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Prof. Dr. Florian Bien, Maître en Droit (Aix-Marseille III) Lehrstuhl für globales Wirtschaftsrecht, internationale Schiedsgerichtsbarkeit und Bürgerliches Recht GRUNDKURS BGB IIb Außervertragliches Schuldrecht: Ungerechtfertigte Bereicherung, Geschäftsführung ohne Auftrag, unerlaubte Handlungen Lösungshinweise zu ausgewählten Fällen (Stand: 25.6.2014)

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Prof. Dr. Florian Bien, Maître en Droit (Aix-Marseille III)

Lehrstuhl für globales Wirtschaftsrecht, internationale Schiedsgerichtsbarkeit und Bürgerliches Recht

GRUNDKURS BGB IIb

Außervertragliches Schuldrecht:

Ungerechtfertigte Bereicherung,

Geschäftsführung ohne Auftrag, unerlaubte Handlungen

Lösungshinweise zu ausgewählten Fällen

(Stand: 25.6.2014)

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Fall 1 Darmentfernung (OLG Köln, VersR 2003, 603 = NJW RR 2003, 308)

I. Ansprüche der Mutter aus § 1922 I BGB gegen die Ärzte der T

Der Mutter der Tochter T könnten wegen deren Tod und wegen deren Leiden Ansprüche aus § 1922 Abs. 1 BGB

zustehen. Dazu müssten Ansprüche der M aus § 823 Abs. 1 BGB gem. § 1922 Abs. 1 BGB als Vermögen der T

auf die Mutter als Erbin übergegangen sein. T starb, die M als Mutter ist auch Erbin der T. Ansprüche aus § 823

Abs. 1 BGB müssten Vermögen i. S. d. § 1922 Abs. 1 BGB sein. Vermögen i. S. d. § 1922 Abs. 1 BGB ist die

Gesamtheit aller vermögensrechtlichen Beziehungen des Erblassers.1 Somit zählen auch Ansprüche aus § 823

Abs. 1 BGB zum Vermögen i. S. d. § 1922 Abs. 1 BGB.

1. Vererblicher Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB wegen des Todes der T

Die T ist an ihrer Krankheit gestorben. Das Rechtsgut „Leben“ wurde somit bei T verletzt. Für einen

Anspruch aus § 823 Abs. 1 müsste T zum Zeitpunkt des Todes rechtsfähig (§ 1 BGB) gewesen sein. Die

Rechtsfähigkeit endet aber mit dem Tod (vgl. § 1922 Abs. 1 BGB).2 Somit scheidet ein Anspruch der T

aus § 823 Abs. 1 BGB wegen ihres Todes aus.

2. Vererblicher Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB wegen des Leidens der T

Es könnte ein Anspruch der T gegen ihre Ärzte auf Schmerzensgeld nach § 823 I BGB an die M vererbt

worden sein.

a) Haftungsbegründender Tatbestand

aa) Rechtsgutsverletzung

Mit dem Leiden der T durch die drei Jahre dauernde künstliche Ernährung, die erforder-

liche Dauerpflege und die ständige Gesundheitsverschlechterung wurde das Rechtsgut

körperliche Unversehrtheit verletzt.

bb) Handlung – Tun oder Unterlassen

Es müsste eine Handlung vorliegen, diese kann in einem Tun oder einem Unterlassen lie-

gen. Bei einem Unterlassen müssten die Ärzte eine Garantenstellung innegehabt haben.

Diese ist bei einem behandelnden Arzt gegeben. Die Ärzte versäumten es, notwendige

Untersuchungen einzuleiten, ein Unterlassen liegt somit vor.

cc) Kausalität zwischen Rechtsgutsverletzung und Handlung

Die rechtzeitigen Untersuchungen wären erforderlich gewesen, um das Fortschreiten der

Erkrankung zu verhindern. Die Verspätung der Untersuchung verhinderte eine rechtzeiti-

ge Behandlung, mit der die Folgewirkungen hätten vermieden werden können.

dd) Die Rechtswidrigkeit ist durch die Rechtsgutsverletzung indiziert.

ee) Verschulden

1 Nomos Handkommentar Bürgerliches Recht (HkBGB)/Hoeren, § 1922, Rn. 2

2 HkBGB/Dörner, § 1 Rn. 5

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Die Ärzte der F hätten die Notwendigkeit der Untersuchungen bei Anwendung der im

Verkehr erforderlichen Sorgfalt erkennen müssen. Ein Verschulden in Form der

Fahrlässigkeit (Legaldefinition in § 276 Abs. 2 BGB) ist zu bejahen.

b) Haftungsausfüllender Tatbestand (§§ 249 ff. BGB)

Im Vordergrund steht der immaterielle Schaden (§ 253 Abs. 2), die Leidensjahre der Tochter bis

zu ihrem Tod. Mindernd auf den Betrag wirkt sich nach Ansicht des Gerichts die begrenzte Lei-

denszeit (hier 3 Jahre) aus. Das Oberlandesgericht Köln gewährte hier ein Schmerzensgeld in

Höhe von 300.000 DM (OLG Köln, VersR 2003, 603 = NJW RR 2003, 308).

3. Ergebnis

Die Mutter der T hat wegen des Leidens der T einen vererbten Ersatzanspruch gegen die Ärzte ihrer

Tochter aus §§ 1922 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB in Höhe von 300.000 €.

II. Anspruch der Mutter aus § 844 Abs. 1 BGB für die Kosten der Beerdigung der T

Als direkter Anspruch wegen des Todes der T bleibt M möglicherweise ein Anspruch aus § 844 Abs. 1

BGB.

1. Voraussetzungen des § 844 Abs. 1 BGB

Dazu müssten die Ärzte T gegenüber ersatzpflichtig sein. Die Ärzte schulden T Schadensersatz aus

§ 823 Abs. 1 BGB und sind somit ersatzpflichtig.

Des Weiteren müsste der Mutter die Verpflichtung obliegen, die Kosten für die Beerdigung zu tragen.

Nach § 1968 BGB trägt der Erbe die Kosten der Beerdigung des Erblassers. Demnach obliegt der

Mutter die Pflicht, die Beerdigungskosten der T zu tragen.

2. Ergebnis

Es besteht ein Anspruch der Mutter gegen die Ärzte auf Ersatz der Beerdigungskosten der Tochter

(§ 844 Abs. 1 BGB).

Fall 4 Fleet (BGHZ 55, 153 = NJW 1971, 886) A. Ansprüche der Klägerin bzgl. des eingeschlossenen Motorschiffs aus § 823 I BGB

I. Haftungsbegründender Tatbestand

1. Rechtsgutsverletzung

a. Freiheitsverletzung (-) geschützt ist gemäß § 823 I BGB nur die körperliche Bewegungsfreiheit von Menschen, nicht von Sachen (vgl. § 239 StGB).

b. Eigentumsverletzung (eingeschlossenes Motorschiff)

- Substanzverletzung (-), da keine Zerstörung, Beschädigung, Verunstaltung vorliegt. - Aber: Beeinträchtigung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs der Sache (+), das

Motorschiff der Klägerin ist nicht mehr zum Transport von Gütern geeignet.

2. Rechtswidrigkeit und Verschulden (+)

II. Haftungsausfüllender Tatbestand

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Entgangener Gewinn gem. § 252 BGB (z. B. weil Eigentümer des Schiffes bestimmte Aufträge mit dem eingeschlossenen Schiff nicht durchführen kann).

B. Ansprüche der Klägerin bzgl. der vom Fleet ausgeschlossenen Schuten aus § 823 I BGB

I. Haftungsbegründender Tatbestand

1. Rechtsgutsverletzung:

a. Eigentumsverletzung (-), keine Beeinträchtigung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs, da die ausgeschlossenen Schuten in ihrer Eigenschaft als Transportmittel grundsätzlich weiter genutzt werden können. Dass die Kl. ein ganz konkretes Ziel (Verladestelle) nicht ansteuern kann, stellt keinen Eigentumseingriff dar; vielmehr ist darin eine bloße Beeinträchtigung der Ausübung des der Kl. an dem Fleet zustehenden Gemeingebrauchs zu sehen.

(Krit. Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 613)

b. Sonstige Rechte (-)

(1) Gemeingebrauch (gilt z.B. bei öffentlichen Wegen, Brücken, Flüssen etc.) ist nicht nach § 823 I BGB geschützt. Als allgemeines Recht begründet es für den Einzelnen keinen Anspruch, insbesondere kein absolutes Recht.

(2) Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (EAG): a. Subsidiarität (+), keine vorrangigen Ansprüche ersichtlich. b. Betriebsbezogener Eingriff in den geschützten betrieblichen Bereich als

unmittelbare Beeinträchtigung des Betriebs (-). Hier wurde lediglich die im Besitz der Bundesrepublik Deutschland stehende Ufermauer beschädigt. Dies stellt nur einen mittelbaren Eingriff dar, der nicht vom Recht am EAG umfasst ist. Die Ufermauer ist kein Teil des Betriebs der Kl.

C. Erg.: Die Klägerin hat einen Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 I BGB nur bzgl. des eingeschlossenen Motorschiffs zu. Ansprüche wegen der ausgeschlossenen Schiffe stehen ihr nicht zu.

Fall 4a Veräußertes Leihfahrrad E leiht sein Fahrrad (Wert 250 €) dem S. Kurze Zeit später veräußert S das Fahrrad zum Preis von

300 € an D und händigt es diesem aus. D zahlt den Kaufpreis. Rechtslage? Es ist davon auszugehen,

dass D das Fahrrad unter allem Umständen behalten möchte.

Lösungsskizze

A. Ansprüche des E gegen D auf Herausgabe des Fahrrads

I. Anspruch aus § 985 BGB

1. Eigentum des E

Ursprünglich war E Eigentümer des Fahrrads

Allerdings hat D gutgläubig das Eigentum von S gem. §§ 929 S. 1, 932 BGB erworben

2. Ergebnis

§ 985 BGB (-)

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II. Anspruch aus Nichtleistungskondiktion, § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB

Anspruch scheitert am Vorrang der Leistungskondiktion (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB);

zwischen S und D besteht eine Leistungsbeziehung bzgl. Eigentum und Besitz an dem Fahrrad

Überdies: gutgläubiger Eigentumserwerb gem. §§ 929 S. 1, 932 BGB ist Grund zum

Behaltendürfen und damit Rechtsgrund

§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB (-)

B. Ansprüche des E gegen S

I. Primäranspruch auf Herausgabe des Fahrrads

Rückgabeanspruch aus Leihvertrag gem. § 604 Abs. 1 BGB?

