natürlichen Personen (SENP)“; bisher fallen einheitlich 13% an. Die Änderungsvorschläge der Parteien betreffen gerade diese Steuerart. Dazu zählt auch das Arbeitseinkommen, sozusagen „Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit“, wenn man die deutsche Terminologie heranziehen möchte. In Russland unterliegen der SENP alle Einnahmen, welche eine natürliche Person im Laufe eines Kalenderjahres in Geld- oder Naturalform erhalten hat, so z.B. Lohn- und Prämienzahlungen, Erlöse aus Vermögensverkäufen, Honorare aus freiberuflicher Tätigkeit, Geschenke, aber auch Lottogewinne. Siehe dazu http://www.garant.ru/actual/nalog/ndfl/.

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„Gerechtes Russland“ fordert darüber hinaus eine Luxussteuer auf teure Immobilien und sonstige wertvolle Wirtschaftsgüter wie z.B. Privatjets, Yachten und Fahrzeuge der Premiumklasse. Die Zusatzabgabe soll in Form eines einmaligen Preisaufschlags beim Erwerb in Höhe von einem bis fünf Prozent des Anschaffungswerts geleistet werden. Was die Besteuerung von Unternehmen betrifft, so möchte „Einiges Russland“ forschende und produzierende Betriebe gegenüber solchen bevorzugen, die unverarbeitete Rohstoffe verkaufen. Die LDPR plant für den Zeitraum der nächsten fünf Jahre die Abgaben der verarbeitenden Industrie, der Landwirtschaft und von Unternehmen aus der Bau- und Transportbranche um 20% zu senken. 3. Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen Das Wahlprogramm von „Einiges Russland“ äußert sich zu diesem Punkt nicht und spricht nur vom „russischen Business“ im Allgemeinen. Ebenso wenig hat die Unterstützung der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) für die KPRF Priorität. „Gerechtes Russland“ und die LDPR unterstreichen, dass der Mittelstand eine wesentliche Grundlage der russischen Wirtschaft werden soll. „Gerechtes Russland“ strebt eine Erhöhung des Anteils der KMU am Bruttoinlandsprodukt von derzeit 15 auf 50% an und will bei den Sozialabgaben9 Vergünstigungen gewähren. Die weitere Absicht, die Mehrwertsteuer von 20% auf zehn Prozent und die Gewinnsteuer von 20% um vier Prozentpunkte zu senken, zielt ebenso auf eine Unterstützung kleinerer Wirtschaftsstrukturen ab.10 Innovative Unternehmen, die im Umfeld einer Universität entstehen, sollen gefördert werden, z.B. im Wege einer vereinfachten Gründung oder einer Sonderfinanzierung. Die LDPR will KMU, die neben der Produktion selbst Forschungsergebnisse hervorbringen, sogar von jeglicher Gewinnbesteuerung freistellen. 4. Vermeidung des Kapitalabflusses hin zu Offshore-Finanzplätzen Im Jahr 2011 könnte der Netto-Kapitalabfluss von Russland ins Ausland die Summe von 60 Mrd. USD überschreiten.11 Während in den Wahlprogrammen von „Gerechtes Russland“ und

9 In der Russischen Föderation gibt es insofern die sog. „Einheitliche Sozialsteuer (ESS)“. Unternehmen

überwiesen bzw. überweisen für ihre Mitarbeite folgende Beiträge auf Grundlage der (Netto-)Lohnzahlung pauschal: (1) bis zum 31.12.2004 – 35,6%; (2) 01.01.2005 bis 31.12.2009 – 26%; 01.01.2010 bis 31.12.2010 – ESS formal abgeschafft, aber de facto 26% (Zusammensetzung wie folgt: Altersvorsorge – 20%; Sozialversicherung – 2,9%; Krankenversicherung – 3,1%); seit 01.01.2011 – 34%. Es wurden bereits folgende Senkungen beschlossen, welche ab dem 01.01.2012 Gültigkeit besitzen werden: für große und mittlere Unternehmen – 30%; für kleine Betriebe – 20%.

