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PROJEKTMANAGEMENT DER KRITISCHEN KETTE: CRITICAL-CHAIN- PROJEKTMANAGEMENT des 24. Tags mit Aktivität 3 beschäftigt. Schritt 1: Dreipunkt-Schätzung Bei Einpunkt-Schätzungen gibt es eine Neigung von Teammitgliedern, pessimis- tisch zu schätzen, sich also selbst Puffer zu bilden, die sich dann über die Netzplan- Pfade aufaddieren und Projekte langsam machen. Dreipunkt-Schätzung mit Team- mitgliedern sollte dem folgenden Prozess folgen: Zuerst erfragt man die pessimistische Schätzung, um den Druck vom Team- mitglied zu nehmen, bevor knappe Schätzungen erfragt werden. Die Frage könnte lauten: „Wie hoch ist die Dauer, wenn alles so richtig schlecht läuft?” Anschließend fragt man nach der opti- mistischen Schätzung: „Wie hoch ist die Dauer, wenn alles ganz einfach und schnell gehen sollte?” Am Schluss erfragt man den nach Meinung des Schätzers wahrscheinlich- sten Wert. Hans gibt nun im obigen Beispiel für Aktivität 1 folgende Werte an: Critical-Chain-Projektmanagement (CCPM) ist eine Anpassung der klassischen Netzplantechnik an Projektumgebungen, die von knappen Ressourcen und dem nur schwer zu schätzenden Aufwand und der Dauer für Aktivitäten bestimmt sind. Im Mittelpunkt steht die Konzentration auf eine kritische Ressource und die intelligen- te Einrichtung von Prozesspuffern. In diesem Beitrag stellen wir das Verfahren vor und zeigen eine pragmatische Variante zur Anwendung in agilen Projekten. mehr zum thema: www.oose.de www.oliverlehmann.com/ 24 25 Oliver F. Lehmann (E-Mail: [email protected]) ist inter- national tätiger freiberuflicher Trainer. Er führt für oose PMI/PMP-Zertifizierungs- vorbereitungen durch und hat hunderte von Teilnehmern beim Erwerb und Erhalt ihres PMP-Status unterstützt. Bernd Oestereich (E-Mail: [email protected]) ist geschäftsführender Gesellschafter der oose Innovative Informatik GmbH und Autor zahlreicher international publizierter Bücher zu den Themen Software-Enginee- ring, Geschäftsprozesse, UML und Projektmanagement. planung nach traditioneller Kritische-Pfad- Methode ein Critical-Chain-Plan wird: Vom kritschen Pfad zur kritischen Kette Die Ausgangssituation Eine Fallstudie soll die Besonderheiten der Critical-Chain-Methode zeigen. Ein kleiner Netzplan aus sechs Aktivitäten ist nach herkömmlicher Kritischer-Pfad-Methode erstellt und mit Einpunkt-Schätzungen, die von den jeweils ausführenden Teammitglie- dern durchgeführt wurden, versehen wor- den (siehe Abb. 1). Der dunkel markierte kritische Pfad ver- läuft über die Aktivitätenfolge 4-5-6, die Mindestdauer bis zur Lieferung ist 63 Tage, also die Summe der Einzeldauern dieser Aktivitäten. Die anderen Pfade haben eine kürzere Dauer und sind daher für die Gesamtdauer – scheinbar – nicht maßgeblich. Jedes der Teammitglieder Hilde, Hugo und Hans hätte nach dieser Rechnung eine Aktivität auf dem kritischen Pfad. Wie realistisch ist die Annahme aus dem Netzplan von mindestens 63 Tagen? Tat- sächlich kann der Netzplan so nicht funk- tionieren: Hilde müsste dazu mit Aktivität 5 am 22. Tag beginnen, ist aber bis zum Ende Critical-Chain-Projektmanagement (CCPM), häufig auch als Critical-Chain-Manage- ment (CCM) bezeichnet, setzt Dreipunkt- Schätzungen voraus. Gegenüber der tradi- tionellen Methode des Kritischen Pfads (Critical Path Method, CPM), die durch Aufaddierung vieler Einzelreserven häufig zu langsamen und dennoch unrealistischen Plänen führt, sind Critical-Chain-Projekte realistischer geplant und dennoch schnel- ler; in [Gol02] wird z. B. von 10% bis 25% berichtet. CCPM wurde 1997 von Eliyahu M. Goldratt entwickelt (vgl. [Gol02]). Seitdem wurde die Methode erfolgreich in einer Reihe von Unternehmen eingeführt, so unter anderem von Motorola und Siemens. Auch wenn konkrete Zahlen zu Zeit- gewinnen mit Vorsicht zu genießen sind, da Projekte generell nur schwer miteinander vergleichbar sind, gilt es doch als allgemein anerkannt, dass die Critical-Chain-Metho- de richtig angewandt zu deutlich schnelle- ren Projekten führt. Sie basiert auf der Theory of Constraints (TOC), die Goldratt vorher bereits erfolgreich in anderen Bereichen wie Produktion und Logistik ein- geführt hat. Das folgende Beispiel soll zeigen, wie über mehrere Schritte aus einer Termin- die autoren Abb. 1: Netzplan mit kritischem Pfad. schwerpunkt