S ist die Rückgabe des Fahrrads nachträglich unmöglich geworden (§ 275 Abs. 1 BGB),

insbesondere da D das Fahrrad unter allen Umständen behalten möchte und damit eine

Wiederbeschaffung ausscheidet

§ 604 Abs. 1 BGB (-)

II. Sekundäransprüche

1. Anspruch auf Schadensersatz in Höhe des Verkehrswerts des Fahrrads (250 €)

a. Anspruch auf Schadensersatz gem. §§ 280 Abs. 1 und 3, 283 BGB

Schuldverhältnis, §§ 598 ff. BGB (+)

Nichtleistung aufgrund von § 275 Abs. 1 BGB (+)

Vertretenmüssen (+)

o Vermutet gemäß § 280 Abs. 1 S. 2 BGB

o Hier sogar Vorsatz (§ 276 BGB)

Rechtsfolge: Ersatz des tatsächlichen Werts von 250 € (§ 251 BGB)

b. Anspruch auf Schadensersatz gem. § 823 BGB

Haftungsbegründender Tatbestand:

o Objektiver Tatbestand:

Rechtsgutsverletzung: Eigentum (+)

Verletzungshandlung: Veräußerung (+)

Haftungsbegründende Kausalität (+)

o Rechtswidrigkeit (+)

o Verschulden (+)

Haftungsausfüllender Tatbestand:

o Schaden: entspricht Wert von 250 € (+)

o Haftungsausfüllende Kausalität (+)

o Rechtsfolge daher: Ersatz des tatsächlichen Werts von 250 € (§ 251 BGB)

c. Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 246 StGB

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Verletzung eines Schutzgesetzes: Verhalten des S stellt eine Unterschlagung gem. § 246 StGB

dar (+)

Verschulden (+)

Rechtsfolge: Ersatz des tatsächlichen Werts von 250 € (§ 251 BGB)

2. Anspruch auf Herausgabe des Kaufpreises von 300 €

a. Anspruch aus § 285 BGB („commodum ex negotiatione“)

Strenggenommen hat S den Kaufpreis nicht infolge des Umstands, auf Grund dessen er

gemäß § 275 I BGB von der Leistungspflicht befreit ist, nämlich die Besitzverschaffung und

Eigentumsübertragung an D, sondern aufgrund des schuldrechtlichen Geschäfts, des

Kaufvertrags, erhalten (Trennungsprinzip)

Die h.M. nimmt jedoch wirtschaftliche Gesamtbetrachtung vor und gewährt dennoch dem E

einen Anspruch gegen S auf Anspruch auf Herausgabe auch des über den Wert

hinausgehenden Verkaufserlös.

b. Anspruch aus unechter GoA gem. §§ 687 Abs. 2 S. 1, 681 S. 2, 667 BGB

Fremdes Geschäft: Veräußerung ist ein Geschäft des Eigentümers E (+)

Als eigenes Geschäft behandelt: S wusste, dass er dazu nicht berechtigt ist, ihm fehlte der

Fremdgeschäftsführungswille (+)

Rechtsfolge: Herausgabe des Erlangten (300 €)

c. Anspruch aus Eingriffskondiktion gem. § 816 Abs. 1 S. 1 BGB

Verfügung (+)

Durch Nichtberechtigten (+)

Wirksamkeit der Verfügung gegenüber dem Berechtigten; gem. §§ 929 S. 1, 932 BGB

gutgläubiger Eigentumserwerb des D; ebenso ist in dem Verhalten des E, dass er den Betrag

herausverlangt, eine Genehmigung des Verkaufs gem. § 185 Abs. 2 BGB zu sehen (+)

Rechtsfolge: Nach h. M. Herausgab des tatsächlich erlangten Entgelts von 300 € (sog.

Gewinnhaftung), damit auch des Mehrerlöses.

Fall 5 Herrenreiterfall (BGHZ 26, 349) Anspruch des Kl. gegen die Bekl. auf Schadensersatz nach § 823 I iVm Art. 1 I, Art. 2 I GG wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts? Der Kl. könnte gegen die Bekl. einen Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 I iVm Art. 1 I, Art. 2 I GG

haben.

I. Haftungsbegründender Tatbestand 1. Rechtsgutsverletzung?

Der Kl. müsste in seinen Rechten oder Rechtsgütern aus § 823 I verletzt worden sein. Vorliegend kommt das allgemeine Persönlichkeitsrecht als „sonstiges Recht“ in Betracht. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist das Recht des Menschen auf Achtung seiner Menschen-

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würde und auf Entfaltung seiner individuellen Persönlichkeit. Es wurde aus Art. 1 I, Art. 2 I GG entwickelt. Durch die eigenmächtige Veröffentlichung seines Bildes durch B wurde K der Frei-heit beraubt, selbst über die Nutzung seines Bildes zu entscheiden und über dieses Gut seiner Individualsphäre zu verfügen (Recht am eigenen Bild). Bereits in dieser Beeinträchtigung in ideellen Interessen liegt ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Kl. Darüber hinaus kann ein solcher Eingriff auch in einer möglichen Beeinträchtigung der Vermögens-interessen des Kl. gesehen werden.3 Der Kl. hätte sein Bild, wenn überhaupt, nur für einen angemessenen Geldbetrag zur Verfügung gestellt.

2. Verletzungshandlung

Die Verletzungshandlung liegt in der unbefugten Werbung mit dem Bild des Kl. 3. Haftungsbegründende Kausalität zwischen Handlung und Rechtsverletzung

Durch die Werbung mit dem Bild des Kl. hat die Bekl. das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Kl. verletzt.

4. Rechtswidrigkeit

Die Bekl. müsste rechtswidrig gehandelt haben. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist ein sogenanntes „Rahmenrecht“. Bei Rahmenrechten muss die Rechtswidrigkeit durch eine Güter- und Interessenabwägung festgestellt werden. Die Bekl. hat wirtschaftliche Interessen an der Nutzung des Bildes. Sie verspricht sich von der Werbung mit dem Kl. einen höheren Absatz des Präparats. Dem steht das persönliche und wirtschaftliche Interesse des Kl. gegenüber. Der Kl. wollte nicht für das Mittel der Bekl. werben. Hätte er das Bild zur Verfügung gestellt, dann hätte er dafür einen angemessenen Geldbetrag gefordert. Die Interessen der Bekl. müssen hinter diesen Interessen des Kl. zurückstehen. Die Bekl. hat rechtswidrig gehandelt.

5. Verschulden

Die Bekl. handelte schuldhaft, da sie zumindest hätte wissen können, dass der Kl. seine Zustimmung nicht erteilt hatte. Im konkreten Fall (BGHZ 26, 349) stellte die Bekl. ihr Verschulden in Abrede: Sie habe nicht gewusst, dass der Kl. der Verwendung des Bildes nicht zugestimmt hatte. Sie habe das Plakat selbst nicht entworfen, sondern habe ein seriöses, fachkundiges und zuverlässiges Werbeunternehmen damit beauftragt. Sie habe sich daher darauf verlassen können, dass Rechte Dritter nicht verletzt würden. Aber auch in diesem Fall ist von einem Verschulden auszugehen. Nach § 276 II BGB handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Angesichts des zu bewerbenden Präparats konnte die Bekl. nicht davon ausgehen, dass der Kl. mit der Verwendung seines Bildes einverstanden ist. Die Bekl. hätte sich vielmehr vergewissern müssen, ob der Kl. der Verbreitung des Bildes zustimmt. Damit ist Verschulden in Form der Fahrlässigkeit zu bejahen.

II. Haftungsausfüllender Tatbestand (Rechtsfolge) 1. Vermögensschaden

Zwar ist dem Kl. vorliegend kein Vermögensschaden entstanden, da davon auszugehen ist, dass er der Verwendung seines Bildes im gegebenen Zusammenhang widersprochen hätte.

3 Die ersten Entwicklungen des vermögensrechtlichen Persönlichkeitsschutz sind bereits BGHZ 20, 345 (Paul

Dahlke) zu entnehmen: Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Vergütung, die bei Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung zu zahlen gewesen wäre (Analogie zur entgangenen Lizenzgebühr).

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Dennoch gewährt die Rechtsprechung trotz fehlenden hypothetischen Einverständnisses Ersatz des eingetretenen Schadens in Höhe einer hypothetischen Lizenzgebühr.4

2. Nichtvermögensschaden Dem Verfassungsauftrag der Art. 1, 2 GG entsprechend spricht die Rechtsprechung im Falle schwerwiegender Verletzungen des Persönlichkeitsrechts, bei denen Genugtuung durch Unterlassung, Gegendarstellung oder Widerruf nicht zu erreichen ist, einen Anspruch auf angemessene Entschädigung des immateriellen Schadens durch Geld zu, § 253 BGB.

III. Ergebnis Der Kl. hat gegen die Bekl. wegen der Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts einen Anspruch auf die Zahlung einer angemessenen Lizenzgebühr sowie Schmerzensgeld aus § 823 I iVm Art. 1 I, Art. 2 I GG.

Fall 6 Fernsehansagerin (BGHZ 39, 124) Hinweis: Hier gilt es, im Rahmen des Tatbestandsmerkmals Rechtswidrigkeit zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Fernsehansagerin auf der einen und dem Recht auf freie Meinungsäußerung und der freien Presseberichterstattung auf der anderen Seite abzuwägen.

Fall 8 Caroline von Monaco (BGHZ 128, 1)

A. Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten auf Widerruf und Richtigstellung aus § 1004 I 1 BGB, analog? I. Voraussetzungen des Beseitigungsanspruchs 1. Betroffenes Rechtsgut (+), bei entsprechender Anwendung (über Wortlaut der Norm hinaus) schützt §

1004 I 1 BGB auch die Rechtsgüter des § 823 I BGB. Hier: das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin aus Art. 1 I i.V.m. Art. 2 I GG. 2. Beeinträchtigung (+), der Beklagte hat in seiner Zeitschrift unwahre Tatsachenbehauptungen über die inneren Gedanken und die Gefühlswelt der Klägerin veröffentlicht. 3. Störereigenschaft des Anspruchsgegners (+), da die Veröffentlichung dem beklagten Verlag auch zurechenbar ist. 4. Fortwirken der Störung (+), die Unwahrheit wurde nicht widerrufen, sodass die falschen

Tatsachenbehauptungen des Beklagten noch immer der Klägerin als ihre eigenen Aussagen zugerechnet werden.

5. Rechtswidrigkeit der Rechtsgutbeeinträchtigung (+), die Klägerin hat die Beeinträchtigung auch nicht zu

dulden, § 1004 II BGB.

II. Ergebnis

Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Widerruf und Richtigstellung aus § 1004 I 1 BGB.

4 In BGHZ 26, 349 (Herrenreiter) wurde der Anspruch auf eine hypothetische Lizenzgebühr noch mit der

Begründung verneint, dass der Kl. auch bei Zahlung einer Vergütung sich für eine solche Werbung nicht zur Verfügung gestellt hätte. Nach BGHZ 169, 340 (Lafontaine) ist eine hypothetische Zustimmung wohl nicht mehr erforderlich.

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B. Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten auf Schadensersatz aus § 823 I BGB iVm Art. 1 I,

Art. 2 I GG?

I. Haftungsbegründender Tatbestand

1. Eingriff in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts

a. Subsidiarität (+), da keine vorrangigen Ansprüche ersichtlich.

b. Eingriff in den Schutzbereich (+) Der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts

kann nicht abschließend definiert werden. Zur Konkretisierung des Schutzbereichs werden

daher Fallgruppen gebildet. So umfasst eine Fallgruppe den Schutz vor Verfälschungen des

Bildes einer Person in der Öffentlichkeit. Hier veröffentlicht der Beklagte vermeintliche

Aussagen der Klägerin über ihre inneren Gedanken und ihre Gefühlswelt. Mangels Widerrufs

und Richtigstellung wird somit ein verfälschtes Bild der Klägerin in die Öffentlichkeit

projiziert.

2. Handlung: das Drucken und Inverkehrbringen des Interviews.

3. Haftungsbegründende Kausalität zwischen Handlung und Eingriff in das allgemeine

Persönlichkeitsrecht (+).

4. Rechtswidrigkeit? Eingriffe in sog. Rahmenrechte wie das allgemeine Persönlichkeitsrecht

indizieren die Rechtswidrigkeit nicht. Vielmehr bedarf es der positiven Feststellung der

Rechtswidrigkeit des Handelns des Bekl.

Im vorliegenden Fall stehen möglicherweise das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin

einerseits und die gemäß Art. 5 I 2 GG geschützte Pressefreiheit des Beklagten in Konflikt

miteinander. Zwar umfasst Art. 5 I 2 GG das Recht, über das Leben prominenter Personen zu

berichten. Dieses Recht schließt aber nicht das Recht mit ein, die Berichterstattung auf

unwahren Tatsachenbehauptungen zu stützen. Damit kann der Beklagte sich nicht auf die

Pressefreiheit berufen. Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin war

damit rechtswidrig.

5. Verschulden (+), der Beklagte handelte vorsätzlich.

II. Haftungsausfüllender Tatbestand:

Fraglich ist, in welcher Form und in welchem Umfang der Beklagte Schadensersatz zu leisten hat.

1. Naturalrestitution in Form des Widerrufs und der Richtigstellung, § 249 I BGB. (+)

2. Ersatz des immateriellen Schadens?

Problematisch, da für das allgemeine Persönlichkeitsrecht weder § 253 I BGB noch § 253 II

BGB einschlägig sind. Der Schaden bei einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeits-

rechts ist jedoch meist immaterieller Natur. Ein Schutz ist damit nur unzureichend möglich.

