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07.01.11 16:35 Postkoloniale Theorien und die »Spurensuche« nach Widerstand Seite 1 von 30 http://www.copyriot.com/bewegt/postcolonial_theory.html Postkoloniale Theorie und die »Spurensuche« nach Widerstand ende inhalt Katrin Amelang und Oliver Schupp weiter INTRO Im Seminarplan sind die Postkolonialen Theorien als Themengebiet innerhalb der Befassung mit Theorien des Widerstands eingeordnet. Diese Verbindung war für uns nicht immer offensichtlich, somit gestaltete sich unsere Befassung mit postkolonialen Theorien eher als »Spurensuche« nach Momenten und Möglichkeiten von Widerstand. Ausgehend von einer Einordnung postkolonialer Theorien und allgemeinerer Kritik an ihnen, möchten wir die drei klassischen Vertreter (häufig auch »holy trinity« genannt) Edward Said, Gayatri Spivak und Homi Bhabha, welche als MigrantInnen aus postkolonialen Gebieten kommend heute an US-amerikanischen Universitäten lehren, in einzelnen Kapiteln genauer vorstellen. Abschließend werden wir unsere Ergebnisse und aufgeworfenen Fragestellungen hinsichtlich der Verbindung von postkolonialen Theorien und Widerstand zusammenfassend darstellen. POSTKOLONIALE THEORIEN – EINORDNUNG UND KRITIK weiter / zurück Die postkolonialen Theorien bzw. Postcolonial Studies werden als Unterabteilung der Cultural Studies betrachtet. Da beide wenig Eingang in deutsche akademische Diskussionen gefunden haben bzw. in diesen kaum präsent sind, wird im folgenden die Einordnung der Cultural Studies der der postkolonialen Theorie vorangestellt. Eingehend sei darauf verwiesen, dass die folgende kurze Darstellung den »vielstimmigen« Cultural Studies und ihrer Reaktion auf gesellschaftliche Veränderungen durch theoriepolitische Verschiebungen und Diskurskorrekturen nicht umfassend erfassen kann. (1) Die nur schwer zu definierenden Cultural Studies sind keine akademische Disziplin im (1) F ür einen umfassenderen Einblick siehe u.a. Jan Engelmann [Hg.] (1999) Die kleinen Unterschiede. Der Cultural Studies Reader. Frankfurt/New York (2) Wobei im Bezug auf dieses kulturalistische/materialistische und strukturalistische Stränge der Cultural Studies zu unterscheiden sind: » Hegemonie als Kultur ist eine Frage materieller Produktion, Reproduktion und Konsumption, Hegemonie als Struktur ist ein Fall für textuelle Analyse.« (Milner 93, 81)

Postkoloniale Theorien und die »Spurensuche« nach Widerstand

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Postkoloniale Theorieund die »Spurensuche«nach Widerstand

endeinhalt

Katrin Amelang und Oliver Schupp

weiterINTRO Im Seminarplan sind die Postkolonialen Theorien als

Themengebiet innerhalb der Befassung mit Theorien desWiderstands eingeordnet. Diese Verbindung war für uns nichtimmer offensichtlich, somit gestaltete sich unsere Befassung mitpostkolonialen Theorien eher als »Spurensuche« nachMomenten und Möglichkeiten von Widerstand. Ausgehend voneiner Einordnung postkolonialer Theorien und allgemeinererKritik an ihnen, möchten wir die drei klassischen Vertreter (häufigauch »holy trinity« genannt) Edward Said, Gayatri Spivak undHomi Bhabha, welche als MigrantInnen aus postkolonialenGebieten kommend heute an US-amerikanischen Universitätenlehren, in einzelnen Kapiteln genauer vorstellen. Abschließendwerden wir unsere Ergebnisse und aufgeworfenenFragestellungen hinsichtlich der Verbindung von postkolonialenTheorien und Widerstand zusammenfassend darstellen.

POSTKOLONIALE THEORIEN – EINORDNUNG UND KRITIK weiter / zurück

Die postkolonialen Theorien bzw. Postcolonial Studies werdenals Unterabteilung der Cultural Studies betrachtet. Da beidewenig Eingang in deutsche akademische Diskussionen gefundenhaben bzw. in diesen kaum präsent sind, wird im folgenden dieEinordnung der Cultural Studies der der postkolonialen Theorievorangestellt. Eingehend sei darauf verwiesen, dass die folgendekurze Darstellung den »vielstimmigen« Cultural Studies und ihrerReaktion auf gesellschaftliche Veränderungen durchtheoriepolitische Verschiebungen und Diskurskorrekturen nichtumfassend erfassen kann.(1) Die nur schwer zu definierendenCultural Studies sind keine akademische Disziplin im

(1) F ür einen umfassenderenEinblick siehe u.a. JanEngelmann [Hg.] (1999) Diekleinen Unterschiede. DerCultural Studies Reader.Frankfurt/New York

(2) Wobei im Bezug auf dieseskulturalistische/materialistischeund strukturalistische Strängeder Cultural Studies zuunterscheiden sind: »Hegemonie als Kultur ist eineFrage materieller Produktion,Reproduktion undKonsumption, Hegemonie alsStruktur ist ein Fall fürtextuelle Analyse.« (Milner 93,81)

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herkömmlichen Sinne. Laut Dominik Bloedner (1997) undDouglas Robinson (1997) sind sie eher als offenesinterdisziplinäres Projekt zu verstehen, welches inhaltlich undmethodisch von Anthropologie, Soziologie, Gender Studies,Ethnic Studies, Literaturkritik, Geschichte, Psychoanalyse,Politikwissenschaften und Philosophie Gebrauch macht, und dieUntersuchung von vielfältigen kulturellen Texten, Formen undPraktiken mit Kulturkritik [critics of culture] verbindet. Siebeziehen sich theoretisch auf das Hegemonie-Konzept vonAntonio Gramsci(2) und »typically describe themselves and theirwork as ›counterhegemonic‹.« (Robinson 1997, 13) Sostrukturieren Machtbeziehungen Gesellschaften und ihre Kultur,wobei Kultur Bedeutungen erst hervorbringt und damit als Ortpolitischer Intervention zu betrachten ist. AkteurInnen bewegensich also zwischen individuellem Handeln und gesellschaftlicherFremdbestimmung. Von diesen theoretischen Grundannahmenwird die Verpflichtung zu einer politisch emanzipatorischenPerspektive abgeleitet (vgl. Bloedner 1997, 35). Die CulturalStudies sind in der 50er Jahren in Großbritannien imZusammenhang mit der Entstehung der britischen »New Left«als Ergebnis intellektueller und politischer Tradition zu sehen undwurden 1964 mit dem Centre for Contemporary Cultural Studies(zugehörig zum Lehrstuhl für englische Literatur) erstmalig imakademischen Rahmen institutionalisiert (vgl. ebd., 36f.). Alseiner der wichtigsten – und hier zulande wohl auchbekanntesten – Vertreter gilt Stuart Hall.

Genauso heterogen wie die Cultural Studies sind auch diePostcolonial Studies akademisch schwer zu definieren:»Postcolonial criticism and theory alike comprise a variety ofpractices, performed within a range of disciplinary fields in amultitude of different institutional locations around the globe.«(Moore-Gilbert 1997, 5) Die Entstehung der Postcolonial Studiesist mit dem Entkolonialisierungsprozess in den 1940/50/60ernsowie der Entstehung der Cultural Studies verbunden, und siesind zwischen literaturwissenschaftlichen und kulturtheoretischenAnsätzen einzuordnen (vgl. Robinson 1997, 13 u. Grimm 1997a,39). Die häufige Zuordnung der Postcolonial Studies zuLehrstühlen von Literatur kann als Nähe zu den

(3)Mit formalerDekolonisierung dieUntersuchung der Literatur,später Kunst, Geschichte u.Politik von Nationen, welchehistorisch zum BritishCommonwealth gehörten bzw.später weiterer ehemaligerKolonialstaaten.

(4)Selbst im angelsächsischenund anglo-amerkanischenRaum steht die Etablierungals akademische Disziplinnoch aus. Der kultur- undsozialwissenschaftlicheBereich in der BRD kam übereine erste Wahrnehmung nochnicht hinaus. Von einerInstitutionalisierung imHochschulbereich kann keineRede sein.

(5) Siehe z.B. John McKenzie,der folgendes bezeichnendesUrteil über die postkolonialeTheoire fällt: »nothingrepresents the naïveté andlack of sophistication of theleft-wing literary critics«(MacKenzie 1995, 36).

(6)Ein Begriff, der demParadigma der nachholendenEntwicklung der Dritten Weltanhaftet und deshalbsicherlich problematisch ist.Moore-Gilbert spricht in einerFußnote Ahmads Strategie an,dieses Problem zu umschiffen(»In Theory makes aneloquent case against the useof this term.«). DieProblematik ist durch denNicht-Gebrauch des Begriffsallerdings nicht gelöst. Moore-Gilbert entscheidet sich für dieBenutzung des Begriffes. Wirfolgen diesem Verfahren.

