12
Prinzipien für das Monitoring, die Planung, Regelung und Diagnose von fahrerlosen Transportsystemen Principles for the monitoring, planning, control and diagnosis of autonomous guided vehicles Dipl.-Ing. L. Seybold, MBA, RAFI GmbH & Co KG, Berg; Mgr.-Inz. J. Krokowicz, Hochschule Ravensburg-Weingarten; Prof. Dr. A. 3LHF]\ĔVNL, University of Zielona Góra, Polen; Prof. Dr.-Ing. A. Paczynski, Hochschule Ravensburg-Weingarten; Prof. Dr.-Ing. R. Stetter, Hochschule Ravensburg-Weingarten Kurzfassung Fahrerlose Transportsysteme sind seid vielen Jahrzehnten in der produzierenden Industrie und zunehmend auch in weiteren Bereichen wie Hafenanlagen und großen Kliniken erfolgreich im Einsatz. Die Analyse des Marktes der weltweiten FTS-Inbetriebnahmen europäischer Hersteller zeigt auf, dass die Entwicklung des Marktes erheblichen Schwankungen unterliegt. Nach einem Anstieg bis zum Ende der achtziger Jahre nahm die Anzahl der neu in Betrieb genommenen FTS-Anlagen nahezu stetig bis Mitte der neunziger Jahre ab. Der seit diesem Zeitpunkt zu erkennende Anstieg der Inbetriebnahmen hält bis heute an [1]. Dabei wurden die möglichen Einsatzgebiete und Funktionalitäten stets weiterentwickelt. Trotzdem konnten die Versprechen unbeschränkter Flexibilität und Ökonomie bisher nicht in vollem Umfang eingelöst werden. Untersuchungen zeigen, dass eine Integration von Monitoring, Planung, Regelung und Diagnose das Potential für eine deutlich verbesserte Flexibilität und Ökonomie biett [2]. Hierfür sind allerdings auf allen Ebenen der IT-Realisierung kompatible Prinzipien erforderlich [3]. Ein auf solchen Prinzipien basierendes, hierarchisches Konzept für Monitoring, Planung, Regelung und Diagnose wird in diesem Beitrag im Detail mit Anwendungsbeispielen vorgestellt. Dabei wird insbesondere auf die Notwendigkeit abgehoben mit übergeordneten Systemen zu kommunizieren (Enterprise Resource Planning (ERP) and Manufacturing Execution Systems (MES)) sowie ein flexibles, modulares System mit Echtzeitfähigkeit zu realisieren. Im Fokus steht die Fähigkeit bei der Kommunikation mit übergeordneten Systemen die Datenmenge gezielt zu reduzieren, um ein effektives und effizientes Arbeiten zu ermöglichen. Wichtiges Kernelement zu Realisierung dieses Konzepts sowie allgemein für die Umsetzung der fortgeschrittenen Regelung und Diagnose sowie für Prädiktion sind mathematische

Prinzipien für das Monitoring, die Planung, Regelung und ...Unterteilungen auf horizontaler Ebene sinnvoll und erforderlich. Erste Untersuchungen an der Hochschule Ravensburg-Weingarten

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Prinzipien für das Monitoring, die Planung, Regelung und ...Unterteilungen auf horizontaler Ebene sinnvoll und erforderlich. Erste Untersuchungen an der Hochschule Ravensburg-Weingarten

Prinzipien für das Monitoring, die Planung, Regelung und Diagnose von fahrerlosen Transportsystemen

Principles for the monitoring, planning, control and diagnosis of autonomous guided vehicles

Dipl.-Ing. L. Seybold, MBA, RAFI GmbH & Co KG, Berg;Mgr.-Inz. J. Krokowicz, Hochschule Ravensburg-Weingarten; Prof. Dr. A. , University of Zielona Góra, Polen; Prof. Dr.-Ing. A. Paczynski, Hochschule Ravensburg-Weingarten; Prof. Dr.-Ing. R. Stetter, Hochschule Ravensburg-Weingarten

