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566 © Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin. Beton- und Stahlbetonbau 109 (2014), Heft 8 DOI: 10.1002/best.201400038 BERICHT Enrico Schwabach Praxisorientierte Ermittlung von Ausschalfristen 1 Einleitung Gemäß DIN EN 13670/DIN 1045-3 [1], NA.2 (2) ist es Aufgabe der Bauleitung, den richtigen Zeitpunkt für das Ausschalen und Ausrüsten festzulegen. Die Ausschalfrist eines Betonbauteils hängt maßgeblich von der Festig- keitsentwicklung des Betons ab. Dabei sind neben beton- technologischen Einflussgrößen (z. B. Zementart und Wasserzementwert) auch bauteilspezifische Faktoren (z. B. die Bauteildicke und die Wärmedämmung) sowie die Witterungseinflüsse entscheidend. Die tatsächliche Festigkeitsentwicklung des Bauteils weicht somit regel- mäßig, z. B. aufgrund abweichender Temperatur- und Feuchtebedingungen, von dem unter den Bedingungen bei Normlagerung nachgewiesenen Erhärtungsverlauf mehr oder weniger ab [526]. Aus diesen Gründen ist es je nach Bauaufgabe angebracht, die Ausschalfristen für die einzelnen Bauteile durch einen Fachmann festlegen zu lassen. Daneben gibt es jedoch auch zahlreiche Standardfälle, wo vereinfachte Methoden für die Festlegung von Aus- schalfristen ausreichen. Für diese Fälle sind die nachfol- genden Empfehlungen gedacht. 2 Grundlagen Ein Bauteil darf erst dann ausgerüstet und ausgeschalt werden, wenn der Beton ausreichend erhärtet ist, um die auf das Betonbauteil aufgebrachten Lasten aufneh- men zu können, ungewollte Verformungen aus elastischem und plasti- schem Verhalten des Betons gering zu halten, eine Beschädigung der Oberflächen und Kanten durch das Ausschalen zu vermeiden. Für die Festlegung der Ausschalfristen und die Bemes- sung der Schalungen und der Hilfsunterstützungen sind die Lasten während der Bauzeit in Bezug auf ihre Größe, ihre Verteilung und den Zeitpunkt ihres Aufbringens von maßgebender Bedeutung. Hinweise zur genaueren Last- ermittlung werden z. B. im DBV-Merkblatt „Betonscha- lungen und Ausschalfristen“ [4] gegeben. Die Bauleitung ist für die Festlegung des richtigen Zeit- punktes für das Ausschalen und Ausrüsten verantwort- lich (DIN EN 13670/DIN 1045-3 [1], NA.2 (2)). Nur sie darf das Ausschalen und Ausrüsten anordnen. Sie ist für die Einhaltung der zugrunde gelegten maximalen Be- lastungen und für die Überprüfung der vorausgesetzten Betoneigenschaften nach Lieferschein sowie der Beton- temperaturen beim Einbau und beim Ausschalen zustän- dig. Die seitliche Schalung der Balken, Wände und Stützen darf entfernt werden, wenn keine Beschädigung des jun- gen Betons in der Fläche und an den Kanten zu befürch- ten ist. Dies kann angenommen werden, wenn die Druck- festigkeit des Betons f ck,cube ca. 5 N/mm² beträgt. Unplanmäßige Belastungen durch Baumaterialien o. ä. sind zu vermeiden. Hierbei geht es darum, dass die dem Ausschalzeitpunkt zugeordnete Nutzlast aus Baubetrieb nicht versehentlich überschritten wird, weil z. B. unter der Annahme noch vorhandener Hilfsstützen Decken als Zwischenlagerflächen genutzt wurden. 3 Normwerte der Betonfestigkeit nach Eurocode 2 Im Eurocode 2 (EC2) [2] werden Gleichungen zur theore- tischen Ermittlung der Betoneigenschaften wie Druck- und Zugfestigkeit, E-Modul, Kriechzahl oder Schwind- maß und deren zeitlicher Entwicklung für Prüfkörper un- ter genormten Lagerungsbedingungen angegeben. Diese Richtwerte dienen als Grundlage tragwerksplanerischer Annahmen, da in der Regel in dieser Phase noch keine genaueren Werte einer Betonsorte vorliegen. Die tatsäch- Unter bestimmten Voraussetzungen kann die Ausschalfrist für Betonbauteile vereinfacht praxisnah, z. B. über tabellierte Wer- te, abgeschätzt werden. Alternativ stehen aufwendigere Ver- fahren zur Verfügung, welche je nach Bedarf bzw. in Abhängig- keit von der für die Bauaufgabe erforderlichen Genauigkeit herangezogen werden können. Im Folgenden wird die praxis- orientierte Ermittlung von Ausschalfristen im Zusammenhang mit dem Eurocode 2 und DIN EN 13670/DIN 1045-3 diskutiert. Practice-oriented determination of stripping times Under certain conditions, the stripping times of concrete mem- bers can be estimated in a simplified way (e.g. tabulated values are provided for practice). Depending on the required precision more complex methods are available. In the following a prac- tice-oriented determination of stripping times according to Eurocode 2 and DIN EN 13670/DIN 1045-3 is discussed.