Der BGH löst dieses Problem durch eine verfassungskonforme Auslegung des § 253 I BGB. Es

besteht somit ein Anspruch auf Geldentschädigung, wenn ein schwerwiegender Eingriff gege-

ben ist und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend ausgeglichen werden

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kann (BGHZ 128, 1, 12). Hier schiebt der Beklagte der Klägerin vorsätzlich falsche Äußerungen

über höchstpersönliche Gedanken und ihre Gefühlswelt unter in der Hoffnung auf einen

kommerziellen Vorteil. Ein schwerwiegender Eingriff ist somit zu bejahen. Auch kann die

Beeinträchtigung ihres Persönlichkeitsbildes nicht vollständig durch die Naturalrestitution in

Form des Widerrufs ausgeglichen werden.

Fraglich ist die Höhe des Schadensersatzes. Anders als bei einem Anspruch auf Schmerzens-

geld nach § 253 II BGB steht in Fällen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts

der Gesichtspunkt der Genugtuung des Opfers im Vordergrund (BGHZ 128, 1, 15). Die Höhe

der Geldentschädigung sollte darüber hinaus auch präventiven Charakter haben, um zu-

künftigen Verletzungen des Persönlichkeitsrechts Prominenter vorzubeugen. Motiv des Ein-

griffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht war das Gewinnstreben des Beklagten. Dies

muss bei der Schadensberechnung berücksichtigt werden.

III. Ergebnis: Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Widerruf und Richtig-

stellung sowie auf Ersatz ihres immateriellen Schadens aus § 823 I BGB iVm Art. 1 I, Art. 2 I

GG.

Fall 9 Stromkabel I (BGHZ 29, 65 = NJW 1959, 479): Anspruch des Klägers gegen den Beklagten auf Schadensersatz aus § 823 I BGB?

I. Haftungsbegründender Tatbestand

Voraussetzung ist die Verletzung eines absolut geschützten Rechtsguts.

1. Der Produktionsstillstand hat beim Kläger zunächst einen Vermögensschaden (entgangener

Gewinn) zur Folge. Das Vermögen als solches ist nicht von § 823 I BGB geschützt. In Betracht

kommt aber eine Pflicht des Beklagten zum Ersatz auch des dem Kläger entstandenen Ver-

mögensschadens, wenn er Folge der Verletzung eines der von § 823 I geschützten

Rechtsgüter ist:

2. Eigentumsverletzung?

a. Eigentumsverletzung an den Stromkabeln (-). Zwar hat der Beklagte die Stromkabel be-

schädigt. Diese stehen jedoch nicht im Eigentum des Klägers, sondern seines Stromversor-

gers.

b. Eigentumsverletzung an den strombetriebenen Maschinen (-).

Der Kläger ist lediglich daran gehindert, die Maschinen in seiner eigenen Fabrik zu nutzen.

Insoweit sind die Maschinen den Schiffen im Fleetfall (BGHZ 55,153, s. o. Fall 4) vergleichbar,

die nicht im Kanal eingeschlossenen waren, sondern lediglich daran gehindert waren, die an-

gesteuerte Mühle zu erreichen.

Anm.: Die Vergleichbarkeit mit den ausgeschlossenen Schiffen, lässt sich jedoch auch be-

streiten. Im Gegensatz zu Schiffen sind Produktionsmaschinen nur bedingt mobil bzw. auf Mo-

bilität ausgerichtet; man denke bspw. nur an die großen Produktionsanlagen eines Kfz-Her-

stellers. Rein faktisch betrachtet scheint hier die Beeinträchtigung wesentlich intensiver, als

bei einem Schiff, das von dem Betreiberunternehmen evtl. noch anderweitig eingesetzt

werden kann. Es ließe sich daher auch durchaus argumentieren, dass dieser Fall den ein-

geschlossenen Schiffen näher steht.

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3. Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb?

a. Subsidiarität (+), da keine vorrangigen Ansprüche ersichtlich.

b. Gewerbebetrieb = ein auf Dauer angelegter und auf Gewinnerzielung gerichteter

Betrieb (+), Unternehmen des Klägers.

c. betriebsbezogener, unmittelbarer Eingriff (-), hier ist allein das Stromkabel, also das

Eigentum des Stromversorgers, unmittelbar betroffen. Der Betrieb des Klägers als

solcher ist nicht betroffen. Es handelt sich vielmehr um eine mittelbare, nämlich

zufällige Beeinträchtigung der Produktion im Gewerbebetrieb des Klägers. Damit

fehlt die Betriebsbezogenheit des Eingriffs.

II. Ergebnis: Mangels Rechtsgutsverletzung hat der Kläger gegen den Beklagten keinen

Anspruch aus § 823 I BGB.

Abwandlung Stromkabel II = Geflügelzucht (BGHZ 41, 123 = NJW 1964, 720): Anspruch des Klägers gegen den Beklagten auf Schadensersatz aus § 823 I BGB?

I. Haftungsbegründender Tatbestand

1. Rechtsgutsverletzung?

a. an der elektrischen Freileitung (-), da nicht im Eigentum des Klägers.

b. an den Eiern (+), Substanzbeeinträchtigung, Eigentumsverletzung.

2. Handlung: das Niederreißen der elektrischen Freileitung durch das Fällen

des Baumes.

3. Haftungsbegründende Kausalität zwischen Handlung und Rechtsgutverletzung?

a. Kausalität nach der Äquivalenz- und der Adäquanztheorie (+)

b. Zurechnung (+), zwar hat der Beklagte die Rechtsgutverletzung nur mittelbar verursacht.

Durch das sorgfaltswidrige Fällen hat er aber eine Verkehrssicherungspflicht verletzt, sodass

ihm die Rechtsgutverletzung zurechenbar ist. (+)

4. Rechtswidrigkeit (+)

5. Verschulden (+), Fahrlässigkeit, da er beim Fällen des Baumes die im Verkehr

erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat, § 276 II BGB.

II. Haftungsausfüllender Tatbestand:

1. Schaden: Entgangener Gewinn nach § 252 BGB (+)

(alternativ: Wertersatz für die zerstörten Eier, § 251 BGB, Wiederherstellung, § 249, ist

unmöglich).

2. Haftungsausfüllende Kausalität zwischen Rechtsgutsverletzung und Schaden (+), der

entgangene Gewinn ist durch die Rechtsgutsverletzung (Zerstörung der Eier) verursacht

worden.

III. Ergebnis:

Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Ersatz des entgangenen Gewinns aus § 823 I

BGB.

Fall 11 Blockade Anspruch der Kl. gegen die Bekl. auf Schadensersatz aus § 823 Abs. 1 BGB?

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I. Haftungsbegründender Tatbestand

1. Rechtsgutsverletzung und Handlung?

Als verletztes Rechtsgut kommt hier das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb in

Betracht (sog. sonstiges Recht).

a. Rechtsschutzlücke (Subsidiarität)? Dies ist hier nicht ganz unproblematisch, da sowohl

§ 823 Abs. 2 i. V. m. 240 StGB als auch § 826 als mögliche Haftungstatbestände in Frage

kommen. Es ist allerdings anerkannt, dass unmittelbare Eingriffe in einen fremden Gewerbe-

betrieb auch dann eine Ersatzpflicht auslösen können, wenn sie ohne Bewusstsein der Schä-

digung vorgenommen oder nicht als sittenwidrig zu werten sind (vgl. BGHZ 59, 30ff.). Zu

§ 826 besteht daher Anspruchskonkurrenz. Entsprechendes muss auch im Verhältnis zu § 823

Abs. 2 i. V. m. 240 StGB gelten.

b. Betriebsbezogener, unmittelbarer Eingriff? Die gegen den Betrieb der Kl. gerichtete Blockade

stellt einen unmittelbaren, betriebsbezogenen Eingriff in das Recht der Kl. an der ungestör-

ten Ausübung ihres Gewerbebetriebes dar.

3. Haftungsbegründende Kausalität zwischen Handlung und Rechtsgutsverletzung (+)

4. Rechtswidrigkeit?

Eingriffe in sog. Rahmenrechte wie das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb

inidizieren nicht die Rechtswidrigkeit. Vielmehr muss die Rechtswidrigkeit hier positiv mittels einer

umfassenden Güterabwägung festgestellt werden.

Auf Seiten des Bekl. könnte das durch Art. 5 und 8 GG gewährleistete Demonstrationsrecht in Ansatz

gebracht werden. Dagegen spricht aber, dass Art. 8 Abs. 1 GG nur das Recht zur friedlichen Ver-

sammlung gewährleistet. Die Demonstrationsfreiheit dient demnach vor allem der gemeinsamen

Kundgabe einer übereinstimmenden Meinung durch einen öffentlichen Aufzug. Sinn und Zweck der

Demonstrationsfreiheit werden jedoch dann verfehlt, wenn die kollektive Meinungsäußerung ihr Ziel

mit Hilfe eines auf Unterlassung fremder Meinungsäußerung gerichteten unmittelbaren Zwanges zu

erreichen sucht. Der Bekl. kann sich daher nicht auf die Demonstrationsfreiheit berufen.

Auf Seiten der Kl. ist hingegen das Recht auf Pressefreiheit in Ansatz zu bringen, da sich die Blockade-

maßnahmen gegen ihr Presseunternehmen richten. Zwar schützt die Pressefreiheit nicht vor wirt-

schaftlichen Nachteilen; sie schützt aber die freie geistige Betätigung und den Prozess der Meinungs-

bildung. Deshalb müssen zum Schutz des Instituts der freien Presse die Presseorgane – auch solche,

die die Erzeugnisse der Presse zwar nicht gestalten, aber verbreiten – gegenüber Eingriffen gesichert

werden. Im Ergebnis läuft das Verhalten des Bekl. auf eine unerlaubte Zensur durch Andersdenkende

hinaus.

Im Ergebnis überwiegt daher die Pressefreiheit der Kl. Die Rechtswidrigkeit ist somit zu bejahen.

5. Verschulden (+)

II. Haftungsausfüllender Tatbestand: Ersatz des entgangenen Gewinns, § 252 BGB

III. Ergebnis: Die Kl. hat gegen den Bekl. einen Anspruch auf Schadensersatz (entgangener

Gewinn) aus § 823 I.

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13

Auch ein Anspruch aus § 826 ist im vorliegenden Fall zu bejahen. Sofern man hier auch die Anwen-

dung von Gewalt i. S. d. § 240 StGB (Nötigung) bejaht (Tatsachenfrage des Einzelfalles), kommt

zudem eine Haftung aus § 823 Abs. 2 i. V. m. § 240 StGB in Betracht.

Fall 13 Schlacke

Anspruch des Kl. gegen Bekl. auf Schadensersatz aus § 823 I BGB?

I. Haftungsbegründender Tatbestand

1. Rechtsgutsverletzung?

a. am Grundstück (-), da dieses von Anfang an mangelhaft war. Kläger war nie Eigentümer eines mangelfreien Grundstücks selbst.

b. am Haus (-), da Kl. auch im Hinblick auf das Gebäude zu keinem Zeitpunkt Eigentümer eines mangelfreien Gebäudes war, auch wenn die Schäden an dem Gebäude nicht bereits bei Errichtung, sondern erst einige Zeit später eingetreten seien. Grundstück und Gebäude bilden nach Ansicht des BGH bei natürlicher und wirtschaftlicher Betrachtung eine Einheit, die von Anfang an mit dem später aufgetretenen Mangel behaftet gewesen sei. Im Übrigen sei auch das Gebäude selbst nicht mangelfrei gewesen, da es aufgrund seiner Verbindung mit dem Grundstück den Stabilitätsmangel von Anfang an in sich trug.

c. an den in das Haus eingebauten Teilen (+), der BGH deutet diese Lösung an.