PROJEKTMANAGEMENT DER KRITISCHEN KETTE: CRITICAL … · 6/2007 müssen, als beim systematischen Ermitteln der kritischen Kette. Die kritische Kette ist im Projekt-management sowieso

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PROJEKTMANAGEMENT DERKRITISCHEN KETTE:CRITICAL-CHAIN-PROJEKTMANAGEMENT

des 24. Tags mit Aktivität 3 beschäftigt.

Schritt 1: Dreipunkt-SchätzungBei Einpunkt-Schätzungen gibt es eineNeigung von Teammitgliedern, pessimis-tisch zu schätzen, sich also selbst Puffer zubilden, die sich dann über die Netzplan-Pfade aufaddieren und Projekte langsammachen. Dreipunkt-Schätzung mit Team-mitgliedern sollte dem folgenden Prozessfolgen:

■ Zuerst erfragt man die pessimistischeSchätzung, um den Druck vom Team-mitglied zu nehmen, bevor knappeSchätzungen erfragt werden. Die Fragekönnte lauten: „Wie hoch ist die Dauer,wenn alles so richtig schlecht läuft?”

■ Anschließend fragt man nach der opti-mistischen Schätzung: „Wie hoch istdie Dauer, wenn alles ganz einfach undschnell gehen sollte?”

■ Am Schluss erfragt man den nachMeinung des Schätzers wahrscheinlich-sten Wert.

Hans gibt nun im obigen Beispiel fürAktivität 1 folgende Werte an:

Critical-Chain-Projektmanagement (CCPM) ist eine Anpassung der klassischenNetzplantechnik an Projektumgebungen, die von knappen Ressourcen und dem nurschwer zu schätzenden Aufwand und der Dauer für Aktivitäten bestimmt sind. ImMittelpunkt steht die Konzentration auf eine kritische Ressource und die intelligen-te Einrichtung von Prozesspuffern. In diesem Beitrag stellen wir das Verfahren vorund zeigen eine pragmatische Variante zur Anwendung in agilen Projekten.

m e h r z u m t h e m a :www.oose.dewww.oliverlehmann.com/

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Oliver F. Lehmann

(E-Mail: [email protected]) ist inter-

national tätiger freiberuflicher Trainer. Er

führt für oose PMI/PMP-Zertifizierungs-

vorbereitungen durch und hat hunderte

von Teilnehmern beim Erwerb und Erhalt

ihres PMP-Status unterstützt.

Bernd Oestereich

(E-Mail: [email protected]) ist

geschäftsführender Gesellschafter der

oose Innovative Informatik GmbH und

Autor zahlreicher international publizierter

Bücher zu den Themen Software-Enginee-

ring, Geschäftsprozesse, UML und

Projektmanagement.

planung nach traditioneller Kritische-Pfad-Methode ein Critical-Chain-Plan wird:

Vom kritschen Pfadzur kritischen Kette

Die AusgangssituationEine Fallstudie soll die Besonderheiten derCritical-Chain-Methode zeigen. Ein kleinerNetzplan aus sechs Aktivitäten ist nachherkömmlicher Kritischer-Pfad-Methodeerstellt und mit Einpunkt-Schätzungen, dievon den jeweils ausführenden Teammitglie-dern durchgeführt wurden, versehen wor-den (siehe Abb. 1).

