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1 Predigt von Pfr. Roland Diethelm 11. Juli 2010 Predigttext: Mt 13,24-30 Ein anderes Gleichnis legte er ihnen vor: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem, der guten Samen auf seinen Acker säte. Doch während die Leute schliefen, kam sein Feind, säte Unkraut unter den Weizen und machte sich davon. Als die Saat aufging und Frucht brachte, da kam auch das Unkraut zum Vorschein. Da kamen die Knechte zum Hausherrn und sagten: Herr, war es nicht guter Same, den du auf deinen Acker gesät hast? Woher kommt nun das Unkraut? Er antwortete ihnen: Das hat ein Feind getan! Da fragen ihn die Knechte: Sollen wir also hingehen und es ausreissen? Er sagt: Nein, damit ihr nicht, wenn ihr das Unkraut ausreisst, auch den Weizen mit herauszieht. Lasst beides miteinander wachsen bis zur Ernte. Und zur Zeit der Ernte werde ich den Schnittern sagen: Reisst zuerst das Unkraut aus und schnürt es zu Bündeln, um es zu verbrennen, den Weizen aber bringt ein in meine Scheune! Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus! Sind wir Knechte, meine Schwestern und Brüder, sind wir Knechte? Die Knechte fragen: „Sollen wir also hingehen und es ausreissen?“ „Sollen wir …?“ Diese Frage der Knechte stellen wir uns insbesondere dann, wenn wir vor Entscheidungen stehen. Wenn wir vor Entscheidungen stehen, die wichtig sind. Dann fragen wir wie die Knechte: „Sollen wir hingehen und Hand anlegen?“ Die Qualität einer Arbeit oder der Ruf in der Öffentlichkeit stehen auf dem Spiel, wenn wir nichts tun. In der letzten Zeit stand man vor einigen wichtigen Entscheidungen, und ich vermute, dass es manchem unter uns nicht unbekannt vorkommt, dass man sich gerade hinter dieser Frage sammelt. Sammelt wie die Knechte, welche gemeinsam fragen: „Sollen wir …?“ Sammelt in der Empörung gegen die einen oder die anderen. „Sollten wir also nicht etwa hingehen und ausreissen?“ Nein, nein, spricht Jesus gebieterisch, kurz und bündig. Nein, das sollt ihr nicht. Nein, damit ihr nicht, wenn ihr das Unkraut ausreisst, auch den Weizen mit herauszieht. Nein – nein, nicht, weil es nicht darauf ankommen würde, denn es gibt Kraut und Unkraut, daran besteht kein Zweifel. Aber nicht deswegen nein! Nein – nein, auch nicht, weil es auf anderen Feldern auch nicht besser wäre; es ist in der Tat in der Kirche viel Unkraut unter dem Weizen, zum Verzweifeln viel manchmal, wenn es nicht schöngeredet wird, vielleicht gar zu viel, um dabei zu bleiben, wäre es doch andernorts in der menschlichen Gesellschaft nur besser und anders, aber das ist ja nicht der Fall. Also auch nicht deswegen nein! Nein, spricht Jesus gebietend allein deshalb, weil die Kirche ein gemischter Leib sein muss, ein corpus permixtum, wie es die Gelehrten in Latein sagen, ein gemischter Leib sein muss um des guten Samens willen, der in ihr ist. Er sagt: Nein, damit ihr nicht, wenn ihr das Unkraut ausreisst, auch den Weizen mit herauszieht. Lasst beides miteinander wachsen bis zur Ernte. Jetzt ist nicht die Zeit des Abrechnens, jetzt ist nicht die Zeit der Ernte.

Predigt von Pfr. Roland Diethelm · habt geschlafen, und als ihr geschlafen habt, ist ein Böser gekommen und hat dies getan … Tja, und nun, was sollen wir tun? ... dass gut ausgesät

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Page 1: Predigt von Pfr. Roland Diethelm · habt geschlafen, und als ihr geschlafen habt, ist ein Böser gekommen und hat dies getan … Tja, und nun, was sollen wir tun? ... dass gut ausgesät

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Predigt von Pfr. Roland Diethelm

11. Juli 2010

Predigttext: Mt 13,24-30

Ein anderes Gleichnis legte er ihnen vor: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem, der guten Samen auf seinen Acker säte. Doch während die Leute schliefen,

kam sein Feind, säte Unkraut unter den Weizen und machte sich davon. Als die

Saat aufging und Frucht brachte, da kam auch das Unkraut zum Vorschein. Da kamen die Knechte zum Hausherrn und sagten: Herr, war es nicht guter Same, den

du auf deinen Acker gesät hast? Woher kommt nun das Unkraut? Er antwortete ihnen: Das hat ein Feind getan! Da fragen ihn die Knechte: Sollen wir also

hingehen und es ausreissen? Er sagt: Nein, damit ihr nicht, wenn ihr das Unkraut

ausreisst, auch den Weizen mit herauszieht. Lasst beides miteinander wachsen bis zur Ernte. Und zur Zeit der Ernte werde ich den Schnittern sagen: Reisst zuerst das

Unkraut aus und schnürt es zu Bündeln, um es zu verbrennen, den Weizen aber bringt ein in meine Scheune!

