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Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät Mathematisches Seminar Examensarbeit für das Erste Staatsexamen im Fach Mathematik für das gymnasiale Lehramt Projektionen von Borel-Mengen - Lebesgues Irrtum Michael Saß betreut von Prof. Dr. Hermann König und PD Dr. Carsten Schütt 7. September 2005

Projektionen von Borel-Mengen - Lebesgues Irrtumanalysis.math.uni-kiel.de/sass/lebesgue.pdf · eine Borel-Menge ist, als eine die offenen Mengen enthaltende σ-Algebra zu identifizieren

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Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät

Mathematisches Seminar

Examensarbeit für das Erste Staatsexamenim Fach Mathematik für das gymnasiale Lehramt

Projektionen von Borel-Mengen- Lebesgues Irrtum

Michael Saß

betreut von Prof. Dr. Hermann Königund PD Dr. Carsten Schütt

7. September 2005

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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung 2

Teil 1. Analytische Mengen in polnischen Räumen 5

2. Grundlagen metrischer und topologischer Räume 5

2.1. Topologische Räume 5

2.2. Metrische Räume 9

2.3. Borel-Mengen in Topologischen Räumen 16

3. Polnische Räume und Analytische Mengen 18

3.1. Polnische Räume 18

3.2. Analytische Mengen 25

4. Borel-Isomorphismen und Graphen Messbarer Funktionen 31

4.1. Der Satz von Alexandroff-Hausdorff 31

4.2. Borel-Isomorphismen 33

4.3. Graphen Borel-messbarer Funktionen 38

5. Analytische Mengen in überabzählbaren polnischen Räumen 40

Teil 2. Konstruktion des Gegenbeispiels 44

6. Ordnungen und Ordinalzahlen 44

6.1. Ordnungen 44

6.2. Ordinalzahlen 46

6.3. Ränge 49

7. Das Fundamentalbeispiel einer analytischen nicht-Borel Menge 50

7.1. Die Menge der wohl-fundierten Bäume 50

7.2. Die Rangmethode 53

8. Analytische Mengen in den Reellen Zahlen 66

9. Suslins Satz 72

Literatur 74

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1. Einleitung

Im 17. Jahrhundert wurde mit Hilfe der aufkommenden Techniken der Infinitesimalrechnungein neues mathematisches Instrument eingeführt, mit dem sich Volumina und Flächeninhaltevon Körpern messen ließen, welche mit den bisherigen Methoden der Elementargeometrie nurschwer erfassbar waren. Dieses neue Werkzeug - als Integral bezeichnet - wurde zunächst nurals der Differentiation entgegengerichtete Operation aufgefasst; erst später stellte Cauchy dasbestimmte Integral als Limes von speziellen Zerlegungssummen dar. Die begrifflich scharfeFormulierung des Integrals wurde endgültig aber erst möglich, als Cantor seine Mengenlehreveröffentlichte. Diese bildete dann endlich den Rahmen, um einen angemessenen Begriff desVolumens einer Teilmenge des Rn aufzustellen.

Eines der wesentlichen Probleme, das aus dieser Theorie resultierte, war das der Messbarkeitvon Mengen in R. So wurde erst 1905 von Vitali eine nicht messbare Menge konstruiert, diesogenannte Vitali-Menge. Hierbei benutzte er entscheidend das 1904 von Zermelo aufgestellteAuswahlaxiom, welches zu jener Zeit noch sehr umstritten war. Lebesgue etwa deklarierte dieExistenz nicht messbarer Mengen noch 1923 als offenes Problem, da er die Verwendung desAuswahlaxioms nicht als probates Beweismittel anerkannte. Erst viel später - im Jahre 1970 -wurde von Solovay gezeigt, dass nicht messbare Mengen nicht ohne Auswahlaxiom konstruiertwerden können.

So musste das Auswahlaxiom auch in dem berühmten Paradoxon von Banach und Tarski 1924verwendet werden. Diese bewiesen, dass es möglich ist, die Einheitskugel im R3 in endlichviele Teilmengen zu zerlegen und die Teilstücke mittels Rotationen und Translationen in zweidisjunkte Vollkugeln mit Radius 1 zusammenzusetzen. Auch diesem Beweis liegt natürlichwieder die Existenz nicht messbarer Mengen zugrunde.

Von der Existenz nicht messbarer Mengen ausgehend ergab sich dadurch die Frage, welcheMengen man mittels des von Lebesgue konstruierten Maßes messen kann. Obwohl Lebesguekeine direkte Antwort auf diese Frage fand, konnte er dieses Problem insofern befriedigendlösen, als dass er aus der Potenzmenge eine Auswahl von messbaren Mengen hervornahm.Hierbei handelte es sich um die von Borel eingeführten und später nach ihm benannten Borel-Mengen, die durch iterierte abzählbare Schnitte und Vereinigungen von offenen Mengen er-zeugten Mengen. Trotzdem konnten auch hierdurch dem Begriff der Messbarkeit seine Tückennicht vollständig genommen werden. Dies beweist folgender Umstand, der gleichzeitig denAusgangspunkt dieser Arbeit darstellt:

Lebesgue untersuchte die Borel-Mengen in [Leb1, S. 191ff] auf deren Permanenzeigenschaften.Er behauptet hierbei

“Je vais démontrer que, si E est mesurable B, sa projection l´est aussi.”1

1 Ich werde zeigen, dass - falls E [als Teilmenge des Rn] B messbar [d.h. Borel-messbar] ist - seine [orthogonale]Projektion es auch ist.

3

Auf den ersten Blick ist diese Behauptung glaubhaft, da sich die Projektion als besonders”natürliche” Operation darstellt. In Lebesgues Beweis versucht dieser, die Mengen, deren Bildunter der Projektion

π : Rn × Rk → Rn, (x, y) 7→ x

eine Borel-Menge ist, als eine die offenen Mengen enthaltende σ-Algebra zu identifizieren.

Einerseits ist π offen als Abbildung und erfüllt (wie jede andere Funktion auch) für beliebigeTeilmengen An, n ∈ N, des Rn × Rk die Gleichheit⋃

n∈Nπ(An) = π(

⋃n∈N

An).

Da man abgeschlossene Mengen im Rn als abzählbare Vereinigung kompakter Mengen dar-stellen kann und kompakte Mengen von stetigen Funktionen auf kompakte Mengen abgebildetwerden, ist weiterhin das Bild einer abgeschlossenen Menge zumindest eine Fσ Menge, somitebenfalls Borel.

Probleme ergeben sich nun jedoch bei abzählbaren Schnitten. Lebesgue gibt in seiner Arbeitzwar an, dass allgemein nicht ⋂

n∈Nπ(An) = π

(⋂n∈N

An

)gelten muss, dies jedoch für eine fallende Folge von Mengen wahr wäre.

Diese Behauptung ist schon im R2 falsch (man betrachte etwa An := {0}×]0, 1n [ , n ∈ N), dies

wurde jedoch erst zwölf Jahre nach der Veröffentlichung bemerkt. Erst Suslin - ein Schülerdes russischen Mathematikers Lusin - fand diesen Fehler im Beweis von Lebesgue und konnteschließlich auch ein Gegenbeispiel zu obiger Behauptung konstruieren. Er definierte hierzu denBegriff der analytischen Menge - das stetige Bild eines vollständigen separablen metrischenRaums. Letztere wurden von Bourbaki polnische Räume genannt, zu Ehren der polnischenTopologen. Die analytischen Mengen und die Borel-Mengen in polnischen Räumen stehendadurch in Verbindung, dass eine Menge genau dann eine Borel-Menge ist, falls sowohl sieselbst, als auch ihr Komplement analytisch sind.

Die Arbeiten von Suslin nahm sein Lehrer Lusin wieder auf und schrieb 1930 ein Buch (s.[Lusi]) über analytische Mengen. Lebesgue selbst schrieb in einem Vorwort zu diesem, dass

“(...) l’origine de tous les problèmes dont il va s’agir ici est une grossière erreurde mon Mémoire.... Fructeuse erreur, que je fus bien inspiré de la commettre!”2

Innerhalb dieser Arbeit werden wir ein konkretes Gegenbeispiel zu der oben zitierten Behaup-tung konstruieren. Wir werden jedoch zuvor - angelehnt an das Werk von Suslin - im ersten

2(...) die Herkunft all dieser Probleme - von denen dieses hier handeln wird - ist ein grober Fehler in meinemLebenswerk.... Ein fruchtbarer Fehler, den ich gerne geneigt bin zuzugeben.

4

Teil dieses Textes zeigen, dass die analytischen Mengen eine echte Obermenge der Borel-Mengen in polnischen Räumen darstellen. Polnische Räume stellen hierbei eine sehr geeigneteAbstraktionsebene dar. Eine der Stärken dieses Begriffs wird sich so zum Beispiel im Borel-Isomorphismuslemma (s. Theorem 4.12) zeigen. So haben (bis auf geeignete Isomorphie) allepolnischen Räume derselben Mächtigkeit die gleiche Gestalt. Der erste Teil stellt im Grundegenommen einen vollständigen Beweis dar, dass Lebesgues Behauptung falsch ist. Insofern hatder zweite Teil nur Erweiterungscharakter, beleuchtet aber gerade die Gestalt der analytischenMengen genauer.

Im zweiten Teil werden wir somit ergänzend - nach einer kurzen Einführung in die Ordinal-zahlen - einen polnischen Raum konstruieren, der eine analytische Menge enthält, die keineBorel-Menge ist. Letzteres zu beweisen, wird sich auch als die eigentliche Herausforderungdieses Kapitels herausstellen. Wir werden hierfür die sogenannte Rangmethode verwenden,d.h. wir konstruieren zu einem gegebenen polnischen Raum eine Abbildung in die abzählba-ren Ordinalzahlen. Die Rangmethode sagt aus, dass das Bild einer Borel-Menge unter einemRang stets durch eine abzählbare Ordinalzahl beschränkt ist. Wir werden zeigen, dass diesin unserem Fall nicht zutrifft. Abschließend werden wir in diesem Teil eine Möglichkeit ange-ben, unser Beispiel in den R2 einzubetten, und erhalten damit ein konkretes Gegenbeispiel zuLebesgues Behauptung.

In seiner Arbeit verwendete Suslin einen Satz, der auch in dieser Arbeit zentral verwendet wird.Hierbei handelt es sich um eine äquivalente Charakterisierung von Borel-Mengen in polnischenRäumen. Wir benötigen von dieser Äquivalenz jedoch nur eine Richtung; der Vollständigkeithalber werden wir die andere im letzten Abschnitt dieser Arbeit behandeln.

Abschließend ein Wort zur Notation: Zu einer gegebenen natürlichen Zahl n ∈ N werden wirmit n die Menge der ersten n natürlichen Zahlen bezeichnen. Mit der Redewendung “fast alle”werden wir desweiteren stets “alle bis auf endlich viele” meinen.

5

Teil 1. Analytische Mengen in polnischen Räumen

2. Grundlagen metrischer und topologischer Räume

Die wichtigsten Hilfsmittel, die wir in diesem Teil der Arbeit benötigen werden, liefert die ele-mentare (mengentheoretische) Topologie. Neben den gängigsten Definitionen - wie etwa derVollständigkeit - werden wir auch einige grundlegende Resultate aus der Analysis Grundvor-lesung verwenden. Ansonsten werden alle übrigen Werkzeuge innerhalb dieses Textes bereit-gestellt und einzeln explizit bewiesen.

2.1. Topologische Räume. Innerhalb dieses Abschnitts werden wir die Produkttopologieeines topolgischen Raums definieren und einige grundlegende Charakterisierungen angeben.Außerdem werden wir einige Hilfssätze beweisen, die wir zwar im Verlauf immer wieder benö-tigen werden, aber eher Grundlagen Charakter haben. Der Vollständigkeit halber werden wirmit der Definition eines topologischen Raums beginnen.

Definition 2.1. (i) Sei X eine Menge, τ ⊆ Pot(X). Wir nennen τ eine Topologie, falls gilt:

(i) ∅, X ∈ τ

(ii) ∀U, V ∈ τ : U ∩ V ∈ τ

(iii) Für jede Indexmenge I und alle Familien (Ui)i∈I in τ ist⋃

i∈I Ui ∈ τ.

Ist τ eine Topologie, so nennen wir (X, τ) einen topologischen Raum und die Elemente von τ

die in X offenen Mengen. Wir nennen die Komplemente von τ in X die in X abgeschlossenenMengen.

(ii) Ist (X, τ) ein topologischer Raum und Y ⊆ X, so definieren wir durch

τY := {U ⊆ Y | ∃V ∈ τ : V ∩ Y = U}

die Teilraumtopologie von Y bzgl. (X, τ).

(iii) Seien (X, τX), (Y, τY ) zwei topologische Räume, f : X → Y eine Abbildung.

Wir nennen f stetig, falls f−1(V ) ∈ τX für alle V ∈ τY ist.

Bemerkung 2.2. Eine Teilmenge eines topologischen Raums - versehen mit der Teilraumtopo-logie - ist ein topologischer Raum.

Lemma 2.3. Sind (X, τX), (Y, τY ) topologische Räume, Z ⊆ Y und f : X → Y eineAbbildung mit f(X) ⊆ Z.

Es ist f stetig gdw. f als Abbildung zwischen X und Z stetig ist.

Beweis. "⇒": Sei V offen in τZ . Dann existiert ein U ⊆ Y mit Z ∩ U = V . Weiterhin gilt:

f−1(V ) = f−1(Z ∩ U) = f−1(U) ∈ τX .

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Damit ist f bzgl. τZ stetig.

"⇐: Sei U ∈ τX . Dann ist U ∩ Z ∈ τZ , somit

f−1(U) = f−1(U ∩ Z) ∈ τX .

Um mit der Topologie eines topologischen Raumes besser arbeiten zu können, verwenden wireinen Basisbegriff, der die Topologie vollständig charakterisiert.

Definition 2.4. Sei (X, τ) ein topologischer Raum. Eine Basis von X ist eine Menge B ⊆ τ ,so dass für alle U ∈ τ gilt:

∀x ∈ U ∃V ∈ B : x ∈ V ⊆ U.

Häufig werden auf derselben Menge zwei Topologien vorliegen. Um diese miteinander verglei-chen zu können, bedienen wir uns des folgenden Beweisverfahrens:

Bemerkung 2.5. Sei (X, τ) ein topologischer Raum, B eine Basis von τ und τ ′ eine weitereTopologie auf X mit B ⊆ τ ′. Existiert für alle x ∈ X und jede Umgebung V ∈ τ ′ von x einU ∈ B mit x ∈ U ⊆ V , dann ist τ ⊇ τ ′, d.h. jede bzgl. τ ′ offene Menge ist auch offen bzgl. τ .

Anders gesagt: Enthält eine Basis von τ eine Basis von τ ′, so ist τ ⊇ τ ′.

Eine wichtige Rolle werden im Verlauf der Arbeit abzählbare Produkte metrischer Räumespielen. Diese lassen sich auf natürliche Weise mit einer Topologie ausstatten. Das besonderehierbei ist, dass sich diese Topologie stets metrisieren lässt, d.h. es existiert eine Metrik, derenerzeugte Topologie gleich der vorliegenden ist. Wir werden deshalb zunächst unser Augenmerkauf Produkte topologischer Räume richten.

Definition 2.6. Sei I eine Menge, (Xi, τi) für alle i ∈ I topologische Räume. Dann heißt∏i∈I

Xi := {x : I →⋃i∈I

Xi | ∀i ∈ I : x(i) ∈ Xi}

die Produktmenge der Mengen Xi. Wir bezeichnen mit

πi :∏i∈I

Xi → Xi, x 7→ x(i)

die natürlichen Projektionen.

Die Produkttopologie ist die von den Mengen

{π−1i (Oi) | i ∈ I, Oi ∈ τi}

erzeugte Topologie.

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Diese Definition ist insofern zweckmäßig, als dass hierdurch gewährleistet ist, dass sämtlicheKoordinatenprojektionen stetig sind.

Lemma 2.7. Es seien (Xi, τi) für alle i ∈ I topologische Räume. Dann sind die Projektionenπi stetig.

Beweis. Sei j ∈ I, Oj ∈ τj . Dann ist π−1j (Oj) ∈ {π−1

i (Oi) | i ∈ I, Oi ∈ τi}, somit πj stetig. �

Wir werden nun eine Basis für eine Produkttopologie angeben, mit der wir im Folgendenarbeiten werden.

Lemma 2.8. Es seien (Xi, τi) für alle i ∈ I topologische Räume. Es sei τ die Menge allerMengen, die durch beliebige Vereinigungen von Mengen∏

i∈I

Ui = {x ∈∏i∈I

Xi | ∀i ∈ I : x(i) ∈ Ui}

mit folgender Eigenschaft erzeugt wird: Für alle i ∈ I ist Ui offen und für fast alle gilt Ui = Xi.

Dann ist τ gleich der Produkttopologie.

Beweis. Wir zeigen zunächst, dass τ eine Topologie ist.

Es ist ∅,∏i∈I

Xi ∈ τ . Da außerdem beliebige Vereinigungen von Elementen von τ wieder in

τ sind, genügt es zu zeigen, dass endliche Schnitte von Mengen aus τ wieder in τ liegen.Seien also U, V ∈ τ . Dann gibt es Mengen J,K und U j

i ∈ τi für alle i ∈ I und j ∈ J mitU =

⋃j∈J

∏i∈I

U ji . Ebenso existieren V k

i ∈ τi für alle i ∈ I und k ∈ K mit V =⋃

k∈K

∏i∈I

Uki .

Außerdem gelte für jedes j ∈ J , dass fast alle U ji = Xj seien, analog seien fast alle V k

i = Xi

für alle k ∈ K.

Dann gilt:

U ∩ V = (⋃j∈J

∏i∈I

U ji ) ∩ (

⋃k∈K

∏i∈I

V ji )

=⋃

j∈J,k∈K

(∏i∈I

U ji ∩

∏i∈I

V ki )

=⋃

j∈J,k∈K

∏i∈I

(U ji ∩ V k

i ).

Da für jedes j ∈ J und k ∈ K gilt, dass U ji ∩V k

i ∈ τi für alle i ∈ I und außerdem U ji ∩V k

i = Xi

für fast alle i ∈ I, ist U ∩ V ∈ τ . Somit ist τ eine Topologie.

Für jedes j ∈ I, Oj ∈ τj ist offensichtlich π−1j (Oj) ∈ τ , somit ist die Produkttopologie in τ

enthalten. Seien Oi ∈ τi für alle i ∈ I, so dass Oi = Xi für fast alle i ∈ I ist. Sei n ∈ N,

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j1, . . . , jn ∈ I, so dass Ojk6= Xjk

für alle k ∈ N≤n und Oi = Xi für alle i ∈ I mit i 6= jk,k ∈ N≤n. Dann ist ⋂

k∈N≤n

π−1jk

(Ojk) =

∏i∈I

Oi.

Somit ist τ gleich der Produkttopologie. �

Abschließend für diesen einleitenden Paragraphen kommen nun noch einige Resultate, die indieser Arbeit immer wieder verwendet werden und deshalb an dieser Stelle schon eingeführtwerden.

Definition 2.9. Sei (X, τ) ein topologischer Raum, x ∈ X. Eine MengeN von offenen Mengenheißt Nachbarschaftsbasis von x, falls für jede Umgebung V von x ein N ∈ N existiert mitx ∈ N ⊆ V .

Lemma 2.10. Seien (Xi, di), i ∈ N, metrische Räume, x ∈ X :=∏i∈N

Xi. Dann ist

{N(x, δ, n) := {y ∈ X | di(xi, yi) < δ : i ∈ N≤n} | δ > 0, n ∈ N}

eine Nachbarschaftsbasis von x.

Beweis. Seien j1, . . . , jn ∈ N, Ui ⊆ Xi offen mit Ui = Xi falls i 6= jk, i ∈ N. O.B.d.A.gelte j1 < . . . < jn. Wähle δjk

> 0 für alle k ∈ n so, dass KXjk(xjk

, δjk) ⊆ Ujk

ist. Setzeδ := min{δjk

: k ∈ n}. Dann ist KXi(xi, δ) ⊆ Ui für alle i ∈ jn . Somit gilt:

N(x, δ, jn) ⊆∏i∈N

Ui.

Lemma 2.11. Eine kompakte Teilmenge eines topologischen Hausdorff-Raums ist abgeschlos-sen.

Beweis. Sei (X, τX) ein topologischer Hausdorff-Raum, A ⊆ X kompakt. Sei x ∈ X \ A. Wirwählen für jedes a ∈ A Umgebungen Ua, Va ∈ τX mit x ∈ Ua, a ∈ Va und Ua ∩ Va = ∅. Dannist {Vy | y ∈ A} eine Überdeckung von A und es gibt y1, . . . , yn mit

⋃i≤n Vyi ⊇ A. Dann ist

U := Uy1 ∩ . . . ∩ Uyn

offen, es ist x ∈ U und U ⊆ X \A. Damit ist X \A offen, also A abgeschlossen. �

Lemma 2.12. Eine abgeschlossene Teilmenge eines kompakten Raums ist kompakt.

Beweis. Sei (X, τ) ein topologischer Raum, A ⊆ X abgeschlossen, {Ui | i ∈ I} eine offeneÜberdeckung von A. Dann existiert ein in X offenes Vi für jedes i ∈ I mit Vi ∩ A = Ui nachDefinition der Teilraumtopologie.

9

Damit ist {Vi | i ∈ I} ∪ {X \A} eine offene Überdeckung von X, somit existiert eine endlicheMenge I0 ⊆ I, so dass {Vi | i ∈ I0} ∪ {X \ A} eine offene Überdeckung von X ist. Damit ist{Ui | i ∈ I0} eine endliche offene Überdeckung von A.

Da somit jede Überdeckung von A eine endliche Teilüberdeckung besitzt, ist A kompakt. �

Lemma 2.13. Sei (X, τX) kompakter topologischer Raum, (Y, τY ) Hausdorff und f : X → Y

stetig und injektiv. Dann ist f−1 : f(X) → X stetig.

Beweis. Sei V ⊆ X abgeschlossen. Dann ist V kompakt, somit f(V ) ebenfalls kompakt. DaY Hausdorff ist, ist somit f(V ) abgeschlossen und damit f−1 stetig. �

2.2. Metrische Räume. In diesem Abschnitt werden wir nun zunächst auf die Metrisier-barkeit abzählbarer Produkte metrischer Räume eingehen. Wir werden zeigen, dass für jedeabzählbare Indexmenge I und Familie metrischer Räume (Mi, di)i∈I das Produkt

∏i∈I

Mi me-

trisierbar ist. Wir werden zeigen, dass die durch diese Metrik erzeugte Topologie der Produkt-topologie entspricht.

Lemma 2.14. Sei (X, d) ein metrischer Raum. Dann ist B := {KX(x, r) | x ∈ X, r > 0}eine Basis der Topologie und Bx := {KX(x, r) | r > 0} eine Nachbarschaftsbasis von x fürjedes x ∈ X.