Der dunkel markierte kritische Pfad ver-läuft über die Aktivitätenfolge 4-5-6, dieMindestdauer bis zur Lieferung ist 63 Tage,also die Summe der Einzeldauern dieserAktivitäten. Die anderen Pfade haben einekürzere Dauer und sind daher für dieGesamtdauer – scheinbar – nicht maßgeblich.

Jedes der Teammitglieder Hilde, Hugound Hans hätte nach dieser Rechnung eineAktivität auf dem kritischen Pfad.

Wie realistisch ist die Annahme aus demNetzplan von mindestens 63 Tagen? Tat-sächlich kann der Netzplan so nicht funk-tionieren: Hilde müsste dazu mit Aktivität 5am 22. Tag beginnen, ist aber bis zum Ende

Critical-Chain-Projektmanagement (CCPM),häufig auch als Critical-Chain-Manage-ment (CCM) bezeichnet, setzt Dreipunkt-Schätzungen voraus. Gegenüber der tradi-tionellen Methode des Kritischen Pfads(Critical Path Method, CPM), die durchAufaddierung vieler Einzelreserven häufigzu langsamen und dennoch unrealistischenPlänen führt, sind Critical-Chain-Projekterealistischer geplant und dennoch schnel-ler; in [Gol02] wird z. B. von 10% bis 25%berichtet.

CCPM wurde 1997 von Eliyahu M.Goldratt entwickelt (vgl. [Gol02]). Seitdemwurde die Methode erfolgreich in einerReihe von Unternehmen eingeführt, sounter anderem von Motorola und Siemens.Auch wenn konkrete Zahlen zu Zeit-gewinnen mit Vorsicht zu genießen sind, daProjekte generell nur schwer miteinandervergleichbar sind, gilt es doch als allgemeinanerkannt, dass die Critical-Chain-Metho-de richtig angewandt zu deutlich schnelle-ren Projekten führt. Sie basiert auf derTheory of Constraints (TOC), die Goldrattvorher bereits erfolgreich in anderenBereichen wie Produktion und Logistik ein-geführt hat.

Das folgende Beispiel soll zeigen, wieüber mehrere Schritte aus einer Termin-

d ie au toren

Abb. 1: Netzplan mit kritischem Pfad.

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■ Pessimistisch: 12 Tage■ Optimistisch: 6 Tage■ Wahrscheinlichst: 7 Tage

Nach der PERT-Formel (Project Evaluationand Review Technique) „(O+4W+P)/6”ergibt das näherungsweise einen 50:50-Wert bezogen auf Über- und Unter-schätzungen von 7,67 Tagen – ein Wert denwir auf 8 Tage aufrunden sollten.

Wir notieren dabei noch etwas: DieUnsicherheit hinsichtlich der Dauer wirddurch die Differenz P–O ebenfalls vomSchätzer kommuniziert. Für Aktivität 1beträgt sie im Beispiel 12–6=6 Tage. Davonsind 4 Tage eine mögliche Verspätunggegenüber dem PERT-Wert, es könnte aberauch bis zu 2 Tage schneller gehen.

Die Dreipunkt-Schätzung liefert alsoauch ein Maß für die Sicherheit oder Un-sicherheit einer Schätzung, die wir doku-mentieren, da wir sie später ebenfalls ver-wenden werden. Die Information aus derDreipunkt-Schätzung für Aktivität 1 wirdwie folgt notiert:

■ PERT-Dauer: 8 Tage■ gesamte Unsicherheit: 6 Tage■ davon möglicher Verzug: 4 Tage■ davon möglicher Zeitgewinn: 2 TageNach der Anwendung der Dreipunkt-Schätzung und dem Einsetzen der PERT-Werte auch für die anderen Aktivitäten kom-men wir zu einem Netzplan mit einer auf 43Tage reduzierten Mindestdauer (siehe Abb.2). Hier ist zu bemerken, dass dieser immernoch nicht realistisch ist. Das Problem mit derVerfügbarkeit von Hilde ist noch nicht gelöst.