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus! Sind wir Knechte, meine Schwestern und Brüder, sind wir Knechte? Die Knechte fragen: „Sollen wir also hingehen und es ausreissen?“ „Sollen wir …?“ Diese Frage der Knechte stellen wir uns insbesondere dann, wenn wir vor Entscheidungen stehen. Wenn wir vor Entscheidungen stehen, die wichtig sind. Dann fragen wir wie die Knechte: „Sollen wir hingehen und Hand anlegen?“ Die Qualität einer Arbeit oder der Ruf in der Öffentlichkeit stehen auf dem Spiel, wenn wir nichts tun. In der letzten Zeit stand man vor einigen wichtigen Entscheidungen, und ich vermute, dass es manchem unter uns nicht unbekannt vorkommt, dass man sich gerade hinter dieser Frage sammelt. Sammelt wie die Knechte, welche gemeinsam fragen: „Sollen wir …?“ Sammelt in der Empörung gegen die einen oder die anderen. „Sollten wir also nicht etwa hingehen und ausreissen?“ Nein, nein, spricht Jesus gebieterisch, kurz und bündig. Nein, das sollt ihr nicht. Nein, damit ihr nicht, wenn ihr das Unkraut ausreisst, auch den Weizen mit herauszieht. Nein – nein, nicht, weil es nicht darauf ankommen würde, denn es gibt Kraut und Unkraut, daran besteht kein Zweifel. Aber nicht deswegen nein! Nein – nein, auch nicht, weil es auf anderen Feldern auch nicht besser wäre; es ist in der Tat in der Kirche viel Unkraut unter dem Weizen, zum Verzweifeln viel manchmal, wenn es nicht schöngeredet wird, vielleicht gar zu viel, um dabei zu bleiben, wäre es doch andernorts in der menschlichen Gesellschaft nur besser und anders, aber das ist ja nicht der Fall. Also auch nicht deswegen nein! Nein, spricht Jesus gebietend allein deshalb, weil die Kirche ein gemischter Leib sein muss, ein corpus permixtum, wie es die Gelehrten in Latein sagen, ein gemischter Leib sein muss um des guten Samens willen, der in ihr ist. Er sagt: Nein, damit ihr nicht, wenn ihr das Unkraut ausreisst, auch den Weizen mit herauszieht. Lasst beides miteinander wachsen bis zur Ernte. Jetzt ist nicht die Zeit des Abrechnens, jetzt ist nicht die Zeit der Ernte.

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Meine Schwestern und Brüder im Glauben an den, der im Gleichnis sich selber gibt, schauen wir uns das einmal genauer an! Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem, der guten Samen auf seinen Acker säte. Als die Saat aufging und Frucht brachte, da kam auch das Unkraut zum Vorschein.

In diesem Gleichnis werden drei Zeiten aufeinander bezogen: die Zeit der Aussaat, wo die Grundlage gelegt wird für die folgenden Zeiten; die Zeit des Fruchttragens, wo das Unkraut als solches offenbar wird, aber auch das Kraut; die Zeit der Ernte, die sowohl Weizen wie Unkraut ihrer Bestimmung zuführt. Der Bauer, der sät, der rechnet damit, dass ein Acker entsteht, auf dem Weizen und Unkraut nebeneinander wachsen. Mit der Aussaat ist aber auch die Gewissheit gegeben, dass das eine vom anderen geschieden wird, denn auf die Aussaat folgt gewiss eine Erntezeit. Jetzt wird das Gottesreich verkündigt, schon trägt es Früchte da und dort. Unter den fruchttragenden Halmen des Weizens wird das Unkraut sichtbar: Lolch, unfruchtbares Grünzeug, das getrocknet einen wunderbaren Brandsatz gibt. Das ist der Weizen und das der sogenannte Lolch, der eine für das Grundnahrungsmittel Brot und der andere als Abfallprodukt, ein guter Brennstoff. Ohne unsere heutigen Unkrautvertilgungsmittel war es etwas ganz Normales, dass auf den Feldern Palästinas immer beides zusammen wuchs. Weizen und Lolch. Wir bemerken vorerst einmal mit Überraschung die Frage der Knechte: „Herr, war es nicht guter Same, den du auf deinen Acker gesät hast? Woher kommt nun das Unkraut?“ Und stellen fest: eigentlich müssten sie es doch wissen, diese Landwirtschaftsarbeiter, dass es immer so war und ist: Weizen und Lolch. Beides zusammen bleibt bis zur Ernte, zur Vollendung der Ankunft des Gottesreiches, die dann eine Zeit der Scheidung bringen wird. Im Vertrauen auf die Gewissheit der kommenden Scheidung werden die Arbeiterknechte davor bewahrt vor der Sorge um das Schicksal der Saat. Es befreit, dieses Vertrauen, zum Hereinholen der Menschen ins Gottesreich ohne Zwang zur Herstellung einer „reinen“ Gemeinschaft von Gerechten oder sonst wie gekennzeichneten oder „gelabelten“ Menschen und Menschengruppen. Neben drei Zeiten von Aussaat, Wachstum und Ernte werden hier auch drei Rollen angesprochen: der Sämann, der Störenfried und der Schnitter. Das Gleichnis lädt uns dazu ein, das Jetzt und Hier als Zeit der Aussaat zu verstehen. Wir dürfen uns als Genossen des Sämanns oder zuschauende Knechte, zuschauend bei der heranwachsenden Saat, sehen und so selbst verstehen. „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!“ ruft Jesus in der Bergpredigt seinen Zuhörenden zu und weist sie so ein in die bessere Gerechtigkeit, die mit ihm zu den Menschen findet. „Richtet nicht!“ (Mt 7,1) Und mit seinem Leben kommentiert Jesus dieses Wort und unser Gleichnis durch seine Tat: Jesus verzichtet ja ganz bewusst darauf, einen heiligen Rest aus seinem Volk auszusondern, er lehnt die Bildung eines geschlossenen Kreises von reinen und besseren Menschen ab. Der Kommentar zu diesem Gleichnis ist also im Handeln von Jesus selbst sein Verzicht auf diesen heiligen Rest, das heisst, er lädt bedingungslos alle Menschen ein. Das Gleichnis macht uns diese Haltung von Jesus klar und begreiflich. Es wird zur Einladung, weil es daran erinnert: Jetzt ist die Zeit der Aussaat. Jetzt sorgt euch nicht darum, ob ihr und die anderen – besonders bei jenen anderen haben wir natürlich grosse Sorgen und Vorbehalte – aber auch gegenüber uns selbst stellen wir gerne ab auf Gründe, die wir haben, zur Kirche dazu zu gehören. Aber seht, es braucht hier keine Gründe zum Dazugehören! Mit meinen guten Gründen - und meine Gründe sind immer gut - schliesse