2. Handlung: Einbringen der Schlacke.

3. Haftungsbegründende Kausalität zwischen Handlung und Rechtsgutsverletzung (+).

4. Rechtswidrigkeit (+), wird durch die unmittelbare Rechtsgutsverletzung indiziert.

5. Verschulden (+), Sorgfaltswidrigkeit des Bekl. ist zu bejahen.

II. Haftungsausfüllender Tatbestand: Anspruch auf Ersatz der eingebauten Teile, § 249 I.

III. Erg.: Kl. hat gegen Bekl. Anspruch auf Ersatz der eingebauten Teile aus § 823 I.

Fall 17 Schwimmerschalter (BGHZ 67, 359) I. Vertraglicher Schadensersatzanspruch des Kl. gegen Bekl. aus §§ 434, 437 Nr. 3, 280 I, III, 281 I 1

2. Alt. ist lt. SV nicht durchsetzbar, da verjährt.

II. Anspruch des Kl. gegen Bekl. auf SE aus § 823 I?

1. Eigentumsbeeinträchtigung?

a. bezüglich weiterer Betriebsanlagen des Klägers, die durch Brand beschädigt oder zerstört

wurden (+), unstreitig Integritätsinteresse verletzt

b. bezüglich Schwimmerschalter: (-), da von Anfang an mangelhaft. Bezogen auf den defekten

Schwimmerschalter war Kl. unstreitig niemals Eigentümer einer mangelfreien Sache.

c. Str.: bezüglich ursprünglich nicht mangelhafter Reinigungsanlage im Übrigen

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- BGH: (+), da Bekl. dem Kl. hier „Eigentum an einer Anlage verschafft [hat], die im

übrigen einwandfrei war und lediglich ein - funktionell begrenztes - schadhaftes Steu-

erungsgerät enthielt, dessen Versagen nach der Eigentumsübertragung einen

weiteren Schaden an der gesamten Anlage hervorgerufen hatte.“ Der defekte

Schwimmerschalter ist hier ein sog. weiterfressender Mangel.

- Abgrenzung nach Ansicht des BGH hier einfach: „angesichts der Relation zwischen

dem geringen Wert des Schwimmerschalters und der zum Gesamtpreis von etwa

20 000 DM verkauften Reinigungsanlage eindeutige[r] Fall“.

2. Objektive Pflichtverletzung der Beklagen (+)

- BGH: Produktion und Inverkehrbringen der mangelhaften Reinigungsanlage als Verstoß gegen

Verkehrssicherungspflicht.5

3. Kausalität (+)

4. Rechtswidrigkeit (+), ist bei Rechtsgutsverletzung indiziert.

5. Verschulden?

- Hier: Beweislastumkehr unter dem Gesichtspunkt der so genannten »Produzentenhaftung«6:

Beklagte ist Herstellerin, Umstand lag ganz in ihrem Einflussbereich.

- Hier: Anwendbarkeit des »Rechtsinstitut der Produzentenhaftung« auch wenn Verkäufer zugleich

Hersteller. Es besteht Anspruchskonkurrenz zwischen SE-Anspruch aus Vertragsverletzung und Delikt.

6. Rechtsfolge: Anspruch des Kl. gegen Bekl. auf Schadensersatz gemäß § 249 Abs. 1 für zerstörte

Reinigungsanlage und seine sonstigen Betriebsanlagen, nicht aber für Schwimmerschalter selbst.

7. Durchsetzbarkeit? (+) kurze kaufrechtliche Verjährungsfrist findet auf deliktischen Anspruch keine

Anwendung (Anspruchskonkurrenz).

III. ProdHG

Eine Haftung der Bekl. aus § 1 Abs. 1 S. 1 ProdHG scheitert, da das Produkthaftungsgesetz nur den

privaten Endverbraucher schützt (S. 2). Zudem ist schon fraglich, ob Weiterfresser-Rechtsprechung

auf ProdHG anwendbar (vgl. S. 2: „andere Sache“).

Fall 19 Kondensatoren I. Vertraglicher Schadensersatzanspruch des K gegen V aus §§ 434, 437 Nr. 3, 280 I, III, 281 I 1 1. Alt.

ist lt. SV nicht durchsetzbar, da verjährt (§ 438 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2: zwei Jahre nach Ablieferung der

Sache).

II. Anspruch des K gegen V aus § 823 I?

1. Eigentumsverletzung?

5 Nach der abweichenden Auffassung von Beate Gsell (z. B. NJW 2004, 1913, 194f.) liegt die Pflichtverletzung in

dem Unterlassen der Aufklärung über die (mangelhafte) Sachbeschaffenheit. 6 Dazu später in der Vorlesung.

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a. Lieferung mangelhafter Kondensatoren (-), da von Anfang an mangelhaft. Insoweit hatte K

niemals mangelfreies Eigentum.

b. Beschädigung der im Eigentum der K stehenden Regler?

- e. A.: nein, da keine physische Beeinträchtigung der Gesamtsache (Substanzver-

letzung), lediglich Beeinträchtigung der Funktion, die vertraglich geschützt ist.

- BGH: ja: „Eine zum Schadensersatz verpflichtende Eigentumsverletzung hat sich im

vorliegenden Fall jedoch dadurch ereignet, dass bei den später vorgenommenen Re-

paraturarbeiten die Kondensatoren nur unter Beschädigung oder Zerstörung anderer

Teile der von der Beklagten hergestellten Regler ausgebaut werden konnten.“

Leitsatz des Urteils: „Stellt der Käufer einer mangelhaften Sache durch deren Verbindung mit

mangelfreien Sachen, die in seinem Eigentum stehen, eine neue Sache her, bei welcher die

mangelhaften Teile ohne Beschädigung der mangelfreien Teile von diesen nicht getrennt

werden können, so liegt jedenfalls im Zeitpunkt der Trennung eine Eigentumsverletzung an

den bisher unversehrten Teilen der neuen Sache vor.“7

- Kritik (Brüggemeier/Herbst, aaO): „Ziel der deliktischen Produzentenhaftung ist es,

den Hersteller für Personen- und Sachschäden haftbar zu machen, die bei Dritten

durch das Inverkehrbringen fehlerhafter Produkte entstanden sind. Hier ist aber bei

niemanden ein derartiger Integritätsschaden eingetreten.“ Hier liegt vielmehr Selbst-

schädigung des Weiterverarbeiters vor. Damit handelt es sich um einen reinen, von

§ 823 I nicht gedeckten Vermögensschaden.

2. Verletzungshandlung (+): Lieferung der fehlerhaften Kondensatoren.

3. Kausalität (+), Ausbau der fehlerhaften Kondensatoren und damit Zerstörung der Rahmen sind

adäquat kausal verursacht worden, da wirtschaftlich sinnvoll (Kosten einer Reparatur der defekten

Regler sind erheblich niedriger als die eines vollständigen Ersatzes (70 DM bzw. 85 DM im Verhältnis

zu 285 DM je Stück).

4. Rechtswidrigkeit (+), indiziert.

5. Verschulden (+), wird nach den Grundsätzen über Produzentenhaftung vermutet.

5. Rechtsfolge: V schuldet K Ersatz der Kosten der Nacharbeiten (§ 249 II), aber keine neuen Konden-

satoren.

Fall 22 Verunglückter Ehemann (BGHZ 56, 163)

A. Anspruch der F aus § 823 Abs. 1 BGB

I. Haftungsbegründender Tatbestand

1. Rechtsgutsverletzung

7 Beachte: Im Transistoren-Fall hat der BGH (BGHZ 138, 230, 236 = NJW 1998, 1942) entschieden, dass bei Ver-

bindung einwandfreier Teile des Herstellers mit dazu bestimmten, aber mangelhaften Teilen des Zulieferers be-reits im Zeitpunkt der Verbindung eine Eigentumsverletzung vorliegt, wenn dadurch die zuvor unversehrten Teile mangelhaft werden und der Ausbau wirtschaftlich nicht sinnvoll wäre.

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F könnte in ihrer Gesundheit verletzt worden sein. Dies setzt voraus, dass der durch die

Unfallnachricht erlittene schwere seelische Schock als Gesundheitsverletzung i. S. d. § 823

Abs. 1 zu qualifizieren ist. Ein starkes negatives Erlebnis, das Empfindungen wie Schmerz,

Trauer und Schrecken hervorruft, stört zwar regelmäßig die physiologische Abläufe und

seelische Funktionen in sehr empfindlicher Weise. Der BGH legt den Begriff der

Gesundheitsverletzung jedoch unter Schutzzweckgesichtspunkten restriktiv aus und sieht nur

dann „Schockschäden“ davon erfasst, wenn sie zu medizinisch erfassbaren Folgewirkungen

führen, die das Maß an Erregung, Bestürzung und Betroffenheit überschreiten, mit dem bei

einem solchen Vorfall stets gerechnet werden muss (vgl. den ersten amtlichen Leitsatz von

BGHZ 56, 163). Die Beeinträchtigungen müssen selbst „echten Krankheitswert“ besitzen.

Mit einem „schweren seelischem Schock“ bezeichnet die Umgangssprache eine heftige

Gemütsbewegung, die jedoch keinen Krankheitscharakter aufzuweisen braucht. Folglich fehlt

es nach Ansicht des BGH an einer Gesundheitsverletzung.

2. Ergebnis: Der F steht kein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB gegen D zu.

B. Denkbar sind allerdings Ansprüche aus § 7 Abs. 1 StVG und § 18 Abs. 1 StVG.

Abwandlung (vgl. auch dazu BGHZ 56, 163)

A. Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB

I. Haftungsbegründender Tatbestand

1. Rechtsgutsverletzung

Die F könnte in ihrer Gesundheit verletzt worden sein. Voraussetzung dafür ist, dass der

durch die Unfallnachricht erlittene schwere seelische Schock als Gesundheitsverletzung

i. S. d. § 823 Abs. 1 zu qualifizieren ist. Dies ist hier zu bejahen, da der Schock mit Wesens-

änderungen in Form von Depressionen, Schlaflosigkeit und unkontrollierten Weinanfällen

verbunden ist, und damit einen echten Krankheitswert aufweist.

2. Verletzungshandlung des D

Das haftungsrelevante Verhalten des D ist in der Verursachung des Unfalls zu sehen.

3. Haftungsbegründende Kausalität

a. Kausalität im Sinne der Äquivalenzformel (+)

b. Adäquanz

Die Unfallverursachung ist auch adäquat kausal für die Gesundheitsverletzung der F. Denn es

liegt nicht außerhalb der Lebenserfahrung, dass eine Ehefrau bei der Nachricht vom Tode

ihres Mannes einen Schock dieses Ausmaßes erleidet.

c. Schutzzweck der Norm

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Der schwere seelische Schock der F beruhte nicht auf einem unmittelbaren Eingriff in ihre

Rechtsgüter, sondern war lediglich psychisch vermittelt. In Fällen der psychisch vermittelten

Kausalität nimmt die Rspr. unter Schutzzweckgesichtspunkten eine Einschränkung nach dem

Personenkreis vor. Grundsätzlich wird dabei die Zurechnung von Schockschäden nur bejaht,

wenn der Tote oder Verletzte ein naher Angehöriger ist (Eltern, Kinder, Ehegatten). F ist die

Ehefrau des M und damit nahe Angehörige.

Anm.: Die Rspr. ist hier zu recht bemüht, einer uferlose Ausweitung der deliktischen

Schadensersatzhaftung entgegenzuwirken, um damit Haftungslawinen zu vermeiden. Treffend

insoweit Elsner in NJW 2007, 2764, 2766: „Es steht zu befürchten, dass durch Handy Filmaufnahmen

oder immer sensationsgieriger werdende Medien Unfallfilme in Echtzeit massenhaft verbreitet

werden. Der Kreis von möglichen Anspruchstellern, insbesondere solcher, die sich das Ereignis nur zu

Nutze machen wollen, würde unbegrenzbar erweitert.“

4. Rechtswidrigkeit (+)

5. Verschulden (+)

II. Haftungsausfüllender Tatbestand

1. Schaden (+)

2. Haftungsausfüllende Kausalität (+)

B. Auch Ansprüche aus § 7 Abs. 1 StVG und § 18 Abs. 1 StVG sind denkbar.

Fall 23 Unfallbeteiligter (BGH NJW 1986, 777)

A. Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB

I. Haftungsbegründender Tatbestand

1. Rechtsgutsverletzung: Gesundheitsverletzung in Form einer Unfallneurose

2. Verletzungshandlung des F

3. Haftungsbegründende Kausalität

a. Kausalität im Sinne der Äquivalenzformel (+)

b. Adäquanz (+)

c. Schutzzweck der Norm

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Die Unfallneurose des P beruhte nicht auf einem unmittelbaren Eingriff in seine Rechtsgüter,

sondern war lediglich psychisch vermittelt. In Fällen der psychisch vermittelten Kausalität

nimmt die Rspr. unter Schutzzweckgesichtspunkten eine Einschränkung nach dem

Personenkreis vor. Grundsätzlich wird dabei die Zurechnung von Schockschäden nur bejaht,

wenn der Tote oder Verletzte ein naher Angehöriger ist (Eltern, Kinder, Ehegatten). Eine

Ausnahme wird aber auch gemacht, wenn der Geschädigte selbst unmittelbar am Unfall

beteiligt war. „Wer deshalb psychische Schäden erleidet, weil er vom Schädiger in die Rolle

eines Unfallbeteiligten gezwungen wird, steht jedenfalls unter dem Schutzbereich der

Haftungsvorschrift des § 823 Abs. 1 BGB, weil seine körperliche Integrität in gleicher Weise

wie bei einer nur äußeren Einwirkung beeinträchtigt wird“ (vgl. BGH NJW 1986, 777 f.).