Praxisorientierte Ermittlung von Ausschalfristen

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566 © Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin. Beton- und Stahlbetonbau 109 (2014), Heft 8

DOI: 10.1002/best.201400038

BERICHTEnrico Schwabach

Praxisorientierte Ermittlung von Ausschalfristen

1 Einleitung

Gemäß DIN EN 13670/DIN 1045-3 [1], NA.2 (2) ist esAufgabe der Bauleitung, den richtigen Zeitpunkt für dasAusschalen und Ausrüsten festzulegen. Die Ausschalfristeines Betonbauteils hängt maßgeblich von der Festig-keitsentwicklung des Betons ab. Dabei sind neben beton-technologischen Einflussgrößen (z. B. Zementart undWasserzementwert) auch bauteilspezifische Faktoren(z. B. die Bauteildicke und die Wärmedämmung) sowiedie Witterungseinflüsse entscheidend. Die tatsächlicheFestigkeitsentwicklung des Bauteils weicht somit regel-mäßig, z. B. aufgrund abweichender Temperatur- undFeuchtebedingungen, von dem unter den Bedingungenbei Normlagerung nachgewiesenen Erhärtungsverlaufmehr oder weniger ab [526]. Aus diesen Gründen ist es jenach Bauaufgabe angebracht, die Ausschalfristen für dieeinzelnen Bauteile durch einen Fachmann festlegen zulassen.

Daneben gibt es jedoch auch zahlreiche Standardfälle,wo vereinfachte Methoden für die Festlegung von Aus-schalfristen ausreichen. Für diese Fälle sind die nachfol-genden Empfehlungen gedacht.

2 Grundlagen

Ein Bauteil darf erst dann ausgerüstet und ausgeschaltwerden, wenn der Beton ausreichend erhärtet ist, um

– die auf das Betonbauteil aufgebrachten Lasten aufneh-men zu können,

– ungewollte Verformungen aus elastischem und plasti-schem Verhalten des Betons gering zu halten,

– eine Beschädigung der Oberflächen und Kanten durchdas Ausschalen zu vermeiden.

Für die Festlegung der Ausschalfristen und die Bemes-sung der Schalungen und der Hilfsunterstützungen sind

die Lasten während der Bauzeit in Bezug auf ihre Größe,ihre Verteilung und den Zeitpunkt ihres Aufbringens vonmaßgebender Bedeutung. Hinweise zur genaueren Last-ermittlung werden z. B. im DBV-Merkblatt „Betonscha-lungen und Ausschalfristen“ [4] gegeben.