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ich den anderen gerade aus. Meine gute Moral ist immer Mauer für andere weniger gute. Gottes Einladung ist der einzige Grund dafür, dass ich dabei sein kann und will. So hat jeder und jede Zutritt zu ihm und zu seiner Jüngerschar, der sich auf Gottes Einladung einlässt. Diese Haltung brachte Jesus eine gewaltige Ablehnung ein. Sie brachte ihn selber in Verruf unter den Moralischen. Jesus ist sozusagen das Paradebeispiel für den Gemeindeaufbau durch Ärgernis. Aber das Gleichnis wird auch ein Hinweis darauf, dass der Mensch ernst genommen wird, Es erinnert an die Scheidung von Frucht und Unkraut. Sache Gottes ist es, seine Saat in unseren Herzen zu säen, sie wachsen zu lassen und schliesslich Wert vom Unwert zu scheiden. Des Menschen Sache ist es, unbekümmert dem Wort Gottes, seinem Reich Raum zu geben. Aber nehmt euch und eure Taten ernst, denn ihr steht als Menschen für euer Tun in der Verantwortung, unter zukünftiger Scheidung. Es ist nicht gleichgültig, was gesät wird und was wächst, was behütet wird und wie es da daher kommt, und worauf ihr eure Fantasie und Energie und euer Streben ausrichtet. Das ist entscheidend. Auch so gilt aber: Des Menschen Sache ist es, unbekümmert dem Wort Gottes Raum zu geben. Jesus gründete also eine offene Gruppe, so würden wir das heute nennen. Diese offene Gruppe wird zur Kirche als Gemeinschaft unterschiedlichster Menschen, als ein corpus permixtum, ein Gemischtwarenladen. Zuerst in der Urkirche, dann aber auch in der weltweiten katholischen Kirche, blieb dies bis heute eine wesentliche Eigenschaft der Kirche. Immer wieder strebten besonders engagierte Leute die reine Kirche an – aber hätte Gott eine solche gewollt, so hätte er Jesus dieses Gleichnis nicht erzählen lassen und eine reine Gruppe gründen lassen. Nun aber ist sie corpus permixtum bewusst und gewollt in ihrem Wesen: Kirche, Gemeinschaft der heiligen Sünder, der sündigen Heiligen, noch nicht gereinigte Gemeinschaft, wesentlich eher ein Zoo als eine reine Herde. So verstehen sich auch die beiden Fragen der Knechte. Sie begleiten die ganze Kirchengeschichte über 2000 Jahre hin. Erstens: Wer hat das Übel verursacht? und zweitens: Was sollen wir dagegen tun? Woher kommt nun das Unkraut? Woher kommt das Übel? Mit dieser Vexierfrage des Glaubens an den guten Gott kommen die Knechte sofort. Woher kommt dieser Lolch? Aber seht, die Frage nach der Schuld am Bösen fällt auf die fragenden Knechte zurück: ihr habt geschlafen, und als ihr geschlafen habt, ist ein Böser gekommen und hat dies getan … Tja, und nun, was sollen wir tun? Sollen wir also hingehen und es ausreissen? Der Bauer sagt: Nein, nein, damit ihr nicht, wenn ihr das Unkraut ausreisst, auch den Weizen mit herauszieht. Die Frage nach dem selbstgerechten Werk des Guten wird zum Feind des Lebens. Darum: Nein! Darum: Die Kirche gehört ins Reich Gottes, ihre Zeit darin ist aber die Zeit der Aussaat. Die Kirche hat nicht zu fragen nach dem unmittelbaren Erfolg, sie hat nicht zu schielen nach Mitgliederzahlen und Meinungsquoten, sie schliesst aber auch nicht ab mit den Menschen und rechnet nicht mit ihnen ab, sie kann nur gewinnen, sie kann nur leben und sie wird wachsen durch das Säen des Guten. Sie schaut nicht nach ihrer Reinheit, sie bekommt Flecken und Mosen ab – sie ist mit dem Ausspruch des hl. Ambrosius eine casta meretrix, ein Wort, das ich zuerst lateinisch sage, weil Sie mich sonst vielleicht für unflätig hielten, eine keusche Hure, casta meretrix hat der Kirchenvater Ambrosius sie genannt, sie wartet auf einen anderen Schnitter.