Kurzfassung

Fahrerlose Transportsysteme sind seid vielen Jahrzehnten in der produzierenden Industrie

und zunehmend auch in weiteren Bereichen wie Hafenanlagen und großen Kliniken

erfolgreich im Einsatz. Die Analyse des Marktes der weltweiten FTS-Inbetriebnahmen

europäischer Hersteller zeigt auf, dass die Entwicklung des Marktes erheblichen

Schwankungen unterliegt. Nach einem Anstieg bis zum Ende der achtziger Jahre nahm die

Anzahl der neu in Betrieb genommenen FTS-Anlagen nahezu stetig bis Mitte der neunziger

Jahre ab. Der seit diesem Zeitpunkt zu erkennende Anstieg der Inbetriebnahmen hält bis

heute an [1]. Dabei wurden die möglichen Einsatzgebiete und Funktionalitäten stets

weiterentwickelt. Trotzdem konnten die Versprechen unbeschränkter Flexibilität und

Ökonomie bisher nicht in vollem Umfang eingelöst werden. Untersuchungen zeigen, dass

eine Integration von Monitoring, Planung, Regelung und Diagnose das Potential für eine

deutlich verbesserte Flexibilität und Ökonomie biett [2]. Hierfür sind allerdings auf allen

Ebenen der IT-Realisierung kompatible Prinzipien erforderlich [3].

Ein auf solchen Prinzipien basierendes, hierarchisches Konzept für Monitoring, Planung,

Regelung und Diagnose wird in diesem Beitrag im Detail mit Anwendungsbeispielen

vorgestellt. Dabei wird insbesondere auf die Notwendigkeit abgehoben mit übergeordneten

Systemen zu kommunizieren (Enterprise Resource Planning (ERP) and Manufacturing

Execution Systems (MES)) sowie ein flexibles, modulares System mit Echtzeitfähigkeit zu

realisieren. Im Fokus steht die Fähigkeit bei der Kommunikation mit übergeordneten

Systemen die Datenmenge gezielt zu reduzieren, um ein effektives und effizientes Arbeiten

zu ermöglichen.

Wichtiges Kernelement zu Realisierung dieses Konzepts sowie allgemein für die Umsetzung

der fortgeschrittenen Regelung und Diagnose sowie für Prädiktion sind mathematische

Page 2: Prinzipien für das Monitoring, die Planung, Regelung und ...Unterteilungen auf horizontaler Ebene sinnvoll und erforderlich. Erste Untersuchungen an der Hochschule Ravensburg-Weingarten

Modelle; im Projekt wurden bereits punktuell detaillierte Modelle zur Beschreibung der

Abläufe im einzelnen Transportsystem entwickelt [4].

Abstract

Automated guided vehicles (AGV) are well-known since many years in producing industry

and are increasingly applied in areas like harbours or large hospitals. The analysis of the

world-wide market for these vehicles shows that the market size is changing rapidly. After an

increase of the size of the market in the eighties of the last century the number of new

installations has decreased until the mid nineties. Since then the number of installations is

increasing [1]. The possible areas of application and functionalities were continuously

developed. Still, the promises of unlimited flexibility and economy were not honoured to the

full extend. Investigations show that an integration of monitoring, planning, control and

diagnosis offer the potential for considerably improved flexibility and economy [2]. For this

purpose compatible principles are necessary on all levels of the IT-realisation [3].

In this paper a hierarchical concept for monitoring, planning, control and diagnosis, which is

based on these principles, is presented in detail with application examples. Special emphasis

is given to the necessity to communicate with superordinate systems (Enterprise Resource

Planning (ERP) and Manufacturing Execution Systems (MES) and to realise a flexible,

modular system with real-time capability. The focus is on the capability to reduce the amount

of data in a goal-directed manner when communicating with superordinate systems in order

to allow an effective and efficient application. Important core elements for the realisation of

this concept and in general for the realisation of advanced control and diagnosis as well as

prediction are mathematical models; in the described project first models for the description

of certain process steps were developed [4].