Beweis. Die Basiseigenschaft von B ist direkt über die Definition der offenen Mengen in einemmetrischen Raum klar. Für festes x ∈ X erhält man den zweiten Teil der Behauptung direktaus der Umgebungsdefinition. �

Definition 2.15. Ist (X, τ) ein topologischer metrisierbarer Raum, so heißt eine Metrik d aufX kompatibel zu τ , falls die von d erzeugte Topologie gleich τ ist. In diesem Fall sagen wir,dass (X, τ) sich (mit Metrik d) metrisieren lässt.

Man beachte, dass sich ein metrisierbarer topologischer Raum stets durch unendlich vieleMetriken metrisieren lässt (für eine Metrik d und c > 0 ist c · d ebenfalls eine Metrik).

Da wir die Metrik auf einem abzählbaren Produkt metrischer Räume über eine Reihe definierenwerden, müssen wir darauf achten, dass die Metriken keine zu großen Werte annehmen. Wiewir im folgenden kleinen Resultat zeigen werden, können wir eine Metrik stets durch eine -die gleiche Topologie erzeugende - durch 1 beschränkte Metrik ersetzen.

Lemma 2.16. Sei (M,d) ein metrischer Raum. Dann definiert d′ := d1+d eine Metrik, die

mit der von d erzeugten Topologie kompatibel ist.

Weiterhin ist M genau dann bzgl. d vollständig, wenn M es bzgl. d′ ist.

10

Beweis. (i) Es ist d′ ≤ d, somit ist jede bzgl. d offene Menge offen bzgl. d′. Sei also U offen bzgl.d′, x ∈ U . Dann existiert ein r > 0 mit K(X,d′)(x, r) ⊆ U . Ist r ≥ 1, so ist K(X,d′)(x, r) = X,somit K(X,d)(x, 1) ⊆ U . Sei also o.B.d.A. r < 1.

Setze r′ := r1−r > 0. Sei y ∈ K(X,d)(x, r′). Dann ist d(x, y) < r

1−r , d.h. d(x, y)(1− r) < r. Alsoist d(x, y) < r + d(x, y) · r und damit

d′(x, y) =d(x, y)

1 + d(x, y)< r.

(ii) Wir zeigen, dass die Menge der Cauchy-Folgen für beide Metriken dieselbe ist. Da eineFolge nach (i) genau dann bzgl. d konvergiert, wenn sie bzgl. d′ konvergiert, sind wir damitfertig.

Sei (xn)n∈N eine Folge in (M,d), ε > 0. Ist d(xn, xm) < ε, dann ist d′(xn, xm) < ε.

Sei also (xn)n∈N Cauchy-Folge bzgl. d′. Wähle n0 ∈ N, so dass für alle m,n ∈ N≥n0 gilt:d′(xn, xm) < ε

1+ε . Seien m,n ∈ N≥n0 . Dann ist

d(xn, xm)1 + d(xn, xm)

1 + εalso d(xn, xm) <

ε

1 + ε(1 + d(xn, xm))

Damit gilt

(1− ε

1 + ε)d(xn, xm) <

ε

1 + εalso d(xn, xm) <

ε1+ε

1− ε1+ε

= ε.

Somit ist (xn)n∈N genau dann eine Cauchy-Folge bzgl. d, wenn sie bzgl. d′ eine Cauchy-Folgeist. �

Um den zweiten Teil des vorhergehenden Beweises zu würdigen, stellen wir folgenden Sach-verhalt fest:

Liegen zu einem topologischen Raum zwei kompatible Metriken vor, so kann es durchausvorkommen, dass der Raum bzgl. der ersten Metrik vollständig ist, bzgl. der anderen diesjedoch nicht.

Beispiel 2.17. Sei M :=]0, 1], τ die von der Betragsmetrik auf R induzierte Teilraumtopologieauf M . Dann ist (M, |·|) ein metrischer Raum,

(1n

)n∈N eine nicht-konvergente Cauchy-Folge

in (M, |·|). Aber mit

d : M ×M → R, (x, y) 7→ |x− y|+∣∣∣∣1x − 1

y

∣∣∣∣ist eine kompatible Metrik gegeben, bzgl. der (M,d) ein vollständiger metrischer Raum ist.

An dieser Stelle verzichten wir auf einen Beweis hierzu. Er wird aber in einer allgemeinerenSituation in Lemma 3.10 nachgeholt.

11

Wir werden nun das Hauptresultat dieses Abschnitts - zunächst nur für die Indexmenge I = N- beweisen. Wir lehnen uns hierbei an [Perr, S. 138f] an.

Satz 2.18. Es sei (Mi, di)i∈N eine Folge metrischer Räume mit di ≤ 1 für alle i ∈ N. Es sei

X :=∞∏i=1

Mi und d : X ×X → R≥0, ((xi)i∈N , (yi)i∈N) 7→∞∑i=1

di(xi, yi) · 2−i. Dann ist (X, d)

ein metrischer Raum und d mit der Produkttopologie kompatibel.

Sind zusätzlich alle (Mi, di)i∈N vollständig, so ist auch X vollständig.

Beweis. Wir werden den Beweis in fünf Abschnitte untergliedern. In Teil (i)-(iii) zeigen wir,dass es sich um eine wohldefinierte Metrik handelt. In Teil (iv) zeigen wir die Kompatibilitätmit der Produkttopologie. In Teil (v) zeigen wir dann noch, dass - falls (Mi, di), i ∈ N, allevollständig sind - X es ebenfalls ist.

(i) Da∑

n∈N 2−n konvergiert, ist d nach Majorantenkriterium wohldefiniert.

(ii) Es ist dj(xj , xj) = 0 für alle (xi)i∈N ∈ X und j ∈ N, also

d((xi)i∈N , (xi)i∈N) =∞∑i=1

di(xi, xi) · 2−i = 0.

Seien nun (xi)i∈N , (yi)i∈N ∈ X mit d((xi)i∈N , (yi)i∈N) = 0. Dann ist für alle n ∈ N

0 =∞∑i=1

di(xi, yi) · 2−i ≥ dn(xn, yn) · 2−n ≥ 0,

somit xn = yn, also (xi)i∈N = (yi)i∈N.

(iii) Seien (xi)i∈N , (yi)i∈N , (zi)i∈N ∈ X. Offensichtlich ist d symmetrisch.

Außerdem gilt nach dem Umordnungssatz für Reihen:

d((xi)i∈N , (zi)i∈N) =∞∑i=1

di(xi, zi) · 2−i

≤∞∑i=1

(di(xi, yi) + di(yi, zi))2−i

=∞∑i=1

di(xi, yi) · 2−i +∞∑i=1

di(yi, zi) · 2−i

= d((xi)i∈N , (yi)i∈N) + d((yi)i∈N , (zi)i∈N).

Somit ist d Metrik.

(iv) Es bleibt zu zeigen, dass die durch die Metrik erzeugte Topologie mit der Produkttopologieübereinstimmt.

12

Sei x = (xn)n∈N ∈ X. Dann besteht eine Nachbarschaftsbasis nach Lemma 2.10 aus Mengender Form

N(x, δ,m) = {y ∈ X | dj(xj , yj) < δ, j ∈ m}, δ > 0, m ∈ N.

Sei also ε > 0, n0 ∈ N so, dass 2−n0 < ε2 ist. Dann ist

n0∑j=1

2−j · ε2 < ε2 und

∞∑j=n0+1

2−j = 2−n0 < ε2 .

Damit erhalten wir für alle y ∈ N(x, ε/2, n0)

d(x, y) =∑k∈N

dk(xk, yk) · 2−k

≤n0∑

k=1

dk(xk, yk)2−k +∞∑

k=n0+1

2−k

<

n0∑k=1

ε

2· 2−k +

ε

2< ε.

Somit ist N(x, ε2 , n) ⊆ KX(x, ε) und damit jede bzgl. d offene Menge auch offen bzgl. der

Produkttopologie.

Sei andererseits U ∈ τ , x ∈ U , 1 > δ > 0. Dann existiert n ∈ N mit N(x, δ, n) ⊆ U . Seiy ∈ KX(x, γ), γ := 2−n−1δ. Dann ist

n∑j=1

dj(xj , yj) · 2−j ≤ d(x, y) < γ

und somit gilt für alle j ∈ n :

dj(xj , yj) < 2j · γ = 2j · δ · 2−n−1 < δ · 2j−n−1 ≤ 12δ.

Somit ist KX(x, γ) ⊆ N(x, δ, n) und damit jede bzgl. der Produkttopologie offene Menge offenbzgl. d.

Also ist d mit der Produkttopologie kompatibel.

(v) Seien nun alle (Mi, di), i ∈ N, vollständig. Sei (xm)m∈N Cauchy-Folge in X. Dann ist

di(xni , xm

i ) · 2−i ≤ d(xm, xn)

für alle i,m, n ∈ N, somit ist (xmn )m∈N Cauchy-Folge in Mn für jedes n ∈ N, also konvergent.

Setze x∞n := limm→∞ xmn für alle n ∈ N.

Wir zeigen, dass dann (xm)m∈N gegen (x∞n )n∈N konvergiert:

Sei ε > 0, wähle n0 ∈ N, so dass 2−n0 < ε2 ist. Wähle für alle m ∈ n0 ein nm ∈ N≥n0 , so dass

für alle i ∈ N≥nm

di(xmi , x∞i ) <

ε

2ist. Setze N := max{nm : m ∈ n0}. Dann gilt für alle n ∈ N≥N :

13

d(xn, x∞) =∞∑i=1

2−idi(xmi , x∞i )

=n0∑i=1

2−idi(xmi , x∞i ) +

∞∑i=n0+1

2−idi(xmi , x∞i )

≤n0∑i=1

2−i ε

2+

∞∑i=n0+1

2−i <ε

2+

ε

2= ε.

Somit ist (xm)m∈N konvergent und damit X vollständig. �

Korollar 2.19. Es sei (Mi, di)i∈N eine Folge metrischer Räume. Es sei X :=∞∏i=1

Mi und

d : X ×X → R≥0, ((xi)i∈N , (yi)i∈N) 7→∞∑i=1

di(xi, yi)1 + di(xi, yi)

2−i.

Dann ist (X, d) ein metrischer Raum und d mit der Produkttopologie kompatibel.

Sind zusätzlich alle (Mi, di)i∈N vollständig, so ist auch X vollständig.

Beweis. Wir können nach Lemma 2.18 o.B.d.A. für jedes i ∈ N eine Metrik di wählen, diedie gleiche Topologie erzeugt und durch 1 beschränkt ist. Nach Satz 2.19 folgt damit dieBehauptung. �

Wir werden uns nun noch von der Einschränkung der Indexmenge lösen und stattdessenbeliebige zulassen. Dieser Schritt findet in der angegebenen Literatur nicht statt, wird sich beiuns allerdings später als wichtig erweisen. Der Beweis hierzu ist trivial.

Proposition 2.20. Sei I eine abzählbare Indexmenge, (Mi, di)i∈I eine Familie metrischerRäume, b : N → I eine Bijektion und

M :=∏i∈I

Mi und N :=∏n∈N

Mb(n).

Dann sind diese bezüglich ihrer Produkttopologien homöomorph.

Beweis. Es seif : M → N, (f(m))(n) = m(b(n)).

Dann ist f bijektiv, stetig und offen.

Um nun noch die Metrisierbarkeit einzusehen, bedienen wir uns der Transportmetrik.

14

Lemma 2.21. Sei (M,d) ein metrischer und (X, τ) ein topologischer Raum. Sei weiterhinf : X → M ein Homöomorphismus. Dann ist

dX : X ×X → R≥0, (x, y) 7→ d(f(x), f(y))

eine Metrik auf X, die kompatibel mit τ ist.

Außerdem ist f nun sogar isometrisch.

Beweis. Offensichtlich ist dX symmetrisch und erfüllt die Dreiecksungleichung. Da f injektivist, ist dX außerdem eine Metrik. Wir stellen fest, dass f nach Konstruktion von dX eineIsometrie ist.

Wir zeigen nun noch, dass dX kompatibel zu τ ist:

Sei x ∈ X, U ∈ τ eine Umgebung von x. Dann ist f(x) ∈ f(U) und f(U) offen, also Umgebungvon f(x). Das heißt, es existiert ein ε > 0 mit KM (f(x), ε) ⊆ f(U). Dann ist - da f isometrischist -

KX(x, ε) = f−1(KM (f(x), ε)) ⊆ U

offen.

Sei y ∈ X, δ > 0. Dann ist f(KX(y, δ)) = KM (f(y), δ) offen in M und - da f bezüglich τ einHomöomorphismus ist - ebenfalls KX(y, δ) ∈ τ . Damit ist dX kompatibel zu τ . �

Zuletzt zeigen wir, dass Vollständigkeit und Separabilität durch einen solchen Homöomorphis-mus ebenfalls erhalten bleiben.

Lemma 2.22. Sei (M,dM ) metrischer Raum, (X, τ) topologischer Raum und f : M → X

ein Homöomorphismus.

Es bezeichne dX die durch Lemma 2.21 definierte, zu τ kompatible Metrik von X. Dann gilt:

(i) f bildet Cauchy-Folgen genau auf Cauchy-Folgen ab.

(ii) X ist vollständig, falls M vollständig ist.

(iii) X ist separabel, falls M separabel ist.

Beweis. (i) Ist (xn)n∈N eine Folge in M , dann ist dX(f(xn), f(xm)) = d(xn, xm) für allem,n ∈ N und somit (f(xn))n∈N eine Cauchy-Folge in X genau dann, wenn (xn)n∈N eineCauchyfolge in M ist.

(ii) Sei M vollständig, (yn)n∈N eine Cauchy-Folge in X. Dann ist(f−1(yn)

)n∈N nach (i) eine

Cauchy-Folge, d.h. es gibt zu gegebenem ε > 0 ein nε ∈ N, so dass dM (f−1(ym), f−1(yn)) < ε

für alle m, n ∈ N≥nε ist. Da M vollständig ist, existiert somit der Grenzwert x∞. Definierey∞ := f(x∞). Dann ist

dX(y∞, yn) = d(x∞, f−1(yn)) < ε

15

für genügend große n.

(iii) Sei D ⊆ M dicht und abzählbar. Setze DX := f(D). Dann ist DX abzählbar. Sei x ∈ X,U ∈ τ eine Umgebung von x. Dann existiert ein ε > 0 mit KX(x, ε) ⊆ U . Dann existiertdm ∈ D ∩KM (f−1(x), ε) und damit ist f(dm) ∈ DX ∩KM (x, ε). Also ist DX dicht in M . �

Wir werden diesen Abschnitt mit einem letzten Resultat beschließen, das sich ein wenig vonden anderen Resultaten abzuheben scheint. Ging es bislang um die Metrisierbarkeit abzähl-barer Produkte metrischer Räume, beschäftigen wir uns nun mit Teilmengen vollständigerRäume, die homöomorph zu einem vollständigen Raum sind. Wir werden sehen, dass dieseRäume stets abzählbare Schnitte von - bzgl. des vollständigen Oberraums - offener Mengensind. Wir werden dies später dafür verwenden, homöomorphe Bilder von vollständigen Räumenals Borel-Mengen des Zielraums zu identifizieren.

Innerhalb der hier zugrundeliegenden Fassung aus [Dudl, S. 60] wird der Begriff der Vervoll-ständigung gebraucht, auf den ich hier allerdings nicht näher eingehen möchte, da in unseremKontext ein vollständiger Oberraum bereits gegeben sein wird. Deshalb werden wir uns hiernicht wie üblich mit der Vervollständigung eines metrischen Raumes arbeiten, sondern - aufdie Minimalität verzichtend - lediglich mit einem vollständigen Oberraum arbeiten.

Definition 2.23. Wir nennen einen metrischen Raum (M,d) topologisch vollständig, falls eseine zur von d erzeugten Topologie kompatible Metrik dv gibt, so dass (M,dv) vollständig ist.

Proposition 2.24. Sei (M,d) ein metrischer Raum, (M, d) ein vollständiger Oberraum, d.h.M ⊆ M , d |M×M= d und M = M (wobei der Abschluss in M gebildet wird).

Ist (M,d) topologisch vollständig, dann ist M ein abzählbarer Schnitt von in M offenen Men-gen.

Beweis. Wir bezeichnen mit diamd(A) := sup{d(x, y) : x, y ∈ A} den Durchmesser einerMenge A ⊆ M bezüglich d, wobei diamd(A) = ∞, falls {d(x, y) : x, y ∈ A} unbeschränkt ist.

Sei (M,d) topologisch vollständig, dv eine zur von d erzeugten Topologie kompatible Metrik,(M,dv) vollständig. Wir definieren

Un(ε) := {x ∈ M : diamdv(K(M,d)(x, ε)) <1n}, ε > 0, n ∈ N

und Un :=⋃

ε>0Un(ε), n ∈ N. Ist x ∈ Un(ε) und y ∈ M mit d(x, y) < ε

2 , dann ist y ∈ Un( ε2).

Also ist Un für jedes n ∈ N offen in M .

Zunächst ist M ⊆ Un für jedes n ∈ N. In der Tat: Ist x ∈ M , n ∈ N, dann ist

diamdv

(K(M,dv)(x,

13n

))

<1n

.

16

Da d und dv die gleiche Topologie erzeugen und damit K(M,dv)(x, 13n) offen in (M,d) ist,

existiert ein ε > 0 mit K(M,d)(x, ε) ⊆ K(M,dv)(x, 13n). Damit ist x ∈ Un(ε) und damit M ⊆ Un.

Wir zeigen, dass⋂

n∈N Un = M ist. Sei x ∈ Un für alle n ∈ N. Dann existiert xm ∈ M mitd(xm, x) → 0. Da diamdv(K(M,d)(x, ε)) < 1

n für jedes n ∈ N und alle ε > 0 mit x ∈ Un(ε) ist,ist (xm)m∈N Cauchy-Folge bezüglich dv. Somit konvergiert (xm)m∈N gegen ein y ∈ M , da M

bezüglich dv vollständig ist. Damit ist - da d und dv dieselbe Topologie erzeugen - x = y ∈ M .Somit ist M =

⋂n∈N Un. �

2.3. Borel-Mengen in Topologischen Räumen. Zum Ende dieses Kapitels folgt noch einkleiner Abschnitt über Borel-Mengen und ihre Charakterisierungen.

Definition 2.25. Sei (X, τ) ein topologischer Raum.

(i) Wir nennen E ⊆ Pot(X) eine σ-Algebra, falls gilt:

(i) Die leere Menge ist in E .

(ii) Zu jeder Menge aus E ist auch das Komplement in E .

(iii) Für jede Folge von Mengen aus E ist⋃n∈N

An ∈ E .

(ii) B sei die kleinste σ-Algebra, die die offenen Mengen enthält. Die Elemente von B heißenBorel-Mengen, B nennen wir die Klasse der Borel-Mengen.

Bemerkung 2.26. Nach De-Morgan gilt( ⋂

n∈NXn

)c

=⋃

n∈NXc

n für beliebige Mengen Xn, n ∈ N,

d.h. ⋂n∈N

Xn =

(⋃n∈N

Xcn

)c

.

Damit ist eine σ-Algebra abgeschlossen bezüglich abzählbarer Schnitte.

Lemma 2.27. In einem metrischen Raum sind die abgeschlossenen Mengen abzählbare Schnit-te offener Mengen.

Beweis. Sei A ⊆ X abgeschlossen. Setze für alle n ∈ N

Un := {y ∈ X | ∃x ∈ A : d(x, y) <1n}.

Da Un =⋃

x∈A

KX(x, 1n) ist, ist Un für alle n ∈ N offen. Sei x ∈

⋂n∈N

Un ⊇ A. Dann existiert eine

Folge (yn)n∈N ∈ AN mit d(yn, x) < 1n für alle n ∈ N. Dann ist lim

n→∞yn = x, somit ist x ∈ A,

also A =⋂

n∈NUn. �

17

Lemma 2.28. Sei (X, τ) ein topologischer Raum, B die Menge der Borel-Mengen.

B ist die kleinste Menge von Teilmengen von X, die die offenen Mengen enthält und unterabzählbaren Schnitten und Vereinigungen abgeschlossen ist.

Beweis. Sei F die kleinste Menge von Teilmengen von X, die die offenen Mengen enthält undunter abzählbaren Schnitten und Vereinigungen abgeschlossen ist. Nach Bemerkung 2.26 istF ⊆ B. Sei

C := {A ∈ F | Ac ∈ F}.

Dann ist C ⊆ F . Seien An ∈ C für alle n ∈ N, dann ist An, Acn ∈ F für alle n ∈ N und es gilt

⋃n∈N

An ∈ F und

(⋃n∈N

An

)c

=⋂n∈N

Acn ∈ F ,

da F bzgl. abzählbarer Schnitte und Vereinigungen abgeschlossen ist. Mit Lemma 2.27 sindebenfalls die abgeschlossenen Mengen in F . Und damit τ ⊆ C.

Damit ist C eine σ-Algebra, die die offenen Mengen enthält. Somit ist B ⊆ C, also B = F . �

Lemma 2.29. Sei (X, τ) ein topologischer Raum, B ⊆ X eine Borel-Menge. Sei τB dieTeilraumtopologie, A ⊆ B Borel-Menge im topologischen Raum (B, τB).

Dann ist A eine Borel-Menge in X.

Beweis. Es bezeichne B die Menge der Borel-Mengen von X. Weiterhin sei

BB := {C ∈ Pot(B) : ∃CX ∈ B : CX ∩B = C}.

Dann ist BB eine σ-Algebra und es ist τB ⊆ BB nach der Definition der Teilraumtopologie.Damit enthält BB jede Borel-Menge von B.

Insbesondere ist also A ∈ BB und damit existiert eine Borel-Menge AX ∈ B mit AX ∩B = A.Damit ist A eine Borel-Menge in X. �

18

3. Polnische Räume und Analytische Mengen

Nun werden wir den allgemeinen Kontext der metrischen Räume verlassen und uns einerspeziellen Klasse zuwenden.

3.1. Polnische Räume.

Definition 3.1. Sei (X, τ) ein topologischer Raum. X heißt polnischer Raum, wenn er voll-ständig metrisierbar, d.h. metrisierbar und bzgl. einer kompatiblen Metrik vollständig, undseparabel ist.

Gerade die Separabilität ist für uns von besonderer Wichtigkeit. Wir werden im späterenVerlauf sehen, dass wir dadurch eine Begrenzung der Mächtigkeit der Trägermenge erreichen.So werden wir zeigen, dass polnische Räume höchstens überabzählbare Mächtigkeit (also dieMächtigkeit von R) haben.

Bemerkung 3.2. Wir werden häufig die obige Definition im Falle von metrischen Räumenverwenden. Hierbei ist somit nur auf Vollständigkeit und Separabilität zu achten.

Bevor wir Beispiele für polnische Räume angeben, geben wir eine äquivalente Charakterisie-rung für die Separabilität an:

Lemma 3.3. Sei (X, τ) ein metrisierbarer topologischer Raum. X besitzt genau dann eineabzählbare Basis der Topologie, wenn er separabel ist.

Beweis. ” ⇒ ” : Sei {Ui : i ∈ N} eine Basis von X. Wähle für alle n ∈ N ein un ∈ Un. Dannist {un : n ∈ N} dicht in X:

Sei x ∈ X, U ∈ τ Umgebung von x. Dann existiert ein n ∈ N mit x ∈ Un ⊆ U aufgrund derBasis-Eigenschaft. Da un ∈ Un ⊆ U ist, ist somit x ein Häufungspunkt von {un : n ∈ N}.