Die Bauleitung ist für die Festlegung des richtigen Zeit-punktes für das Ausschalen und Ausrüsten verantwort-lich (DIN EN 13670/DIN 1045-3 [1], NA.2 (2)). Nur siedarf das Ausschalen und Ausrüsten anordnen. Sie ist fürdie Einhaltung der zugrunde gelegten maximalen Be -lastungen und für die Überprüfung der vorausgesetztenBetoneigenschaften nach Lieferschein sowie der Beton-temperaturen beim Einbau und beim Ausschalen zustän-dig.

Die seitliche Schalung der Balken, Wände und Stützendarf entfernt werden, wenn keine Beschädigung des jun-gen Betons in der Fläche und an den Kanten zu befürch-ten ist. Dies kann angenommen werden, wenn die Druck-festigkeit des Betons fck,cube ca. 5 N/mm² beträgt.

Unplanmäßige Belastungen durch Baumaterialien o. ä.sind zu vermeiden. Hierbei geht es darum, dass die demAusschalzeitpunkt zugeordnete Nutzlast aus Baubetriebnicht versehentlich überschritten wird, weil z. B. unterder Annahme noch vorhandener Hilfsstützen Decken alsZwischenlagerflächen genutzt wurden.

3 Normwerte der Betonfestigkeit nach Eurocode 2

Im Eurocode 2 (EC2) [2] werden Gleichungen zur theore-tischen Ermittlung der Betoneigenschaften wie Druck-und Zugfestigkeit, E-Modul, Kriechzahl oder Schwind-maß und deren zeitlicher Entwicklung für Prüfkörper un-ter genormten Lagerungsbedingungen angegeben. DieseRichtwerte dienen als Grundlage tragwerksplanerischerAnnahmen, da in der Regel in dieser Phase noch keinegenaueren Werte einer Betonsorte vorliegen. Die tatsäch -

Unter bestimmten Voraussetzungen kann die Ausschalfrist fürBetonbauteile vereinfacht praxisnah, z. B. über tabellierte Wer-te, abgeschätzt werden. Alternativ stehen aufwendigere Ver-fahren zur Verfügung, welche je nach Bedarf bzw. in Abhängig-keit von der für die Bauaufgabe erforderlichen Genauigkeit herangezogen werden können. Im Folgenden wird die praxis-orientierte Ermittlung von Ausschalfristen im Zusammenhangmit dem Eurocode 2 und DIN EN 13670/DIN 1045-3 diskutiert.

Practice-oriented determination of stripping times Under certain conditions, the stripping times of concrete mem-bers can be estimated in a simplified way (e.g. tabulated valuesare provided for practice). Depending on the required precisionmore complex methods are available. In the following a prac-tice-oriented determination of stripping times according to Eurocode 2 and DIN EN 13670/DIN 1045-3 is discussed.

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lichen Eigenschaften eines nach DIN EN 206-1/DIN1045-2 [3] hergestellten und gelieferten Betons könnendavon um bis zu ± 30 % abweichen. Sind genauere Werte– speziell für geringe Betonalter – erforderlich, sollten diese ggf. unter Berücksichtigung der Bauteilgröße undder zu erwartenden Umgebungsbedingungen experimen-tell bestimmt werden.

Bei einer mittleren Temperatur von 20 °C und Lagerungnach DIN EN 12390 darf die zeitabhängige Entwicklungder Betondruckfestigkeit fcm(t) gemäß EC2 [2] wie folgtabgeschätzt werden.

fcm(t) = βcc(t) · fcm(28 d) (1)

Dabei istfcm(28 d) die mittlere Betondruckfestigkeit nach 28 Ta-

gen;βcc(t) ein vom Alter des Betons t und vom Zementtyp

abhängiger Beiwert (Bild 1 für t ≤ 28 Tage undFestigkeitsklassen = C50/60). Für die Zement-festigkeitsklassen gilt gemäß EC2 [2]:Klasse R: CEM 42,5 R; CEM 52,5 N;

CEM 52,5 RKlasse N: CEM 32,5 R; CEM 42,5 NKlasse S: CEM 32,5 N.