1. Einleitung

Arbeiten an der Hochschule Ravensburg in anderen Bereichen zeigten auf, dass für die

Erfüllung industrieller Anforderungen integrierte Konzepte für die Regelung und Diagnose

erforderlich sind [5]. Dabei bezeichnet der Begriff „Regelung“ allgemein Aktivitäten, welche

auf die Steuerung und Regulierung von Systemen zielen, und wurde in den letzten

Jahrzehnten eingehend untersucht. In den letzten drei Jahrzehnten haben basierend hierauf

die Methoden und Hilfsmittels der prädiktiven Regelung steigende Aufmerksamkeit gefunden

(vgl. [6], [7]). Prädiktive Regelung basiert typischerweise auf einem dynamischen Modell des

Prozesses; zum Einsatz kommen meist lineare, empirische Modelle, die mittels

Systemidentifikation gefunden wurden.

Page 3: Prinzipien für das Monitoring, die Planung, Regelung und ...Unterteilungen auf horizontaler Ebene sinnvoll und erforderlich. Erste Untersuchungen an der Hochschule Ravensburg-Weingarten

Unter dem Begriff „Planung“ versteht man die gedankliche, graphische oder textuelle

Vorwegnahme von zukünftigem Handeln, beispielsweise zum Zweck des Organisierens oder

des Abwägens von Vorgehensalternativen. Gerade in den betriebswirtschaftlichen Bereichen

und in der Unternehmensführung nimmt die Planung eine wichtige Rolle ein.

In den letzten drei Jahrzehnten haben stetig steigende Anforderungen in den Gebieten

Sicherheit, Zuverlässigkeit und Wartungsfreundlichkeit zu weitreichenden

Forschungsarbeiten im Bereich der Diagnose geführt (einen Überblick bieten Blanke et al.

[8], Isermann [9] und Witczak [10]; dabei zielt Diagnose in erster Linie auf die Entdeckung

und Identifizierung von Fehlern.

2. Monitoring

Der Begriff „Monitoring“ fasst all Arten systematischer Beobachtung, Überwachung und

Aufnahme von Aktivitäten und Prozessen zusammen. In führenden Industriezweigen

(Produktion von Computerchips, Automobilindustrie) werden die meisten Systeme schon

heute aus den Gründen Sicherheit, Effizienz und Planbarkeit einem intensiven Monitoring

unterzogen:

• Die Sicherheit eines Produktionssystems kann verbessert werden, da verlässliche

Sicherheitssysteme auf echtzeitfähigen Monitoring-Systemen basieren können und

da die Rolle von zufälligen Zusammentreffen bei einem kontinuierlichen Monitoring

verringert wird.

• Die Effizienz eines Produktionssystems kann verbessert werden, da jede Art von

Verschwendung aufgedeckt und damit verhindert oder zumindest verringert werden

kann.

• Die Planungsmöglichkeiten und Planungsqualität kann verbessert werden, wenn

exakte Daten eines echtzeitfähigen Monitoring-Systems vorliegen und basierend

hierauf realistische Prognosen erarbeitet werden können.

Zukünftige Methoden eines modellbasierten Monitoring sind im Moment u. A. in diesem

Projekt in Entwicklung und erlauben es bei mobilen Fahrzeugen aus Messwerten wie der

Stromaufnahme der Antriebsmotoren, das aktuelle Gewicht mit Beladung oder sogar die

ungefähre Lage des Massenschwerpunkts zu ermitteln.

3. Konzept für Monitoring, Planung, Regelung und Diagnose

Grundsätzliche Konzepte für Steuerungs- und Regelungssysteme für komplexe

Produktionsumgebungen mit fahrerlosen Transportsystemen wurden an der Hochschule

Ravensburg-Weingarten untersucht [4], [5]. Die Erfahrungen der letzten zwei Jahrzehnte

Page 4: Prinzipien für das Monitoring, die Planung, Regelung und ...Unterteilungen auf horizontaler Ebene sinnvoll und erforderlich. Erste Untersuchungen an der Hochschule Ravensburg-Weingarten

zeigen, dass rein zentral orientierte Systeme für Aufgaben dieses Komplexitätsgrads nicht

geeignet sind. Vielmehr sind hierarchisch gegliederte Systeme vonnöten, die den

gegenläufigen Anforderungen Datenmenge und Geschwindigkeit genüge tun. Bild 1 zeigt ein

Beispiel für ein solches hierarchisch gegliedertes System für Transportsysteme im

Stückgütertransport in der Produktion.