(7) »Ahmadʼs In Theorylaments the ›very arcane‹nature of Homi Bhbhaʼs styleand ›the inflationary‹ rhetoricof postcolonial theory moregenerally.« (Moore-Gilbert1997, 21)

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Literaturwissenschaften interpretiert werden, wichtiger istdiesbezüglich aber die zentrale Rolle der britischenCommonwealth Literature Studies(3) für die Konstitutionpostkolonialer Kritik im »westlichen« akademischen Rahmen(vgl. Moore-Gilbert 1997, 26ff.). Weitere theoretische Einflüsseund Bezüge postkolonialer Theorie sind die Arbeiten von FrantzFanon, Antonio Gramsci, Karl Marx, Jacques Lacan, LouisAlthusser, Jacques Derrida und Michel Foucault. Kann man allgemein ausgedrückt sagen, dass sich diePostcolonial Studies mit der Geschichte des Kolonialismus unddessen gegenwärtigem Fortwirken beschäftigen (vgl. Grimm1997a, 39), so wird es bei der genaueren Definition despostkolonialen Forschungsfeldes schon schwieriger. Was gehörtzum Untersuchungsgegenstand und was nicht? Robinsonunterteilt die darüber stattfindenden Kontroversen in dreiStränge. Er unterscheidet zwischen der Untersuchung derehemaligen europäischen Kolonien 1) seit der Unabhängigkeit,2) seit der Kolonialisierung sowie 3) aller Kulturen/Gesellschaften/Nationen etc. bezüglich ihrer Machtbeziehungenzu anderen Kulturen/ Gesellschaften/Nationen etc., wobei ererstere Ansätze als vorherrschend in der postkolonialen Theoriesieht (vgl. Robinson 1997, 13ff.). Auch Moore-Gilbert stellterstere zwei Bereiche heraus, sieht sie aber eher als Ergebniseiner historischen Bedeutungsverschiebung innerhalbpostkolonialer Debatten. Beziehend auf Aijaz Ahmad verweist erdarauf, dass es Anfang der 1970er noch um die Beschreibungder Situation ehemaliger Kolonien nach der Entkolonialisierungging, der Untersuchungsbereich aber in den 1980ern auf denBeginn der Kolonialisierung ausgeweitet wurde (vgl. Moore-Gilbert 1997, 9). Ein weiterer Ansatz wird von E.G. Rodríguezverfolgt. Für sie umschreibt der Begriff Postkolonialismus »einBewusstsein und einen Zustand, der weiterhin über Spuren undEffekte kolonialer Geschichte den Alltag im Norden und imSüden bestimmen.« (Rodríguez 2000) Verwiesen sei des weiteren auf das Präfix »post«, was einerseitsdas zeitliche »nach« der formalen Dekolonisierung markiert,andererseits darüber hinausweisend in Verbindung mit anderenPhänomenen der Postmoderne und Globalisierung auf das

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veränderte Fortwirken von Machtverhältnissen im Hintergrunddes kolonialen Diskurses verweist (vgl. Bloedner 1998, 35).Post-Begrifflichkeiten bei Homi Bhabha verweisen auf ein»Darüber Hinaus«, auf die von den postkolonialen Subjektenbewohnten Zwischenräume an den Rändern der Moderne undihrer »großen Geschichte« [master narrative] der Einheitlichkeit.Postkoloniale Perspektive ist dann eine Perspektive von diesenRändern aus - den ehemals kolonialen Länder sowie vonMinoritäten (Migration, Diaspora) in der Welt (vgl. Bhabha 2000,6ff.).Weitere Diskussionen des Konzeptes, was denn nun alspostkolonial gelte, stehen im Zusammenhang mit einer Vielzahlunterschiedlicher Perspektiven und AkteurInnen despostkolonialen Feldes. Offen und stark diskutiert ist zum Beispielder Punkt, inwieweit es legitim ist, nicht nur postkolonialeKulturen zu analysieren, sondern auch die Kulturen derKolonisierenden. Ebenfalls umstritten ist die Frage, inwiefern»interne/innere Kolonien« wie Schottland, Wales und Irland imFalle von England/Großbritannien oder so genannte »whitesettler colonies« wie Kanada, Australien, Neuseeland und dieUSA, bei denen die »Opfer-Täter-Perspektive« komplex undabhängig vom Blickwinkel ist, ebenfalls einzubeziehen sind (vgl.ebd. 9ff.; Robinson 1997, 14). Daraufhin vergleicht dann Moore-Gilbert das schwer einzuschränkende Konzept postkolonialerKritik mit feministischer Kritik, die sich historisch und regionalnicht beschränken lässt und auf eine Vielzahl unterschiedlicherKontexte anwendbar ist (vgl. Moore-Gilbert 1997, 12). An dieserStelle sei auf diese Diskussionen eher als Hintergrund für dieweitere Auseinandersetzung mit dem Thema verwiesen, als einePositionierung oder Lösung unsererseits anzubieten.Die Definition von Moore-Gilbert liefert einen weiten, aber nichtbeliebigen Rahmen um das Feld postkolonialer Kritikabzustecken:

»(Post)colonial criticism can still be seen as a more or less distinct setof reading practices, if it is understood as preoccupied principally withanalysis of cultural forms which mediate, challenge or reflect upon therelations of domination and subordination – economic, cultural andpolitical – between (and often within) nations, races or cultures, whichcharacteristically have their roots in the history of modern European

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colonialism and imperialism and which [… ] continue to be apparent inthe present era of neo-colonialism.« (ebd.) Abschließend lassen sich die verschiedenen Ansätze postkolonialerKritik / Theorie, als »reading practices« verstanden (vgl. Robinson1997, 15) und mit der Aufgabe verbunden die essentialisierenden,totalisierenden und eurozentristischen Diskurse des »Westens« zuentlarven und zu dekonstruieren (vgl. Bloedner 1998, 38) wohl amehesten auf einen Nenner bringen.

Trotz des Hype um die Postcolonial Studies wäre es falschanzunehmen, dass sie sich im akademischen Bereich(4) bereitsetabliert hätten. Besonders aus verwandten Forschungsfeldernwird starke und häufig polemisch-feindselige Kritik artikuliert, dieder neuen Perspektive generell die Relevanz alswissenschaftliche Disziplin abspricht. Der Historiker RussellJacoby beispielsweise zweifelt an den interdisziplinärenAmbitionen der postkolonialen Theorie:

«As they move out from traditional literature into political economy,sociology, and anthropology, do the postcolonial theorists masterthese fields or just poke about? Are they serious students of colonialhistory and culture or do they just pepper their writings with referencesto Gramsci and hegemony?« (Jacoby 1995, 32)

Die Stärke und Anziehungskraft der Postcolonial Studies hat sichoffensichtlich im Laufe ihrer Entwicklung auch als zentrales(bisher noch ungelöstes) Problem herausgestellt. Die großeDehnbarkeit des Konzeptes, lässt befürchten, dass diepostkoloniale Form der Kulturanalyse aus Mangel anTrennschärfe (gegenüber benachbarten akademische Modi derKulturanalyse) in sich zusammenfällt. Kritik und Ablehnungbegleiten die Postcolonial Studies zwar schon seit ihrem erstenakademischen Auftreten, aber die zunehmende Intensität derAngriffe wirft Zweifel daran auf, ob sie sich als feste Größe inden Kulturwissenschaften etablieren können. Die Kritik aus den traditionellen kulturwissenschaftlichenDisziplinen ist teilweise sicherlich politisch motiviert(5) undteilweise auch das Resultat üblicher disziplinärer Konkurrenz.Aber darauf zu reduzieren ist sie nicht. Es gibt Berührungspunktezu Kritikern der postkolonialen Theorie, die auf demselben

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diskursiven Terrain anzusiedeln sind wie die postkolonialeTheorie selbst. Aus marxistischer Perspektive hat Aijaz Ahmadin seinem Werk In Theory: Classes, Nations, Literatures einegrundlegende Kritik am Konzept der postkolonialen Theorieformuliert, die die wesentlichen Kritikpunkte, welche auch vonanderer Seite hervorgebracht wurden, beinhaltet. Wir beziehenuns deshalb im folgenden Abschnitt auf die Kritik von Ahmad.Seine Kritik an der postkolonialen Theorie organisiert sich umvier Pole. Der erste Pol betrifft die Implikationen desinstitutionellen Ortes der RepräsentantInnen der postkolonialenTheorie. In diesem Zusammenhang müsse die postkolonialeKritik als Aktivität eine privilegierten Klassenfraktionmigrantischer Intellektueller gelesen werden, die mit denmateriellen Kämpfen in den Ländern der »Dritten Welt«(6) nichtszu tun hat (vgl. Moore-Gilbert 1997, 18). Nach Ahmadreproduzierten die postkolonialen TheoretikerInnen dieinternationale Arbeitsteilung der bestehenden kapitalistischenFormation auf wissenschaftlich-akademischer Ebene: Diekulturellen Ressourcen aus der »Dritten Welt« werden in diewestlichen Metropolen exportiert, um dort von Wissenschaftlernwie Edward Said zu Endprodukten veredelt zu werden. Dasvorwiegenden Zielpublikum dieser »Kulturproduktion« ist diekulturelle Elite in den Metropolen, teilweise wird das Ergebnisaber auch als »Theorie« in die Dritten Welt reexportiert. (vgl.ebd., 18). Ebenfalls unter diesen Kritikpunkt des institutionellen Ortes fälltdie Selbstwahrnehmung der postkolonialen KritikerInnen. Wennz.B. Said davon spricht, dass sich der »Kampf umDekolonisation (...) von den Peripherien ins Zentrum bewegt«(Said 1990, 30) hat, kommt darin für Ahmad eine unreflektierteSelbststilisierung zum Ausdruck:

»In solchen Formulierungen wird der ›Kampf um Dekolonisation‹ zueiner vornehmlich literarischen oder literaturwissenschaftlichenAngelegenheit, und die akademische Elite der Intelligenzija reklamiert– der verblüffenden Diskrepanz zwischen Fakten undSelbstwahrnehmung ungeachtet – für sich die Rolle der revolutionärenAvantgarde der ganzen Welt.« (Ahmad 92, 208).

