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Promovenden der Friedrich-Wilhelms- Universität zu Berlin 1837 bis 1913 Eine quantitative Analyse der Lebensläufe der Promovenden der Geisteswissenschaften in Berlin Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Grades eines Master of Arts in History in Neueste Geschichte eingereicht bei Prof. Dr. Joachim Eibach am Historischen Institut an der Philosophisch-historische Fakultät der Universität Bern am 31. Juli 2011 Daniel Hardegger Kreuzstrasse 3h 9032 Engelburg Telefonnummer: +41764113792 / +4915775343514 [email protected] Matrikelnummer: 05-114-210 Major: History Master Major Minor: Deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft (German Studies) Master Minor

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Eine quantitative Analyse der Lebensläufe der Promovenden der Geisteswissenschaften in Berlin

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Promovenden der

Friedrich-Wilhelms-

Universität zu Berlin

1837 bis 1913Eine quantitative Analyse der Lebensläufe der Promovenden der

Geisteswissenschaften in Berlin

Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Grades eines Master of Arts in History in Neueste

Geschichte eingereicht bei Prof. Dr. Joachim Eibach am Historischen Institut an der

Philosophisch-historische Fakultät der Universität Bern am 31. Juli 2011

Daniel Hardegger

Kreuzstrasse 3h

9032 Engelburg

Telefonnummer: +41764113792 / +4915775343514

[email protected]

Matrikelnummer: 05-114-210

Major: History Master Major

Minor: Deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft (German Studies) Master Minor

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Masterarbeit Promovenden der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin 1837–1913FS 2011 31. Juli 2011Prof. Dr. Joachim Eibach Daniel Hardegger

Inhaltsverzeichnis

Eine quantitative Analyse der Lebensläufe der Promovenden der Geisteswissenschaften in Berlin.....................................................................................................................................................1

1 Einleitung..........................................................................................................................................42 Bürgertum und Bürgerlichkeit...........................................................................................................73 Studenten und Ordinarien................................................................................................................20

3.1 Studenten.............................................................................................................................203.2 Ordinarien...........................................................................................................................24

4 Promovenden der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin 1837–1910..........................................................................................................................................28

4.1 Geistes- und Naturwissenschaften......................................................................................284.1.1 Gesamtübersicht Bern und Berlin...........................................................................284.1.2 Geistes- und Naturwissenschaften..........................................................................314.1.3 Der Einfluss der wirtschaftlichen Entwicklung und der Studentenzahlen.............32

4.2 Altersdurchschnitt...............................................................................................................354.3 Soziale Herkunft.................................................................................................................37

4.3.1 Einteilung und Klassifizierung...............................................................................374.3.2 Der Adel..................................................................................................................414.3.3 Die obere Mittelschicht...........................................................................................424.3.4 Die untere Mittelschicht.........................................................................................464.3.5 Die Unterschicht.....................................................................................................484.3.6 Unbekannt...............................................................................................................49

4.4 Geografische Herkunft........................................................................................................504.4.1 Einteilung und Klassifizierung...............................................................................504.4.2 Promovierte aus dem Deutschen Reich..................................................................524.4.3 Vergleich mit der Bevölkerungsentwicklung..........................................................564.4.4 Ausländer im Deutschen Reich und ausländische Promovierte.............................58

4.5 Konfession und Religion.....................................................................................................644.5.1 Einteilung und Klassifizierung...............................................................................644.5.2 Evangelisch-Reformierte, Katholiken und Orthodoxe...........................................664.5.3 Juden.......................................................................................................................684.5.4 Andere Religionen und Konfessionslose................................................................69

4.6 Einige Religions-/Konfessionsgruppen im Vergleich.........................................................714.6.1 Die Juden................................................................................................................714.6.2 Die Katholiken........................................................................................................734.6.3 Die Orthodoxen......................................................................................................76

4.7 Frauen..................................................................................................................................784.7.1 Übersicht.................................................................................................................784.7.2 Die Frau als Studentin und Promoviertin...............................................................81

5 Fazit.................................................................................................................................................92Bibliografie.........................................................................................................................................95

Dozentenverzeichnisse..............................................................................................................95Nachschlagewerke, Statistiken, Atlanten..................................................................................95Literatur.....................................................................................................................................96

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Tabellen und Grafiken......................................................................................................................104Quellenlage.............................................................................................................................104Studentenzahl..........................................................................................................................105Soziale Herkunft.....................................................................................................................106

Übersicht........................................................................................................................106Obere Mittelschicht.......................................................................................................107

Geografische Herkunft............................................................................................................108Konfession/Religion................................................................................................................110

Übersicht........................................................................................................................110Entwicklung...................................................................................................................111

Altersdurchschnitt...................................................................................................................111Männer/Frauen...............................................................................................................112Geographische Herkunft................................................................................................112Soziale Herkunft............................................................................................................112Altersdurchschnitt..........................................................................................................112Religion/Konfession......................................................................................................112

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1 Einleitung

Promovierte weisen eine enge soziale Bindung zu ihrer Universität auf, wurden aber in der

deutschsprachigen Geschichtsforschung in der Regel nicht als eigenständige Gruppe untersucht.

Meist stehen zwei andere universitäre Gruppen, Studenten1 und Lehrende2, im Fokus der

Forschung, wobei die Promovierten selten als solche erwähnt werden, sondern entweder durch

durch das Raster der Analyse fallen oder zu einer anderen Gruppe, gewöhnlich der der Studenten,

gezählt werden. Im Gegensatz dazu existieren in der französisch- und englischsprachigen For-

schung Untersuchungen über die Rolle der Promovierten in Wissenschaft und Gesellschaft. Bereits

im Jahr 1974 schrieb Arthur Engel über die Etablierung des Doktorandensystems zur Nachwuchssi-

cherung in Oxford von Anfang des 19. Jahrhunderts bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts.3 So nutzt

z. B. Nicole Hulin die Dissertationen nicht nur zur Beschreibung der Spezialisierung der Wissen-

schaften im 19. Jahrhundert, sondern auch für einen statistischen Vergleich der Gruppe der Promo-

vierten mit der Gesellschaft und deren Entwicklung.4 Ebendieser Vergleich ist auch Ziel dieser Ar-

beit. Hierzu werden die Lebensläufe analysiert, die den an der Philosophisch-historischen Fakultät

der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin zwischen 1837 und 1913 verfassten Dissertationen

beigefügt sind. Dabei wird sowohl die Entwicklung der Gruppe der Promovierten an sich als auch

ihre Verbindung mit den gesellschaftlichen, sozialen und politischen Entwicklungen, insbesondere

des Bürgertums, dargestellt.

Im ersten Teil der Arbeit wird daher in gebotener Kürze die Situation und Entwicklung des

Bürgertums ab Mitte des 19. Jahrhunderts bis zu Beginn des Ersten Weltkrieges beschrieben. Von

den beiden grossen Gruppen des Bürgertums – Wirtschafts- respektive Besitzbürgertum und Bil-

dungsbürgertum – hat letztere die Forschung weit stärker beherrscht, was nicht zuletzt darin begrün-

det ist, dass die Mehrheit der Wissenschaftler selbst ebendieser Gruppe entstammt.5 Dennoch soll 1 Vgl. Lönnecker, Harald: Studenten und Gesellschaft, Studenten in der Gesellschaft – Versuch eines Überblicks seit

Beginn des 19. Jahrhunderts. In: Schwinges, Rainer Christoph (Hrsg.): Universität im öffentlichen Raum, Schwabe Verlag: Basel, 2008, S. 387–438.

2 Baumgarten, Marita: Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert, Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen, 1997.

3 Engel, Arthur: The Emerging Concept of Academic Profession at Oxford 1800–1954. In: Stone, Lawrence (Hrsg.): The University in Society, Bd. 1, Princeton University Press: Princeton, S. 305–352.

4 Hulin, Nicole: Les doctorats dans les disciplines scientifiques au XIXe siècle. In: Revue d’Histoire des Sciences (49) 1990, H. 4, S. 401–426.

5 Vgl. Rüschmeyer, Dietrich: Bourgeoisie, Staat und Bildungsbürgertum. Idealtypische Modelle für die vergleichende Erforschung von Bürgertum und Bürgerlichkeit. In: Kocka, Jürgen (Hrsg.): Bürger und Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert, Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen, 1987, S. 102.

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hier die Entwicklung beider Gruppen dargestellt werden, insbesondere ihr Aufstieg im Staat im

Zuge der Industrialisierung, Rationalisierung und Bürokratisierung der wirtschaftlichen und politi-

schen Abläufe. Ebenso sollen die gesellschaftlichen Probleme, welche das Bürgertum betroffen ha-

ben, thematisiert werden, etwa der Konflikt zwischen Katholizismus und Protestantismus sowie das

Auseinanderdriften von Nationalismus und Liberalismus nach der Reichsgründung.

Darüber hinaus werden in dieser Arbeit die Veränderungen und die gesellschaftliche Bedeu-

tung der Studentenschaft und Ordiniarien dargestellt. Besondere Berücksichtigung erfahren ihre

Rolle als zukünftige Elite des Deutschen Reiches sowie das Selbstverständnis der Studentenschaft.

Als Avantgarde gesellschaftlicher Entwicklungen spiegelt sich in ihr früh ebenso die Entfaltung po-

litischer und gesellschaftlicher Ideen wider wie soziale Veränderungen, z. B. der sinkende Einflus-

ses der Bildungsbürgertums an sich.6 Da die Studentenschaft gleichzeitig auch die Gruppe darstellt,

aus denen sich die Promovierten, die der Fokus dieser Untersuchung sind, rekrutieren, ermöglicht es

ein Vergleich der statistischen Daten festzustellen, welcher Teil der Studentenschaft schliesslich die

Mühen einer Promotion auf sich nahm und welcher nicht.

Die Ordinarien, die als „Doktorvater“ die Promovierten betreuten und damit über den Aufstieg

entschieden, sind hingegen nicht zur Avantgarde zu zählen, sondern sind die Repräsentanten des be-

stehenden wissenschaftlichen Systems, für das sich der Promovend qualifizieren will. Zwar strebten

das Bildungsbürgertum und insbesondere die Akademiker eine Führungsrolle in den gesellschaftli-

chen Debatten an. In Bezug auf gesellschaftspolitische Initiativen fiel ihre Beteiligung jedoch sehr

unterschiedlich aus. Zumindest auf lokaler Ebene waren die Ordinarien überdurchschnittlich stark

vertreten.7

Im zweiten, grösseren Teil der Arbeit werden die Resultate der Untersuchung der Lebensläufe

der Promovierten dargestellt. Als quantitative Analyse angelegt, ermöglicht sie es, „Aspekte der

konkreten Lebenswelt konkreter Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte und

in einem bestimmten [Kontext] kulturell zu rekonstruieren.“ Mit dem Konzept der kollektiven Bio-

grafie wird die Entwicklung der Ordinarien der Philosophisch-historischen Fakultät dargestellt.

Nach Wilhelm Heinz Schröder ist eine kollektive Biografie eine „theoretisch und methodisch re-

flektierte, empirische, besonders auch quantitativ gestützte Erforschung eines historischen Perso-6 Vgl. Lönnecker, Harald: Studenten und Gesellschaft, Studenten in der Gesellschaft. Versuch eines Überblicks seit

Beginn des 19. Jahrhunderts, S. 413.7 Vgl. vom Bruch, Rüdiger: Gelehrtenpolitik, Sozialwissenschaften und akademische Diskurse in Deutschland im

19. und 20. Jahrhundert, Franz Steiner Verlag: Stuttgart, 2006, S. 35.

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nenkollektivs in seinem jeweiligen gesellschaftlichen Kontext anhand einer vergleichenden Analyse

der individuellen Lebensläufe der Kollektivmitglieder“8, wobei die jeweilige Gruppe durch ein ge-

meinsames Merkmal, hier der Abschluss der Promotion, festgelegt wird. Dadurch wird zugleich das

Problem der Willkür bei solchen quantitativen Studien, die qualitative Quellen als quantitative be-

handeln, gelöst, da die untersuchte Gruppe und die genutzten Quellen zeitlich, räumlich und bezüg-

lich ihrer Definition als gesellschaftliche Gruppe so eng wie möglich eingegrenzt wird.9 Nach La-

wrence erlaubt das Konzept der kollektiven Biografie des Weiteren die Lösung verschiedener

Schwierigkeiten, denen die Geschichtswissenschaft bei der Analyse der sozialen Strukturen und

Mobilitäten begegnet, da sie die Untersuchung der jeweiligen Gruppe in der Gesellschaft, insbeson-

dere „the role in society, and especially the changes in that role over time, of specific (usually elite)

status groups, holders of titles, members of professional associations, officeholders, occupational

groups, or economic classes“10 ermöglicht. Der Fokus liegt dabei auf den Fächern, die mehrheitlich

der heutigen Philosophisch-historischen Fakultät zugeordnet werden. Dies sowohl aufgrund der

noch zu erläuternden Quellenlage als auch aufgrund der Tatsache, dass „aus wissenschaftsge-

schichtlicher Sicht [...] sie die richtungsweisenden Entwicklungsprozesse der Universität des 19.