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Mit dieser Unterscheidung der Zeiten unterscheidet sie auch die Rollen: sie lässt Gott das Aussondern und Richten, sie beschränkt sich darauf, dass gut ausgesät ist, und wartet geduldig auf die Zeit ihres Gottes. Richtet nicht, und lasst so Gottes Geduld und Gericht ihre Zeit. Darin, und das glaube und hoffe ich und wünsche ich mir für die Kirche an sich, für unsere Kirche in Zürich und auch für diese Gemeinde in Hottingen, darin unterscheidet sich die wahre Kirche und ihre Glieder deutlich von so vielen heute, die ihr Werk nicht loslassen können. In der Politik, in Erziehung und Sport und in den Unternehmen fällt es ach so vielen schwer, den Schritt weiter zu gehen, der nun innerhalb der Kirche doch etwas leichter fallen dürfte, nämlich im Vertrauen auf Gottes Hand beim Wachsen und Gedeihen, im Wissen darum, dass ich selber begrenzt bin, aber von Gott begrenzt und umschlossen, und im Glauben, dass ich selber ein Teil eines viel grösseren Gewebes sein darf, das ich sicher nicht zu Ende bringen muss, weil ich es nicht zu Ende bringen kann und deshalb auch nicht darf. Denn das ist nicht meine Rolle. Das Loslassenkönnen und Weiterziehen sind hochtheologische Glaubensfähigkeiten. Sie gedeihen genau dort, wo ein Mensch Gott seine Gottesrolle lässt, und sich als Mensch, als Mensch Gottes, versteht. Mit einem anderen Wort von Jesus: Schüttle deinen Staub von deinen Füssen! „Selbst den Staub aus eurer Stadt, der an unseren Füssen klebt, schütteln wir ab vor euch“, heisst es in diesem harten Jesuswort; „doch das sollt ihr wissen“, fährt es weiter: „Nahe gekommen ist das Reich Gottes.“ Bitte, meine liebe Gemeinde, versteht dies nicht als Affront gegenüber euch, euch, denen ich dienen durfte, und denen ich mit Herzblut gedient habe, sondern als Treue gegenüber dem eigenen Tun. Als geistliche Berufung steht das eigene Tun mit dem bürgerlichen Beruf – und das ist ein Pfarrer eben auch - in einer Spannung. Man könnte das eine die Orientierung an der eigenen Rolle nennen: dass ich gerne mache, was ich mache, hier bei euch, dass ich ein Beistand sein konnte in Freud und Leid, mit euch klagen und auch danken durfte, dass ich eure Jugend zum selbständigen Glauben mit begleiten, mit hinzuführen durfte, dass ich die ökumenische Weite auch in dieser Gemeinde erlebbar lassen werden durfte, all das ist meine Rolle, und man kann sich daran orientieren – aber das andere ist die Orientierung an den Werten, an den Werten, zu denen ich mich mit der Ordination verpflichtet habe: das Evangelium Gottes zu verkündigen, wie immer Gott das will, und wo immer Gott mich hinstellt. Rolle versus Wert. Einer meiner geistlichen Lehrer schreibt: „Besonders bei der Ausübung kirchlicher Dienste sollte Wertorientierung vorliegen, weil ja verschiedene Tätigkeiten Zeichen und Ausdruck für von ihnen verschiedene Werte sein sollen. Gibt z.B. ein Pfarrer nur deshalb Religionsunterricht, weil er diese Tätigkeit als solche befriedigt, so wird sein Tun wenig transparent auf die Werte hin, die er zu verkündigen sucht. Liegt Rollenorientierung vor und wird eine Versetzung oder eine andere Arbeit notwendig, so bedeutet das das Aufgeben einer ‚liebgewordenen‘ Rolle, was zu einer Krise führen kann (wie recht er hat!). … Sie werden dazu neigen, ihre Befriedigung in der Ausübung bestimmter Rollen zu suchen und weniger in der von diesen Rollen verschiedenen Verwirklichung von Werten. Ein Einüben von bestimmten Rollen durch verschiedene berufliche und praktische Ausbildungen allein trägt nicht zum Wachstum in dieser Berufung bei; im Gegenteil: das der beruflichen Rolle und das von einer konkreten Rolle unabhängige Ideal der Berufung können sich sogar gegenseitig in die Quere kommen.“ Ein geistlicher Lehrer, er mag etwas hochgestochen klingen in diesem Brief, es ist aber ganz einfach zu lernen am Beruf des Künstlers. Der Künstler als Schöpfer eines Werkes sieht nicht auf die Popularität seines Kunstwerkes, sondern auf die Stimmigkeit. Er ist bei sich selber und gewiss, dass seine Kunst einen Wert hat, unabhängig vom Publikumserfolg, ja, mag dieser nun kommen oder für immer ausbleiben, er mag vielleicht