” ⇐ ” : Sei {ui : i ∈ N} eine dichte Menge in X. Sei d eine Metrik von X, so dass die durch dieMetrik erzeugte Topologie gleich τ ist. Dann ist {K(ui,

1n) : (i, n) ∈ N × N} eine abzählbare

Basis von X:

Sei U ∈ τ , x ∈ U . Wähle ε > 0 mit K(x, ε) ⊆ U . Wähle n ∈ N mit 1n < ε. Dann existiert ein

uk ∈ K(x, 1n), da {ui : i ∈ N} dicht in X ist, somit x ∈ K(uk,

1n) ⊆ U . �

Hiermit erhalten wir folgende Beispiele polnischer Räume.

Beispiel 3.4. (i) Jeder separable Banachraum ist polnisch. Insbesondere ist für jedes n ∈ Nder Rn ein polnischer Raum.

(ii) Kompakte metrisierbare Räume sind polnisch.

(iii) Lokal-kompakte Hausdorff-Räume mit abzählbarer Basis der Topologie sind polnisch.

19

Beweis. (ii) Sei (X, τ) ein kompakter Raum, d eine zu τ kompatible Metrik auf X. Dannist (X, d) folgenkompakt und damit vollständig. Da (X, d) präkompakt ist, existiert für jedesε ∈ Q+ eine endliche offene Überdeckung Uε von X durch ε-Kugeln. Dann ist

{U | ∃ε ∈ Q+ : U ∈ Uε}

eine abzählbare Basis der Topologie τ . Mit Lemma 3.3 folgt die Separabilität.

(iii) S. [Kec1, Theorem 5.3]. �

Lemma 3.5. Sei (M,d) ein metrischer separabler Raum, ∅ 6= A ⊆ M .

Dann ist A separabel.

Beweis. Sei {xn : n ∈ N} ⊆ M dicht in M und a0 ∈ A beliebig. Wir wählen für alle m,n ∈ Nein am,n ∈ A mit d(am,n, xn) < 1

m , falls es ein solches gibt und am,n := a0 sonst. Dann ist{am,n : m,n ∈ N} abzählbar und dicht in A:

Sei x ∈ A, ε > 0. Dann existiert ein n ∈ N mit d(x, xn) < ε4 . Wir wählen nun ein m ∈ N

minimal mit 1m < ε

2 . Dann ist

d(x, xn) <ε

4<

1m

2und somit d(am,n, xn) < 1

m (da x ∈ A), also

d(am,n, x) ≤ d(am,n, xn) + d(xn, x) <1m

2< ε.

Folgendes Kriterium gilt in metrischen Räumen. Da polnische Räume metrisierbar sind, giltes also ebenfalls in ihnen; auf einen Beweis verzichten wir hier (s. [Köni, S.9]).

Bemerkung 3.6. Sei (X, τ) ein polnischer Raum, A ⊆ X. Es sind äquivalent:

(i) A ist abgeschlossen.

(ii) Für jede in X konvergente Folge, die vollständig in A verläuft, liegt der Grenzwert auchin A.

Wir werden nun eine starke Permanenzeigenschaft der polnischen Räume hervorheben. Soist neben dem abzählbaren Produkt polnischer Räume sogar jede offene Teilmenge eines pol-nischen Raums polnisch. Dies ist insofern überraschend, als dass die Vollständigkeit einerMetrik auf Teilmengen eines vollständigen Raums nur dann vererbt wird, wenn die Teilmengeabgeschlossen ist. Entscheidend ist hierbei natürlich, dass wir uns eine geeignete Metrik kon-struieren können. Wir beweisen zunächst ein Hilfsresultat, das folgende Notation verwendet:

20

Definition 3.7. Sei (M,d) ein metrischer Raum, x ∈ M , A ⊆ M abgeschlossen. Den Abstandvon x zu A bezeichnen wir mit

d(x,A) := infy∈A

d(x, y).

Lemma 3.8. Sei (M,d) ein metrischer Raum, A ⊆ M abgeschlossen. Seien x, y ∈ M . Dannist

|d(x,A)− d(y, A)| ≤ d(x, y).

Beweis. Es ist

d(x,A) = infz∈A

d(x, z) ≤ infz∈A

d(x, y) + d(y, z) = d(x, y) + d(y, A).

Damit ist d(x,A)− d(y, A) ≤ d(x, y). Vertauschen von x und y liefert die Behauptung. �

Lemma 3.9. Sei (M,d) metrischer Raum, A ⊆ M abgeschlossen und (xn)n∈N ∈ (X \A)N inX \A konvergente Folge.

Dann ist(

1d(xn,A)

)n∈N

eine Cauchy-Folge.

Beweis. Sei ε > 0 gegeben. Bezeichnen wir mit x∞ ∈ X \A den Grenzwert von (xn)n∈N, dannist

δ := d(x∞, A) > 0,

da A abgeschlossen und x∞ kein Berührpunkt von A ist. Dann existiert ein nδ ∈ N mitd(x∞, xn) < δ

2 für alle n ≥ nδ und insbesondere d(xn, A) ≥ δ2 . Dann ist∣∣∣∣ 1

d(xn, A)− 1

d(xm, A)

∣∣∣∣ =∣∣∣∣d(xm, A)− d(xn, A)

d(xn, A) · d(xm, A)

∣∣∣∣<

4δ2|d(xm, A)− d(xn, A)|

≤ 4δ2

d(xm, xn) < ε

für genügend große m,n ∈ N. �

Nun können wir damit beginnen, die technische Hauptarbeit zu leisten, um zu zeigen, dassabzählbare Schnitte offener Mengen in polnischen Räumen polnisch sind. Wir fassen dies infolgendem Lemma zusammen.

Lemma 3.10. Jeder abzählbare Schnitt von offenen Teilmengen eines polnischen Raums istvollständig metrisierbar und die Metrik ist kompatibel zur Teilraumtopologie.

Beweis. Sei (X, τ) ein polnischer Raum und d eine vollständige kompatible Metrik. SeienUn ∈ τ für alle n ∈ N und sei U :=

⋂n∈N

Un. Wir bezeichnen die Komplemente mit Vn := X \Un

21

für alle n ∈ N. Definiere

d : U × U → R, (x, y) 7→ d(x, y) +∞∑

n=1

min{

2−n,

∣∣∣∣ 1d(x, Vn)

− 1d(y, Vn)

∣∣∣∣} .

Wir zeigen zunächst, dass d eine Metrik ist, danach dass sie kompatibel zur Topologie ist.Zuletzt zeigen wir, dass (X, d) vollständig ist.

(i) Zunächst ist d wohldefiniert, da d(x, Vn) = 0 genau dann gilt, wenn x ∈ Vn = Vn ist.Außerdem ist d eine mit τ kompatible Metrik auf U :

Offensichtlich ist d symmetrisch und es gilt d(x, y) = 0 genau dann, wenn x = y. Wir zeigennoch die Dreiecksungleichung:

Seien hierzu x, y, z ∈ U . Dann gilt:

d(x, z) ≤ d(x, z) +∑n∈N

min{

2−n,

∣∣∣∣ 1d(x, Vn)

− 1d(z, Vn)

∣∣∣∣}

≤ d(x, y) + d(y, z) +∑n∈N

min{

2−n,

∣∣∣∣ 1d(x, Vn)

− 1d(y, Vn)

∣∣∣∣+ ∣∣∣∣ 1d(y, Vn)

− 1d(z, Vn)

∣∣∣∣}≤ d(x, y) + d(y, z).

Somit ist d eine Metrik.

(ii) Da d ≤ d und damit Kd(x, ε) ⊆ Kd(x, ε) für alle x ∈ U , ε > 0 ist, genügt es, für dieKompabilität zu zeigen, dass zu gegebenem x ∈ U , ε > 0 ein ε > 0 existiert mit

K(U,d|U×U )(x, ε) ⊆ Kd(x, ε).

Sei n0 ∈ N, so dass∑

n≥n0

12n < ε

4 ist. Wähle - nach der Stetigkeit von z 7→ 1d(z,Vn) - ein

0 < ε < ε2 , so dass

∣∣∣ 1d(x,Vn) −

1d(y,Vn)

∣∣∣ ≤ ε4n0

für alle y ∈ Kd(x, ε) ist. Sei y ∈ Kd(x, ε). Dann ist

d(x, y) = d(x, y) +∑n∈N

min{

2−n,

∣∣∣∣ 1d(x, Vn)

− 1d(y, Vn)

∣∣∣∣}

2+∑n≤n0

∣∣∣∣ 1d(x, Vn)

− 1d(y, Vn)

∣∣∣∣+ ε

4≤ ε.

Somit ist d ebenfalls eine zur Teilraumtopologie kompatible Metrik.

(iii) Sei (xn)n∈N eine Cauchy-Folge in U bezüglich d. Da X vollständig und d ≤ d ist, kon-vergiert somit (xn)n∈N in X bezüglich d und wir können x∞ := lim

n→∞xn ∈ X definieren. Wir

zeigen x∞ ∈ U :

Nach Lemma 3.9 ist(

1d(xm,Vn0 )

)m∈N

für jedes n0 ∈ N eine Cauchy-Folge und konvergiert somitin R. Daher existiert für jedes n ∈ N ein rn ∈ R und ein ln ∈ N, so dass für alle m ∈ N≥ln gilt:d(xm, Vn) > rn. Da limm→∞ d(xm, Vn) = d(x∞, Vn) für jedes n ∈ N ist, ist d(x∞, Vn) > 0 für

22

alle n ∈ N und somit ist x∞ ∈ U . Also konvergiert (xn)n∈N in U bezüglich d. Da d und d diegleiche Topologie erzeugen, konvergiert die Folge also ebenfalls bezüglich d. Damit ist (U, d)vollständig. �

Hiermit erhalten wir folgendes Theorem, dass in abgewandelter Form in [Kec1, S. 17] zu findenist:

Satz 3.11. (i) Das Produkt einer abzählbaren Familie polnischer Räume ist polnisch.

(ii) Jeder abzählbare Schnitt von offenen Teilmengen eines polnischen Raums ist mit der Teil-raumtopologie ein polnischer Raum.

(iii) Jede Vereinigung offener Teilmengen eines polnischen Raums ist ein polnischer Raum.

Beweis. (i) Seien (Xn, τn), n ∈ N, polnische Räume. Nach Korollar 2.19 ist X :=∞∏i=1

Xi mit

der Produkttopologie vollständig metrisierbar. Es genügt also, die Separabilität zu überprüfen.

Sei Dn ⊆ Xn eine dichte Teilmenge für jedes n ∈ N. Dann ist

{KXn(x, q) | x ∈ Dn, q ∈ Q}

eine Basis der Topologie τn.

Wir definieren

Uni (x, q) =

{KXi(x, q), falls i ≤ n,Xi, sonst,

für jedes q ∈ Q, x ∈ Mi, n, i ∈ N.

Dann istB := {

∏i∈N

Uni (x, q) | n ∈ N, x ∈ Di, q ∈ Q}

abzählbar als abzählbare Vereinigung abzählbarer Mengen. Außerdem sind sämtliche Elementevon B offen in der Produkttopologie. Wir zeigen, dass B eine Basis der Produkttopologie von

X :=∞∏i=1

Xi ist.

Sei U offen in X, x ∈ U . Dann existiert ein ε > 0 mit KX(x, ε) ⊆ U , o.B.d.A. ε ∈ Q. Wirwählen nun ein n ∈ N mit 1

n < ε4 . Außerdem wählen wir ein y ∈ X mit yi ∈ Di für alle i ≤ n

und d(x, y) < e4 .

Dann ist

V :=∞∏i=1

Uni (yi,

ε

2) ∈ B

offen in der Produkttopologie und es ist

x ∈ KX

(y,

ε

4

)⊆ V ⊆ KX

(y,

4

)⊆ KX (x, ε) ⊆ U.

23

Somit existiert eine abzählbare Basis der Topologie, d.h. nach Lemma 3.3 ist X separabel.

(ii) Die vollständige Metrisierbarkeit folgt mit 3.10. Die Separabilität folgt mit Lemma 3.3und Lemma 3.5.

(iii) Eine beliebige Vereinigung offener Mengen ist offen, somit können wir (ii) verwenden. �

Beispiel 3.12. (i) Mit der diskreten Metrik d ist ({0, 1}, d) ein polnischer Raum. Mit obigemSatz ist damit auch {0, 1}N ein polnischer Raum.

(ii) Es bezeichne C := {∑n∈N

an3n : (an) ∈ {0, 2}N} die Cantormenge. Die Cantormenge ist mit

der von R induzierten Metrik als Teilmenge eines separablen metrischen Raums separabel. Wirwerden im folgenden Lemma nachweisen, dass C abgeschlossen in R ist, d.h. C ist vollständig,also ein polnischer Raum.

Lemma 3.13. Die Cantormenge und {0, 1}N sind homöomorph. Insbesondere ist C abgeschlos-sen in R.

Beweis. Wir definieren f : {0, 1}N → C durch f(a) =∞∑

n=1

2an3n . Offensichtlich ist f surjektiv.

Zum Nachweis der Injektivität seien a, b ∈ {0, 1}N mit f(a) = f(b). Gäbe es ein n0 ∈ N -o.B.d.A. minimal gewählt - mit an0 6= bn0 , wäre

0 = f(a)− f(b) =∞∑

n=1

an − bn

3n≥ 1

3n0−∑n>n0

13n

=1

3n0− 2

3n0+1> 0.

Somit ist a = b und f bijektiv. Wir zeigen zuletzt die Stetigkeit von f . Da {0, 1}N nachTychonov kompakt ist, ist f damit nach Lemma 2.13 ein Homöomorphismus.

Sei a ∈ {0, 1}N, ε > 0. Dann existiert ein n0 ∈ N mit 23n0 < ε. Setze

U := {a1} × . . .× {an0} ×∏

n>n0

{0, 1}.

U ist offen in der Produkttopologie. Dann gilt für jedes (bn)n∈N ∈ U , dass bn = an für n ≤ n0

ist. Damit also:

|f(a)− f(b)| =

∣∣∣∣∣∑n>n0

an − bn

3n

∣∣∣∣∣ ≤ ∑n>n0

13n

=2

3n0< ε.

Damit ist f stetig.

Da C kompakt ist, ist C abgeschlossen in R. �

Im Gegensatz dazu erhalten wir das selbe Resultat für abgeschlossene Teilmengen polnischerRäume direkt:

24

Lemma 3.14. Sei (M,d) ein metrischer Raum, A ⊆ M . Dann ist d|A×A eine Metrik auf A,die zu der von d erzeugten Teilraumtopologie auf A kompatibel ist.

Insbesondere ist also eine abgeschlossene Teilmenge eines polnischen Raumes ausgestattet mitder Teilraumtopologie ein polnischer Raum.

Beweis. Sei (X, τ) ein polnischer Raum, A ⊆ X abgeschlossen. Sei d eine Metrik auf X, sodass die von d erzeugte Topologie gleich τ ist. Dann ist dA := d|A×A eine Metrik auf A unddie Teilraumtopologie stimmt mit der von dA erzeugten überein:

Sei x ∈ A, U ∈ τ mit x ∈ U . Dann existiert ein ε > 0 mit KX(x, ε) ⊆ U . Dann ist

KA(x, ε) ⊆ U ∩A,

also U ∩A in der von dA erzeugten Topologie. Ist andererseits V eine bzgl. dA offene Menge,so existieren εy > 0 für alle y ∈ V mit KA(y, εy) ⊆ V . Dann ist

⋃y∈V

KX(y, εy) offen in X und

somitA ∩

⋃y∈V

KX(y, εy) =⋃y∈V

KA(y, εy) ⊆ A

offen bzgl. der Teilraumtopologie.

Jede abgeschlossene Teilmenge eines vollständigen Raumes ist abgeschlossen. Damit ist A

vollständig und nach Lemma 3.5 separabel. �

Zusammenfassend erhalten wir also das folgende

Korollar 3.15. In einem polnischen Raum sind die offenen und abgeschlossenen Menge aus-gestattet mit der Teilraumtopologie polnische Räume.

Beispiel 3.16. (i) Sowohl N ausgestattet mit der diskreten Metrik ist ein polnischer Raumals auch jede Teilmenge von N.

(ii) Der Baire-Raum NN ausgestattet mit der Produkttopologie ist ein polnischer Raum. Eben-falls sind auch alle offenen und abgeschlossenen Teilmengen von NN polnische Räume.

Beweis. (i) N ist abzählbar, also separabel. Somit ist N mit der von R induzierten Metrik einseparabler metrischer Raum, außerdem vollständig, somit polnischer Raum. Da N diskret ist,ist somit nach Korollar 3.15 jede Teilmenge ein polnischer Raum.

(ii) Nach Lemma 3.11 ist NN polnischer Raum. Mit Korollar 3.15 sind auch offene und abge-schlossene Teilmengen von NN polnisch. �

25

3.2. Analytische Mengen. Wir werden nun analytische Mengen definieren. Wir werdensehen, dass nicht nur jeder polnische Raum eine analytische Menge ist, bzw. sogar dass jedeBorel-Menge in einem polnischen Raum analytisch ist.

Definition 3.17. Sei (X, τ) ein polnischer Raum. Eine Menge A ⊆ X heißt analytisch in X,falls es eine stetige, surjektive Funktion f : NN → A gibt oder falls A die leere Menge ist. DesWeiteren heißt A ⊆ X coanalytisch in X, falls X \ A analytisch ist. Eine analytische Menge,die ebenfalls coanalytisch ist, nennen wir bianalytisch.

Eines der Hauptresultate dieser Arbeit wird sein, dass die Borel-Mengen genau die Bianalyti-schen sind. Im Allgemeinen erweist es sich als schwierig zu zeigen, dass eine Menge in einemtopologischen Raum keine Borel-Menge ist. Mittels dieser Charakterisierung genügt es nun je-doch von einer Menge zu zeigen, dass sie nicht analytisch oder coanalytisch ist. Wir werden im2.Teil eine der Möglichkeiten kennenlernen, wie man zeigt, dass eine Menge nicht coanalytischist.

Zunächst hängen die analytischen Mengen genau wie die Borel-Mengen von dem polnischenRaum X ab. Es gilt jedoch folgendes Lemma:

Lemma 3.18. Sei (X, τ) ein polnischer Raum, U ⊆ X mit der Teilraumtopologie ein polni-scher Raum. Sei A ⊆ U analytisch in U .

Dann ist A analytisch in X.

Beweis. Sei f : NN → U stetig mit Bild f = A. Sei V offen in X. Dann ist V ∩U offen in U .

Nun istf−1(V ) = f−1(V ∩ U) offen in NN.

Somit ist f : NN → X stetig. �

Anstelle obiger Definition kann man analytische Mengen dadurch charakterisieren, dass siestetiges Bild eines polnischen Raums sind. Dies folgt unmittelbar aus folgendem in [Kec1, S.38] zu findendem Resultat:

Satz 3.19. Jeder polnische Raum ist analytisch.

Beweis. Sei X ein polnischer Raum. Wir führen den Beweis in vier Schritten. Wir werdenzunächst induktiv Folgen von Mengen definieren, die den ganzen Raum überdecken, und mitdiesen im zweiten Schritt eine Funktion von NN nach X. Im dritten Schritt zeigen wir danndie Surjektivität und zuletzt die Stetigkeit dieser Funktion.

(i) Für jede Teilmenge A ⊆ X sei diam(A) := sup{d(x, y) : x, y ∈ A}. Wir wählen für allen ∈ N abgeschlossene nicht-leere Mengen An mit

⋃k∈N Ak = X und diam(An) ≤ 1 (die

26

Mengen müssen nicht paarweise disjunkt sein; die Existenz ist mit Lemma 3.3 gegeben). SeiA(n) := An für alle n ∈ N.

Sei k ∈ N, es seien n1, . . . , nk ∈ N und weiterhin für alle j ∈ k nicht-leere Mengen

A(n1, . . . , nj) ⊆ X

mit diam(A(n1, . . . , nj)) ≤ 1j gegeben. Des Weiteren gelte für alle j ∈ k − 1

A(n1, . . . , nj) =⋃i∈N

A(n1, . . . , nj , i).

Sei DA(n1,...,nk) = {yn : n ∈ N} dicht und abzählbar in A(n1, . . . , nk). Wir definieren nun füralle n ∈ N

A(n1, . . . , nk, n) := K(yn,1

k + 1) ∩A(n1, . . . , nk).

Für alle n ∈ N ist dann diam(A(n1, . . . , nk, n)) ≤ 1k+1 und - da yn ∈ K(yn, 1

k+1)∩A(n1, . . . , nk)- ∅ 6= A(n1, . . . , nk) ⊆ X abgeschlossen als Schnitt zweier abgeschlossener Mengen. Trivialer-weise gilt ⋃

i∈NA(n1, . . . , Ank

, i) ⊆ A(n1, . . . , nk).

Es genügt also zu zeigen, dass⋃i∈N

A(n1, . . . , nk, i) ⊇ A(n1, . . . , nk).

Sei also x ∈ A(n1, . . . , nk). Dann existiert ein yn ∈ DA(n1,...,nk) mit d(yn, x) < 1k+1 . Somit ist

yn ∈ K(yn,1

k + 1) ∩A(n1, . . . , nk) = A(n1, . . . , nk, n).

(ii) Für jedes (nj)j∈N ∈ NN ist (Fk)k∈N := (A(n1, . . . , nk))k∈N eine absteigende Folge abge-schlossener nicht-leerer Mengen. Ist xn ∈ Fn für alle n ∈ N, dann ist (xn)n∈N eine Cauchy-Folge, somit konvergent gegen ein

x∞ ∈⋂n∈N

Fn.

Da lim diam(Fn) = 0 ist, ist der Grenzwert eindeutig. Wir definieren nun durch f((xj)j∈N) =x∞ eine Funktion f : NN → X.

(iii) Wir zeigen: f ist stetig.

Sei x∞ ∈ X. Dann existiert ein n1 ∈ N mit x∞ ∈ A(n1). Wähle induktiv zu gegebenem(n1, . . . , nk) ∈ Nk mit x∞ ∈ A(n1, . . . , nk) ein nk+1 ∈ N mit x∞ ∈ A(n1, . . . , nk, nk+1). Dannist x∞ ∈

⋂m∈N

A(n1, . . . , nm) und damit f surjektiv.

(iv) Wir zeigen: f ist stetig.

27

Sei σ∞ ∈ NN, (σn)n∈N Folge in NN mit limn→∞

σn = σ∞. Dann konvergiert für jedes n ∈ N dieFolge (σn(k))k∈N in N. Das heißt - da N diskret ist - es existiert ein kn,0 ∈ N mit σn(k) = σ∞(k)für alle k ∈ N≥kn,0 und n ∈ N.

Sei ε > 0, wähle k0 ∈ N mit 1k0

< ε. Setze l := max{kn,0 : n ∈ k0}. Sei n ∈ N≥l. Dann istσn(k) = σ∞(k) für alle k ∈ k0 , also

f(σn) ∈ A(σn(1), . . . , σn(k0)) = A(σ∞(1), . . . , σ∞(k0))

und damitd(f(σn), f(σ∞)) <

1n≤ 1

k0< ε.