10 Zu diesem Vorschlag siehe http://mironov.ru/main/interview/116.

11 Ende Oktober teilte der stellv. Wirtschaftsminister der Russischen Föderation, Andrej N. Klepatsch, mit, dass im Jahr 2011 der Netto-Kapitalabfluss die Marke von 50 Mrd. USD übersteigen kann. Staatlicherseits ging man vor Jahresbeginn von einer Größenordnung von ca. 35 Mrd. USD aus. Nach Einschätzung von Ökonomen könnte sogar der Betrag von 60 Mrd. USD überschritten werden (2009: 57 Mrd. USD). Dann wäre nur im Krisenjahr 2008 mit einem Volumen von fast 130 Mrd. USD mehr Kapital ins Ausland abgeflossen. Siehe dazu die Interzeitung „gazeta.ru“ vom 27.10.2011, http://www.gazeta.ru/news/business/2011/10/27/n_2070790.shtml.

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der LDPR der Kampf gegen Steueroasen Erwähnung findet, schweigen „Einiges Russland“ und die KPRF zu diesem Thema. „Gerechtes Russland“ will Offshore-Eigentum ins Land zurückholen und den Kapitalabzug mit einer neuen 20-prozentigen Abgabe belegen. Steuervergünstigungen für Unternehmen, deren Eigentum im Offshore-Modus gehalten wird, sollen gestrichen werden. Die LDPR spricht sich für die Abschaffung von Offshore-Strukturen aus. Unternehmen, die in Russland tätig sind, sollen nach den Plänen der LDPR in Russland nur noch russische Bankkonten benützen dürfen, um Gewinne nicht am Fiskus vorbei zu schleusen. Die Gründung einer sog. „Eintagesfirma“12 soll strafrechtlich sanktioniert werden. 5. Das System der Wohnungs- und Kommunalwirtschaft Alle Parteien nehmen sich dieses sensiblen Themas13 an und wollen Preissteigerungen bei der Wohnungs- und Kommunalwirtschaft14 (insb. Wohnnebenkosten) dämpfen. Bisher ergibt sich bei den Wohnnebenkosten jedes Jahr eine Preissteigerung von empfindlichen zehn bis 15 Prozent und damit ein stärkerer Anstieg als bei der Inflationsrate.15 Wie heikel diese Angelegenheit für die Regierung ist, zeigt die Tatsache, dass die eigentlich turnusgemäß zum 01.01.2012 zu erwartende Kostenanhebung auf den 01.07.2012 und damit auf einen Zeitpunkt nach der Duma- und Präsidentschaftswahl verschoben wurde.16 „Einiges Russland“ belässt es bei der allgemeinen Formulierung, die hohen Preise bekämpfen zu wollen. „Gerechtes Russland“ verlangt eine strenge staatliche Tarifkontrolle. Hinzu kommt die Forderung nach Transparenz in der Arbeit der Wohnungs- und Kommunalwirtschaft. Die LDPR tritt für die Verstaatlichung der Wohnungs- und Kommunalwirtschaft ein. Die Jabloko-

12 Es handelt sich hierbei um eine Struktur ohne tatsächliche Geschäftstätigkeit mit dem ausschließlichen

Ziel, Steuerzahlungen oder Zollabgaben zu umgehen. Bevorzugt berechnen „Eintagesfirmen“ Kosten für diverse Beratungsleistungen, welche die Steuerlast des Rechnungsempfängers mindern. Bevor der Gewinn der „Eintagesfirma“ besteuert wird, löst man sie auf oder wählt den Weg der Insolvenz. Ein anderes Modell verfolgt den Zweck, sich im Wege eines sog. „Umsatzsteuerkarussells“ der Entrichtung eben dieser Abgabe zu entziehen. Steuerhinterziehung, sofern diese Straftat verwirklicht wurde, ist meistens schwer nachzuweisen. Vorstellbar ist, dass in beide Modelle Firmen mit Sitz im Ausland, bevorzugt auf Zypern, mit einbezogen werden. Siehe dazu auch http://www.econ-profi.ru/index.php?type=special&area=1&p=articles&id=33.