Jahrhunderts im wesentlichen in Gang“11 setzen. Die Unterteilung der Daten erfolgt dabei anhand

der verschiedenen Kategorien der Untersuchung wie Alter, Religion/Konfession, geografische und

soziale Herkunft sowie das Geschlecht der Promovierten.

8 Schröder, Wilhelm Heinz: Kollektive Biographien in der historischen Sozialforschung: Eine Einführung. In: Ders. (Hrsg.): Lebenslauf und Gesellschaft. Zum Einsatz von kollektiven Biographien in der historischen Sozialforschung, Klett-Cotta: Stuttgart 1985, S. 7–17.

9 Vgl. Iggers, Georg G.: Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert, S. 48.10 Stone, Lawrence: Prosopography. In: Daedalus, (100) 1971, H. 1, S. 46–79, hier: S. 46. Stone benutzt den Begriff

„Prosopography“, meint damit jedoch nicht Prosopografie im deutschsprachigen Sinne, sondern das Konzept der kollektiven Biografie wie sie in der Neueren sowie Neuesten Historik angewandt wird.

11 Baumgarten, Marita: Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert, S. 12.

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2 Bürgertum und Bürgerlichkeit

Die Definition des Bürgertums und seiner Entwicklung ist schwierig. Es lässt sich positiv wie nega-

tiv von anderen Klassen abgrenzen: negativ, indem man die Klassen, die nicht zu ihm zählen, wie

Adel, Klerus, Bauern und Arbeitern, ausschliesst und die übrigen zum Bürgertum zählt; positiv, in-

dem man die „wirtschaftlich selbstständigen Schichten des städtischen Handwerks und Handels, der

freien Berufe, Unternehmer und Kapitalrentner, aber auch die wirtschaftlich unselbstständigen

Schichten der fachqualifizierten Beamten und Angestellten“12 zum Bürgertum zusammenfasst.

Hieraus folgt, dass das Bürgertum weit weniger homogen als andere Klassen ist. Grundsätzlich kön-

nen die beiden Gruppen Besitz- respektive Wirtschaftsbürgertum und Bildungsbürgertum unter-

schieden werden, die in sich jedoch ebenfalls nicht homogen sind und verschiedene Klasseninteres-

sen, Mentalitäten und Ideologien aufweisen. Dietrich Rüschmeyer:

Man denke nur an die Spannungen zwischen Volksschullehrern und Geistlichen, freiberuflichen Apothe-kern und Chemikern, an Juristen in der Wirtschaft und im Staatsdienst, an den Universitätsprofessor in verschiedenen Disziplinen; aber auch Kapitaleigner und vor allem technisch versierte Unternehmer, an Unternehmer in monopolistisch gesicherter Marktposition und andere, die voll im Wettbewerb stehen, an Unternehmer, die vom Freihandel profitieren, und andere, die von protektionistischen Massnahmen pro-fitieren, und allgemein an Unternehmer in Industriezweigen unterschiedlichen Charakters.13

Hinzu kommt, dass mit dem „traditionellen Stadtbürger, dem Dritten Stand des ausgehenden Ancien

régime, d[er] Bourgeoisie und d[em] Bildungsbürgertum“ viele verschiedene „gesellschaftliche Ka-

tegorien“14 unter dem gleichen Begriff zusammengefasst werden. Weiter kann die Trennung, auf-

grund der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, auch in Bourgeoisie, höheres Bildungsbürger-

tum, Kleinbürgertum sowie dem „altes“ und „neues“ Bürgertum erfolgen, wodurch der Begriff

„Bürgertum“ noch uneineindeutiger wird.15 Um ihn nicht zu „amorph“ werden zu lassen, muss er

daher weiter eingeschränkt werden. So umfasst er im Speziellen „die Träger ökonomischer, sozialer,

kultureller und politischer Prozesse“, sodass man beim Bürgertum von einer „ökonomisch privile-

gierten Schicht, als sozial homogener Statusgruppe, als Träger besonderer kultureller Ansprüche

12 Vgl. Lepsius, Rainer M: Zur Soziologie des Bürgertums und der Bürgerlichkeit. In: Kocka, Jürgen (Hrsg.): Bürger und Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert, Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen, 1987, S. 79.

13 Rüschmeyer, Dietrich: Bourgeoisie, Staat und Bildungsbürgertum. Idealtypische Modelle für die vergleichende Erforschung von Bürgertum und Bürgerlichkeit, S: 112.

14 Kocka, Jürgen: Bürgertum und Bürgerlichkeit als Probleme der deutschen Geschichte vom späten 18. zum frühen 20. Jahrhundert. In: Ders. (Hrsg.): Bürger und Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert, S. 21 – 63, hier: S. 42.

15 Vgl. Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849–1914, Bd. 3, Beck: München, 2008, S. 750.

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und politischer Interessen“16 sprechen kann Hinzu kommt ein spezifischer bürgerlicher Lebensstil,

der sich u. a. in eigenen Sprachformen, Symbolsystemen sowie Konnubium und Kommensialität ar-

tikuliert, wobei ihre Verbreitung durch das bürgerliche Bildungssystem erfolgt. Bürgerlichkeit und

Bürgertum müssen jedoch insofern unterschieden werden, als dass letzterer Begriff die „Vergesell-

schaftung der Mittelschicht“ beschreibt, während ersterer „die typische Art der Lebensführung die-

ser Vergesellschaftung“ meint. Zugleich senkt das bürgerliche Bildungssystem die Hürden zwischen

den einzelnen Berufsgruppen innerhalb dieser Klasse und ermöglicht damit die Sozialisierung neuer

Mitglieder, was aufgrund der stärkeren Fluktuation innerhalb das Bürgertums weit häufiger als in

anderen Klassen geschieht. Dies zeigt sich insbesondere beim Wirtschaftsbürgertum, bei dem die

Kinder und Enkel der Aussteigergeneration „in beträchtlicher Zahl in das ‚Bildungsbürgertum‘

übergangen sind“17.

Das bürgerliche Lebensmodell umfasste aber nicht nur Sprache, Symbole und Bildung, son-

dern auch ganz alltägliche Dinge wie Essen, Kleidung, Wohnen, Haushaltsführung, Freizeitgestal-

tung sowie ein rationales Gesundheitsverhalten und den „Übergang zur Geburtenkontrolle“ 18, die

von anderen Klassen ganz oder in Teilen übernommen wurden. Auch in der Politik gab es mit dem

Verein eine spezifisch bürgerliche Organisationsform. Im Unterschied zu den Clubs, Lesehallen,

Geheimgesellschaften, Salons, die eine Art Vorform darstellen und zumeist geschlossene Gesell-

schaften waren, waren die bürgerlichen Vereine eine explizit öffentliche Organisationsform und der

Beitritt war, zumindest prinzipiell, jedem möglich. Mit der Durchsetzung der parlamentarisch ge-

führten Politik nahmen schliesslich auch die Parteien die Form des Vereins an. Dazu gehört ein

Grossteil des bürgerlichen Verbandswesens, wobei es hier bereits früh zu Zwischenformen von Par-

tei und Verein kam.19 Wie beim bürgerlichen Lebensmodell übernahmen auch andere Schichten und

Gruppen wie Arbeiter, katholische Priester, Aristokraten die Organisationsform des bürgerlichen

Vereins, um ihn schliesslich für eigene, nicht selten „anti-‚bürgerliche‘“ Zwecke20 einzusetzen.

16 Vgl. Lepsius, Rainer M: Zur Soziologie des Bürgertums und der Bürgerlichkeit. Idealtypische Modelle für die vergleichende Erforschung von Bürgertum und Bürgerlichkeit. S. 80.

17 Vgl. ebd., S. 96–97.18 Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat, Bd. 1, Beck: München, 1991,

S. 376.19 Vgl. Mommsen, Hans: Die Auflösung des Bürgertums im späten 19. Jahrhundert. In: Kocka, Jürgen (Hrsg.):

Bürger und Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert, S. 288–315, hier: S. 292–293.20 Vgl. Blackbourn, David: Kommentar. In: Kocka, Jürgen (Hrsg.): Bürger und Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert,

S. 281–297, hier: S. 284.

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Eine weitere Schwierigkeit bei der Definition des Bürgertums ist der zu Beginn erwähnte Be-

griff des Bürgertums als Klasse oder gar als neu etablierter Stand. Gegen Letzteres spricht insbeson-

dere, dass das Bürgertum nicht durch eine „besondere Rechtsstellung und auch nicht durch eine

spezifische Form politischer Repräsentation von anderen gesellschaftlichen Kategorien“21 zu unter-

scheiden ist. Diese Schwierigkeiten lassen sich jedoch lösen, indem das Bürgertum nicht nur als

Klasse, sondern insbesondere als Kultur verstanden wird – allerdings ist der Begriff der Kultur am-

bivalent.22 In Bezug auf das Bürgertum wird unterist Kultur die „Summe künstlerischer Veranstal-

tungen“, ein „Ensemble von Werten und daraus abgeleiteten basalen Verhaltensnormen“ sowie eine

„Form der Kommunikation“.23 Als kulturelle Klammer, welche die Klasse zusammenhält, zählen

dabei gemeinsame Interessen und Wertvorstellungen,24 wie die „Hochachtung vor individueller

Leistung in den verschiedensten Lebensbereichen“, wodurch das Bürgertum nicht nur den erwähn-

ten kulturellen Führungsanspruch legitimiert, sondern auch jenen auf „wirtschaftliche Belohnung,

soziales Ansehen und politischen Einfluss.“25

Die starke Heterogenität des Bürgertums sowie der fliessende Übergang zu den anderen Klas-

sen, insbesondere zum Adel, sind Faktoren, die es ihm allererst ermöglichten, seinen Führungsan-

spruch in Politik und Kultur durchzusetzen.26 Gleichzeitig übten die „bürgerlichen Richtwerte – so

sehr sie dem Bürgertum auch zur Abgrenzung dienten – einen immensen Einfluss auf die weite

nichtbürgerliche Welt aus.“27 Mit dem Aufstieg der Angestellten, von dem noch zu sprechen sein

wird, verlor das Bürgertum jedoch seine Verbündeten, Proletariat und Bauerntum, in der Unter-

schicht; diese wurden Opfer der „schnellen ökonomischen Modernisierung“ und damit zu einer Be-

drohung für das Bürgertum, sodass es sich verstärkt gegen unten abgrenzen musste.28 Diese Situati-

on und die erwähnte Heterogenität des Bürgertums führte zu einem gegenseitigen Austausch von

Verhaltensweisen und -regeln zwischen Adel und Bürgertum, sodass die Grenzen zwischen Adel

21 Kocka, Jürgen: Bürgertum und Bürgerlichkeit als Probleme der deutschen Geschichte vom späten 18. zum frühen 20. Jahrhundert, S. 42–43.

22 Vgl. ebd.23 Vgl. Bausinger, Hermann: Bürgerlichkeit und Kultur. In: Kocka, Jürgen (Hrsg.): Bürger und Bürgerlichkeit im 19.

Jahrhundert, S. 121– 142, hier: S. 121.24 Vgl. Lepsius, Rainer M: Zur Soziologie des Bürgertums und der Bürgerlichkeit. Idealtypische Modelle für die

vergleichende Erforschung von Bürgertum und Bürgerlichkeit, S. 80.25 Kocka, Jürgen: Bürgertum und Bürgerlichkeit als Probleme der deutschen Geschichte vom späten 18. zum frühen

20. Jahrhundert, S. 43.26 Vgl. Bausinger, Hermann: Bürgerlichkeit und Kultur, S. 131.27 Vgl. Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum

Beginn des Ersten Weltkrieges 1849–1914, S. 767.28 Vgl. Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat, S. 421.

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und dem Bürgertum, die die beiden Klassen jahrzehntelang getrennt hatten, aufweichten.29 Während

der Adel in Fragen der „Kleidung, Familienmoral, Regeln des zivilisierten Betragens, Ausbildung

und Teilnahme und Kultur, und zumal […] in der Wirtschaftsführung“ verbürgerlicht,30 ist auf der

Seite des Bürgertums insbesondere das „Nobilierungsbestreben“ sowie die Übernahme

„kulturelle[r] Äusserungsformen“ zu nennen.31 Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Landadels

vereinfachten gleichzeitig Hochzeiten zwischen niederem Adel und insbesondere dem Wirtschafts-

bürgertum, wobei in den meisten Fällen die konkursreifen Güter von Mitgliedern des Bürgertums

einfach aufgekauft wurden. 1885 waren bereits 67 % aller ostelbischen Rittergüter in bürgerlicher

Hand.32 Während so der niedere Adel seine finanzielle Situation verbessern konnte, steigerte das

Bürgertum sein soziales Prestige und konnte den erworbenen Landsitz als Zeichen des Erfolges prä-

sentieren oder schlichtweg als Rückzugsort von der Stadt nutzen.33

Von einer Verbrüderung von Adel und (Bildungs-) Bürgertum auszugehen, wäre nach Arno J.