ERPMANAGEMENT

MESProduktion

MPRDSSystem für Monitoring,

Planung, Regelung und Diagnose

Transportsystem mit lokaler Intelligenz

Komponenten mit lokalerIntelligenz (z.B. Antriebsmodule)

Dat

enm

enge

Ges

chw

indi

gkei

t

>600s

<60s

<6s

<0,6s

~10ms

Bild 1: Hierarchisches, verteiltes Konzept

Aufbauend auf einem solchen vertikal unterteilten System sind auch funktionelle

Unterteilungen auf horizontaler Ebene sinnvoll und erforderlich. Erste Untersuchungen an

der Hochschule Ravensburg-Weingarten zeigen, dass eine Unterscheidung der

Schwerpunkte „Sensordaten“, „Ziele, Aufgaben und Befehle“, „Metadaten/Konfiguration“ und

„kinematisches und dynamisches Modell, Controller, Prozeduren, Regeln“ sich in diesem

Bereich anbietet (Bild 2).

Sensordaten

Aktuelle und vorherige Sensor-

Messwerte

Metadaten,Konfiguration

Transportsystem-einstellungen,

etc.

Ziele, Aufgaben,Befehle

Lokale und globaleVorgaben

Kinematisches, dynamischesModell,Controller,Prozeduren,Regeln

Bild 2: Unterscheidung der Schwerpunkte auf einer Ebene

Page 5: Prinzipien für das Monitoring, die Planung, Regelung und ...Unterteilungen auf horizontaler Ebene sinnvoll und erforderlich. Erste Untersuchungen an der Hochschule Ravensburg-Weingarten

Ein Beispiel für die unterste Ebene dieses horizontal und vertikal geordneten Systems zeigt

Bild 3 für eine intelligente Komponente eines Transportsystems, in diesem Beispiel ein

Antriebsmodul mit lokaler, dezentraler Intelligenz.

Ziele;Aufgaben;

Befehle

Konfigurations-informationen

kinematisches unddynamisches Modell

(vereinfacht, reduziert); PID-Controller

Prozeduren, Regeln

Sensor-messwerte

Antriebsmodul (Komponente) mit lokaler, dezentraler Intelligenz

Filterungund Auswahl

Zuordnung

Aktualisierungder Parameter

Austausch/Aktualisierung

Bild 3: Antriebsmodul für fahrerlose Transportsysteme mit dezentraler Intelligenz

Schon auf dieser Ebene sind nach dem vorgeschlagenen System alle vier Schwerpunkte

„Sensordaten“, „Ziele, Aufgaben und Befehle“, „Metadaten/Konfiguration“ und „kinematisches

und dynamisches Modell, Controller, Prozeduren, Regeln“ vorhanden. Jeder dieser

Schwerpunkte ist in irgendeiner Weise mit der nächst höheren Ebene, dem Transportsystem,

in Kontakt. Die Konfigurationsdaten (beispielsweise das aktuelle Gesamtgewicht des

Fahrzeugs) werden ständig ausgetauscht und aktualisiert, eine gefilterte Auswahl der

Sensormesswerte wird ans Transportsystem übertragen, die Parameter für die lokalen

Berechnungen und Regelungssysteme werden ständig aktualisiert und die Ziele, Aufgaben

und Befehle werden in vertikaler Richtung vom Transportsystem der Komponente

Antriebsmodul zugeordnet (Bild 3).

Auch auf der nächst höheren Ebene finden sich die vier Schwerpunkte „Sensordaten“, „Ziele,

Aufgaben und Befehle“, „Metadaten/Konfiguration“ und „kinematisches und dynamisches

Modell, Controller, Prozeduren, Regeln“, die Art der Kommunikation mit der nächst höheren

Ebene - dem System für Monitoring, Planung, Regelung und Diagnose MPRDS - gleicht von

Page 6: Prinzipien für das Monitoring, die Planung, Regelung und ...Unterteilungen auf horizontaler Ebene sinnvoll und erforderlich. Erste Untersuchungen an der Hochschule Ravensburg-Weingarten

der grundsätzlichen Struktur her der Kommunikation zwischen Transportsystem und

Komponente (Bild 4).