Ein weiteres Problem: Zwar lässt uns diePERT-Formel hoffen, dass sich Über- undUnterschreitungen ausgleichen, aber sicherist das natürlich nicht.Schritt 2: RessourcenabgleichZur Vereinfachung wechseln wir bei derDarstellungsform zu einem Schwimm-bahnen-Diagramm, in dem jede Zeile fürein Teammitglied steht und Aktivitätenüber eine Zeitachse gezeichnet werden (sie-he Abb. 3).

In dieser Darstellung ist erkennbar, dassdie Mindestdauer bis zum Liefertermin 46Tage beträgt, zumindest wenn wir wollen,dass die Arbeiten sauber nacheinander aus-geführt werden; Goldratt rät dringend von„schlechtem Multitasking” ab, „gutesMultitasking" braucht eine an den Arbeits-inhalten orientierte Begründung, die hiernicht gegeben ist.

Zu der Einschränkung durch die Aktivi-tätslogik, die sich in der Länge des kri-tischen Pfads niederschlägt, kommt eineweitere Einschränkung durch die Verfüg-barkeit von Hilde. Die wirklich kritischeAktivitätenfolge ist daher nicht 4-5-6 son-dern 3-5-6. Diese Folge wird als kritischeKette bezeichnet. Jede Verzögerung auf derkritischen Kette bewirkt eine Verzögerungder Lieferung.

Eine Ressource, die auf der kritischenKette arbeitet, wird als Drum bezeichnet,also als der Trommler, der die Marsch-geschwindigkeit einer Truppe bestimmt.

Schritt 3: PufferbildungCPM bevorzugt es, Aktivitäten so früh wiemöglich durchzuführen. Im Gegensatzdazu werden bei CCPM die meisten Arbei-ten möglichst spät ausgeführt, um Nachar-beiten zu vermeiden, wenn sich später neueErkenntnisse ergeben sollten. Dazu werdenallerdings Puffer eingebaut, im Beispiel alsP1 bis P4 bezeichnet (siehe Abb. 4).

In Schwimmbahnen-Diagrammen wer-den der Übersichtlichkeit halber Netzplan-Abhängigkeiten meistens ausgeblendet. ImBeispiel haben wir lediglich die Abhängig-keit zwischen Aktivität 1 und Aktivität 5beibehalten, um den Puffer P1 verständlichzu machen.

Mit den Puffern werden im Beispielunterschiedliche Ziele verfolgt:

■ P1(Feeding Buffer): schützt Aktivität 5vor Verzögerungen bei der nicht-kriti-schen Aktivität 1, deren Ergebnis siebraucht, um beginnen zu können.

■ P2 (Resource Buffer): schützt Aktivität2 davor, dass sie nicht fertiggestellt wer-den kann, wenn die kritische Aktivität6 beginnen muss, die von der gleichenRessource ausgeführt wird.

■ P2 (zweite Funktion „Drum Buffer”):schützt zusätzlich Aktivität 6 davor, dasssie wegen Verzögerungen bei Aktivität 2und somit verspäteter Verfügbarkeit vonHans erst verspätet beginnen kann.

■ P3 (Project Buffer, Deadline Buffer):schützt den Liefertermin davor, auf-grund zu aggressiver Terminplanungverfehlt zu werden.

■ P4: die gleiche Funktion wie P1.

Wie wird die Länge der Puffer bestimmt?Dafür gibt es zwei Einflussgrößen:

■ Wie kritisch bzw. wichtig ist der einzu-haltende Termin? (Je wichtiger der Ter-min ist, umso mehr Puffer sollten gebil-det werden.)

■ Wie unsicher ist die jeweilige Schät-zung? (In Schritt 1 wurde Aktivität 1mit einer Unsicherheit von sechs Tagengeschätzt, davon bis zu vier Tage Ver-zug. Im letzten Schritt wurden genaudiese vier Tage als Puffer angesetzt. Je

Abb. 3: Schwimmbahnen-Diagramm für eine saubere sequenzielle Aktivitätenfolge.

Abb. 2: Netzplan für Mindestdauer.

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Page 3: PROJEKTMANAGEMENT DER KRITISCHEN KETTE: CRITICAL … · 6/2007 müssen, als beim systematischen Ermitteln der kritischen Kette. Die kritische Kette ist im Projekt-management sowieso

räumst und seinen Durchsatz opti-mierst.