Mayer jedoch falsch.34 Die Heterogenität des Bürgertums lies eine zu starke Annäherung gar nicht

zu, nur die höchste Ebene des Wirtschafts- und Bildungsbürgertums kam für den Adel für die Zu-

sammenarbeit überhaupt infrage.35 So blieben Adel wie Bürgertum meist weitgehend weiterhin un-

ter sich, wobei die Mitgliedes des Bürgertums durch Kopieren der Verhaltensweisen und Standesre-

geln des Ersteren zu ebenjenem aufschliessen wollte.

Die Angehörigen des Bürgertums tätigten etwa grosszügige Stiftungen für die öffentliche Wohlfahrt und

bildeten in den eigenen Reihen eine Ranghierarchie aus, die der des Adels nachempfunden war. Unter

den Auspizien lokaler, regionaler und nationaler Amts- und Würdenträger schufen sie sich ihr eigenes

System nicht erblicher Titel und sorgten damit für jene gesellschaftlichen Abgrenzungen, an der ihnen so

viel lag. Sie überbrückten die Wartezeit im „Vorzimmer der aristokratischen Welt“ durch den Erwerb of-

fiziöser Titel.36

29 Vgl. Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849–1914, S. 713.

30 Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat, S. 258.31 Vgl. Bausinger, Hermann: Bürgerlichkeit und Kultur, S. 133.32 Vgl. Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum

Beginn des Ersten Weltkrieges 1849–1914, S. 720–721.33 Vgl. Blackbourn, David: History of Germany, 1870–1918. The Long Nineteeth Century, Blackwell Publishing:

Oxford, 2nd edition, 2003, S. 278.34 Mayer, Arno J.: Adelsmacht und Bürgertum. Die Krise der europäischen Gesellschaft 1848–1914, dtv: München,

1988, S. 101.35 Vgl. Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat, S. 391.36 Mayer, Arno J.: Adelsmacht und Bürgertum. Die Krise der europäischen Gesellschaft 1848–1914, S. 101.

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So bildete sich in Preussen im Laufe des 19. Jahrhunderts ein staatliches und dementsprechend

öffentliches „Auszeichnungs- und Belohnungssystem“ aus,37 dass auf den Werten des Bürgertums

fusste: Ernsthaftigkeit, Respekt, Rechtschaffenheit und „männliche Werte“38. Nicht zuletzt war es

seitens des monarchischen Staates das Ziel dieses Systems, das Bürgertum enger an den Staat zu

binden, wobei es gleichzeitig als Mittel zur „Binnendifferenzierung“ des Bürgertums genutzt wurde

und dem Staat dabei half, „ohne grossen materiellen Aufwand eine Stabilisierung des Staatswesens

und damit der eigenen Macht“ zu erreichen.“39 Gegen eine zu starke Annäherung des Bürgertums an

den Adel spricht auch der Vergleich mit England, wo der Anteil der Nobilitierung ebendieser Klasse

zwischen drei- und fünfmal höher war. Hinzu kommt, dass einige herausragende Mitglieder des

Wirtschaftsbürgertums – wie Krupp und Thyssen – den Adelstitel gar nicht erst anstrebten und ihn

in einigen Fällen sogar ablehnten. Auch die Aussage, dass das Bürgertum das Duell vom Adel über-

nommen habe, ist nur bedingt richtig. Zum einen, weil ein nicht unbeträchtlicher Teil des Bürger-

tums, vor allem jener, der eine liberale Position einnahm und die Katholiken, das Duell als Möglich-

keit der Konfliktaustragung prinzipiell ablehnten. Zum anderen, weil das Bürgertum einen eigenen

spezifisch bürgerlichen Ehrenkodex für das Duell entwickelte, der sich von dem des Adels grundle-

gend unterschied.40

Der bereits vor der Gründung des Kaiserreichs einsetzende Trend der „Verbürgerlichung der

Gesellschaft“ verstärkte sich nach 1871, trotz verschiedenster Konflikte und Hürden, weiter, wenn-

gleich die „Zielvision einer ‚bürgerlichen Gesellschaft‘“ weiterhin nicht voll entwickelt werden

konnte.41 Zwar konnte das Bildungssystem offener gestaltet, die Wirtschaftsfreiheit sowie Rechts-

gleichheit umgesetzt und dadurch die soziale Mobilität ausgeweitet werden. Dennoch blieb die Ge-

sellschaft des Deutschen Reiches eine sozial überaus heterogene Gesellschaft, in der die jeweilige

Herkunft die Möglichkeiten bestimmte und der Aufstieg „vom Tellerwäscher zum Millionär“ nur

über mehrere Generationen zu erreichen war. Ein Arbeiter blieb auch nach seiner Arbeit ein Arbei-

ter, „mochten sein Anzug und sein Habitus auch (klein-) bürgerlich sein“.42 Gleichzeitig blieb die

37 Vgl. Wagner, Frank: Professoren in Stadt und Staat. Das Beispiel der Berliner Universitätsordinarien.In: Schwinges, Rainer Christoph: Universität im öffentlichen Raum, Schwabe Verlag: Basel, 2008, S. 365–385,hier: S. 379.

38 Vgl. Blackbourn, David: History of Germany, 1870 – 1918. The Long Nineteeth Century, S. 280.39 Wagner, Frank: Professoren in Stadt und Staat. Das Beispiel der Berliner Universitätsordinarien, S. 379.40 Vgl. Blackbourn, David: History of Germany, 1870–1918. The Long Nineteeth Century, S. 278–279.41 Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum Beginn

des Ersten Weltkrieges 1849–1914, S. 712.42 Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat, S. 424–425.

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Bildung, trotz aller Offenheit und dem Fokus auf Begabung und Leistungsbereitschaft, ein „Klas-

senprivileg der Besitzenden“. Das galt insbesondere für die Universitäten, die nicht nur als „Schleu-

sen“ nach oben, sondern eben auch eine Abgrenzungsmöglichkeit nach unten darstellten.43 Das brei-

te Wachstum des Bürgertums fusst dabei in erster Linie auf der Industriellen Revolution respektive

der Hochindustrialisierung ab den 1870er-Jahren. Zählt man nur die oberen Mitglieder des Bil-

dungs- und Wirtschaftsbürgertums zur Klasse des Bürgertums, stellt dieses weiterhin nur einen sehr

kleinen Teil der Bevölkerung im Deutschen Reich. Mit insgesamt gut 3,6 bis 3,8 Millionen Mitglie-

dern, wovon zwei Drittel dem Wirtschaftsbürgertum angehörten, machte das höhere Bürgertum le-

diglich 6 % der Gesamtbevölkerung aus. Die Hinzunahme des Kleinbürgertums, der Selbstständi-

gen in Handel, Gewerbe und im Dienstleistungssektor, der Handwerker und Krämer sowie des

„neuen Mittelstandes“, der Angestellten und der Subalternbeamtenschaft, sowie der unteren Offi-

ziersränge, der Künstler und Bohème lässt den Anteil des Bürgertums auf gut ein Sechstel der Ge-

samtbevölkerung ansteigen.44

Der Aufstieg der Angestellten illustriert dabei exemplarisch die wirtschaftliche Entwicklung

und die damit einhergehenden Veränderungen innerhalb der Gesellschaft sowie die Tendenz der Ab-

grenzung gegen unten. Die Zunahme von Mittel- und Grossbetrieben, Warenhäusern und Filialket-

ten sowie allgemein des Dienstleistungssektors führt gleichzeitig zu einer Verschriftlichung und

Verrechtlichung des Wirtschaftswesens. Der universal ausgebildete Kaufmann besass jedoch nicht

das hierfür notwendige Wissen, sodass der spezialisierte Angestellte seinen Platz einnahm. Auch in

der Industrie nahm die Schriftlichkeit und Arbeitsteilung zu; gleichzeitig wuchs mit der Zahl der

grossen Betriebe und der Automatisierung der Produktion auch der administrative Aufwand und da-

mit die Zahl derjenigen Angestellten, die „nicht mit der Hand und den Maschinen“45 arbeiteten.

Gleichzeitig grenzten sich die Angestellten durch Übernahme der bürgerlichen Lebensweise von an-

deren Klassen, insbesondere dem Proletariat, ab. Der Verlust der Selbstständigkeit, der auch als Ab-

stieg gewertet werden kann, sollte kaschiert und jegliche Nivellierung mit der Unterschicht verhin-

dert werden. Man war nicht Arbeiter, sondern Angestellter, war loyal gegenüber dem Staat und den

führenden Schichten, im Speziellen dem gehobenen Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum, und for-

derte daher auch dessen Schutz.46 Von dieser Entwicklung profitierte insbesondere das Wirtschafts-43 Vgl. Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat, S. 580.44 Vgl. Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum

Beginn des Ersten Weltkrieges 1849–1914, S. 713.45 Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat, S. 374.46 Vgl. ebd. S. 375–378.

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bürgertum, das, im Vergleich zu Westeuropa und Nordamerika, im Deutschen Reich weniger stark

präsent war. Das Wirtschaftsbürgertum rekrutierte sich dabei mehrheitlich aus sich selbst und den

ihm nahestehenden Gruppen der wirtschaftlich selbstständigen Unternehmer und Grossgrundbesit-

zer. Die Voraussetzungen, die zur Mitgliedschaft im Wirtschaftsbürgertum notwendig waren – Ab-

stammung aus einer „begünstigten Familie“, von Anfang an Zugriff auf ein „hohes Sozialkapital“

sowie Auszeichnung durch „intellektuelle Schulung und den formalisierten Wissenserwerb“ – blie-

ben dabei weiter bestehen.47 Diese Tendenz zur Abgrenzung zeigt sich insbesondere beim Verhältnis

der Bourgeoisie zur wachsenden Gruppe der Angestellten. Um seinen Einfluss nach unten zu wah-

ren und sich gleichzeitig abzugrenzen, war das Bürgertum bemüht, die Angestellten als eigene Klas-

se zu etablieren und sie dem bürgerlichen Lebensstil anzunähern, was diese, wie erwähnt, bereitwil-

lig taten. Dies bedeutete jedoch nicht, die Angestellten als gleichwertig anzuerkennen.48

Bildungsbürger unterscheiden sich von Wirtschaftsbürgern vor allem dadurch, dass sie ihren

Status durch ein akademisches Studium mit den damit verbundenen Prüfungen und Examen erlangt

haben und nicht durch wirtschaftlichen Erfolg. Der Einfluss des Bildungsbürgertums war darum

aber nicht geringer: Durch seine vom Staat anerkannte Ausbildung und das überproportional starke

Wachstum seiner Berufsfelder, den stärker werdenden Einfluss der Wissenschaft in der Industrie,

die Errungenschaften in der Medizin sowie die bereits im Rahmen des Aufstiegs der Angestellten

erwähnte Verrechtlichung von Staat und Gesellschaft festigte es seinen Einfluss auf die politische,

soziale und kulturelle Entwicklung im Deutschen Reich. Die Tendenz zur Säkularisierung verstärkte

die Rolle des Bildungsbürgertums weiter, indem es mit dem Ideal der Bildung eine „spezifisch in-

nerweltiche Lebensgestaltung“ anbot. Insbesondere im „kulturprotestantischem Milieu“ wurde die-

ses, konkurrierend oder koexistierend mit anderen „Säkularreligionen“ wie dem Nationalismus, zu

einer „Ersatzreligion“.49 Gleichzeitig war das Bildungsbürgertum weit offener als das Wirtschafts-

bürgertum. 1870 kam gut ein Viertel aus dem unteren Mittelstand, 1914 waren es bereits bis zu ei-

nem Drittel, wenngleich der Unterschied zwischen jenen, die in das Bildungsbürgertum hinein ge-

boren wurden, und solchen, die durch ihre Leistungen aufgestiegen sind, erhalten blieb.50 Das zah-

47 Vgl. Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849–1914, S. 717.

48 Vgl. Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1866–1918. Arbeitswelt und Bürgergeist, Bd. 1, Beck: München, 1991, S. 377.

49 Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849–1914, S. 732.