Transportsystem mit lokaler,dezentraler Intelligenz

Ziele;Aufgaben;

BefehleKonfigurations-informationen

kinematisches unddynamisches Modell

(vereinfacht); PID-Controller

Prozeduren, Regeln

Sensor-messwerte

Austausch/Aktualisierung

Filterungund Auswahl

Zuordnung

Aktualisierungder Parameter

MPRDS

Bild 4: fahrerloses Transportsystem mit unabhängigen Komponenten

Das besondere Element des vorgeschlagenen Konzepts findet sich auf der mittleren Ebene.

Vorausgehende Untersuchungen haben aufgezeigt, dass die Aspekte Regelung und

Diagnose sehr häufig und sehr tief betrachtet werden. Ganzheitliche Ansätze, die auch den

Schwerpunkt des Monitoring, d. h. des Sammelns aller Arten von Informationen für

übergeordnete Regelungsaufgeben, beispielsweise im ERP (Enterprise Resource Planning),

beinhalten, finden sich sehr selten. Im vorgeschlagenen Konzept wird diese mittlere Ebene

durch ein System für Monitoring, Planung, Regelung und Diagnose MPRDS dargestellt.

Dieses System übernimmt den Großteil der Koordination verschiedener Transportsysteme

und des Planes der Fahrwege (Trajektorien). Auch auf dieser Ebene sind alle vier

Schwerpunkte vertreten (Bild 5).

Das System für Monitoring, Planung, Regelung und Diagnose kommuniziert mit dem

Manufacturing Execution System. Wichtige Konfigurationsinformationen, beispielweise die

Zahl der betriebsbereiten Fahrzeuge werden ausgetauscht, da diese auch für die

übergeordnete Planung von Interesse sind. Die für die übergeordnete Ebene interessanten

Sensordaten werden auf dieser Ebene mit u. A. modellgestützten Verfahren verdichtet und

gefiltert und ebenfalls an das MES übertragen (Bild 5).

Page 7: Prinzipien für das Monitoring, die Planung, Regelung und ...Unterteilungen auf horizontaler Ebene sinnvoll und erforderlich. Erste Untersuchungen an der Hochschule Ravensburg-Weingarten

MPRDS – System für Monitoring, Planung, Regelung und Diagnose

MES - Manufacturing Execution System

MPRDS

Ziele;Aufgaben;

Befehle

Konfigurations-informationen

kinematisches unddynamisches Modell;Prozeduren, Regeln

Sensor-messwerte

(gespeichert)

Austausch/Aktualisierung Filterung

und Auswahl

Zuordnung

Bild 5: System für Monitoring, Planung, Regelung und Diagnose

4. Anwendungsszenarien

In diesem Abschnitt sind zur Verdeutlichung des grundlegenden Konzepts vereinfachte

Anwendungsszenarien beschrieben. Ein naheliegendes Anwendungsszenario betrifft die

Entdeckung eines Druckverlustes am jeweiligen Rad durch das Antriebsmodul (Bild 6).

Szenario: Antriebsmodul entdecktDruckverlust im Rad

Entdeckungsmechanismus• Überwachung von Strom und Drehzahl und

Vergleich mit SimulationsergebnissenSofortige Sicherheitsreaktion:• Entscheidung:

Nothalt/Sanftstop/weiterer Betrieb• Prädiktive Regelung: LenkwinkelInformation an Fahrzeug• Sicherheitsreaktion• Sensordaten

Bild 6: Anwendungsszenario: Ebene Antriebsmodul

Page 8: Prinzipien für das Monitoring, die Planung, Regelung und ...Unterteilungen auf horizontaler Ebene sinnvoll und erforderlich. Erste Untersuchungen an der Hochschule Ravensburg-Weingarten

Die lokale Intelligenz im Antriebsmodul berechnet kontinuierlich ein (vereinfachtes) Modell,

des Antriebsmotors und des Rades und kann mittels eines Vergleichs zwischen den

Ergebnissen dieser Berechung und den aktuellen Sensor-Messwerten einen Druckverlust

entdecken, welcher zu einem Anstieg des elektrischen Stroms bei unveränderter Belastung

und Drehzahl führt (größerer Rollwiderstand). Die erste Reaktion führt die lokale Intelligenz

im Antriebsmodul selbst durch. Beispielsweise mittels eines regelbasierten Systems wird

eine erste Entscheidung für die sofortige Reaktion getroffen: bei einem großen Druckverlust,

welcher den Reifen gefährdet, wird beispielweise das Fahrzeug sofort gestoppt. Darüber

hinaus kann der Lenkwinkel am jeweiligen Antriebsmodul in dieser Situation durch eine

prädiktive Regelung korrigiert werden, um den veränderten Gegebenheit Rechnung zu

tragen und die vorgegeben Trajektorie trotzdem einzuhalten. Das Antriebsmodul

kommuniziert dann mit der nächst höheren Ebene, um die notwendigen Aktivitäten auf der

Fahrzeugebene zu ermöglichen.