■ Subordinate: Ordne die anderen Res-sourcen dem Engpass unter, vor allemdurch Reservenbildung.

■ Elevate: Investiere in den Trommler,um seine Leistung zu erhöhen.

■ Rinse and Repeat: Wiederhole diesenProzess immer wieder (aus der Sham-poo-Werbung übernommen).

Dazu sagt Eli Goldratt: „Eine Stunde, dieman an einem Nicht-Engpass eingesparthat, ist eine Fata-Morgana”.

Der Staffelholz-Trägerin agilen ProjektenIm Kontext agiler und iterativer Projekte istCCPM nicht unbedingt eine naheliegendeIdee, weil zum Ermitteln der kritischenKette die genaue Abfolge der einzelnenArbeiten mit ihren Abhängigkeiten be-kannt sein muss. Aus denselben Gründenist auch die kritische Pfad-Analyse in agilenProjekten unpopulär. Agiles, iterativesVorgehen hat auf der Detailebene nur einenkurzen Planungshorizont und plant auf derMakroebene sehr grob.

Um die an sich gute Kernidee aber in agi-len Projekten einfach und pragmatischnutzbar zu machen, schlagen wir einVerfahren vor, dass wir aktueller Staffel-holz-Träger nennen: Die Person, derenArbeit sich zum aktuellen Zeitpunkt wahr-scheinlich auf der kritischen Kette befindet,wird jeweils öffentlich als „aktuellerStaffelholz-Träger” gekennzeichnet, damitalle anderen wissen, dass von dieser Persongerade die Gesamtdauer des Projektsabhängt.

Die Annahme ist auch hier, dass zu jedemZeitpunkt eine Person mit ihrer Arbeitgerade auf der kritische Kette liegt und dieAbfolge aller Arbeiten auf der kritischenKette die Projektdauer bestimmt. Anstelledes Aufwands, die kritische Kette zu ermit-teln, spekulieren wir jedoch lediglich, wel-che der bevorstehenden Arbeitsaufträgewahrscheinlich kritisch im Sinne der kriti-schen Kette sind. Diesen Arbeitsaufträgenwidmen wir dann besondere Aufmerk-samkeit; wir versuchen sie durch optimaleRahmenbedingungen zu unterstützen.Selbst wenn unsere Annahme darüber, wel-che Arbeitsaufträge kritisch sind, nichtimmer stimmt, wird der Effekt höchst-wahrscheinlich doch positiv sein, da sicher-lich einige Annahmen zutreffend sind unddie Annahmen auch nicht schlechter sein

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Terminen beruhen würde. Außerdem wirddie Gefahr von Nacharbeiten reduziert, diezu häufigen Terminüberschreitungen führen.Dies führt letztlich zu einer Verringerung derArbeitslast für den Projektmanager.

Critical-Chain-Projektmanager sind we-niger auf Endtermine fixiert und übendaher auch weniger Druck auf Team-mitglieder aus. Sie stellen eher sicher, dassArbeiten termingerecht beginnen und unge-stört ausgeführt werden können. Währendder Arbeiten sind sie eher auf Qualität alsauf Zeit fixiert, da sie für Verzüge ja bereitsReserven angelegt haben. Durch dieseEffekte kann sich CCPM auch positiv aufKosten und Qualität und auf die Motiva-tion im Team auswirken.

Der Critical-Chain-PlanungsprozessEli Goldratt hat den Prozess wie folgtbeschrieben:

■ Identify: Identifiziere den Engpass, derin einem gegebenen Moment denFortschritt im Projekt bestimmt.

■ Exploit: Schöpfe den Engpass optimalaus, indem du alle Hindernisse beiseite

größer die Unsicherheit der Schätzung,desto größer sollte der Puffer sein.)

Übrigens haben die Puffer noch einen ange-nehmen Effekt: Sollten im Beispiel dieAktivitäten 1 und 4 wie geplant fertigge-stellt werden, Aktivität 3 jedoch schnellerals geplant sein, erlauben die Puffer, dassHilde früher mit Aktivität 5 beginnenkann. Es werden also nicht nur Verzöge-rungen aufgefangen, es werden auch Zeit-gewinne genutzt. Zeitgewinne sind beimPERT-Verfahren aufgrund einer 50:50-Annahme (vgl. Mittelwert-Bildung mit derFormel „(O + 4W * + P)/6”) sogar rechtwahrscheinlich.