50 Vgl. Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1866–1918. Arbeitswelt und Bürgergeist, S. 382–389.

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lenmässig moderate Wachstum des Bildungsbürgertums aus sich selbst heraus sowie dessen relative

Offenheit gegenüber Aufsteigern aus den unterschiedlichsten unteren Schichten des Bürgertums

hatte jedoch bezüglich der Identität des Bildungsbürgertums negative Folgen. Denn es bedeutete zu-

gleich, zusammen mit dem grösser werdenden Bedarf an Spezialisten im Bildungs- und Gesund-

heitswesen wie im Staatsdienst, dass entweder das „Generalisten-Ideal“ des Bildungsbürgertums

aufgegeben werden musste oder diese Spezialisten nicht mehr zum Bildungsbürgertum gezählt wür-

den. In jedem Fall führte die Entwicklung zu einer wachsenden Fragmentierung des Bildungsbür-

gertums, während gleichzeitig das Bindeelement, der gemeinsame Bildungskanon, immer mehr ver-

wässert wurde.51

Die Gründung des Deutschen Reiches 1871 liess gleichzeitig die zunächst zusammengefass-

ten, später unterschiedlichen politischen Positionen innerhalb des Bürgertums, Liberalismus und

Konservatismus, hervortreten, ebenso wie die Konflikte zwischen Katholizismus und Protestantis-

mus. Mit der Reichsgründung war der Prozess der „Nationsbildung“ noch nicht abgeschlossen, son-

dern „trat vielmehr in ein neues Stadium“.52 Eine Frage, die gleich zu Beginn für Kontroversen in-

nerhalb der Gesellschaft und insbesondere des Bürgertums sorgte, war jene der konfessionellen

Ausrichtung des neu gegründeten Kaiserreichs, nicht nur weil die jeweilige konfessionelle Prägung

durch die Familie die beruflichen und sozialen Aufstiegschancen massgeblich bestimmte,53 sondern

auch aus religionspolitischen Gründen. Evangelische Theologen deuteten den Sieg über Frankreich

als Beweis, dass die Hohenzollern von Gott dazu ausersehen waren, für Deutschland Grosses zu

vollbringen, und setzten Deutschland mit dem evangelischen Deutschland gleich. Das Hohenzol-

lernreich verstand sich denn auch als ein primär protestantischer Staat, wofür es mehrere faktische

Gründe gab. So dominierte der Protestantismus die Gesellschaft nicht nur zahlenmässig, sondern

auch kulturell und geistig. Protestanten waren auf allen Gebieten, die massgebend für das nationale

Bewusstsein und die Identität waren, absolut dominant. Die Identifikation des „deutschen Geistes“

im 19. Jahrhundert war eindeutig protestantisch und männlich – um nur einige Beispiele zu nennen:

In der Kultur waren dies Goethe und Schiller, in der Philosophie Kant und Hegel, in der Bildung

und den Naturwissenschaften schliesslich Humboldt, Mendel und Siemens. Durch die Reichsgrün-

51 Vgl. Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849–1914, S. 735–736.

52 Winkler, Heinrich August: Der lange Weg nach Westen. Deutsche Geschichte vom Ende des Alten Reiches bis zum Untergang der Weimarer Republik, Bd. 1, Beck: München, 6., durchges. Aufl., 2005, S. 215.

53 Vgl. Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849–1914, S. 703.

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dung verschob sich des Weiteren das Zentrum der politischen Macht vom mehrheitlich katholisch

geprägten Süden in den Norden. Schliesslich besiegte Preussen zwei katholische Mächte, nämlich

Österreich im Deutsch-Deutschen Krieg 1866 und Frankreich fünf Jahre später.54 Aufgeputscht

durch diese Siege überrascht es nicht, dass um die Jahrhundertwende insbesondere das evangelische

Bürgertum hinter allem stand, „was als ‚vaterländisch‘, ‚national‘ und der deutschen ‚Weltgeltung‘

förderlich galt“.55 Gleichzeitig war die Entscheidung des Ersten Vatikantischen Konzils 1870, die

Unfehlbarkeit des Papstes in Fragen des Glaubens und der Sitte zu einem Dogma zu erheben, eine

Entscheidung gegen die Modernisierung der Gesellschaft und damit der entstehenden Nationalstaa-

ten. Auch wenn in Deutschland die Mehrheit der katholischen Theologen sowiedes katholischen

Bürgertums moderner Bildung und dem entstehenden Nationalstaat nicht feindlich gegenüber stan-

den, so richtete sich die Entscheidung des Konzils doch direkt gegen jede Modernisierung und ver-

tiefte den Graben zwischen Protestanten und Katholiken.56 Das Schlagwort vom „evangelischen

Kaisertum“ war aufgrund des genannten Selbstverständnisses nicht falsch, jedoch auch eine Verle-

genheitslösung sowie bezüglich der Nationsbildung äusserst ambivalent. Das Deutsche Reich konn-

te sich weder als Willens- noch als Sprachgemeinschaft definieren, benötigte daher ein anderes bin-

dendes Prinzip für seine Kultur, Gesellschaft sowie den Staat: das protestantische. Hierin ist auch

die voranschreitende Säkularisierung des Protestantismus sowie die sich verstärkende Theologisie-

rung des Nationalismus angelegt. Während das „evangelische Kaisertum“ also einerseits das evan-

gelische Bürgertum, Konservative wie Liberale, zusammenführte, sorgte es gleichzeitig dafür, dass

das Verhältnis zwischen Protestanten und Katholiken, selbst jenen, die hinter der kleindeutschen

Lösung standen, im Deutschen Reich umso gespannter wurde.57

Die Tatsache, dass Preussen 1872 im Zuge des Kulturkampfes seine diplomatischen Beziehun-

gen zum Vatikan58 abbrach und erst zehn Jahre später offiziell wieder aufnahm, tat ein Übriges, um

die Katholiken in ihrem Verhältnis zum neu entstandenen Staat zu verunsichern.59 Die Spannungen 54 Vgl. Strötz, Jürgen: Der Katholizismus im deutschen Kaiserreich 1871 bis 191. Strukturen eines problematischen

Verhältnisses zwischen Widerstand und Integration, Bd. 1, Verlag Dr. Kovač: Hamburg, 2005 (Studien zu Religi-onspädagogik und Pastoralgeschichte, Bd. 6), S. 143–153.

55 Winkler, Heinrich August: Der lange Weg nach Westen. Deutsche Geschichte vom Ende des Alten Reiches bis zum Untergang der Weimarer Republik, S. 276

56 Vgl. Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1866–1918: Arbeitswelt und Bürgergeist, S. 258.57 Vgl. Winkler, Heinrich August: Der lange Weg nach Westen. Deutsche Geschichte vom Ende des Alten Reiches bis

zum Untergang der Weimarer Republik, S. 214–221.58 Rom und die Vatikanstadt wurden 1870 im Zuge des deutsch-französischen Krieges von italienischen Truppen

erobert. Erst 1929 kam aufgrund der Lateranverträge die Vatikanstadt wieder unter katholische Herrschaft.59 Vgl. Winkler, Heinrich August: Der lange Weg nach Westen. Deutsche Geschichte vom Ende des Alten Reiches bis

zum Untergang der Weimarer Republik, S. 248.

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zwischen Katholiken und Protestanten intensivierten sich während des Kulturkampfes nach der

Reichsgründung. Nach Martin Baumeister ist der immer stärker werdende Konfessionalismus in der

Gesellschaft „ein Krisensymptom einer in Bewegung geratenen, verunsicherten Gesellschaft“, die

die Veränderungen durch die Hinwendung zu den charakteristischen Merkmalen einer Konfession

erklären wollte.60 Insbesondere das Bildungsbürgertum, das zuvor von „religiösen Grundsatzfragen“

nicht betroffen war, wurde von dem „Phänomen“ der Konfessionalisierung erfasst. Bewusst wurde

die jeweils andere Konfession als rückständig betrachtet, während gleichzeitig „die dahinter liegen-

den sozialen und ökonomischen Ursachen“61 weitgehend ausgeblendet wurden. „Trotz Kooperation

und Koexistenz im Beruf, in der Praxis im Geschäftsverkehr, in den Parlamenten – die Konfessions-

spaltung und -spannung war eine der fundamentalen alltäglichen und vitalen Grundtatsachen des

deutschen Lebens.“62 Für die in der Wissenschaft tätigen Katholiken kam erschwerend das unter-

schiedliche wissenschaftliche Verständnis von Katholizismus und Protestantismus hinzu. Während

der Protestantismus durch seine auf „die Autonomie des Individuums“ zentrierte Perspektive dem

Wissenschaftlicher eine freie Wissenschaft einräumte, kollidierte diese Haltung mit dem katholi-

schen Verständnis von einer autoritär geleiteten Wissenschaft. Die damit einhergehende Polemik

und Angriffe der protestantischen Wissenschaftler führte nicht zuletzt dazu, dass „Wissenschaft und

Universität“ von den Katholiken mit dem Protestantismus gleichgesetzt und abgelehnt wurden,

während gleichzeitig katholische Studentenverbände gegen die ihrer Meinung nach „falschen Vor-

stellungen“ der Protestanten von der katholische Lehre ankämpften.63 Insbesondere für katholische

Wissenschaftler, die sich auch in der Öffentlichkeit dazu bekannten, war es schwierig wenn nicht

unmöglich, auf einen Lehrstuhl an einer Universität im Deutschen Reich berufen zu werden, sei es

aufgrund der genannten Ressentiments oder aufgrund der Tradition. In einigen wenigen Fällen gab

es gar rechtliche Regelungen, die die Besetzung eines offenen Lehrstuhls mit einem Katholiken ver-

hinderten.64

60 Baumeister, Martin: Parität und katholische Inferiorität. Untersuchungen zur Stellung des Katholizismus im Deutschen Kaiserreich, Schöningh: München, Paderborn, Wien, Zürich, 1987, S. 75.

61 Vgl. Strötz, Jürgen: Der Katholizismus im deutschen Kaiserreich 1871 bis 1914. Strukturen eines problematischen Verhältnisses zwischen Widerstand und Integration, S. 150.

62 Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1866–1918. Arbeitswelt und Bürgergeist, S. 529.63 Dowe, Christopher: Auch Bildungsbürger. Katholische Studierende und Akademiker im Kaiserreich,

Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen, 2006, S. 238.64 Vgl. Raab, Heribert: „Katholische Wissenschaft“ – Ein Postulat und seine Variationen in der Wissenschafts- und

Bildungspolitik deutscher Katholiken während des 19. Jahrhunderts. In: Rausch, Anton (Hrsg.): Katholizismus, Bildung und Wissenschaft im 19. und 20. Jahrhundert, Ferdinand Schöningh: Paderborn, München, Wien, Zürich, 1987, S. 61–91, hier: S. 75.

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Die beiden genannten politischen Strömungen der Bürgertums, Nationalismus und Liberalis-

mus, entwickelten sich in den Jahren nach der Gründung des Deutschen Reiches sehr unterschied-

lich. National zu sein bedeutete noch bis zur Gründung des Deutschen Reiches, einerseits das „dy-

nastische Prinzip des Partikularstaates“ abzulehnen, andererseits, das „bürgerliche Prinzip des Na-

tionalstaates“ zu unterstützen. Insofern waren national und liberal, „Einheit und Freiheit geradezu

Zwillingsbegriffe“.65 Zwar gab es innerhalb des Nationalismus bereits frühzeitig „expansionistische

und xenophobe Elemente“, jedoch überwiegt noch bis zur Reichsgründung der Gedanke der „har-

monischen Koexistenz der europäischen Nationalstaaten“, wobei diese nur möglich ist, wenn auch

die anderen Staaten dieses Staatsmodell realisiert haben und die „kriegslüsternen Monarchen und

Aristokraten“ gezähmt sind.“66 Die im Zuge der Reichsgründung einsetzende Bedeutungsänderung

sowie das Auseinanderdriften der beiden politischen Gruppierungen vollzog sich zunächst langsam,

wurde jedoch spätestens ab Mitte der 1870-er Jahre allen Beteiligten bewusst. Die Unterschiede

zwischen den beiden Gruppierungen in verschiedensten Fragen, zum Beispiel bei den Justizgeset-

zen von 1877, traten nun immer stärker hervor. Letztlich hatte der Nationalliberalismus hatte sein

wichtigstes Ziel, die deutsche Einheit, erreicht.67 National zu sein bedeutete nun nicht mehr notwen-

digerweise, die Emanzipation des Bürgertums und der Arbeiter zu fordern, sondern die bestehenden

feudalen Herrschaftsverhältnisse zu wahren und sich gleichzeitig gegen jegliche weitergehende

Freiheiten, soziale, politische wie wirtschaftliche, und gegen mehr Gleichheit und Weltoffenheit zu

stellen. Der Nationalismus hatte sich vom Liberalismus, der seinerseits nie anti-national wurde, ent-

fernt und sich dabei gleichzeitig dem Konservatismus angenähert. Das zeigt sich auch daran, dass

die 1876 neu gegründete „Deutschkonservative Partei“ die Vertretungshoheit des nationalen Gedan-

kenguts für sich beanspruchte. Gleichzeitig wandelten sich auch die Trägerschichten des Nationalis-

mus. Ein Hauptgrund für diese Entwicklung ist insbesondere die wirtschaftliche Krise von 1873 bis

1879, die insbesondere als Krise des Wirtschaftsliberalismus gedeutet wurde. Die sich überfordert

fühlenden Schichten des städtischen Mittelstandes wandten sich vom Liberalismus ab und dem Na-

tionalkonservatismus zu. Dieser versprach ihnen einerseits durch Zölle mehr Schutz vor dem inter-

nationalen Wettbewerb, andererseits durch den Aufbau eines Sozialversicherungssystems Hilfe in

65 Winkler, Heinrich August: Der lange Weg nach Westen. Deutsche Geschichte vom Ende des Alten Reiches bis zum Untergang der Weimarer Republik, S. 217.