In dieses Schema passt für Ahmad auch Saids Unterscheidung

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zwischen »kolonialen« und »postkolonialen« Intellektuellen. Saidbestimmt den »kolonialen Intellektuellen« als Nicht-Europäer, derwährend der kolonialen Periode aus der Perspektive kulturellereuropäischer Dominanz geschrieben und sich dabei mit dereuropäischen Kultur identifiziert hat. Den »postkulturellenIntellektuellen« unterscheidet vom »kolonialen« neben derhistorischen Zuordnung zur neokolonialen Epoche vor allem dieFähigkeit, gleichzeitig außerhalb europäischer Traditionen zustehen und (auch deshalb) die Waffen des kritischeneuropäischen Denkens besser zu beherrschen. In GrimmsParaphrase Saids: »Sie nutzten die einst exklusiv dem›Europäer‹ vorbehaltenen Techniken und Diskurse und wendetensie ›im Herzen der westlichen Metropole‹ gegen sie.« (Grimm1997b, 37) Ahmad kritisiert an dieser Unterscheidung dieperiodische Einteilung und wendet sich vor allem gegen dieBehauptung von Said, dass eine Kombination von »Third WorldOrigin« und »Metropolitan Location« (Said 1990, 29) heuteunbestreitbare Vorteile für den Kampf gegen Kolonialismus undImperialismus hätte – eine (Selbst)Einschätzung in derpostkolonialen Kritik, die laut Grimm weiterhin vorherrscht (vgl.Grimm 1997b, 38). Ein zweiter Pol der Kritik betrifft die Hierarchisierung, die lautAhmad der Wahl des Untersuchungsobjektes eingeschrieben ist.Der favorisierte Gegenstand in der postkoloniale Theorie sei derkoloniale Diskurs, d.h. die (imaginierte) Vorstellung derKolonisiererenden über das kolonisierte Territorium. NachAhmad hat diese selektive Auswahl zum einen die Konsequenz,dass dem kulturellen Kanon des Westens eine privilegiertePosition zugewiesen wird. Zum anderen verlagert es dieAufmerksamkeit, »from the facts of current neo-colonialism tothe less contentious area of fiction produced in the era of formalimperialism now safely past«. (Moore-Gilbert 1997, 19) NachAhmad präferiert die postkoloniale Theorie im Anschlusskonsequent die Texte der migrantischen Intelligenzija im Westenund nimmt sie als authentische Stimme des Volkes ihresHerkunftsland wahr. Was dabei außer Blick gerate, sind dieKlassenverhältnisse – sowohl in den Ländern der Dritten Welt,als auch zwischen den MigrantInnen der westlichen Metropolen.

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Theoretische Konzepte wie das der Hybridität von Bhabhaaffirmierten die privilegierte Position postkolonialer Intellektuelle(vgl. Grimm 1997b, 37). Der dritte Pol ist der methodische Bezugpunkt der postkolonialenTheorie. Said, Spivak und Bhabha verwenden praktischausschließlich methodische Ansätze aus der kritischen TheorieWesteuropas. Ahmad bewertet die Entwicklung derTheoriebildung in Westeuropa und den USA seit den 60erJahren äußerst kritisch. So habe sich die Theorie derakademische Linken vom vorherigen Gegenstand, denkonkreten sozialen Kämpfen abgewendet und den Fokus aufdas textuelle Engagement gelegt, welches »reading as theappropriate form of politics« (Ahmad 1992, 3) betrachtete. Indiesen Kontext platziert Ahmad konsequenterweise auch Saidspostkoloniale Analyse. Sie habe nichts mehr zu tun mit denwirklichen Befreiungskämpfen in der Dritten Welt (vgl. Moore-Gilbert 1997, 20).Der letzte Kritik-Pol ist das rhetorische Instrumentarium derpostkolonialen Theorie. Die Komplexität der Sprache wird alsSymptom für den Willen der postkolonialen Theorie gewertet,dass Forschungsfeld zu dominieren und dabei selbstunangreifbar zu werden. Es ist die Rede von »mystificatoryvocabulary« (Huggan 1989, 38), dass sich mit der methodischenBezugnahme auf den Poststrukturalismus in die Sprache derpostkolonialen Theorie eingeschlichen habe. Besonders derdekonstruktivistische Ansatz Spivaks und BhabhasHybriditätskonzept sind diesen Angriffen ausgesetzt.(7) Um dieKritik genauer einordnen zu können, werden wir im folgenden diewichtigsten Konzepte von Said, Spivak und Bhabha darstellen.

EDWARD SAIDS KONZEPT DES ORIENTALISMUS weiter / zurück

Durch Edward Saids Schlüsselwerk Orientalism wurde 1978 derRaum für die Colonial Discourse Analysis als akademischeRichtung innerhalb der Literatur- und Kulturtheorie eröffnet. Esgab zwar bereits zuvor Ansätze, die im nachhinein sicherlich indas Umfeld postkolonialer Kritik gerückt werden können (erwähntseien hier nur die Namen Frantz Fanon und Aimé Césaire), aber

(8) Diese (regionale)Differenzierung kommtFoucault als westlichenIntellektuellen nicht in denSinn. Seine genealogischenUntersuchungen der Machtsind sicherlich in Hinsicht aufdie Blindheit gegenüberinternationalenDominanzverhältnissen undden Effekten der

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sie konnten keinen vergleichbaren Feedback im akademischenBereich einleiten. »Erst mit Saids Buch richtete sich dasForschungsinteresse auf den orientalistischen beziehungsweiseden kolonialen Diskurs.« (Grimm 1997a, 39).Saids diskursanalytischer Ansatz in Orientalism geht davon aus,dass die beiden geographischen und kulturellen Pole »Orient« –»Okzident« und das binäre Verhältnis zwischen ihnen sozialkonstruiert sind. Kennzeichnend für den Diskurs über den Orientist erst einmal der Ort seiner (Re-)Produktion. Er ist in ersterLinie ein Text des Westens im Westen: »the Orient is an ideathat has a history and a tradition of thought, imagery, andvocabulary that have given it reality and presence in and forththe West.« (Said 1978, 5). Das bedeutet aber nicht, dass derdiskursive Orient nur ein Hirngespinst des Westens ohneReferenz auf der Ebene des Realen wäre. Said gibt zwar zubedenken, dass es eine Beziehung zwischen Orientalismus unddem »realem« Orient geben muss, schließt dieses Thema aberaus dem Untersuchungsfeld des Orientalismus aus. Was ihninteressiert, ist »the internal consistency of Orientalism and itsidea about the Orient (the East as career) despite or beyond anycorrespondence, or lack thereof, with ›real‹ Orient.« (Said 1978,5) Um sich diesem Gegenstand anzunähern, bedient sich Saidzweier theoretischer Konzepte. Zum einen übernimmt er dasMachtkonzept und den Diskursbegriff von Michel Foucault.Foucault distanziert sich in Sexualität und Wahrheit I von einemMachtbegriff, der in erster Instanz mit Unterdrückung undVerhinderung verknüpft ist. Auch wenn es diesen Machttyp nochgibt (Souveränitätsmacht), ist sie in den (nach)aufklärerischenGesellschaften (des Westens)(8) von anders operierendenMachtformen »kolonisiert«. Dort konzipiert Foucault Macht auchals ein »›impersonal‹ force operating through a multiplicity ofsites and channels, constructing what he calls a ›pastoral‹regime, through which it seems to control its objects by re(-)forming them, and in so doing, making them conform to theirplace in the social system as objects of power.« (Moore-Gilbert1997, 36). Darüber hinaus übernimmt Said Foucaults Argument,dass der Diskurs seine eigenen Wissensobjekte konstruiert und

den Effekten derasymmetrischeninternationalen Arbeitsteilungzu untersuchen.

(9) Nach Moore-Gilbertscheint Foucault dieentscheidende Quelle fürSaids unzulänglichen Begriffvon Widerstand zu sein, wasnicht immer ganznachvollziehbar ist. So meinter u. a. , dass Said in seinerpessimistischenFoucaultianischen Perspektiveannimmt, dass die Macht sichnur auf Seiten derKolonisiererenden befände.(Moore-Gilbert 1997, 51). EineLesart, die die Frage aufwirft,ob Said FoucaultsMachtkonzept fehlinterpretiertoder ob Moore-GilbertVorbehalte gegenüberFoucault hat.