4. Rechtswidrigkeit (+)

5. Verschulden (+)

II. Haftungsausfüllende Kausalität

1. Schaden (+)

2. Haftungsausfüllende Kausalität

a. Kausalität im Sinne der Äquivalenzformel (+)

b. Adäquanz (+)

c. Schutzzweck der Norm:

Fraglich ist, ob auch Schäden, die auf eine konstitutionell bedingte Anfälligkeit des

Geschädigten zurückzuführen sind, in den Schutzbereich des § 823 Abs. 1 BGB fallen. Dies ist

regelmäßig zu bejahen, denn der Täter hat das Opfer so zu nehmen wie es ist. Wer einen

gesundheitlich geschwächten Menschen verletzt, kann nicht verlangen, so gestellt zu

werden, als habe er einen gesunden Menschen verletzt.

Anm.: Eine Ausnahme wird bei sog. Renten- oder Begehrensneurosen gemacht, bei denen der Ge-

schädigte den Unfall in dem neurotischen Streben nach Versorgung und Sicherheit zum Anlass nimmt,

den Schwierigkeiten und Belastungen des Erwerbslebens auszuweichen (vgl. BGHZ 132, 341 ff.).

Fall 24 Labradorhündin (BGH, Urteil vom 2. März 2012, VI ZR 114/11)

Lösungshinweis: Der Schmerzensgeldanspruch ist hier unter Schutzzweckgesichtspunkten auf Ebene

der haftungsbegründenden Kausalität abzulehnen. In Fällen psychisch vermittelter Schockschäden

verlangt der BGH grundsätzlich eine besondere personale Beziehung des „mittelbar“ Geschädigten zu

einem schwer verletzten oder getöteten Menschen. Diese Voraussetzung dient dazu, „den Kreis

derer zu beschreiben, die den Integritätsverlust des Opfers als Beeinträchtigung der eigenen

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Integrität und nicht als normales Lebensrisiko“ empfinden. Eine Ausdehnung dieser Grundsätze auf

psychisch vermittelte Gesundheitsbeeinträchtigungen bei der Verletzung oder Tötung von Tieren

lehnt der BGH aber ab: „Derartige Beeinträchtigungen (...), mögen sie auch als schwerwiegende

empfunden werden und menschlich noch so verständlich erscheinen, gehören zum allgemeinen

Lebensrisiko und vermögen damit Schmerzensgeldansprüche nicht zu begründen.“

Fall 26 Fluchtfälle

Anspruch des B gegen X aus § 823 I BGB?

Grundfall

I. Haftungsbegründender Tatbestand

1. Rechtsgutsverletzung (+), Körperverletzung

2. Handlung des B (+), Flucht

3. Haftungsbegründende Kausalität?

a. Kausalität der Flucht des X für die Körperverletzung des B im Sinne der Äquivalenzformel (+), vgl. conditio sine qua non-Formel (trotz Dazwischentretens des willentlichen Handelns des P)

b. Zurechenbarkeit der Körperverletzung?

(1) Adäquanz (+), da das Weglaufen des X nach dem Standpunkt eines optimalen Betrachters generell geeignet war, B zur Aufnahme der Verfolgung zu bewegen und die eingetretene Verletzung herbeizuführen.

(2) Schutzweck der Norm? Hier sog. Verfolgungsfall: B hat die Verfolgung aufgrund eines selbständigen Entschlusses aufgenommen. X hat B mittelbar verletzt.

Zurechnung ist in den Verfolgungsfällen nach der Rspr. nur bei kumulativem Vorliegen von zwei Voraussetzungen zu bejahen:

(1) Risikoerhöhung durch die Flucht (+), Verfolgung über langgezogene, steile Bahnhofstreppe

(2) Billigenswerte Motivation der Verfolgung (+), B hatte – wie jedermann – Verfolgungs- und Festnahmerecht gemäß § 127 StPO8. Weiterhin konnte er sich auf Selbsthilferecht gemäß § 229 BGB berufen, das der Bahn zur Sicherung ihres Anspruchs gegen X zukam. Schließlich dient das Verhalten des B der Abschreckung weiterer Schwarzfahrer.

Abw. 1: Keine Zurechnung, da Verfolgung über einen feuchten, frisch geschnittenen Rasen keine gesteigerte Gefährlichkeit für P mit sich bringt, sich im Sturz vielmehr das allgemeine Lebensrisiko verwirklicht hat.

8 § 127 Abs. 1 S. 1 StPO lautet: „Wird jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt, so ist, wenn er der Flucht

verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann, jedermann befugt, ihn auch ohne richterliche Anordnung vorläufig festzunehmen.“

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Abw. 2: Keine Zurechnung wegen Unverhältnismäßigkeit der Zweck-Mittel-Relation: Zweck: Festnahme des X, dessen Person und Aufenthalt bekannt waren und der nur noch einen Wochenendarrest zu verbüßen hatte. Mittel: Sprung in 4 m Tiefe war erkennbar besonders gefährlich für P. (Der BGH hat außerdem das Verschulden des X verneint: X musste auch bei gebotener Sorgfalt nicht damit rechnen, dass P ihm nachspringen und sich dadurch körperlich gefährden würde.)

Abw. 3: Zurechnung der Körperverletzung (+). Insbesondere ist billigenswerte Motivation des K trotz des lebensgefährlichen Sprungs des K aus dem Fenster (Mittel) zur Verhinderung von Gewaltanwendung durch B (Zweck) zu bejahen. B hatte durch sein Verhalten (zunehmend lautes und aggressives Klopfen gegen die Wohnungseingangstür und ihr anschließendes Eintreten) seine Gewaltbereitschaft demonstriert. Eines tätlichen Angriffs bedurfte es nicht mehr.

Allerdings: Minderung des Schadensersatzanspruchs unter dem Gesichtspunkt des Mitverschuldens des K gemäß § 254 BGB (im Rahmen des haftungsausfüllenden Tatbestands).

Fall 27 Grünstreifen 1. Rechtsgutsverletzung (Grünstreifen) und Handlung (Unfall) sind unproblematisch zu bejahen.

2. Zweifelhaft ist die haftungsbegründende Kausalität.

a. Adäquanz (+),

da Unfallverursacher und optimaler Betrachter mit dem – rechtswidrigen! –

Verhalten ungeduldiger Autofahrer rechnen müssen.

b. Schutzzweck der Norm (-).

Zwar stehen freier Willensentschluss (Vorsatz) und Rechtswidrigkeit des Handelns

Dritter einer Haftung des A nicht entgegen.

Aber: Der Unfall stellte bloßen Anlass für rechtswidriges Verhalten der anderen

Autofahrer dar. Diese haben zu haften. Dass sie nicht ermittelbar sind, ist allgemeines

Risiko, das jeden Anlieger einer vom Verkehr benutzten Straße trifft und das er nicht

auf A abwälzen kann.

Eine Haftung des A käme nur in Betracht, wenn dieser unnötig lange mit dem

verunglückten Fahrzeug auf der Straße verblieben wäre und den Verkehr damit über

Gebühr blockiert hätte.

4. Eine Haftung des Fahrers A aus § 823 I BGB scheidet aus.

Fall 29 Hirnblutung

I. Anspruch des W gegen X aus § 823 I auf Schadensersatz wegen Verletzung des allgemeinen

Persönlichkeitsrechts

1. Rechtsgutsverletzung und Handlung (+)

2. Fraglich ist die haftungsbegründende Kausalität

a. Äquivalenz (+), Gehirnschaden als Folgeschaden der Beleidigung nach der conditio sine qua

non-Formel. Grundsätzlich kann die Gesundheitsverletzung des W auch durch bloße

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Einwirkung des X auf die Psyche des W (Beleidigungen) in rechtlich zurechenbarer Weise

herbeigeführt werden.

b. Hier aber: Zurechenbarkeit (-):

(1) Keine Adäquanz des eingetretenen Folgeschadens angesichts eines Sachverhalts,

der „nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem

gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen“ eintritt.

(Das wäre anders, wenn „die Kränkung von besonderer Schwere und der

Gesamtsituation gegenüber besonders unangemessen ist, und andererseits von der

Person des Gekränkten her wegen seines Alters oder Gesundheitszustandes oder

aufgrund sonstiger Umstände eine besondere Anfälligkeit gewärtigt werden muss.“)

(2) Außerdem: Kein Pflichtwidrigkeitszusammenhang, da davon auszugehen ist, dass

„eine nachdrückliche Auseinandersetzung [zwischen X und] den Landmessern, und

zwar millieubedingt in ländlicher Derbheit, die auch in der beiderseitigen Du-Form

zum Ausdruck kam, die indessen Beleidigungen und Handgreiflichkeiten vermied, für

W eine kaum geringere Erregung gewärtigen ließ als die, die von der […] in

Anbetracht der Gesamtsituation kaum schwerwiegenden Kränkung zu gewärtigen

war.“

3. Im Übrigen fehlt es am Verschulden des X, der nicht damit rechnen musste „dass sich ein junger

Mensch, der aufgefordert wird, ein Grundstück möglichst rasch zu verlassen, derart erregt, dass ein

Stammhirnschaden eintritt.”

4. Erg.: Ein Anspruch aus § 823 I besteht nicht.

II. Anspruch des W gegen X aus § 823 II BGB i.V. mit §§ 185, 223 StGB (Beleidigung und

Körperverletzung als Schutzgesetzverletzungen).

Hier gilt dasselbe wie oben.

Fall 32 Hühnerpest

A. Vertragliche Ansprüche des B gegen T auf Schadensersatz (-)

mangels Vertretenmüssens des T

I. Ein eigenes Verschulden des T, dem bezüglich der von ihm eingesetzten speziellen Mittel keine

aufwendigen Überwachungs- und Kontrollpflichten obliegen, ist nicht erkennbar.

Ökonomisches Argument: Das würde die aus Effizienzgründen erwünschte Arbeitsteilung in der Vertriebskette

auch wieder aufheben, wenn jedes Kettenglied technisch aufwendige Apparaturen vorhalten müsste, um das

vom Hersteller produzierte Teil auf Qualitätsmängel zu untersuchen.

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II. Es besteht auch kein Anspruch des B gegen T auf Schadensersatz für dem T zugerechnetes (§ 278)

Verschulden des X. Argument der ganz h. M.: Verkäufer schuldet nur Übergabe und Übereignung der

Kaufsache, nicht deren Herstellung (zweifelhaft).

B. Ansprüche des B gegen X auf Schadensersatz wegen der verendeten Hühner

I. Drittschadensliquidation i. V. m. Abtretung des Anspruchs (-)

Der Weiterverkauf eines Industrieprodukts ist Regelfall. Das gilt insbesondere beim Vertrieb von Arzneimitteln

an Tierärzte, die regelmäßig keine Endverbraucher sind. Daher fehlt es an Voraussetzung der zufälligen

Schadensverlagerung von T zu B. Nur bei letzterem, nicht genauso gut auch bei T konnte der Schaden

eintreten.

II. Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (-)

1. Leistungsnähe des Dritten B (+).

Er ist mindestens genauso wie T den Gefahren der Schlechtleistung ausgesetzt.

2. Näheverhältnis zwischen T und B.

BGH (damals): kein „Wohl- und Wehe“-Verhältnis im Verhältnis T und B mit der Folge, dass eine Schädigung

des Dritten (B) auch den T trifft.