66 Wehler, Hans-Ulrich: Wie „bürgerlich“ war das Deutsche Kaiserreich? In: Kocka, Jürgen (Hrsg.): Bürger und Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert, S. 243–280, hier: S. 271.

67 Vgl. Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1866–1918, Machtstaat vor der Demokratie, Bd. 2, Beck: München, 1992, S. 317–318.

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wirtschaftlichen wie sozialen Notlagen, wodurch gleichzeitig die betroffenen Schichten enger an

den Staat gebunden wurden.68 Ohne diese „Entliberalisierung des öffentlichen und politischen Le-

bens“ in den ersten Jahren nach der Reichsgründung sind die „illiberalen Ausnahmegesetze“ denn

auch nicht zu erklären.69

Diese Entwicklung betrifft auch bereits gewonnene Freiheiten. War es dem Liberalismus in

den 1860er-Jahren noch gelungen, verschiedene Projekte, wie die staatsbürgerliche Gleichberechti-

gung der Juden oder die Gewerbefreiheit durchzusetzen, wurden diese nun erneut infrage gestellt.

Eine Art ‚Wiederbelebung‘ erfuhr hingegen der Sozialliberalismus nach dem Abgang von Bis-

marcks. Das Ziel war, der „emanzipierten sozialistischen Arbeiterbewegung das Wasser“70 abzugra-

ben, wodurch der innere Frieden gesichert und die aussenpolitische Expansion des Reiches erst

möglich geworden wäre. Dies geschah, indem verschiedene überaus moderne sozialstaatliche Mass-

nahmen verwirklicht sowie spezifische Mechanismen zur gewaltlosen Beilegung von gesellschaftli-

chen Konflikten insbesondere in Bezug auf das Arbeiter-Arbeitnehmer-Verhältnis eingesetzt wur-

den. Die damit verbundene Hoffnung, dass man die mit dem Imperialismus gewonnenen Ressour-

cen der Gesellschaft zugute kommen lassen und somit die politischen Forderungen doch noch

durchsetzen könnte, hinderte die Sozialliberalen gleichzeitig zu sehen, dass der Imperialismus letzt-

lich gerade den Neukonservativen und dem autoritären Staat von Nutzen sein wird.71 In der Folge

kam der Liberalismus als politische Ideologie immer stärker in Bedrängnis und so entschied sich

das liberale Bürgertum, die gewonnenen wirtschaftlichen Freiheiten, von denen die Unterschicht

aufgrund der fehlenden finanziellen Mittel nicht profitieren konnte, zu verteidigen, indem es von

seinen politischen Forderungen abliess, „die monarchische Herrschaft“ akzeptierte und „sich mit

der rechtlichen Sicherung der privaten Freiheit“72 begnügte. Die Offenheit des liberalen Milieus,

welches ihm vor der Reichsgründung dazu verhalf, stärkste politische Strömung zu werden, wurde

nun zu seiner Schwäche. Die Bindungen zu den verschiedenen Vereinen und Bewegungen, die die

Basis des Liberalismus bildeten, zerfielen – dies ermöglichte es insbesondere dem Nationalkonser-

68 Vgl. Winkler, Heinrich August: Der lange Weg nach Westen. Deutsche Geschichte vom Ende des Alten Reiches bis zum Untergang der Weimarer Republik, S. 244–250.

69 Wehler, Hans-Ulrich: Wie „bürgerlich“ war das Deutsche Kaiserreich?, S. 271.70 Vgl. Phol, Karl Heinrich: Liberalismus und Bürgertum 1880–1918. In: Gall, Lothar (Hrsg.): Bürgertum und

bürgerlich-liberale Bewegung in Mitteleuropa seit dem 18. Jahrhundert, R. Oldenbourg Verlag: München, 1997, S. 231–291, hier: S. 260.

71 Vgl. Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1866–1918, Machtstaat vor der Demokratie, S. 531–532.72 Grimm, Dieter: Bürgerlichkeit im Recht. In: Kocka, Jürgen (Hrsg.): Bürger und Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert,

S. 149–195, hier: S. 185.

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vatismus, in diesem Milieu Fuss zu fassen.73 Der damit einhergehende Rückzug des Liberalismus

aus der Mitte der Gesellschaft zeigt sich insbesondere bei dem bereits beschriebenen Vereinswesen.

Die nach innen wie aussen angestrebte öffentliche Organisationsform trat wieder in den Hinter-

grund. Stattdessen wurde „durch den Rückgriff auf vorliberale Assoziationsformen“74 wieder das

Prinzip der Kooptation, Nichtöffentlichkeit und Einbindungsrituale eingeführt. Hinzu kommt die

„Kampfansage“ des Nationalismus an jene, die seiner Auffassung nach nicht dazu gehörten. Seien

es „missratene Söhne“, die man, in noch zu gewinnende, Kolonien verfrachten wollte, oder die Ein-

schränkung des Sprachgebrauchs insbesondere gegenüber den Polen. Die „sprachliche Germanisie-

rung“ sowie die „Germanisierung des Bodens“ im Osten war kein liberales, sondern ein von den na-

tionalkonservativen Kräften angestossenes und schliesslich umgesetztes Projekt. Allerdings ist die

Entwicklung im Deutschen Reich keineswegs einzigartig. Auch in Frankreich und in der angelsäch-

sischen Welt ist eine vergleichbare Entwicklung zu beobachten. Der Liberalismus verlor einerseits

an Bedeutung, weil er durch die Unterstützung des Kulturkampfes gegen den Katholizismus sowie

der Sozialdemokratie seine eigenen Prinzipien verraten hatte. Andererseits hatte der Liberalismus

im Deutschen Reich kein historisches Erbe, wie z. B. in Frankreich die Französische Revolution,

auf das er sich berufen konnte. Der grösste Unterschied ist jedoch, dass das Bürgertum im Deut-

schen Reich gegen Ende des 19. Jahrhunderts die im Vergleich zu anderen westlichen Staaten feh-

lenden politischen Rechte nicht als Mangel empfand.75

73 Vgl. Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1866–1918, Machtstaat vor der Demokratie, S. 322.74 Mommsen, Hans: Die Auflösung des Bürgertums im späten 19. Jahrhundert, S. 292.75 Vgl. Winkler, Heinrich August: Der lange Weg nach Westen. Deutsche Geschichte vom Ende des Alten Reiches bis

zum Untergang der Weimarer Republik, S. 246–265.

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3 Studenten und Ordinarien

3.1 Studenten

Der Student, sein Verhalten und seine Rolle in der Gesellschaft sind auch heute noch Teil der

Debatte über die Aufgabe der Universität bezüglich der Erziehung und Ausbildung der Jugend. Die

deutsche Gesellschaft und ihre Studentenschaft im 19. Jahrhundert machte hier keine Ausnahme.

Studenten bilden eine Gruppe, die sich durch spezifische gesellschaftliche, juristische und kulturelle

Eigenheiten definieren lässt und sich von der „Klasse“ abgrenzt. Im Gegensatz zu dieser ist man in

der Regel nur für begrenzte Zeit Mitglied der Studentenschaft. Weiter ist sie eine Gruppe, die sich

durch eigene Traditionen und ein starkes Selbstbewusstsein definiert. Dadurch sondert sie sich stark

von anderen Gruppen ab, zu denen nur nur wenige bzw. schwache Kontakte bestehen. Ein Student

muss sich des Weiteren im Allgemeinen keine familiären Sorgen machen und ist aufgrund der

Struktur des deutschen Studiensystems weitgehend unabhängig in seinen Entscheidungen hinsicht-

lich Studienfach und -ort. Hingegen macht sie die soziale, berufliche und finanzielle Ungewissheit,

insbesondere da sie noch nicht fest in der Gesellschaft integriert sind, radikaler und offener für

rigorose politische Ideen und Ideale. Diese Haltung führte nicht selten zu Problemen der

Studentenschaft mit den örtlichen Behörden sowie Randalen und politischen Demonstrationen, was

andererseits den Widerstand der ansässigen Bevölkerung gegen die Studentenschaft verstärkte.

Hinzu kommt, dass die Öffentlichkeit das Verhalten der Studenten umso mehr missbilligte, als sie –

sowohl im Verständnis der Studenten selbst wie der Öffentlichkeit – die zukünftige Elite

repräsentierte, was sich auch im starken Selbstbewusstsein der Studentenschaft widerspiegelte.76

Eine wichtige Rolle bezüglich der studentischen Identität spielten dabei Burschenschaften

und Verbindungen, die, nach eigenem Verständnis, als Korrektiv zur akademischen Freiheit

agierten. Erst durch den Beitritt wurde der Student von einer rein statistischen Zahl, einem

„‚blinden Fleck‘ in der Historiographie“77, zu einem Subjekt, indem er sich zu den jeweiligen

Prinzipien, Positionen und Regeln seiner Verbindung bekannte. Dies nicht zuletzt deshalb, weil die

Universitäten im Deutschen Reich im Gegensatz zu den Colleges der englischen Universitäten sich

76 Vgl. Lönnecker, Harald: Studenten und Gesellschaft, Studenten und Gesellschaft. Versuch eines Überblicks seit Beginn des 19. Jahrhundert, S. 388–393

77 Schöder, Annette: Vom Nationalismus zum Nationalsozialismus. Die Studenten der Technischen Hochschule Hannover von 1925 bis 1938, Hahnsche Buchhandlung: Hannover, 2003, S. 18.

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nicht als Erziehungsanstalten verstanden; „die geselligen und emotionalen und

ausserwissenschaftlichen Bedürfnisse ihrer Zöglinge“ waren nach dem Selbstverständnis der

Universitäten für sie nicht von Belang.78 Während an kleineren Universitäten teilweise die Hälfte

bis zu einem Drittel aller Studenten Mitglied in Verbindungen und Burschenschaften war, war es in

Berlin wie in anderen grösseren Städten teilweise nur jeder Fünfte. Noch bis 1880 waren die

Verbindungen in ihren politischen Positionen höchst unterschiedlich, von liberal bis konservativ,

aber immer national. Der nun immer stärker werdende Konservatismus und Nationalismus

innerhalb der Verbindungen – der christliche Gedanke war bereits in den 1830er-Jahren fallen

gelassen worden – und ihre damit einhergehende Angleichung baute auf der Reichseinigung sowie

der Industrialisierung im Deutschen Reich auf. National zu sein bedeutete dabei jedoch nicht, auch

politisch aktiv zu sein, sondern war eine selbstverständliche Haltung unter den Studenten,

insbesondere jenen, die Mitglied von Verbindungen und Burschenschaften waren, sowohl vor aber

insbesondere nach 1880 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges.79 So schrieb der Historiker

Friedrich Meinecke, in den 1880er-Jahren Student und Mitglied der Berliner Burschenschaft

„Saravia“ und ab 1914 Ordinarius für Geschichte an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin,

dass in den Gesprächen der Studenten Politik kein Thema war, „da Bismarck alles gut und richtig

zu machen schien“80. Ein aktive Rolle der Studenten war ferner vonseiten der Professoren gar nicht

gewünscht. Als zukünftige Elite sollten sie sich viel mehr auf ihre Führungsrolle vorbereiten und

sich eine eigene politische Überzeugung aneignen. Ein Student dürfe sich jedoch „keiner Partei

gefangen geben“, „nicht Parteimann sein wollen“, da die Gesellschaft Männer brauche, die „über

den Parteien stehen“ und dabei „das Ganze des Vaterlandes nicht aus den Augen verlieren“.81

Erfahrungen anderer Städte führten zur Furcht der Berliner Stadtbevölkerung bei der Gründung der

Friedrich-Wilhelms-Universität wie auch danach, dass diese zur Störung der öffentlichen Ordnung

durch die Studenten führen werde. Auf der anderen Seite sorgten sich die Universitätsbefürworter,

dass die Grossstadt einen negativen Einfluss auf den Eifer und die Moral der Studenten haben wer-

78 Vgl. Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1866–1918. Arbeitswelt und Bürgergeist, S. 580–582.79 Vgl. Lönnecker, Harald: Studenten und Gesellschaft, Studenten und Gesellschaft. Versuch eines Überblicks seit

Beginn des 19. Jahrhundert, S. 402–414.80 Zit. n. Brendt, Horst: Historiker und ihre Gegenwart. Friedrich Meinecke (1862–1954) – Heinrich Ritter von Sbrik

(1878–1951). In: Scharff, Alexander; Stephenson, Kurt (Hrsg.): Leben und Leistung. Burschenschaftliche Doppelbiographien, Bd. 2, Universitätsverlag Winter: Heidelberg, 1867, S. 196–234, hier: S. 201.

