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AKTUELLE MEDIZIN REPORT Verzicht auf ASS Praxis der antithrombotischen Therapie vor grundlegendem Wandel Bei antikoagulierten Patienten, die einen Koronarstent benötigen, rei- chen Antikoagulans und Clopidogrel aus, um Thrombosen in Schach zu halten. Mehr noch: Acetylsalicylsäure (ASS) wegzulassen reduziert neuen Daten zufolge signifikant das Blu- tungsrisiko und die Sterberate. _ „Das ist ein Blockbuster-Vortrag, der die klinische Praxis über Nacht und die Leitlinien bei nächster Gelegenheit ver- ändern wird“, kommentierte kein gerin- gerer als der Präsident des American College of Cardiology, Prof. David Holmes von der Mayo Clinic in Roche- ster, die Ergebnisse der WOEST-Studie. Es geht um ein häufiges klinisches Pro- blem: Ein Patient, der etwa wegen Vor- hofflimmern oder mechanischen Herz- klappen oral antikoaguliert werden muss, erkrankt zusätzlich an einer KHK und wird mit einem Koronarstent versorgt. Nun benötigt er laut Leitlinie zusätz- lich zwei Thrombozytenhemmer, näm- lich ASS plus Clopidogrel. Doch bei ei- ner Kombination von insgesamt drei antithrombotischen Wirksubstanzen steigt das Blutungsrisiko an. Das Dilem- ma: Bei Verzicht auf orale Antikoagula- tion droht ein Schlaganfall, bei Reduk- tion der Thrombozytenhemmung even- tuell eine Stentthrombose. In der randomisierten niederlän- disch/belgischen WOEST-Studie wurde erstmals bei 573 antikoagulierten Pati- enten, die aufgrund einer KHK einen Stent erhielten, geprüft, ob bei diesen Pa- tienten auf ASS verzichtet werden kann. Eine Hälfte der Patienten erhielt Anti- koagulation plus Clopidogrel, die andere zusätzlich ASS. So behandelt wurde ein Jahr nach Implantation eines beschichte- ten Stents (DES, 2/3 der Patienten) oder mindestens ein Monat nach Positionie- rung eines unbeschichteten Stents (BMS, 1/3 der Patienten). Bei 25% der Patienten lag ein akutes Koronarsyndrom (ACS) vor. Das Follow-up betrug ein Jahr. Signifikanter Überlebensvorteil, Blutungsrisiko halbiert ... Die Autoren um Prof. Willem Dewilde, Tilburg/NL, hofften, dass bei Verzicht auf ASS das Blutungsrisiko sinkt, ohne dass die thrombotischen Komplikationen an- steigen. Doch die Ergebnisse übertrafen die Erwartungen, denn die Patienten hat- ten sogar einen Mortalitätsvorteil: 2,6% vs. 6,4% der Patienten waren nach einem Jahr verstorben (p = 0,027). Blutungen (primärer Endpunkt) wa- ren nach einem Jahr mit 19,5% vs. 44,9% ebenfalls signifikant seltener aufgetre- ten, wenn ASS weggelassen wurde. Den Unterschied machten allerdings über- wiegend leichtere Blutungen der Haut und des Gastrointestinaltraktes. Schwe- re Blutungen waren nur im Trend sel- tener (3,3% vs. 5,8%). In beiden Grup- pen gab es drei intrakranielle Blutungen. ... und ein Trend zu weniger thrombotischen Komplikationen Der Sicherheitsvorteil musste nicht mit einem Wirksamkeitsverlust erkauft wer- den, im Gegenteil: Überraschenderweise waren Herzinfarkte (3,3% vs. 4,7%), Schlaganfälle (1,1% vs. 2,9%) und Stent- thrombosen (1,5% vs. 3,2%) unter dem 2-Medikamenten-Regime seltener als un- ter dem 3-Medikamenten-Regime. Der kombinierte sekundäre Endpunkt (Tod, Infarkt, Schlaganfall, Stentthrombose, Revaskularisierung) war mit 11,3% unter dualer Therapie signifikant seltener (p = 0,025) als unter der Triple-Therapie mit 17,7%. Allerdings war die Studie zu klein, um statistisch Nicht-Unterlegenheit bei diesem Endpunkt zu beweisen. Die Frage ist nun: Können diese Da- ten auch extrapoliert werden auf Pati- enten, die statt Clopidogrel Ticagrelor oder Prasugrel erhalten, oder auf solche, die statt Vitamin-K-Antagonisten Dabi- gatran oder Rivaroxaban erhalten? Auf- grund fehlender Daten wäre das ein we- nig zu weit extrapoliert, warnte Holmes. DR. MED. DIRK EINECKE Sekundärer Endpunkt (Tod, Infarkt, Insult, Stentstenose, Revaskularisierung) 20% 15% 10% 5% 0% 0 30 60 90 120 180 270 385 11,3% p = 0,025 HR = 0,60 95% CI (0,38–0,94) 17,7% Tage Triple- Kombination Duale Kombination Kum. Inzidenz Abbildung 2 Gesamtsterblichkeit 7,5% 5% 2,5% 0% 0 30 60 90 120 180 270 385 2,6% p = 0,025 HR = 0,39 95% CI (0,16–0,93) 6,4% Tage Triple-Kombination Duale Kombination Abbildung 1

Praxis der antithrombotischen Therapie vor grundlegendem Wandel

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AKTUELLE MEDIZIN–REPORT

EUROPEANSOCIETY OFCARDIOLOGYVerzicht auf ASS

Praxis der antithrombotischen Therapie vor grundlegendem WandelBei antikoagulierten Patienten, die einen Koronarstent benötigen, rei-chen Antikoagulans und Clopidogrel aus, um Thrombosen in Schach zu halten. Mehr noch: Acetylsalicylsäure (ASS) wegzulassen reduziert neuen Daten zufolge signifikant das Blu-tungsrisiko und die Sterberate.