Nach Aufgabe der Wohl-und-Wehe-Formel durch die Rspr. genügt es, dass die Leistung dem Dritten bestim-

mungsgemäß zugutekommen soll. Das gilt selbst bei gegenläufiger Interessenlage (Gutachterfälle!). Ist hier

wohl zu bejahen.

3. Objektiv abgrenzbarer Personenkreis, Erkennbarkeit (-)

An dieser Voraussetzung mag man den Anspruch auch heute noch scheitern lassen. Es fehlt an Vorherseh-

barkeit des anspruchsberechtigten Personenkreises (Vereinbarkeit der Haftungsausdehnung mit Treu und

Glauben). Allerdings verlangt die neuere Rspr. keine Individualisierbarkeit der Dritten mehr nach Name oder

noch nach Zahl.

4. Schutzbedürftigkeit des Dritten (keine vergleichbaren eigenen vertraglichen Ansprüche etwa aus Hauptver-

trag).

III. Stillschweigend abgeschlossener Garantievertrag (-)

BGH: Vertrieb der Ware mit dem Etikett, Originalverpackung, Warenzeichen, Markenname usw. des Herstellers

ist noch keine WE, wonach der Hersteller dem Verbraucher gegenüber für sorgfältige Herstellung einstehen

möchte.

IV. Quasivertragliche Sonderrechtsbeziehung (-)

BGH: Keine Haftung des Herstellers aus einem Einstehen für in Anspruch genommenes und vom Verbraucher

gewährtes Vertrauen, entsprechend den für culpa in contrahendo entwickelten Rechtssätzen. Argumente: ver-

tragliche Abbedingung wäre unmöglich; es besteht keine Exkulpationsmöglichkeit wie bei § 831. Vor allem lag

hier keine Kette rechtlich selbständiger Kaufverträge vor. Vielmehr hat T selbst entschieden, welches Serum er

verwendet. B war auch nicht Quasi-Vertragspartner des X und T ein bloßer „Verteiler“ innerhalb der Vertrags-

kette. Nicht B, sondern T hat dem von X hergestellten Serum Vertrauen geschenkt.

V. Gefährdungshaftung (objektivierte Haftung ohne Verschuldenserfordernis) (-)

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BGH: Hier ist Eingreifen des Gesetzgebers erforderlich, sie kann nicht durch richterliche Rechtsfortbildung

geschaffen werden (siehe oben das später verabschiedete es ProdHG, allerdings mit Einschränkungen, s. o.).

VI. Haftung des X aus § 823 I BGB (+)

1. Rechtsgutverletzung bei B: Tod der Hühner [vom Gläubiger zu beweisen]

2. Verhalten des X: Inverkehrbringen eines mangelhaften Produkts (Serum mit noch aktiven Viren) [

vom Gläubiger zu beweisen]

3. Kausalität zwischen 1 und 2 [vom Gläubiger zu beweisen]

4. Rechtswidrigkeit [indiziert]

5. Verschulden?

Der Nachweis eines aus dem Organisationsbereich des Herstellers stammenden objektiv verkehrs-

widrigen Zustands des Produkts reicht aus, um die Beweislast bezüglich des Verschuldens

umzukehren: „Es ist Sache des Herstellers, die Vorgänge aufzuklären, die den Fehler verursacht

haben, und dabei darzutun, dass ihn hieran kein Verschulden trifft.“

Begründung: Produzent ist „näher“ dran. Er überblickt die Produktionssphäre, bestimmt und or-

ganisiert den Herstellungsprozess und die Auslieferungskontrolle der fertigen Produkte. Wegen der

komplizierten, verschachtelten Organisation und Arbeitsweise ist es dem Geschädigten oftmals

unmöglich, die genaue Ursache des schadenstiftenden Fehlers aufzuklären.

VII. Haftung des X aus § 823 II iVm. § 5 Arzneimittelgesetz (AMG) = § 6 AMG a.F. (+)

Fall 35a Verliehener Trabant

Der Oldtimerliebhaber Ostkar verleiht seinem Freund F seinen geliebten Trabant 601. Die Reifen des

Trabants sind ebenso im Originalzustand wie das Auto selbst. O weiß von den maroden Reifen. Daher

fährt er bei seinen seltenen Trabbitouren nur noch max. 50 km/h. Aufgrund leichter Unachtsamkeit

vergisst O, seinen Freund auf die maroden Reifen hinzuweisen. Bei Tempo 108 auf der A3 passiert es:

der linke Vorderreifen platzt. F wird schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert.

Hat F gegen O Anspruch auf Schadensersatz?

Lösung

I. Anspruch des F gegen O aus §§ 280 I, 241 II, 249 II BGB

F könnte gegen O einen Anspruch auf Schadensersatz gem. §§ 280 I, 241 II, 249 II BGB haben.

1. Schuldverhältnis (+)

Leihvertrag (§ 598 BGB) zwischen F und O.

2. Pflichtverletzung

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Es müsste ein Pflicht aus dem Leihvertrag verletzt worden sein. Vorliegend hat O es versäumt, F

über die Gefährlichkeit der Reifen aufzuklären und dazu anzuhalten, den Wagen nicht schneller

als mit 50 km/h zu fahren.

3. Vertretenmüssen (-)

Fraglich ist, ob O das Verhalten auch zu vertreten hat, § 280 I 2 BGB. Grundsätzlich hat der

Schuldner Vorsatz und jede Art von Fahrlässigkeit zu vertreten, § 276 I 1. Fahrlässig i. S. d. § 276 II

BGB handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Hier hat O aufgrund

einer Unachtsamkeit vergessen, seinen Freund von den maroden Reifen zu unterrichten. Er

handelt damit fahrlässig. Ein Vertretenmüssen des O ist damit grundsätzlich zu bejahen.

Abweichendes gilt jedoch, wenn das Gesetz einen anderen, insbesondere milderen Haftungs-

maßstab bestimmt, § 276 I 1 a. E. So greift bei der Leihe die Haftungseinschränkung des

§ 599 BGB. Nach h. M. erstreckt sie sich auch auf Nebenpflichtenverletzungen, jedenfalls wenn

sie – wie vorliegend – einen engen Bezug zur Hauptleistung, der Überlassung des Wagens,

aufweisen.9 O hat daher nur Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten, nicht aber die

aufgrund lediglich leichter Fahrlässigkeit unterbliebene Warnung des F.

4. Ergebnis

Ein Anspruch auf Schadensersatz aus § 280 I, 241 II, 249 II BGB ist nicht gegeben.

II. Culpa in contrahendo

Stellt man auf die Verletzung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht des O ab (culpa in

contrahendo, §§ 280 I, 311 II, 241 II BGB), greift die Haftungsprivilegierung ebenfalls. Auch insoweit

besteht also kein Anspruch des O.

III. Anspruch des F gegen O aus § 823 I BGB

F könnte gegenüber O einen Anspruch auf Schadensersatz gem. § 823 I BGB haben.

1. Haftungsbegründender Tatbestand

a) Objektiver Tatbestand

aa) Rechtsgutsverletzung (+)

Körperverletzung ist die Beeinträchtigung der äußeren körperlichen Integrität. F ist schwer

verletzt. Eine Körperverletzung liegt vor.

bb) menschliches Verhalten

O hat F nicht auf die maroden Reifen und die daraus resultierende Gefahr beim Fahren mit

hoher Geschwindigkeit hingewiesen.

cc) kausale Verletzungshandlung (+)

Fraglich ist die Kausalität für die Verletzungen des F.

- Kausalität i. S. d. Äquivalenztheorie liegt vor, wenn die Handlung nicht hinweggedacht

werden kann, ohne dass der konkrete Erfolg entfiele. Hätte O den F auf die maroden

9 Näher Reuter, Staudinger § 599 BGB, Rn. 2

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Reifen hingewiesen, wäre dieser langsamer gefahren und es wäre zu keiner Verletzung

des F gekommen.10

- Der Unfall ist O auch zuzurechnen. Die Unterlassung war nämlich pflichtwidrig, da O als

Überwachungsgarant gehalten war, F auf die Gefahr hinzuweisen.

Die haftungsbegründende Kausalität liegt vor.

b) Rechtswidrigkeit (+)

Rechtsfertigungsgründe sind nicht ersichtlich.

c) Verschulden

Fraglich ist, ob O auch ein Verschulden trifft. Dazu müsste er vorsätzlich oder fahrlässig

gehandelt haben, § 823 I BGB. Vorsatz ist nicht ersichtlich. O handelt lediglich leicht

fahrlässig (s. o.). Auf die Vorschrift § 823 I BGB strahlt die Haftungsprivilegierung in

§ 599 BGB nach h. M. aus. Andernfalls liefe die Privilegierung leer, da Verletzungen der

Leistungstreuepflichten wie vorliegend zugleich zu Rechtsgüterverletzungen i.S.d. § 823

Abs. 1 BGB führen. Der Verleiher O haftet daher auch aus § 823 I BGB nur bei Vorsatz und

grober Fahrlässigkeit. Ein Verschulden des O liegt demnach hier nicht vor.

2. Ergebnis

Ein Schadensersatzanspruch des O aus § 823 I BGB liegt auch nicht vor.

Fall 35b Baumfäller

Anspruch des X gegen A, 823 II BGB i. V. m. Baumschutzverordnung Voraussetzung für einen Anspruch gegen den A ist, dass die Baumschutzverordnung ein Schutzgesetz

i. S. d. § 823 II BGB darstellt. Ein Schutzgesetz ist eine Norm, die zumindest auch dazu dient,

Rechtsgüter eines anderen oder einer Personengruppe zu schützen. Die Baumschutzverordnung

weist zwar den notwendigen Charakter einer Verbotsnorm auf, indem sie das Fällen von Bäumen

untersagt.11 Der Schutz „eines anderen“ Menschen (Individualschutz), wie es der Wortlaut des § 823

II 1 BGB erfordert, wird aber mit dieser Norm nicht bezweckt. Telos ist vielmehr der Landschafts-

und Naturschutz im Allgemeininteresse.

Fall 35c Schwarzfahrt

A. Deliktische Ansprüche des P gegen E als Fahrzeughalter, § 7 I StVG (-)

Der Tatbestand des § 7 I StVG ist erfüllt.12

Vorliegend könnte aber der Haftungsausschluss des § 7 III StVG eingreifen. Voraussetzung dafür ist, dass X das

Fahrzeug ohne Wissen und Willen des Fahrzeughalters (E) benutzt, § 7 III 1 1. HS StVG. X „leiht“ sich hier den

Wagen des E ohne dessen Wissen. Für ein Verschulden des E hinsichtlich einer Ermöglichung der Benutzung

i. S. d. § 7 III 1 2. HS StVG fehlen vorliegend die Anhaltspunkte. Danach liegt der Haftungsausschluss i. S. d. § 7

III StVG vor. X hat gegen E keinen Anspruch aus § 7 I StVG.

10

Vorliegend hat O auch nicht vorgetragen oder den Nachweis erbracht, dass F, selbst wenn er gewarnt worden

wäre, dennoch zu schnell gefahren wäre (dazu Staudinger-Schiemann, BGB, 2005, § 249 Rn. 11). 11

Nicht notwendig ist das Vorliegen eines formellen Parlamentsgesetzes. So fallen auch Verordnungen (StVO)

oder Satzungen unter den Begriff der Schutznorm i. S. d. § 823 II. 12

Auf eine gutachterliche Prüfung wird an dieser Stelle verzichtet, wird aber von Ihnen in einer Klausur

erwartet.