Damit ist f stetig. �

Hiermit erhalten wir die oben angegebene neue Charakterisierung analytischer Mengen.

Lemma 3.20. Sei X ein polnischer Raum, ∅ 6= A ⊆ X. Dann sind äquivalent:

(i) A ist analytisch.

(ii) Es existiert ein polnischer Raum Y und eine stetige Abbildung g : Y → X, so dassg(Y ) = A ist.

(iii) Es existiert eine abgeschlossene Teilmenge F von X × NN, so dass A = π1(F ) ist.

Beweis. ”(ii) ⇒ (i) : ” Sei Y ein polnischer Raum, g : Y → X stetig, so dass g(Y ) = A

ist. Nach Satz 3.19 existiert eine stetige und surjektive Funktion h : NN → Y . Dann istg ◦ h : NN → A surjektiv und stetig, also A analytisch.

”(iii) ⇒ (ii) : ” Sei F abgeschlossene Teilmenge von X × NN, so dass A = π1(F ) ist. DaX ×NN als Produkt zweier polnischer Räume polnisch ist, ist F als abgeschlossene Teilmengeeines polnischen Raums nach Korollar 3.15 polnisch. Da π1 stetig ist, folgt mit der Wahl vonY = X × NN und g = π (ii).

”(i) ⇒ (iii) : ” Sei A analytisch. Dann existiert eine stetige surjektive Abbildung f : NN → A.Dann ist

F := {(x, σ) ∈ X × NN | (σ, x) ∈ graph(f)}

abgeschlossen, da graph(f) als Graph einer stetigen Funktion abgeschlossen ist. Damit istπ1(F ) = A, also gilt (iii). �

Wir haben mit den bisherigen Resultaten gesehen, dass abgeschlossene und offene Teilmengenvon polnischen Räumen analytisch sind. Wir werden nun zeigen, dass die analytischen Men-gen sich insbesondere dadurch auszeichnen, dass sie enorm starke Permanenzeigenschaftenerfüllen. So ist die Menge der analytischen Mengen in einem topologischen Raum bezüglichjeder abzählbaren Mengenoperation abgeschlossen. Dies ist der verbleibende Schritt für uns,

28

um Borel-Mengen in polnischen Räumen als analytisch zu identifizieren. Beweise hierzu findensich zum Beispiel in [Sch2, S. 139].

Lemma 3.21. Sei (X, τ) ein topologischer Raum, An ⊆ X für alle n ∈ N analytisch. Danngilt:

(i)⋃

n∈N An ist analytisch.

(ii)⋂

n∈N An ist analytisch.

(iii)∏

n∈N An ist analytisch.

Beweis. Es seien für alle n ∈ N stetige Abbildungen fn : NN → X mit Bild fn = An gegeben.

(i) Definieref : N× NN → X

(n, σ) 7→ fn(σ).

Sei V ⊆ X offen. Dann ist f−1n (V ) für alle n ∈ N offen. Dann ist

f−1(V ) =⋃n∈N

{n} × f−1n (V )

offen, also f stetig. Da nach Lemma 3.11 N × NN polnisch ist, ist f(N × NN) =⋃

n∈NAn nach

Lemma 3.20 analytisch.

(ii) DefiniereF : (NN)N → X

(σn)n∈N 7→ f1(σ1).

F ist stetig. Weiterhin sei

4 := {(σn)n∈N ∈ (NN)N | ∀n ∈ N : f1(σ1) = fn(σn)}.

Es ist 4 abgeschlossen in (NN)N:

Sei (ρk)k∈N eine Folge in 4 mit limk→∞ ρk = ρ∞ ∈ (NN)N. Wir nehmen an, es gibt ein n ∈ Nmit f1(ρ∞,1) 6= fn(ρ∞,n). Dann existieren offene disjunkte Mengen U, V in X mit f1(ρ∞,1) ∈ U

und fn(ρ∞,n) ∈ V . Wir definieren für alle m ∈ N

Um :=

f−11 (U), m=1;

f−1n (V ), m=n;

NN, sonst.

Dann ist∏

m∈N Um eine offene Umgebung von ρ∞. Deshalb existiert nun ein k ∈ N mitρk ∈

∏m∈N Um. Dann ist

f1(ρk,1) ∈ U und fn(ρk,n) ∈ V,

29

d.h.f1(ρk,1) 6= fn(ρk,n)

im Widerspruch zu ρk ∈ 4. Damit ist 4 abgeschlossen.

Wir zeigen nun noch, dass

F (4) =∞⋂

n=1

An

ist, denn dann ist⋂

n∈NAn mit Lemma 3.20 analytisch.

” ⊆ ” : Sei x ∈ F (4). Dann existiert ein (σn)n∈N ∈ (NN)N mit F ((σn)n∈N) = x = f1(σ1).Dann ist f1(σ1) = fn(σn), somit x ∈ An für jedes n ∈ N.

” ⊇ ” : Sei x ∈⋂

n∈NAn. Dann existiert für jedes n ∈ N ein σn ∈ NN mit fn(σn) = x. Dann ist

F ((σn)n∈N) = f1(σ1) = x, somit x ∈ F (4).

(iii) Definiere

f : (NN)N →∞∏i=1

X, (σn)n∈N 7→ (fn(σn))n∈N .

Dann ist f stetig und Bild f =∞∏i=1

Ai. Da (NN)N polnisch ist, ist somit∞∏i=1

Ai analytisch. �

Zusammenfassend erhalten wir also:

Korollar 3.22. Jede Borel-Menge in einem polnischen Raum ist analytisch. Insbesondere istjede Borelteilmenge von NN analytisch.

Beweis. Nach Korollar 3.15 und Satz 3.19 sind die offenen und abgeschlossenen Mengen einespolnischen Raums analytisch. Da die analytischen Mengen nach Lemma 3.21 bzgl. abzählbarerSchnitte und Vereinigungen abgeschlossen sind, folgt somit mit Korollar 3.15 die Behauptung.Da nach Korollar 3.16 NN ein polnischer Raum ist, gilt der zweite Teil der Aussage. �

Da das Komplement einer Borel-Menge stets eine Borel-Menge ist, haben wir somit eine derbeiden Richtungen (und für uns die entscheidende!) des folgenden Satzes bewiesen. Wir for-mulieren ihn hier als Äquivalenz, beweisen ihn als solche aber erst später. Anzumerken ist,dass der Beweis der Rückrichtung technisch an dieser Stelle durchaus geführt werden könnte,sich jedoch aus Notationsgründen an einer späteren Stelle besser eingliedert.

Satz 3.23. (Suslins Satz) Eine Teilmenge eines polnischen Raums ist genau dann Borel, fallssie bi-analytisch ist.

Unser Ziel wird es also letztendlich sein, eine analytische Menge zu konstruieren, die nichtcoanalytisch ist. Wir werden diese Menge durch eine stetige Funktion vom Baire-Raum NN

aus parametrisieren. Der Graph dieser Funktion ist dann eine Borel-Menge. Wir werden diesen

30

dann in den R2 geeignet einbetten und erhalten damit unser gesuchtes Gegenbeispiel. Bevorwir mit der eigentlichen Konstruktion beginnen, werden wir zunächst allerdings noch dienotwendige Theorie für die abschließende Einbettung bereitstellen. Außerdem werden wir unszum Ende dieses Teils auch noch von der Existenz analytischer Mengen, die keine Borel-Mengen sind, überzeugen. Diesen Beweis werden wir allerdings nicht-konstruktiv führen.

31

4. Borel-Isomorphismen und Graphen Messbarer Funktionen

Im Mittelpunkt dieses Abschnitts stehen zwei Sätze. Einerseits zeigen wir hier, dass Gra-phen messbarer Funktionen Borel-Mengen sind. Andererseits beweisen wir das Borel-Isomor-phismuslemma, eine Folgerung aus dem Satz von Alexandroff-Hausdorff. Ein Borel-Isomor-phismus ist eine bijektive Funktion, die genau die Borel-Mengen auf Borel-Mengen abbildet.D.h. ein Borel-Isomorphismus stellt gegenüber dem Homöomorphismus eine Abschwächungdar, ist jedoch a priori ein stärkerer Begriff als der einer bijektiven Funktion.

Es stellt sich nun aber heraus, dass in polnischen Räumen die Borel-Isomorphismen genau diebijektiven Funktionen sind. Wir folgen in diesem Kapitel [Dudl, S.487ff] in seiner Argumen-tation.

4.1. Der Satz von Alexandroff-Hausdorff. Wir werden zunächst einige Vorbereitungentreffen, um dann den Satz von Alexandroff-Hausdorff zu beweisen. Der Satz wurde 1916 vonbeiden Mathematikern unabhängig voneinander bewiesen.

Definition 4.1. Eine Menge S in einem topologischen Raum heißt dicht in sich, falls für jedesx ∈ S und für jede Umgebung U von x gilt, dass (S ∩ U) \ {x} 6= ∅. Eine kompakte Menge,die in sich dicht ist, heißt perfekt.

Beispiel 4.2. {0, 1}N ist perfekt.

Beweis. Da {0, 1} kompakt ist, ist nach Tychonov somit {0, 1}N kompakt. Sei a ∈ {0, 1}N,U ⊆ {0, 1}N offene Umgebung von a, o.B.d.A. sei U =

∏n∈N

Un mit Un = {0, 1} für fast alle

n ∈ N. Sei m ∈ N mit Um = {0, 1}. Dann ist b : N → {0, 1}, b(n) = a(n) für alle n 6= m undb(m) = (1− a(m))2 in U , somit U \ {a} 6= ∅. �

Lemma 4.3. Sei (X, τX) ein perfekter topologischer Raum, (Y, τY ) ein topologischer Raum,f : X → Y stetig und bijektiv. Dann ist Y perfekt.

Beweis. Da X kompakt ist, ist Y kompakt. Sei y ∈ Y , Uy ∈ τY eine Umgebung von y. Nehmenwir an, dass Uy \ {y} = ∅ ist, so ist f−1(Uy) = {f−1(y)} offene Umgebung von f−1(y) in X,somit X nicht perfekt. �

Lemma 4.4. Sei X ein separabler metrischer Raum. Dann existiert eine abzählbare MengeC ⊆ X, so dass X \ C dicht in sich ist.

Beweis. Sei C die Menge aller y ∈ X, für die eine abzählbare Umgebung Uy existiert. Dannist {Uy | y ∈ Y } eine Überdeckung von C. Diese hat - da nach Lemma 3.3 eine abzählbareBasis der Topologie existiert - somit eine abzählbare Teilüberdeckung. Somit ist C abzählbarund nach Definition von C ist X \ C dicht in sich. �

32

Lemma 4.5. Seien X, Y Metrische Räume, σ1, σ2 ∈ X mit σ1 6= σ2, f : X → Y stetig undinjektiv. Dann existieren abgeschlossene Mengen F1, F2 ⊆ X mit σ1 ∈ int(F1), σ2 ∈ int(F2)und f(F1) ∩ f(F2) = ∅.

Beweis. Sei ε := d(f(σ1), f(σ2)). Dann existiert δ > 0 mit f(KX(σi, δ)) ⊆ KY (f(σi), ε3),

i ∈ {1, 2}. Dann ist

σi ∈ KX(σi,δ

2) ⊆ int(KX(σi, δ)), i ∈ {1, 2}.

Setze Fi := KX(σi, δ), i ∈ {1, 2}.

Angenommen, es existiert y ∈ f(F1) ∩ f(F2). Dann existiert xi ∈ Fi mit d(f(xi), y) < ε6 ,

i ∈ {1, 2}. Dann gilt:

d(f(σ1), f(σ2)) ≤ d(f(σ1), f(x1)) + d(f(x1), y) + d(y, f(x2)) + d(f(x2), f(σ2)) < ε.

Widerspruch, somit f(F1) ∩ f(F2) = ∅. �

Wir werden nun den berühmten Satz von Alexandroff und Hausdorff formulieren und beweisen.Er wurde 1916 unabhängig von beiden Mathematikern bewiesen. Interessant hierbei ist, dassAlexandroff ebenso wie Suslin ein Schüler des russischen Mathematikers Lusin war. Für denBeweis benötigen wir nicht die Kontinuumshypothese.

Satz 4.6. (Alexandroff-Hausdorff) Jede überabzählbare Borel-Menge B in einem polnischenRaum enthält eine perfekte Menge C, die homöomorph zur Menge {0, 1}N ist.

Beweis. Da jede Borel Menge analytisch ist, existiert eine stetige Funktion f : NN → B diesurjektiv ist. Wähle für jedes y ∈ B ein σy ∈ NN mit f(σy) = y. Sei A := {σy : y ∈ B} ⊆ NN.Es ist f |A bijektiv und stetig. Wir wählen nun nach Lemma 4.4 eine abzählbare Menge C, sodass A := A \ C dicht in sich ist. Dann ist f |A injektiv und stetig.

Wir werden nun eine stetige injektive Funktion g : {0, 1}N → A ⊆ NN konstruieren. Mittelsf ◦ g erhalten wir dann einen Homöomorphismus von {0, 1}N nach Bild f ◦ g.

Seien σ0, σ1 ∈ A mit σ0 6= σ1. Dann existieren nach Lemma 4.5 abgeschlossene disjunkteMengen F0, F1 ⊆ A mit σ0 ∈ int(F0) und σ1 ∈ int(F1), so dass f(F0) ∩ f(F1) = ∅. Nachunserer Definition von A ist int(F0) überabzählbar.

Dadurch können wir nun analog σi0, σi0 ∈ int(Fi) mit σi0 6= σi1 zu jedem i ∈ {0, 1} wählenund erhalten dann mit Lemma 4.5 jeweils zwei abgeschlossene disjunkte Mengen Fi0, Fi1 ⊆ Fi

mit nicht-leerem Inneren und f(Fi0)∩f(Fi1) = ∅. Da A dicht in sich ist, erhalten wir induktiv

33

so zu jedem m ∈ N abgeschlossene Mengen Fi(1)i(2)...i(m) mit nicht-leerem Inneren, wobeii(k) ∈ {0, 1} für jedes k ∈ m ist und folgende Eigenschaften gelten:

Fi(1)i(2)...i(m) ⊆ Fi(1)...i(m−1)

Fi(1)...i(m−1)0 ∩ Fi(1)...i(m−1)1 = ∅

f(Fi(1)...i(m−1)0) ∩ f(Fi(1)...i(m−1)1 = ∅.

Weiterhin sei o.B.d.A. diam(Fi(1)...i(m)) ≤ 1m für jedes m ∈ N.

Dann enthält für jedes ι ∈ {0, 1}N der Schnitt⋂

n∈NFι(1)...ι(n) genau ein Element. Wir bezeichnen

es mit g(ι). Auf diese Weise erhalten wir eine Funktion g : {0, 1}N → A.

Wir zeigen, dass g injektiv und stetig ist:

Sind ι, ι ∈ {0, 1}N, ι 6= ι, existiert ein m ∈ N mit ι(m) 6= ι(m). Dann ist Fι(1)...ι(m) 6= Fι(1)...ι(m),somit

⋂n∈N

Fι(1)...ι(n) 6=⋂

n∈NFι(1)...ι(n). Somit ist g injektiv.

Sei ε > 0. Wir zeigen nun noch die Stetigkeit von g in ι. Sei n0 ∈ N mit

diam(Fι(1)...ι(n0)) <1n0

< ε.

Wir definierenU := {ι ∈ {0, 1}N | ∀n ≤ n0 : ι(n) = ι}.

Dann ist U offen und g(ι) ∈ Fι(1)...ι(n0), d.h. d(g(ι), g(ι)) < 1n0

< ε.

Somit ist also ebenfalls f ◦g bijektiv und stetig von {0, 1}N auf Bild f ◦g. Da {0, 1}N kompaktund Bild f ◦ g insbesondere Hausdorff, ist nach Lemma 2.13 f ◦ g ein Homöomorphismus aufdas Bild. Da {0, 1}N - wie im Beispiel gezeigt - perfekt ist, ist das Bild von f ◦ g perfekt nachLemma 4.3. �

4.2. Borel-Isomorphismen. Wir werden nun mit Hilfe des Satzes von Alexandroff-Hausdorffdas Borel-Isomorphismuslemma beweisen. Hierzu definieren wir zunächst einen Borel-Isomor-phismus.

Definition 4.7. Zwei Maß-Räume (X,B), (Y, C) heißen Maß-isomorph, falls eine bijektiveFunktion f : X → Y existiert, so dass f und f−1 messbar sind.

Zwei topologische Räume (X, τX) und (Y, τY ) heißen Borel-isomorph, insofern sie mit ihrenσ-Algebren der Borel-Mengen Maß-isomorph sind. Wir schreiben hierfür X ∼ Y .

Bemerkung 4.8. (i) Ist M eine Menge topologischer Räume, dann ist ∼ eine Äquivalenzrelationauf M .

(ii) Sind (X, τX), (Y, τY ) topologische Räume und f : X → Y homöomorph, dann ist f einBorel-Isomorphismus.

34

Lemma 4.9. Sei X polnischer Raum, A ⊆ B ⊆ C ⊆ X Borel-Mengen. Gilt jeweils mit derinduzierten Topologie A ∼ C, so auch A ∼ B.

Beweis. Setze A0 := A, D0 := C \A. Wähle einen Borel-Isomorphismus

f0 : A0 → C = A0 ∪D0.

Wir definieren nun rekursiv für jedes n ∈ N0 disjunkte Borel-Mengen

An+1 := f−1n (An) = f−1

0 (An),

Dn+1 := f−1n (Dn) = f−1

0 (Dn)

und fn+1 := fn |An+1 . Dann sind An+1 und Dn+1 disjunkte Borel-Mengen und

fn+1 : An+1 → An+1 ∪Dn+1

ist als Einschränkung eines Borel-Isomorphismus ein Borel-Isomorphismus auf sein Bild.

Es sei E :=⋂

n∈NAn. Dann ist E Borel und E,Dn, n ∈ N0, sind paarweise disjunkte Borel-

Mengen mit A = E ∪⋃

n≥0Dn, da Dn ⊆ An−1 für jedes n ∈ N ist .

Bezeichnen wir nun mit F0 := C \ B und G0 := B \ A liefert die Zerlegung D0 = F0 ∪ G0

mittels Fn = f−10 (Fn−1) und Gn = f−1

0 (Gn−1) eine Zerlegung Dn = Fn ∪ Gn in disjunkteBorel-Mengen, so dass sowohl Fn ∼ Fn+1 als auch Gn ∼ Gn+1 für alle n ∈ N gilt.

Dann ist

C = E ∪⋃n≥0

Dn = E ∪⋃n≥0

Fn ∪⋃n≥0

Gn

∼ E ∪⋃n≥1

Fn ∪⋃n≥0

Gn = C \ F0 = B.

Somit ist A ∼ C ∼ B. �

Lemma 4.10. Es gibt Borel-Mengen B ⊆ {0, 1}N und C ⊆ {0, 1}N mit B ∼ [0, 1] undC ∼ [0, 1]N.

Beweis. (i) Wir bezeichnen mit B die Menge aller Folgen (xn)n∈N ∈ {0, 1}N, so dass entwederxn = 1 für alle n ∈ N oder xn = 0 für unendlich viele n. Dann ist {0, 1}N \B abzählbar, alsoBorel. Definieren wir nun f : B → [0, 1], (xn)n∈N 7→

∑n∈N

xn2n , dann ist f bijektiv auf [0, 1]:

Injektivität: Seien (xn)n∈N, (yn)n∈N ∈ B mit xn 6= yn für ein n ∈ N. Sei n0 := min{n ∈ N :xn 6= yn}, o.B.d.A. xn0 = 1 Dann gilt:

∣∣∣∣∣∑n∈N

xn

2n−∑n∈N

yn

2n

∣∣∣∣∣ =∣∣∣∣∣∣∑

n∈N≥n0

xn − yn

2n

∣∣∣∣∣∣ =∣∣∣∣∣∣ 12n0

+∑

n∈N>n0

xn − yn

2n

∣∣∣∣∣∣ > 0,

35

da xn, yn = 0 für unendlich viele n ∈ N. Also ist f((xn)n∈N) 6= f((yn)n∈N).

Surjektivität: Sei x ∈ [0, 1]. Ist x = 1, dann ist f((1)n∈N) = x. Sei also x < 1.

Definiere nun induktiv x1 = 1, falls x ≥ 12 , x1 = 0 sonst. Dann ist 1

21 > x− x121 ≥ 0.

Sei n ∈ N, x1, . . . , xn ∈ {0, 1} mit

12n

> x−∑k≤n

xk

2k≥ 0 (∗) .

Ist x <∑k≤n

xk

2k + 12n+1 , dann ist mit xn+1 := 0

0 ≤ x−∑

k≤n+1

xk

2k<

12n+1

.

Ist x ≥∑k≤n

xk

2k + 12n+1 , dann ist mit xn+1 := 1

0 ≤ x−∑

k≤n+1

xk

2k<

12n+1

.

Somit erhalten wir eine Folge (xn)n∈N mit der Eigenschaft, dass die Bilder unter f gegen x

konvergieren. Ist x = 1, dann ist xn = 1 für alle n ∈ N. Sei also x 6= 1. Wir werden nun zeigen,dass xn = 0 für unendlich viele n ∈ N ist. Denn damit ist f surjektiv:

Angenommen, es existiert ein n0 ∈ N, so dass xn = 1 für alle n ≥ n0 ist. Dann ist

x =∑n≤n0

xn

2n+∑n>n0

xn

2n=∑n≤n0

xn

2n+∑n>n0

12n

=∑n≤n0

xn

2n+

12n0

.

Damit ist x−∑

n≤n0

xn2n = 1

2n0 im Widerspruch zu (∗).

Um die Stetigkeit von f zu erhalten, betrachten wir die Folge

fn : {0, 1}N → [0, 1], (xk)k∈N 7→∑k≤n

xk

2k.

Da fn für jedes n ∈ N stetig ist, ist somit f als gleichmäßiger Limes stetiger Funktionen stetig.

Wir definieren nun noch gn : [0, 1] → {0, 1}N für jedes n ∈ N durch

gn(x) =((f−1(x))(1), (f−1(x))(2), . . . , (f−1(x))(n), 0, . . .

).

Dann ist für jedes n ∈ N die Funktion gn Borel-messbar und f−1 ist der punktweise Grenzwertder Folge (gn)n∈N.

(ii) Nach (i) sind BN ∼ [0, 1]N. Weiterhin ist

({0, 1}N)N = (∏n∈N

{0, 1})N =∏m∈N

∏n∈N

{0, 1} =∏

(m,n)∈N×N

{0, 1} = {0, 1}N×N

36

und damit {0, 1}N homöomorph zu ({0, 1}N)N nach Proposition 2.20. Somit ist BN ∼ [0, 1]N.�

Wir können nun einen wunderbaren Charakterisierungssatz für polnische Räume beweisen.Diese sind - bis auf Homöomorphie - nämlich genau die Gδ Mengen des Hilbertwürfels (manbeachte, dass Gδ Mengen in polnischen Räumen nach Satz 3.11 polnisch sind).

