25
EW RK Zeitschrift des Instituts für Energie- und Wettbewerbsrecht in der Kommunalen Wirtschaft e.V. e www.ewerk.nomos.de Das Konzept der kalkulatorischen Eigenkapitalverzinsung für Strom- und Gasnetzbetreiber – europa- und verfassungsrechtliche Zielkorrektur von § 7 Abs. 4 Strom/GasNEV* Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski, Prof. Dr. Jörg-Rafael Heim, Dr. Mirko Sauer** I. Problemstellung ..................................................... 4 II. Die Grundfrage ..................................................... 4 III. Das gesetzliche Grundkonzept der EK-Verzinsung in § 21 Abs. 2 S. 1 EnWG – Die gesetzlichen Regulierungsmaßstäbe ............. 5 1. Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben ................... 5 2. Das Regelungskonzept in § 21 Abs. 2 S. 1 EnWG .............. 6 a. Normgenese ................................................. 6 b. Sichtweise der BNetzA ...................................... 6 c. Sichtweise des OLG Düsseldorf ............................. 7 d. Sichtweise des BGH ......................................... 7 e. Zwischenergebnis ........................................... 8 IV. Das verordnungsrechtliche Grundkonzept der EK-Verzinsung in § 7 Abs. 4 Strom/GasNEV .......................................... 8 1. Normgenese ..................................................... 8 2. Praxis der BNetzA .............................................. 9 3. Sichtweise des OLG Düsseldorf ................................ 9 4. Sichtweise des BGH ............................................. 10 V. Die Eingriffe der EZB in die Finanzmärkte aus Sicht des Bundes- verfas-sungsgerichtes ................................................ 11 1. Der Sachverhalt der OMT- und PSPP-Urteile .................. 12 2. Die Entscheidungen des EuGH ................................. 12 3. Die Reaktion des Bundesverfassungsgerichts (OMT-Programm) vom 21.06.2016 und vom 05.05.2020 (PSPP) ........................................................... 13 VI. Auswirkungen der Geldpolitik der EZB auf festverzinsliche Wert- papiere in Deutschland ............................................. 14 1. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages ......... 14 2. Working Paper des CSEF ....................................... 14 3. EZB-Wertpapierankäufe – Folgen für die Anleihemärkte aus Sicht des VÖB ................................................... 14 4. Die Sichtweise des Bundesverfassungsgerichts (PSPP-Urteil vom 05.05.2020) ..................................................... 15 5. Geldpolitik im Zusammenhang mit der Corona-Krise ......... 16 VII. Die Konsequenzen für die Zinsentwicklung ........................ 16 VIII. Angemessenheit des Eigenkapitalzinssatzes aus Sicht der BNetzA 19 IX. Die rechtlichen Anforderungen an Verordnungen nach Art. 80 GG 21 X. Rechtsfolgen für den Verordnungsgeber ........................... 22 XI. Rechtsfolgen aus der Perspektive der BNetzA ..................... 23 XII. Auswirkungen der Absenkung des Basiszinses auf den Zuschlag .. 24 XIII. Die verfassungsgemäße Korrektur in § 7 Abs. 4, 5 und 7 Strom/ GasNEV ............................................................. 24 XIV. Gesamtergebnis ..................................................... 26 * Die Studie wurde von den Autoren angeregt und von der Praxis finanziert. ** Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski ist geschäftsführender Direktor des EWeRK; Prof. Dr. Jörg-Rafael Heim ist Professor für Betriebswirt- schaftliche Steuerlehre, Controlling, Energiewirtschaft an der Hoch- schule Weser Bergland (HSW); Dr. Mirko Sauer ist Teil der wissen- schaftlichen Leitung des EWeRK. EWeRK Sonderheft 2020 3 SH | 2020 Seiten 1–27 Herausgeber Institut für Energie- und Wettbewerbsrecht in der kommunalen Wirtschaft e.V. an der Humboldt-Universität zu Berlin Geschäftsführer Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski (V.i.S.d.P.) Wissenschaftlicher Beirat Prof. em. Dr. Dr. h.c. Ulrich Battis, Humboldt-Universität zu Berlin | Prof. Dr. Hartmut Bauer, Universität Potsdam | Prof. Dr. Carsten Becker, Direktor beim Bundeskartellamt | Prof. Dr.-Ing. Peter Birkner, House of Energy e.V. | Prof. Dr. Edmund Brandt, Technische Uni- versität Braunschweig | Prof. Dr. Christoph Brömmelmeyer, Europa-Universität Viadrina | Ministerialdirigent Christian Dobler, Leiter der Unterabteilung Wettbewerbs- und Strukturpolitik im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie | Dr. Felix Engelsing, Bundeskartellamt, Leiter der 2. Beschlussabteilung | Prof. Dr. Jörg-Rafael Heim, Hochschule Weserbergland | Prof. Dr.-Ing. habil. Antonio Hurtado, Technische Universität Dresden | Prof. Dr. Lorenz Jarass, Hochschule RheinMain Wiesbaden | Prof. Dr. Siegfried Klaue, Freie Universität Berlin | Prof. Dr. Torsten Körber, LL.M. (Berkeley), Universität zu Köln | Prof. Dr. Knut Werner Lange, Universität Bayreuth | Wiegand Laubenstein, Vorsitzender Richter am OLG Düsseldorf | Prof. Dr. Christoph Moench, Sammler-Usinger Rechtsan- wälte Partnerschaft mbB, Berlin | Prof. Dr. Holger Mühlenkamp, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer | Prof. Dr. Johann-Christian Pielow, Ruhr-Universität Bochum | Prof. Dr. Michael Rodi, Universität Greifswald | Prof. Dr. Michael Schäfer, Hoch- schule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (FH) | Prof. Dr. Thomas Schomerus, Leuphana Universität Lüneburg | Prof. Dr. Andreas Weitbrecht, Universität Trier | Prof. Dr. Gregor Zöttl, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Redaktion Vicky Wagner (Schriftleitung) Dr. Mirko Sauer, Jost Hanno Meyer, Valeria Podmogilnij Redaktionsanschrift Humboldt-Universität zu Berlin, Sarrazinstraße 11-15, D-12159 Berlin Telefon: +49 (0) 30 - 857 – 57790 | Telefax: +49 (0) 30 - 857 – 577920

Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski, Prof. Dr. Jörg-Rafael Heim, Dr. … · 2020. 6. 29. · Problemstellung Nach §21 Abs.2 EnWG werden die Entgelte für den Netzzu-gang unter Berücksichtigung

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

  • EW R KZeitschrift des Instituts für Energie- und Wettbewerbsrecht in der Kommunalen Wirtschaft e.V.

    e www.ewerk.nomos.de

    Das Konzept der kalkulatorischenEigenkapitalverzinsung für Strom- und Gasnetzbetreiber– europa- und verfassungsrechtliche Zielkorrektur von§ 7 Abs. 4 Strom/GasNEV*Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski, Prof. Dr. Jörg-Rafael Heim, Dr. Mirko Sauer**

    I. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4II. Die Grundfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

    III. Das gesetzliche Grundkonzept der EK-Verzinsung in § 21 Abs. 2S. 1 EnWG – Die gesetzlichen Regulierungsmaßstäbe . . . . . . . . . . . . . 51. Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52. Das Regelungskonzept in § 21 Abs. 2 S. 1 EnWG . . . . . . . . . . . . . . 6

    a. Normgenese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6b. Sichtweise der BNetzA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6c. Sichtweise des OLG Düsseldorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7d. Sichtweise des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7e. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

    IV. Das verordnungsrechtliche Grundkonzept der EK-Verzinsung in§ 7 Abs. 4 Strom/GasNEV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81. Normgenese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82. Praxis der BNetzA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93. Sichtweise des OLG Düsseldorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94. Sichtweise des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

    V. Die Eingriffe der EZB in die Finanzmärkte aus Sicht des Bundes-verfas-sungsgerichtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111. Der Sachverhalt der OMT- und PSPP-Urteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122. Die Entscheidungen des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123. Die Reaktion des Bundesverfassungsgerichts

    (OMT-Programm) vom 21.06.2016 und vom 05.05.2020(PSPP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

    VI. Auswirkungen der Geldpolitik der EZB auf festverzinsliche Wert-papiere in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages . . . . . . . . . 14

    2. Working Paper des CSEF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143. EZB-Wertpapierankäufe – Folgen für die Anleihemärkte aus

    Sicht des VÖB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144. Die Sichtweise des Bundesverfassungsgerichts (PSPP-Urteil vom

    05.05.2020) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155. Geldpolitik im Zusammenhang mit der Corona-Krise . . . . . . . . . 16

    VII. Die Konsequenzen für die Zinsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16VIII. Angemessenheit des Eigenkapitalzinssatzes aus Sicht der BNetzA 19

    IX. Die rechtlichen Anforderungen an Verordnungen nach Art. 80 GG 21X. Rechtsfolgen für den Verordnungsgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

    XI. Rechtsfolgen aus der Perspektive der BNetzA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23XII. Auswirkungen der Absenkung des Basiszinses auf den Zuschlag . . 24

    XIII. Die verfassungsgemäße Korrektur in § 7 Abs. 4, 5 und 7 Strom/GasNEV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

    XIV. Gesamtergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

    * Die Studie wurde von den Autoren angeregt und von der Praxisfinanziert.

    ** Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski ist geschäftsführender Direktordes EWeRK; Prof. Dr. Jörg-Rafael Heim ist Professor für Betriebswirt-schaftliche Steuerlehre, Controlling, Energiewirtschaft an der Hoch-schule Weser Bergland (HSW); Dr. Mirko Sauer ist Teil der wissen-schaftlichen Leitung des EWeRK.

    EWeRK Sonderheft 2020 3

    SH | 2020Seiten 1–27

    HerausgeberInstitut für Energie- und Wettbewerbsrecht in der kommunalen Wirtschaft e.V. an der Humboldt-Universität zu BerlinGeschäftsführer Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski (V.i.S.d.P.)Wissenschaftlicher BeiratProf. em. Dr. Dr. h.c. Ulrich Battis, Humboldt-Universität zu Berlin | Prof. Dr. Hartmut Bauer, Universität Potsdam | Prof. Dr. CarstenBecker, Direktor beim Bundeskartellamt | Prof. Dr.-Ing. Peter Birkner, House of Energy e.V. | Prof. Dr. Edmund Brandt, Technische Uni-versität Braunschweig | Prof. Dr. Christoph Brömmelmeyer, Europa-Universität Viadrina | Ministerialdirigent Christian Dobler, Leiterder Unterabteilung Wettbewerbs- und Strukturpolitik im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie | Dr. Felix Engelsing,Bundeskartellamt, Leiter der 2. Beschlussabteilung | Prof. Dr. Jörg-Rafael Heim, Hochschule Weserbergland | Prof. Dr.-Ing. habil.Antonio Hurtado, Technische Universität Dresden | Prof. Dr. Lorenz Jarass, Hochschule RheinMain Wiesbaden | Prof. Dr. SiegfriedKlaue, Freie Universität Berlin | Prof. Dr. Torsten Körber, LL.M. (Berkeley), Universität zu Köln | Prof. Dr. Knut Werner Lange, UniversitätBayreuth | Wiegand Laubenstein, Vorsitzender Richter am OLG Düsseldorf | Prof. Dr. Christoph Moench, Sammler-Usinger Rechtsan-wälte Partnerschaft mbB, Berlin | Prof. Dr. Holger Mühlenkamp, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer | Prof. Dr.Johann-Christian Pielow, Ruhr-Universität Bochum | Prof. Dr. Michael Rodi, Universität Greifswald | Prof. Dr. Michael Schäfer, Hoch-schule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (FH) | Prof. Dr. Thomas Schomerus, Leuphana Universität Lüneburg | Prof. Dr. AndreasWeitbrecht, Universität Trier | Prof. Dr. Gregor Zöttl, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-NürnbergRedaktionVicky Wagner (Schriftleitung)Dr. Mirko Sauer, Jost Hanno Meyer, Valeria PodmogilnijRedaktionsanschriftHumboldt-Universität zu Berlin, Sarrazinstraße 11-15, D-12159 BerlinTelefon: +49 (0) 30 - 857 – 57790 | Telefax: +49 (0) 30 - 857 – 577920

  • ProblemstellungNach § 21 Abs. 2 EnWG werden die Entgelte für den Netzzu-gang unter Berücksichtigung einer angemessenen, wettbe-werbsfähigen und risikoangepassten Verzinsung des eingesetz-ten Kapitals gebildet. Diese Regelung wird, auf der Grundlagevon § 24 EnWG, durch § 7 Abs. 4 und Abs. 5 Strom/GasNEVkonkretisiert. Grundsätzlich gilt für Strom- als auch für Gas-netzbetreiber, dass der Eigenkapitalzinssatz (im Folgenden EK-Zinssatz) für Neuanlagen „den auf die letzten zehn abgeschlos-senen Kalenderjahre bezogenen Durchschnitt, der von derDeutschen Bundesbank veröffentlichten Umlaufsrenditenfestverzinslicher Wertpapiere inländischer Emittenten“ zzgl.eines angemessenen Zuschlags zur Abdeckung netzbetriebs-spezifischer unternehmerischer Wagnisse nach Abs. 5 nichtüberschreiten darf (§ 7 Abs. 4 Satz 1 Strom/GasNEV). Der aufdas betriebsnotwendige Eigenkapital, das auf Altanlagen ent-fällt, anzuwendende EK-Zinssatz ist zusätzlich um den auf dieletzten zehn abgeschlossenen Kalenderjahre bezogenen Durch-schnitt der Preisänderungsrate gemäß dem vom StatistischenBundesamt veröffentlichten Verbraucherpreisgesamtindex zuermäßigen (§ 7 Abs. 4 Satz 2 Strom/GasNEV).

    Nach § 7 Abs. 6 Strom/GasNEV entscheidet die Regulierungs-behörde vor Beginn einer Regulierungsperiode (derzeit stehtdie vierte Regulierungsperiode bevor) durch Festlegung nach§ 29 EnWG.

    Die im Folgenden zu vertiefende Frage lautet, ob die Rechts-grundlage in § 7 abs. 2 Strom/GasNEV zur Ermittlung der kal-kulatorischen Eigenkapitalverzinsung für Strom- und Gasnetz-betreiber (noch) dem Ziel der angemessenen EK-Verzinsung in§ 21 Abs. 2 EnWG entspricht?