Wir haben die Betrachtung mit einemunrealistischen Plan mit 63 Tagen Dauerbegonnen, am Ende steht ein Plan mit einerrealistischen Dauer von nur noch 53 Tagen.

PlanungssicherheitDa Unsicherheiten der Schätzungen im Planberücksichtigt sind, ist er auch stabiler.Abweichungen im Rahmen der Erwar-tungen führen nicht zur Notwendigkeit vonPlanänderungen – ganz im Gegensatz zuCPM oder einer Planung, die nur auf festen

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Abb. 4: Schwimmbahnen-Diagramm mit Puffer.

Abb. 5: Prinzip der Dreipunktschätzung, die Werte O, W und P werden in die Formel(O + 4W * + P)/6 eingesetzt.

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müssen, als beim systematischen Ermittelnder kritischen Kette.

Die kritische Kette ist im Projekt-management sowieso eine mehr oder weni-ger vage Vermutung. Projekte sind bereitsper Definition besondere Herausforderun-gen und nur begrenzt planbar. In vollstän-dig bekannten Prozessen, beispielsweiseProduktionsprozessen, ließe sich die kriti-sche Kette relativ sicher ermitteln, inProjekten beruht sie auf Annahmen undUnsicherheiten.

Anwendungsbereich der Staffelläufer-Technik ist jeweils ein Team und eineIteration. Wir gehen davon aus, dass jedesTeammitglied alle seine Arbeitsaufträge fürdie aktuelle Iteration kennt. Sofern mehrerePersonen an einem Arbeitsauftrag arbeiten,ist einer von ihnen für das Ergebnis diesesSub-Teams verantwortlich (im FolgendenErgebnisverantwortlicher genannt).

Vor Beginn einer neuen Iteration gibtjeder Ergebnisverantwortliche an, welcheZulieferleistung (Abhängigkeit von einemanderen Arbeitsauftrag) für ihn die zeitlichbedeutendste ist. Dieser Zulieferer ist einmöglicher Engpass. In größeren Projektenkann zusätzlich im Top-Down-Verfahrenauch die Projektleitung auf Basis derGesamtplanung mögliche Engpass-Kandi-daten benennen, indem sie versucht, einekritische Teilkette zu identifizieren. Top-Down heißt hier: Die Analyse beginnt beiden Projektzielen, geht dann über Release-Features zu den Iterations-Features undlandet schließlich auch bei den Arbeits-aufträgen.

Zum aktuellen Staffelholz-Träger wirdjeweils die Person gekürt, die von den meis-ten anderen Teammitgliedern als Engpass-Kandidat angesehen wurde. Jedes Teamwählt dabei seine eigenen Staffelholz-Trä-ger. Dabei ist zu beachten, dass ein Arbeits-auftrag selten eine vollständige Iterations-länge dauert, sondern dass normalerweisedeutlich kürzere Arbeitsaufträge existieren.Da sich die Engpass-Kandidaten auf Ar-beitsaufträge beziehen, muss jedes Teamalso eine kritische Kette der Arbeits-aufträge in der Iteration bilden. Sobald einArbeitsauftrag auf der kritischen Kette erle-digt worden ist, wird das den Engpass sym-bolisierende Staffelholz an den nächstenübergeben. Sofern an einem Arbeitsauftragmehrere Personen mitarbeiten, müssen sichdiese untereinander einig werden, wer vonihnen den größten Engpass darstellt.

Mit diesem Verfahren wird also proTeam jeweils eine Person zum aktuellenStaffelholz-Träger gekürt, wobei diese

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Person innerhalb einer Iteration wechselnkann. Der Nutzen dieses Spiels ergibt sichaus folgenden Regeln und Erkenntnissen:

■ Der betroffene Arbeitsauftrag wird füralle sichtbar markiert. Beispielsweisewird die Karte zum Arbeitsauftrag aufder Planungswand mit einem fettenroten Rahmen versehen.