_ „Das ist ein Blockbuster-Vortrag, der die klinische Praxis über Nacht und die Leitlinien bei nächster Gelegenheit ver-ändern wird“, kommentierte kein gerin-gerer als der Präsident des American College of Cardiology, Prof. David Holmes von der Mayo Clinic in Roche-ster, die Ergebnisse der WOEST-Studie.

Es geht um ein häufiges klinisches Pro-blem: Ein Patient, der etwa wegen Vor-hofflimmern oder mechanischen Herz-klappen oral antikoaguliert werden muss, erkrankt zusätzlich an einer KHK und wird mit einem Koronarstent versorgt.

Nun benötigt er laut Leitlinie zusätz-lich zwei Thrombozytenhemmer, näm-lich ASS plus Clopidogrel. Doch bei ei-ner Kombination von insgesamt drei antithrombotischen Wirksubstanzen steigt das Blutungsrisiko an. Das Dilem-ma: Bei Verzicht auf orale Antikoagula-tion droht ein Schlaganfall, bei Reduk-tion der Thrombozytenhemmung even-tuell eine Stentthrombose.

In der randomisierten niederlän-disch/belgischen WOEST-Studie wurde erstmals bei 573 antikoagulierten Pati-enten, die aufgrund einer KHK einen Stent erhielten, geprüft, ob bei diesen Pa-tienten auf ASS verzichtet werden kann.

Eine Hälfte der Patienten erhielt Anti-koagulation plus Clopidogrel, die andere zusätzlich ASS. So behandelt wurde ein Jahr nach Implantation eines beschichte-ten Stents (DES, 2/3 der Patienten) oder mindestens ein Monat nach Positionie-rung eines unbeschichteten Stents (BMS, 1/3 der Patienten). Bei 25% der Patienten lag ein akutes Koronarsyndrom (ACS) vor. Das Follow-up betrug ein Jahr.

Signifikanter Überlebensvorteil, Blutungsrisiko halbiert ...Die Autoren um Prof. Willem Dewilde, Tilburg/NL, hofften, dass bei Verzicht auf ASS das Blutungsrisiko sinkt, ohne dass die thrombotischen Komplikationen an-steigen. Doch die Ergebnisse übertrafen die Erwartungen, denn die Patienten hat-ten sogar einen Mortalitätsvorteil: 2,6% vs. 6,4% der Patienten waren nach einem Jahr verstorben (p = 0,027).

Blutungen (primärer Endpunkt) wa-ren nach einem Jahr mit 19,5% vs. 44,9% ebenfalls signifikant seltener aufgetre-ten, wenn ASS weggelassen wurde. Den Unterschied machten allerdings über-

wiegend leichtere Blutungen der Haut und des Gastrointestinaltraktes. Schwe-re Blutungen waren nur im Trend sel-tener (3,3% vs. 5,8%). In beiden Grup-pen gab es drei intrakranielle Blutungen.

... und ein Trend zu weniger thrombotischen Komplikationen Der Sicherheitsvorteil musste nicht mit einem Wirksamkeitsverlust erkauft wer-den, im Gegenteil: Überraschenderweise waren Herzinfarkte (3,3% vs. 4,7%), Schlaganfälle (1,1% vs. 2,9%) und Stent-thrombosen (1,5% vs. 3,2%) unter dem 2-Medikamenten-Regime seltener als un-ter dem 3-Medikamenten-Regime. Der kombinierte sekundäre Endpunkt (Tod, Infarkt, Schlaganfall, Stentthrombose, Revaskularisierung) war mit 11,3% unter dualer Therapie signifikant seltener (p = 0,025) als unter der Triple-Therapie mit 17,7%. Allerdings war die Studie zu klein, um statistisch Nicht-Unterlegenheit bei diesem Endpunkt zu beweisen.

Die Frage ist nun: Können diese Da-ten auch extrapoliert werden auf Pati-enten, die statt Clopidogrel Ticagrelor oder Prasugrel erhalten, oder auf solche, die statt Vitamin-K-Antagonisten Dabi-gatran oder Rivaroxaban erhalten? Auf-grund fehlender Daten wäre das ein we-nig zu weit extrapoliert, warnte Holmes. Dr. meD. Dirk einecke ■

Sekundärer Endpunkt (Tod, Infarkt, Insult, Stentstenose, Revaskularisierung)

20%

15%

10%

5%

0%

0 30 60 90 120 180 270 385

11,3%

p = 0,025

HR = 0,60 95% CI (0,38–0,94)

17,7%

Tage

Triple- Kombination

Duale Kombination

Kum

. Inz

iden

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– Abbildung 2

Gesamtsterblichkeit7,5%

5%

2,5%

0%

0 30 60 90 120 180 270 385

2,6%p = 0,025

HR = 0,39 95% CI (0,16–0,93)

6,4%

Tage

Triple-Kombination

Duale Kombination

– Abbildung 1