    Für den Fall, dass diese Frage zu verneinen sein sollte, stellt sichdie Folgefrage, wie Rechtsgrundlage ausgestaltet sein müsste,damit sie gesamtwirtschaftlichen Paradigmen und energiewirt-schaftlichen Zielen entspricht.

    Die GrundfrageNach § 7 Abs. 4 Strom/GasNEV darf der EK-Zinssatz den aufdie letzten zehn abgeschlossenen Kalenderjahre bezogenenDurchschnitt der von der Deutschen Bundesbank veröffent-lichten Umlaufsrenditen festverzinslicher Wertpapiere inländi-scher Emittenten zzgl. eines angemessenen Zuschlags zurAbdeckung netzbetriebsspezifischer Wagnisse nicht über-schreiten. Mit der Ermittlung dieses Zuschlags hat sich derBGH in seinem Beschluss „Eigenkapitalzinssatz II“ vom09.07.2019 intensiv auseinandergesetzt.1 Ausgelöst wurde dasUrteil des BGH durch zwei im Wesentlichen inhaltsgleicheBeschlüsse der Bundesnetzagentur (BNetzA) vom 05.10.2016,in denen die Behörde den Eigenkapitalzinssatz zur Bestimmungder Erlösobergrenze für die Betreiber von Elektrizitäts- undGasversorgungsnetzen für die dritte Regulierungsperiode fürNeuanlagen auf 6,91 % und für Altanlagen auf 5,12 % (jeweilsvor Steuer) festgesetzt hatte.2 Diese Festlegungen wurdendurch den BGH – in Abweichung zum OLG Düsseldorf3 –bestätigt.

    Der BGH hat sich im Kern mit der Frage beschäftigt, ob dieRegulierungsbehörde den angemessenen Zuschlag zur Abde-

    I.

    II.

    ckung netzbetriebsspezifischer unternehmerischer Wagnissenach § 7 Abs. 5 Strom/GasNEV zutreffend ermittelt hatte.Diese Frage hat der BGH im Ergebnis bejaht.

    Im Zentrum des folgenden Rechtsgutachtens steht die Frage,die der BGH bisher nicht beantwortet hat, ob nämlich dieGrundannahme, die § 7 Abs. 4 Strom/GasNEV trifft, wonachfür den EK-Zinssatz auf den „auf die letzten zehn abgeschlos-senen Kalenderjahre bezogen Durchschnitt der von der Deut-schen Bundesbank veröffentlichten Umlaufsrenditen festver-zinslicher Wertpapiere inländische Emittenten abzustellenist“, zu einer angemessenen EK-Verzinsung nach § 21 Abs. 2S. 1 EnWG führt. Diese Frage war bisher nicht Gegenstand derFestlegungen in der ersten, der zweiten und der dritten Regu-lierungsperiode seitens der BNetzA. Diese Frage wurde auchnicht durch die obergerichtliche oder die höchstgerichtlicheRechtsprechung behandelt. Diese Frage ist bisher nicht gestelltworden, da Literatur und Rechtsprechung offenbar davon aus-gegangen sind, dass die Anknüpfung an den Durchschnitt derUmlaufsrendite festverzinslicher Wertpapiere inländischerEmittenten der letzten zehn Jahren zur Gewährleistung einerangemessenen, wettbewerbsfähigen und risikoangepasstenVerzinsung des eingesetzten Kapitals (§ 21 Abs. 2 EnWG)geführt hat.

    Angesichts der Entwicklung der durchschnittlichen Umlaufs-rendite festverzinslicher Wertpapiere inländischer Emittentenerscheint es jedoch zunehmend zweifelhaft, ob die Anknüp-fung an diese Umlaufsrendite zur Erreichung der gesetzlichenVorgaben des § 21 Abs. 2 EnWG noch sachgerecht und ange-messen ist. Zweifel ergeben sich bei einem Blick auf die Statistikder Deutschen Bundesbank, die die Entwicklung der durch-schnittlichen Rendite festverzinslicher Wertpapiere inDeutschland von 2000 bis zum März 2019 wiedergibt. ImJahre 2000 lag die durchschnittliche Verzinsung und damit dieUmlaufsrendite festverzinslicher Wertpapiere bei 5,4 %. DerZinssatz ermäßigte sich bis 2007 leicht auf 4,3 %. Im Jahre2009, als die Finanzkrise die nationalen und internationalenFinanzmärkte erheblich erschütterte, sackte die Durchschnitts-rendite auf 3,2 % ab. Dieser Trend setzte sich seit 2010, vorallem durch die Eingriffe der Europäischen Zentralbank in dieFinanzmärkte kontinuierlich fort. Schon im Jahre 2012 war dieDurchschnittsrendite auf nur noch 1,4 % abgeschmolzen – in2014 auf 1 % und in 2015 erneut halbiert auf 0,5 %. Seitherschwankt die Durchschnittsrendite festverzinslicher Wertpa-piere in Deutschland zwischen 0,5 % (2018) und 0,1 % (2016).Im März 2019 betrug die Durchschnittsrendite gerade einmal0,2 %.4 Als Konsequenz dieser grundlegenden Veränderungder Durchschnittsrenditen festverzinslicher Wertpapiere inDeutschland können die Strom- und Gasnetzbetreiber in der

    1 BGH, Beschl. v. 09.07.2019 – EnVR 52/18 „Eigenkapitalzinssatz II“juris.

    2 BK4-16-160 und BK4-16-161.3 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.03.2018 – 3 Kart 1062/16.4 Deutsche Bundesbank Statistika 2019.

    Studie | Schwintowski/Heim/Sauer Das Konzept der kalkulatorischen Eigenkapitalverzinsung für Strom- und Gasnetzbetreiber

    4 EWeRK Sonderheft 2020

  • anstehenden vierten Regulierungsperiode für das Jahr 2020mit prognostizierten 0,81 % als Durchschnittszins rechnen.5

    Auch der Chefvolkswirt des Gesamtverbandes der DeutschenVersicherer (GDV) Wiener weist im Ausblick für das Jahr 2020darauf, dass die Renditen für festverzinsliche Wertpapiere (10-jährige Bundesanleihen) erneut massiv gefallen sind. Mit-0,72 % hat die Rendite der 10-jährigen Bundesanleihe sogarein neues Allzeittief erreicht.6 Wesentlicher Treiber, so Wiener,war vor allem die Geldpolitik. Insbesondere die Anleihekäufeder EZB, so seine Einschätzung, seien die Ursache für den mas-siven Einbruch der Renditen festverzinslicher Wertpapiereauch in Deutschland.7

    Die im Folgenden zu vertiefende Frage lautet folglich, ob derVerordnungsgeber mit dem Anknüpfen an die Umlaufsrenditefestverzinslicher Wertpapiere die Vorgaben von § 21 Abs. 2S. 1 EnWG, die als gesetzliche Regulierungsmaßstäbe zugleichden Inhalt und die Reichweite der Verordnungsermächtigungdes § 24 EnWG bestimmen8, noch erfüllt. Nach § 21 Abs. 2 S. 1EnWG müssen die EK-Zinssätze bei den Strom- und Gasnetz-betreibern für eine angemessene, wettbewerbsfähige und risi-koangepasste Verzinsung sorgen. Die Frage lautet, ob dies auchdann noch möglich ist, wenn die durchschnittlichen Umlaufs-renditen festverzinslicher Wertpapiere durch externe Einflüsse(u.a. Finanzkrise/Eurokrise sowie aktuell: Corona-Krise) undmassive Eingriffe in die Finanz- und Kapitalmärkte durch dieEuropäische Zentralbank (etwa: Anleihekaufprogramme)praktisch unter Null tendieren.

    Anders formuliert: Hätte der Verordnungsgeber in dem Zeit-punkt, in dem er die Formel für die Bestimmung des EK-Zinsesin § 7 Strom/GasNEV entwickelt hat (2005), diese auch dannnoch formuliert, wenn er gewusst hätte, dass im Jahre 2020und den davor liegenden Jahren der Zins für festverzinslicheWertpapiere inländischer Emittenten praktisch zusammenbre-chen würde? Noch etwas anders gewendet, lautet die Frage, obder Verordnungsgeber tatsächlich zur Umsetzung von § 21Abs. 2 S. 1 EnWG an einen Markt für EK-Zinsen anknüpfenwollte, dessen Performance durch nicht vorhersehbare undunkalkulierbare externe Einflüsse und Markteingriffe (insbe-sondere durch die EZB) geprägt ist.

    Dieser Frage wird im Folgenden vertieft nachzugehen sein.Sollte sich herausstellen, dass die Regelung des § 7 Abs. 4 und 5Strom/GasNEV (2005) in Anbetracht der aktuellen wirtschaft-lichen Entwicklungen mit den Grundzielen und den Grundvor-stellungen des historischen EnWG-Gesetzgebers (2005) undden heute noch geltenden gesetzlichen Vorgaben der Entgeltre-gulierung nicht mehr übereinstimmt, so müssen diese verord-nungsrechtlichen Bestimmungen (Konkretisierungen) mit dengesetzlichen Regulierungsmaßstäben des § 21 Abs. 2 S. 1EnWG wieder in Deckung gebracht und dementsprechendangepasst werden.9 Andernfalls läge im Wortlaut des § 7Abs. 4 und 5 Strom/GasNEV keine verordnungsrechtlicheKonkretisierung, sondern eine unzulässige Korrektur dergesetzgeberischen Entscheidung des § 21 Abs. 2 EnWG unddamit zugleich ein dauerhaft anhaltender Verstoß gegenArt. 80 Abs. 1 GG.

    Das gesetzliche Grundkonzept der EK-Verzinsung in§ 21 Abs. 2 S. 1 EnWG – Die gesetzlichenRegulierungsmaßstäbeUmsetzung der europarechtlichen Vorgaben

    Nach § 21 Abs. 2 S. 1 EnWG werden die Entgelte für den Netz-zugang unter Berücksichtigung einer angemessenen, wettbe-werbsfähigen und risikoangepassten Verzinsung des eingesetz-ten Kapitals gebildet. Konzeptionell hat der deutsche Gesetzge-ber damit die europarechtlichen Vorgaben umgesetzt.

    Das Zweite Energiebinnenmarktpaket (2003) enthieltzunächst nur die allgemeine Vorgabe, die Bedingungen für denAnschluss und den Zugang zu den nationalen Netzen, ein-schließlich der Tarife, festzulegen und zu genehmigen.10 ImDritten Energiebinnenmarktpaket 2009 wurde ergänzt, dassdie Tarife oder Methoden so zu gestalten sind, dass die notwen-digen Investitionen in die Netze so vorgenommen werden kön-nen, dass die Lebensfähigkeit der Netze gewährleistet ist.11 Andieser Formulierung hat auch die aktuelle Elektrizitätsbinnen-marktrichtlinie des Vierten Energiebinnenmarktpakets(Art. 59 Abs. 7 Buchst. a) EltRL 201912) wortwörtlich festge-halten. Sehr ähnlich heißt es in Art. 18 Abs. 1 der ab01.01.2020 in Deutschland unmittelbar geltenden Verord-nung über den Elektrizitätsbinnenmarkt (EltVO 2019)13,wonach die Entgelte, die die Netzbetreiber für den Zugang zuden Netzen erheben, die tatsächlichen Kosten insofern zumAusdruck bringen, „als sie denen eines effizienten und struktu-rell vergleichbaren Netzbetreibers entsprechen und unter-schiedslos angewandt werden“.

    Entgelte, die einem effizienten und strukturell vergleichbarenNetzbetreiber entsprechen, müssen, so wie es § 21 Abs. 2 S. 1EnWG formuliert, eine angemessene, wettbewerbsfähige undrisikoangepasste Verzinsung des eingesetzten Kapitals enthal-ten, da sie sonst einem strukturell vergleichbaren Netzbetreibernicht entsprechen würden. Strukturell vergleichbare Netzbe-treiber sind dann und nur dann tätig, wenn sie das von ihneneingesetzte Kapital angemessen, wettbewerbsfähig und risiko-

    III.

    1.

    5 So eine Prognose von Julian Schmidt v. 06.12.2019 zur Entwicklungder Eigenkapitalzinssätze für Alt- und Neuanlagen für die vierteRegulierungsperiode (Anlage 1 zu diesem Rechtsgutachten); etwashöher sind die Prognosen des vzbv v. 10.08.2016 und von MichaelSeidel aus der Perspektive des BET v. 29.06.2017 zur Berechnung desZinssatzes für EK I und EK II (abrufbar unter: http://files.enreg.eu/2017/17_06_29_Workshop%20Energierecht/170629_BET_Vor-trag_Berlin_EK_Zinsfestlegung__Seidel.pdf, zuletzt abgerufenam 03.03.2020).

    6 So Wiener in 4 Thesen für das Jahr 2020, Makro und Märkte KompaktNr. 31/Ausblick 2020, S. 3.

    7 Wiener a.a.O., S. 3.8 Sauer in: Elspas/Graßmann/Rasbach (Hrsg.), EnWG (2018), § 24 Rn. 7.9 Allgemein zur Pflicht des Verordnungsgebers zur Beobachtung und

    Korrektur seiner Regelungen: vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschlussvom 31.08.2005, – 1 BvR 700/05, „Treuhändervergütung“, Rn. 29(m.w.N.).

    10 Art. 23 Abs. 4 EltRL 2003/54/EG sowie Art. 25 Abs. 4 GasRL 2003/55/EG.

    11 Art. 37 EltRL 2009/72/EG und Art. 41 GasRL 2009/73/EG.12 Richtlinie (EU) 2019/944 des Europäischen Parlaments und des Rates

    vom 5. Juni 2019 mit gemeinsamen Vorschriften für den Elektrizi-tätsbinnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 2012/27/EU.