Satz 4.11. Sei X polnischer Raum mit Metrik d, C ⊆ X Borel. Dann existieren Borel-MengenA ⊆ B ⊆ [0, 1]N mit C ∼ A und X ∼ B.

Hierbei ist B sogar eine Gδ Menge in [0, 1]N.

Beweis. (i) Wir zeigen zunächst: X ist homöomorph zu einer Borel-Teilmenge von B ⊆ [0, 1]N.

Sei (xn)n∈N eine dichte Folge in X. Nach Lemma 2.16 können wir davon ausgehen, dass d

durch 1 beschränkt ist. Definiere f : X → [0, 1]N, x 7→ (d(x, xn))n∈N.

Dann ist f injektiv: Sind x, y ∈ X mit x 6= y, dann existiert ein ε > 0, so dass die Kugeln mitRadius ε um x und y disjunkt sind. Da (xn)n∈N dicht in X ist, existiert somit ein n ∈ N mitxn ∈ Kx(x, ε) und damit xn /∈ KX(y, ε). Also ist

d(x, xn) < ε < d(y, xn)

und damit f injektiv.

Weiterhin ist f stetig, da sämtliche Koordinatenfunktionen stetig sind.

Es genügt somit zu zeigen, dass die Abbildung offen ist:

Sei (yk)k∈N ∈ f(X)N eine konvergente Folge mit limk→∞ yk = y∞ ∈ f(X)N. Dann existierteine Folge (pk)k∈N ∈ XN mit f(pk) = yk und p∞ ∈ X mit f(p∞) = y∞.

Wir zeigen:lim

k→∞f−1(yk) = lim

k→∞pk = p∞ = f−1(y∞).

Sei ε > 0, n ∈ N mit d(xn, p∞) < ε4 . Dann existiert ein k0 ∈ N, so dass für alle k ∈ N≥k0 nach

der Definition der Metrik auf [0, 1]N gilt:

∑m∈N

|d(pk, xm)− d(p∞, xm)|2m

2n+2.

Sei k ∈ N≥k0 . Dann ist

d(pk, xn)− d(p∞, xn)2n

≤ |d(pk, xn)− d(p∞, xn)|2n

2n+2,

alsod(pk, xn) <

ε

4+ d(p∞, xn) <

ε

2.

37

Dann gilt:

d(pk, p∞) ≤ d(pk, xn) + d(xn, p∞) <ε

2+

ε

4< ε.

Somit ist limm→∞

pm = p∞.

Somit sind X und f(X) homöomorph bzgl. der Teilraumtopologie von f(X). Es bleibt somitzu zeigen, dass f(X) eine Borel-Menge in [0, 1]N ist.

(ii) Nach Proposition 2.21 und Korollar 2.22 finden wir mittels f auf f(X) eine Metrik diekompatibel mit der Teilraumtopologie ist und durch die f(X) zu einem vollständigen metri-schen Raum wird. Damit ist f(X) topologisch vollständig und wir erhalten mit Satz 2.24, dassf(X) eine Borel-Menge in f(X) ist; genauer gesagt existieren in f(X) offene Un, n ∈ N mit⋂

n∈N Un = f(X). Dann existieren nach der Definition der Teilraumtopologie in [0, 1]N offeneMengen Un, n ∈ N mit Un = Un ∩ f(X). Dann ist

f(X) =⋂n∈N

Un =⋂n∈N

Un ∩ f(X)

Borel-Menge in [0, 1]N. Da nach Lemma 2.27 f(X) eine Gδ Menge in [0, 1]N ist, ist insbesonderef(X) = B eine solche.

(iii) Nach (i) und (ii) existiert eine Borel-Menge B ⊆ [0, 1]N und ein Homöomorphismusg : X → B. Dann ist A := g(C) ⊆ B eine Borel-Menge und homöomorph zu C, somitinsbesondere Borel-Isomorph. �

Wir kommen nun zu dem Hauptresultat dieses Kapitels. Man beachte, dass wir auch für diesenBeweis die Kontinuumshypothese nicht verwenden.

Satz 4.12. Seien X und Y zwei polnische Räume.

Dann sind X und Y Borel-isomorph genau dann, wenn X und Y die gleiche Mächtigkeithaben, die entweder endlich, abzählbar oder c beträgt (wobei c = card[0, 1] die Mächtigkeit desKontinuums ist).

Beweis. ” ⇒ ” : Sind X und Y Borel-isomorph, existiert eine bijektive Abbildung zwischenbeiden, d.h. sie sind gleichmächtig.

” ⇐ ” : Seien X, Y gleichmächtig. Ist X abzählbar, so enthält die σ-Algebra der Borel-Mengenalle Mengen, somit sind X und Y Borel-isomorph.

Sei also X überabzählbar. Nach Satz 4.11 existiert eine Borel-Menge H ⊆ [0, 1]N mit X ∼ H.Weiterhin existiert nach Lemma 4.10 eine Borel-Menge D ⊆ {0, 1}N mit D ∼ [0, 1]N. Damitexistiert eine Borel-Menge D ⊆ D mit D ∼ H ∼ X.

38

Da D überabzählbar ist, gibt es nach dem Satz von Alexandroff-Hausdorff eine Borel-MengeA mit {0, 1}N ∼ A ⊆ D ⊆ {0, 1}N. Damit ist D ∼ {0, 1}N nach Lemma 4.9, also X ∼ {0, 1}N.

Da Y gleichmächtig ist, ist analog Y ∼ {0, 1}N. Hieraus erhalten wir X ∼ Y .

Da {0, 1}N und [0, 1] nach Lemma 3.13, Lemma 4.10 und dem Satz von Bernstein gleichmächtigsind, haben X und Y die Kardinalität des Einheitsintervalls. �

Man kann also sagen, dass es bis auf Borel-Isomorphie höchstens einen polnischen Raumvon einer vorgegebenen abzählbaren oder überabzählbaren Mächtigkeit gibt. Da ein überab-zählbarer polnischer Raum immer gleichmächtig zum Einheitsintervall ist, haben wir somitinsbesondere die “Kontinuumshypothese für polnische Räume” bewiesen.

4.3. Graphen Borel-messbarer Funktionen. Um das Borel-Isomorphismuslemma anwen-den zu können, müssen wir uns zuletzt davon überzeugen, dass Graphen messbarer FunktionBorel-Mengen sind. Dazu beweisen wir folgenden Satz:

Satz 4.13. Seien X, Y polnische Räume und f eine Borel-messbare Funktion von X nach Y .Dann ist der Graph von f eine Borel-Menge in X × Y .

Beweis. Sei (Vn)n∈N eine Basis der Topologie von Y , d eine kompatible Metrik für die Topologievon Y . Wir behaupten zunächst

(4.1) ∀x ∈ X∀y ∈ Y : (x, y) ∈ graph(f) ⇔ [∀n ∈ N : y ∈ Vn ⇒ f(x) ∈ Vn] .

Hierbei ist ” ⇒ ” klar. Wir zeigen ” ⇐ ” per Kontraposition:

Sind x ∈ X, y ∈ Y , mit f(x) 6= y, so ist d(y, f(x)) > 0, d.h. es existiert ein n ∈ N mit y ∈ Vn

und f(x) /∈ Vn. Damit gilt (4.1).

Daraus folgt nun:

graph(f) =⋂n∈N

{(x, y) ∈ X × Y | y ∈ Vn ⇒ f(x) ∈ Vn}

=⋂n∈N

{(x, y) ∈ X × Y | y /∈ Vn ∨ f(x) ∈ Vn}

=⋂n∈N

{(x, y) ∈ X × Y | y /∈ Vn ∨ x ∈ f−1(Vn)}

=⋂n∈N

X × (Y \ Vn) ∪ f−1(Vn)× Y

eine Borel-Menge, da für jedes n ∈ N sowohl X × (Y \ Vn), als auch f−1(Vn)× Y eine Borel-Menge ist. �

39

Hieraus erhalten wir folgende Ergänzung zur Darstellung analytischer Mengen:

Lemma 4.14. Sei Y ein polnischer Raum, ∅ 6= A ⊆ Y . Dann sind äquivalent:

(i) Es existiert eine stetige surjektive Funktion f : NN → A.

(ii) Es existiert eine Borel-messbare surjektive Funktion f : NN → A.

(iii) Es existiert ein polnischer Raum X und eine stetige surjektive Funktion f : X → A.

(iv) Es existiert ein polnischer Raum X und eine Borel-messbare surjektive Funktion f : X →A.

(v) Es existiert ein polnischer Raum X und eine Borel-Menge B ⊆ X und eine stetige surjek-tive Funktion f : B → A.

(vi) Es existiert ein polnischer Raum X und eine Borel-Menge B ⊆ X und eine Borel-messbaresurjektive Funktion f : B → A.

Beweis. (i) ⇒ (ii), (iii) ⇒ (iv) und (v) ⇒ (vi) sind trivial, da jede stetige Funktion Borel-messbar ist. Da NN ein polnischer Raum nach Korollar 3.16 ist, gilt (i) ⇒ (iii) und (ii) ⇒(iv). Da jeder polnische Raum X in sich abgeschlossen und somit eine Borel-Menge ist, gilt(iii) ⇒ (v) und (iv) ⇒ (vi). Es genügt somit, dass wir (vi) ⇒ (i) zeigen:

Sei X ein polnischer Raum, B ⊆ X eine Borel-Menge und f : B → Y eine Borel-messbareFunktion mit f(B) = A. Sei c ∈ A,

f : X → A, x 7→

{f(x) falls x ∈ B

c falls x ∈ X \B.

Dann ist f surjektiv auf A und Borel-messbar.

Es ist X×Y ein polnischer Raum. Nach Lemma 4.13 ist {(x, f(x)) : x ∈ X} eine Borel-Mengein Y und damit nach Korollar 3.22 analytisch. Sei π2 : X×Y → X, (x, y) 7→ y die Projektionauf die zweite Komponente, h : NN → {(x, f(x)) : x ∈ X} stetig und surjektiv. Dann ist(π2 ◦ h)(NN) = A, also A analytisch. �

Hiermit haben wir letztendlich unsere Definition des Begriffs der analytischen Menge geeignetgerechtfertigt, indem wir jedes stetige (oder sogar Borel-messbare) Bild einer Borel-Menge alsanalytisch erkannt haben. Somit sind insbesondere Bilder von Projektionen von Borel-Mengenanalytisch.

40

5. Analytische Mengen in überabzählbaren polnischen Räumen

Wir werden zum Ende dieses Teils zeigen, dass in jedem überabzählbaren polnischen Raumanalytische Mengen existieren, die keine Borel-Mengen sind. Mit diesem Beweis werden wirzeigen, dass Lebesgues Behauptung falsch ist. Allerdings ist dieser Beweis wenig konstruktiv,weshalb wir im zweiten Teil ein konkreteres Beispiel angeben werden.

Wir werden für den Existenzbeweis das Konzept der universellen Mengen nutzen.

Definition 5.1. Seien X, Y Mengen, S ⊆ X × Y . Weiterhin sei

Sy := {x ∈ X | (x, y) ∈ S}

für jedes y ∈ Y definiert. Sei C eine Menge von Teilmengen von X. S heißt universell für C,falls {Sy : y ∈ Y } = C ist.

Zunächst werden wir zeigen, dass man offene und abgeschlossene Mengen in polnischen Räu-men durch universelle Mengen darstellen kann.

Lemma 5.2. Sei (X, τ) ein polnischer Raum.

(i) Es existiert eine offene Menge U ⊆ X × NN die universell für die Topologie von τ ist.

(ii) Es existiert eine abgeschlossene Menge F ⊆ X × NN, die universell für die Menge derabgeschlossenen Mengen von X ist.

Beweis. (i) Sei (Un)n∈N eine abzählbare Basis von τ , U0 := U1 := ∅. Sei

U :=⋃

k,n∈NUn × {σ ∈ NN | σk = n + 1}.

Dann ist U offen in X × NN. Ist σ ∈ NN, dann ist

Uσ = {x ∈ X | (x, σ) ∈ U}

= {x ∈ X | ∃k ∈ N ∃n ∈ N : x ∈ Un ∧ σk = n + 1}

= {x ∈ X | ∃k ∈ N : x ∈ Uσk−1}

=⋃k∈N

Uσk−1

offen.

41

Ist andererseits ∅ 6= V ∈ τ , dann existiert nach der Basiseigenschaft der Topologie eine FolgeUnk

, k ∈ N, mit⋃

k∈N Unk= V . Definieren wir σ(k) := nk + 1 für jedes k ∈ N, dann ist

Uσ = {x ∈ X : ∃n ∈ N ∃k ∈ N : σk = n + 1 ∧ x ∈ Un}

= {x ∈ X : ∃k ∈ N : x ∈ Uσk−1}

= {x ∈ X : ∃k ∈ N : x ∈ Unk}

=⋃k∈N

Unk.

Außerdem ist U(1,1,...) = ∅.

Somit ist U universell für τ .

(ii) Wir definieren F := (X × NN) \ U .

Zu gegebenem σ ∈ NN ist

Fσ = {x ∈ X | (x, σ) ∈ F}

= {x ∈ X | (x, σ) /∈ U}

= X \ Uσ

abgeschlossen.

Analog existiert zu einer gegebenen abgeschlossenen Menge A ⊆ X ein σ ∈ NN mit Uσ = X\A.Damit ist Fσ = A. �

Dieses Resultat lässt sich analog für die analytischen Mengen definieren.

Lemma 5.3. Sei X ein polnischer Raum. Dann existiert eine analytische Menge A ⊆ X×NN

die universell für die Menge der analytischen Mengen in X ist.

Beweis. Sei F ⊆ [X ×NN]×NN eine abgeschlossene Menge, die universell für die abgeschlos-senen Mengen von X × NN ist. Sei f : X × NN × NN → X × NN, (x, σ, ρ) 7→ (x, ρ). Dann istA := f(F ) analytisch.

Für jedes ρ ∈ NN ist

(∗) Aρ = {x ∈ X : (x, ρ) ∈ A}

= π1({(x, σ) ∈ X × NN : (x, σ, ρ) ∈ F})

= π1(Fρ),

wobei π1 X × NN → X die Projektion auf die 1. Komponente bezeichne. Damit sind alle Aρ

analytische Mengen nach Lemma 3.20. Wir werden nun noch zeigen, dass wir alle analytischenMengen von X auf diese Weise darstellen können.

Zunächst existiert ein ρ ∈ NN mit Fρ = ∅ und damit also mit (∗) ∅ = Aρ gilt.

42

Ist ∅ 6= AX ⊆ X analytisch, existiert eine stetige surjektive Funktion g : NN → AX , somit ist

{(g(σ), σ) : σ ∈ NN} =: g−

abgeschlossen in X × NN. Da F universell für die abgeschlossenen Mengen in X × NN ist,existiert ein ρ ∈ NN mit Fρ = g−. Nach der Definition von g und mit (∗) ist π1(g−) = AX . �

Nun können wir die Existenz analytischer Mengen beweisen, die nicht Borel-Mengen sind. Wirführen dies zunächst nur in NN durch, lösen uns aber mittels des Borel-Isomorphismus schnellwieder von dieser Einschränkung.

Satz 5.4. In NN existiert eine analytische Menge, die keine Borel-Menge ist.

Beweis. Sei C ⊆ NN ×NN eine analytische Menge, die universell für die analytischen Mengenin NN ist. Sei 4 := {(σ, σ) ∈ NN × NN}. Da 4 als abgeschlossene Menge analytisch ist, istsomit C ∩4 analytisch nach Lemma 3.21.

Nun ist A := π1(C ∩ 4) analytisch, wobei π1 : NN × NN → NN die natürliche Projektion ist.Wir werden zeigen, dass NN \A =: Ac nicht analytisch ist. Damit ist nach Suslins Satz A keineBorel-Menge.

Angenommen, Ac wäre analytisch. Dann existiert ein ρ ∈ NN mit Cρ = Ac. Dann ist σ /∈ A,genau dann wenn (σ, ρ) ∈ C ist. Wir führen eine Fallunterscheidung durch:

1. Fall: ρ /∈ A. Dann ist (ρ, ρ) ∈ C, also in C ∩4 und damit ρ ∈ A.

2. Fall: ρ ∈ A. Dann ist (ρ, ρ) /∈ C, also (ρ, ρ) /∈ C ∩4 und damit ρ /∈ A.

In beiden Fällen erhalten wir einen Widerspruch, somit ist Ac nicht analytisch. �

Korollar 5.5. In jedem überabzählbaren polnischen Raum X existiert eine analytische MengeA, die keine Borel-Menge ist.

Beweis. Nach dem Satz 4.12 existiert ein Borel-Isomorphismus f von NN nach X. Außerdemexistiert nach Satz 5.4 eine analytische Menge A ⊆ NN, die keine Borel-Menge ist. Dann istf(A) =: A eine analytische Menge und nicht Borel (ansonsten wäre f−1(A) Borel). �

Wir zeigen nun, dass Lebesgues Behauptung falsch ist. Wir werden diese Aussage im zweitenTeil erneut beweisen, diesmal allerdings mit einem konkreten Beispiel.

Korollar 5.6. (Lebesgues Irrtum, Qualitative Fassung) Es gibt eine Borel-Menge B ⊆ R2,so dass π2(B) keine Borel-Menge ist, wobei π2 : R2 → R, (x, y) 7→ y die Projektion auf die2.Koordinate bezeichnet.

43

Beweis. Da R überabzählbar ist, existiert nach Korollar 5.5 eine analytische Menge A ⊆ R,die keine Borel-Menge ist. Dann existiert eine stetige Surjektion f : NN → A. Nach demBorel-Isomorphismuslemma, existiert ein Borel-Isomorphismus h : R → NN. Dann ist h ◦ f

Borel-messbar, also ist mit Satz 4.13 graph(h ◦ f) eine Borel-Menge im R2.

Nun ist aber π2(graph(h ◦ f)) = A keine Borel-Menge.

44

Teil 2. Konstruktion des Gegenbeispiels

Nachdem wir uns zum Ende des ersten Teils von der Existenz analytischer nicht-Borel-Mengenin überabzählbaren polnischen Räumen überzeugt haben, werden wir in diesem Teil eine analy-tische Menge in einem polnischen Raum konstruieren, die keine Borel-Menge ist. Um letztereszu zeigen, werden einige Mittel aus der Logik vonnöten sein, weshalb wir zunächst mit einemAbschnitt über Ordnungen und Ordinalzahlen starten.

6. Ordnungen und Ordinalzahlen

Innerhalb dieses Abschnitts wird nun eine Einführung in die Lehre der Ordinalzahlen gegeben.Um diese studieren zu können, benötigen wir einige Grundbegriffe bzgl. Ordnungen.

6.1. Ordnungen. Wir werden feststellen, dass wir zwei verschiedene Ordnungskonzepte ver-wenden können, nämlich einerseits die strikte Ordnung, die den Gleichheitsfall ausschließt,und andererseits die “Gleichordnung”, bei der gleiche Elemente stets miteinander in Relati-on stehen. Diese Konzepte sind allerdings insofern miteinander verträglich, als dass sich dieGleichordnung als die disjunkte Vereinigung der strikten Ordnung mit der Gleichheit ergibt.

Wir werden deshalb beide Ordnungstypen einführen, um beide wahlweise verwenden zu kön-nen.

Definition 6.1. Sei P eine Menge, <,≤⊆ P × P .

(i) (P,<) heißt strikte Partialordnung falls gilt:

(a)∀x ∈ P : (x, x) /∈< (Irreflexivität)

(b)∀x, y, z ∈ P : (x, y) ∈< ∧(y, z) ∈<⇒ (x, z) ∈< (Transitivität).

Des Weiteren nennen wir (P,<) total, oder totale strikte Ordnung, falls zusätzlich die Tricho-tomie erfüllt ist:

(c)∀x, y ∈ P : x = y ∨ x < y ∨ y < x.

(ii) (P,≤) heißt partielle Gleichordnung falls gilt:

(a)∀x ∈ P : (x, x) ∈≤ (Reflexivität)

(b)∀x, y ∈ P : (x, y) ∈≤ ∧ (y, x) ∈≤⇒ x = y (Antisymmetrie)

(c) ≤ ist transitiv.

Ebenso nennen wir ≤ totale Gleichordnung falls die Trichotomie erfüllt ist.

45

Bemerkung 6.2. (i) Eine strikte Partialordnung ist stets antisymmetrisch, d.h. insbesonderegilt

∀x, y ∈ P : ¬(x < y ∧ y < x).

(ii) Eine partielle Gleichordnung (P,≤) ist genau dann total, wenn gilt:

∀x, y ∈ P : x ≤ y ∨ y ≤ x.

Lemma 6.3. (i) Ist (P,<) eine strikte Partialordnung, dann ist (P,≤) mit

≤:=< ∪{(x, x) : x ∈ P}

eine partielle Gleichordnung. Ist (P,<) total, dann auch (P,≤).

(ii) Ist (P,≤) eine partielle Gleichordnung, dann ist (P,<) mit <:=≤ \{(x, x) : x ∈ P} einestrikte Partialordnung. Ist (P,≤) total, dann auch (P,<).

Beweis. (i) Es ist ≤ transitiv und reflexiv. Seien x, y ∈ P mit (x, y), (y, x) ∈≤. Wäre x 6= y,wäre x < y und y < x im Widerspruch zur Transitivität. Somit ist (P,≤) eine partielleGleichordnung.

Sei nun (P,<) total und seien erneut x, y ∈ P . Dann ist x < y, y < x oder x = y. Somit istalso x ≤ y oder y ≤ x und damit (P,≤) total.

(ii) Nach Definition ist < irreflexiv und transitiv. Wie in (i) erkennt man, dass (P,<) totalist, falls (P,≤) dies ist. �

Wir werden nun diese Konzepte nutzen, um die Ordinalzahlen einzuführen.

Definition 6.4. Eine Menge A heißt transitiv, falls jedes Element von A Teilmenge von A

ist, d.h.∀x ∈ A : x ⊆ A.

Lemma 6.5. Eine Menge A ist genau dann transitiv, wenn gilt:

∀x ∈ A∀y ∈ x : y ∈ A.

Beweis. ” ⇒: ” Sei x ∈ A, y ∈ x. (Ist x = ∅, dann ist nichts zu zeigen.) Dann ist x ⊆ A, alsoy ∈ A.

” ⇐: ” Sei x ∈ A. Für alle y ∈ x gelte y ∈ A. Dann ist x =⋃

y∈x{y} ⊆ A, also x ⊆ A. �

Mit diesem Lemma erhält man sofort die Transitivität von (ii) des folgenden

Beispiel 6.6. (i) Ist M eine Menge von Mengen, dann ist ⊆ eine partielle Gleichordnung aufM .

(ii) Ist M transitiv, dann ist ∈ eine strikte Ordnung auf M .

46

Im Allgemeinen müssen nun Mengen von Mengen bezüglich⊆ nicht total geordnet sein. Dies istjedoch immer der Fall, wenn für jedes A ⊆ M der Schnitt

⋂A := {x ∈ M | ∀B ∈ A : x ∈ B}

in M ist. In diesem Fall handelt es sich bei⋂

A um ein kleinstes Element im Sinne folgenderDefinition:

Definition 6.7. (i) Sei (P,≤) [(P,<)] eine partielle [strikte] Ordnung, A ⊆ P . Wir nennenx ∈ A kleinstes Element von A, falls für alle y ∈ A \ {x} gilt: x ≤ y [x < y].