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eine späte Bestätigung sein, aber er wäre eine frühe Versuchung und ist nie Kraft und Orientierung für das Schaffen des Künstlers, ohne dass ich mich als Künstler hier verstehe, in diesem Sinne ist es gemeint. In diesem Sinne habe ich jetzt mir selber zu predigen: Roland, ja zieh deines Weges, berufen das Wort Gottes auszurichten, aber bleibe nicht hängen an der befriedigenden Ausübung deiner Tätigkeit – und dies durfte ich weiss Gott auskosten und erleben mit euch! – bleibe nicht daran, denn du sollst wachsen in deiner Berufung. „Wer seinen Traum von einer christlichen Gemeinschaft mehr liebt als die christliche Gemeinschaft selbst, der wird zum Zerstörer jeder christlichen Gemeinschaft, und ob er es persönlich noch so ehrlich, noch so ernsthaft und hingebend meinte.“ Dies schrieb Dietrich Bonhoeffer 1938 (Vom gemeinsamen Leben). „Ich möchte jeden einzelnen ermutigen, Kritik zu üben, an denen, die die christliche Gemeinschaft zu einem Zufluchtsort oder zu einer heimischen Clique machen.“ Dies schreibt ein türkischer Christ, der Bonhoeffers Buch „Vom gemeinsamen Leben“ empfiehlt und daraus zitiert. „Wer seinen Traum von einer christlichen Gemeinschaft mehr liebt als die christliche Gemeinschaft selbst, der wird zum Zerstörer jeder christlichen Gemeinschaft, und ob er es persönlich noch so ehrlich, noch so ernsthaft und hingebend meinte.“ Ja, damit sind wir bei Euch, liebe Gemeinde. Ich möchte euch dieses Buch ans Herz legen: Dietrich Bonhoeffers „Gemeinsames Leben.“ Darin geht es in erster Linie um das gemeinsame Leben in einer christlichen Lebensgemeinschaft; aber auch um eine „Beschreibung und Begründung einer spirituellen Praxis, die nicht das Auslöschen des eigenen Ichs zum Ziel hat, sondern vielmehr ‚den einzelnen frei macht, stark und mündig und zu christlich verantwortetem Handeln im Alltag befähigen will.“ Es ist bemerkenswert, wann und unter welchen Umständen dieses „Gemeinsame Leben“ entstanden ist. Bonhoeffer schrieb die hundert Seiten in einem Zuge nieder im Jahre 1938 während eines Ferienaufenthaltes bei seiner Zwillingsschwester. Das erste Kapitel beginnt mit dem Thema „Gemeinschaft“ und mit dieser Aussage: „Wer seinen Traum von einer christlichen Gemeinschaft mehr liebt als die christliche Gemeinschaft selbst, der wird zum Zerstörer jeder christlichen Gemeinschaft.“ Ich glaube, dass eine christliche Gemeinschaft nicht nur Geborgenheit, nicht nur Wärme, sondern auch das Gefühl von Fremdsein vermitteln sollte. Wenn wir in einer Gemeinschaft sagen: Ja, wir sind zusammen und helfen einander, so müssen wir auch darauf hinweisen, dass unser letztes Ziel jenseits unserer Zusammengehörigkeit liegt, und deshalb soll jeder ermuntert werden, Kritik zu üben an denen, die christliche Gemeinschaft zu einem reinen Zufluchtsort oder zu einer heimischen Clique machen. Christliche Gemeinschaft ist eine Berufung durch Gott und kein menschliches Bemühen. Die Zeit der Kirche ist die der Aussaat und nicht die der Ernte. Gerade dadurch, dass wir viele persönliche Unterschiede haben, können wir für Gott Zeugnis ablegen. Dann geschieht es auch, dass uns die Augen aufgehen füreinander und wir beginnen, einander zu pflegen und die Wunden zu verbinden. Ich sehe die christliche Gemeinschaft, auch die, die ich bei euch erleben durfte, für mich als eine dankbare Pilgerreise, eine Reise, in der ich nicht jedem gefallen musste und