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Macht erzeugt und wirken lässt (vgl. ebd.). Mit der macht- unddiskurstheoretischen Perspektive von Foucault kann Said denOrientalismus als einen spezifischen Macht-Wissens-Komplexbeschreiben, der den Orient als das »Andere« des Westenskonstruiert:

»Nimmt man das späte 18. Jahrhundert als grob umrissenenAusgangspunkt, so lässt sich Orientalismus als eine umfassendeInstitution für die Beschäftigung mit dem Orient diskutieren undanalysieren (...) Ohne Orientalismus kann man die unglaublichsystematische Disziplin nicht verstehen, mit Hilfe derer es dereuropäischen Kultur gelang, den Orient politisch, gesellschaftlich,militärisch, ideologisch, wissenschaftlich und imaginär in der an dieAufklärung anschließenden Epoche zu organisieren.« (Said 1978, 3)

Der zweite zentrale theoretische Bezugspunkt für Said ist dasHegemoniemodell von Antonio Gramsci. Said sieht in GramscisHegemoniekonzept vor allem ein geeignetes Modell, um dieDynamiken von Herrschaft und Subordination zu erfassen. Fürihn ist die Gramscianische Unterscheidung zwischen »civil andpolitical society« nützlich, weil sie es ermöglicht, den Ort derrepressiven Gewalt vom Ort der Konsensbildung zuunterscheiden. In diesem Zusammenhang stellt Said GramscisVerständnis von Hegemonie als kulturelle Definitionsmacht einersozialen Gruppe heraus und bezeichnet es als ein»indispensable concept for any understanding of cultural life inthe industrial West« (ebd., 7). Mit diesem Begriff versucht Saiddie Wirkungsmacht, Stabilität und Dynamik des kolonialenDiskurses zu erfassen:

»It is hegemony, or rather the result of cultural hegemony at work, thatgives Orientalism the durability and the strength I have been speakingabout so far (…). the major component in European culture iseprecisely what made the culture hegemonic both in and outsideEurope: the idea of European identitiy as a superior one in comparisonwith all the non-European peoples and cultures.« (ebd.)

Mit diesem theoretischen Werkzeug kann Said auf diebedeutungs- und realitätsstiftende Macht des kolonialenDiskurses hinweisen und die Asymmetrie des(Macht)Verhältnisses zwischen dem Westen und dem Ostenerfassen. Um zu verdeutlichen, wie tief seiner Ansicht nach die

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Vorstellung vom Orient im Denken des Westens verwurzelt ist,führt Said eine Unterscheidung zwischen »latentem« und»manifestem« Orientalismus ein. »Latent« bezeichnet in diesemZusammenhang die wesentliche Struktur des Diskurses, dasjedem westlichen Denken als binäres Trennlinie zwischen dem»Eigenen« und dem »Anderen« zugrunde liegt. Mit »Manifest«wird der differierende Ausdruck der Struktur, der an derOberfläche des Diskurses auftaucht, bezeichnet. Damit versuchtSaid die kulturellen Differenzen, die unterschiedlichenwissenschaftlichen und nationalen Traditionen etc. in den Griff zubekommen.Der literatur- und kulturtheoretisch neue Ansatz von Saidbereitete den Weg für eine breite Relektüre von literarischenTexten, Reiseberichten, akademischen Diskursen u.a. Siewurden nicht mehr alleine als Produkte des Kolonialismusgelesen, sondern als für den Prozess der Kolonisierung selbstkonstitutive diskursive Praktiken analysiert. Das förderte nachGrimm zwar &raqskursanalyse (post)kolonialer Texte inzwischenheftig umstritten. Das hängt stark zusammen mit einigenUnstimmigkeiten in dem Werk. Das betrifft zum einen die Frageder Homogenität des kolonialen Diskurses. Was für einenStellenwert haben in diesem Zusammenhang die nationalenDifferenzen der Kolonialmächte? Genauso ist ungeklärt,inwiefern es sinnvoll ist, nationale Traditionen und Geschichteals quasi-monolithische Blöcke zu betrachten, wie es SaidsWerk vorführt. Eine zweite große Unklarheit steckt in Saids Verständnis derhistorischen Entwicklung des kolonialen Diskurses. An manchenStellen scheint Said von wichtigen Brüchen in der historischenEntwicklung auszugehen. an anderen, vielleicht zentralerenStellen legt Said großen Wert auf die Kontinuitäten und dieinnere Kontingenz des Diskurses. Die zweite Lesart legt z.B. einZitat aus dem einleitenden Teil von Orientalismus nahe, dassGrimm zum Beleg für ihre Kritik an dem totalisierenden undstatischen Begriff des Orientalismus anführt (vgl. ebd.). Dort wirdOrientalismus definiert als »Denkweise, die auf einerontologischen und epistemologischen Unterscheidung zwischen›dem Orient‹ und (in der Regel) ›dem Okzident‹ beruht (...)

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Dieser Orientalismus ermöglichst es, Aischylos beispielsweisemit Victor Hugo und Dante mit Karl Marx zusammenzubringen.«(Said 1978, 3). Besonders folgenreich erscheint die Einführung derUnterscheidung zwischen »latentem« und »manifestem«Orientalismus, legt sie doch nahe, dass die einzelnen manifestenDifferenzen nichts an der grundlegenden Struktur des Denkensim Westen verändern, denn in letzter Instanz ist immer dieStruktur determinierend. Die Härte der Kritik an demessentialistischen, strukturalistischen Impetus ist stark davonabhängig, wie der hoch der Stellenwert dieser Unterscheidungfür das Gesamtwerk eingeschätzt wird. Stellt sie einegrundlegende Säule von Saids Konzept dar oder ist sie eher als(sicherlich kritikwürdiges) Anhängsel zu betrachten? Eine weitere unstimmige Annahme von Said betrifft seineTrennung zwischen den europäischen KolonialmächtenFrankreich und Großbritannien und dem europäischen Rest.Besonders im Hinblick auf die imperialistische VergangenheitDeutschlands ist Saids Trennung nicht ganz schlüssig. Erschließt Deutschland explizit aus seinen Betrachtungen zu demThema aus mit der Begründung, dass Deutschland keineWeltmacht gewesen wäre und deshalb auch keine nationalenInteressen im Orient gehabt hätte (vgl. Said 1978, 19; Moore-Gilbert 1997, 46).Von feministischer Seite wird sein Bezug auf die Rolle derGeschlechterverhältnisse für die Konstitution das kolonialenDiskurses häufig als inadäquat betrachtet (vgl. dazu. Moore-Gilbert 1997, Endnote 60, 213). Kritisiert wird seine Annahme,dass die kolonialen Texte die Beziehung zwischen der»eigenen« und der kolonisierten Kultur geschlechtsneutral bzw.männlich konzipieren würde. Außerdem wird in Frage gestellt, obdie Kolonistinnen wirklich eine so unbedeutende Rolle gespielthaben, wie die Abwesenheit von Autorinnen undWissenschaftlerinnen in Saids Betrachtung vermuten lässt oderob die Privilegierung von Texten männlicher Autorenschaft nichtSaids (männlichen) Blick geschuldet ist. Auch wird die impliziteAnnahme Saids, dass die westlichen Frauen in den Kolonieneinfach als stille Mittäterinnen zu betrachten wären,

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problematisiert. Es wird nahe gelegt, dass aufgrund derErfahrung geschlechtsspezifischer Unterdrückung die Haltunggegenüber der Ideologie des Imperialismus ambivalentergewesen wäre, eine differenziertere Betrachtung angebrachtwäre.Die Beurteilung der Frage nach der inneren Kontingenz undhistorischen Beständigkeit des Diskurses und der Stellenwertdes latenten Orientalismus hat starke Konsequenzen auf dieMöglichkeit des Widerstandes gegen die herrschende Ordnungund das bestehende hierarchische Repräsentationssystem.Muss davon ausgegangen werden, dass Said ein totalisierendesKonzept vorschwebt, »die den orientalistischen Diskurs mit»Europa«, dem »Westen«, dem »europäischen Wissen«insgesamt identifizierte« (Grimm 1997a, 40) wie Grimm nahelegt? Dann wäre Widerstand eher als Randerscheinung zusehen und seine Wirkungsmächtigkeit äußerst begrenzt. FürMoore-Gilbert ist Saids beschränkende Konzeptionalisierung desWiderstandes in Orientalism stark verknüpft mit seinertheoretischen Präferenz von Foucault und dessen Verständnisvon Macht und Diskurs.(9) Die Wahrnehmung von Widerstand inden imperialistischen Zentren bleibt nach Moore-Gilbertjedenfalls ungenügend. Dass auch der Widerstand in denkolonisierten Ländern für Said keine größere Rolle spielt, dürfteanhand seines definitorischen Ausschlusses des »realen« Orientnicht verwundern. Auch wenn Moore-Gilbert diese Tendenzen in Teilen von SaidsWerk sieht, präsentiert er noch eine zweite, alternative Lesart.Es sei ein Missverständnis, so Moore-Gilbert, in Saids Werküberhaupt keine Zeichen von Widerstand zu entdecken. Dasließe sich ins Besondere im Hinblick auf Saids weitere textlicheProduktion sagen, in denen er insgesamt einen größeren Teilseiner Aufmerksamkeit der nicht-westlichen kulturellenProduktion widmet. In der Essaysammlung Culture andImperialism (1993) erkennt Said in weit höherem Ausmaße dieWirkungen des metropolischen Widerstandes genauso wie dieFormen des Widerstandes von den globalen Rändern an (vgl.Moore-Gilbert 1997, 64). Mit dem Fokus auf migrantische undexilierte Intellektuelle schlägt Said eine Brücke zwischen beiden

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Polen. Die Figur des Migranten ist bei Said versehen mit eineroppositionellen Grundhaltung und durch seine transkulturellePosition in der Lage, nicht wie eine große Menge derIntellektuellen in der Dritten Welt in die theoretischenSackgassen zu geraten. Saids Abfeiern der kritischenIntellektuellen mit Peripherie-Ursprüngen ist allerdings auchwieder problematisch (vgl. Grimm 1997b, 37). Insgesamt bleibtes unklar, ob Widerstand von Said als Randerscheinungbetrachtet wird oder ein Faktor für die spezifische Ausformungdes (post)kolonialen Diskurses) spielen kann. Trotz dieser Unstimmigkeiten bezüglich Homogenität desDiskurses, Geschlecht und Widerstand, muss Saids Interventionin das akademische Fell anerkannt werden. Eine der wichtigstenFragen, die mit dem Erscheinen von Orientalism erst auf dieTagesordnung der Kulturwissenschaften kam und damit dasakademische Feld für die postkoloniale Theorie geöffnet hat, istdie nach der Repräsentierbarkeit kultureller Differenzen ohne inessentialistische Identitätsmodelle zurückzufallen und ohne dieverschiedenen Kulturen als beliebig austauschbare Dinge zuhandeln.