In Bild 1a sind die 2-Tage-Werte hervorgehoben, die denProportionalitätsfaktoren r = fcm(2 d)/fcm(28 d) entsprechen.Es wird deutlich, dass mit Gl. (1) nur Betone mit mittlerer(r ≥ 0,30) und schneller Festigkeitsentwicklung (r ≥ 0,50)erfasst werden können. Das bedeutet jedoch nicht, dassnicht auch davon abweichende Betone nach EC2 verwen-det werden dürfen. Für den Erhärtungszeitraum bis zu28 Tagen wird gemäß EC2 [2] – unter Berücksichtigungoben genannter möglicher Streuungen – die relative Fes-tigkeitsentwicklung für die Betonzugfestigkeit fctm(t) rech-nerisch näherungsweise mit jener der Betondruckfestig-

keit fcm(t) gleichgesetzt. Danach erreicht beispielsweiseein Beton mit mittlerer Festigkeitsentwicklung, d. h. mitZementen der Festigkeitsklasse S (CEM 32,5N), nachfünf Tagen unter Normlagerung etwa 60 % seiner genorm-ten Druck- bzw. Zugfestigkeit nach 28 Tagen entspre-chend EC2 [2], Tabelle 3.1.

4 Bestimmung des Ausschalzeitpunkts nach Erfahrung

Für biegebeanspruchte Bauteile kann die Bestimmungdes Ausschalzeitpunkts auf der Grundlage ausreichenderErfahrung der Bauleitung unter den vorgenannten Rand-bedingungen erfolgen. Fehlen derartige Erfahrungswerte,kann der Ausschalzeitpunkt vereinfacht mit tabellari-schen Anhaltswerten bzw. über den Nachweis der Aus-schalfestigkeit bestimmt werden.

5 Tabellarische Anhaltswerte für Ausschalfristen

Für Beton- oder Stahlbetonbauteile im üblichen Hochbaunach DIN  EN  1992-1-1 [2], NA.1.5.2.5 können gemäßDBV-Merkblatt „Betonschalungen und Ausschalfristen“[4], Tab. 3 pauschale Anhaltswerte für Ausschalfristen an-genommen werden. Die Werte gelten für Balken und Plat-ten bis 6 m Spannweite und Stürze bzw. Ringbalken. Siegelten auch für die Ausrüstfristen von Hilfsstützen jedochnicht für Gleitschalungen.

Für die Anhaltswerte in Tab. 3 [4] (hier Tab. 1) wird nähe-rungsweise angenommen, dass die Betondruckfestigkeitdes gesamten auszuschalenden Bauteils zum Ausschal-zeitpunkt t0 der Festigkeit an der Bauteiloberfläche ent-spricht. Die Fristen sind – in Analogie zur Nachbehand-lungsdauer nach DIN  EN  13670/DIN  1045-3 [1], 8.5(NA.10) ohne genaueren Nachweis – darauf abgestimmt,dass die Druckfestigkeit des Bauteils fck0 zum Ausschal-

a) t ≤ 7 Tage b) t ≤ 28 Tage

Bild 1 Relative Entwicklung der Betondruckfestigkeit nach EC2 für Festigkeitsklassen ≤ C50/60 und t ≤ 28 Tage unter LaborbedingungenRelative development of concrete compressive strength acc. to EC2 for strength classes ≤ C50/60 and t ≤ 28 days under laboratory conditions

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zeitpunkt (Ausschalfestigkeit) 70 % der charakteristischen28-Tage-Druckfestigkeit fck des verwendeten Betons er-reicht hat. Der Lastausnutzungsfaktor in Bezug auf denEndzustand wird mit α0 = 0,70 angenommen.

Die hier getroffenen Annahmen und vorausgesetzten Be-toneigenschaften (entsprechend Angabe Transportbeton-hersteller) sind darum im Vorfeld auf Ihre Gültigkeit zuprüfen. Anderenfalls kann dies zu Ausschalfristen führen,die nicht immer wirtschaftlich sind bzw. unter ungünsti-gen Umständen auf der unsicheren Seite liegen. Bei er-höhten Anforderungen an die Durchbiegungs- bzw. Riss-breitenbegrenzung sind die Anhaltswerte t0 zu vergrö-ßern, da durch das Ausschalen und Ausrüsten die Rissbil-dung beeinflusst wird.