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sicher auch nicht jedem gefallen habe, aber eine Reise, in der ich meine Identität als ein freier Christ in Anspruch nehmen durfte. PREDIGTGEBET Herr, unser Gott in Jesus Christus, deinem Sohn! Du hast dich erniedrigt, um uns unbegreiflich zu erhöhen. Du wurdest arm, um uns reich zu machen. Du hast gelitten und bist gestorben und hast uns eben damit Freiheit und Leben gegeben. Und das – solche ewige Barmherzigkeit und Güte – ist deine Macht und Majestät als unser Schöpfer und Herr, ist deine Herrlichkeit, in der wir dich loben und in deren Licht wir, in den Tagen, die du uns noch geben willst, leben dürfen. Dafür danken wir dir. Und indem wir dir danken, kommen wir erst recht zu dir, um alles das vor dir auszubreiten, was nach unserem Verständnis schwer und ungelöst und hilfsbedürftig vor unseren Augen ist. Wir bitten dich: Gedenke du und erbarme dich in deiner Gnade jetzt und in Ewigkeit unserer aller, die ohne dich nichts tun können. Erbarme dich deiner Kirche auf Erden in ihrer Zerstreuung und Zertrennung, in ihren Schwachheiten und Irrtümern! Erbarme dich der alten und der neuen, der fernen und der nahen Heiden, der Gottlosen und der Götzendiener, denen dein Name noch nicht oder noch nicht recht geleuchtet hat, und die die Freiheit eines Christenmenschen noch nicht in Anspruch nehmen. Erbarme dich der Regierungen und der Völker dieser Erde, ihres ratlosen Suchens nach Frieden und Gerechtigkeit, auch all der Verworrenheit in unseren menschlichen Bemühungen um Wissenschaft, Bildung und Unterricht, auch all der Schwierigkeiten in so viel Ehen und Partnerschaften und Familien und Freundschaften. Amen. Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Gedanken in Christus Jesus. Amen. Aus der Liturgie einige ausgewählte Teile: Eingang des Gottesdienstes Im Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen. Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat, der ewig Treue hält und nicht fahren läßt das Werk seiner Hände. Amen. Christus spricht: „Alles, was der Vater mir gibt, wird zu mir finden, und wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstossen, denn ich bin vom Himmel herabgekommen, nicht um meinen Willen zu tun, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat. Das aber ist der Wille dessen, der mich gesandt hat, dass ich nichts von allem, was er mir gegeben hat, verloren gehen lasse,

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sondern dass ich es auferwecke am Jüngsten Tag.“ (Joh 6,36-39) Wir feiern heute meinen Abschiedsgottesdienst. Sie erinnern sich vielleicht noch, vor bald sechs Jahren nahm ich Kanzelbibel und die Schlüssel Eurer Kirche entgegen. Ich werde sie heute zurückgeben, zum Zeichen, dass ich meinen Auftrag bei Euch nun weitergeben muss. Deshalb freue ich mich, dass Ihr da seid: Mit Euch habe ich nach unserem Glauben gefragt und mit Euch habe ich auf Gottes Stimme unter uns gehört. Euch allen habe ich für heute nochmals das Wort der Heiligen Schrift auszulegen. Ich habe mit den einen von Euch viel, mit den anderen ein wenig zu tun gehabt. Wer Ihr für mich seid, was Ihr mir bedeutet, kann ich gewiss nicht in wenige Worte fassen, und will ich hier auch nicht. Was Ihr aber bedeutet, wer Ihr nämlich seid, Ihr alle zusammen, will ich Euch dennoch mitteilen, mit dem Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen – oder dem Wunder der aufwachsenden guten Saat inmitten einer durcheinander geratenen Welt. Ich danke an dieser Stelle den vielen Zeichen der Verbundenheit, die ich erfahren durfte, und schliesse nun alle diejenigen ein in unser Tun, die heute nicht persönlich anwesend sein können. Das persönliche Abschiedsgeschenk von Markus Braun, unserem Mann an der Orgel, für mich, und des Ad-hoc-Chores nehme ich mit Dankbarkeit entgegen. Ich bin froh, dass wir uns im Namen unseres Gottes und im Vertrauen auf unseren Glauben auch in aller menschlichen Unzulänglichkeit zur höheren Ehre Gottes versammeln dürfen. Und dies ist der wahre Grund und Anlass auch des heutigen Zusammenseins: zur höheren Ehre Gottes unsere Stimme zu erheben. Zu diesem Gottesdienst habe ich einige meine Lieblingslieder ausgesucht, ich wünsche mir, dass Sie sie aus Leibeskräften mitsingen! Lasst uns beten mit Worten von Karl Barth: Herr, du grosser, heiliger und barmherziger Gott. Du hast die ganze Welt geschaffen, dir gehört sie, deinem guten Willen ist sie unterworfen. Und so sind alle Menschen, so sind auch wir, dein Eigentum, von dir dazu erwählt, dir Ehre zu machen, unsere Zeit und unsere Kräfte sinnvoll zu gebrauchen und als deine Kinder einträchtig beieinander zu sein. Um dessen zu gedenken, sind wir an diesem Sonntagmorgen hier zusammen gekommen. Wir wissen und bedenken: in uns allen ist viel Widerspruch und Widerstand, viel Stumpfheit, Meisterlosigkeit und Besserwisserei. Vergib uns, lass es uns nicht entgelten,

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wie wir es wohl verdienen würden. Brich du selbst hindurch durch alle Mauern, die uns von dir und voneinander trennen. Tu das auch in dieser Stunde. Gib, dass jetzt nichts Falsches gesagt und nichts falsch verstanden werde. Nimm auch unser armes Beten und Singen geduldig an. Wir machen gewiss schlecht genug, was deine Engel recht machen. Sei uns dennoch gegenwärtig und gnädig. Und tu das auch an allen anderen Orten, wo dein Volk sich an diesem Sonntag versammelt. Darum bitten wir dich im Namen unseres Herrn Jesus, deines lieben Sohnes. Amen.