    13 Verordnung (EU) 2019/943 des Europäischen Parlaments und desRates vom 5. Juni 2019 über den Elektrizitätsbinnenmarkt.

    Das Konzept der kalkulatorischen Eigenkapitalverzinsung für Strom- und Gasnetzbetreiber Schwintowski/Heim/Sauer | Studie

    EWeRK Sonderheft 2020 5

  • angepasst verzinst bekommen. Wenn das nicht der Fall ist, wer-den sie in andere, eine angemessene EK-Verzinsung realisie-rende, Kapitalanlagen ausweichen. Infolgedessen wäre ein ver-gleichbarer, effizienter und zugleich preisgünstiger Netzbe-trieb nicht mehr gewährleistet. Eine angemessene, wettbe-werbsfähige und risikoangepasste Verzinsung ist somit zwin-gende Bedingung, um die notwendigen Investitionen in dieNetze auf eine Art und Weise vorzunehmen, die die Lebensfä-higkeit der Netze gewährleistet (Art. 59 Abs. 7 Buchst. a)EltRL 2019). Dies bedeutet, dass § 21 Abs. 2 S. 1 EnWG dieeuroparechtlichen Voraussetzungen für einen effizienten, kos-tenorientierten und zugleich preisgünstigen Netzbetrieb kon-kretisiert. Daran wird weder in Literatur noch Rechtsprechunggezweifelt.

    Das Regelungskonzept in § 21 Abs. 2 S. 1 EnWGNormgenese

    Der Regierungsentwurf zu § 21 Abs. 2 EnWG aus dem Jahre2005 stellte zunächst nur auf die Angemessenheit der Verzin-sung ab.14 Auf Vorschlag des Wirtschaftsausschusses wurdendie Merkmale wettbewerbsfähig und risikoangepasst hinzuge-fügt.15 Zur Begründung hieß es: „dass sich die angemesseneVerzinsung des eingesetzten Kapitals an den Marktgegebenhei-ten unter Berücksichtigung der Langfristigkeit der Kapitalan-lage orientieren muss. Der Zinssatz muss so gestaltet sein, dassKapitalgeber auch im Vergleich mit sonstigen Anlagemöglich-keiten auf dem internationalen Kapitalmarkt ein Interesse ander Investition in die Energieversorgungsnetze haben“.16 ZurKonkretisierung der angemessenen, wettbewerbsfähigen undrisikoangepasstem EK-Verzinsung hat die Bundesregierungmit Zustimmung des Bundesrates auf der Grundlage von § 24EnWG schließlich die Regelungen in § 7 Abs. 4 und 5 Strom/GasNEV geschaffen.17

    Danach erfolgt die Festlegung der EK-Verzinsung in zweiSchritten. Zunächst einmal ist der auf die letzten zehn abge-schlossenen Kalenderjahre bezogene Durchschnitt der von derDeutschen Bundesbank veröffentlichten Umlaufsrenditen fest-verzinslicher Wertpapiere inländischer Emittenten zu ermit-teln. Im zweiten Schritt wird zur Abdeckung netzbetriebsspe-zifischer unternehmerischer Wagnisse ein angemessenerZuschlag gewährt.

    Dieser Doppelschritt zur Ermittlung des EK-Zinses soll dieBegriffe angemessen, wettbewerbsfähig und risikoangepasstausfüllen. Letztlich dient das zweistufige Konzept von § 7Abs. 4 Strom/GasNEV dem Grundziel des § 21 Abs. 2 S. 1EnWG, wonach der „Zinssatz so zu gestalten ist, dass Kapital-geber auch im Vergleich mit sonstigen Anlagemöglichkeitenauf den internationalen Kapitalmärkten ein Interesse an einerInvestition in die Energieversorgungsnetze haben“.18

    Sichtweise der BNetzAHiervon geht auch die BNetzA in den Festlegungen der EK-Zinssätze für die dritte Regulierungsperiode aus.19 § 21 Abs. 2EnWG sehe eine angemessene, wettbewerbsfähige und risiko-angepasste Verzinsung vor. Unter Berücksichtigung der Ent-wicklung aller Faktoren des Zuschlags zur Abdeckung netzbe-

    2.a.

    b.

    triebsspezifischer unternehmerischer Wagnisse und derUmlaufsrendite festverzinslicher Wertpapiere inländischerEmittenten erfülle der Eigenkapitalzinssatz für Neuanlagen, sodie BNetzA weiter, die an ihn gestellte Anforderung der Ange-messenheit.

    Wie sie selbst ausführt, sieht es die 4. Beschlusskammer derBNetzA als angemessen an, auf die Gesamtbetrachtung derUmlaufsrenditen festverzinslicher Wertpapiere inländischerEmittenten abzustellen.20 Dieses Vorgehen stelle sicher, dasssämtliche Konstellationen von langfristigen Anlagemöglich-keiten in festverzinsliche Wertpapiere inländischer Emittentenabgedeckt werden. Diese Gesamtbetrachtung berücksichtigesowohl die Nutzungsdauer der Anlagegüter als auch die Anla-gedauer der Investoren, da beide Kriterien für die Bestimmungder Umlaufsrendite relevant seien.21 Im Grundsatz sei davonauszugehen, dass Eigenkapitalgeber solange ihr Eigenkapitalim Netzbetrieb anlegen würden, solange sich bei unveränderterRisikoeignung keine besseren Anlagemöglichkeiten böten. AusKapitalmarktsicht sei von einer vergleichsweise kurzen Kapi-talmarktbindung auszugehen, was bei der Bestimmung derUmlaufsrendite zu berücksichtigen sei. Dass das Eigenkapitalzudem nicht nur in Anlagen mit einer langen Nutzungsdauergebunden sei, sondern auch kurzlebige Anlagengüter betreffe,dürfe nicht vernachlässigt werden.22 Unter anderem würdenfestverzinsliche Wertpapiere mit 9 bis 10 Jahren Restlaufzeitund festverzinsliche Wertpapiere mit einer längsten Laufzeitvon mehr als 4 Jahren berücksichtigt, sodass mindestens dieDauer einer Regulierungsperiode als Anlagezeitraum für fest-verzinsliche Wertpapiere erfasst werde. Die Zusammenset-zung der Umlaufsrenditen nach Wertpapierarten und Laufzei-ten werde von der Bundesbank in der von ihr veröffentlichtenKapitalmarktstatistik detailliert aufbereitet.23

    Die BNetzA weist ferner darauf hin, dass verschiedene Gutach-ten, die in dem Verfahren vorgelegt wurden, zu einem gleichenErgebnis bei der Ermittlung der Umlaufsrendite wie dieBeschlusskammer kämen. Das gelte sowohl für NERA in dem

    14 BT-Drucks. 15/3917 v. 14.10.2004, S. 60.15 BT-Drucks. 15/5268 v. 13.04.2005, S. 32.16 BT-Drucks. 15/5268 v. 13.04.2005, S. 119, rechte Spalte zu § 21 Abs. 2

    S. 1; So auch Mohr, Die Verzinsung des Eigenkapitals von Energie-netzbetreibern in der 3. Regulierungsperiode – Zur Reichweite vonEntscheidungsspielräumen der Bundesnetzagentur bei der Ermitt-lung des Wagniszuschlags mit Hilfe des Capital Asset Pricing Model,N&R Beilage 1/2020, S. 5.

    17 BR-Drucks. 245/05, S. 35 sowie BT-Drucks 247/05 v. 14.04.2005, S. 29.18 BT-Drucks. 15/5268 v. 13.04.2005, S. 119.19 Beispielhaft BNetzA, Beschl. v. 05.10.2016, BK4-16-160 und

    BK4-16-161, S. 3.20 BNetzA, a.a.O., S. 5.21 BNetzA, a.a.O., S. 5.22 BNetzA, a.a.O., S. 5.23 BNetzA, a.a.O., S. 5 unter Hinweis auf Deutsche Bundesbank (2016),

    Kapitalmarktstatistik 04/2016, S. 28.

    Studie | Schwintowski/Heim/Sauer Das Konzept der kalkulatorischen Eigenkapitalverzinsung für Strom- und Gasnetzbetreiber

    6 EWeRK Sonderheft 2020

  • Gutachten für den BDEW24 als auch für das KEMA-Gutachten(VKU)25, und für das Gutachten von BBH (GEODE)26.

    Alternative Berechnungen zur Bestimmung der Umlaufsren-dite, beispielsweise durch Bestimmung eines vergleichbarenrisikoarmen Zinssatzes – wie etwa anhand einer Zinsstruktur-kurve – seien, so die BNetzA, auf Grund der Vorgaben des § 7Abs. 4 Strom/GasNEV zur Bildung eines auf die letzten zehnKalenderjahre bezogenen Durchschnitts der von der Deut-schen Bundesbank veröffentlichten Umlaufsrenditen festver-zinslicher Wertpapiere inländischer Emittenten nicht anzuset-zen.27 Durch die Durchschnittsbildung über zehn Jahre würdenkurzfristige Effekte unabhängig vom Entscheidungszeitpunktgedämpft werden. Ob Vorgaben der Strom/GasNEV – wiebereits in dem vorangegangenen Festlegungsverfahren vorge-tragen worden sei – unter ökonomischen Aspekten nicht mitdem eigentlichen Vorgehen der Ermittlung eines risikoarmenZinssatzes übereinstimmten, könne auf Grund der insoweiteindeutigen Vorgaben der Netzentgeltverordnung dahinste-hen.28

    Sichtweise des OLG DüsseldorfDiese Vorgehensweise zur Bestimmung der Umlaufsrendite hatdie Beschlusskammer bereits in der erstmaligen Festlegung derEK-Zinssätze im Jahre 2008 angewandt.29 Die gegen dieseVorgehensweise im Beschwerdeverfahren vorgebrachten Ein-wände seien vom OLG Düsseldorf30 verworfen worden. Diesbetreffe insbesondere die Anwendbarkeit der Zinsstruktur-kurve und die Beschränkung der Wertpapiere mit bestimmtenLaufzeiten bzw. Restlaufzeiten.31 In der Tat heißt es in einemanderem Beschluss des OLG Düsseldorf vom 24.04.201332,dass der von der Beschlusskammer auf damals 4,23 % festge-legte (risikolose) Zinssatz, basierend auf der von der DeutschenBundesbank veröffentlichten Umlaufsrendite festverzinslicherWertpapiere als zehn Jahresdurchschnitt nicht streitig sei.Mehr ist in jenem Verfahren zu der Frage, ob und inwieweitdiese Umlaufsrendite zu einer angemessenen EK-Verzinsungführen könne, nicht gesagt worden. Alle weiteren Erwägungenim Beschluss des OLG Düsseldorf betreffen den Risikozu-schlag.33

    Ganz grundsätzlich heißt es im Beschluss des OLG Düsseldorfaus der Perspektive von § 21 Abs. 2 S. 1 EnWG: „Angemessenist die Verzinsung dann, wenn die Kapitalgeber für das einge-setzte Kapital eine Rendite erhalten, die sie zum einen veran-lasst, das Kapital in dem Unternehmen zu belassen und zumanderen Anreize für weitere Investitionen in das Unternehmenund die Netzinfrastruktur setzt.“34 „Die Frage der angemesse-nen Verzinsung des eingesetzten Kapitals ist mit Rücksicht aufdie erforderliche Investitionsfähigkeit und die Sicherstellungder Leistungsfähigkeit des Netzbetriebs zu beantworten.“35

    „Dies setzt voraus, dass der Investor für Investitionen, die derErhaltung und dem bedarfsgerechten Ausbau im Sinne dergesetzlichen Zielrichtung nach § 11 EnWG dienen, auf eineangemessene Rendite vertrauen kann.“36

    c.

    Sichtweise des BGHIm Vattenfall-Beschluss des BGH37 ging es nicht um die Grund-frage, wie der Begriff der Angemessenheit nach § 21 Abs. 2 S. 1EnWG zu interpretieren ist. Es ging um die untergeordneteFrage, welchen Ertrag der Netzbetreiber für eingesetztes Kapi-tal für den Bau neuer Anlagen erwarten dürfe. Der BGH stellteklar, dass nach dem Gebot einer angemessenen Verzinsung derNetzbetreiber für sein zur Herstellung von Anlagen aufge-wandtes Kapital grundsätzlich denselben Betrag erwartenkönne wie für Kapital, das er in anderen Bereichen des Netzbe-triebs investiert habe.38 Zu den Zielen des EnWG gehöre näm-lich die Sicherstellung der Leistungsfähigkeit von Energiever-teilungsanlagen (§ 1 Abs. 2 EnWG). Dies setze voraus, dassInvestitionen, die der Erhaltung und dem bedarfsgerechtenAusbau im Sinne der gesetzlichen Zielsetzung nach § 11 EnWGdienten, im Hinblick auf ihre Verzinsung nicht benachteiligtwerden dürften. Vielmehr müsse der Investor auf eine ange-messene Rendite aus diesem Kapital vertrauen dürfen. Diesschließe aus, derartige Vermögensbestandteile ohne sachlichenGrund vollständig aus der Verzinsung herausnehmen.39

    Auch in der Entscheidung des BGH „Thyssengas GmbH“ vom27.01.201540 hat sich der BGH nicht mit den Grundsätzen derangemessenen, wettbewerbsfähigen Verzinsung des Eigenka-pitals nach § 21 Abs. 2 EnWG befasst. Im Zentrum seinerÜberlegungen standen Fragen der risikoangepassten Verzin-sung aus der Perspektive des § 7 Abs. 5 GasNEV. Der BGH hatzwar darauf hingewiesen, dass kapitalmarktübliche Zinsennach § 7 Abs. 4 S. 1 GasNEV im Ausgangswert anhand vonveröffentlichten Umlaufsrenditen festverzinslicher Wertpa-

    d.

    24 NERA (2011), Die kalkulatorischen Eigenkapitalzinssätze für Gasnetzein Deutschland, Gutachten im Auftrag des BDEW, S. 20f.

    25 KEMA (2008), Ermittlung angemessener Kapitalzinssätze für deut-sche Strom- und Gasverteilnetze, Studie im Auftrag des VKU, S. 39ff.

    26 BBH (2016), Ermittlung der kalkulatorischen Eigenkapitalzinssätzenach § 7 Abs. 4 Gas- bzw. StromNEV, Gutachten im Auftrag vonGEODE, S. 35f.