■ Ein aktueller Staffelholz-Träger darfniemals gestört und von der Arbeitabgehalten werden. Wenn es Fragenoder Hilfebedarf an ihn gibt, ist immererst zu prüfen, ob nicht jemand anderesdie Frage beantworten bzw. die Hilfeleisten kann.

■ Wenn ein aktueller Staffelholz-TrägerUnterstützung oder Hilfe anfordert, istdiese vorrangig vor allen anderen undsofort zu leisten. Auch Vorgesetzte habensich dann gegebenenfalls zu gedulden.

■ Ein aktueller Staffelholz-Träger mussvorrangig unterstützt werden und darfnicht gestört werden, da dies eine Ver-zögerung des Gesamtprojekts verur-sacht.

■ Der aktuelle Staffelholz-Träger konzen-triert sich ganz auf die zeitlich kritischeArbeit und stellt alle anderen Aufgabensolange zurück, bis er kein Staffelholz-Träger mehr ist.

■ Der aktuelle Staffelholz-Träger nimmtrechtzeitig Kontakt zum nächstenStaffelholz-Träger auf der kritischenKette auf, informiert ihn regelmäßigüber den aktuellen Stand und signali-siert ihm rechtzeitig, dass die Übergabebevorsteht.

■ Jeder zukünftige aktuelle Staffelholz-Träger nimmt rechtzeitig Kontakt zumaktuellen Staffelholz-Träger auf undlässt sich regelmäßig informieren, wanndie Übergabe bevorsteht.

■ Die Übergabe erfolgt symbolisch, d. h.das gesamte Team kommt kurz für eineMinute zusammen und der alte Staffel-holz-Träger sagt zum neuen: „Du trägstjetzt das Staffelholz und gibst unserTempo an”.

Damit jeder einen aktuellen Staffelholz-Träger erkennen kann, können diese tatsäch-lich ein Staffelholz oder einen entsprechendenButton tragen. Wir haben hierzu einen spe-ziellen Stafettenstab entwickelt, der deutlichkleiner ist als ein typischer Leichtathletik-Stafettenstab und den man wie ein Schmuck-stück an einem Halsband tragen kann. Dieeinfache symbolische Variante ist derAnsteck-Button (siehe Abb. 6).

Im CCPM existiert die Metapher desTrommlers. Die Person, die gerade mitihrer Arbeit auf der kritischen Kette liegt,wird dort der Trommler genannt, weil sieden Takt für das gesamte Team angibt.Kombiniert wird dies mit der Metapher desStaffelläufers: Bei der Übergabe desStaffelholzes läuft der neue Staffelholz-Träger rechtzeitig parallel an und über-nimmt das Holz, sobald er synchroneGeschwindigkeit erreicht hat.

Übertragen auf iterative Softwareent-wicklung heißt das, dass der jeweils nächsteaktuelle Engpass bzw. Staffelholz-Trägersich rechtzeitig vor Übergabe vorbereitet,also seine bisherigen Arbeiten abschließt.Unmittelbar vor der Übergabe soll der neueEngpass nichts mehr tun, außer zu wartenund sich auf die neue Aufgabe vorbereiten.

Hier zeigt sich auch der fundamentaleUnterschied dieses Ansatzes zum klassi-schen Projektmanagement, wo versuchtwird, alle Mitarbeiter stets vollständig mitsinnvollen Arbeiten auszulasten. Niemandsoll herumsitzen und warten. Beim Critical-Chain-Ansatz wird bewusst lokale Ineffi-zienz erzeugt, um insgesamt die Projekt-laufzeit zu optimieren.

Als Primärliteratur empfehlen wir[Gol01] und [Gol02]. In unserem neuenBuch [Oes07] haben wir CCPM-Ansätzeaufgegriffen und für agile – vor allem auchgroße – Projekte, adaptiert. ■

Abb. 6: Button als Symbol für denStaffelholz-Träger.

Literatur[Gol01] E. Goldratt, J. Cox, Das Ziel, EinRoman über Prozessoptimierung, Campus,2001[Gol02] E. Goldratt, Die Kritische Kette. Dasneue Konzept im Projektmanagement,Campus, 2002[Oes07] B. Oestereich, C. Weiss, O. Leh-mann, Agiles Projektmanagement, Erfolg-reiches Timeboxing für IT-Projekte, dpunkt-Verlag, 2007