Ist bei höher beanspruchten Bauteilen ein Lastausnut-zungsfaktor α0 > 0,70 zu erwarten (Gefährdung derStandsicherheit und der Gebrauchstauglichkeit des Bau-teils), muss die erforderliche Ausschalfestigkeit nachge-wiesen werden. Tab. 3 darf in diesen Fällen nicht ange-wendet werden.

6 Ausschalfristen mit Nachweis der Ausschalfestigkeit

Die für das Ausrüsten und Ausschalen erforderliche Aus-schalfestigkeit fcm0 oder die erforderliche Mindestbeton-festigkeitsklasse ist im Rahmen der Arbeitsvorbereitungin Abstimmung mit dem Tragwerksplaner festzulegen. AlsNachweisverfahren für eine genauere Ermittlung der Aus-schalfristen ist dann die Ausschalfestigkeit fcm0 als Mittel-wert auf Basis von Druckfestigkeits- oder Reifegradprü-fungen direkt nachzuweisen.

Für die Druckfestigkeitsprüfung gilt allgemein, dass dieProbekörper aus dem Bauteilbeton hergestellt werdenund unter gleichen Temperaturbedingungen erhärten wiedas betrachtete Bauteil. Hierfür können die Probekörperz. B. neben oder auf dem Bauteil gelagert und gleichartignachbehandelt werden, um die Randbedingungen derBaustelle für die Festigkeitsentwicklung (Temperatur undFeuchte) zu berücksichtigen. Die Probekörper könnenauch in Styroporformen gelagert werden, um der Tempe-raturentwicklung im Bauteil näher zu kommen. Insge-samt gesehen wird die Festigkeitssteigerung damit jedochunterschätzt, da die Würfel schneller auskühlen und folg-lich langsamer erhärten als das Bauteil [5].

Andere Verfahren zur Abbildung der Bauteilbedingun-gen, z. B. Reifelagerung, sind möglich. Der Reaktionsfort-schritt kann durch Messungen der Betontemperatur in eine Reifeformel (z. B. gewichtete Reife nach DE VREE)übertragen werden, um damit den Grad der Reife als Maßfür den Erhärtungszustand zu ermitteln. Bei der Anwen-dung der gewichteten Reife zur Bestimmung der Druck-festigkeit von Beton muss von der bekannten Festigkeits-entwicklung bei einer bekannten Erhärtungstemperaturvon Beton gleicher Zusammensetzung ausgegangen wer-den. Die Beziehung zwischen gewichteter Reife undDruckfestigkeit wird im Allgemeinen vom Betonherstel-ler in einer Erstprüfung ermittelt. Bei Änderung der Betonzusammensetzung (z. B. Wechsel der Zementartund -festigkeitsklasse oder der Änderung des w/z-Werts),ist die Beziehung neu zu erstellen, da der Beton eine an-dere Festigkeitsentwicklung aufweisen kann [6].

Auf dieser Basis lässt sich die Druckfestigkeit für jeweilseine „kalibrierte“ Betonsorte entsprechend der Erhär-tungszeit abschätzen. Für die praktische Anwendung

1 2 3 4

Bauteil-temperatur2)