    27 BNetzA, BK4-16-160 und BK4-16-161, S. 5.28 BNetzA, a.a.O., S. 5 f.29 BNetzA, BK4-16-160 und BK4-16-161, S. 6 unter Bezugnahme auf

    BNetzA, Beschl. v. 07.07.2008, BK4-08-068.30 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24.04.2013 – VI-3 Kart 37/08 (S. 21 ff. des

    Urteilsumdrucks); vgl. auch OLG Schleswig, Beschl. v. 01.10.2009 –16 Kart 2/09 (S. 12 ff. des Urteilsumdrucks).

    31 BK4-16-160/161, S. 6.32 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24.04.2013 – VI-3 Kart 61/08, Rn. 91.33 OLG Düsseldorf, a.a.O., ab Rn 92.34 OLG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 71 unter Hinweis auf Büdenbender, Die

    Angemessenheit der Eigenkapitalrendite im Rahmen der Anreizre-gulierung von Netzentgelten in der Energiewirtschaft, S. 37; Säcker/Böcker, Entgeltkontrolle als Bestandteil einer sektorübergreifendenRegulierungsdogmatik, S. 69, 106; Säcker/Meinzenbach in: BerlKom-mEnR, 2. Aufl., § 21 Rn. 115; Groebel in: Britz/Hellermann/Hermes,EnWG, 2. Auzfl., § 21 Rn. 128; Berndt, Die Anreizregulierung in denNetzwirtschaften, S. 92, 131; Lippert, RdE 2009, 353, 359.

    35 OLG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 71 unter Hinweis auf Theobald/Zenke/Lange in: Schneider/Theobald, Recht der Energiewirtschaft, 2. Aufl.,§ 17 Rn. 34.

    36 OLG Düsseldorf, a.a.O. Rn. 71 unter Hinweis auf BGH, Beschl. v. 14.08.2008 – KVR 39/07 „Vattenfall“, Rn. 39.

    37 BGH, Beschl. v. 14.08.2008 – KVR 39/07 „Vattenfall“.38 BGH, a.a.O., „Vattenfall“, Rn. 39.39 BGH a.a.O., „Vattenfall“, Rn. 39.40 BGH, Beschl. v. 27.01.2015 – EnVR 39/13 „Thyssengas GmbH“.

    Das Konzept der kalkulatorischen Eigenkapitalverzinsung für Strom- und Gasnetzbetreiber Schwintowski/Heim/Sauer | Studie

    EWeRK Sonderheft 2020 7

  • piere bestimmt würden.41 Mehr als diesen Hinweis hat derBGH jedoch nicht gegeben. Ansonsten hat er ganz grundsätz-lich erklärt, dass die in § 21 Abs. 2 EnWG normierte Vorgabeeiner angemessenen, wettbewerbsfähigen und risikoangepass-ten Verzinsung nicht allein durch die Ermittlung von Marktge-gebenheiten oder sonstigen Tatsachen erfüllt werden könne.Sie erfordere vielmehr eine Gesamtbetrachtung, in die wer-tende Elemente einzufließen hätten und die nicht nur Gegeben-heiten in der Vergangenheit, sondern den zukünftigen Anfor-derungen an den Betrieb von Netzen Rechnung zu tragen hät-ten. Diese Bewertung habe der Gesetzgeber der Regulierungs-behörde übertragen.42

    Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Beschluss desBGH vom 25.04.2017 („Stadtwerke Werl GmbH“)43. Injenem Fall ging es um den Zinssatz für den die Eigenkapital-quote übersteigenden Anteil des Eigenkapitals nach § 7 Abs. 1S. 5 GasNEV (EK II-Zinssatz). Der BGH hat dem OLG Düssel-dorf zugestimmt, dass die Deckelung des anerkennungsfähigenEigenkapitals auf 40 % dem gesetzlich vorgegebenen Ziel einerpreisgünstigen Versorgung und eines wirksamen und unver-fälschten Wettbewerbs entspreche.44 Der Verordnungsgebersei auch nicht gehalten, für den diese Grenze übersteigendenTeil des Eigenkapitals einen Zinssatz vorzusehen, der einenZuschlag zur Abdeckung des unternehmerischen Wagnissesenthalte.45 Dieser Zuschlag beziehe sich nämlich lediglich aufdie kalkulatorische Eigenkapitalverzinsung.46 Dieser unter-liege nur derjenige Teil des Eigenkapitals, der sich auch unterWettbewerbsbedingungen typischerweise bilden würde.47 Obder Verordnungsgeber überhaupt gehalten sei, die mit derGewährung von Fremdkapital für den Kreditgeber verbunde-nen Risiken zu berücksichtigen, könne dahingestellt bleiben.48

    Die hier im Folgenden zu vertiefende, grundsätzliche Frage derVoraussetzungen für eine angemessene, wettbewerbsfähigeVerzinsung des eingesetzten Eigenkapitals (EK I) haben wederdas OLG Düsseldorf noch der BGH in dem Beschluss Stadt-werke Werl GmbH erörtert.

    ZwischenergebnisIm Ergebnis ist festzuhalten, dass es § 21 Abs. 2 S. 1 EnWG imKern um eine angemessene Verzinsung des eingesetzten Kapi-tals geht. Die Verzinsung muss im Vergleich zu alternativenAnlagemöglichkeiten zugleich wettbewerbsfähig und risikoan-gepasst sein. Beide zuletzt genannten ergänzenden Tatbe-standsmerkmale sind klarstellend durch den Wirtschaftsaus-schuss vorgeschlagen und in den Gesetzestext aufgenommenworden.49 Eine angemessene Verzinsung, so der Wirtschafts-ausschuss müsse sich an den Marktgegebenheiten im Versor-gungsbereich unter Berücksichtigung der Langfristigkeit derKapitalanlage ausrichten. Insbesondere sei der Zinssatz so zugestalten, dass der Kapitalgeber auch im Vergleich mit sonsti-gen Anlagemöglichkeiten auf den internationalen Kapital-märkten ein Interesse an einer Investition in die Energieversor-gungsnetze habe.50 Diese in § 21 Abs. 2 S. EnWG normiertenVoraussetzungen für die Verzinsung des eingesetzten Kapitalserfordern, so der BGH zu Recht, eine Gesamtbetrachtung.51 Indiese Gesamtbetrachtung müssten wertende Elemente einflie-

    e.

    ßen, die nicht nur Gegebenheiten in der Vergangenheit, son-dern auch den zukünftigen Anforderungen an den Betrieb vonNetzen Rechnung zu tragen hätten. Diese Bewertung, so derBGH, habe der Gesetzgeber den Regulierungsbehörden über-tragen. Diese Grundsätze sind allgemein anerkannt – sie spie-geln sich in der Literatur.52

    Das verordnungsrechtliche Grundkonzept der EK-Verzinsung in § 7 Abs. 4 Strom/GasNEVNormgenese

    Die Maßgabe des § 21 Abs. 2 S. 1 EnWG, wonach die Ermitt-lung der Netzentgelte unter Berücksichtigung einer angemesse-nen Verzinsung des eingesetzten Eigenkapitals zu erfolgen hat,wird, so heißt es in Verordnungsbegründung, in § 7 Strom/GasNEV umgesetzt.53 Zunächst einmal wird in § 7 das zu ver-zinsende betriebsnotwendige Eigenkapital definiert. Da diekalkulatorisch ansetzbare Eigenkapitalquote auf maximal40 % begrenzt ist, schreibt Abs. 1 vor, dass das die Quote von40 % überschreitende Eigenkapital lediglich wie Fremdkapitalzu verzinsen ist.54 Absatz 4 legt fest, dass der auf das betriebs-notwendige Eigenkapital, das auf Neuanlagen entfällt, anzu-wendende Eigenkapitalzinssatz den auf die letzten zehn abge-schlossenen Kalenderjahre bezogenen Durchschnitt der vonder Deutschen Bundesbank veröffentlichten Umlaufsrenditenfestverzinslicher Wertpapiere inländischer Emittenten zzgl.eines angemessenen Wagniszuschlages nicht überschreitendarf.55 Im Interesse der Rechtssicherheit wurde im Jahre 2005der Eigenkapitalzinssatz, bis zur Einführung einer Anreizregu-lierung auf real 6,5 % (Strom) und real 7,8 % (Gas) vor Kör-perschaftssteuer festgesetzt.56 In der Verordnungsbegründunghieß es ferner: „Bei Einführung der Anreizregulierung hat dieRegulierungsbehörde einen Eigenkapitalzinssatz nach Steuernfestzulegen. Hierbei muss sichergestellt sein, dass es einem

    IV.

    1.

    41 BGH, a.a.O., „Thyssengas GmbH“, Rn. 18.42 BGH a.a.O., „Thyssengas GmbH“ Rn. 20.43 BGH, Beschl. v. 25.04.2017 – EnVR 17/16 „Stadtwerke Werl GmbH“

    (vorgehend OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21.01.2016 – VI-5 Kart 33/14 (V),dort ab Rn. 89).

    44 BGH, a.a.O., „Stadtwerke Werl GmbH“, Rn. 64 und 68 unter Hinweisauf BGH v. 14.08.2008 – KVR 42/07, „Rheinhessische Energie I“.

    45 BGH, a.a.O., „Stadtwerke Werl GmbH“ Rn. 69.46 BGH, a.a.O., „Stadtwerke Werl GmbH“, Rn. 70 unter Hinweis auf BGH

    v. 14.08.2008 – KVR 34/07, Rn. 74.47 BGH, a.a.O., „Stadtwerke Werl GmbH“, Rn. 70.48 BGH, a.a.O., „Stadtwerke Werl GmbH“, Rn. 76 und 77.49 BT-Drucks. 15/5268 v. 13.04.2005, S. 32 und S. 219.50 BT-Drucks. 15/5268 v. 13.04.2005, S. 119.51 BGH, Beschl. v. 27.01.2015 – EnVR 39/13 „Thyssengas GmbH“, Rn. 20.52 Missling in: Danner/Theobald, Energierecht, Werkstand 102.EL

    August 2019, § 21 EnWG ab Rn. 74; Laubenstein/van Rossum in: Holz-nagel/Schütz, Anreizregulierungsrecht, 2. Aufl. 2019, § 21 EnWG abRn. 64; Schütte in: Kment, EnWG, 2. Aufl. 2019, § 21 Rn. 96; Schütz/Schütte in: Holznagel/Schütz, Anreizregulierungsrecht, 2. Aufl.2019, § 7 Strom/GasNEV ab Rn. 98; Busse von Colbe/Säcker in: Berl-KommEnR vor §§ 21ff. EnWG ab Rn. 66.

    53 BR-Drucks. 245/05, S. 35.54 So auch BR-Drucks. 245/05, S. 35 und BR-Drucks. 247/05, S. 29.55 In der Verordnungsbegründung aus dem Jahre 2005 (BR-Drucks.

    245/05 S. 35 und BR-Drucks. 247/05, S. 29) wurde auf die Ermittlungdes Realzinses abgestellt. Dieser ergab sich aus dem Nominalzinsabzüglich der Preisänderungsrate.

    56 Zu § 7 Abs. 5 Strom/GasNEV: BR-Drucks. 245/05, S. 35 und BR-Drucks.247/05, S. 30.

    Studie | Schwintowski/Heim/Sauer Das Konzept der kalkulatorischen Eigenkapitalverzinsung für Strom- und Gasnetzbetreiber

    8 EWeRK Sonderheft 2020

  • durchschnittlich effizienten Netzbetreiber ermöglicht wird,eine durchschnittliche Rendite zu erzielen“.57

    Diese Grundgedanken der damaligen Verordnungsbegrün-dung zeigen, dass der Normgeber im Jahre 2005 davon aus-ging, dass eine reale Verzinsung von 6,5 % des eingesetztenKapitals für nationale und internationale Investoren angemes-sen, wettbewerbsfähig und risikoangepasst war. Wenn dies imJahre 2005 der Fall war, so müsste es gute Sachgründe dafürgeben, warum womöglich im Jahre 2021 eine angemessene,wettbewerbsfähige und risikoangepasste Verzinsung des ein-gesetzten Kapitals deutlich niedriger als real 6,5 % ausfallendürfe.

    Eine vertiefte Begründung des Verordnungsgebers, aus wel-chen Sachgründen er die Vorgabe des § 21 Abs. 2 S. 1 EnWGnach einer angemessenen, wettbewerbsfähigen und risikoan-gepassten Verzinsung in einem Doppelschritt in § 7 Abs. 4/5Strom/GasNEV umgesetzt hat, lässt sich aus der sehr kurzenund eher kargen Begründung zu § 7 Strom/GasNEV nicht ent-nehmen. Jedenfalls ordnet § 7 Abs. 4 Strom/GasNEV an, dassder Zinssatz für das betriebsnotwendige Eigenkapital für Neu-anlagen in zwei Schritten ermittelt wird. Im Schritt 1 wird derDurchschnitt der Umlaufsrendite festverzinslicher Wertpa-piere inländischer Emittenten bezogen auf die letzten zehnabgeschlossenen Kalenderjahre ermittelt (sogenannter risiko-loser Zinssatz) und im Schritt 2 kommt ein Risikozuschlag zurAbdeckung netzbetriebsspezifischer unternehmerischer Wag-nisse hinzu. Letzter wird nach § 7 Abs. 5 Strom/GasNEV ermit-telt.

