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E V O L U T I O N
"Affen haben keine Sprache"Fehlt den Primaten – außer dem Menschen – einfach dasMitteilungsbedürfnis? Die deutsche Affenforscherin Julia Fischerüber den Ursprung der Sprache, wie wir sie kennen.VON Ralf Nestler | 10. Juli 2013 - 00:00 Uhr
© Christian Charisius/Reuters
Paviane im Tierpark Hagenbeck in Hamburg
Frage: Frau Fischer, Sie erforschen den Ursprung von Kommunikation und Sprache .
Seit wann sind Tiere überhaupt in der Lage, Laute von sich zu geben? Konnten bereits die
Dinosaurier rufen?
Julia Fischer: Aber klar! Das weiß jeder, der Jurassic Park gesehen hat. Im Ernst: Die
verschiedensten Tiere nutzen Laute. Natürlich Säuger, aber auch Fische oder Insekten.
Meist geht es darum, den anderen zu etwas zu bewegen, im Sinne von Geh weg! oder
Komm her! Lautäußerungen sind in jedem Falle nützlich und es ist sehr wahrscheinlich,
dass die Evolution sie bereits früh hervorgebracht hat.
Frage: Wie lässt sich das belegen? Es gibt schließlich keine fossilen Tonbänder.
Fischer: Nein, aber aus der Anatomie lässt sich ableiten, ob Urzeittiere Organe zur
Lauterzeugung hatten. Eine andere Frage ist, ob sie diese auch nutzten. Das können wir
nicht sicher sagen, aber es ist sehr wahrscheinlich.
Frage: Primaten – da nehmen wir jetzt mal den Menschen aus, der laut Definition auch
dazugehört – können verschiedenste Laute von sich geben. Dennoch hätten sie keine
Sprache, sagen Sie. Warum?
© Julia Fischer
JUL IA F ISCHER
erforscht am Deutschen Primatenzentrum in Göttingendie Evolution von Sozialverhalten, Intelligenz undKommunikation.
Fischer: Ihre Rufe erfüllen zwei Eigenschaften nicht, die wir als Anforderungen an
Sprache stellen. Da sind zunächst Wörter. Das bedeutet, es muss einen willkürlichen
Zusammenhang geben, also innerhalb einer Sprachgemeinschaft einigt man sich, dass
ein bestimmtes Wort eine bestimmte Bedeutung hat. Und das muss gelernt werden. Man
kann einen Tisch "Tisch" nennen oder ein Bett "Bett". Oder umgekehrt einen Tisch "Bett".
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Solange sich alle einig sind, ist das frei wählbar. Die zweite Anforderung ist Grammatik
– dass wir Wörter in größere Einheiten zusammensetzen und damit neue Bedeutungen
erzeugen. Das schaffen Primaten nicht.
Frage: Würde ihnen vielleicht etwas Training helfen?
Fischer: Das wurde jahrelang versucht, die Ergebnisse sind sehr bescheiden. Natürlich
kann man große Menschenaffen dazu bringen, mit Symbolen zu kommunizieren oder
eine Art Gebärdensprache zu nutzen . Aber sie wenden das in der Natur einfach nicht an,
obwohl sie die Fähigkeit dafür haben.
Frage: Warum tun sie das nicht?
Fischer: Man vermutet, dass ihnen das Mitteilungsbedürfnis fehlt. Sie verstehen vermutlich
gar nicht, dass sie eine eigene Erlebenswelt haben, die sie mit jemand anderem teilen
wollen. Sie gehen wohl eher davon aus, dass alle in derselben Welt leben.
Frage: Sprache haben also erst unsere unmittelbaren Vorfahren entwickelt. Aber wann?
Fischer: Nehmen wir die Neandertaler , ich gehe davon aus, dass diese bereits über
eine rudimentäre Sprache verfügten. Aber das ist sehr umstritten. Anatomisch waren sie
durchaus dazu in der Lage, das wissen wir. Doch haben sie diese Möglichkeit auch genutzt?
Ich glaube, es hat sich zu einer bestimmten Zeit wahnsinnig viel im Gehirn getan. Am
Anfang stand die Einsicht, dass die anderen Individuen ein eigenes Leben haben, einen
eigenen Wissensstand. Wenn man das begriffen hat, sind der Druck und der Wert, zu
kommunizieren, viel größer. Hier kommt noch eine Besonderheit von Sprache hinzu: Sie
bedeutet auch, sich gegenseitig zu informieren und nicht nur zu manipulieren. Wann das
passierte, können wir nicht sagen.