13 Im vergangenen Jahr kam es in Zusammenhang mit der Höhe der Wohnnebenkosten immer wieder zu Protesten. So z.B. auf Initiative der Kommunisten in Nowosibirsk am 18.11.2011. Siehe dazu http://kprfnsk.ru/party/protest/17417/.

14 Im Jahr 2007 wurde die Wohnungs- und Kommunalwirtschaft mit folgenden Zielen reformiert: (1) Modernisierung; (2) Übergang zu marktwirtschaftlichen Regeln; (3) Qualitätssteigerungen und Überwachung von Sozialgarantien. Während früher ein staatlicher Monopolbetrieb diese Dienstleistungen im Sektor der Wohnungs- und Kommunalwirtschaft erbrachte, erbringen diesen Service nun private Unternehmen, die in einem staatlichen Verzeichnis registriert sein müssen. Siehe dazu die Internetseite des Informationszentrums für die Reform der Dienstleistungen der Wohn- und Kommunalwirtschaft, http://gkh-reforma.ru/faq_1.html#10.

15 Addiert man die Preissteigerungen der letzten fünf Jahre, so liegt eine Erhöhung von 117% bei einer Inflationsrate im selben Zeitraum von „nur“ 63% vor. RBK Internetzeitung, http://top.rbc.ru/story/618774.shtml.

16 Siehe dazu RBK Internetzeitung vom 03.11.2011, http://top.rbc.ru/economics/03/11/2011/623388.shtml.

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Partei macht sich dafür stark, dass Preise transparent ermittelt und Tarifsteigerungen auf die Höhe der Inflation des abgelaufenen Rechnungsjahres begrenzt werden. 6. Landwirtschaft und ländlicher Raum Alle vier Parteien erachten die Förderung der Landwirtschaft als sehr wichtige Aufgabe. „Einiges Russland“ verweist auf die Rekordgetreideernte im Jahr 2011 und die Rolle Russlands als wichtiger Getreideexporteur. Die LDPR will Bauern langfristige Kredite mit niedrigen Zinsen gewähren. Zudem soll sich der Staat anteilig an den Kosten für Düngemittel beteiligen. Die KPRF sieht die Zukunft der russischen Landwirtschaft in der Rückkehr zur kollektiven Form wie zu Zeiten der Sowjetunion (Kolchosen). „Einiges Russland“ setzt sich zum Ziel, jenseits der städtischen Zentren die medizinische Versorgung zu verbessern. „Gerechtes Russland“, die LDPR und die KPRF wollen den ländlichen Raum attraktiver machen, teilweise ist sogar von einer „Wiederbelebung“ die Rede. „Gerechtes Russland“ tritt für die Ausarbeitung eines staatlichen Programms zur Entwicklung der Infrastruktur in der Provinz ein. 7. Eigentum Die KPRF ruft zur Verstaatlichung führender Industriezweige auf. Dazu gehört u.a. die Rohstoffbranche sowie der Eisenbahn- und Luftfrachtverkehr. Gleiches gilt für die wichtigsten Banken des Landes. Damit sollen die Privatisierungen der 90er Jahre revidiert werden. Die zukünftig staatliche Sberbank – das bei weitem größte17 und im ländlichen Raum für viele häufig das einzige erreichbare Kreditinstitut – wird nach den Vorstellungen der Kommunisten ihre Dienstleistungen zukünftig kostenlos anbieten. Spekulationsgeschäfte der Banken sollen eingeschränkt werden. Als Folge würde die bisher – aus Sicht der KPRF – erdrückende Zinsbelastung sinken. „Jabloko“ tritt für die Unverletzlichkeit des privaten Eigentums und den Schutz von Minderheitsaktionären ein. Die Registrierung von erworbenem Eigentum soll beschleunigt werden. 8. Fazit Die wirtschaftspolitische Programmatik von „Einiges Russland“ bleibt in weiten Teilen unpräzise. Der Grund könnte darin bestehen, ein möglichst breites Wählerspektrum erreichen zu wollen. Als Beispiele lassen sich die Besteuerung von Arbeitseinkommen und die Problematik der Wohnnebenkosten anführen. Bei diesen fordern nur „Gerechtes Russland“ und Jabloko eine strenge Tarifkontrolle und Transparenz in der Preisbildung, was in der Bevölkerung auf Zuspruch stoßen dürfte. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass die KPRF bei ihrer Positionsbestimmung ähnlich unscharf bleibt wie die Regierungspartei. Die Kommunisten nutzen die Gelegenheit nicht, ihr Profil als