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B. Deliktische Ansprüche des P gegen X als Fahrzeugführer

I. § 18 I StVG i. V. m. § 7 I StVG (+)

II. § 823 I (+), falls Verschulden des X vorliegt.

III. § 823 II i. V. m. § 248b StGB

Voraussetzung für einen Anspruch gegen den X als Fahrzeugführer ist, dass § 248b StGB eine Schutznorm i. S. d. § 823 II BGB darstellt. Ein Schutzgesetz ist eine Norm, die zumindest auch dazu dient, Rechtsgüter eines anderen oder einer Personengruppe zu schützen. Der Schutzbereich der Norm erfasst dem Wortlaut zufolge den Schutz des Eigentümers vor unbefugten Gebrauch seines Fahrzeugs. Auch die systematische Stellung des § 248b StGB im Abschnitt der Vermögensdelikte lässt einen Schutzzweck jenseits des Eigentums nicht erkennen. Der Schutz von Verkehrsteilnehmern, die durch einen unberechtigten Schwarzfahrer zum Unfallopfer werden, ist mit dieser Norm nicht bezweckt.13

Fall 36 Lose Stufe

A. Ansprüche gegen F:

I. Vertragliche Ansprüche:

Solche sind nicht erkennbar, weil jedenfalls F nicht Vertragspartner von E ist.

II. Außervertragliche Ansprüche:

1. §§ 823 I BGB?

a. Haftungsbegründender Tatbestand:

(1) Rechtsgutsverletzung?

Verletzt wurde E an seinem Eigentum (Hose) und Körper.

(2) Handlung des F?

Hier kommt ein pflichtwidriges Unterlassen in Betracht. Die erforderliche Handlungspflicht des F ergibt sich aus der Gefährdung, die von der lockeren Stufe für die Treppenbenutzer ausgeht. Er war insoweit garantenpflichtig aus vorangegangenem Tun.

(3) Die haftungsbegründende Kausalität ist zu bejahen: Das Unterlassen des F war kausal für den Sturz und die daraus resultierende Körperverletzung des E.

b. Rechtswidrigkeit?

Die Rechtswidrigkeit folgt hier nicht aus der Rechtsgutsverletzung, da diese durch ein Unterlassen verursacht wurde. Allerdings ist sie aufgrund des festgestellten Verstoßes

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BGH, 04.12.1956 - VI ZR 161/55, NJW 1957, 500.

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des F gegen die ihm obliegende Handlungspflicht zu bejahen. Hier ist auch kein Rechtfertigungsgrund ersichtlich. Rechtswidrigkeit ist somit gegeben.

c. Verschulden?

Fahrlässigkeit i.S.d. § 276 I BGB ist bei F gegeben.

d. Haftungsausfüllender Tatbestand: Umfang des Schadensersatzes

Neben dem Schadensersatz für die Eigentumsverletzung und für die Heilungskosten kann nach § 253 II BGB auch ein angemessenes Schmerzensgeld verlangt werden.

2. §§ 823 II BGB i.V.m. § 229 StGB?

Da F gegenüber S auch eine fahrlässige Körperverletzung i.S.d. § 229 StGB begangen hat und Strafgesetze grundsätzlich Schutzgesetze i.S.d. § 823 II BGB sind, schuldet F dem S auch aus §§ 823 II, 253 II Ersatz der Heilungskosten und Schmerzensgeld, allerdings keinen Schadensersatz für die Hose, weil insoweit der Schutzbereich der fahrlässigen Körperverletzung nicht reicht.

B. Ansprüche gegen H:

I. Vertraglicher Anspruch: § 280 I BGB iVm Werkvertrag (§ 631 I BGB)?

1. Wirksames Schuldverhältnis (+), Werkvertrag über Treppenreparatur.

2. Pflichtverletzung?

a) Verletzte Pflicht: Verletzung der Nebenpflicht, die Baustelle ordnungsgemäß zu sichern bzw. abzusperren, § 241 II BGB (+). Im vorliegenden Fall hätte die Stufe provisorisch befestigt werden oder als lose gekennzeichnet werden müssen.

b) Zurechnung der Pflichtverletzung: H selbst hat diese vertragliche Nebenpflicht nicht verletzt. Bei der in Rede stehenden Nebenpflicht handelt es sich um eine leistungs- und nicht um eine erfolgsbezogene Pflicht. Daher bedarf es nicht nur einer Zurechnung des Verschuldens, sondern bereits der Pflichtverletzung des F gemäß § 278 BGB.

(1) Ein Schuldverhältnis zwischen H und E besteht (s. o.).

(2) Weiterhin müsste F Erfüllungsgehilfe des H gewesen sein. Dafür ist erforderlich und ausreichend, dass der Schuldner H den F zur Erfüllung seiner werkvertrag-lichen Verbindlichkeit gegenüber E herangezogen hat. Das ist hier der Fall.

(3) Da F auch nicht nur "bei Gelegenheit", sondern „in Ausführung“ der Erfüllung die Pflichtverletzung begangen hat, wird diese H wie eine eigene zugerechnet.

4. Rechtswidrigkeit der Pflichtverletzung ist zu bejahen (s.o.).

5. Vertretenmüssen des H?

Über § 278 BGB hat H das Verschulden (Fahrlässigkeit, s.o.) seines Erfüllungsgehilfen F wie eigenes Verschulden zu vertreten.

6. Rechtsfolge: Anspruch auf Schadensersatz.

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Durch Pflichtverletzung müsste kausal ein Schaden entstanden sein.

Hier: Verletzung von Eigentum und Körper.

7. Ergebnis zu I: S hat gegen H aus § 280 I BGB einen Anspruch sowohl auf Schadensersatz wegen der Beschädigung der Hose und Ersatz der Heilungskosten als auch auf Schmerzens-geld, § 253 II BGB.

II. Außervertragliche Ansprüche:

1. §§ 823 I BGB?

Hier kommt allenfalls ein Organisationsverschulden des H in Betracht. Dafür fehlt aber ein Anhaltspunkt im Sachverhalt.

2. §§ 823 II BGB i.V.m. § 229 StGB?

Für eine vorwerfbare strafbare Handlung des H fehlt ebenfalls jeder Anhaltspunkt.

3. § 831 I BGB?

Möglicherweise besteht ein Anspruch des E gegen H auf Schadensersatz aus § 831 BGB.

a. War F Verrichtungsgehilfe des H?

Verrichtungsgehilfe ist derjenige, dem vom Geschäftsherrn in dessen Interesse eine Tätigkeit übertragen worden ist und der von den Weisungen des Geschäftsherrn ab-hängig ist.

Hier: F ist als Angestellter des H dessen Weisungen unterworfen und wird im Interesse des H tätig, so dass er dessen Verrichtungsgehilfe ist.

b. Tatbestandsmäßige und rechtswidrige unerlaubte Handlung des Verrichtungsgehilfen?

Hier: (+), F hat den Tatbestand der §§ 823 I und 823 II BGB erfüllt (s. o.).

c. In Ausübung der Verrichtung?

Hier: (+), das Unterlassen der Sicherung der Baustelle stand in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner Gehilfentätigkeit für H, nämlich dem Ausbessern der Treppe. Diese Tätigkeit umfasste die Aufgabe, Gefährdungen anderer durch die Baustelle zu vermeiden.

d. Exkulpation, § 831 I 2 BGB?

Haftung aber ausgeschlossen, wenn H sich exkulpieren kann.

Hier: (+), H trifft weder bei der Auswahl noch bei der Anleitung oder Überwachung ir-gendein Verschulden, weil er seinen diesbezüglichen Verpflichtungen stets sorgfältig nachgekommen war und F als Facharbeiter auch für die vorgesehene Arbeit geeignet war.

Ergebnis: Es besteht kein Anspruch des E gegen H aus § 831 I BGB.

C. Haftung als Gesamtschuldner

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F und H haften E als Gesamtschuldner. Das folgt aus dem Rechtsgedanken des § 840 I BGB.

Fall 41 Notverkauf14

1. Haftungsbegründender Tatbestand

Der A hat widerrechtlich und wissentlich die faktische Verfügungsgewalt des E über sein Grundstück eingeschränkt und damit das Eigentum des E verletzt. Die Eintragung der Vormerkung hat keine rechtliche Behinderung des E zur Folge, da eine unberechtigte Vormerkung keine Verfügungsbe-schränkung (883 Abs. 2 S. 1 BGB) nach sich ziehen kann (strenge Akzessorietät der Vormerkung). Insofern liegt aber eine Eigentumsbeeinträchtigung auf Grund tatsächlicher Gründe vor. Die zusätzlichen Zinszahlungen beruhten auch auf dem verspäteten Verkauf des Grundstücks.

2. Haftungsausfüllender Tatbestand

Die 5.000 Euro zusätzliche Zinsbelastung sind ein adäquat kausaler Schaden und werden auch vom Schutzzweck der Norm erfasst.

Fraglich ist, ob sich E den um 50.000 Euro höheren Verkaufserlös aus dem späteren Verkauf auf die Schadensposition anrechnen lassen muss. Dies ist nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung dann der Fall, wenn der Vorteil adäquat auf die Eigentumsverletzung durch A zurückzuführen ist und eine Anrechnung dem Zweck des Schadensersatzes nicht widerspricht.

Der um 50.000 Euro höhere Verkaufserlös ist nur durch die Weigerung des A, die Vormerkung löschen zu lassen, entstanden. Dass E den Verkaufserlös erst auf Grund eines entsprechenden Kaufvertrages erzielt hat, ist hier spiegelbildlich zur Schadensberechnung wertungsmäßig unbeachtlich. Maßgeblich für den erzielten Kaufpreis war nämlich nicht der Vertragsschluss an sich, sondern der gestiegene Verkehrswert.

Auch wird der E nicht unbillig belastet, denn er steht auch nach einer Anrechnung mit 45.000 Euro besser da, als ohne die Eigentumsverletzung. Gleichzeitig wird A nicht unbillig entlastet. A hätte bei einer Wertminderung des Grundstückes grundsätzlich auch auf einen Fehlbetrag gehaftet. So muss es A spiegelbildlich auch zu Gute kommen, wenn eine Wertsteigerung eintritt. Da der Schadens-ersatzanspruch lediglich kompensieren und nicht bestrafen soll, entspricht eine Anrechnung dem Zweck des Schadensrechts.

Fall 42 Unverhoffte Erbschaft

Grundsätzlich sind Erbschaften nicht von dem Schadensersatzanspruch nach § 844 BGB in Abzug zu bringen, da der Erbe die Erbschaft in jedem Fall erhalten hätte. Auch eine wesentlich geringere Lebenserwartung des Erben kann zu keinem anderen Ergebnis führen, da dieser dann unzumutbar belastet würde.

Anders stellt es sich allerding dar, wenn die Erbschaft wie in Variante A vom Erblasser zum Bestreiten seines Unterhalts verbraucht worden wäre. Dann wäre der Geschädigte adäquat kausal bereichert und es wäre nicht unbillig, wenn dies den Schädiger entlasten würde.

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In der Vorlesung nicht behandelt.

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Anders ist dies in Variante B zu bewerten, da die Eheleute die Erbschaft in diesem Fall nicht verbraucht haben, sie E später vielmehr in voller Höhe zugefallen wäre.

Fall 43 Neu für alt

Der Frachtkahnführer haftet nach § 823 Abs. 1 BGB wegen Beschädigung der Dalbe (Eigentums-verletzung in Form der Substanzverletzung).

Grundsätzlich muss er die geschädigten Eigentümerin so stellen wie sie ohne die Kollision des Frachtkahns mit der Dalbe stände, § 249 BGB (Differenzhypothese). In diesem Fall wäre sie Eigentümerin einer funktionstüchtigen Dalbe gewesen. Um diesen Zustand wieder herzustellen, musste die geschädigte Eigentümerin insgesamt 10.000 Euro aufwenden.

Jedoch muss zu Gunsten des Schädigers in Anschlag gebracht werden, dass die Dalbe bereits 25 Jahre alt war. Der Neubau der Dalbe inklusive Planung sind Kosten, die auf die gesamte Lebensdauer der Dalbe angerechnet werden müssen. Da die Dalbe bereits die Hälfte ihrer Lebensdauer hinter sich hatte, schuldet der Frachtkahnführer auch nur die Hälfte des Neubauaufwandes, also 5.000 Euro.

Anmerkung: Insbesondere bei größeren Summen ist bei der Anrechnung „neu für alt“ darauf zu achten, ob dem Geschädigten durch den vorzeitig erforderlich gewordenen Austausch der Sache nicht ein weiterer Vermögensschaden entstanden ist. So können durch die Notwendigkeit der Finanzierung zum Beispiel größere Zinsbelastungen entstehen.