Frage: Welche Methoden könnten helfen, diesen Zeitpunkt herauszufinden?
Fischer: Sehr vielversprechend ist ein zweistufiger Ansatz. Da schaut man einerseits,
welche Veränderungen es im Gehirn gab, die mit Sprache zu tun haben. Und man muss
klären, welche Gene dafür verantwortlich sind. Das ist nicht nur das eine berühmte
"FOXP2"-Gen , sondern es ist eine ganze Reihe. Dann kann man rekonstruieren, wann in
der Evolution diese Mutanten aufgetreten sind. Doch da stochert man noch sehr im Nebel.
Frage: Wenn der Beginn der Sprache nun gar nicht bei Primaten zu finden ist, warum
untersuchen Sie diese noch?
Fischer: Das musste man doch erst mal herausfinden. Man hat sich jetzt drei Jahrzehnte
intensiv mit der Kommunikation von Affen beschäftigt. Immer auf der Suche, ob sie
nicht doch einige Vorformen von Sprache haben. Jetzt können wir sicher sagen: Nein.
Deswegen wende ich mich mit meiner Forschung auch neuen Fragen zu. Ich möchte jetzt
grundsätzlich klären: Was ist die Funktion von Kommunikation? Warum unterscheidet sich
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das Lautrepertoire zwischen einzelnen Arten? Was sind die Drücke in der Evolution, die
das hervorbringen?
Frage: Sie reisen dazu häufiger nach Afrika und betreiben Feldstudien mit Pavianen. Was
genau tun Sie dort?
Fischer: Es gibt zwei wichtige Methoden. Das eine sind Lautaufzeichnungen. Dort geht
es darum, detaillierte Informationen darüber zu bekommen, welches Tier gerufen hat
oder in welcher Situation das war. War es ein gerichteter Ruf an einen Partner oder ein
ungerichteter an die Gruppe? Dann folgt eine computergestützte Analyse, wo wir die Laute
zerlegen und statistische Parameter ableiten. Damit lassen sich verschiedenste Fragen
beantworten. Etwa: Sind gewisse Laute individuell oder rufen Weibchen, die gerade
empfängnisbereit sind, anders als die übrigen Weibchen? Die zweite Methode widmet sich
der Frage, was die Laute für die anderen bedeuten. Dazu spielen wir aufgezeichnete Töne
ab und schauen, wie die Tiere reagieren.
Frage: Wenn Sie für Lautaufzeichnungen mit dem Mikrofon nah an die Paviane
herangehen, haben Sie da nicht manchmal Angst?
Fischer: Na sicher! So ein wütendes Pavianmännchen, das auf einen zurennt, ist kein
schöner Anblick. Das ist furchterregend. Da muss man eisern bleiben und so tun als würde
man es nicht bemerken. Und hoffen, dass es vorbeiläuft. Bis jetzt habe ich Glück gehabt.
Frage: Ihre Arbeit mit dem "Wunderhund" Rico war weitaus weniger gefährlich. Der
Border-Collie, der es bis ins Fernsehen schaffte, kannte die Bedeutung von mehr als 200
verschiedenen Wörtern. Ist das Hörverstehen bei Tieren viel weiter verbreitet, als wir
vermuten?
Fischer: Absolut. Ich glaube, das Hörverstehen ist nicht nur für die arteigene
Kommunikation entstanden, sondern weil es grundsätzlich einen Überlebensvorteil
verschafft, wenn man Laute interpretieren kann. Das kann auch der Laut von einem Räuber
sein oder einer potenziellen Beute. Oder aus der Umwelt. Geräusche sind eine wichtige
Informationsquelle, die viele Tiere zu nutzen lernten. Letztlich ist die Kommunikation
zwischen Individuen einer Art nur ein Sonderfall dieser Fähigkeit.
Weitere Einblicke in ihre Forschung gibt Julia Fischer am Donnerstag, den 11. Juli 2013
an der TU Berlin in ihrem Vortrag "Ursprung der menschlichen Sprache – was uns die
Primatenforschung verrät". Im Hauptgebäude der TU, Hörsaal H 104, Straße des 17. Juni
135, 10623 Berlin. Beginn 18 Uhr, Eintritt frei.
Erschienen im Tagesspiegel
COPYRIGHT: ZEIT ONLINEADRESSE: http://www.zeit.de/wissen/umwelt/2013-07/primatenforscherin-julia-fischer-kommunikation