81 „Der Philosoph und Professor in Strassburg Theobald Ziegler, Alter Herr mehrerer Burschenschaften“. Zit . n. Lönnecker, Harald: Studenten und Gesellschaft, Studenten und Gesellschaft. Versuch eines Überblicks seit Beginn des 19. Jahrhunderts, S. 413.

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de, da zu erwarten war, dass nicht nur Buchhandlungen in der Nähe der Universität entstehen

würden, sondern auch Gaststätten, die mehrheitlich von den Studenten besucht werden würden.82

Student zu sein bedeutete auch, den sozialen Aufstieg anzustreben, wobei die Herkunft die

Studienwahl beeinflusste. Während die Studenten der ersten Generation, insbesondere jener vom

Lande, noch die Theologie als Aufstiegsfach nutzten, waren es für das Wirtschaftsbürgertum die

technischen Fächer, während für das Bildungsbürgertum und den Adel vor allem Medizin und Jura

infrage kamen.83 Die bereits beschriebene politische Entwicklung der Burschenschaften und

Verbindungen findet sich in der Studentenschaft als Gesamtes wieder. Noch bis Mitte des

19. Jahrhunderts war diese Studentenschaft mehrheitlich gegen den von ihr als anti-liberal und anti-

national empfundenen Staat. Nach den 1850er-Jahren und insbesondere nach der Reichsgründung

1871 änderte sich diese Meinung jedoch. Insbesondere die der bürgerlichen Schicht zugehörigen

Studenten nahmen den Staat nicht mehr als Gegner wahr. Die von ihnen ausgehende nationale

Bewegung und der „traditionelle Staat“ schlossen einander nicht aus. Der Nationalismus entwickel-

te sich von einer Oppositionsideologie zu einer Integrationsideologie.84 Der Adel wurde nicht mehr

als Konkurrent empfunden, vielmehr wurden seine Umgangsformen und sein Ehrbegriff kopiert.

Dies gilt insbesondere für die Studenten. Der Adel hatte für diese aufgrund des Siegs der von ihm

angeführten deutschen Heere gegen Frankreich eine Vorbildfunktion. So nahm Kaiser Wilhelm I.

der als Prinz 1848 von den Studenten gescholten wurde, 1887 eine eine Parade der Studenten zu

seinem Geburtstag an, da er „grosse Freude empfunden habe über die Gesinnungen, welche jetzt an

den Universitäten herrschen“85.

Die Studentenzahlen im Deutschen Reich explodierten gegen Ende des 19. Jahrhunderts, was

sich auf die jeweiligen Fakultäten jedoch ganz unterschiedlich auswirkte. Während der Anteil der

Studenten an der evangelisch-theologischen Fakultät zwischen 1870 und 1914 von 11,3 % auf

5,7 % fiel und sich damit fast halbierte, stieg er bei der Philosophisch-historischen Fakultät von

35,7 % auf 49,6 %,86 wobei der Ansteig in zwei Wellen, ab 1875 bis 1882 sowie nach der 82 Die Einfluss der Universitätsgründung auf die Stadtentwicklung ist in Bezug auf Berlin noch nicht abschliessen

geklärt. Vgl. Wagner, Frank: Professoren in Stadt und Staat. Das Beispiel der Berliner Universitätsordinarien S. 370.

83 Vgl. Titze, Hartmut: Die zyklische Überproduktion von Akademikern im 19. und 20. Jahrhundert. In: Geschichte und Gesellschaft, 1984, S. 92–121.

84 Lönnecker, Harald: Studenten und Gesellschaft, Studenten und Gesellschaft. Versuch eines Überblicks seit Beginn des 19. Jahrhunderts, S. 408.

85 Hagen, Otto: Geschichte der Akademischen Liedertafeln zu Berlin. 2. Teil, [k. V.], Berlin, 1906, S. 29.86 Vgl. Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum

Beginn des Ersten Weltkrieges 1849–1914, S. 1212.

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Jahrhundertwende, erfolgte.87 Die anderen Fakultäten, katholische-theologische, Jura und Medizin,

verloren ebenfalls jeweils bis zu 6 % an der Gesamtzahl aller Studierenden.88 Insgesamt stieg die

Zahl der Studenten im Deutschen Reich von 12 256 im Jahr 1870 auf 41 235 im Jahr 1905. Somit

wurde ihre Zahl innerhalb von 35 Jahren mehr als verdreifacht. In den Jahrzehnten vor der

Reichsgründung hingegen pendelte die Studentenzahl jeweils zwischen 12 000 und 15 000 und

blieb äusserst konstant. Von den preussischen Universitäten profitierte insbesondere Berlin von

dieser Entwicklung. Noch bis zur Reichsgründung betrug die Zahl der Studenten an der Friedrich-

Wilhelms-Universität zu Berlin selten mehr als 2 000 Studenten. Erst nach 1871 stieg ihre Zahl

markant auf ca. 5 000 in den 1880er-Jahren und schliesslich auf regelmässig über 7000 Studenten

nach der Jahrhundertwende.89

Der Anstieg der Studentenzahlen veränderte die Verteilung der Konfessionen an den

Universitäten. Der Anteil der jüdischen wie protestantischen Studenten an der Gesamtzahl blieb

zwar weiterhin überproportional hoch, nahm jedoch stetig ab.90 Davon profitierten vor allem die

zahlenmässig unterrepräsentierten katholischen Studenten, die ihren Anteil von knapp einem

Fünftel auf gut über ein Viertel aller Studierenden vergrössern konnten.91 Auch bei der

Sozialstruktur führte der Anstieg der Studenten zu Veränderungen. Noch bis zur Mitte des des

19. Jahrhunderts kamen mehr als die Hälfte der Studenten aus dem Bildungsbürgertum, im Zuge der

Industriellen Revolution sank ihr Anteil jedoch bereits bis zur Reichsgründung auf ca. ein Drittel. In

den folgenden Jahren sank der Anteil nur noch wenig, sodass er 1910 in Berlin noch 31,7 % betrug.

Von dieser Entwicklung profitierten vor allem das Wirtschaftsbürgertum, welches seinen Anteil in

Berlin von 32,8 % im Jahre 1870 auf 39,8 % im Jahre 1910 steigern konnte. Die Studierenden aus

dem Kleinbürgertum hingegen konnten ihren Anteil nach der Reichsgründung nicht weiter vergrös-

sern, er schwankte zwischen zwischen 25 % und 30 %. Zahlenmässig könnte man dementprechend

von einem Bedeutungsverlust des Bildungsbürgertums sprechen. Angesichts der Tatsache, dass sich

die Studentenschaft innerhalb von 25 Jahren fast verdoppelt hat, während das bildungsbürgerliche

87 Vgl. Statistik der Preussischen Landesuniversitäten mit Einschluss des Lyceum Hosianum zu Braunsberg, der bischöflichen Klerikerseminare und der Kaiser-Wilhelms-Akademie für das militärische Bildungswesen zu Berlin für das Studienjahr zu Ostern 1905/1906, S. 94.

88 Vgl. Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849–1914, S. 1212.

89 Vgl. Statistik der Preussischen Landesuniversitäten mit Einschluss des Lyceum Hosianum zu Braunsberg, der bischöflichen Klerikerseminare und der Kaiser-Wilhelms-Akademie für das militärische Bildungswesen zu Berlin für das Studienjahr zu Ostern 1905/1906, S. 74–76.

90 Vgl. Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat, S. 580.91 Vgl. Dowe Christopher: Auch Bildungsbürger. Katholische Studierende und Akademiker im Kaiserreich, S. 304.

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Milieu im Vergleich zum Anstieg der Gesamtbevölkerung nur mässig wuchs, bedeutet diese

Entwicklung eher, dass es seinen Zugang zu den traditionellen Akademikerkarrieren weiter

offenhalten konnte. Auch das Wirtschaftsbürgertum brachte seinen wachsenden Einfluss an der

Universität stärker zur Geltung, wenngleich es nach wie vor eine praktisch orientierte Ausbildung

bevorzugte. Der stärkste Anstieg ist jedoch beim alten Mittelstand, den Handwerkern und Krämern,

sowie beim neuen Mittelstand, den Staats- und Privatangstellten, Lehrern und Technikern, zu

finden. Bis zu Beginn des Ersten Weltkrieges stieg ihr Anteil unter den Studenten in Preussen auf

gut die Hälfte. Dies zeigt die starke Mobilität nach oben, den „Aufstiegswillen“ insbesondere des

niederen Bürgertums. Dies wäre jedoch ohne die bereits erwähnte Funktion der Universität als

„Aufstiegsschleuse“ wie auch als Integrationsmechanismus nicht möglich gewesen.92 Während das

Studium für die Kinder, vor allem die Söhne, des Bildungsbürgertums auch ein Teil des

Selbstverständnisses war, war es für jene des Wirtschaftsbürgertums eine Möglichkeit, sich mit der

„‚feinen‘ Bildung zu amalgamieren“93. Die untere Mittelschicht nutzte das Studium hingegen als

Mittel zum Aufstieg und zur bewussten Abgrenzung gegen unten, während es sich gleichzeitig

gegen die etablierten Gruppen des Bürgertums behaupten musste. Alles in allem änderte sich der

Charakter der Studentenschaft und damit der Universität mit der Vergrösserung der Zahl der

Studenten markant, insbesondere nach der Jahrhundertwende. Die Universitäten wurden zwar keine

Massenuniversitäten im modernen Sinn, verloren aber ihren relativen rein elitären Charakter und

wandelten sich, ganz im Sinne der Integrationsaufgabe neu aufgestiegener Schichten, zu „modernen

Mittelklassenhochschulen“94.

3.2 Ordinarien

Der bereits erwähnte Wunsch der Bürgertums nach Abgrenzung gegen unten wie oben zeigt sich bei

den den Ordinarien, den klassischen Repräsentanten des Bildungsbürgertums, besonders deutlich.

Die Abgrenzung gegen unten erfolgte durch staatliche Auszeichnungen, aufgrund derer Professoren

im 19. Jahrhundert auch als „Geistesadel“ bezeichnet wurden. Gut ein Drittel aller Berliner Ordina-

rien wurden in den Personal- oder Erbadel erhoben. Der wichtigste und am besten untersuchte Titel

ist jedoch der des Geheimrats, der meist wegen der Tätigkeit an der betreffenden Universität verlie-

92 Vgl. Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849–1914, S. 1214–1216.

93 Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat, S. 580.94 Ebd.

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hen wurde und mit dem eine Höherstufung in der Gehaltsklasse einherging. Bis 1850 wurden

60 von 110 Berliner Ordinarien (55 %) dieser Titel verliehen. Von 1850 bis 1890 stieg deren Zahl

auf 72 % von 117 Berufenen und schliesslich bis 1918 auf 84 % von 110, wobei Ordinarien der

theologischen Fakultät erst ab 1875 den Titel erhalten konnten. Durch diese Titel und Orden wurden

die Berliner Ordinarien „nicht nur symbolisch aus der Masse der normalen Bürger hervorgehoben,

sondern auch sozial erheblich aufgewertet.“95 Trotz dieser relativ hohen Zahl an Auszeichnungen

wurde stets darauf geachtet, dass die Verleihung nur mit einer entsprechenden Leistung einherging,

wie Doktorjubliäen, Veröffentlichungen, die Berufung nach Berlin oder die Ablehnung einer Beru-

fung von Berlin weg. Politische Gründe oder Geburtstage, wenngleich die Verleihung im Rahmen

eines Geburtstages erfolgen konnte, reichten für gewöhnlich nicht. Die Verleihung des Titels, Zeit-

punkt und Grad, wurde dabei als Möglichkeit des Vergleichs der Kollegen äusserst ernst genom-

men. Weitere wichtige Orden waren der „Rote Adlerorden“ sowie der Orden „Pour le mérite“, wo-

bei letzterer für die Wissenschaft eine eigene „Friedensklasse“ vorsah. Denn sie waren nun, neben

den Offizieren, auch standesgemässe Heiratspartner für Frauen aus der Klasse des Adels, wobei

festzuhalten ist, dass die meisten Ordinarien weiterhin Frauen aus ihrem eigenen Milieu, in der Re-

gel dem bildungsbürgerlichen, bevorzugten.96

Trotz aller Annäherung erfolgte auch eine Abgrenzung der Ordinarien gegen den Adel wie

auch gegen jenen Teil des Bürgertums, der politisch aktiv war. Noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts

war der „Typus des politischen Professors“,97 der sich in den Parteien und Parlamenten engagierte,

weit verbreitet. Mit der Reichsgründung geht ihre Zahl jedoch kontinuierlich zurück; die Zahl der

Professoren, die als unpolitisch zu bezeichnen sind, nimmt hingegen, insbesondere unter den Juris-

ten, markant zu. Das hat einerseits mit der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung zu tun. Pro-

fessor wie Politiker professionalisierten sich, sodass eine parallele Ausübung beider Berufe nicht

mehr möglich war. Gleichzeitig änderte sich auch das Selbstbild der Ordinarien. Sie waren nun Ge-

lehrte, die über der Politik standen und dabei die „Stimme des öffentlichen Gewissens“98 repräsen-

tierten. Der Berliner Philosoph Paulsen formulierte es so, dass die Professoren ein „Wächteramt“

inne hätten, wobei war er selbst kein Oppositioneller war, sondern, wie alle anderen Professoren ein

dem System treuer Kritiker und Reformer, mit dem Ziel, rein sachlich die Politik zu leiten.99

95 Wagner, Frank: Professoren in Stadt und Staat. Das Beispiel der Berliner Universitätsordinarien, S. 381.96 Vgl. ebd., S. 381–382.97 Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat, S. 59598 Ebd., S. 596.99 Ebd., S. 596–597.