Fall 44 Nette Eltern

1. Haftungsbegründender Tatbestand

K hat einen Anspruch gegen A aus § 823 Abs. 1 BGB auf Schadensersatz. Diesen müssen ihre Eltern für sie geltend machen, §§ 1629 Abs. 1 S. 1, 1626 Abs. 1 BGB.

2. Haftungsausfüllender Tatbestand

a. Die 500 Euro für das Fahrrad kann K von A ohne weiteres verlangen. Dass sie von ihren Eltern bereits ein neues Fahrrad bekommen hat, kann hieran nichts ändern. Für eine Vorteilsausgleichung fehlt es schon an der adäquaten Kausalität zwischen Rechtsgutsverletzung und dem Vorteil des neuen Fahrrads.

b. Die 20.000 Euro Behandlungskosten kann K nicht verlangen, wenn ihre Krankenversicherung bereits gezahlt hat. Der Anspruch der K gegen A geht in diesem Fall vielmehr auf die Versicherung über, §§ 194 Abs. 1 S. 1, 86 Abs. 1 S. 1 VVG (gerade keine Lösung über die Vorteilsausgleichung, sondern gesetzlicher Forderungsübergang).

c. Die Fahrtkosten der Eltern kann K als eigenen Schaden geltend machen.15 Insbesondere bei Kindern sind Krankenbesuche für die Genesung wichtig. Sie sind eine Form der Naturalrestitution i.S.d. § 249 BGB. Da K von A verletz wurde, kann sie statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen, § 249 Abs. 2 S. 1 BGB. Die Abrechnung über eine Kilometerpauschale ist üblich. Dass die Eltern auf Grund ihrer Sorge- Unterhalts- und Obhutspflichten gegenüber K

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Ein eigener Schadensersatzanspruch der Eltern gegen A aus § 823 I BGB scheitert an der fehlenden Rechtsgutsverletzung.

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möglicher Weise verpflichtet waren, Krankenbesuche vorzunehmen, kann bei der Berechnung des Schadens der K keine Rolle spielen, da A sonst unbillig entlastet würde (Rechtsgedanke des § 843 Abs. 3 BGB). Dies spielt lediglich im Innenverhältnis zwischen Eltern und K eine Rolle.

d. Für die nicht vorgenommene Operation kann K hingegen keinen Ersatz in Geld nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB verlangen. Anders als bei Sachschäden (§ 249 Abs. 2 S. 2 BGB) fehlt der K bei Körperschäden die Dispositionsfreiheit (Arg.: Keine Umgehung von § 253 II BGB). Unabhängig von der Frage, ob die Eltern ihre Personensorge und gesetzliche Vertretungsmacht in dieser Weise ausüben dürfen, kann Ersatz der Operationskosten nur verlangt werden, wenn diese tatsächlich entstanden sind.

Fall 45 Vorteilhafter Unfall

A haftet nach § 823 Abs. 1 BGB auf Ersatz des entstandenen Schadens.

Alternative 1: Grundsätzlich kann B von A die Reparatur bzw. den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen, § 249 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 BGB. Dies gilt unabhängig davon, ob die Reparatur tatsächlich vorgenommen wird oder nicht (Dispositionsfreiheit bei Sachschäden).

Alternativ kann B die Ersatzbeschaffung eines gleichwertigen Fahrzeugs (1.000 Euro) verlangen, § 249 Abs. 1 BGB.

Nach dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit steht dem geschädigten B aber nur die Art der Schadenskompensation zu, die wirtschaftlich am günstigsten ist. Das wäre vorliegend die Beschaffung eines Ersatzfahrzeugs. Allerdings berücksichtigt die Rechtsprechung dabei das Affektionsinteresse des Geschädigten. Das bedeutet, dass der Geschädigte Reparatur auch dann verlangen kann, wenn diese wirtschaftlich ungünstiger ist als eine Ersatzbeschaffung (sog. Integritätszuschlag). Dies gilt, soweit der Reparaturaufwand 130 Prozent des Wiederbeschaffungs-wertes nicht übersteigt. Eine solche Begünstigung des Affektionsinteresses zu Lasten des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit kann aber nur dann greifen, wenn auch tatsächlich ein beson-deres Interesse des Geschädigten vorliegt, die Sache weiter zu benutzen. Ein solches Affektions-interesse scheidet aus, wenn der Geschädigte die Sache nicht oder nicht vollständig reparieren lässt oder alsbald die Nutzung aufgibt.

Danach könnte B die Tür für 1.300 EUR reparieren lassen. Die 130 Prozent-Grenze wäre nicht überschritten.

Kommt es B auf Bargeld an, sollte er den Wiederbeschaffungsaufwand (Differenz zwischen Wiederbeschaffungswert und Restwert hier: 0) von A verlangen. Das sind 1.000 EUR. Vom Wiederbeschaffungsaufwand muss nach § 249 Abs. 2 S. 2 BGB die Umsatzsteuer abgezogen werden. Nach der Systematik und Entstehungsgeschichte der Norm ist diese auch bei Ersatzbeschaffung anwendbar. Die Umsatzsteuer beträgt 19 Prozent. B kann von A deswegen 810 Euro verlangen.

Alternative 2: Nach st. Rechtsprechung des BGH kommt der Geschädigte nur dann in den Genuss des Integritätszuschlags, wenn er diesen nach Lage des Falles hätte vom Schädiger verlangen können. Kostet die Reparatur aber wie hier (1.400) mehr als 130 Prozent des Wiederbeschaffungswertes (!.00 EUR), kann der Geschädigte nach dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit lediglich den Wiederbeschaffungsaufwand verlangen. Dies sind im vorliegenden Fall 1000 Euro.

Alternative 3: Aus der Dispositionsfreiheit des Geschädigten ergibt sich, dass B, auch wenn er die Reparatur selbst vornimmt, den Wiederbeschaffungsaufwand verlangen kann. Dieser Beträgt 1000 EUR. Abzuziehen ist jedoch nach § 249 Abs. 2 S. 2 BGB der Betrag, der an Umsatzsteuer eingespart wurde. Da hier Material im Wert von 500 EUR verbraucht wurde, ist Umsatzsteuer nur für diesen

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Betrag angefallen. Für die restlichen 500 EUR (Arbeitsaufwand) wurde keine Umsatzsteuer gezahlt. Insgesamt muss A dem B daher lediglich 905 EUR (1000 - 500 x 0,19 EUR) zahlen.

Fall 46 verblasste Erinnerungen16

Alternative 1: Die 15 Euro Materialkosten kann B von A nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB verlangen, sofern Dias überhaupt noch zu kaufen sind. Ansonsten könnte B die 15 Euro über § 251 Abs. 1 Alt. 1 BGB ersetzt verlangen. Ein Affektionsinteresse kann nach § 251 Abs. 1 BGB nicht verlangt werden, da auch diese Vorschrift lediglich Vermögensschäden erfasst. Ein Ersatz für den Verlust der Erinnerungsstücke über § 253 BGB als Schmerzensgeld scheidet aus. Für eine analoge Anwendung des § 253 Abs. 2 BGB fehlt die vergleichbare Interessenlage.

Alternative 2: Da für Kunstgegenstände wie Fotografien von Gerhard Richter ein Markt besteht kann B den (zu ermittelnden potentiellen) Marktwert der Dias von A nach § 251 Abs. 1 Alt. 1 BGB verlangen.

Fall 47 geschmähte „Frittenbude“17

1. Unterlassungsanspruch aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1, 861 Abs. 1 BGB analog (Quasi negatorischer Anspruch): sofern eine Wiederholungsgefahr besteht kann B von R verlangen zukünftig keine geschäftsschädigenden und beleidigenden Artikel zu veröffentlichen.

2. Schadensersatzanspruch nach §824 BGB: Einen solchen Anspruch hat B nicht, da es sich bei den Behauptungen ihrem Gesamtgepräge nach ersichtlich nicht um Tatsachenbehauptungen handelt.

3. Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG bezüglich der Beleidigung:

a) Einen Vermögensschaden hat B wegen der Beleidigung nicht erlitten.

b) B hat einen Anspruch auf Widerruf der Äußerungen. Es ist zwar umstritten, ob auch bei Werturteilen ein Widerruf bzw. eine Gegendarstellung möglich ist. M.E. können die Wirkungen eines Werturteils genau so gut oder schlecht wie die von Tatsachenbehauptungen durch einen Widderuf beseitigt werden. B kann daher verlangen, dass der zustand seiner Küche in einem geeigneten Artikel den Tatsachen entsprechend positiv dargestellt wird.

b) Bei schwerwiegenden Beeinträchtigungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts besteht nach BGH ein Anspruch auf Ersatz des ideellen Schadens in Geld. Dieser Anspruch ergibt sich allerdings nicht aus § 253 Abs. 2 BGB sondern direkt aus § 823 Abs. 1 BGB Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG.

§ 253 Abs. 3 BGB erfasst seinem Wortlaut nicht die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrecht.

Für eine Analogie fehlt die planwidrige Regelungslücke, da nach ständiger Rechtsprechung des BGH eine Geldentschädigung schon unmittelbar aus dem Grundrecht hergeleitet werden kann. Aus der

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In der Vorlesung nicht behandelt. 17

In der Vorlesung nicht behandelt.

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Gesetzesbegründung des Bundestages ergibt sich außerdem, dass an dieser Rechtsprechung festgehalten werden sollte (BT-Drucksache 14/7752 S 25).

B hat einen Anspruch auf angemessenen Geldersatz aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG.

4. Als anspruchsbegründende Norm kommt neben § 823 Abs. 1 BGB, Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG auch § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 185 StGB in Betracht. Die Ansprüche stehen in Anspruchskonkurrenz.

5. B kann wegen der geschäftsschädigenden Aussage des R (noch) keinen Schadensersatz verlangen, da ihm bisher kein bezifferbarer Schaden entstanden ist. Denkbar ist allenfalls eine gerichtliche Feststellung des Haftungsgrundes (§ 823 Abs. 1 BGB Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb) mittels einer Feststellungsklage.

Fall 48 Überdruck18

Sowohl A als auch B haften grundsätzlich nach § 823 Abs. 1 BGB, bzw. aus Vertrag

B hat bei der Lösung des Befüllungsstutzens die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht

gelassen und so den Schaden fahrlässig verursacht.

Darüber hinaus trifft A ein Organisationsverschulden. Auch B hätte in Kenntnis gesetzt werden

müssen, dass beim Befüllen des Tanks bei T die Gefahr eines Überdrucks bestand.

M.E. sind im Rahmen der Frage des zu berücksichtigenden Mitverschuldens des T die

Verschuldensbeiträge von A und B als Haftungseinheit zu sehen. Die sorgfaltswidrig unterbliebene

Warnung des B durch A hat sich in dessen anschließenden sorgfaltswidrigen Verhalten

niedergeschlagen. Insofern liegen im Wesentlichen identische Ursachen vor.

Fraglich ist, mit welcher Haftungsquote der B haftet. In Betracht kommen eine Quote nach dem

Verhältnis der Verursachungsbeiträge von A und T über die Haftungseinheit 1/2 zu ¼; oder der von B

und T ¼ zu ¼.

Das Organisationsverschulden der A kann dem B aber nicht zugerechnet werden, da A und B

grundsätzlich als Nebenschädiger haften. Die Annahme einer Haftungseinheit darf nicht dazu führen,

dass einem Schädiger ein größerer Anteil am Schaden zugerechnet wird, als ihm über die §§ 31, 278

oder 831 BGB zugerechnet würde. Ansonsten würde das gesetzlich vorgesehene Haftungsverhältnis

verschoben. T stände besser als ohne die Annahme einer Haftungseinheit. Dies soll die Annahme

einer Haftungseinheit aber gerade nicht bezwecken. Vielmehr ist Sinn und Zweck gerade eine

Übervorteilung des Geschädigten zu vermeiden.

In die Abwägung nach § 254 Abs. 1 BGB ist deswegen nur der Verursachungsbeitrag des B selbst einzustellen. Die Haftungsquote des B ergibt sich dann allein aus seinem Verursachungsbeitrag im Verhältnis zu dem des T (¼ zu ¼), also ½. Damit haftet B auf 5.000 EUR.

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In der Vorlesung nicht behandelt.