(ii) Eine partiell geordnete Menge heißt wohlgeordnet, falls jede nicht-leere Teilmenge einkleinstes Element besitzt.

(iii) Sei (P,≤) eine totale Ordnung, A ⊆ P . Wir nennen s ∈ P das Supremum von A, fallsgilt:

(i) ∀x ∈ A : x ≤ s

(ii) ∀s ∈ P : (∀x ∈ A : x ≤ s) ⇒ s ≤ s.

Das Supremum einer Menge bezeichnen wir mit supA

Lemma 6.8. Jede wohlgeordnete Menge ist total geordnet.

Beweis. Sei (A,≤) wohlgeordnet. Seien x, y ∈ A, x 6= y. Dann existiert in {x, y} ein kleinstesElement, also ist x ≤ y oder y ≤ x. �

6.2. Ordinalzahlen. Wir definieren nun die Ordinalzahlen und zeigen einige grundlegendeEigenschaften auf.

Definition 6.9. Eine Menge α heißt ordinal bzw. Ordinalzahl, falls α transitiv und bzgl. ∈wohlgeordnet ist.

Beispiel. (i) ∅ ist eine Ordinalzahl.

(ii) {∅, {∅}}, {∅, {∅}, {∅, {∅}}} usw. sind Ordinalzahlen.

Lemma 6.10. Seien α, β Ordinalzahlen.

(i) Ist α ⊂ β, dann ist α ∈ β.

(ii) α ∩ β ist Ordinalzahl.

(iii) Es gilt α ⊆ β oder β ⊆ α.

(iv) Es ist α ∈ β ∨ α = β ∨ β ∈ α.

Beweis. (i) Sei α ⊂ β. Dann ist β \ α 6= ∅. Wähle γ ∈ β \ α minimal. Wir zeigen α = γ.

” ⊆: ” Sei δ ∈ α. Dann ist δ ∈ β. Falls δ /∈ γ, dann ist γ = δ oder γ ∈ δ (da (β,∈) totalgeordnet ist). Es ist δ ∈ α, aber γ /∈ α, somit γ 6= δ. Wäre γ ∈ δ, wäre γ ∈ α, da α transitivist. Somit ist δ ∈ γ.

47

” ⊇: ” Sei δ ∈ γ. Da β transitv, folgt δ ∈ β. Da γ minimal, folgt δ ∈ α, denn wäre δ /∈ α, wäreδ kleiner in β \ α.

(ii) Sei x ∈ α∩β. Dann ist x ∈ α und x ∈ β, also x ⊆ α und x ⊆ β, also x ⊆ α∩β, also α∩β

transitiv. Sei ∅ 6= γ ⊆ α ∩ β. Dann ist γ ⊆ α, besitzt also ein kleinstes Element bzgl. ∈. Alsoist α ∩ β ordinal.

(iii) Angenommen, α * β und β * α. Dann ist α ∩ β ⊂ α und α ∩ β ⊂ β. Setze γ := α ∩ β.Dann ist γ nach (ii) ordinal. Dann ist nach (i) γ ∈ α und γ ∈ β, also γ ∈ γ. Widerspruch zurIrreflexivität von ∈ auf α bzw. β.

(iv) Seien α, β ordinal. Nach (iii) gilt α ⊆ β oder β ⊆ α, nach (i) also α ∈ β, β ∈ α oderβ = α. �

Definition 6.11. (i) Wir definieren für eine Ordinalzahl α den Nachfolger α + 1 := α ∪ {α}.Dies ist die kleinste Obermenge von α, die ebenfalls Ordinalzahl ist.

(ii) Wir nennen α 6= ∅ Grenzordinal, falls für alle Ordinalzahlen β gilt: β + 1 6= α.

In folgendem Lemma ist gerade der Punkt (iv) für uns von enormer Bedeutung. Der Voll-ständigkeit halber zeigen wir außerdem, dass die Ordinalzahlen eine echte Klasse, also keineMenge sind. Eine formale Definition hierzu findet man etwa in [Ebbi, S.11ff].

Lemma 6.12. Es gilt:

(i) ∈ ist eine totale Ordnung auf jeder Ordinalzahl.

(ii) Sei α ordinal. Dann ist α = {β ∈ Ord : β ∈ α}.

(iii) Sei C eine nicht-leere Menge von Ordinalzahlen. Dann ist⋂

C ordinal,⋂

C ∈ C und⋂C = minC, d.h.

∀x ∈ C :⋂

C ⊆ x.

Insbesondere hat jede nicht-leere Menge von Ordinalzahlen ein kleinstes Element.

(iv) Sei C eine nicht-leere Menge von Ordinalzahlen mit⋃

C 6= Ord. Dann ist⋃

C ordinal,außerdem gilt

⋃C = supC.

(v) Falls α ordinal, so auch α + 1. Es ist α + 1 = min{β ∈ Ord : α ∈ β}.

(vi) Ord ist eine echte Klasse, d.h. keine Menge.

Beweis. (i) Dies folgt unmittelbar aus Lemma 6.8.

(ii) Dies ist klar.

(iii) a) Wir zeigen zunächst, dass minC existiert:

Sei δ ∈ C. Wir definieren A := {δ ∩ γ | γ ∈ C} ⊆ δ. Da δ wohlgeordnet ist, existiert minA.Ist β ∈ C mit β ⊆ γ für alle γ ∈ C, dann ist β ⊆ δ ∩ γ, somit β ⊆ minA. Es genügt somit zu

48

zeigen, dass minA eine untere Schranke von C ist. Da aber minA ⊆ δ ∩ γ ⊆ γ für alle γ ∈ C

ist, ist dies klar.

b) Da minC ⊆ γ für alle γ ∈ C ist, ist minC ⊆⋂

C. Da weiterhin⋂

C ⊆ γ für alle γ ∈ C,ist⋂

C ⊆ minC. Damit ist⋂

C = minC ∈ C und insbesondere ordinal.

(iv) Nach (iii) ist ∅ 6= Ord\⋃

C nach unten beschränkt und es ist⋂

(Ord\⋃

C) = min(Ord\C) =: α. Dann ist β ⊆ α für alle β ∈ C und damit

⋃C ⊆ α. Insbesondere ist somit

⋃C

ordinal und⋃

C ≤ α.

Wir zeigen noch supC =⋃

C.

” ⊆ ” : Sei α ∈ supC. Dann ist α < supC, d.h. es existiert ein β ∈ C mit α < β. Damit istα ∈ β ⊆

⋃C.

” ⊇ ” : Sei α ∈⋃

C. Dann existiert ein β ∈ C mit α ∈ β und damit α < β ≤ supC und damitα ∈ supC.

(v) α + 1 ist ordinal und α ∈ α + 1. Sei α ∈ β, β ordinal. Also α ⊂ β. Also α + 1 ⊆ β, damitα + 1 = β oder α + 1 ∈ β (obiges Lemma (ii)).

(vi) Annahme: Ord ist eine Menge. Dann ist Ord ordinal, ebenso Ord+1. Also ist Ord+1 ∈Ord und nach (v) ist Ord ∈ Ord + 1. Widerspruch zur Antisymmetrie von ∈ auf Ord. �

Wir identifizieren im Folgenden 0 = ∅, 1 = {∅} und n + 1 = {n} ∪ n. Dann ist N = ω0 dieMenge aller natürlichen Zahlen. Da ω0 eine transitive Menge von Ordinalzahlen ist, ist ω0

Ordinalzahl. Des Weiteren bezeichne ω1 die kleinste überabzählbare Ordinalzahl (siehe zurExistenz einer solchen etwa in [Sch2, S.13]).

Die Nachfolgerstruktur ermöglicht es, wie in den natürlichen Zahlen auch bei den Ordinalzah-len eine Form der Induktion einzuführen:

Satz 6.13. Prinzip der transfiniten Induktion. Sei α eine Ordinalzahl und P (·) eine Aussa-genform über α. Es gelte:

(i) P (0) und

(ii) falls β ∈ α und für alle γ ∈ β die Aussage P (γ) gilt, so auch P (β).

Dann gilt für alle β ∈ α die Eigenschaft P (β).

Beweis. Annahme: A = {β ∈ α : Es gilt nicht P (β)} 6= ∅. Da α wohlgeordnet ist, enthält A

ein kleinstes Element β0. Wegen (i) gilt β0 6= 0. Aufgrund der Minimalität gilt P (β) für alleβ ∈ β0. Wegen (ii) gilt somit auch P (β0) im Widerspruch zur Annahme. �

49

6.3. Ränge. Zuletzt führen den Begriff des Rangs ein.

Definition 6.14. Sei X eine Menge, C ⊆ X. Ein (regulärer) Rang auf C ist eine Abbildungϕ : C → ω1.

Mit einem Rang können wir nun eine Relation auf C gemäß

∀x, y ∈ C : x ≤ϕ y ⇔ ϕ(x) ≤ ϕ(y)

definieren.

Des Weiteren erweitern wir ϕ auf ganz X, indem wir ϕ(x) = ω1 für alle x ∈ X \ C setzen.Ebenso erweitern wir ≤ϕ zu ≤∗ϕ durch

∀x, y ∈ X : x ≤∗ϕ y ⇔ x ∈ C ∧ [y /∈ C ∨ (y ∈ C ∧ ϕ(x) ≤ ϕ(y))].

Analog definieren wir die Relation <∗ϕ durch

∀x, y ∈ X : x <∗ϕ y ⇔ x ∈ C ∧ [y /∈ C ∨ (y ∈ C ∧ ϕ(x) < ϕ(y))].

Wir stellen nun den Zusammenhang zwischen dem Konzept der analytische Menge und demRangbegriff her. Hierzu definieren wir:

Definition 6.15. Sei X ein polnischer Raum und C ⊆ X sei coanalytisch. Ein Rang ϕ auf C

heißt ein∏1

1-Rang, falls die Relation x ≤∗ϕ y als Teilmenge von X ×X coanalytisch ist.

Wir werden zeigen, dass eine Borel-Menge auf der ein∏1

1-Rang definiert ist, immer von einerabzählbaren Ordinalzahl beschränkt ist, d.h. sein Supremum in ω1 an. Indem wir dies beweisen,erhalten wir ein Kriterium dafür, dass eine Menge keine Borel-Menge ist.

50

7. Das Fundamentalbeispiel einer analytischen nicht-Borel Menge

Wir werden in diesem Abschnitt eine Teilmenge eines polnischen Raums konstruieren, die ana-lytisch ist, aber nicht coanalytisch. Hierzu werden wir eine Menge von Sprachen konstruieren.Unter einer Sprache verstehen wir hierbei eine Menge von Tupeln über einer Grundmenge,welche wir als Alphabet bezeichnen.

Bei dieser Auswahl von Sprachen handelt es sich um die Präfixtreuen Sprachen. Wir werdensolche im folgenden als Bäume bezeichnen. Zunächst führen wir jedoch die Konstruktion formaldurch:

7.1. Die Menge der wohl-fundierten Bäume.

Generalvoraussetzung 7.1. Zu einer gegebenen Menge Σ sei im folgenden Σ<N :=⋃

n∈N0

Σn

die Vereinigung aller n-Tupel über Σ.

Wir fassen die Elemente von Σ<N als endliche Worte über dem Alphabet Σ auf:

Definition 7.2. Seien x, y ∈ Σ<N ∪ ΣN. Ist x ∈ Σn, dann heißt |x| := n die Länge von x.Ist x ∈ ΣN, so ist die Länge |x| := ∞. Ist |x| ≤ |y| (wobei wir ∞ ≤ ∞ zulassen) und giltx(i) = y(i) für alle i ∈ N≤|x|, so heißt x Präfix von y und wir schreiben x ≤ y, bzw. x < y

falls zusätzlich x 6= y ist. Ist n ∈ N mit n ≤ |y|, dann ist y | n := (y1, . . . , yn) die Projektionauf das Anfangsstück der Länge n von y.

Des Weiteren definieren wir für jedes x ∈ Σ<N die Einbettung in ΣN gegeben durch

Ex := {σ ∈ ΣN : x < σ},

d.h. die Menge aller Folgen über Σ von denen x Präfix ist.

Zuletzt sei die Konkatenation von x und y gegeben durch

x _ y : |x|+ |y| → Σ, i 7→

{x(i), falls i ≤ |x|;y(i− |x|), sonst.

Ist a ∈ A, schreiben wir auch x _ a statt x _ (a).

Bemerkung 7.3. Im Spezialfall Σ = N ist für jedes s ∈ N<N die Menge Es offen und abge-schlossen.

Beweis. Setze Ui := N, falls i > |s| und Ui = {s(i)} falls i ≤ |s| für alle i ∈ N. Dann ist

Es =∏i∈N

Ui

offen und abgeschlossen in der Produkttopologie. �

51

Lemma 7.4. ≤ ist eine partielle Ordnung auf Σ<N.

Beweis. Seien x, y, z ∈ Σ<N. Nach Definition ist ≤ reflexiv.

Es gelte x ≤ y ≤ z. Dann ist |x| ≤ |z|. Ferner gilt x(i) = y(i) für alle i ∈ N≤|x| und y(i) = z(i)für alle i ∈ N≤|y|. Somit ist x(i) = z(i) für alle i ∈ N≤|x|, also ≤ transitiv.

Ist außerdem noch y ≤ x, dann ist |x| = |y| und außerdem x(i) = y(i) für alle i ∈ N≤|x| unddamit x = y. �

Definition 7.5. Sei Σ eine Menge. Eine Teilmenge T ⊆ Σ<N heißt Baum, falls für alle s ∈ T

und alle s′ < s gilt: s′ ∈ T . Die Menge aller Bäume über Σ bezeichnen wir im Folgenden mitTΣ, bzw. im Spezialfall Σ = N einfach mit T.

Wir werden in vielen Fällen nur mit Bäumen über N arbeiten. Da wir allerdings für einen Be-weis einen allgemeinen Baum benötigen, werden wir auch mit der allgemeinen Form umgehenund die notwendigen Hilfsmittel auch für diesen Fall definieren.

Bemerkung 7.6. Ist T ein Baum über Σ, dann können wir ihn als Element von {0, 1}Σ<N

auffassen mittels der kanonischen Projektion

Σ<N → {0, 1}, x 7→

{1 falls x ∈ T

0 sonst.

Insbesondere betrachten wir T als Teilmenge von {0, 1}N<N . Wir hatten in Beispiel 3.12 ge-sehen, dass {0, 1}N polnisch ist. Da N<N als abzählbare Vereinigung abzählbar unendlicherMengen abzählbar unendlich ist, ist somit {0, 1}N<N nach Korollar 2.22 und Proposition 2.20ebenfalls polnisch.

Lemma 7.7. Wir betrachten T ⊆ {0, 1}N<N=: K. Dann ist T in K ausgestattet mit der

Produkttopolgie abgeschlossen. Insbesondere ist T eine Borel-Menge in K.

Beweis. Wir zeigen, dass das Komplement von T in K offen ist. Sei x ∈ K \T. Dann existiertein t ∈ x−1(1) und ein s ≤ t mit s ∈ x−1(0). Definieren wir nun

Uy :=

{0} falls y = s

{1} falls y = t

{0, 1} sonst,

dann ist∏

y∈N<NUy offen in K. Es gilt für alle z ∈

∏y∈N<N

Uy, dass z−1(s) ∈ {0} und z−1(t) ∈ {1}

ist. Somit ist z /∈ T. �

52

Definition 7.8. Sei Σ eine Menge, T ein Baum. Wir definieren mit

[T ] := {σ ∈ ΣN | ∀s ∈ Σ<N : s ≤ σ ⇒ s ∈ T}

die Beschränkung von T . Wir nennen T wohl-fundiert, falls [T ] = ∅. Des Weiteren bezeichnenwir mit WFΣ die Menge aller wohl-fundierten Bäume und IFΣ := TΣ \WFΣ die Menge allerschlecht-fundierten Bäume (engl.: ill-founded). Analog zum Vorgehen bei T verzichten wir imFalle Σ = N auf die Indizierung.

Die Menge IF ist analytisch, die Menge WF jedoch nicht. Insbesondere ist IF keine Borel-Menge. Ziel dieses Kapitels ist es, dies beides zu zeigen. Hierbei wird die Tatsache, dass IF

analytisch ist, relativ elementar folgen. Allerdings wird es uns einige Mühe kosten, zu zeigen,dass IF nicht coanalytisch ist.

Lemma 7.9. (i) Ist T ein Baum, so ist [T ] abgeschlossen in NN.

(ii) Ist A ⊆ NN abgeschlossen, so existiert ein Baum T mit [T ] = A.

Beweis. (i) Sei T ein Baum, o.B.d.a [T ] 6= ∅. Sei (σn)n∈N ∈ [T ]N eine Folge mit

limn→∞

σn =: σ∞ ∈ NN.

Annahme: σ∞ /∈ [T ]. Dann existiert ein s ≤ σ∞ mit s /∈ T . Da Es nach Bemerkung 7.3 eineoffene Umgebung von σ∞ ist, existiert ein n ∈ N mit σn ∈ Es. Damit ist s ≤ σn und damits ∈ T . Dies ist ein Widerspruch.

(ii) Sei A ⊆ NN abgeschlossen. Ist A = ∅, dann ist {∅} ein Baum mit [{∅}] = A. Sei alsoo.B.d.A. A 6= ∅.

Setze T := {s ∈ N<N | ∃σ ∈ A : s < σ}. Wir zeigen zunächst, dass T ein Baum ist:

Sei s ∈ T , t ≤ s. Dann existiert ein σ ∈ NN mit s ≤ σ. Dann ist t ≤ σ, also t ∈ T .

Es genügt also zu zeigen, dass [T ] = A ist. Da hierbei offensichtlich A ⊆ [T ] ist, werden wirnur [T ] ⊆ A zeigen:

Sei σ ∈ [T ]. Wir betrachten (σ | n)n∈N ∈ T N. Dann existiert für jedes n ∈ N ein ϑn ∈ A mitσ | n ≤ ϑn nach Definition von T . Dann ist (ϑn)n∈N eine Folge in A mit limn→∞ ϑn = σ. DaA abgeschlossen ist, ist somit σ ∈ [T ]. �

Lemma 7.10. WF ist coanalytisch in T.

Beweis. Sei A := {(T, σ) ∈ T× NN : σ ∈ [T ]}. Wir erhalten dann - unter der Beachtung dassT × NN ein polnischer Raum ist - IF = π1(A), wobei mit π1 : T × NN → T die Projektionauf die erste Komponente gemeint ist. D.h. mit Lemma 4.14 genügt es zu zeigen, dass A eineBorel-Menge ist. Wir werden zeigen, dass A sogar abgeschlossen ist.

53

Sei (Tn, σn)n∈N eine Folge in A, (T∞, σ∞) ∈ T×NN mit der Eigenschaft, dass limn→∞

(Tn, σn) =

(T∞, σ∞) ist. Zunächst ist(Eσ∞|n

)n∈N eine fallende Folge offener Umgebungen von σ∞. Wir

können - durch Übergang zu einer Teilfolge - davon ausgehen, dass σn ∈ Eσ∞|n für alle n ∈ Nist. Das heißt, σn | n = σ∞ | n für alle n ∈ N.

Angenommen, σ∞ /∈ [T∞]. Dann existiert ein s0 ≤ σ∞ mit s0 /∈ T∞. Wähle n0 ∈ N mits0 = σ∞ | n0. Insbesondere ist s0 ∈ Tn für alle n ≥ n0. Wir definieren nun Us0 = {1} undUs = {0, 1} für alle s 6= s0. Dann ist

U :=∏

s∈N<N

Us

abgeschlossen in {0, 1}N<N - damit U := U∩T auch in T - und es ist Tn ∈ U für alle n ≥ n0. Da(Tn)n≥n0

eine Folge in U mit limn→∞ Tn = T∞ ist, ist somit - da U abgeschlossen - T∞ ∈ U .Dann ist s0 ∈ T∞ im Widerspruch zur Annahme. Also ist σ∞ ∈ [T∞] und damit (σ∞, T∞) ∈ A.Also ist A abgeschlossen. �

7.2. Die Rangmethode. Unter der Rangmethode wird in der deskriptiven Mengenlehre eineMethode verstanden, um von einer Teilmenge einer coanalytischen Menge in einem polnischenRaum zu zeigen, dass sie nicht analytisch ist. Wir folgen hier dem Vorgehen aus [Ker2, S.104ff].

Hierbei wird auf einer coanalytische Menge ein∏1

1-Rang definiert und anschließend gezeigt,dass dieser auf der jeweiligen Teilmenge nicht durch eine abzählbare Ordinalzahl beschränktwird. Um dies zu erreichen, werden wir mit dem

∏11-Rang eine wohl-fundierte Relation -

ein Analogon zu wohl-fundierten Bäumen - konstruieren. Da eine solche stets beschränkt ist,erreichen wir hiermit die Beschränktheit des

∏11-Rangs auf analytischen Teilmengen von WF .

Wir werden nun auf WFΣ einen Rang definieren. Von diesem werden wir dann im Verlauf desKapitels zeigen, dass es sich um einen

∏11-Rang handelt.

Ist T ∈ WFΣ, dann setzen wir h(s, T ) = 0, falls s /∈ T und

h(s, T ) = sup{h(s _ a, T ) + 1 : a ∈ Σ}

=⋃a∈Σ

(h(s _ a) + 1) falls s ∈ T.

Diese Funktion ist für abzählbares Σ auf WF wohldefiniert, denn es gilt:

Lemma 7.11. Sei Σ abzählbar. Dann gilt:

∀T ∈ WFΣ : ∀s ∈ T : h(s, T ) ∈ ω1.

Beweis. Sei T ∈ WFΣ, s ∈ T . Annahme: h(s, T ) ≥ ω1.

Wäre h(s _ a, T ) < ω1 für alle a ∈ Σ, so wäre sup{h(s _ a, T ) + 1 : a ∈ Σ} abzählbar alsabzählbare Vereinigung abzählbarer Mengen.

54

Es existiert deshalb x1 ∈ Σ mit s _ x1 ∈ T und h(s _ x1, T ) ≥ ω1. Induktiv definierenwir nun zu gegebenen x1, . . . , xn ∈ Σ mit h(s _ (x1, . . . , xn), T ) ≥ ω1 ein xn+1 ∈ Σ mits _ (x1, . . . , xn+1) ∈ T und h(s _ (x1, . . . , xn+1), T ) ≥ ω1.

Dies liefert eine Folge (xn)n∈N ∈ ΣN. Nun ist s _ (x1, . . . , xn) ∈ T für alle n ∈ N, somits _ (xn)n∈N ∈ [T ]. Dies ist ein Widerspruch zu T ∈ WF und damit [T ] = ∅. �

Definition 7.12. Wir bezeichnen mit h(T ) := h(∅, T ) die Höhe eines Baumes T ∈ WFΣ.

Bemerkung 7.13. (i) Ist Σ abzählbar, so ist die Funktion h ein Rang auf WFΣ.

(ii) Für alle T ∈ WFΣ und s ∈ T gilt

h(s, T ) = sup{h(t, T ) + 1 : s < t}.