    Praxis der BNetzADieses zweistufige Konzept liegt den Festlegungen der BNetzAnach § 29 Abs. 1 EnWG i.V.m. § 7 Abs. 6 Strom/GasNEVzugrunde. Die Beschlusskammer hat es am 05.10.2016 wiefolgt formuliert: „Sie sieht es als angemessen an, auf eineGesamtbetrachtung der Umlaufsrenditen festverzinslicherWertpapiere inländischer Emittenten abzustellen.“58 Abge-stellt wurde (so Tabelle 1) auf die Umlaufsrendite festverzins-licher Wertpapiere inländischer Emittenten aus den Jahren2006 bis 2015.59 Die Umlaufsrendite betrug im Jahre 20063,8 %, stieg im Jahre 2007 auf 4,3 %. Ab 2008 fiel dieUmlaufsrendite zunächst moderat auf 4,2 %, in 2009 ganzerheblich um 1 % auf 3,2 %, in 2010 erneut erheblich auf2,5 %. In 2011 gab es einen kleinen Anstieg auf 2,6 % und ab2012 erneut eine stark abfallende Tendenz, zunächst auf1,4 %, in 2013 ebenfalls 1,4 %, in 2014 nur noch 1 % und in2015 eine Halbierung auf 0,5 %. Das heißt die Umlaufsrenditebetrug im Jahre 2015 gerade einmal etwas mehr als ein Zehntelder Umlaufsrendite in 2007/08. Schaut man sich die Umlaufs-renditen festverzinslicher Wertpapiere für die Jahre davor an,so wird deutlich, dass es eine vergleichbare Abwärtsentwick-lung in den Jahren davor niemals gab. Die Umlaufsrenditebetrug im Jahre 2005, 4 % und schwankte bis 2006 zwischenetwa 4,7 % bis 3, 8 % im Jahre 2006.60

    Obwohl das Absinken der Umlaufsrendite schon im Jahre2012 (1,4 %) extrem signifikant war, im Vergleich zu den Jah-ren davor war die Umlaufsrendite um fast dreiviertel gesunken,

    2.

    legte die BNetzA ihren Beschlüssen den Zehnjahres-Durch-schnitt der Umlaufsrendite festverzinslicher Wertpapiere ohneweitere Diskussion zugrunde. Eine solche Diskussion hätteaber, selbst aus der Perspektive des Zehnjahres-Mittelwertes,durchaus nahe gelegen. Der Zehnjahres-Mittelwert wird vonder BNetzA im Jahre 2006 mit 4,31 % dargestellt.61 Im Jahre2015 hatte sich das Zehnjahresmittel nach dieser Tabelle auf2,49 % reduziert und damit praktisch halbiert.

    Ob bei einer derartig gravierenden Abwärtsentwicklung derVerzinsung festverzinslicher Wertpapiere noch von einer ange-messenen, wettbewerbsfähigen Verzinsung des eingesetztenKapitals für nationale und internationale Kapitalinvestoren dieRede sein kann, hätte sinnvollerweise diskutiert werden sollen.Denn nach der Verordnungsbegründung im Jahre 2005 ging esdem Verordnungsgeber darum, sicherzustellen, dass ein durch-schnittlich effizienter Netzbetreiber eine angemessene Renditeerzielt.62 Ob das angesichts der Halbierung des zehn Jahresmit-tels im Jahre 2015 mit 2,49 % Durchschnittszins noch erreichtwurde, blieb in der Diskussion der BNetzA ebenso offen, wie inder anschließenden Diskussion vor dem OLG Düsseldorf unddem BGH.

    Sichtweise des OLG DüsseldorfDas OLG Düsseldorf hat mit Beschluss vom 22.03.201863 aus-geführt, dass die Festlegung des „risikolosen“ Zinssatzes durchdie BNetzA auf der Basis der Daten der Kalenderjahre 2006bis 2015 für die dritte Regulierungsperiode nicht zu beanstan-den gewesen sei.64 Das Gericht beschäftigt sich sodann mit derFrage des Festlegungszeitpunktes.65 Schließlich sei nicht zubeanstanden, dass die BNetzA bei der Bestimmung der durch-schnittlichen Umlaufsrendite eine Gesamtbetrachtung derUmlaufsrenditen festverzinslicher Wertpapiere inländischerEmittenten vorgenommen habe und die entsprechenden Datender Kapitalmarktstatistik der Deutschen Bundesbank (April2016, Tabelle 7b, Spalte „Insgesamt“) zugrunde gelegt habe.66

    Im nächsten Schritt bereits beschäftigt sich das OLG Düssel-dorf mit dem angemessenen Zuschlag zur Abdeckung betriebs-spezifischer unternehmerischer Wagnisse.67 Dabei beschäftigtsich das Gericht intensiv mit dem von der BNetzA zugrundegelegten Capital Asset Prizing Model (CAPM). Zutreffend ver-weist das OLG Düsseldorf darauf, dass das CAPM die Rendi-teforderung aus einem „risikolosen“ Basiszins und einer unter-nehmensspezifischen Risikoprämie, die das netzspezifischeunternehmerische Wagnis abbilde, zusammensetze.68 DieMarktrisikoprämie sei die marktdurchschnittliche, von Inves-

    3.

    57 BR-Drucks. 245/05, S. 35 f. und BR-Drucks. 247/05, S. 30.58 BK4-16-160 und BK4-16-161, S. 5.59 BK4-16-160 und BK4-16-161, S. 5, Tabelle 1.60 Deutsche Bundesbank, Statistika 2019, S. 11.61 Die BNetzA griff dabei auf die Kapitalmarktstatistik der Deutschen

    Bundesbank, April 2016, S. 36, Tabelle 7b, Spalte „Insgesamt“ zurück.62 BR-Drucks. 245/05, S. 35 und BR-Drucks. 247/05, S. 29.63 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.03.2018 – VI-3 Kart 485/16 (V).64 OLG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 50 ff.65 OLG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 55.66 OLG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 56.67 OLG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 60 ff.68 OLG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 65.

    Das Konzept der kalkulatorischen Eigenkapitalverzinsung für Strom- und Gasnetzbetreiber Schwintowski/Heim/Sauer | Studie

    EWeRK Sonderheft 2020 9

  • toren geforderte, Überrendite von Aktienanlagen gegenüberder Rendite „risikofreier“ Wertpapiere. Deshalb erfülle dasCAPM grundsätzlich die Vorgaben des § 7 Abs. 5 Strom/GasNEV.69

    Zu der Frage, ob der angeblich „risikolose“ Basiszins tatsäch-lich so risikolos war und ist, wie er vom OLG Düsseldorf undder BNetzA zugrunde gelegt wurde, findet sich im Beschluss desGerichtes nichts. Das Gericht geht, wie selbstverständlichdavon aus, dass der Basiszins, der sich aus dem Durchschnittfestverzinslicher Wertpapiere inländischer Emittenten bildet,tatsächlich „risikolos“ war.

    Schaut man sich die von der Deutschen Bundesbank zur Ver-fügung gestellten Kapitalmarktstatistik der Jahre 2006bis 2015 an, so erfährt man, dass das durchschnittliche Mittel,das im Jahre 2006 noch bei 4,31 % lag, im Jahre 2015 schonauf 2,49 % gesunken war. Wesentlicher Treiber für diese quasiHalbierung des Zinses waren die Jahre 2010 bis 2015. Im Jahre2010 war der Zins bereits auf 2,5 % abgesunken – die Tendenzverstärkte sich in 2012 auf 1,4 %, in 2014 auf 1 % und in 2015schließlich auf 0,5 %. Anders formuliert: In den letzten fünfJahren der zugrunde gelegten zehn Jahres Periode sank dieUmlaufsrendite festverzinslicher Wertpapiere fast auf einZehntel des Wertes der davorliegenden Jahre ab.

    Bei einer derart drastischen Verminderung der durchschnittli-chen Umlaufrenditen kann man auf gar keinen Fall mehr voneinem risikolosen Basiszinssatz sprechen. In Wahrheit ist die-ser Basiszinssatz spätestens seit 2011 hoch risikobehaftet, denndie Umlaufsrenditen, die in den davorliegenden Jahren undJahrzehnten typischerweise zwischen 3,5 % bis 4,5 %geschwankt haben, sind in den Jahren ab 2011 bis heute prak-tisch zusammengebrochen. Die Reduktion der Umlaufsrenditeauf 0,5% im Jahre 2015 hat seither nicht nur angehalten, son-dern sich noch einmal erheblich verstärkt. Im Jahre 2016 ist dieUmlaufsrendite auf 0,1 % gesunken und in den Jahren danachhat sie um 0,3 % mit abnehmender Tendenz geschwankt. Der-zeit wird für die anstehende vierte Regulierungsperiode für dasJahr 2020 eine Durchschnittsverzinsung von 0,81 % prognos-tiziert.70 Die Prognose könnte, so der Chefökonom des GDVWiener, noch deutlich zu optimistisch sein, denn mit minus0,72 % hat die Rendite der 10-jahrigen Bundesanleihe für2020 ein neues Allzeittief erreicht.71 Diese sehr pessimistischeEinschätzung wird von der Deutschen Bundesbank geteilt. Deram 03.01.2020 veröffentlichte Quartalsdurchschnitt derUmlaufsrenditen festverzinslicher Wertpapiere lag für das Jahr2019 bereits unter 0 %.72

    Sichtweise des BGHDennoch geht der BGH davon aus, dass der Basiszinssatz für„risikolose“ Kapitalanlagen nach § 7 Abs. 4 S. 1 Strom/GasNEV über die durchschnittlichen Umlaufsrenditen festver-zinslicher Wertpapiere zutreffend gebildet wird.73 Der BGHknüpft an den Durchschnitt der Umlaufsrenditen festverzinsli-cher Wertpapiere an.74 Der Wortlaut der Vorschrift sehe eineDifferenzierung zwischen einzelnen Kategorien von Wertpa-pieren nicht vor. Dies spreche für den von der BNetzA einge-schlagenen Weg, den gemittelten Wert heranzuziehen, den die

    4.

    Deutsche Bundesbank in ihrer Statistik unter der Rubrik „Ins-gesamt“ für alle Arten von Wertpapieren inländischer Emitten-ten ausweise.75 Es folgen Erwägungen des BGH zur Frage, wel-che Arten von Wertpapieren mit welcher Laufzeit berücksich-tigungsfähig erscheinen. Restlaufzeiten von 5-10 Jahren seiennicht als zu kurzfristig anzusehen.76

    Auf diese Grundsätze stellt der BGH auch in seinem Beschlussvom 09.07.2019 ab.77 Er stellt zunächst einmal fest, dass nach§ 7 Abs. 4 S. 1 GasNEV (bei Strom ist es nicht anders) derEigenkapitalzinssatz den auf die letzten zehn abgeschlossenenKalenderjahre bezogenen Durchschnitt, der von der DeutschenBundesbank veröffentlichen Umlaufsrenditen festverzinslicherWertpapiere, inländischer Emittenten nicht überschreitendürfe. Ein angemessener Zuschlag zur Abdeckung netzbe-triebsspezifischer unternehmerischer Wagnisse käme hinzu.78

    Bei der Ermittlung dieses Zuschlags habe die Regulierungsbe-hörde gemäß § 7 Abs. 5 GasNEV (bei Strom gilt das Gleiche)insbesondere die Verhältnisse auf den nationalen und interna-tionalen Kapitalmärkten zu berücksichtigen.

    Warum der BGH diese Überlegungen nur auf den Zuschlagbezieht, bleibt offen. Angesichts der Halbierung der durch-schnittlichen Umlaufsrenditen für festverzinsliche Wertpa-piere hätte es nahe gelegen, über die Frage nachzudenken, ob eseinen vergleichbaren Abwärtstrend der Umlaufsrenditen aufinternationalen Märkten für festverzinsliche Wertpapiereebenso wie in Deutschland und Europa gegeben habe.

    Stattdessen erörtert der BGH, ob der Zuschlag wegen des his-torisch niedrigen Zinsniveaus und weiterer Folgen der ab 2007aufgetretenen Finanzkrise möglicherweise eine zusätzlichePlausibilisierung durch die BNetzA erforderlich machte.79

    Jedenfalls, so der BGH, sei die Situation auf den Finanzmärk-ten in den für die Beurteilung maßgeblichen Zeiträumen(2006-2015) historisch einzigartig.80 Auch die Würdigungdurch das OLG Düsseldorf, wonach die Häufung von außerge-wöhnlichen Phänomenen im Zeitraum 2006-2015 mit derSituation vergangener Jahre und Jahrzehnte nicht vergleichbarsei, lasse weder einen Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfah-rungssätze, noch einen sonstigen Rechtsfehler erkennen.81

    Dennoch, so der BGH, ergäben sich keine Anhaltspunktedafür, dass die von der BNetzA gewählte Methode nicht geeig-net sei, diesen Besonderheiten angemessen Rechnung zu tra-

    69 OLG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 65.70 So Julian Schmidt EVU-Assist vom 06.12.2019, S. 1 (siehe Anlage 1 zu

    diesem Rechtsgutachten).71 Wiener, Vier Thesen für das Jahr 2020, Makro und Märkte kompakt

    Nr. 31/Ausblick 2020, S. 3.72 http://www.bundesbank.de/de/statistiken/die-deutsche-wirt-

    schaft.73 BGH, Beschl. v. 11.12.2018 – EnVR 48/17 „Eigenkapitalzinssatz“.74 BGH, a.a.O., „Eigenkapitalzinssatz“, Rn. 10 ff.75 BGH, a.a.O., „Eigenkapitalzinssatz“, Rn. 11.76 BGH, a.a.O., „Eigenkapitalzinssatz“, Rn. 17.77 BGH, Beschl. v. 09.07.2019 – EnVR 52/18 „Eigenkapitalzinssatz II“,

    Rn. 36 ff.78 BGH, a.a.O., „Eigenkapitalzinssatz II“, Rn. 36.79 BGH, a.a.O., „Eigenkapitalzinssatz II“, Rn. 42.80 BGH, a.a.O., „Eigenkapitalzinssatz II“, Rn. 46.81 BGH, a.a.O., „Eigenkapitalzinssatz II“, Rn. 47.