Ein weiteres Anwendungsszenario betrifft die zentrale Ebene der Pyramide (Bild 7).

Szenario: MPRDS erfährt von einem Hindernis

MPRDS

Sofortige Sicherheitsreaktion:• Entscheidung: Nothalt/Sanftstop/weiterer BetriebBerechung / Simulation / Prädiktion• Anpassung der Trajektorie prüfen (Makro)Information von weiteren Fahrzeugen anfragen• Plausibilitätscheck/SensorfusionInformation an Fahrzeug• Anpassung der Trajektorie (Makro)• Anpassung der Ziele / Aufgaben / BefehleInformation an MES• Erwartete Produktionsverringerung

Bild 7: Anwendungsszenario: Ebene MPRDS

Durch Sensoren auf Systemebene, beispielsweise einer Kamera oder einem Laser-Scanner

an der Hallendecke entdeckt das MPRDS ein nicht erwartetes Hindernis auf der Trajektorie

eines Fahrzeugs. Vor aufwendigen Rechenoperationen muss das MPRDS sofort eine

Entscheidung treffen: muss das Fahrzeug gestoppt werden oder kann eine Alternativ-

Trajektorie berechnet und umgesetzt werden? Im weiteren Ablauf können eine optimierte

Page 9: Prinzipien für das Monitoring, die Planung, Regelung und ...Unterteilungen auf horizontaler Ebene sinnvoll und erforderlich. Erste Untersuchungen an der Hochschule Ravensburg-Weingarten

Trajektorie für die Fahrzeuge im entsprechenden Fertigungssegment generiert,

Plausibilitätsprüfungen durchgeführt und angepasste Missionen berechnet werden. Die auf

dieser Basis prognostizierte Produktionsverringerung wird an das MES gemeldet.

5. Realisierungskonzept

Die Kommunikation auf den höheren, nicht zeitkritischen Ebenen der Pyramide wird teilweise

schon heute mittels OPC (OLE - Object Linking and Embedding - for process control)

realisiert [11]. OPC ist ein offener Kommunikationsstandard, der in der Industrieautomation

und bei Informationssystemen für Prozessmanagement und betriebswissenschaftlichen

Anwendungen eingesetzt wird. OPC ermöglicht die Benutzung einheitlicher

Zugangsmethoden und Datenbeschreibungen für technologische Prozesse. Auf den unteren

Ebenen des hierarchischen, verteilten Konzepts ist Echtzeitfähigkeit unverzichtbar aufgrund

der erforderlichen Reaktionszeiten beispielsweise in Gefahrensituationen. Ford et al. [12]

sehen zwei grundlegende Ansätze für hoch zuverlässige, echtzeitfähige Systeme – Real-

time CORBA und DDS. CORBA (Common Object Request Broker Architecture) ist ein

Standard der Object Management Group (OMG) welcher dazu dient Funktionalitäten über

ein System zu verteilen [13]. Der Standard Real-time CORBA der OMG beinhaltet unter

Anderem vorhersagbares Speichermanagement. DDS (Data Distribution Service) ist

ebenfalls ein Standard der OMG [14]. Dieser Ansatz basiert auf einer echtzeitfähigen,

datenzentrierten „Publish-Subscribe“-Systemarchitektur (vgl. [15] - Bild 8).