GAYATRI SPIVAK – SILENCING THE SUBALTERN weiter / zurück

Wenn in dem kleinen Rahmen von sechs Seiten Text einAusschnitt aus Spivaks Beitrag zur postkolonialen Theorievermittelt werden soll, muss die Darstellung sich auf zwei derwesentlichen Bestandteile beschränken: dendekonstruktivistischen Ansatz und ihrer Konzeptionalisierung derSubalternität.(10)

Der Versuch, Spivak einer bestimmten theoretischen »Schule«zuzuordnen, stellt sich dar als quasi unlösbare Aufgabe. Das istsicherlich darauf zurückzuführen, dass sie selbst es ablehnt,einer bestimmten politischen master-narrative den Vorzug zugeben. Es spricht natürlich einiges dafür, die englischeÜbersetzerin von Derridas Of Grammatology (1967, übersetzt1976) dem Dekonstruktivismus zuzuordnen, was ihrem eigenenSelbstverständnis allerdings nicht entspricht. Auch wenn sie dengroßen Einfluss von Derrida auf ihre eigenen theoretische

(10) Für einen umfassenderenEinblick in SpivaksEntwicklung auf theoretischerEbene sei das Kapitel zuSpivak in Moore-GilbertsPostcolonial Theory (S. 74-113) empfohlen.

(11) Der positive Bezug aufeinen strategischenEssentialismus wird vonunterschiedlicher Seite geteilt(vgl. Rodríguez 2000, Lorey1998,108, Butler.1997, 378).

(12) Der Aufsatz Fallstrickedes Feminismus vonRodríguez ist im Kontextdieser Hausarbeit besondersinteressant, weil sie zum einenauf die Postkolonialität desdeutschsprachigen Raumesbesteht und zum anderenplausibel erklärt, wie dievorherrschendeeindimensionale Rezeptionder Texte der postkolonialen

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Ausrichtung in In Other Worlds bestätigt, meint sie an in einemInterview: »Iʼm not a deconstructivist.« (Spivak 1995, 308). Weitere wesentliche theoretische Einflüsse kommen aus derfeministischen, der marxistischen und der psychoanalytischenTheorie. Spivak deshalb als »feminist Marxist deconstructivist«(Colin McCabe in Spivak 1988c, ix) zu bezeichnen ist sicherlichnicht falsch, trägt aber die Implikation, dass Spivak ihreverschiedenen Einflüsse systematisch zu einer eigenenkonsistenten Form der Kulturanalyse verbinden wollte, alsSchönheitsfehler. Spivak besteht darauf, dass für Kritik »theabsence of a totalizable analytic foothold« (Zitat in Moore-Gilbert1997, 79) notwendig ist, was (wenigsten teilweise) deneklektischen Stil ihrer Arbeiten erklärt.Was Moore-Gilbert als wichtigen positiven Unterschied zu Saidund Bhabha herausstellt (neben weiteren Differenzen zwischenSpivaks und Saids Perspektive, denen hier nicht weiternachgegangen werden kann), ist die Anerkennung der»ambiguities of her own position as privileged Western-basedcritic of (neo-)colonialism.« (Moore-Gilbert 1997, 77). Dasbedeutet weiter, dass Spivak nicht annimmt, dass es einenobjektiven, unkontaminierten Platz außerhalb der Analysemodiund -objekte gibt, zu dem die RepräsentantInnen derpostkolonialen Theorie (durch persönliche Erfahrung undkulturelle Wurzeln) einen privilegierten Zugang hätten.

Auch wenn sich Spivak selbst nicht der dekonstruktivistischenTheorie zuordnet, ist ihre Anwendung derselben doch einzentraler Bestandteil ihrer textuellen Praxis. Sie betrachtet zumeinen die dekonstruktivistische Perspektive als eine möglicheForm der negativen Wissenschaft [negative science], der esnicht darum geht, die objektive, allgemeingültige Wahrheit einenTextes zu stützen, sondern im Gegenteil, den Blick auf die(unausgesprochenen) Annahmen, Strategien und rhetorischenElemente zu lenken, die die Macht eines Quelltextes herstellenund aufrecht erhalten. Methodisch bedeutet das, gegen dieTextlogik und –oberfläche zu lesen, die Präsuppositionenherauszustellen – in Spivaks Worten – ›katachretisch‹vorzugehen.

Theorie als britisches und US-amerikanisches Importgut »zueiner Missrepräsentanz bzw.Unsichtbarmachung derStimmen in derBundesrepublik [führt], die ihrekünstlerischen, theoretischenund politischen Arbeiten imRahmen der deutschen undeuropäischenKolonialgeschichte setzten.«(Rodríguez 2000)

(13) Die scharfe Kritik anFoucault hat Spivak inspäteren Schriften revidiert.An der Kritik der Figur deskritischen Intellektuellen, deram »silencing process«beteiligt ist, ändert das nichts.

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Mit dem zweiten Faden verfolgt Spivak die Absicht,Dekonstuktion als »affirmative mode« anzuwenden. Das heißt inanderen Worten, dass sie der dekonstruktivistischen Praxis einepolitisierende Funktion (»the potential to act in a number ofpolitically enabling ways«; Moore-Gilbert 1997, 85) zuschreibt.Die Perspektive hat ihrer Meinung nach das Potential,exkludierte und marginalisierte soziale Gruppen kenntlich zumachen und kann damit einen Teil zu deren »coming to voice«bzw. Befreiung beitragen.Parallel zu ihrer Aufmerksamkeit für das Ausgeschlossene undIgnorierte, das einen Text in die Lage versetzt als kohärente undautoritative Erzählung zu funktionieren, liegt ihr Fokus auf der Artund Weise, wie eine dominierende soziale Gruppe es schafft, ihrInteresse zu hegemonisieren. Mit diesem Vorgehen ist SpivaksAnliegen verbunden, das Binärsystem, auf welchem die Machtder hegemonialen Diskurse basiert, zu subvertieren. Für Spivak ist der Kampf gegen bestehende Machtverhältnisseauch immer mit der Gefahr verbunden, dass die Normen undWerte, die den alten (kolonialen) Diskurs gestützt haben, inirgendeiner Weise im Gegendiskurs wieder auftauchen. Indiesem Zusammenhang taucht einer ihrer Schlüsselbegriffe»repetition-in-rupture« auf. Die Bezeichnung »repitition-in-rupture« versucht die Aufmerksamkeit auf die Feststellung zulenken, dass die bloße Umpolung des dominanten Diskurses ihnnicht aufhebt und in seiner binären Logik gefangen bleibt. DiePole würden zwar ausgetauscht, das ändere aber nichts daran,dass sie sich weiterhin als Gegensätze gegenüberstünden. InBezug auf die Postkolonialität ist es als Hinweis auf die Gefahrder ethnozentrischen Umkehrung zu verstehen, die z.B. dieBegriffe »Okzident« und »Orient« beibehält, sie nur »umpolt«und umwertet. Dem Schritt der Umpolung muss der Schritt derAblösung der opponierenden Begriffe folgen: »Without thesupplementary distancing, a position and its counter-position (...)will keep legitimzing each other« (Spivak 1988c, 250)Wieso trotzdem nicht davon gesprochen werden kann, dass sichSpivak dem Dekonstruktivismus verschrieben hätte, zeigt sichbeispielhaft an ihrem Verhältnis zu den historiographischenArbeiten der Indian Subaltern Studies Group. So kritisiert sie auf

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der einen Seite deren Konstruktion einer subalternenSubjektivität, die voraussetzungslos subversiv und widerständigist. Ebenso problematisch empfindet sie die Annahme der Group,dass eine Identität der Subalternen existiert, die unabhängig,d.h. außerhalb der kolonialen Diskurse und Praktiken steht.Trotz dieser grundlegenden Kritik entschuldigt sie den »cognitivefailure« der Gruppe. Zum einen wegen deren wichtigen Betrag,eine Geschichte der marginalisierten sozialen Gruppen in derDritten Welt zu schreiben, die in den nationalistischenStandardwerken nicht auftauchen. Zum zweiten schlägt Spivakvor, die Essentialisierung der subalternen Identität alsnotwendige theoretische Erfindung (»necessary ›theoreticalficiton‹«) zu begreifen. In einem der meist zitiertesten AussagenSpivaks meint sie: «I would read it, then, as a strategic use ofpositivist essentialism in a scrupulously visible political interest.«(Spivak1988c, 202)(11) . Spivaks Intention hinter dem Konzept des strategischenEssentialismus ist häufig missverstanden worden alsDistanzierung von ihrem antiessentialistische,dekonstruktivistischen Ansatz. Ihrer eigenen Einschätzung nachwurde es teilweise interpretiert als »a union ticket. foressentialism. As to what ist meant by strategy, no one wonderedabout that.« (Spivak 1993). Auf theoretischem Level bleibtSpivak bei ihrer ihrer antiessentialistischen Haltung: »One mustnevertheless insist that the colonized subaltern subject isirretrievably heterogenous.«Die Figur der »Subalternen« spielt für Spivaks theoretischeArbeiten eine zentralen Rolle. Spivak übernimmt diesen Begriff(in Anlehnung an die Indian Subaltern Studies Group) vonGramsci. Gramsci bezeichnete mit diesem Begriff in erster Liniebesitzlose Landarbeiter und das städtische Proletariat in Italien.Spivak erweitert und aktualisiert die Reichweite des Begriffes. Indem Essay Can the subaltern speak? versucht sie mitSubalternen vor allem die marginalisierten sozialen Gruppen zubezeichnen, die auf der sozialen Skala noch tiefer verortetwerden und damit aus der Geschichtsschreibung (sowohl derKolonisierer als auch der Kolonisierten) praktisch herausfallen.Der Fokus ihrer Analyse fällt dabei auf die Subjektposition der