Demission mit Schlüsselrückgabe

Seht die Kanzelbibel und den Schlüssel Eurer Kirche. Sie bilden den Auftrag des Pfarrers ab. Gottes Wort auszulegen und die Türen aufzuschliessen, dazu sind sie da. Als Sämann zu wirken, nicht als Richter ist unser Amt. Ich gebe die Schlüssel der Kreuzkirche jetzt zurück, zum Zeichen, dass ich meinen Auftrag bei Euch nun weitergeben muss. L gibt den Schlüssel aufs Evangeliar. Dazu betet er: Herr, unser Gott, gib dieser Gemeinde deinen Segen. Sende ihr die Kraft des Heiligen Geistes, damit sie blühe und wachse und die Glut deiner Liebe sie zum rechten Tun stark mache. Darum bitte ich durch Christus, unseren Herrn. Amen. Und so bitte ich Euch: betet für mich zu Gott, dass er meinen Weg nicht aus den Augen verliere und ich dies nicht vergesse, alle Tage, dass ich den Menschen seine Botschaft verkünde. Betet für mich, ich will es auch für euch tun! Als Erinnerung schenke ich euch das Buch über die Sanctorum Communio von Dietrich Bonhoeffer: Gemeinsames Leben. Ich möchte es euch ans Herz legen. Darin geht es in erster Linie um das gemeinsame Leben in einer christlichen Lebensgemeinschaft, aber auch um eine „Beschreibung und Begründung einer spirituellen Praxis, die nicht die Auslöschung des eigenen Ichs und Unterordnung zum Ziel hat, sondern vielmehr ‚den einzelnen frei, stark und mündig’ machen und zu christlich verantwortetem Handeln im Alltag befähigen will.“ Es ist bemerkenswert, wann und unter welchen Umständen „Gemeinsames Leben“ entstand und erschienen ist. Bonhoeffer schrieb die rund hundert Seiten in einem Zuge nieder; das ganze im Jahre 1938 während eines Ferienaufenthaltes bei seiner Zwillingsschwester. Das erste Kapitel beginnt mit dem Thema „Gemeinschaft“. Bonhoeffer sagt: „Wer seinen Traum von einer christlichen Gemeinschaft mehr liebt als die christliche Gemeinschaft

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selbst, der wird zum Zerstörer jeder christlichen Gemeinschaft, und ob er es persönlich noch so ehrlich, noch so ernsthaft und hingebend meinte.“ Ich habe das so verstanden, dass eine christliche Gemeinschaft nicht nur Geborgenheit, sondern auch das Gefühl des Fremdseins vermitteln sollte. Wenn wir in einer Gemeinschaft sagen: Ja, wir sind zusammen und helfen einander, so müssen wir auch darauf hinweisen, dass unser letztes Ziel jenseits unserer Zusammengehörigkeit liegt. Ich möchte jeden einzelnen ermutigen, Kritik zu üben, an denen, die die christliche Gemeinschaft zu einem Zufluchtsort oder zu einer heimischen Clique machen. Christliche Gemeinschaft ist eine Berufung durch Gott und kein menschliches Bemühen. Gerade dadurch, dass wir viele persönliche Unterschiede haben, können wir für Gott Zeugnis ablegen. Da geschieht es auch, dass uns die Augen aufgehen für die Not des Nächsten und wir beginnen, einander die Wunden zu verbinden. Ich sehe die christliche Gemeinschaft für mich als eine dankbare Pilgerreise, eine Reise, in der ich nicht jedem gefallen muss, sondern meine Identität als ein freies Selbst in Anspruch nehmen kann. Ich werde es an die Kirchenpflege geben in der Zuversicht, dass Gottes Wort seine Leserinnen und Leser und seine Hörerinnen und Hörer finden wird, wo und wann es ihm gefällt. Lieber Roland, was ich sage, ist ein persönliches Zeugnis, und ich möchte Dir damit einfach DANKE sagen für Dich und Deinen Dienst. Kennengelernt haben wir uns 2005 auf der Lutherreise, später kam die Barth-Lesegruppe, die Madagaskar- und die Calvinreise dazu. Entscheidend für mich aber wurden ein paar seelsorgliche Gespräche mit Dir. Es ging um das Abendmahl. Als junge Frau hatte ich mich enttäuscht von der evangelischen Kirche, so, wie sie an mich herangetragen wurde, abgewandt. Ich suchte Spiritualität, gelebtes Christentum, ich fand Worthülsen und Dogmen, leere Sakramente. Damals schwor ich mir, niemals mehr zu einem Abendmahl zu gehen, es sei denn, neuer Sinn würde sich mir erschliessen. Und ich bin 40 Jahre nicht mehr hingegangen, bis zu unseren Gesprächen. Frei von Zwang und Moralin bist Du mir begegnet. Du sprachst von göttlicher Einladung und ich hörte in Deinen Worten verankerten Glauben, Wahrhaftigkeit. Ich hörte daraus auch eine mir zugedachte Botschaft. Ich war willkommen, beschenkt sollte ich werden. Das Sakrament bekam Tiefe, Heiligkeit, eine Wahrheit, die ich so lange Jahre nur erahnt und beinahe schon als Illusion abgetan hatte. Aus dem Wagnis einer in diesem Sinn angenommenen Einladung wurde ein spiritueller Weg, der mich in eine früher nie gekannte geistige Freiheit und auch Verantwortung führte. Ich wuchs und wachse in ein unbedingtes Ja zum christlichen Glauben. Viele Impulse kamen weiterhin von Dir, in Deinen Predigten, in Gesprächen, auf den Reisen. Noch einmal, dafür bin ich Dir sehr, sehr dankbar. Und ich bin traurig, dass Du von Hottingen weggehst. Von ganzem Herzen wünsche ich Dir alles Gute auf Deinem Pilgerweg in Dein neues Wirkungsfeld. Annemarie Egloff