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Detaillierte Ausführungen zur sozialen Herkunft der Ordinarien werden im Verlauf der Arbeit

im Rahmen des Vergleichs mit den Promovierten gemacht. Dennoch ist festzuhalten, dass „die Uni-

versitätsprofessur […] nach der Herkunft ihrer Professoren bürgerlich, vornehmlich bildungsbürger-

lich und protestantisch“100 war. Die Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin und die mit ihr ver-

bundenen Professoren nehmen durch die Lage der Gebäude der Universität im Stadtzentrum eine

besondere Stellung bezüglich der Entwicklung der Professorenschaft im 19. Jahrhundert und zu Be-

ginn des 20. Jahrhunderts ein. Das Hauptgebäude lag mitten im politischen Zentrum des Reiches,

nur wenige hundert Meter vom Reichstag und Berliner Stadtschloss entfernt. Gleichzeitig wurden

die Ministerien im Umfeld der Universität angesiedelt. Die Professoren hatten dementsprechend ge-

nügend Kontakt zu Politikern, um deren aus ihrer Sicht engstirniges und spaltendes Verhalten als

unpassend für einen Wissenschaftler abzulehnen.101 Gleichzeitig wurden die Ordinarien, aufgrund

der speziellen Lage und herausragenden Rolle der Universität, abgesehen von der geforderten Loya-

lität zum Haus Hohenzollern, spezifisch ausgewählt. Durchsetzungsvermögen und ein damit einher-

gehender Ruf als jemand, der für seine Ansichten eintritt, waren Grundbedingungen für die Beru-

fung nach Berlin. Auch wurde die Berufung dazu benutzt, um fachlich herausragende wie auch be-

sonders ambitinierte Professoren nach Berlin zu holen. Es wurde versucht, dem Professor Konzes-

sionen abzuringen, die dieser bereit für die Berufung einzugehen. Im Allgemeinen betraf dies die

Möglichkeit, auf die Forschungsergebnisse und Aktivitäten des Berufenen Einfluss zu nehmen. So

wurde bei der Berufung Hans Delbrücks vonseiten des damaligen Universitätsreferenten Althoff

versucht, sich ein Vorzensurrrecht auf die von ihm herausgegebenen Preussischen Jahrbücher zu si-

chern. Erst nach langen Gesprächen unter Einbezug der königlichen Familie sowie aufgrund der

Drohung Delbrücks, die Berufung unter diesen Bedingungen nicht annehmen zu wollen, nahm Alt-

hoff von seiner Forderung Abstand.102 Der Versuch, Delbrücks Veröffentlichungen zu kontrollieren,

hatte einen besonderen Grund. Er war einer der wenigen Berliner Historiker jener Zeit, die direkt

versuchten, Einfluss auf die Politik zu nehmen und sich in den 1880er-Jahren sowohl für den Land-

tag wie für Reichstag zur Wahl stellte und war bis Mitte der 1890-er Jahre, als er sich mit öffentlich

mit Baron Stramm überwarf, Mitglied der Freikonservativen Partei.103 Davon abgesehen war es für

Ordinarien jedoch unüblich, sich in Parteien zu engagieren und damit die von Paulsen genannte

100 Baumgarten, Marita: Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert, S. 270.101 Vgl. McClelland, Charles E.: Berlin Historians and German Politics. In: Journal of Contemporary History (8)

1973, H. 1 S. 3–33, hier: S. 5.102 Vgl. ebd., S. 6–7.103 Vgl. ebd., S. 10–11

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Rolle als „Wächter“ aufzugeben. Sie machten ihren Einfluss entweder über Publikationen, ihren

Ruf sowie eigene Vereine geltend. Bekanntestes Beispiel für Letzteres ist der Historiker Dietrich

Schäfer. Als Sohn eines Hafenarbeiters nahm er eine Sonderrolle innerhalb des Lehrkörpers der Phi-

losophisch-historischen Fakultät ein, war jedoch gleichzeitig ein typischer Vertreter jenes Teils des

Bürgertums, der seinen Aufstieg nach eigener Auffassung hart erarbeitet hat und sich nun umso

mehr nach unten abgrenzen wollte.104 Als Verfechter der imperialen Politik des Deutschen Reiches

und Unterstützer der Germanisierungpolitik der polnischsprachigen Gebiete sowie als führendes

Mitglied des Ostmarkenvereins ist er jedoch ein vorzügliches Beispiel für die Mehrheit jener Pro-

fessoren, die ihren Einfluss über ihre Veröffentlichungen und ihre Autorität als Gelehrte geltend

machten, während sie gleichzeitig das Parlament und die Demokratie verachteten.105

104 Vgl. McClelland, Charles E.: Berlin Historians and German Politics, S. 10–11105 Vgl. ebd., S. 33.

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4 Promovenden der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin

1837–1910

4.1 Geistes- und Naturwissenschaften

4.1.1 Gesamtübersicht Bern und Berlin

Im Folgenden soll die Zahl der Dissertationen der Philosophisch-historischen Fakultät der Fried-

rich-Wilhelms-Universität zu Berlin, die von der Universitätsbibliothek Bern aufbewahrt werden, in

der untersuchten Periode im Vergleich zu den offiziellen Zahlen beschrieben werden. Des Weiteren

soll aufgezeigt werden, ob die wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen Einfluss auf die Zahl

der Doktorarbeiten, insbesondere im Vergleich zur Entwicklung der Studentenzahlen, hatten. Als

Vergleichsmaterial dienen die Angaben im „Verzeichnis der Berliner Universitätsschriften von 1810

bis 1885“ sowie in der „Chronik der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin“,

welche von 1887 bis 1916 erschien. Zusätzlich wurden die „Statistiken der Preussischen

Landesuniversitäten mit Einschluss des Lyceum Hosianum zu Braunsberg, der bischöflichen

Klerikerseminare und der Kaiser-Wilhelm-Akademie für das militärische Bildungswesen zu Berlin“

hinzugezogen. Da die Statistik die Promotionen nach Winter- und Sommersemestern, die Chronik

sie jedoch nach Jahren zusammenfasst, hat die Statistik in diesem Falle nur ergänzenden

Charakter.106

Insgesamt lagern in der Universitätsbibliothek Bern aus der Zeit zwischen 1837 und 1913

2 431 Dissertationen der Philosophisch-historischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität zu

Berlin. Während der Untersuchung galt weder ein Ausleihstopp noch ein Rückruf aller

Dissertationen, sodass einige wenige nicht vor Ort waren. Diese Dissertationen wurden nicht

mitgezählt, die Zahl von 2431 Dissertationen umfasst daher lediglich die zum Zeitpunkt der

Untersuchung vorhandenen Dissertationen. Die Dissertationen, welche in einzelnen Boxen gelagert

werden, sind jedoch nicht bibliografisch erfasst und damit nicht ohne weiteres für die Benutzung

zugänglich.107 Bis 1893 sind jeweils mehrere Jahre in einer Box vereinigt, der grösste Zeitraum um-

106 Auch die Chronik gibt die Daten in den ersten Bänden nach Winter- und Sommersemester an. Da hier jedoch auch das Promotionsdatum angegeben wird, können die Promotionen den jeweiligen Jahren zugeordnet werden.

107 Diese Information und sämtliche weitere Informationen zur Entwicklung des Archivs stammen aus dem

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fasst die Jahre 1861 bis 1879. In den folgenden Jahren bis 1900 werden die Dissertationen aufgrund

ihrer stark steigenden Zahl jährlich in einer Box abgelegt, nach 1900 werden für einen Jahrgang

mehrere Boxen benötigt. Zwischen 1901 und 1912 wurden die Dissertationen nach dem jeweiligen

Winter- und Sommersemester zusammengefasst, wobei die Richtigkeit dieser Einteilung durch

einen Abgleichmit den offiziellen Angaben zu überprüfen wäre. Andererseits nimmt diesauf vorlie-

gende Untersuchung keinen Einfluss, da sie nur Jahreszeiträume berücksichtigt. Ab 1912 werden

die Dissertationen wieder nach Jahren getrennt aufbewahrt. Bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts

enthalten die Dissertationen jeweils eine Liste der Thesen. Mit dem Wechsel von Latein auf

Deutsch, der zunächst beim Inhalt wie Titel, später auch beim Lebenslauf erfolgte, verschwindet

diese Angaben, an ihre Stelle tritt zunehmend ein Inhaltsverzeichnis. Die meisten Dissertationen

sind nicht vollständig vorhanden, es stand aber eine gekürzte Fassung mit den aus der Sicht des

Autors und nach Bestätigung durch die Universität wichtigsten Kapiteln zur Verfügung.

Die erste in Bern verfügbare Dissertation stammt aus dem Jahr 1837 und begründet damit

auch den Beginn des Untersuchungszeitraums. Im Vergleich zu den offiziellen Angaben ergibt sich

ein Unterschied von 22 Jahren, denn die erste Dissertation in Berlin wird auf 1815 datiert. Sie

wurde zwar bereits 1813 begutachtet, jedoch erst 1815 nachgeliefert.108 Bis einschliesslich 1879

variiert die Zahl der Dissertationen pro Jahr stark. Es wurden nie mehr als acht Dissertationen,

nämlich in den Jahren 1853 und 1855, gezählt, es gibt aber auch mehrere Jahre, in denen keine

Dissertation vorhanden ist. Auffallend sind insbesondere die Zeitspannen von 1866 bis 1869 und

1872 bis 1879, in denen über mehrere Jahre hinweg keinerlei Dissertationen vorhanden sind. Auch

in den Jahren 1870 und 1871 sind mit lediglich fünf Dissertationen verhältnismässig wenig

Exemplare vorhanden. Diese beiden Lücken fallen in die Zeit des Deutschen Krieges von 1866

resp. des Deutsch-Französischen Krieges sowie die Gründung des Deutschen Kaiserreichs von 1870

bis 1871 und sind wahrscheinlich den damit einhergehenden Wirren und Entwicklungen geschuldet.

Auch zwischen 1880 und 1892 variiert die Zahl der Dissertationen relativ stark, fällt aber nicht auf

Projektbericht der Arbeitsgruppe DissU1 der Stadt- und Universitätsbibliothek Bern vom 20. Oktober 2006 mit Ergänzungen von 2007. Der vollständige Bericht war zum Zeitpunkt des Verfassens dieser Arbeit jedoch nicht öffentlich verfügbar.

108 Um den Doktortitel zu erhalten, war es notwendig, dass der Doktorand nebst dem Exemplar, welches begutachtet wurde, mindestens ein weiteres Exemplar der Doktorarbeit zur Archivierung einreicht sowie die Kosten vollständig bezahlt wurden. Die genannte Dissertation wurde bereits 1813 geprüft, aber erst 1815 wurde der Doktortitel offiziel verliehen, da, nach den vorliegenden Angaben, diese Bedingungen vom Doktoranden erfüllt wurden. Vgl. Verzeichnis der Berliner Universitätsschriften von 1810 bis 1885, Commissions-Verlag von Weber: Berlin, 1899, S. 621.

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Null. Ab 1893 steigt die Zahl der Dissertationen schliesslich kontinuierlich bis zu einem Höchstwert

von 190 Dissertationen im Jahr 1908 und sinkt in den folgenden Jahren um fast 50 Exemplare auf

143 im Jahr 1913 ab. Diese Entwicklung zeigt sich auch beim Vergleich der drei Perioden, in die

der untersuchte Zeitraum unterteilt wurde. Gibt es zwischen 1837 und 1870 125 Dissertationen,

sind es zwischen 1871 und 1899 mit 260 mehr als doppelt so viele. Von 1900 bis 1913 liegen mit ei-

ner Zahl von 2 066 fast sechsmal mehr Dissertationen vor als in den beiden vorangehenden

Perioden zusammen. Bei der Zählung zeigt sich jedoch auch, dass in einigen Fällen mehr

Dissertationen in Bern lagern als in der Chronik angegeben sind. Diese verzeichnet für das Jahr

1909 insgesamt 169 Dissertationen der Philosophisch-historischen Fakultät, während in Bern 174

Dissertationen lagern. Der Grund für diese Differenz ist höchstwahrscheinlich, dass die Dissertation

zwar verteidigt wurde, der Kandidat aber weitere Vorgaben, wie die Bezahlung der Gebühren, nicht

erfüllt hat. Um dies zu bestätigen, müssten die betroffenen in Bern lagernden Dissertationen mit der

Chronik sowie den jeweiligen Angaben im Archiv der Humboldt-Universität verglichen werden,

was jedoch im Rahmen dieser Arbeit aufgrund des damit verbundenen zeitlichen Aufwands nicht

erfolgt ist.