Beweis. (i) Da zu gegebenem T ∈ WFΣ stets ∅ ∈ T ist, ist h(T ) ∈ ω1 mit Lemma 7.11 unddamit h ein Rang auf WFΣ.

(ii) Es ist offensichtlich h(s, T ) ≤ sup{h(t, T ) + 1 : s < t}. Angenommen, es ist

h(s, T ) < sup{h(t, T ) + 1 : s < t}.

Dann gibt es ein t > s mit h(s, T ) < h(t, T ) + 1. Wähle n ∈ N und x ∈ An mit s _ x = t.Dann ist

h(s, T ) = sup{h(s _ a, T ) + 1 : a ∈ Σ}

≥ h((s _ x1), T ) + 1

= sup{h((s _ x1) _ a, T ) + 1 : a ∈ Σ}+ 1

≥ . . . ≥ h(t, T ) + n.

Dies ist ein Widerspruch, somit h(s, T ) = sup{h(t, T ) + 1 : s < t}. �

Wir werden häufig die Höhe zweier Bäume vergleichen müssen. Hierzu wird uns der folgendeBegriff behilflich sein.

Definition 7.14. Sei Σ ein weiteres Alphabet. Wir bezeichnen die Präfixordnung auf Σ<N

ebenfalls mit ≤.

(i) Eine Funktion f : Σ<N → Σ<N heißt monoton, falls für alle s, t ∈ Σ<N gilt:

s < t ⇒ f(s) < f(t).

(ii) Zu gegebenem T ∈ TΣ und a ∈ Σ bezeichnen wir mit

T a := {s ∈ Σ<N : (a) _ s ∈ T}

den a-Ast von T .

55

Bemerkung 7.15. Ist Σ ein weiteres Alphabet, T1 ∈ TΣ, T2 ∈ TΣ und f : T1 → T2 monoton,dann ist T1 ∈ WFΣ, falls T2 ∈ WFΣ ist.

Beweis. Sei T1 /∈ WF , σ ∈ [T1]. Dann ist f(σ | n) ∈ T2 und |f(σ | n)| ≥ n für jedes n ∈ N.Außerdem ist f(σ | m) < f(σ | n) für alle m,n ∈ N mit m < n aufgrund der Monotonie vonf . Definieren wir

ρ : N → N, n 7→ f(σ | n)(n),

so erhalten wir mit ρ ∈ [T2], dass T2 /∈ WFΣ ist. �

Lemma 7.16. Sei Σ ein weiteres Alphabet. Für alle T1 ∈ TΣ, T2 ∈ TΣ gilt:

h(T1) ≤ h(T2) ⇔ Es existiert eine monotone Funktion f mit f(T1) ⊆ T2.

Beweis. Sei also T1 ∈ TΣ, T2 ∈ TΣ.

” ⇐ ” : Sei f : Σ<N → Σ<N eine monotone Funktion mit f(T1) ⊆ T2. Ist T2 ∈ WFΣ, somuss nach Bemerkung 7.15 auch T1 ∈ WFΣ sein. Sei s ∈ Σ<N. Wir zeigen mit Induktion überh(s, T1), dass h(s, T1) ≤ h(f(s), T2) ist:

Ist h(s, T1) = 0, so ist h(s, T1) ≤ h(f(s), T2).

Sei α := h(s, T1), es gelte h(t, T1) ≤ h(f(t), T2) für alle t ∈ Σ<N mit h(t, T1) < h(s, T1). Danngilt insbesondere h(s _ a, T1) ≤ h(f(s _ a), T2) für alle a ∈ Σ. Damit folgt:

h(s, T1) = sup{h(s _ a), T1) + 1 : a ∈ Σ}

≤ sup{h(f(s _ a), T2) + 1 : a ∈ Σ}

≤ sup{h(t, T2) + 1 : f(s) < t}

= h(f(s), T2).

” ⇒ ” : Es gelte h(T1) ≤ h(T2). Ist T2 /∈ WFΣ, existiert ein σ ∈ [T2]. Dann definiert f(s) :=(σ(1), . . . , σ(|s|)), s ∈ Σ<N, eine monotone Funktion und f(T1) ⊆ {σ | n : n ∈ N} ⊆ T2.

Sei also T2 ∈ WFΣ. Wir zeigen die Behauptung mittels transfiniter Induktion über α := h(T2).Ist h(T1) ≤ h(T2) = 0, dann ist T1 = T2 = ∅. Es gebe für alle T1 ∈ TΣ, T2 ∈ TΣ mith(T1) ≤ h(T2) < α eine monotone Funktion f : Σ<N → Σ<N mit f(T1) ⊆ T2. Für jedes a ∈ Σist T a

1 ∈ WFΣ undh(T a

1 ) = h((a), T1) < h(T2).

Da h(T2) = sup{h(T b2 ) + 1 : b ∈ Σ}, können wir ein g(a) mit h(T a

1 ) ≤ h(T g(a)2 ) für alle a ∈ Σ

wählen. Nach der Induktionsvoraussetzung existiert dann für jedes a ∈ Σ eine monotoneFunktion fa : Σ<N → Σ<N mit fa(T a

1 ) ⊆ Tg(a)2 . Wir definieren nun f : Σ<N → Σ<N durch

f(∅) = ∅ und f((a) _ s) = (g(a)) _ fa(s) für alle a ∈ Σ und s ∈ Σ<N. Wir zeigen, dass f

die gewünschten Eigenschaften aufweist:

56

Seien s, t ∈ Σ<N mit s < t, o.B.d.A. s 6= ∅. Dann ist - da s1 = t1 -

f(s) = (g(s1)) _ fs1((s2, . . . , s|s|))

= (g(t1)) _ ft1((s2, . . . , s|s|))

< (g(t1)) _ ft1((t2, . . . , t|t|))

= f(t),

also f monoton.

Ist s ∈ T1, dann giltf(s) = (g(s1)) _ fs1((s2, . . . , s|s|)),

wobei fs1((s2, . . . , s|s|)) ∈ Tg(s1)2 ist. Nach Definition von T

g(s1)2 ist dann

f(s) = (g(s1)) _ fs1((s2, . . . , s|s|)) ∈ T2.

In den meisten Fällen werden wir obiges Lemma im Falle Σ = Σ einsetzen. Da wir jedoch ineinem Beweis die Höhe zweier Bäume über unterschiedlichen Alphabeten vergleichen müssen,können wir das Lemma auch hierfür verwenden.

Wir wollen nun einsehen, dass h ein∏1

1-Rang auf WF ist. Dazu zeigen wir zunächst folgendesLemma, in dem ein großer Teil der technischen Arbeit enthalten ist. Wir verwenden hierfürdie Bezeichnung

�h:= {(T1, T2) ∈ WF ×WF | h(T1) � h(T2)}

(bzw. analoge Definitionen für ≮h und die jeweiligen Erweiterungen auf ganz T × T). Wirschreiben diese Relationen auch wie üblich in Infix-Notation. Außerdem verwenden wir in (ii)die Bezeichnung aus Definition 7.14.

Lemma 7.17. Seien T1, T2 ∈ T. Sei ρ : N → N<N eine Bijektion.

(i) Es ist

(T1, T2) ∈�∗h⇔ ∀g ∈ NN : [{∀m,n ∈ N : ρ(m) < ρ(n) ⇒ ρ(g(m)) < ρ(g(n))}

⇒ ∃m ∈ N : (ρ(m) ∈ T1 ∧ ρ(g(m)) /∈ T2)]

(ii) Es ist für jedes M ∈ N

BM := {(g, T1, T2) ∈ NN × T× T : [∀m,n ∈ N : ρ(m) < ρ(n) ⇒ ρ(g(m)) < ρ(g(n))]

⇒ [∃m ∈ N : (ρ(m) ∈ T1 ∧ ρ(g(m)) /∈ TM2 )]}

eine Borel-Menge.

57

Beweis. (i) ” ⇒ ” : Sei zunächst h(T1) � h(T2), das heißt für jede monotone Funktionf : N<N → N<N ist f(T1) * T2.

Sei g ∈ NN, es gelte für alle m,n ∈ N mit ρ(m) < ρ(n), dass ρ(g(m)) < ρ(g(n)) ist. Wirdefinieren

f : N<N → N<N, s 7→ ρ(g(ρ−1(s))).

Seien s, t ∈ N<N mit s < t. Dann ist ρ(ρ−1(s)) < ρ(ρ−1(t)) und damit gilt

f(s) = ρ(g(ρ−1(s))) < ρ(g(ρ−1(t))) = f(t),

also ist f monoton. Dann ist f(T1) * T2, d.h. es existiert ein m ∈ N mit ρ(m) ∈ T1 undf(ρ(m)) = ρ(g(m)) /∈ T2.

” ⇐ ” : Es gelte nun

∀g ∈ NN : [∀m,n ∈ N : ρ(m) < ρ(n) ⇒ ρ(g(m)) < ρ(g(n))]

⇒ [∃m ∈ N : ρ(m) ∈ T1 ∧ ρ(g(m)) /∈ T2].

Sei f : N<N → N<N monoton. Wir definieren

g : N → N, m 7→ ρ−1(f(ρ(m))).

Dann gilt für jedes m, n ∈ N mit ρ(m) < ρ(n):

ρ(g(m)) = f(ρ(m)) < f(ρ(n)) = ρ(g(n)).

Dann existiert ein m ∈ N mit ρ(m) ∈ T1 und ρ(g(m)) = f(ρ(m)) /∈ T2. Somit ist f(T1) * T2.

(ii) Sei M ∈ N. Es ist

(g, T1, T2) /∈ BM ⇔ [∀m,n ∈ N : ρ(m) < ρ(n) ⇒ ρ(g(m)) < ρ(g(n))]

∧ [∀m ∈ N : ρ(m) /∈ T1 ∨ ρ(g(m)) ∈ TM2 ].

Wir zeigen

B1 := {(g, T1, T2) ∈ NN × T× T | ∀m,n ∈ N : ρ(m) < ρ(n) ⇒ ρ(g(m)) < ρ(g(n))}

undB2 := {(g, T1, T2) ∈ NN × T× T | ∀m ∈ N : ρ(m) /∈ T1 ∨ ρ(g(m)) ∈ TM

2 }

sind Borel-Mengen, denn dann ist B1 ∩B2 = (BM )c eine Borel-Menge, somit ebenfalls BM .

B1 ist Borel:

Wir zeigen, dass B1 sogar abgeschlossen ist. Sei (gk, T1k, T2k)k∈N ∈ BN1 eine in NN × T × T

konvergente Folge mit

limk→∞

(gk, T1k, T2k) =: (g∞, T1∞, T2∞) ∈ NN × T× T.

58

Seien m,n ∈ N mit ρ(m) < ρ(n). Da N diskret ist, existiert ein k0 ∈ N mit gk0(m) = g∞(m)und gk0(n) = g∞(n). Dann gilt:

ρ(g∞(m)) = ρ(gk0(m)) < ρ(gk0(n)) = ρ(g∞(n)).

Somit ist (g∞, T1∞, T2∞) ∈ B1.

B2 ist Borel:

Definiere für jedes m ∈ N

Bm2 = {(g, T1, T2) ∈ NN × T× T | ρ(m) /∈ T1 ∨ ρ(g(m)) ∈ TM

2 }.

Dann ist⋂

m∈NBm

2 = B2. Sei m ∈ N, wir zeigen Bm2 ist offen:

Sei (g, T1, T2) ∈ Bm2 . Sei

Ug := {g ∈ NN | ∀n ∈ m : g(n) = g(n)}.

Dann ist Ug offen in NN.

Weiterhin istUT1

:= {T1 ∈ T | ρ(m) /∈ T1}

offen in {0, 1}N<N .

Dann istUT2

:= {T2 ∈ T | ρ(g(m)) ∈ TM2 }

ebenfalls offen in {0, 1}N<N .

Hieraus erhalten wir, dass Ug × UT1× UT2

= Bm2 offen in NN × T × T ist, was den Beweis

abschließt. �

Mit Hilfe dieses Lemmas erhalten wir nun den folgenden Satz:

Satz 7.18. Die Funktion h ist ein∏1

1-Rang auf WF .

Beweis. Wir müssen zeigen, dass ≤∗h coanalytisch in T×T ist. Hierzu werden wir ≮∗h zunächst

als stetiges Bild einer Borel-Menge erkennen. Hieraus werden wir schließlich folgern, dass �∗h

analytisch ist.

Wir stellen zunächst fest, dass

h(T ) = sup{h(Tn) + 1 : n ∈ N} ≥ h(TM ) + 1 > h(TM )

für alle M ∈ N gilt.

59

Für alle T1, T2 ∈ T ist nach Lemma 7.16 deshalb

T1 ≮∗h T2 ⇔ h(T1) ≮ h(T2)

⇔ ∀M ∈ N : h(T1) � h(TM2 )

⇔ Für alle monotonen f : N<N → N<N und M ∈ N ist f(T1) * TM2 .

Sei ρ : N → N<N eine Bijektion. Wir erhalten mit Lemma 7.17 also

(T1, T2) ∈�∗h⇔ ∀g ∈ NN : [{∀m,n ∈ N : ρ(m) < ρ(n) ⇒ ρ(g(m)) < ρ(g(n))}

⇒ ∃m ∈ N : (ρ(m) ∈ T1 ∧ ρ(g(m)) /∈ T2)].

Sei M ∈ N. Ebenso folgt nach Lemma 7.17, dass

BM := {(g, T1, T2) ∈ NN × T× T : [∀m,n ∈ N : ρ(m) < ρ(n) ⇒ ρ(g(m)) < ρ(g(n))]

⇒ [∃m ∈ N : (ρ(m) ∈ T1 ∧ ρ(g(m)) /∈ TM2 )]}

eine Borel-Menge ist.

Wir definieren nun die stetige Funktion

π23 : NN × T× T → T × T , (g, T1, T2) 7→ (T1, T2).

Setzen wir noch für alle g ∈ NN

BMg := {(T1, T2) ∈ T× T : ∀m,n ∈ N : ρ(m) < ρ(n) ⇒ ρ(g(m)) < ρ(g(n))

⇒ ∃m ∈ N : (ρ(m) ∈ T1 ∧ ρ(g(m)) /∈ TM2 )},

dann ist

PM := π23(NN × T× T \BM ) = {(T1, T2) ∈ T× T : ∃g ∈ NN : (T1, T2) /∈ BMg }

= {(T1, T2) ∈ T× T : ¬(∀g ∈ NN : (g, T1, T2) ∈ BM )}

= {(T1, T2) ∈ T× T : (T1, TM2 ) /∈�∗

h}

= {(T1, T2) ∈ T× T : (T1, TM2 ) ∈≤∗h}

analytisch. Somit ist

P :=⋂

N∈NPN = {(T1, T2) ∈ T× T : ∀N ∈ N : (T1, T

N2 ) ∈≤∗h}

= {(T1, T2) ∈ T× T : (T1, T2) ∈<∗h}

= {(T1, T2) ∈ T× T : (T1, T2) ∈�∗h}

60

analytisch und damit ist ebenfalls - mittels der stetigen Abbildung (T1, T2) 7→ (T2, T1) -

{(T1, T2) ∈ T× T : (T2, T1) ∈�∗h}

= {(T1, T2) ∈ T× T : (T1, T2) ∈�∗h}

analytisch. �

Wir werden nun den Begriff der wohl-fundierten Relation einführen.

Definition 7.19. Sei X ein polnischer Raum. Eine Relation ≺ auf X ist wohl-fundiert, fallskeine Folge (xn)n∈N ∈ XN existiert mit xn+1 ≺ xn für alle n ∈ N. Ist ≺ wohl-fundiert, definiereL(x,≺) := 1 für alle x ∈ X, für die es kein y ∈ X mit y ≺ x gibt und

L(x,≺) := sup{L(y,≺) + 1 | y ≺ x}.

Die Länge der wohl-fundierten Relation ≺ ist

L(≺) := sup{L(x,≺) + 1 | x ∈ X}.

Wir nennen ≺ analytisch, falls {(x, y) ∈ X ×X : y ≺ x} analytisch ist.

Wir werden im Folgenden zeigen, dass eine wohl-fundierte analytische Relation stets abzähl-bare Länge besitzt. Da wir mittels h eine solche Relation konstruieren können, werden wirhieraus die Unbeschränktheit der Höhe analytischer Teilmengen von WF erhalten.

Lemma 7.20. Sei X polnischer Raum, ≺ eine wohlfundierte Relation. Es sei T ⊆ X<N

definiert durch

T := {(s1, . . . , sn) ∈ X<N | n ∈ N, sn ≺ . . . ≺ s1} ∪ {∅}.

Dann ist T ein Baum und es gilt h((x1, . . . , xn), T ) = L(xn,≺) für jedes (x1, . . . , xn) ∈ T .

Insbesondere ist h(T ) = L(≺).

Beweis. Sei s = (s1, . . . , sn) ∈ T , m ≤ n. Dann ist sm ≺ . . . ≺ s1, also (s1, . . . , sm) ∈ T unddamit T ein Baum.

Sei (x1, . . . , xn) ∈ T . Dann ist h((x1, . . . , xn), T ) ≥ 1. Wir führen eine Induktion über

0 < α := h((x1, . . . , xn), T )

durch.

Ist h((x1, . . . , xn), T ) = 1, dann ist (x1, . . . , xn, x) /∈ T für jedes x ∈ X, damit x ⊀ xn undL(xn,≺) = 1.

Sei also 1 < α. Zunächst ist dann

(∗) {x ∈ X : (x1, . . . , xn) _ x ∈ T} 6= ∅.

61

Es gelteh((y1, . . . , ym), T ) = L(ym,≺)

für alle γ < α mit h((y1, . . . , ym), T ) = γ. Dann gilt für jedes x ∈ X mit (x1, . . . , xn) _ x ∈ T :

h((x1, . . . , xn), T ) = sup{h((x1, . . . , xn) _ x, T ) + 1 | x ∈ X}

Mit (∗) : = sup{h((x1, . . . , xn) _ x, T ) + 1 | (x1, . . . , xn) _ x ∈ T}

= sup{L(x,≺) + 1 : (x1, . . . , xn) _ x ∈ T}

= L(xn,≺).

Nun ist

L(≺) = sup{L(x,≺) + 1 | x ∈ X}

= sup{h(x, T ) + 1 : x ∈ X}

= h(∅, T ) = h(T ).

Satz 7.21. Sei X polnischer Raum. Jede analytische wohl-fundierte Relation auf X hat ab-zählbare Länge.

Beweis. Sei ≺ eine analytische wohl-fundierte Relation auf X.

Wir definieren einen allgemeinen Baum T ⊆ X<N durch

s = (s1, . . . , sn) ∈ T ⇔ sn ≺ sn−1 ≺ . . . ≺ s1.

Nach Lemma 7.20 ist T ein Baum und es ist L(≺) = h(T ).

Es genügt also zu zeigen, dass h(T ) ∈ ω1 ist. Hierzu konstruieren wir einen wohl-fundiertenBaum T ∗ ∈ WF und eine monotone Funktion f : T → T ∗. Mit Lemma 7.16 folgt hieraush(T ) ≤ h(T ∗). Da nach Bemerkung 7.13 h(T ∗) ∈ ω1 ist, sind wir damit fertig.

Es ist X ×X ein polnischer Raum, also existiert nach Lemma 3.3 eine abzählbare Basis derTopologie, die wir mit (Vn)n∈N bezeichnen. Des Weiteren können wir - da ≺ analytisch ist -nach Lemma 3.20 eine abgeschlossene Menge F ⊆ X ×X × NN wählen, so dass

y ≺ x ⇔ ∃σ ∈ NN : (x, y, σ) ∈ F.

Für alle (x, y) ∈ X × X mit y ≺ x und alle m ∈ N wählen wir nun ein nx,y(m) ∈ N mit(x, y) ∈ Vnx,y(m) und diam(Vnx,y(m)) ≤ 2−m und ein σx,y ∈ NN mit (x, y, σx,y) ∈ F . Nun

62

definieren wir für alle x, y ∈ X mit y ≺ x Funktionen

gx,y : N → N, m 7→

{σx,y(m

2 ), falls m gerade;nx,y(m+1

2 ), falls m ungerade.

Die Funktionen gx,y haben folgende Eigenschaft:

(∗) Sind (xn)n∈N und (yn)n∈N Folgen von Punkten in X und ist yn ≺ xn für jedes n ∈ N undist für jedes m ∈ N die Folge (gxn,yn(m))n∈N ab einem gewissen nx,y,m ∈ N konstant, d.h.(gxn,yn)n∈N konvergiert in NN, dann existieren x, y ∈ X mit limn→∞ xn = x, limn→∞ yn = y

und y ≺ x.

Wir zeigen dies:

Seien (xn)n∈N, (yn)n∈N ∈ XN mit yn ≺ xn und (gxn,yn)n∈N konvergent in NN. Wir setzeng := limn→∞ gxn,yn . Für jedes m ∈ N sind dann (xn, yn) ∈ Vg(2m+1) für alle n ∈ N mitn ≥ nx,y,m. Da außerdem diam(Vg(2m+1)) ≤ 2−m ist, sind (xn)n∈N und (yn)n∈N Cauchy-Folgen. Da X vollständig ist, existieren x, y ∈ X mit limn→∞ xn = x und limn→∞ yn = y.

Wir definieren weiterhin σn := σxn,yn für jedes n ∈ N. Dann ist

(σn(m))n∈N = (gxn,yn(2m))n∈N

für jedes m ∈ N konvergent, etwa gegen σ∞(m). Dann konvergiert (σn)n∈N gegen σ∞, d.h.(xn, yn, σn)n∈N ist eine konvergente Folge, die in F verläuft. Da F abgeschlossen ist, ist(x, y, σ∞) ∈ F und damit gilt (∗).

Wir konstruieren nun f : T → N<N durch

f(∅) = ∅, f((x0)) = (0), f((x0, x1)) = (0, gx0,x1(0)),

f((x0, x1, x2)) = f((x0, x1)) _ (gx1,x2(0), gx1,x2(1)),

bzw. für beliebiges n ∈ N:

f((x0, x1, . . . , xn)) := f((x0, . . . , xn−1)) _ (gxn−1,xn(0), gxn−1,xn(1), . . . , gxn−1,xn(n− 1)).

Weiter definieren wir T ∗ := {s ∈ N<N : ∃u ∈ T : s ≤ f(u)}. Offensichtlich ist T ∗ ein Baumund Bild f ⊆ T ∗. Außerdem ist f monoton und hat die Eigenschaft

(∗∗) ∀s ∈ N<N : |f(s)| = 1 +|s|∑i=1

(i− 1) =: l|s|,

was eine leichte Induktion zeigt.

Es genügt also zu zeigen, dass T ∗ ∈ WF ist.

63

Annahme: T ∗ /∈ WF . Dann existiert σ ∈ [T ∗], d.h. es existiert für jedes n ∈ N ein u ∈ T mitσ | n ≤ f(u), da σ | n ∈ T ∗ ist. Wir wählen nun für jedes n ∈ N ein solches

un := (xn1 , . . . , xn

n) ∈ T, n ∈ N,

so dass σ | ln ≤ f(un) ist. Da |f(s)| = l|s| für jedes s ∈ N<N ist, ist n ≥ n. Sei p ∈ N.