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weibliche Subalternen, die nach Spivak von einer zweifachenMarginalisierung gekennzeichnet ist, die der ökonomischenBenachteiligung und die der geschlechtlichen Unterordnung (vgl.Moore-Gilbert 1997, 80). Spivaks Bezug auf die Subalternität lässt sich am Besten anhanddes Essays Can the subaltern speak? skizzieren. Hierinuntersucht sie die Beziehung zwischen westlichen Intellektuellenund Subalternen (Frauen) in der dritten Welt. Anders gesagt: Esgeht ihr um die Frage, wie das Subjekt der dritten Welt imDiskurs des Westens repräsentiert ist (vgl. Spivak 1988, 271).Haben subalterne Frauen der dritten Welt im kritischenIntellektuellen des Westens ein Sprachrohr, das sie unverfälschtdarstellt und vertritt? Spivak würde diese Frage wohl mit einem eindeutigen »Nein«beantworten. So ist auch der abschließende, häufigfehlinterpretierte Satz des Essays – »The subaltern cannotspeak.« (Spivak 1988, 308) zu verstehen. Rodríuez, betont, dassSpivak damit nicht sagen will, dass »die »subalterne Frau« nichtsprechen könne, sondern sie zielt vielmehr ab auf dieVerhinderung dieses Sprechens durch die Wissensproduktiondes Intellektuellen.«(12) (Rodrígez 2002)Die Figur des kritischen westlichen Intellektuellen wird in demEssay repräsentiert von den Poststrukturalisten Foucault(13) undDeleuze. Beide unterzieht Spivak einer starken Kritik. Das zieltzum einen auf deren Ignoranz gegenüber der globalen Situationder internationalen Arbeitsteilung. Durch die Privilegierunglokaler Konflikte und mikropolitischen Formen des Widerstandes,geraten den Poststrukturalisten die globalen Zusammenhängeaus dem Blick, so Spivak. Letztendlich verleitet dieNichtanerkennung ideologietheoretischer Annahmen zu einerPerspektive, welche die Marginalisierten als klassisch-humanistische Subjekte konstruiert, die widerständig und ihrerLage voll bewusst sind. »In the name of desire, they reintroducethe undivided subject into the dicourse of power.« (Spivak 1988,274). Diese Argumente gegen Foucault und Deleuze zielen insgesamtgegen das weit verbreitete Verständnis des »offiziellenIntellektuellen«, das die gesellschaftliche Funktion des

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Intellektuellen nicht ausreichend reflektiert. Rodríguez zeigt denMangel dieser Vorstellung auf:

»Anzunehmen, dass Mitglieder aus subalternen Gruppen genauso dengleichen Zugang zur Erklärung zur Erklärung und Interpretation vonWelt wie »offizielle Intellektuelle« hätten, hieße daher, so Spivak, diegeopolitischen asymmetrischen Beziehungen zu verkennen.«(Rodríguez 2000)

Der theoretische Teil am Beginn des Essays wird ergänzt durchzwei historische Verweis auf Indien, an denen diese Problematikder Repräsentation verdeutlicht wird. Im ersten davon (und demeinzigen, der hier herausgegriffen wird) geht es um ist die Praxisder Witwenverbrennung (sati) im von England kolonisiertenIndien des 19. Jahrhunderts. Die Situation war nach Spivakgekennzeichnet von Machtkämpfen und ideologischeAuseinandersetzungen zwischen der einheimischen Elite undden britischen Kolonisierer. Hierbei wurde die Selbst-Opferungder verwitweten Frauen von den nationalen Eliten mit demVerweis auf das Einverständnis und den freien Willen derBetroffenen gerechtfertigt. Die britische Kolonialmacht imGegenzug legitimierte nach Spivak ihr Verbot der Selbstopferungmit dem Argument der Befreiung der Frauen im Zuge derDurchsetzung einer modernen gesellschaftlichen Ordnung nachwestlichem Vorbild. Nach Spivak ist es für die subalternenFrauen dieses Diskurses unmöglich, ihre Stimme zu erhebenohne von einer der beiden Seiten vereinnahmt zu werden.Was inCan the subaltern speak? deutlich wird, ist Spivaks Skepsisgegenüber allen Vorstellungen, die Bündnis- undRepräsentationspolitik zwischen wohlwollenden westlichenIntellektuellen und Akteuren in den ehemaligen Kolonien als»einfach« und »selbstverständlich« betrachten. In diesemKontext sind auch Spivaks Vorbehalte gegenüber manchenPositionen des westlichen Feminismus zu verorten. Spivak stelltsich gegen jeden »selbstverständlichen« universellenVertretungsanspruch. Westliche Feministinnen müssen ihreprivilegierte Stellung als Vertreterinnen der Interessen vonFrauen überdenken, besonders wenn andere sozialeDifferenzierungsmechanismen, wie z.B. »Rasse« eine Rollespielen (vgl. Moore-Gilbert 1997, 93).

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Das Konzept der Subalternität von Spivak hat nach Moore-Gilbert mit einigen immanenten Problemen (Spivaks eigene›repetions-in-rupture‹) zu kämpfen, die den interventionistischenImpetus ihrer Arbeiten teilweise paralysieren.. Die Problematikliegt in erster Linie in dem unklaren Status der Subalternität inSpivaks Werk. Spivak schwenke zwischen auf der einen Seiteder Vorstellung von Subalternität als dem ganz Anderen, demdiskursiven Außen. Auf der anderen Seite betrachte sieSubaltere als reale historische Kategorie. Besonders der erstenKonzeptionisierung schreibt Moore-Gilbert die paralysierendeWirkung zu, während die zweite seiner Meinung nach eine vieloptimistischere Ausstrahlung hat, da sie die Bündnismöglichkeitmit Subalternen nicht ausschließt (Moore-Gilbert 1997, 103). EinUrteil, dass vielleicht etwas voreilig gefällt ist und Spivaksdekonstruktivistischer Perspektive nicht ganz gerecht wird. Wenn subaltern als nur reale historische Größe verstanden wird,geht ihm der negative Gehalt (das, was im herrschenden Diskursnicht repräsentiert wird) verloren und er wird zu einer reinpositiven, statistischen Kategorie. Damit würde Spivaks Konzeptselbst in die Nähe eine universalistischen Theorie des Sozialengeraten, die von sich annimmt, die Gesellschaft als Ganzeserklären und erfassen zu können. Wenn Subalternität aberdarüber hinaus auch als diskursives Außen verstanden wird,eröffnet sich am Rand des Diskurses ein Feld politischerHandlungsfähigkeit. Subalternität ist keine Tatsache, sondern einumkämpftes politisches Terrain. In dem Sinne ist subalterneSubjektivität ein unmöglicher sozialer Ort. Als politischeKategorie strebt sie immer über sich hinaus. Denn: »If thesubaltern can speak, then, thank God, the subaltern is notsubaltern any more.« (Zitat in Moore-Gilbert 1997, 107).

Spivaks Texte haben die postkoloniale Theorie um einenfeministisch-dekonstruktivistischen Blickwinkel bereichert. Siewirft in ihren Arbeiten die Frage auf, wie Subalterne repräsentiertwerden können, ohne vereinnahmt oder instrumentalisiert zuwerden. Wie können sie dargestellt werden ohne als dasDifferente essentialisiert oder als das Gleiche homogenisiert zuwerden? Spivaks Arbeiten fordern eine weit höhere

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Berücksichtigung der eigenen sozialen Position undZugehörigkeit im Feld der postkolonialen Kritik als es in derpolitischen und akademischen Praxis gängig ist. Der vielleichtwichtigste Beitrag von Spivak zur Postkolonialität ist in ihremVersuch zu sehen, die subalterne Frau anzuerkennen undanzuhören ohne sie westlichen Normen, Historien oderWissensregime unterzuordnen.

HOMI BHABHAS KONZEPT DER HYBRIDITÄT weiter / zurück

Das folgende Kapitel zu Homi Bhabha wird wie bereits dievorangegangen zu Said und Spivak in seiner Kürze denverschiedenen Arbeiten Bhabhas nur ausschnittsartig gerecht.Ausgehend von Bhabhas Erweiterung der kolonialenDiskursanalyse mit seiner antiessentialistischen Auffassungkultureller Differenz werden wir uns auf seine Konzepte vonHybridität(14) und Mimikry und dabei besonders auf seineKonzeptionalisierung von Handlungsfähigkeit [agency]konzentrieren.Bhabha ist in seiner Beschäftigung des kolonialen Diskursesweder allein an den Bildern kolonialer Stereotypen interessiert,noch möchte er diese als falsch korrigieren, vielmehr richtet sichsein Fokus auf die Mechanismen bei der Entstehung dieserBilder bzw. Stereotypen sowie die Ambivalenzen innerhalb deskolonistischen Diskurses (Moore-Gilbert 97, 117). In Bezug aufdie wechselseitige Identitätskonstruktion in Abgrenzung zum»Anderen« sowie durch den Blick »des Anderen« kombiniertBhabha poststrukturalistische/dekonstruktivistische Ansätze(Derrida, Focault) sowie psychoanalytische Ansätze (Fanon,Freud, Lacan). So stellt er z.B. eine Analogie zwischen FreudsFetisch-Modell und seinem Stereotypenkonzept her.