    Studie | Schwintowski/Heim/Sauer Das Konzept der kalkulatorischen Eigenkapitalverzinsung für Strom- und Gasnetzbetreiber

    10 EWeRK Sonderheft 2020

  • gen, sodass keine zusätzliche Plausibilisierung geboten sei.82

    Ob etwas anderes gelten könne, wenn die herangezogenenDaten schon aufgrund ihrer Struktur oder der Art und Weiseihrer Berechnung nicht geeignet seien, bestimmte Entwicklun-gen angemessen abzubilden, könne dahingestellt bleiben.83 DerHauptgrund für das Absinken der Marktrisikoprämie beruhenämlich auf einer tatsächlichen Marktentwicklung und könnedeshalb nicht als systemfremd angesehen werden.84

    Dies gelte umso mehr, als die in § 7 Abs. 4 S. 1 GasNEV (dasgleiche gilt für Strom) vorgesehene Methode zur Ermittlung desZinssatzes für risikolose Anlagen zu ähnlichen Effekten führe.Die danach vorgeschriebene Bildung eines Durchschnitts ausden Werten der letzten zehn abgeschlossenen Kalenderjahrehabe zur Folge, dass sich Änderungen des Zinssatzes nichtsofort in vollem Umfang auf das Ergebnis auswirkten.85 Soergebe sich im Streitfall ein Durchschnittswert von 2,49 %,obwohl die Umlaufsrendite seit dem Jahre 2012 deutlich unter2 % und im Jahre 2015 nur noch bei 0,5 % gelegen habe. DerBasiszins und der Zuschlag zur Abdeckung unternehmerischerWagnisse sei nach § 7 Abs. 4 GasNEV (so auch bei Strom) zwargrundsätzlich getrennt voneinander zu ermitteln. Bei derErmittlung des Zuschlages anhand von Datenreihen dürfe aberdennoch nicht außer Betracht bleiben, in welcher Weise der indiesen Datenreihen ausgewiesene Zinssatz für risikolose Anla-gen ermittelt worden sei. Angesichts dessen spreche derUmstand, dass eine Änderung des Zinsniveaus nicht sofort invollem Umfang Eingang in die Datenreihen finde, nicht gegensondern eher für deren Heranziehung, wenn ein vergleichbarerEffekt auch bei der Bestimmung des Basiszinssatzes nach § 7Abs. 4 S. 1 GasNEV (ebenso StromNEV) auftrete.86

    Im Ergebnis zeigen diese Erwägungen, dass der BGH, jedenfallsfür den Zeitraum 2006-2015, von einer tatsächlichen Markt-entwicklung auch auf den Märkten für festverzinsliche Wert-papiere ausgegangen ist. Das Gericht nimmt also an, dass sichdie Zinsen für festverzinsliche Wertpapiere insbesondere inden Jahren ab 2010 marktmäßig gebildet haben. Angesichtsder Marktsituation seien die Zinssätze gesunken – darausergebe sich der Durchschnittswert für die letzten zehn Jahrevon 2,49 %.

    Mit der Frage, ob sich die These des BGH auch dann noch auf-rechterhalten lässt, wenn der Durchschnittswert in der bevor-stehenden vierten Regulierungsperiode von 2,49 % auf mögli-cherweise unter 0,81 %, oder sogar auf minus absinkenkönnte, hat sich der BGH naturgemäß in seinem Beschluss vom09.07.2019 nicht befasst. Das gleiche gilt für das OLG Düssel-dorf und auch für die Festlegung der BNetzA für die dritteRegulierungsperiode.

    Die im Folgenden zu vertiefende Frage wird deshalb sein, obsich die Zinssätze für festverzinsliche Wertpapiere inländischerEmittenten in den letzten Jahren tatsächlich marktmäßig gebil-det haben, oder ob das Zusammenbrechen der Zinsen für fest-verzinsliche Wertpapiere möglicherweise nicht mehr die Zins-entwicklung widerspiegelt, die nach dem Willen des Normge-bers § 7 Abs. 4 Strom/GasNEV einmal zugrunde lag. Grundle-gend für diese Betrachtung ist das Urteil des Bundesverfas-sungsgerichtes vom 21.06.2016.87

    Die Eingriffe der EZB in die Finanzmärkte aus Sichtdes Bundesverfas-sungsgerichtes

    Das Bundesverfassungsgericht hat sich im Urteil vom21.06.201688 und mit Urteil vom 05.05.202089 mit mehrerenProgrammen zum Ankauf von börsengängigen Schuldtiteln,insbesondere Staatsanleihen, von Mitgliedstaaten der Euro-zone durch das Eurosystem intensiv beschäftigt. Das Bundes-verfassungsgericht hatte das erste Verfahren durch Beschlussvom 14.01.2014 ausgesetzt und dem EuGH zwei Fragen zurVorabentscheidung vorgelegt.90 Der EuGH hat mit Urteil vom16.06.2015 entschieden, dass die von der EZB aufgelegten Pro-gramme zum Ankauf von börsengängigen Schuldtiteln imWesentlichen mit den Befugnissen der EZB im Rahmen derGeldpolitik (Art. 127 Abs. 1 und 2 AEUV) vereinbar seien.91

    Dieser Einschätzung ist das Bundesverfassungsgericht imUrteil vom 21.06.2016 mit bestimmten Einschränkungengefolgt. Das zweite Verfahren hatte das Bundesverfassungs-gericht durch Beschluss vom 18.07.2017 ausgesetzt und demEuGH ähnliche Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.92

    Im Kern, so entschied das Bundesverfassungsgericht, in beidenUrteilen, darf und durfte sich die Deutsche Bundesbank an derkünftigen Durchführung des Programms nur beteiligen, wenndas Volumen der Ankäufe im Voraus begrenzt ist (1), zwischender Emission eines Schuldtitels und seines Ankaufs durch dasESZB eine im Voraus festgelegte Mindestfrist liegt, die verhin-dert, dass die Emissionsbedingungen verfälscht werden (2); nurSchuldtitel von Mitgliedstaaten erworben werden, die einenZugang zum Anleihemarkt haben (3); die erworbenen Schuld-titel nur ausnahmsweise bis zur Endfälligkeit gehalten werden(4) und die Ankäufe begrenzt oder eingestellt werden underworbene Schuldtitel wieder dem Markt zugeführt werden,wenn eine Fortsetzung der Intervention nicht erforderlich ist(5).93

    Diese Erwägungen ergänzte das Bundesverfassungsgericht mitUrteil vom 05.05.2020 und stellte klar, dass die Verhältnismä-ßigkeit eines Programms zum Ankauf von Staatsanleihenneben seiner Eignung zur Erreichung des angestrebten Zielsund seiner Erforderlichkeit voraussetze, dass das währungspo-litische Ziel und die wirtschaftspolitischen Auswirkungenbenannt, gewichtet und gegeneinander abgewogen werden.Die unbedingte Verfolgung des währungspolitischen Zielsunter Ausblendung der mit dem Programm verbundenen wirt-

    V.

    82 BGH, a.a.O., „Eigenkapitalzinssatz II“, Rn. 48.83 BGH, a.a.O., „Eigenkapitalzinssatz II“, Rn. 50.84 BGH, a.a.O., „Eigenkapitalzinssatz II“, Rn. 51.85 BGH, a.a.O., „Eigenkapitalzinssatz II“, Rn. 52.86 BGH, a.a.O., „Eigenkapitalzinssatz II“, Rn. 52.87 BVerfG, Urt. v. 21.06.2016 – u.a. 2 BvR 2728/13 „OMT-Programm“.88 BVerfG, Urt. v. 21.06.2016 – u.a. 2 BvR 2728/13 „OMT-Programm“.89 2 BvR 859/15 verbunden mit 1651/15; 2006/15 und 980/16.90 BVerfG, EuGH-Vorlage v. 14.01.2014 – u.a. 2 BvR 2728/13, BVerfGE 134,

    366, 369 ff.91 EuGH, Urt. v. 16.06.2015 – C-62/14, ERCLI:EU:C:2015:400, „Gauweiler

    u.a.“; dazu Ohler, NVwZ 2015, 1001; Goldhahn, ReWir, Nr. 30/2015.92 Einzelheiten im Urteil des BVerfG vom 05.05.2020 – 2 BvR 859/15;

    1651/15; 2006/15 und 980/16 – verbundene Rechtssachen ab Rn. 80.93 Die eben genannten fünf Bedingungen entsprechen dem amtlichen

    Leitsatz des BVerfG- sie werden vertieft begründet in Rn. 206; in die-sem Sinne auch: Demary/Matthes IW-Policy-Paper Nr. 13/2013 undNr. 14/2013.

    Das Konzept der kalkulatorischen Eigenkapitalverzinsung für Strom- und Gasnetzbetreiber Schwintowski/Heim/Sauer | Studie

    EWeRK Sonderheft 2020 11

  • schaftspolitischen Auswirkungen missachte dagegen offen-sichtlich den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit aus Art. 5Abs. 1 S. 2 und Abs. 4 EUV.94

    Der Sachverhalt der OMT- und PSPP-UrteileEs ging einerseits um das Programm für die Wertpapiermärkte(„Security Markets Programme“ – SMP), das durch Beschlussdes Rates der Europäischen Zentralbank vom 14.05.2010 ein-geführt wurde.95 Dieses Programm sah den Ankauf von öffent-lichen und privaten Schuldverschreibungen auf den Sekundär-märkten durch die nationalen Zentralbanken des Eurosystemsentsprechend ihrem prozentualen Anteil am Kapitalschlüsselder Europäischen Zentralbank und durch diese selbst vor.96

    Zur Begründung hieß es, es bestehe eine „außergewöhnliche …Situation auf den Finanzmärkten, die durch starke Spannun-gen in einigen Marktsegmenten geprägt sei, die den geldpoliti-schen Transmissionsmechanismus und damit auch die effek-tive Durchführung einer auf mittelfristige Preisstabilität ausge-richteten Geldpolitik beeinträchtigt“97. Ziel des Programmswar es, „Störungen an den Wertpapiermärkten zu beheben undeinen angemessenen geldpolitischen Transmissionsmechanis-mus wiederherzustellen“.98

    Das SMP wurde zwischen Mai 2010 und März 2011 und zwi-schen August 2011 und Februar 2012 durchgeführt. Derhöchste Abwicklungsbetrag, der insgesamt für das SMP-Port-folio verbucht wurde, belief sich auf 219,5 Mrd. Euro.99 DasSMP wurde mit Beschluss vom 06.09.2012 eingestellt.100

    In seiner Sitzung vom 06.09.2012 beschloss der Rat der Euro-päischen Zentralbank technische Merkmale eines Programmszur Durchführung von Offenmarktgeschäften (OutrightMonetary Transactions – OMT). Die im OMT-Beschluss fest-gelegten Rahmenbedingungen sahen den Ankauf von Staatsan-leihen ausgewählter Mitgliedstaaten in unbegrenzter Höhevor, wenn und solange die Mitgliedstaaten sogleich an einemmit der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF),oder dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) verein-barten Reform-Programm teilnahmen. Erklärtes Ziel desOMT-Programms war und ist die Sicherstellung einer ord-nungsgemäßen geldpolitischen Transmission und der Einheit-lichkeit der Geldpolitik in Europa.101

    Darüber hinaus kündigte der Rat der Europäischen Zentral-bank am 22.01.2015 (unveröffentlicht) das Programm zumAnkauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors (Public Sec-tor Asset Purchase Programme -PSPP) an und fasste am10.03.2016 dieses Programm mit einem anderen unter demStichwort EAPP zusammen. Das EAPP war auf eine Auswei-tung der Geldmenge und damit auf eine geldpolitische Locke-rung gerichtet102 und sollte die Inflationsrate in der Eurozoneerhöhen.103 Im Ergebnis sollten Unternehmen und privateHaushalte Finanzmittel günstiger aufnehmen können, um sicheinem Inflationsniveau von 2 % anzunähern.104 Das PSPPwurde durch Beschluss (EU 2015/774 vom 04.03.2015) aufge-legt und danach mehrfach geändert. Es läuft auch derzeit wei-ter.105 Das im EAPP enthaltene PSPP ist das mit Abstand größteUnterprogramm. Zum 08.11.2019 hatte die EZB im Rahmendes EAPP Wertpapiere im Gesamtwert von knapp 2,6 Billionen

    1.

    Euro erworben, wovon knapp 2,1 Billionen Euro (81,63 %)auf das PSPP entfielen.106

    Erklärtes Ziel war und ist eine weitere Lockerung der Finanzie-rungsbedingungen für die Wirtschaft und Privathaushalte, umKonsum und Investitionen zu fördern und letztlich die Inflati-onsrate in der Eurozone auf knapp unter 2 % anzuheben.107

    Die Entscheidungen des EuGHDer EuGH hat zunächst am 16. Juni 2015 auf den Vorlagebe-schluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14.01.2014108 ent-schieden, dass die beiden Programme im Wesentlichen mit demgeltenden Europäischen Recht in Einklang stünden.109 Es han-dele sich bei den Programmen um währungspolitische Maß-nahmen mit dem Ziel, die Preisstabilität in Europa zu gewähr-leisten (Art. 127 Abs. 1 AEUV). Es sei nicht ausgeschlossen,dass die Programme auch die Erreichung wirtschaftspolitischerZiele begünstigen könnten. Dies entspreche Art. 127 Abs. 1AEUV. Nach dieser Norm wäre das vorrangige Ziel des Euro-päischen Systems der Zentralbanken die Preisstabilität.110

    Soweit dies ohne Beeinträchtigung des Ziels der Preisstabilitätmöglich sei, unterstütze das ESZB die allgemeine Wirtschafts-politik in der Union, um die Verwirklichung der in Art. 3 desVertrages über die Europäische Union festgelegten Ziele derUnion beizutragen. Mittelbare Auswirkungen der Ankaufs-programme sollen jedenfalls nicht bedeuten, dass sie als einewirtschaftspolitische Maßnahme einzustufen wären.111 Ent-scheidend sei, dass die Ankaufprogramme durch das ESZB(Europäische System der Zentralbanken) zu Gewährleistungder Preisstabilität (Art. 127 Abs. 1 AEUV) erforderlich seien.Dies unterscheide diese Programme von der Tätigkeit des Euro-päischen Rettungsschirms (ESM), der im Rahmen der Wirt-schaftspolitik tätig werde.112 Der Gerichtshof wies fernerdarauf hin, dass im Zeitpunkt der Ankündigung des OMT-Pro-gramms (Pressemitteilung vom 06.09.2012) die Zinssätze fürdie Staatsanleihen verschiedener Staaten des Euro-Währungs-

    2.

    94 BVerfG vom 05.05.2020 a.a.O. Leitsatz 6b.95 EZB/2010/5, ABl L 124 vom 20.05.2010, S. 8 f..96 Vgl. BVerfG, a.a.O., „OMT-Programm“, Rn. 3.97 So 2. Erwägungsgrund des EZB-Beschlusses (SMP) vom 14.05.2010.98 3. Erwägungsgrund des EZB-Beschlusses (SMP) vom 14.05.2010.99 Europäische Zentralbank Jahresbericht 2012, S. 88; BVerfG, a.a.O.,

    „OMT-Programm“, Rn. 4.100 BVerfG, a.a.O., „OMT-Programm“, Rn. 4.101 BVerfG, a.a.O., „OMT-Programm“, Rn. 7.102 EZB, Pressemitteilung vom 22.01.2015.103 Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Juni 2016, S. 30 ff.104 Europäische Zentralbank vom 04.03.2015 über das Programm zum

    Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors an den Sekun-därmärkten ABl EU Nr.l 121 vom 14.05.2015 S. 20; so auch DeutscheBundesbank, Monatsbericht 6/2016, S. 39.