ϑ in °C

Festigkeitsentwicklung des Betons r = fcm(2d) / fcm(28d)1)

schnell mittel langsam

r ≥ 0,50 r ≥ 0,30 r ≥ 0,15

1 ϑ ≥ 15 4 8 14

2 15 > ϑ ≥ 5 3) 6 12 201) Verhältnis der Mittelwerte der Druckfestigkeiten nach 2 Tagen und nach 28 Tagen. Die Festigkeitsentwicklung ist vom Betonhersteller anzugeben und kann dem Lieferschein ent-nommen werden.Bei von 28 Tagen abweichendem Prüfalter für die Druckfestigkeit ist für die Ermittlung der Festigkeitsentwicklung r nicht der fcm(2d)/fcm(28d)-Wert, sondern z. B. der fcm(2d)/fcm(56d)-Wert oder fcm(2d)/fcm(91d)-Wert heranzuziehen. Dadurch ergeben sich in der Regel längere Aus-schalfristen.2) Die tatsächliche Temperatur des Bauteils ϑ während des Abfließens der Hydratationswär-me und in der Schalung ist in der Regel höher als die Lufttemperatur. Anstelle der Tempe-ratur des Bauteils ϑ darf vereinfachend die mittlere Lufttemperatur Tm angesetzt werden. Als mittlere Lufttemperatur Tm darf das Tagesmittel aus der höchsten und der niedrigsten Lufttemperatur in Bauwerksnähe verwendet werden.3) Bei Lufttemperaturen Tm < 5 °C ist die Ausschalfrist um die Tage zu verlängern, an denen die Bauteiltemperatur ϑ < 5 °C betrug.

Tab. 1 [1] Anhaltswerte für Ausschalfristen t0 in Tagen für Lastausnutzungsfaktor α0 = 0,70Reference values for stripping times t0 in days for a load factor α0 = 0.70

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können z. B. Reifecomputer zum Einsatz kommen. Dabeikönnen die Sensoren in den Frischbeton eingesetzt bzw.auch in die Schalhaut eingebaut werden.

Eine Alternative bietet z. B. die Reifesimulation in Verbin-dung mit der Reifelagerung an gesondert hergestelltenProbekörpern. Hier werden unter Nutzung der Möglich-keiten der Datenübertrag die Erhärtungswürfel unter denexakten Bauteiltemperaturen im Labor oder auf der Bau-stelle gelagert. Mit dieser aufwendigeren Prüfung ist einevergleichbare Abbildung der im Bauteil vorliegenden Ver-hältnisse möglich [5]. Die Ausschalfristen können damitoptimiert werden.

7 Abschätzung der Nachbehandlungsdauer mittels Erhärtungsverlauf bei Normlagerung

Anstelle der Reife ist auch der Begriff des wirksamen Be-tonalters gebräuchlich, welches aus dem Temperatur-Zeit-Verlauf ermittelt wird. Es entspricht dem realen Alter desBetons unter ständiger Normtemperaturlagerung von20 °C. Mit dem wirksamen Betonalter kann die bis zu die-sem Zeitpunkt erreichte Betonfestigkeit abgeschätzt wer-den, wenn der Festigkeitsverlauf für die Normtemperatur(z. B. für die mittleren Druckfestigkeiten fcm nach 2, 7 und28 Tagen entsprechend Angabe Transportbetonhersteller)bekannt ist.

Weicht die Betontemperatur von 20 °C ab, liefert im Be-reich von 5 °C ≤ T ≤ 25 °C die einfache Näherungsformelnach SAUL für das wirksame Betonalter

tw,T = ΣΔti (T(Δti) + 10)/30 (2)

gute Ergebnisse. Danach reduziert sich das wirksame Be-tonalter im Zeitintervall Δti bei T = 5 °C im Vergleich zueiner Betontemperatur von 20 °C auf die Hälfte. Für Tem-peraturen T > 25 °C wird die beschleunigte Festigkeitsent-wicklung unterschätzt, was jedoch zu auf der sicherenSeite liegenden Ergebnissen führt.

Sollen die Auswirkungen von erhöhten Temperaturen auf den Erhärtungsverlauf in einem Bereich von etwa25 °C < T ≤ 65 °C erfasst werden, kann das wirksame Be-tonalter z. B. nach Eurocode 2 [2], Anhang B, Gl. (B.10)angepasst werden.

tw,T = Σe–(4 000/[237+T(Δti)]-13,65) · Δti (3)

Dabei ist tw,T das temperaturangepasste (wirksame) Beto-nalter in Tagen und T(Δti) die mittlere Betontemperatur Tin °C im Zeitintervall Δti.