Für jedes n ∈ N≥p+1 erhalten wir dann mit (∗∗) und σ | n ≤ f(un):

f(xn1 , . . . , xn

p , xnp+1) = σ | lp+1 = f(xn+1

1 , . . . , xn+1p , xn+1

p+1 )

und damit gxnp ,xn

p+1(m) = gxn+1

p ,xn+1p+1

(m) für alle m ≤ n− 1.

Damit ist für alle m ∈ N die Folge(gxn

p ,xnp+1

(m))

n∈Nfür alle n ≥ m + 1, p + 1 konstant.

Außerdem ist xnp+1 ≺ xn

p für jedes n ≥ p, deshalb können wir (∗) anwenden.

Hiermit erhalten wir für jedes q ∈ N ein xq ∈ X mit limn→∞ xnq = xq und xq+1 ≺ xq im

Widerspruch zur guten Fundierung von ≺. �

Einen ähnlichen Beweis für den letzten Satz findet sich auch in [Kec1, S. 239].

Hiermit können wir nun zeigen, dass WF unbeschränkt ist, denn es gilt folgendes allgemeines

Satz 7.22. Sei X polnischer Raum, C ⊆ X coanalytisch, ϕ ein∏1

1-Rang auf C. Sei A ⊆ C

analytisch. Dann ist ϕ auf A beschränkt, d.h.

sup{ϕ(x) | x ∈ A} < ω1.

Insbesondere gilt:Ist C Borel, dann ist ϕ beschränkt auf C.

Beweis. Wir betrachten die Relation

y ≺ z ⇔ y, z ∈ A und ϕ(y) < ϕ(z).

Es isty ≺ z ⇔ y, z ∈ A und z �∗

ϕ y

und damit ≺ analytisch, da ≤∗ϕ coanalytisch und A× A analytisch ist. Wir zeigen nun noch,dass ≺ wohl-fundiert ist:

Angenommen, es existiert eine Folge (xn)n∈N in A mit xn+1 ≺ xn für alle n ∈ N. Dann ist{ϕ(xn) : n ∈ N} ⊆ Ord nicht-leer, enthält also ein kleinstes Element, etwa ϕ(xn0). Dann istϕ(xn0) ≤ ϕ(xn0+1) im Widerspruch zu xn0+1 ≺ xn0 und damit ϕ(xn0+1) < ϕ(xn0).

Wir können also Satz 7.21 anwenden. Hiermit hat ≺ abzählbare Länge, d.h.

L(≺) = sup{L(x,≺) + 1 | x ∈ X}

64

ist abzählbar. Wir zeigen, dass damit {ϕ(x) | x ∈ A} abzählbar ist:

Für jedes x ∈ A ist ϕ(x) abzählbar. Wir nehmen an,

sup{ϕ(x) | x ∈ A} =⋃{ϕ(x) | x ∈ A}

ist überabzählbar. Dann gibt es eine überabzählbare Indexmenge I und eine Familie xi, i ∈ I,so dass {ϕ(xi) | i ∈ I} überabzählbar ist und ϕ(xi) 6= ϕ(xj) für alle i, j ∈ I mit i 6= j ist.Seien nun i, j ∈ I mit i 6= j, o.B.d.A. ϕ(xi) < ϕ(xj). Dann ist

L(xj ,≺) = sup{L(y,≺) + 1 |y ≺ xj} ≥ L(xi,≺) + 1 > L(xi,≺).

Insbesondere ist dann{L(xl,≺) | l ∈ I}

überabzählbar. Dies ist ein Widerspruch.

Damit istsup{ϕ(x) | x ∈ A} =

⋃{ϕ(x) | x ∈ A} < ω1

abzählbar als abzählbare Vereinigung abzählbarer Mengen.

Ist C Borel, dann ist C analytisch, somit ϕ auf C beschränkt. �

Es verbleibt uns somit nur noch zu zeigen, dass h auf WF unbeschränkt ist. Damit erhaltenwir das

Korollar 7.23. WF ist in T nicht analytisch und damit nicht Borel. Insbesondere ist IF eineanalytische Menge, die nicht Borel ist.

Beweis. Wir zeigen: Zu jedem α ∈ ω1 existiert ein T ∈ WF mit h(T ) ≥ α. Dann ist T nachSatz 7.22 nicht analytisch, also nach dem Satz von Suslin nicht Borel.

Genauer werden wir zeigen, dass zu jedem wohl-fundierten Baum der Höhe α ∈ ω1 ein wohl-fundierter Baum der Höhe α + 1 existiert und zu 0 ∈ Ord bzw. jedem Grenzordinal der Höheδ ein höherer wohl-fundierter Baum existiert.

Zunächst ist {∅} ⊆ WF ein Baum mit h({∅}) = 0 ∈ ω1.

(i) Sei nun α ∈ ω1 und T ∈ WF mit h(T ) = α. Definiere

T := {n _ s ∈ N<N | s ∈ T, n ∈ N} ∪ {∅}.

Offensichtlich ist T ein Baum. Außerdem ist

h(T ) = sup{h(n, T ) + 1 : n ∈ N} = sup{h(∅, T ) + 1 : n ∈ N} = h(T ) + 1.

Somit ist T wohl-fundiert und hat die gewünschte Höhe.

65

(ii) Wir konstruieren nun zu einem Grenzordinal δ ∈ ω1 einen wohl-fundierten Baum mith(T ) ≥ δ. Sei (αn)n∈N eine Folge paarweise disjunkter Ordinalzahlen mit

δ = sup{αn | n ∈ N},

so dass für jedes n ∈ N ein Tn ∈ WF existiert mit h(Tn) = αn. Setze

T := {∅} ∪ {(n) _ s | n ∈ N, s ∈ Tn}.

Nun ist T ∈ WF :

Annahme: [T ] 6= ∅. Dann existiert ein σ ∈ NN, so dass für alle t ≤ σ gilt, dass t ∈ T ist. Nunist aber σ(1) = t(1) für alle t ≤ σ, d.h. s ∈ Tσ(1) für alle s ∈ N<N mit (σ(1)) _ s ≤ σ. D.h.σ : N → N, n 7→ σ(n − 1) ist in [Tσ(1)], also [Tσ(1)] 6= ∅ und damit Tσ(1) /∈ WF . Dies ist einWiderspruch, also ist [T ] = ∅ und damit T ∈ WF .

Offensichtlich isth(T ) = sup{h(Tn) + 1 | n ∈ N} ≥ δ.

Somit hat T die geforderte Höhe. �

Wir können mittels des Borel-Isomorphismuslemmas eine messbare Surjektion von R auf IF

und von T eine weitere nach R wählen. Führen wir diese hintereinander aus und betrachtenden Graphen, erhalten wir erneut eine Borel-Menge im R2, so dass die Projektion auf diezweite Koordinate keine Borel-Menge ist.

Wir werden die Einbettung in den R2 jedoch nun durch konkrete Funktionen durchführen.

66

8. Analytische Mengen in den Reellen Zahlen

Wir werden im Folgenden den metrischen Raum [0, 1] \ Q (den wir als erstes als polnischidentifizieren werden) stetig und surjektiv auf NN abbilden. Damit können wir jede analytischeMenge als stetiges Bild von [0, 1] \ Q darstellen. Wir verwenden hierzu Kettenbrüche. DieEinführung, an der wir uns hier orientieren, wird in [Sch3, S. 59] gegeben.

Lemma 8.1. Der metrische Raum ([0, 1] \Q, |·||[0,1]\Q) ist ein polnischer Raum.

Beweis. Zunächst ist [0, 1] mit der Teilraumtopologie als abgeschlossene Teilmenge des polni-schen Raums (R, |·|) ein polnischer Raum. Für festes q ∈ Q ist [0, 1] \ {q} offen in [0, 1] alsoein polnischer Raum nach Korollar 3.15. Damit ist⋂

q∈Q[0, 1] \ {q} = [0, 1] \Q

ein polnischer Raum nach Theorem 3.11. �

Definition 8.2. Es sei x = (xn)n∈N ∈ NN. Wir bezeichnen mit

E(x, m) :=1

x1 + 1x2+ 1

...+ 1xm

den m-ten Kettenbruch der Folge (xn)n∈N.

Lemma 8.3. Es seien p−1 = 1 , p0 = 0, q−1 = 0 , q0 = 1 und

pn = xnpn−1 + pn−2

qn = xnqn−1 + qn−2

für alle n ∈ N. Dann ist

(i) ∀n ∈ N : E(x, n) =pn

qn

(ii) ∀n ∈ N : pn+1qn − pnqn+1 = (−1)n

(iii) ∀n ∈ N : E(x, n + 1)− E(x, n) =(−1)n+1

qn+1qn

(iv) ∀n ∈ N : qn ≥ n.

Beweis. (i) Es gilt

E(x, 1) =1x1

und p1 = x1p0 + p−1 = 1 und q1 = x1q0 + q−1 = x1,

67

d.h. es istE(x, 1) =

p1

q1.

Es sei n ∈ N. Wir definieren

xk :=

{xk falls k ∈ n− 1 ,

xn + 1xn+1

falls k = n.

Es bezeichne pk , qk die analog zu x definierten k-ten Koeffizienten und es gelte E(x, n) = pn

qn.

Dann gilt für alle k ∈ n− 1 , dass pk = pk und qk = qk. Außerdem gilt nach Induktionsvor-aussetzung:

E(x, n + 1) = E(x, n) =pn

qn=

xnpn−1 + pn−2

xnqn−1 + qn−2=

(xn + 1xn+1

)pn−1 + pn−2

(xn + 1xn+1

)qn−1 + qn−2

=xn+1(xnpn−1 + pn−2) + pn−1

xn+1(xnqn−1 + qn−2) + qn−1=

xn+1pn + pn−1

xn+1qn + qn−1=

pn+1

qn+1.

(ii) Es ist p1 = 1, p0 = 0 , q1 = x1 und q0 = 1. Hieraus folgt

p1q0 − p0q1 = 1 = (−1)0.

Sei n ∈ N. Es geltepn+1qn − pnqn+1 = (−1)n.

Dann gilt

pn+2qn+1 − pn+1qn+2 = (xn+2pn+1 + pn)qn+1 − pn+1(xn+2qn+1 + qn)

= pnqn+1 − pn+1qn = (−1)n+1.

(iii) Mit (ii) folgt direkt

E(x, n + 1)− E(x, n) =pn+1

qn+1− pn

qn=

pn+1qn − pnqn+1

qnqn+1=

(−1)n+1

qnqn+1.

(iv) Es istq1 = x1 ≥ 1.

Sei n ∈ N≥2, es gelte qk ≥ k für alle k ≤ n. Dann ist

qn+1 = xn+1qn + qn−1 ≥ qn + qn−1 ≥ n + n− 1 ≥ n + 1.

Satz 8.4. Für alle z ∈ [0, 1] \Q existiert genau ein (xn)n∈N ∈ NN mit limm→∞

E(x,m) = z.

68

Beweis. Es sei z ∈ [0, 1]\Q. Wir erhalten nun induktiv eine Folge (xn)n∈N: Sei x1 ∈ N maximalmit

z <1x1

.

Dann ist1

x1 + 1< z <

1x1

,

da z /∈ Q. Wir können also ein r2 > 1 wählen mit

z =1

x1 + 1r2

,

Wir wählen nun zu gegebenen x1, . . . , xn, r1, . . . , rn, rn+1 induktiv xn+1 ∈ N0 maximal mit

rn+1 > xn+1

und rn+2 > 1 mit

rn+1 = xn+1 +1

rn+2.

Die Wohldefiniertheit von rn+2 erhalten wir, da x /∈ Q ist. Auf diese Weise haben wir für allen ∈ N≥2 die Gleichung

z =1

x1 + 1

. . .+ 1rn

bewiesen.

Wir erhalten hieraus1rn

<1xn

und rn = xn +1

rn+1< xn +

1xn+1

und damit1

xn + 1xn+1

<1rn

<1xn

.

Es folgt

xn−1 +1

xn + 1xn+1

< xn−1 +1rn

< xn−1 +1xn

und hieraus1

xn−1 + 1xn+ 1

xn+1

>1

xn−1 + 1rn

>1

xn−1 + 1xn

.

Führen wir dieses Verfahren bis x1 fort, erhalten wir somit für gerades n ∈ N

E(x, n) ≤ z ≤ E(x, n + 1),

bzw. für ungerades n ∈ NE(x, n) ≥ z ≥ E(x, n + 1).

69

Mit obigem Lemma folgt

|z − E(x, n)| ≤ |E(x, n)− E(x, n + 1)| ≤ 1n(n + 1)

,

wobei qn+1, qn wie im Lemma 8.3 gewählt sind, d.h. limn→∞

E(x, n) = z .

Sei (xn)n∈N eine weitere Folge in N mit limn→∞ E(x, n) = z. Angenommen, es existiert einn ∈ N mit xn 6= xn, o.B.d.A. sei n minimal. Dann ist E(x, n − 1) = E(x, n − 1), d.h. es ist -mit rn+1 > 1 analog gewählt -

1xn + 1

rn+1

=1

xn + 1rn+1

,

d.h.0 6= 1

rn+1− 1

rn+1= xn − xn ∈ Z

wodurch wir einen Widerspruch erhalten, da rn+1, rn+1 > 1 sind. �

Lemma 8.5. Sei n ∈ N, z ∈]0, 1[\Q, (xn)n∈N ∈ NN mit

E(x, n + 2) ≤ z ≤ E(x, n + 3) falls n gerade,

bzw.E(x, n + 3) ≤ z ≤ E(x, n + 2) falls n ungerade ist.

Ist (yn)n∈N die nach Satz 8.4 eindeutig bestimmte Kettenbruchentwicklung von z, dann istE(y, n) = E(x, n).

Beweis. Wir betrachten nur den Fall, dass n gerade ist. Wir führen eine Induktion durch. Manbeachte zunächst, dass für jedes gerade k ∈ N

E(x, k) ≤ E(x, k + 2) ≤ E(x, k + 3) ≤ E(x, k + 1)

ist.

Damit ist zunächst1

x1 + 1<

1x1 + 1

x2

= E(x, 2) < z < E(x, 1) =1x1

.

Sei k ∈ n , E(y, k) = E(x, k). Wir zeigen: E(y, k + 1) = E(x, k + 1). Sei hierzu rk+1 > 0 mit

z =1

x1 + 1

. . .+ 1rk+1

.

Ist k ungerade, dann ist

E(x, k + 2) ≥ E(x, n + 3) ≥ z ≥ E(x, n + 2) ≥ E(x, k + 1).

70

Hiermit folgt, dass

xk+1 < rk+1 < xk+1 +1

xk+2< xk+1 + 1

ist, d.h. xk+1 ist maximal mit xk+1 < rk+1. Damit ist E(x, k +1) = E(y, k +1), was zu zeigenwar. Analog geht man vor, wenn k gerade ist. �

Wir erhalten hieraus:

Korollar 8.6. Es gibt eine stetige Bijektion f : [0, 1] \Q → NN.

Beweis. Wir wählen für jedes z ∈ [0, 1] \Q das eindeutig bestimmte f(z) = (f(z)n)n∈N ∈ NN

mit limn→∞ E(f(z), n) = z nach Satz 8.4. Da für jede Folge (xn)n∈N ein x ∈ [0, 1] \ Q nachLemma 8.3 existiert mit lim

n→∞E(x, n) = x, ist f surjektiv, also bijektiv.

Sei z0 ∈ [0, 1] \ Q, f(z0) ∈ U ⊆ NN offen, (xn)n∈N := f(z0). Da N diskret ist, existiert dannein n ∈ N mit

f(z0) ∈ {x1} × . . .× {xn} ×∏k>n

N ⊆ U.

Wir wählen ein δ > 0, so dass

min{|E(x, n + 2)− z0| , |E(x, n + 3)− z0|} <δ

2ist. Sei z ∈]z0 − δ, z0 + δ[\Q, f(z) =: (yn)n∈N. Dann ist nach Lemma 8.5

E(f(z), n) = E(f(z0), n)

somit f(z) ∈ U .

Damit ist f eine stetige Bijektion. �

Nun werden wir die Konstruktion unseres Beispiels abschließen. Wir werden IF als stetigesBild der irrationalen Zahlen darstellen und diese in die Cantormenge einbetten. Damit habenwir eine stetige Abbildung von einer Borel-Menge von R nach R. Der Graph dieser Funktionstellt somit eine Borel-Menge im R2 dar; die Projektion auf die zweite Koordinate ist aber eineanalytische, nicht-coanalytische Menge. Also ist sie insbesondere nach dem Satz von Suslinkeine Borel-Menge.

Dies formalisieren wir noch in zwei abschließenden Sätzen:

Satz 8.7. Es gibt eine Borel-Menge B ⊆ C, so dass B und T homöomorph sind.

Beweis. Nach 2.20 sind {0, 1}N und {0, 1}N<N homöomorph. Somit sind C und {0, 1}N<N ho-möomorph. Sei f : C → {0, 1}N<N ein Homöomorphismus. Da T abgeschlossen in {0, 1}N<N

ist, ist somit f−1(T) abgeschlossen in C. Nun ist C wiederum abgeschlossen in R und damitebenfalls f−1(T) in R. Somit ist B := f−1(T) eine zu T homöomorphe Borel-Menge. �

71

Korollar 8.8. (Lebesgues Irrtum, Konstruktive Fassung) Es gibt eine Borel-Menge in R2, sodass das Bild dieser Menge unter einer Koordinatenprojektion keine Borel-Menge in R ist.

Beweis. Sei f : [0, 1] \Q → NN eine stetige Surjektion nach Korollar 8.6, g : NN → IF stetigund surjektiv nach Korollar 7.23 und h : T → B ein Homöomorphismus auf eine Borel-MengeB ⊆ R nach Satz 8.7. Dann ist h ◦ g ◦ f : [0, 1] \Q → R stetig und der Graph dieser Funktionist - da [0, 1] \ Q eine Borel-Menge ist - nach Korollar 4.13 eine Borel-Menge in R × R. Nunist π2(graph(h ◦ g ◦ f)) = h(IF ) stetiges Bild von IF , damit nach Lemma 4.14 analytisch.

Wäre h(IF ) Borel, wäre IF als Urbild einer Borel-Menge unter einer stetigen Funktion eben-falls Borel, somit also coanalytisch nach Satz 9.4 im Widerspruch zu Korollar 7.23. �

72

9. Suslins Satz

Wir werden nun der Vollständigkeit halber den (schon oben zitierten) Satz von Suslin beweisen.Wir führen zunächst folgenden Begriff ein:

Definition 9.1. Sei X ein polnischer Raum, P,Q ⊆ X. Das Paar (P,Q) heißt Borel-separabel,wenn eine Borel-Menge R ⊆ X existiert, so dass P und Q durch R getrennt werden, d.h. P ⊆ R

und R ∩Q = ∅.

Um den Satz von Suslin zu beweisen, werden wir zunächst den Trennungssatz von Lusinbeweisen. Dieser sagt aus, dass zwei disjunkte analytische Mengen Borel-separabel sind.

Lemma 9.2. Seien Pm, Qn ⊆ X, (Pm, Qn) Borel-separabel für alle m,n ∈ N. Dann ist dasPaar (

⋃m∈N

Pm,⋃

n∈NQn) Borel-separabel.

Beweis. Wähle für jedes m,n ∈ N eine Borel-Menge Rm,n, die das Paar (Pm, Qn) trennt.Für jedes m ∈ N ist Pm ⊆

⋂n∈N

Rm,n, somit ist⋃

m∈NPm ⊆

⋃m∈N

⋂n∈N

Rm,n . Weiterhin sind

Qn ∩Rm,n = ∅ für alle m,n ∈ N.

Also ist Qn ∩ (⋂

k∈NRm,k) = ∅ für alle m,n ∈ N und damit

⋃n∈N

Qn ∩ (⋃

m∈N

⋂k∈N

Rm,k) = ∅.

Also trennt die Borel-Menge⋃

m∈N

⋂k∈N

Rm,k das Paar (⋃

m∈NPm,

⋃n∈N

Qn). �

Satz 9.3. (Lusins Trennungssatz) Sei X ein polnischer Raum, A,B ⊆ X zwei disjunkteanalytische Mengen. Dann ist (A,B) Borel-separabel.

Beweis. Es seien f : NN → A, g : NN → B surjektiv und stetig. Für jedes s ∈ N<N seiAs := f(Es), Bs := g(Es). Dann ist As =

⋃m∈N

As_m, Bs =⋃

n∈NBs_n für alle s ∈ N<N und

A∅ = A, B∅ = B.

Annahme: Das Paar (A,B) ist nicht Borel-separabel. Dann existieren nach Lemma 9.2 x1, y1 ∈N, so dass (Ax1 , By1) nicht Borel-separabel ist.

Wir definieren nun rekursiv für jedes n ∈ N nach Lemma 9.2 xn, yn ∈ N, so dass das Paar(A(x1,...,xn), B(y1,...,yn)) nicht Borel-separabel ist. Wir wählen nach dem 2. Trennungsaxiomdisjunkte offene Mengen U, V ⊆ X mit f(x) ∈ U und g(y) ∈ V . Nach der Stetigkeit von f

folgt, dass es ein n ∈ N gibt, so dass f(Ex|n) ⊆ U , g(Ey|n) ⊆ V , so dass (Ax|n, Bx|n) von U

getrennt wird. Dies ist jedoch ein Widerspruch. �

Satz 9.4. (Suslins Satz) Eine Teilmenge eines polnischen Raums ist genau dann Borel, fallssie bi-analytisch ist.

73

Beweis. Sei X polnisch, A ⊆ X. Ist A bi-analytisch, dann existiert eine Borel-Menge C ⊆ X,die (A,X \ A) trennt, also C = A. Ist B Borel-Menge, dann auch X \ B und nach Lemma3.22 sind beide analytisch. Somit ist B bi-analytisch. �

74

Literatur

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University Press, Cambridge 1987[Leb1] H. Lebesgue, Sur les fonctions représentables analytiquement, Journal de Mathémathiques (Ser. 6),

1905[Lusi] N. N. Lusin, Le cons sur les ensembles analytiques et leurs applications, Gauthier-Villars, Paris, 1930[Köni] K. Königsberger, Analysis 2, Springer-Verlag, New York, 2000[John] W. B. Johnson, J. Lindenstrauss, Handbook of the Geometry of Banach Spaces, Elsevier B.V., Am-

sterdam, 2001[Maza] P. Mazat, Analytic Sets in locally convex spaces, North Holland Publ. Co., Amsterdam, 1984[Perr] D. Perrin, Infinite Words, Elsevier B.V., Amsterdam, 2004[Sch1] C. Schütt, Skript zur Funktionalanalysis, http://www.math.uni-kiel.de/personalia/schuett[Sch2] C. Schütt, Skript zur Maßtheorie, http://www.math.uni-kiel.de/personalia/schuett[Sch3] C. Schütt, Skript zur Analysis, http://www.math.uni-kiel.de/personalia/schuett[Wern] D. Werner, Funktionalanalysis, Springer-Verlag, New York, 1995

Ich versichere, diese Arbeit selbstständig und nur mit den angegebenen Mitteln und Quellenangefertigt zu haben.

Kiel, den 7. September 2005 Michael Saß