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Lieber Roland Am frühen Morgen des 24. September 2005 stieg ich beim Kirchgemeindehaus Hottingen in den Bus Richtung Leipzig. Als Nicht Reformierte wusste ich nicht, wie ich hier aufgenommen würde. Ich ging auch gleich zum Pfarrer, sagte ihm, ich kenne ihn nicht, weil ich katholisch sei und nur als Sängerin im katholischen Kirchenchor Witikon an Gottesdiensten teilnehme. Dies war meine erste Begegnung mit dir. Du sahst keine Probleme dabei und hiessest mich willkommen in deiner Reisegruppe. Ich erfuhr, dass ein reformierter Pfarrer nicht nur viel über Reformationsgeschichte und Luther im Speziellen vermitteln konnte, was mich zusehends mehr faszinierte. Du führtest uns auch kompetent ins Leben von Johann Sebastian Bach ein, einer mir vertrauten Welt. In persönlichen Gesprächen lernten wir uns kennen. Wieder zu Hause, besuchte ich dann in der Kreuzkirche deine Gottesdienste. Ich wurde zur begeisterten Zuhörerin deiner Predigten, schätzte deine Liturgie und durfte später auch als Lektorin in deinen Gottesdiensten mitwirken, was mich sehr ehrte. Bald führtest du in der Kreuzkirche die Morgenlob-Andachten nach benediktinischem Ritus ein zusammen mit Markus Braun. Sie wurden zu einer wunderbaren Einstimmung in die Advents- und in die Passionszeit. Mit einigen weiteren Hottingern durfte ich mit dabei sein in deinem Lesekreis zur Einführung in die Christologie Karl Barths. Es folgten die Predigtvorbereitungsgespräche zum Römer- und zum Hebräerbrief. Für mich bedeutete dieser Lesekreis eine wesentliche Bereicherung meines Lebens. Zwei Reisen sollten unserer gemeinsamen Lutherreise folgen: die erste nach Madagaskar mit der Einweihung des Gymnasiums Randzavola und einer Woche auf der Masoala-Halbinsel, die ich als Zoologin besonders ersehnt hatte, und als zweite: die Reise nach Südfrankreich auf den Spuren Calvins und der Hugenotten. Beide bleiben mir als lehrreiche Marchsteine unvergessen. Nun, lieber Roland, wirst du einen neuen Wirkungsort haben. Ich wünsche dir dort sensible Menschen, die deine Ehrlichkeit, deine Herzlichkeit und deine Intelligenz schätzen lernen. Ich werde weiterhin deine Gottesdienste besuchen und wie bis anhin meinem katholischen Kirchenchor die Treue halten. Ich danke dir! Vreni Germann Aus einer jugendlichen Perspektive möchte auch ich mich herzlich bei Roland Diethelm bedanken. Er führte meine Freunde und mich nicht nur durch den Gross-Stadt-Tschungel von Istanbul, sondern kümmerte sich auch im marokkanischen Hochgebirge um seine junge Gruppe. Auf diesen beiden Kulturreisen für Jugendliche aus Hottingen und der Umgebung vermittelte er uns ein offenes Weltbild und nahm uns die Bedenken, sich auf Menschen aus einer anderen Ecke unserer Erde einzulassen. Roland schärfte unseren Sinn, hinter die touristischen Fassaden zu blicken. Er impfte uns ein, auf welchem Weg man die Vielfalt eines Landes erleben kann. Ein Land lernt man durch die Menschen, die Einheimischen kennen. So war es zum Beispiel auf einer Wiese vor der Blauen Moschee in Istanbul. Dort verständigten wir uns mit Händen und Füssen einen ganzen Nachmittag mit zwei türkischen Knaben. Oder diskutierten ein Jahr später in einem heruntergekommenen Café in Marrakesch mit einem frisch verheirateten Marokkaner. Er gab uns Einblicke in seine Religion, seine Zukunftspläne oder einfach in den Alltag in einer für uns so exotisch wirkenden Stadt. Offen, ehrlich und vor allem in einer herzlichen Art und Weise. Offen, ehrlich und herzlich ist auch Pfarrer Diethelm, dessen Erfahrungen in Sachen Reisen

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unerschöpflich scheinen. Roland hatte die Organisation stets im Griff. So ist ein verschollener Koffer in Casablanca die einzige Panne, an die ich mich Erinnern mag. Doch auch abseits der grossen Reisen ist Roland für die Jugend da. Und das wird sich, so hoffe ich, auch nicht so schnell ändern. Seine lockere und unkomplizierte Art ist bemerkenswert. Vor einiger Zeit geisterte der Gedanke herum, in Afrika eine Flussreise durch Mali zu unternehmen. Leider ist es bis jetzt noch nicht dazu gekommen. Doch ich bin mir sicher, dieses Projekt lässt sich auch noch in Zukunft realisieren. Natürlich mit Capitän Roland Diethelm an Bord. Raphaël von Thiessen