Gemäß DIN EN 13670/DIN 1045-3 [1], 8.5 (14) ist dieHöchsttemperatur des Betons in der Regel auf 70 °C zubegrenzen, um eine späte Ettringitbildung zu vermeiden.

Die Verlaufsfunktionen für das wirksame Betonalter nachSAUL und nach Eurocode 2 sind – bezogen auf das

von 20 °C abweichendes wirksames Betonalter tw,20 – inBild 2 aufgetragen.

8 Beispiel und Fazit

Im allgemeinen Hochbau kann in der Regel ausgeschaltwerden, wenn die mittlere Druckfestigkeit 70 % der cha-rakteristischen Betondruckfestigkeit erreicht hat [4]. Fürdie in Bild 3 dargestellten Randbedingungen soll die Aus-schalfrist ermittelt werden. Nach Tab. 3 [4] kann die Aus-schalfrist mit r = 0,4 und einer angenommenen Bauteil-temperatur von ϑ ≥ 15 °C vereinfacht zu 6 Tagen ermitteltwerden.

Ist eine genauere Ermittlung erforderlich, kann das er-forderliche wirksame Betonalter unter Laborbedingun-gen (bei 20 °C) gemäß der vorliegenden Angaben zurBeton sorte mit erf tw,20 ≈ 4,5 Tagen abgeschätzt werden.Im Vergleich dazu würde eine Abschätzung nach Gl. (1)gemäß EC2 [2] bzw. Bild 1 a) unter der Annahme einermittleren Festigkeitsentwicklung (mit r = 0,4) zu einemwirksamen Betonalter von erf  tw,20 ≈ 6,5 Tagen führen,

Bild 3 Näherungsweise Ermittlung des Ausschalzeitpunktes t0 (Beispiel 1)Approximate determination of stripping time t0 (example 1)

Bild 2 Von 20 °C abweichendes bezogenes wirksames Betonalter – Nähe-rungsberechnung nach EC2 und SAUL

Relative effective age of the concrete deviating from 20 °C –approximate determination acc. to EC2 and SAUL

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woraus eine deutlich längere Ausschalfrist resultierenwürde.

In Bild 3 wird beispielhaft von einem ZeitintervallΔti = 3 Tage bei einer mittleren Lufttemperatur vonT = 10 °C ausgegangen. Ab dem 4. Tag beträgt die mittlereLufttemperatur Tm = 15 °C. Die Frischbetontemperaturwird mit 15 °C angenommen.

Der Ausschalzeitpunkt kann wie oben angegeben genau-er berechnet werden, wenn für die verwendete Betonsor-te der Erhärtungsverlauf bei Normlagerung bekannt ist.Im Vergleich zur Ermittlung nach Tab. 3 [4] kann jedochunter den in Bild  3 angenommenen Bedingungen keinfrüherer Ausschalzeitpunkt ermittelt werden, wenn vonder mittleren Lufttemperatur T = 10 °C ausgegangen wird.

Da sich die Betontemperatur an der Bauteiloberfläche inAbhängigkeit von der Art der Schalung in den ersten Ta-gen nach dem Betonieren deutlich von der Lufttempera-tur unterscheidet, kann für die Randbedingungen nachBild 3 innerhalb der ersten 3 Tage auch rechnerisch eineBeton- bzw. Bauteiltemperatur von ϑ ≥ 15 °C an der Ober-fläche angesetzt werden. Damit vereinfacht sich die Be-rechnung noch weiter (Bild 3).

Die erforderliche Ausschalfrist wird zu etwa 5,5 Tagen er-mittelt, was Δt15 = erf  tw,20/0,83 gemäß des Näherungs-werts für das bezogene wirksame Betonalter nach SAUL

bei konstant T = 15 °C in Bild 2 entspricht.