Herausgeber

Anwendung 1

Abonnent

Anwendung 2

Herausgeber

Anwendung 3

Abonnent

Anwendung 5

Herausgeber

Anwendung 4

Abonnent

THEMA 1 THEMA 2

Herausgeber

Anwendung 1

Abonnent

Anwendung 2

Herausgeber

Anwendung 3

Abonnent

Anwendung 5

Herausgeber

Anwendung 4

Abonnent

THEMA 1 THEMA 2THEMA 1 THEMA 2

Bild 8: „Publish-Subscribe“-Systemarchitektur [15]

Hierbei können Klienten eines Systems gewisse Informationsbereiche (beispielsweise eine

Temperaturinformation) abonnieren („subscribe“ - Abonnent). Diese Informationsbereiche

Page 10: Prinzipien für das Monitoring, die Planung, Regelung und ...Unterteilungen auf horizontaler Ebene sinnvoll und erforderlich. Erste Untersuchungen an der Hochschule Ravensburg-Weingarten

werden dann von anderen Klienten bereitgestellt bzw. veröffentlicht („publish“ -

Herausgeber). Besondere Vorteile dieses Ansatzes sind das modulare Design, die lose

Kopplung der Klienten, die offenen Schnittstellen und die Möglichkeit besondere

Leistungsanforderungen zu garantieren („Quality of Service“). Somit eignet sich der Ansatz

sehr gut für die Realisierung der MPRDS-Ebene und der Ebenen unter dieser Ebene. Bild 9

zeigt ein mögliches Konzept für die Realisierung der MPRDS-Ebene.

Datenbasis System Archiv

Missions-kernel

DDS

Optimierungs-kernel

Trajektorien-kernel

Prädiktions-kernel

Diagnose-kernel

OPCGateway

Bild 9: Realisierungsmöglichkeit der Ebene MPRDS mittels DDS

Das MPRDS realisiert mehrere unterschiedliche Funktionalitäten, welche unterschiedliche

Algorithmen und komplexe Funktionsbausteine (als sog. Kernel) erfordern, beispielsweise für

die Berechnung und Optimierung von Trajektorien mobiler Fahrzeuge. Zur Realisierung der

Funktionalitäten müssen in diesem System Daten verschiedener Qualität und Quantität in

Datenbanken gespeichert und bereit gestellt werden. Einen möglichen Ansatz zur

Verknüpfung bildet der Standard DDS.

Schon heute konnten mehre Implementierungen von DDS realisiert werden; DDS wird

beispielsweise durch das US-amerikanische Verteidigungsministerium als verbindlicher

Standard vorgegeben. Das Potential für die Realisierung kann damit als sehr hoch betrachtet

werden. Durch diesen Service können die unterschiedlichsten Anwendungen und

Datenbanken echtzeitfähig miteinander verbunden werden.

Page 11: Prinzipien für das Monitoring, die Planung, Regelung und ...Unterteilungen auf horizontaler Ebene sinnvoll und erforderlich. Erste Untersuchungen an der Hochschule Ravensburg-Weingarten

6. Zusammenfassung

Im vorliegenden Beitrag wurden Arbeiten zur Analyse, Adaption und Integration

fortgeschrittener Regelungs- und Diagnosesysteme für fahrerlose Transportsysteme

beschrieben. Für diesen Einsatzzweck wurde ein hierarchisches, verteiltes Konzept

vorgeschlagen und mit Anwendungsbeispielen beschrieben. Zur Realisierung dieser

abstrakten Prinzipien müssen eine Reihe an Anforderungen beachtet werden. Zunächst

muss ein zukünftiges System offene Schnittstellen zu den in allen Arten von

Produktionsstätten bereits existierenden IT-Strukturen aufweisen. Auf den höheren Ebenen

mit hohen Datendurchsätzen aber geringeren Anforderungen an die Geschwindigkeit

kristallisiert sich OPC (OLE - Object Linking and Embedding - for process control) als

möglicher Standard heraus. Die zentrale Ebene des entworfenen Konzeptes bildet ein

System für Monitoring, Planung, Regelung und Diagnose (MPRDS). In diesem System

vereinigen sich mehrer unterschiedliche Funktionalitäten, welche unterschiedliche

Algorithmen und komplexe Funktionsbausteine für verschiedene Aufgaben erfordern,

beispielsweise für die Berechnung und Optimierung von Trajektorien mobiler Fahrzeuge.