»Der Fetisch – oder das Stereotyp – gewährt Zugang zu einer›Identität‹, die ebenso sehr auf Herrschaft und Lust wie auf Angst undAbwehr basiert: in seiner gleichzeitigen Anerkennung und Ableugnungder Differenz stellt er eine Form von multiplem und widersprüchlichemGlauben dar. Dieser Konflikt zwischen Lust/Unlust, Herrschaft/Abwehr,Wissen/Verleugnung, Absenz/Präsenz hat für den kolonialen Diskurseine fundamentale Bedeutung.« (Bhabha 2000, 110)

(14) Für Diskussionen undAnmerkungen zumHybriditätskonzept vonBhabha danken wir SvenBergmann.

(15) Grimm bezieht sich aufM.Bachtin (1979) Die Ästhetikdes Wortes. Frankfurt amMain. S. 244

(16) Moore-Gilbert beziehtsich hier auf: Terry Eagleton(1994) Goodbye to theEnlightment. In: Guardian08.02.94

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Durch diese uneinheitlichen Reaktionen der Kolonisierenden auf»das kolonisierte Andere« wird also die Identität und Autoritätder Kolonisierenden gebrochen. Dies äußert sich ebenfalls inden stereotypen Bildern und kolonialen Repräsentationen »desAnderen«:

»Der Schwarze ist Wilder (Kannibale) und doch zugleich dergehorsamste und ausgezeichnetste aller Diener (der Verwalter derNahrung); er ist die Verkörperung zügelloser Sexualität und dochunschuldig wie ein Kind; er ist mystisch, primitiv und einfältig und dochder gewandteste und meisterhafteste Lügner und Manipulator sozialerKräfte.« (ebd., 122)

Dtät ist die in den kolonialen Diskurs eingeschriebeneAmbivalenz, die eine klare binäre Opposition zwischenKolonisierenden und Kolonisierten durch das gegenseitigeBegehren auflöst oder untergräbt. Sie ist eine dialogischeKonfrontation, eine Subversion des kolonialenHerrschaftsdiskurses. Hybridität ist hier aber nicht – wie in z.B.einigen kulturwissenschaftlichen Theorien – als Kreolisierungoder Vermischung verschiedener kultureller Einflüsse zuverstehen. Bhabha betont die Unvereinbarkeit kulturellerDifferenz und grenzt dieses Konzept von ethnozentristischen undpluralistischen Konzepten kultureller Diversität und Identität ab.

»(P)ostmodern vision of cultural synthesis or bricolage is too close inits political implications, for Bhabhaʼs liking, to dominant mainstreamdiscourse of multi-culturalism and cultural relativism. Both of these indifferent ways, seek to minimize the challenges posed by culturaldifference in order to preserve the ʻorganistic‹ mythology of the ʻhost‹community or nation.« (Moore-Gilbert, 1997, 125)

Auch wenn Ethnopluralismus und Multikulturalismusunterschiedliche politische Implikationen im Umgang mitDifferenz verfechten, beruhen beide in ihrer Grundannahme aufeiner unterstellten Essenz von Kultur oder kultureller Identität,die es nach Bhabhas anti-essentialistischer Argumentation nichtgibt.

»Der Mythos des historischen Ursprungs – ethnische Reinheit,kultureller Erstanspruch –, der in Verbindung mit dem kolonialenStereotyp produziert wird, resultiert in der »Normalisierung« der

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multiplen Überzeugungen und gespaltenen Subjekte, die als Folgedes Verleugnungsprozesses den kolonialen Diskurs konstituieren.(Bhabha 2000, 109)

Kulturelle Differenz, im Sinne von Kultur als Äußerung, stellt einprozessuales Modell von Kultur dar, diese ist »stärker dialogischangelegt und versucht, De-Plazierungen und neue Allianzenauszumachen, die ihrerseits die Auswirkung kulturellerAntagonismen und Artikulationen sind« (ebd. 265). Dadurch kannsie die Hegemonie schwächen und »eine Neubestimmungalternativer, hybrider Orte der kulturellen Verhandlung« (ebd.)vornehmen. Kultur als Äußerung meint die unabgeschlosseneProduktion von Bedeutung [signification], die sich ausunvereinbaren Forderungen zusammensetzt. Zum einen stütztsich Bhabha hierbei auf Michail Bachtins Romantheorie derMehrsprachigkeit sowie Dialogizität. Diese fasst Grimm mit denWorten Bachtins als »Aufeinandertreffen zweier verschiedener,durch die [...] sozialen Differenzierungen [...] geschiedenersprachlicher Bewußtseine in der Arena der Äußerung« (Grimm97,42)(15) zusammen. Zum anderen bezieht Bhabha sich aufpoststrukturalistische Begrifflichkeiten, nach denen Bedeutungeninstabil, verschieden und »gleitend« sind. Politik findet im»Zwischenraum« kultureller Äußerung statt und die»Äußerungspraxis« wird durch Reartikulation, Neueinschreibung,Übersetzung und Verhandlung von kultureller Bedeutung zurbefreienden diskursiven Strategie (vgl. Bhabha 58, 265f.).Identität wird damit Sache von Konflikt bzw. Verhandlung[negociation]. Mit dem Aspekt der dialogischen Konfrontationbzw. dem Moment der Subversion innerhalb des kolonialenDiskurses wird die Demaskierung und Unterminierung kolonialerAutorität möglich (vgl. Grimm 1997, 41). Im Vergleich zu Saidund Spivak konzeptionalisiert Bhabha somit subalterneHandlungsmacht/-fähigkeit. Diese und erneut die Ambivalenz zwischen Abgrenzung undIdentifikation innerhalb des kolonialen Diskurses veranschaulichter an Mimikry [Nachahmung] als weiterem Konzept. Soverdeutlicht Mimikry die koloniale Dominanz, dassKolonial«herren« und ihre »Kultur« von den Kolonisierten kopiertwerden (sollen), gleichzeitig aber die Spiegelung mit »dem

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Anderen« auch zur eigenen Identitätskonstruktion brauchen.Somit repräsentiert Mimikry den »ironischen Kompromiß«kolonialen Begehrens »nach einem reformierten, erkennbarenAnderen als dem Subjekt einer Differenz, das fast, aber dochnicht ganz dasselbe ist.« (Bhabha 2000,126, Hervorhebung imOriginal) Gleichzeitig werden die Kolonialisierten hierhandlungsfähige Subjekte, indem sie kopieren, dadurch aberauch Verzerrungen entstehen. Mimikry kann dann auch als»Form strategischer Kriegsführung für Unterlegene, die eineAmbivalenz des kolonialen Diskurses zur Alltagslist derIrreführung, Täuschung und Tarnung für sich ausnutzen.« (Ha1999, 132) gelesen werden. Ob nun Mimikry verstanden alsStrategie kolonialer Kontrolle, oder als Strategie kolonisierterTarnung, Bhabhas Darstellungen fehlen überzeugendeempirische Beispiele zur Effektivität dieser. Zudemkonzeptualisiert sich das Politische nicht im öffentlichen Raummaterieller Beziehungen des Kolonialverhältnisses, sondern eherim unbewussten »Zwischenraum« (vgl. Moore-Gilbert 1997,130)So ist fraglich inwiefern diese Auffassung vonHandlungsfähigkeit als politische Mobilisierungsstrategie geltenkann (vgl. ebd. 133). An diesem Punkt setzt die allgemeine Kritik an BhabhasAnalysen an. Durch seinen Fokus von Widerstand auf dersymbolischen Ebene vernachlässigt er konventionelle Formenvon Widerstand (bewaffnet, ziviler Ungehorsam, demokratischeOpposition etc.) sowie Unterschiede innerhalb kolonialerKontexte, wodurch seine Analyse als ahistorisch kritisiert wird.Zudem problematisch ist Bhabhas unkritische Übertragungpsychoanalytischer Theorien auf postkoloniale Situationen. Sowerden die oftmals rassistischen Vorannahmen von Freuds undLacans Konzepten, die u.a. von Spivak und Fanonproblematisiert wurden, von Bhabha nicht thematisiert (vgl. ebd.,141ff.). Weitere »blinde Flecken« für die er kritisiert wird, sind diefehlende Beachtung von Gender, Klasse sowie kolonialen undmateriellen Machtunterschieden. Hinsichtlich letzterem führtMoore-Gilbert vor allem Terry Eagletons Kritik an:»One isallowed to talk about cultural difference, but not – or not much –about economic exploitation.« (Moore-Gilbert 1997, 148)(16)

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Dem Vorwurf Bhabha textualisiere Politik, schließt sich Moore-Gilbert nur bedingt an, da Textualität oder kulturelle Praxisgleichwertig politisiert und somit nicht nur die öffentliche Sphäreals politisch betrachtet wird (vgl. ebd., 139). Entgegen der ebenaufgeführten Kritik sei abschließend noch mal auf BhabhasErweiterung politischer Handlungsfähigkeit und die Stärke seinerdialogischer Lesart des kolonialen Diskurses verwiesen:

»Seine [Bhabhas] Art Widerstand innerhalb des kolonialen Diskurseszu lesen, bezieht sich auf die Möglichkeit der Entstellung desKolonialdiskurses im Prozeß der Kolonialisierung selbst [...] Durchdiesen Perspektivwechsel wird der koloniale Diskurs nicht mehrausschließlich als diktatorischer Monolog aufgefasst, der die Machtdes kolonialen Apparates totalisiert, indem er auf der einen Seiteabsolute soziale Kontrolle und auf der anderen Seite vollständigeUnterordnung des Kolonialisierten unterstellt.« (Ha 1999, 129)

Problematisch bzw. offen bleibt die Frage, inwiefern Widerstandpraktisch möglich ist und aktiv gestaltet werden kann. DieseFrage hat sich in unserer Auseinandersetzung mit den dreiAutorInnen immer wieder ergeben und wird im folgendenabschließenden Kapitel noch einmal aufgegriffen.