Ein weiteres Beispiel mit einer höheren mittleren Luft-temperatur von Tm = 20 °C ab dem 4. Tag ist in Bild 4 auf-geführt. Die erforderliche Ausschalfrist wird danach zuetwa 5 Tagen ermittelt, was aufsummiert Δt15 + Δt20 = 3,0+ (erf tw,20 – Δt15 · 0,83) gemäß der Näherungswerte fürdas bezogene wirksame Betonalter in Bild 2 nach SAUL

entspricht. Weitere Zeitintervalle bzw. Zwischeninterval-le mit abweichenden mittleren Betontemperaturen (z. B.aus gemessenen Werten der Oberflächentemperatur) kön-nen ggf. bei der Ermittlung von t0 aufsummiert betrachtetbzw. eingefügt werden.

Beide vereinfachten Berechnungen führen im Vergleichzur Ermittlung nach Tab. 3 [4] zu reduzierten Ausschal-fristen. Eine aufwendigere Berechnung unter Verwen-dung der Gl. (B.10) nach Eurocode 2 [2], Anhang B liefertim angenommenen Temperaturbereich praktisch identi-sche Ergebnisse. Größere Auswirkungen auf die Aus-schalfristen sind bei Beton- bzw. Bauteiltemperaturen vonϑ ≥ 20 °C zu erwarten. Für eine Näherungsberechnungkönnen dort auch wie oben beschrieben die Werte für dasbezogene wirksame Betonalter nach SAUL oder nach EC2bei T ≥ 25 °C gemäß Bild 2 verwendet werden. Danachwürde sich im gewählten Beispiel die Ausschalfrist etwaauf t0 ≈ 4,5/1,26 = 3,6 Tage verkürzen, wenn nach dem Betonieren Beton- bzw. Bauteiltemperaturen vonϑ ≥ 25 °C zu erwarten sind.

Bild 4 Näherungsweise Ermittlung des Ausschalzeitpunktes t0 (Beispiel 2)Approximate determination of stripping time t0 (example 2)

Literatur

[1] DIN EN 13670:2011-03: Ausführung von Tragwerken ausBeton mit DIN 1045-3:2012-03: Tragwerke aus Beton,Stahlbeton und Spannbeton – Teil 3: Bauausführung – An-wendungsregeln zu DIN EN 13670 mit DIN 1045-3 Berich-tigung 1:2013-07.

[2] DIN  EN  1992-1-1:2011-01:  Eurocode  2: Bemessung undKonstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken– Teil 1-1: Allgemeine Bemessungsregeln und Regeln für denHochbau mit DIN  EN  1992-1-1/NA:2013-04: NationalerAnhang.

[3] DIN EN 206-1:2001-07: Beton – Teil 1: Festlegung, Eigen-schaften, Herstellung und Konformität mit DIN  1045-2:2008-08: Tragwerke aus Beton, Stahlbeton und Spannbe-ton – Teil 2: Beton – Festlegung, Eigenschaften, Herstellungund Konformität – Anwendungsregeln zu DIN EN 206-1.

[4] Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein E.V.: DBV-Merk-blatt – Betonschalungen und Ausschalfristen. Fassung Juni2013.

[5] WAGNER, JÖRG-PETER; REICHERTZ, ANDREAS: Hand -habung von Ausschalfristen/Prüfungen am Bauteil für vor-

zeitiges Ausschalen. In: BauPortal 3/2012 – www.bau -maschine.de/Betontechnik, Schalung, S. 20–24.

[6] TEGELAAR, RUDOLF: Steuerung der Wärmebehandlung aufBasis der Betonreife. In: BFT Heft 4, 2002, S. 30–37.

[526] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton e.V. (DAfStb): Erläu-terungen zu den Normen DIN EN 206-1, DIN 1045-2, DIN1045-3, DIN 1045-4 und DIN EN 12620. – In: Heft 526 derSchriftenreihe des DAfStb. 2. überarbeitete Auflage 2011.

Autoren

Dr.-Ing. Enrico SchwabachDeutscher Beton- und Bautechnik-Verein E.V.Kurfürstenstraße 12910785 [email protected]