    105 BVerfG vom 05.05.2020 a.a.O. Rn. 7 ff.106 Deutsche Bundesbank, Monatsbericht 11/2019 S. 24.107 Vierter Erwägungsrundbeschluss (EU) 2015/774.108 BVerfG, EuGH-Vorlage v. 14.01.2014 – u.a. 2 BvR 2728/13, BVerfGE 134,

    366, 369 ff.109 EuGH, Urt. v. 16.06.2015 – C-62/14, ECLI:EU:C:2015:400, „Gauweiler

    u.a.“.110 EuGH, Urt. v. 16.06.2015 – C-62/14, ECLI: EU:C:2015:400 „Gauweiler,

    u.a.“, Rn. 43.111 EuGH, Urt. v. 16.06.2015 – C-62/14, ECLI: EU:C:2015:400 „Gauweiler,

    u.a.“, Rn. 59.112 EuGH, Urt. v. 27.11.2012 – C-370/12, ECLI: EU:C:2012:756 „Pringele“,

    Rn. 56 ff.

    Studie | Schwintowski/Heim/Sauer Das Konzept der kalkulatorischen Eigenkapitalverzinsung für Strom- und Gasnetzbetreiber

    12 EWeRK Sonderheft 2020

  • gebiets eine hohe Volatilität und extreme Unterschiede aufwie-sen.113 Nach den Ausführungen der EZB beruhten diese Unter-schiede nicht nur auf makroökonomischen Unterschieden zwi-schen den Staaten, sondern hatten ihre Ursache teilweise darin,dass für die Anleihen bestimmter Mitgliedstaaten überhöhteRisikoaufschläge verlangt worden seien, mit der Gefahr einesAuseinanderbrechens des Euro-Währungsgebietes. Diesebesondere Lage habe den geldpolitischen Transmissionsme-chanismus des ESZB erheblich geschwächt und eine Fragmen-tierung bei den Refinanzierungsbedingungen der Banken undder Darlehenskosten bewirkt, was die Wirksamkeit der vomESZB an die Wirtschaft ausgesandten Impulse in einem erheb-lichen Teil des Euro-Währungsgebietes stark verringerthabe.114 In einer solchen Lage sei der Ankauf von Staatsanleihender Mitgliedstaaten an den Sekundärmärkten geeignet die Sen-kung dieser Zinssätze zu befördern, indem unbegründeteBefürchtungen eines Auseinanderbrechens des Euro-Wäh-rungsgebiets zerstreut und so zu dem Rückgang oder sogarWegfall der überhöhten Risikozuschläge beigetragen werdenkönnte.115

    Mit Urteil vom 11.12.2018116 hat der EuGH über das Vorab-entscheidungsersuchen des Bundesverfassungsgerichts vom18.07.2017 entschieden und festgestellt, dass die Prüfung dervom Bundesverfassungsgerichts vorgelegten Fragen 1-4 nichtsergeben habe, was die Gültigkeit des Beschlusses der EZB vom04.03.2015 über das Programm zum Ankauf von Wertpapie-ren des öffentlichen Sektors auf den Sekundärmärkten beein-trächtigen könne. Die 5. Vorlagefrage hat der EuGH für unzu-lässig erklärt.117 Im Kern, so zitiert das Bundesverfassungs-gericht den EuGH, sollte der Beschluss der EZB mit Blick aufdas PSPP dazu beitragen, „dass die Inflationsraten sich mittel-fristig wieder auf einem Niveau von unter, aber nahe, 2 %annähern.“118

    Die Reaktion des Bundesverfassungsgerichts (OMT-Programm) vom 21.06.2016 und vom 05.05.2020(PSPP)

    Nach Meinung des Bundesverfassungsgerichts bewegt sich derGrundsatzbeschluss des EuGH über das OMT-Programm„nicht offensichtlich“ außerhalb der der Europäischen Zen-tralbank zugewiesenen Kompetenzen.119 Vor allem erteile derEuGH einer unbegrenzten Ausdehnung des Ankaufspro-gramms eine Absage; das Volumen künftiger Ankäufe müssevorab verbindlich festgelegt werden und dürfe das zur Wieder-herstellung des Transmissionsmechanismus erforderliche Maßnicht überschreiten.120

    Diese Grundsätze hat das Bundesverfassungsgericht mit Blickauf das PSPP am 05.05.2020121 bekräftigt und klargestellt, dassdie Verhältnismäßigkeit des Programms zum Ankauf vonStaatsanleihen neben seiner Eignung zur Erreichung des ange-strebten Ziels und seiner Erforderlichkeit voraussetze, dass daswährungspolitische Ziel und die wirtschaftspolitischen Aus-wirkungen benannt, gewichtet und gegeneinander abgewogenwerden.122 Ob ein Programm wie das PSPP eine offenkundigeUmgehung von Art. 123 Abs. 1 AEUV darstelle, entscheidesich jedoch nicht an der Einhaltung eines einzelnen Kriteriums,

    3.

    sondern nur auf der Grundlage einer wertenden Gesamtbe-trachtung.123 Vor allem die Ankaufobergrenze von 33 % unddie Verteilung der Ankäufe nach dem Kapitalschlüssel der EZBverhinderten, dass unter dem PSPP selektive Maßnahmen zuGunsten einzelner Mitgliedstaaten getroffen werden und dassdas Eurosystem zum Mehrheitsgläubiger eines Mitgliedstaateswerde.124 Aus diesen Gründen, so das Bundesverfassungs-gericht, sind Bundesregierung und Bundestag verpflichtet, aufeine Verhältnismäßigkeitsprüfung durch die EZB hinzuwir-ken.125 Sie dürfen jedenfalls – das gilt auch für die Bundesbank –an Maßnahmen der EZB, die unwirksam sind (ultra-vires),nicht mitwirken.126

    Damit bekräftigt das Bundesverfassungsgericht die schon imOMT-Beschluss entwickelten Grundsätze einer angemessenenund zielorientierten Kontrolle des Verhaltens der EZB durchden deutschen Gesetzgeber. Das Bundesverfassungsgerichtkonkretisiert diesen Gedanken im Urteil vom 05.05.2020, hältaber im Prinzip an der Grundaussage fest, wonach es der EZBerlaubt ist Ankaufprogramme im Rahmen der Finanzpolitiksolange zu tätigen, bis die Grenze zur (unerlaubten) Wirt-schaftspolitik erreicht ist. In concreto bedeutet dies, dass dieGeldpolitik der EZB im Großen und Ganzen durch das Bundes-verfassungsgericht konturiert und gestärkt worden ist, mit derweiteren daraus resultierenden Konsequenz, dass Anhalts-punkte für steigende Zinsen am Markt für festverzinslicheWertpapiere auch nicht ansatzweise erkennbar sind.

    Schon im OMT-Beschluss hatte das Bundesverfassungsgerichtklargestellt, dass es um Eingriffe in die Preisbildung am Marktgeht.127 Diese Eingriffe in die Preisbildung am Markt würden inihrer Wirkung dadurch reduziert, dass die Entscheidungbestimmte Anleihen zu erwerben und das Volumen der geplan-ten Ankäufe nicht angekündigt werden dürfen. Ferner müssezwischen der Emission eines Schuldtitels und dessen Ankauf imRahmen des OMT-Programms eine im Voraus veröffentlichteMindestfrist liegen die verhindere, dass die Emissionsbedin-gungen verfälscht würden. Schließlich dürften die Marktteil-nehmer keine Gewissheit haben, dass erworbene Anleihen biszur Endfälligkeit gehalten würden. Dies setzte, ebenso wie dasVerbot, durch ein Halten bis zur Endfälligkeit, gezielt Ausfall-risiken zu übernehmen, voraus, dass der nur vorübergehendeErwerb die Regel bleibe.128 Eine Begrenzung des Volumens desAnkaufs von Anleihen einzelner Mitgliedstaaten werde

    113 EuGH, Urt. v. 16.06.2015 – C-62/14, ECLI: EU:C:2015:400 „Gauweiler,u.a.“, Rn. 72..

    114 EuGH, a.a.O., Rn. 73.115 EuGH, a.a.O., Rn. 76.116 Rs. C-493/17, EU: C: 2018: 1000 Weiss u.a..117 BverfG vom 05.05.2020 a.a.O. ab Rn. 81.118 BVerfG vom 05.05.2020 a.a.O. Rn. 81 unter Ziffer 54.119 BVerfG, Urt. v. 21.06.2016 – u.a. 2 BvR 2728/13, „OMT-Programm“,

    Rn. 190, 193 ff.120 BVerfG, a.a.O., Rn. 195.121 2 BvR 859/15 sowie weitere damit verbundene Rechtssachen.122 Leitsatz 6b.123 Leitsatz 7.124 Leitsatz 7, S. 2.125 Leitsatz 9.126 Leitsatz 10.127 BVerfG, OMT-Programm; a.a.O., Rn. 202.128 BVerfG, OMT-Programm, a.a.O., Rn. 202..

    Das Konzept der kalkulatorischen Eigenkapitalverzinsung für Strom- und Gasnetzbetreiber Schwintowski/Heim/Sauer | Studie

    EWeRK Sonderheft 2020 13

  • dadurch erreicht, dass der Umfang einer Sekundärmarktinter-vention zuvor festgelegt werden müsse, aber nicht angekündigtwerden dürfe.129 Im Ergebnis dürfe sich die Deutsche Bundes-bank an der künftigen Durchführung des OMT-Programmesbeteiligen, wenn und soweit die vom EuGH und Bundesverfas-sungsgericht aufgestellten Maßnahmen erfüllt würden.130

    Hieran hat sich durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtsvom 05.05.2020 nichts geändert.

    Letztlich festzuhalten ist, dass die Ankaufsprogramme derEZB, die bis heute andauern, Teil der Geldpolitik der Unionwaren und sind und letztlich der Sicherstellung einer ordnungs-gemäßen geldpolitischen Transmission und Einheitlichkeit derGeldpolitik dienten und dienen.131 Zugleich handelt es sich umEingriffe in die Preisbildung am Markt (gemeint ist der Marktfür festverzinsliche Wertpapiere).132 Mit Blick auf diese Ein-griffe hat der BGH – entgegen der Auffassung der BNetzA –festgestellt, „dass die Situation auf den Finanzmärkten in denfür die Beurteilung maßgeblichen Zeiträumen sich als histo-risch einzigartig darstelle“.133 Schon das OLG Düsseldorf habesich mit dem Vorbringen der BNetzA, wonach es vergleichbareSituationen bereits in der Vergangenheit gegeben habe, befasst.Seine Würdigung, die für den Streitfall maßgebliche Situationsei wegen einer Häufung von außergewöhnlichen Phänomenendennoch nicht vergleichbar mit der Situation der vergangenenJahre oder Jahrzehnte, lasse weder einen Verstoß gegen Denk-gesetze oder Erfahrungssätze, noch einen sonstigen Rechtsfeh-ler erkennen.134

    Auswirkungen der Geldpolitik der EZB auffestverzinsliche Wertpapiere in Deutschland

    Wissenschaftliche Dienste des DeutschenBundestages

    Der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hatsich bereits im Oktober 2012 mit dem OMT-Programmbeschäftigt und es für zulässig erachtet.135 Der Ankauf vonStaatsanleihen sei vom EZB-Mandat erfasst. MaßgeblicheVorschrift sei Art. 127 AEUV und der diese Normen konkreti-sierende Art. 18 EZB-Satzung, der die sogenannten Offen-markt- und Kreditgeschäfte regele. Danach sei es der EZB zurErreichung ihrer Ziele unter anderem gestattet, durch den Kaufund Verkauf von börsengängigen Wertpapieren auf denFinanzmärkten tätig zu werden. Damit verstoße die EZB nichtgegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung (Art. 123AEUV). Zwar lasse die Zusicherung, Schuldtitel mindererBonität zu kaufen, mittelfristig eine marktgerechte Verbesse-rung der Konditionen einzelner mitgliedstaatlicher Kreditauf-nahmen erwarten. Dies sei aber lediglich Nebenfolge der Pri-märziele, unter anderem der Refinanzierungsbedingung derRealwirtschaft mit den Leitzinsen der EZB in Einklang zu brin-gen und die Finanzierungsbedingung von Banken zu verbes-sern.136 Faktisch fungiere die EZB als „Kreditausfallversiche-rung“ für die Käufer auf dem Primärmarkt, denn die privatenInhaber staatlicher Anleihen würden von ihren Risiken befreitwerden.137 Die Anleihezinsen würden somit infolge der Risiko-minimierung sinken.

    VI.

    1.

    Diese Prognose des Wissenschaftlichen Dienstes des DeutschenBundestages hat sich in den Jahren danach bis heute bewahr-heitet.

    Working Paper des CSEFZu dem gleichen Schluss kommt das Working Paper Nr. 352des Center for Studies in Economics and Finance vom Januar2014.138 Die Studie wurde von Carlo Altavilla, DomenicoGiannone und Michele Lenza formuliert und ist im Internet139

    veröffentlicht. Die Studie beschäftigt sich mit den finanziellenund makroökonomischen Effekten des OMT-Programms. ImErgebnis zeigt die Studie, dass das OMT-Programm zur Sen-kung der Zinsen für Staatsanliehen innerhalb von zwei Jahren(2012-2014) um 2 % geführt hat. Diese Zinssenkung wurdefestgestellt für Italien, Spanien, Deutschland und Frankreich.

    EZB-Wertpapierankäufe – Folgen für dieAnleihemärkte aus Sicht des VÖB

    Am 30.11.2017 legte der Bundesverband Öffentlicher BankenDeutschlands (VÖB) eine Studie zu den Folgen der EZB-Wert-papierankäufe vor.140 An der Studie haben führende Ökono-men der Mitgliedsbanken des Bundesverbandes ÖffentlicherBanken (VÖB) mitgewirkt. Die Studie zeigt, dass die makro-ökonomischen Ziele der Geldpolitik der EZB im Kern erreichtwurden. Das Ankaufsprogramm hat die mengenmäßige Aus-weitung des Geldangebotes (Quantitative Easing: QE) erreichtund damit die Zinsen für Staatsanleihen deutlich gesenkt. DieStudie zeigt aber auch, dass diese Geldpolitik eine Reihe vonschädlichen Nebenwirkungen auf den Märkten für Krediteund für Investitionsmöglichkeiten bewirkte und bewirkt.