POSTKOLONIALE THEORIE UND WIEDERSTAND weiter / zurück

Zuerst möchten wir die Beiträge von Said, Spivak und Bhabhahinsichtlich ihrer Momente von Widerstand zusammenfassendauf den Punkt bringen. Said eröffnete die kolonialeDiskursanalyse im Feld postkolonialer Theorie. Mit seinerNachzeichnung der hegemonialen Machtverhältnisse bleibt derDiskurs aber monologisch und Widerstand eineRanderscheinung. Als widerständiges Subjekt gelten am ehestennoch MigrantInnen bzw. postkoloniale Intellektuelle. Spivakerweitert die postkoloniale Theorie um die feministischePerspektive hinsichtlich einer doppelten Marginalisierung des»subaltern sexed subjects«, da diese auch in der postkolonialenTheorie oft negiert wird. Als postkoloniale Feministindekonstruiert sie zudem (wie z.B. auch Chandra Mohanty) dieKategorie Frau als einheitliches Subjekt. Um den Eurozentrismusdes Orientalismus anzugreifen, muss das Projekt linker Politiküber einen »umgekehrten« Ethnozentrismus hinausgehen und

(17)welche wir in unsererthematischenAuseinandersetzung nichtberücksichtigt haben, auchwenn sie aus postkolonialenAuseinandersetzungen nichtwegzudenken ist.

(18) Verwiesen sei dazu aufArbeiten von Stuart Hall, PaulGilroy, Kien Nghi Ha, MarkTerkessidis u.a.

(19) Siehe dazu auchF.Habermann/R. Patel (2001)Wer spricht denn da? PeoplesGlobal Action und dasProblem der Repräsentation.In: Sonderheft SozialeBewegungen, iz3w. S. 40-42

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auf eine verhandelnde Auflösung der Dichotomien zusteuern.Die mit Ethnozentrismus verbundene Essentialisierung vonIdentität kann als politische Strategie gelten, muss aber alsKonzept »under erasure« bzw. Verhandlung bleiben. Hier setztauch Bhabha mit der Erweiterung der Diskursanalyse durchseinen Fokus auf die Ambivalenz des kolonialen Diskurses undsein Hybriditätskonzept an. Der koloniale Diskurs wird dabeidialogisch und Identität Verhandlungssache. Kritik undWiderstand ausgehend von den postkolonialen Subjekten in den»Zwischenräumen« und an den »Rändern« bleibt aber eher einesymbolische oder diskursive Strategie und eine praktisch-alltägliche Umsetzung seines Hybriditätsmodells bleibt eheroffen.Kurz gesagt, postkoloniale Theorie steht für die Dekonstruktionvon Essentialismen und binären Opposition des kolonialenDiskurses, seiner Geschichte und seinen Wissensformen, sowierichtet sich (wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß) auf dieBetonung von Differenz. Dies erfolgt hauptsächlich auf derdiskursanalytischen Ebene. Deshalb wird ihr häufig unterstellt,

»sie sei apolitisch, da ihre (meist akademischen) Kämpfe über dendiskursiven Bereich des Symbolischen und den der kulturellenRepräsentation nicht hinausgingen. Politik sei mehr als ein Kampf umsZeichen, auch wenn diese Kämpfe aus politischenAuseinandersetzungen nicht wegzudenken sind.« (Bloedner 98, 36)

Hier geht es um zwei unterschiedliche Seiten desVerständnisses von Widerstand: Widerstand als »konkreterKampf« oder als diskursive Auseinandersetzung? Auch wennpostkoloniale Theoretiker vielleicht eher auf letzterer Seiteanzusiedeln sind, bestehen Verknüpfungen und Überschneidungzwischen diesen beiden Ebenen von Widerstand. Daher könnenunserer Meinung nach diese zwei Seiten oder auch Arten vonWiderstand nicht klar einander gegenübergestellt unduntereinander hierarchisiert werden. Greifen wir auf unsere anfängliche Überlegung zurückunterschiedlichste Ansätze postkolonialer Theorien als »readingpractice« zu erfassen, so kann Postkolonialität als durchauspolitisch motivierte Kategorie in der Auseinandersetzung um das

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Erbe von Kolonialgeschichte und kolonialem Diskurs betrachtetwerden. Postkoloniale Theorie, wie auch postkolonialeLiteratur(17) , als Lesart der Kolonisation mit den Geschichtenund Stimmen der Marginalisierten zu verstehen, meint nicht nurKritik oder »re-reading«, sondern auch »re-writing« der »großenErzählung« [master narrative] von Moderne und Kolonialismusdurch die Anerkennung postkolonialer Geschichte innerhalbdieser.

»Die westliche Metropole muß ihrer postkolonialen Geschichte, dievon den in sie hineinströmenden Nachkriegsmigranten undFlüchtlingen erzählt wird, als einer einheimischen Narrative begegnen,die ihrer nationalen Identität inhärent ist [...] Postkolonialität ihrerseitsist eine heilsame Erinnerung an die andauernden ›neokolonialen‹Beziehungen innerhalb der ›neuen‹ Weltordnung und dermultinationalen Arbeitsteilung.« (Bhabha 2000, 9, Hervorhebung imOriginal)

Zurückkommend auf eine mögliche Form von Widerstand alsdiskursiver Verhandlung, sind postkoloniale Theorien mit ihrerAnalyse, Dekonstruktion und Kritik des kolonialen Diskursessowie ihrer damit verbundenen Theoriebildung Teil deremanzipatorischen Perspektive und »gegenhegemonialen«Auseinandersetzung. Politische Einmischung und Mitgestaltungfunktioniert nicht ohne Thematisierung bzw. Artikulation vonHegemonialverhältnissen sowie ihren Marginalisierungen undAusschlüssen. In diesem Zusammenhang ist unserer Meinungnach folgende Aussage von Kien Nghi Ha über die Aufgabenpostkolonialer Literatur für die Arbeiten postkolonialer Theorienebenfalls treffend:

»Es war und bleibt weiterhin die zentrale Aufgabe der postkolonialenLiteratur viele Stimmen, einen unüberhörbaren Chor für diejenigenhervorzurufen, die bisher dazu gezwungen wurden sich nicht zubewegen, unauffällig und leise zu sein. Denn wer nicht spricht, kannsich nicht mitteilen, sich auf andere beziehen, sich einbringen undeinmischen, kann keine Ansprüche stellen, ja nicht einmal Fragenaufwerfen.« (Ha 1999,173)

Thematisieren möchten wir hier noch am Schluss zwei offengebliebene Fragen, die den Rahmen dieser Arbeit sprengenwürden, aber in die Diskussion um postkoloniale Theorien und

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Widerstandsmöglichkeiten gehören: 1) Wo ist der Ort desdiskursiven Widerstands, und welche diskursivenWiderstandspraktiken gibt es jenseits vom klassischen Bereichkultureller Repräsentation (Literatur, Musik, Film, Kunst)(18)? 2)Said, Spivak und Bhabha sprechen und schreiben von ihrenLehrstühlen in den USA. Werden ihre Analysen und Ansätze im»globalen Süden« aufgegriffen bzw. wird auf sie dort positiv,kritisch oder gar nicht reagiert?

Abschließend möchten wir die Verbindung zum Thema unsererSeminarveranstaltung herstellen. Einer der im Anfangskapiteldargestellten Kritikpunkte an postkolonialen Theorien betrifft ihrManko des häufig fehlenden bzw. vernachlässigten Bezugs aufwirtschaftliche Machtbeziehungen. An dieser Stelle setztdemgegenüber oftmals die Kritik der AkteurInnen dersogenannten »Antiglobalisierungsbewegung« an. Trotzdemplädieren wir bei der Beschäftigung mit den im Seminaruntersuchten AkteurInnen dafür, die Kritikpunkte undFragestellungen postkolonialer Theorien nicht nur alstheoretische, diskursive »Spielwiese« abzutun bzw. zuvernachlässigen. Vielmehr kann eine postkoloniale Perspektivehinsichtlich von Macht- und Herrschaftsbeziehungen innerhalbund zwischen Akteursgruppen, ihrer Selbstreflektion und Bilderüber ihre eigene Rolle in der Welt sowie das Problem derRepräsentation(19) wichtige Fragen aufwerfen.

LITERATUR weiter / zurück

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Bhabha, Homi K. (2000) Die Verortung der Kultur. Tübingen

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