17 Im Jahr 2010 betrug die Bilanzsumme der Sberbank 308,9 Mrd USD. Die zweitplatzierte Wneschtorbank

(WTB) kam auf 153,6 Mrd. USD. Siehe dazu http://en.wikipedia.org/wiki/Sberbank bzw. http://en.wikipedia.org/wiki/VTB_Bank.

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Oppositionspartei bei der Besteuerung von hohen Arbeitseinkommen und Luxusgütern zu schärfen. Darüber hinaus fällt auf, dass weder die KPRF noch „Einiges Russland“ Vorschläge unterbreiten, den immensen Netto-Kapitalabfluss zu Offshore-Finanzplätzen einzuschränken. Die KPRF bezieht mit der Forderung nach massiver Verstaatlichung von zahlreichen Großbetrieben eine Extremposition. Nur „Jabloko“ will das Eigentum als unverletzliche Rechtsposition schützen. Hinzu kommt, dass Jabloko als einzige politische Kraft die „Förderung des Wettbewerbs“ in ihre Programm aufgenommen hat. So sollen im Internet Informationen über das Bestehen von sog. „natürlichen“ Monopolen18 publiziert werden. Allerdings geht nicht einmal „Jabloko“ soweit, diese aufbrechen zu wollen. Es fällt auf, dass die Diversifizierung der Wirtschaft wiederholt und von allen Parteien gleichermaßen proklamiert wird. Obwohl dies bereits seit Jahren geschieht, halten sich die Fortschritte in Grenzen.19 Grund hierfür dürfte folgender Widerspruch sein: Werden auf dem Rohstoffmarkt hohe Preise bezahlt, nimmt der Druck zur Umstrukturierung ab. Werden Öl und Gas zu niedrigeren Preisen gehandelt, so fehlen die finanziellen Mittel für den Umbau der Wirtschaft, selbst wenn der Druck dafür nun hoch sein mag. Dieses Paradoxon wird auch in der nächsten Legislaturperiode die Arbeit der Duma begleiten.

Moskau, 24. November 2011 Dr. Markus Ehm Leiter der Verbindungsstelle Moskau der Hanns-Seidel-Stiftung Der Verfasser dankt Frau Marina Klintsova für ihre Unterstützung bei der Erstellung des Beitrags.

18 Dieser Begriff beruht auf einer wörtlichen Übersetzung aus dem Russischen. Es handelt sich um offiziell

anerkannte, unvermeidbare Monopole. Man versteht darunter u.a. solche Monopole, welche für den Staat vorteilhaft sind. Als Beispiele werden (Gas-)Leitungs-, Strom- oder Eisenbahnnetze genannt, die ausschließlich vom Staat betrieben werden. Siehe dazu das Wörterbuch der Internet-Suchmaschine „yandex.ru“, http://slovari.yandex.ru/.

19 Siehe dazu die Einschätzung von Michail G. Deljagin, Direktor des Instituts für Probleme der Globalisierung (Forum des Waldaj-Klubs im Kaluger Gebiet, November 2011): Der Ökonom hält den Begriff der Modernisierung für verbraucht. In der Amtszeit Medwedews habe es wenige Erfolge auf diesem Gebiet gegeben.