    Zu Beginn der Studie wird darauf hingewiesen, dass die Politikder mengenmäßigen Ausweitung des Geldangebotes (Quanti-

    2.

    3.

    129 BVerfG, OMT-Programm, a.a.O., Rn. 203.130 BVerfG, OMT-Programm, a.a.O., Rn. 206; Die dort beschriebenen

    Maßnahmen entsprechen denjenigen in den Leitsätzen 5.1/6.27/38.4 und 9.5.

    131 Vgl. BVerfG, OMT-Programm, a.a.O., Rn. 7 (dort zum Inhalt des OMT-Beschlusses des Rates der Europäischen Zentralbank).

    132 BVerfG, OMT-Programm, a.a.O., Rn. 202.133 BGH, Beschl. v. 09.07.2019 – EnVR 52/18 „Eigenkapitalzinssatz II“,

    Rn. 46.134 BGH, a.a.O., „Eigenkapitalzinssatz II“, Rn. 47.135 WD 11-3000-155/12 vom 18.10.2012: „Der Ankauf von Staatsanleihen

    durch die Europäische Zentralbankim Rahmen ihres Outright Mone-tary Transactions-Programmes vonder Europäischen Finanzstabili-sierungsfazilität oder dem Europäi-schen Stabilisierungsmechanis-mus.“

    136 WD, a.a.O., Ziff. 4.1.1.137 WD, a.a.O., Ziff. 4.1.2.138 Das CSEF ist in Neapel beheimatet und ruht auf den Schultern der

    Universität von Neapel II, der Universität von Salerno und der Boc-coni Universität Mailand.

    139 Bestätigt durch Altavilla et al. , Measuring euro area monetary policy,Journal of Monetary Economics 108 (2019), 162-179; ähnlich: PhilippR. Lane , The yield curve and monetary policy, European Central Bank,Speech, 25.11.2019; Rieth/Piffer/Hachla, EZB-Politik erfolgreich imEuroraum und in Deutschland, DIW-Wochenbericht Nr. 8/2016,S. 139ff.; Eser/Schwab, Evaluating the impact of unconventionalmonetary policy meassures: Empirical evidence from the ECB’s Secu-rities Markets Programme, Journal of Financial Economics 119 (2016),147-167; Diego Valiante, The „visible Hand“of the ECB’s first quanti-tative easing, Int. Econ Policy (2017) 14: 601-624, published online:24. August 2016.

    140 Die Studie ist im Internet veröffentlicht.

    Studie | Schwintowski/Heim/Sauer Das Konzept der kalkulatorischen Eigenkapitalverzinsung für Strom- und Gasnetzbetreiber

    14 EWeRK Sonderheft 2020

  • tative Easing: QE) eine lange Geschichte hat. Geistiger Vaterdieser Geldpolitik sei der Nobelpreisträger Milton Friedmangewesen, der vor allem die US Notenbank Fed für das ökono-mische Desaster der Depression in den 1930iger Jahren verant-wortlich machte, weil sie die Ausweitung des Geldangebotesdamals unterlies und damit nicht nur die USA, sondern diegesamte Weltwirtschaft in eine Krise stürzte, die möglicher-weise den Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschlandstark begünstigte. Damals wurden, anders als in der Finanz-krise nach 2008, die Zinsen nicht etwa gesenkt, sondern dras-tisch angehoben. Die Geldbasis schrumpfte. Deflation undMassenarbeitslosigkeit hätten mit der entgegengesetzten Geld-politik vermieden werden können.141

    Japan war das erste Land, das nach der großen Depression einevergleichbare Situation erlebte und entgegengesetzt reagierte.Nach Platzen der „japanischen Blase“ wurde der Leitzins 1995auf 0,5 % gesenkt. Der spätere Fed-Präsident Ben Bernankeempfahl 1999 ein Programm groß angelegter Ankäufe von aus-ländischen und nationalen Vermögenswerten. Ein Jahr späterwar die Null-Zinsgrenze erreicht und die japanische Zentral-bank lancierte ihr erstes QE-Programm. Das Programm wurdeim Jahre 2018 auf etwa 120 % des Bruttoinlandproduktesgesteigert.

    Auch die US-Notenbank senkte im Zuge der Bankenkrise,2008, den Leitzins massiv und erreichte Ende 2008 die Null-Zinsgrenze. Im März 2009 begann die Fed mit dem Ankauf vontreasuries. Das Volumen der auf die Renditen der Staatanleihenund Hypothekenverbriefungen gerichteten Programme stiegbis 2017 bis auf 2,4 Billionen US-Dollar – das entspricht 22 %des US-amerikanischen Bruttoinlandsprodukts.142 Auch dieBank von England startete im Jahr 2009 ein QE-Programmund kaufte bis 2017 britische Staatsanleihen im Wert von 434Mrd. Pfund (ca. 16 % des britischen Bruttoinlandsproduk-tes).143

    Die Eurozone reagierte deutlich langsamer. Zunächst wurdendie traditionellen Maßnahmen ergriffen, also der Zinssatz fürkurzfristige Geldmarktgeschäfte von 4,25 % langsam in Rich-tung 0 % abgesenkt. Da Renditen langfristiger Wertpapiere alsimmer wieder aufgelegte kurzfristige Wertpapiere gesehenwerden können, glich sich die Rendite für langfristige Wertpa-piere an diejenige kurzfristiger Papiere an.144 Wenn die Null-Zinsgrenze erreicht ist, greift dieser Mechanismus nicht mehr.Die EZB versuchte mit verschiedenen Maßnahmen, zum Bei-spiel langfristigen Kreditoperationen („Dicke Bertha“) dielangfristigen Zinsen nach unten zu drücken.145 Außerdem wur-den die Banken zu negativen Zinsen verpflichtet, um die Liqui-ditätshortung bei der EZB zu erschweren und die Kreditver-gabe anzukurbeln.146 Erst am Ende dieser Maßnahmen derEZB begannen die SMP- und OMT-Programme zum Ankaufvon Staatsanleihen, um das Geldangebot mengenmäßig auszu-weiten und Risiken von den Schultern der Anleihegläubiger zunehmen. Sinkende Renditen von Staats-und Unternehmensan-leihen führen, so die Studie, zu einer allgemeinen Verbesserungder Finanzierungsbedingungen. Wenn die Zentralbank darü-ber hinaus langfristige (wie im PSP-Programm) oder illiquide(wie im ABS-Programm) Vermögenstitel aufkaufe, so ent-

    spanne sich die Liquiditäts- und allgemeine Kreditvergabesi-tuation.147

    Die außergewöhnlichen Maßnahmen der EZB in den vergan-genen Jahren basierten, so die AutorenInnen der VÖB-Studie,auf einer zentralen historischen Erkenntnis: „Wenn in einerBankenkrise die Bereitstellung von Liquidität durch die Zen-tralbank nicht gewährleistet ist, sind die Auswirkungen auf dieRealwirtschaft desaströs.“148 Empirische Analysen deutenjedenfalls daraufhin, dass eine QE-Politik verbunden mit nega-tiven Zinsen für Banken zur Krisenbewältigung erfolgreichsein kann.149 Die VÖB-Studie beschreibt in Ziff. 3 die Kaufpro-gramme der EZB und die Entwicklung der EZB Bilanz. DasVolumen der erworbenen Wertpapiere kletterte im Laufe desJahres 2017 auf über 2,0 Billionen Euro. Unter Berücksichti-gung der Altbestände stieg die Bilanzsumme der EZB bis 2017sogar auf über 4 Billionen Euro an.150

    Ziel war es die Preisstabilität im Europäischen Währungsraumzu sichern, bei einer Inflationsrate nahe 2 %. Um dieses Ziel zuerreichen, senkte die EZB den Hauptrefinanzierungszinssatzauf 0,0 %. Für Einlagefaszilitäten mussten und müssen BankenNegativzinsen (um 0,4 %) bezahlen. Darüber hinaus beganndie EZB mit dem Ankauf von Staats- und Unternehmensanlei-hen.

    Als Folge der Markteingriffe der EZB wurde das Geldangebotin Deutschland und Europa stark ausgeweitet. Die Zinsen fürStaats- und Unternehmensanleihen fielen in kurzer Zeit erheb-lich. Die Renditen für Unternehmensanleihen mittlerer Bonitätsanken von Anfang 2016 von etwa 6 % auf 2,2 % in Juli2017.151

    Aus alledem folgt, dass die Ankaufprogramme der EZB, die bisheute fortgeführt und Ende 2019 ein Volumen von ca. 2,6 Bil-lionen Euro aufwiesen, zum Niedrigzinsumfeld deutlich beige-tragen haben.152

    Ziel, so die VÖB-Studie, müsse es daher sein, das interventio-nistische System, das sich in der Abwehr von Extrembelastun-gen des Finanzsystems nach der Finanzkrise herausgebildethabe, in absehbarer Zeit wieder in ein marktbasiertes Systemunter Überwachung der Notenbanken zurückzuführen.

    Die Sichtweise des Bundesverfassungsgerichts(PSPP-Urteil vom 05.05.2020)

    Sehr ähnlich argumentiert auch das Bundesverfassungsgerichtim Urteil vom 05.05.2020 zu den Anleiheankaufprogrammen

    4.

    141 Studie Ziff. 2.1./2.142 VÖB-Studie 2.2.2.143 VÖB-Studie 2.2.3.144 VÖB-Studie 2.3.145 VÖB-Studie 2.3; instruktiv Steiger/Steinbrück, Der perfekte Sturm,

    2019, ab S. 164ff.146 VÖB-Studie 2.3.147 VÖB-Studie S. 10, Kasten: Wirkmechanismus.148 VÖB-Studie 2.7.149 VÖB-Studie 2.7.150 VÖB-Studie 3.2.151 VÖB-Studie 5.2.152 So auch BVerfG vom 05.05.2020 2BvR859/15;1651/15; 2006/15;

    980/16 ab Rn. 8.

    Das Konzept der kalkulatorischen Eigenkapitalverzinsung für Strom- und Gasnetzbetreiber Schwintowski/Heim/Sauer | Studie

    EWeRK Sonderheft 2020 15

  • der EZB seit 2015.153 Die Eignung des PSPP zur Erreichung desvon der EZB angestrebten Inflationsziels von unter, aber nahe,2 % sei, so das Bundesverfassungsgericht in Übereinstimmungmit dem EuGH, grundsätzlich nicht zu beanstanden, auchwenn Zweifel an dieser Eignung, etwa wegen der Senkung desallgemeinen Zinsniveaus154 wenig thematisiert worden sind.Das PSPP verbessere die Refinanzierungsbedingungen der Mit-gliedstaaten, weil sich diese zu deutlich günstigeren Konditio-nen Kredite am Kapitalmarkt verschaffen könnten.155 Die mitdem PSPP unterstütze Senkung des allgemeinen Zinsniveausentlaste damit unstreitig die Staatshaushalte der Mitgliedstaa-ten.156 Zu den wirtschaftspolitischen Folgen des PSPP, so dasBundesverfassungsgericht, gehörten auch die Auswirkungenauf nahezu alle BürgerInnen, die etwa als Sparer oder als Ver-sicherungsnehmer von Lebensversicherungen wegen desAbsinkens der Risikoprämien (gemeint sind die Zinsen für fest-verzinsliche Wertpapiere) deutlichen Verlustrisiken ausgesetztseien.157

    Das Bundesverfassungsgericht stellt im Zusammenhang mitder von ihm geforderten Verhältnismäßigkeitsprüfung weiterewirtschaftspolitische Fragen, die nach Meinung des Gerichts inZukunft bei der Entscheidungsfindung beim EuGH zu beach-ten seien.

    Im vorliegenden Zusammenhang ist es nicht notwendig aufdiese Hinweise im Einzelnen einzugehen. Es genügt klarzustel-len, dass die Anleihekaufprogramme der EZB, die inzwischenmehr als 2,6 Billionen Euro seit 2015 umfassen, auch nach Auf-fassung des Bundesverfassungsgerichts maßgeblich dazu bei-getragen haben, dass die Zinsen für festverzinsliche Wertpa-piere zusammenbrechen mussten. Die dahinterliegende geld-politische Logik ist eindeutig: wenn die EZB durch die Anlei-hekaufprogramme massiv Geld in die Märkte pumpt, steigt dasAngebot an Liquidität und umgekehrt sinkt der Zins, denjemand, der Kredit benötigt, zu zahlen bereit ist. Die EZB hofft,dass sich Unternehmen und Privathaushalte durch diesenEffekt zu sehr günstigen Konditionen verschulden und infolge-dessen Investitionen in die Realwirtschaft tätigen können. Esgeht der EZB durch die Anleihekaufprogramme also darum,der Realwirtschaft Wachstumsimpulse zu verschaffen. DieseImpulse sind, so die EZB, so lange mit dem europäischen Rechtzu vereinbaren, bis eine Inflationsrate im Euroraum nahe der2 % Grenze erreicht ist.

    Von diesem Ziel ist der Euroraum bis zum Ausbruch derCorona-Krise in Februar 2020 deutlich entfernt gewesen,sodass auch damals schon feststand, dass eine Wende auf denMärkten für festverzinsliche Wertpapiere mittel- und langfris-tig kaum zu erwarten war.

    Geldpolitik im Zusammenhang mit der Corona-Krise

    Dieser Befund wird durch die derzeit aktuelle Corona-Kriseerheblich verschärft. Die Corona-Krise hat die Nachfrage nachWaren und Dienstleistungen nicht nur im Euroraum, sondernweltweit massiv zusammenbrechen lassen. Die Märkte sinddurch große Unsicherheiten geprägt, die unter anderem dazuführen, dass die Nachfrage nach festverzinslichen Wertpapie-

    5.

    ren noch stärker zurückgegangen ist als vor der Corona-Krise.Schon jetzt ist aber klar, dass sowohl der nationale als auch dereuropäische Gesetzgeber geldpolitische Maßnahmen in bishern