Darüber hinaus müssen in diesem System Daten verschiedener Qualität und Quantität (von

Konfigurationsinformation wie dem aktuellen Gewicht (mit Ladung) eines Fahrzeugs bis zu

Beschreibungen der aktuellen und geplanter Missionen des Fahrzeugs) gespeichert und

bereit gestellt werden. Schließlich ist schon in diesem Bereich aus Sicherheitsgründen

Echtzeitfähigkeit gefordert. Einen möglichen Ansatz zur Verknüpfung unterschiedlichster

Komponenten (Algorithmen und Funktionsbausteine als sog. „Kernel“; Datenbanken, Aktoren

und untergeordnete Systeme sowie eine Schnittstelle zu OPC) bildet der Standard DDS

(Data Distribution Service). Auf dieser Basis wurde ein erstes Realisierungskonzept

entworfen. Im Moment wird dieses Konzept prototypisch realisiert.

7. Literaturangaben

[1] Schulze, L.; Lucas, M.; Runge, J.: „Zukunftsprognosen für die FTS-Technik“. In:

Industrie-Forum – Online – Nr. 2809272, 2010.

[2] Seybold,

monitoring, planning, control and diagnosis system for autonomous vehicles.

Proceedings of the 8th Workshop on Advanced Control and Diagnosis, ACD’2010,

Ferrara, Italy.

Page 12: Prinzipien für das Monitoring, die Planung, Regelung und ...Unterteilungen auf horizontaler Ebene sinnvoll und erforderlich. Erste Untersuchungen an der Hochschule Ravensburg-Weingarten

[3] Seybold, L., Krokowicz, J., Stetter R., Paczynski, A.: Control of independent mobile

robots by means of advanced monitoring, diagnosis and prediction. Proceedings of the

8th Workshop on Advanced Control and Diagnosis, ACD’2010, Ferrara, Italy.

[4] Seybold, L., Krokowicz, J., Stetter R.: Advanced Control and Diagnosis for Mobile

Robots. In: Kluger, K.; Mache, E.; Pawliczek, R. (Eds.): Proceedings of the 6th

Conference on Mechatronic Systems and Materials, MSM’20010, 5. to 8. July 2009,

Opole, Poland (pp. 184 – 185).

[5] Kleinmann, S.; Koscielny, J.; Koller-Hodac, A.; Paczynski, A.; Stetter, R.: „Concept of

an advanced monitoring, control and diagnosis system for positive displacement

pumps“. Proceedings of SysTol 2010, Oktober 2010 in Nizza.

[6] Camacho, E., Bordons, C.: Model Predictive Control. Berlin: Springer, 2004.

[7] Wang, Y., Boyd, S.: Fast Model Predictive Control using Online Optimization. In:

Proceedings of the 17th World Congress. The International Federation of Automatic

Control. Seoul, Korea, July 6-11, 2008.

[8] Blanke, M., Kinnaert, M., Lunze, J., and Staroswiecki, M.: Diagnosis and Fault–

Tolerant Control. Berlin: Springer, 2006.

[9] Isermann, R.: Fault–Diagnosis Systems: An Introduction from Fault Detection to Fault

Tolerance. Berlin: Springer 2005.

[10] Witczak, M.: Modelling and Estimation Strategies for Fault Diagnosis of Non–Linear

Systems: From Analytical to Soft Computing Approaches. Lecture Notes in Control &

Information Sciences. Berlin: Springer 2007.

[11] Iwanitz, F., Lange, J.: OPC: Grundlagen, Implementierung und Anwendung.

Heidelberg: Hüthig, 2005.

[12] Ford, B.; Bull, P.; Grigg, A.; Guan, L.; Phillips, I.: Adaptive Architectures for Future

Highly Dependable, Real-Time Systems. 7th Annual Conference on Systems

Engineering Research 2009 (CSER 2009)

[13] Object Management Group, Inc.: CORBA Basics.

[14] Gerardo Pardo-Castellote. OMG data-distribution service: Architectural overview. In

ICDCSW '03: Proceedings of the 23rd International Conference on Distributed

Computing Systems, Washington, DC, USA, 2003. IEEE Computer Society.

[15] Ryll, M.; Ratchev, S.: Towards a publish/subscribe control architecture for precision

assembly with the Data Distribution Service. RTI-White-Paper – Zugriff 2011.