Ein Vergleich dieser Zahlen mit den Angaben der bereits genannten Dokumentationen gibt

Auskunft über die in Bern fehlenden Dissertationen. Auffällig ist insbesondere der Unterschied der

ersten beiden Perioden gegenüber der letzten. Bis zum Jahr 1837 erschienen in Berlin

135 Dissertationen, von denen keine in Bern zu finden ist. Aus diesem Grund werden diese bei den

folgenden Vergleichen ausgeklammert. In der ersten Periode von 1837 bis 1871 wurden in Berlin

747 Dissertationen angenommen, in der folgenden Periode bis 1899 sind es 1 601. In Bern sind

lediglich 125 resp. 260 Dissertationen vorhanden, d. h. in Bern sind nur bis zu einem Sechstel der

an der Friedrich-Wilhelms-Universität veröffentlichen Dissertationen gelagert. Ein genauer

Vergleich zeigt, dass die Zahl der Dissertationen in Bern in den beiden ersten Perioden sich weitge-

hend parallel mit der Zahl der veröffentlichten Dissertationen in Berlin entwickelt. Insbesondere

sinkt die Zahl der Dissertationen in Berlin zwischen 1865 und 1880, dies entspricht der Zeitspanne,

in der in Bern die wenigsten Dissertationen zu finden sind. Andererseits steigt die Zahl in Berlin ab

1881 relativ stark an, während sie in Bern zwar ebenfalls konstant zunimmt, aber doch weit unter

dem Wert von Berlin bleibt. Anders ist die Situation in der Periode von 1900 bis 1913. Die Zahl der

Dissertationen in Bern steigt stark an und erreicht mit 2 066 Dissertationen beinahe den Berliner

Wert von 2 205, d. h. es fehlen weniger als 10 % der Dissertationen. Dabei verläuft der Anstieg in

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Bern nicht gleichmässig, zwischen 1900 und 1901 verdoppelt sich die Zahl der Dissertationen und

erreicht erstmals das Niveau von Berlin. Den Grund für die benannten Differenzen und die Art der

in Bern fehlenden Dissertationen behandelt das folgende Kapitel.

4.1.2 Geistes- und Naturwissenschaften

In dieser Untersuchung sollen nicht sämtliche Dissertationen der Philosophisch-historischen Fakul-

tät analysiert werden, sondern allein die geisteswissenschaftlichen, die daher von den naturwissen-

schaftlichen gesondert werden mussten. Eine erste und in den meisten Fällen hinreichende Auskunft

über die Einordnung der Dissertation gibt ihr Titel. Weitere Kriterien waren die vom Promovierten

im Lebenslauf genannten Studienfächer sowie die Dozenten. Da meist nur ihr Nachname, nicht aber

ihre Funktion angegeben wurde, musste diese durch Konsultation der entsprechenden Verzeichnisse

geklärt werden. Dies war auch deshalb notwendig, weil nicht wenige Promovierte an verschiedenen

Universitäten resp. den Hochschulen Berlins studiert hatten, sie aber die Dozenten der einzelnen

Universitäten in ihrem Lebenslauf nicht immer klar zuordnen.109 Ein Spezialfall sind die Disserta-

tionen aus den Wirtschaftswissenschaften, die weder zu den Geistes- noch zu den Naturwissen-

schaften gehören. Bis zur Eingliederung der Handelshochschule 1936 resp. Gründung der wirt-

schaftswissenschaftlichen Fakultät 1946 waren sie jedoch noch Teil der Philosophisch-historischen

Fakultät. Da hier eine exakte inhaltliche wie funktionale Trennung nicht möglich war, wurden die

wirtschaftswissenschaftlichen den geisteswissenschaftlichen Dissertationen zugerechnet und detail-

liert ausgewertet. Ein nachfolgender Vergleich der Anzahl an geistes- und naturwissenschaftlichen

Dissertationen ist jedoch nur auf Basis der in Bern gelagerten Dissertationen möglich. Die offizielle

Liste der Dissertationen der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin sowie die Zahlen der Statisti-

ken nehmen keine Unterteilung der beiden Fachbereiche vor, sodass diese Trennung nur unter Ana-

lyse der im Archiv der Humboldt-Universität gelagerten Dissertationen und Lebensläufe möglich

wäre, um einen gleichen Standard zu schaffen. Dies war jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht zu

leisten.

Von den 2 431 Dissertationen sind 53,4 % den Geistes- und 46,6 % den Naturwissenschaften

zuzuordnen. Für den Zeitraum bis einschliesslich 1899 sind jedoch fast keine naturwissenschaftli-

109 Der Lehrbereich der Professoren an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin wurde mithilfe des „Verzeichnis-ses der Lehrer der Friedrichs-Wilhelms-Universität zu Berlin seit der Gründung bis zum 15. Oktober 1862“ von Ferdinand Ascherson sowie des 1955 erschieneneb „Gesamtverzeichnisses des Lehrkörpers der Universität Berlin“ von Johannes Asen, das die Angaben von 1810 bis 1945 enthält, abgeklärt.

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Masterarbeit Promovenden der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin 1837–1913FS 2011 31. Juli 2011Prof. Dr. Joachim Eibach Daniel Hardegger

chen Dissertationen in Bern vorhanden. In der Periode von 1837 bis 1870 sind es lediglich deren

drei, in der folgenden Periode 16. Zusammen machen sie lediglich etwas mehr als 5 % der Disserta-

tionen in den beiden Perioden aus. Der grosse Unterschied zwischen der Zahl der Dissertationen in

Bern und den offiziellen Zahlen ist sehr wahrscheinlich mehrheitlich in dem fast vollständigen Feh-

len der naturwissenschaftlichen Dissertationen begründet. Für einen Nachweis dieser Annahme

müssten jedoch sämtliche in Bern gelagerten Dissertationen mit der Chronik der Universität Bern

abgeglichen werden, was aufgrund des damit verbundenen Zeitaufwandes im Rahmen dieser Arbeit

nicht möglich war. Ob Dissertationen ausgeschieden wurden oder in Bern nie verfügbar waren,

konnte nicht eruiert werden. Nach Angaben der Bibliothek wurden in den 1980er-Jahren einzig die

medizinischen Dissertationen aussortiert, der Rest des Bestandes wurde nicht verändert. Auch die

Entwicklung der Naturwissenschaften als von den Geisteswissenschaften unabhängige Disziplin

und die Bemühungen um eine eigene Fakultät dürften keinen Einfluss auf den Zahlenunterschied in

Bern gehabt haben, da die Philosophisch-naturwissenschaftliche Fakultät erst 1921 in Bern gegrün-

det wurde.110 Der Anstieg der Dissertationen nach 1899 zeigt sich sowohl bei den geistes- wie bei

den naturwissenschaftlichen Dissertationen. Mit 1 115 oder fast 54 % aller Dissertationen zwischen

1900 und 1913 sind die naturwissenschaftlichen gegenüber den geisteswissenschaftlichen mit 951

Dissertationen nun sogar in der Überzahl. Dementsprechend verringert sich auch der Unterschied

zwischen den Anzahl der Dissertationen in Bern und der offiziellen Zahl von Berlin. Für die Periode

von 1900 bis 1913 kann aber von einer fast vollständig vorhandenen Sammlung gesprochen wer-

den.

4.1.3 Der Einfluss der wirtschaftlichen Entwicklung und der Studentenzahlen

Im Folgenden soll der mögliche Einfluss der wirtschaftlichen Entwicklung im Deutschen Reich auf

die Zahl der Dissertationen und die Studentenzahlen untersucht werden. Im Fokus stehen dabei die

verschiedenen Phasen von Konjunktur und Depression ab Mitte des 19. Jahrhunderts, wie sie

Hans-Ulrich Wehler in seiner „Deutschen Gesellschaftsgeschichte“ benannt hat, insbesondere deren

Einfluss auf die Zahl der natur- wie geisteswissenschaftlichen Dissertationen. Dabei werden die

wirtschaftlichen Phasen und die beiden wissenschaftlichen Fachbereiche bezüglich der Zahl der

Dissertationen und der Studenten sowohl untereinander als auch miteinander verglichen. So soll ge-

110 Vgl. Rogger, Franziska: Geschichte der Universität Bern. URL: http://www.uniarchiv.unibe.ch/unibe/generalsekretariat/uniarchiv/content/e3558/e3559/e3567/GeschichteUniBernweb_ger.pdf (17.05.2011).

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Masterarbeit Promovenden der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin 1837–1913FS 2011 31. Juli 2011Prof. Dr. Joachim Eibach Daniel Hardegger

prüft werden, ob die Natur- oder die Geisteswissenschaften anfälliger für den Einfluss der wirt-

schaftlichen Entwicklung sind, wobei für erstere aufgrund der Quellenlage die Analyse sich primär

auf die Entwicklung in der letzten Periode vor 1900 bis 1913 beschränkt.

Wehler unterteilt die Jahre zwischen 1873 und 1913 in jeweils fünf Phasen von Konjunktur

und Depression mit unterschiedlicher Länge und Intensität.111 Zählt man nur die Dissertationen in

den jeweiligen Phasen zusammen, wurden zu Zeiten der Konjunktur 1 842 zur Prüfung angenom-

men, während es in Zeiten der Depression nur 464 waren. Problematisch ist jedoch, dass ein solcher

Vergleich den generellen Anstieg an Dissertationen nicht beachtet sowie der Tatsache nicht Rech-

nung trägt, dass gemäss Wehler die konjunkturellen Phasen insgesamt 22 Jahre umfassen, während

die Zeit der Depressionen nur 18 Jahre währt. Weit aufschlussreicher ist ein Vergleich der Durch-

schnittswerte. Nach diesen wurden in Jahren der Depression nur 25,8 Dissertationen pro Jahr ange-

nommen, während es zu Zeiten der Konjunktur 83,7 Dissertationen und somit dreimal mehr waren.

Vergleicht man die Zahlen der Geistes- und Naturwissenschaften miteinander, ergibt sich das glei-

che Bild. Nur 12 naturwissenschaftliche Dissertationen werden in depressiven Jahren angenommen,

wohingegen es in konjunkturellen Jahren 41,6 sind. Bei den Geisteswissenschaften ist die Situation

mit 13,8 resp. 42,1 in etwa gleich. Insofern lässt sich zunächst feststellen, dass in Zeiten der Kon-

junktur weit mehr Dissertationen abgegeben sowie angenommen werden als in depressiven Phasen

und dass beide Wissenschaftsbereiche in der Gesamtbetrachtung von der wirtschaftlichen Entwick-

lung gleichermassen betroffen sind.

Bei einem genaueren Vergleich unter Hinzunahme der offiziellen Zahlen zeigt sich, dass sich

durch die jeweiligen Depressionen auch „Dellen“ in der ansonsten generell steigenden Anzahl an

Dissertationen finden lassen, wobei der Einfluss von der Dauer der jeweiligen Depression und dem

betroffenen Fachbereich abhängig ist. So steigt die Zahl der Dissertationen während der Konjunktur

von 1886 bis 1890 von 70 auf einen Höchstwert von 94 Dissertationen. In der folgenden Depression

bis 1895 sinkt die Zahl nicht sofort, sondern steigt im ersten Jahr noch auf weitere 109 Dissertatio-

nen. Erst in den folgenden Jahren sinkt die Zahl auf 66 Dissertationen. Auch bei den beiden Depres-

sionen von 1900 bis 1902 und von 1907 bis 1908 lässt sich die Auswirkung der sich verschlechtern-

den wirtschaftlichen Situation mit einer zeitlichen Verzögerung von mindestens einem Jahr nach-

weisen. Dies lässt sich damit begründen, dass die wirtschaftliche Situation insofern einen Einfluss

111 Vgl. Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849–1914, S. 547.

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Masterarbeit Promovenden der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin 1837–1913FS 2011 31. Juli 2011Prof. Dr. Joachim Eibach Daniel Hardegger

auf die Zahl der Dissertationen hat, als dass Studenten aufgrund der schlechten wirtschaftlichen

Lage von der Möglichkeit Abstand nehmen, eine Dissertation zu schreiben, während andere Promo-

venden die bereits begonnene Arbeit an der Dissertation beenden wollen. Vergleicht man die beiden

Fachbereiche in der Periode von 1900 bis 1913 miteinander, so zeigt sich, dass die Geisteswissen-

schaften weit weniger stark von den depressiven Phasen betroffen waren als die Naturwissenschaf-

ten. Insbesondere nach der Depression von 1900 bis 1902 sinkt die Zahl der naturwissenschaftli-

chen Dissertationen im Vergleich zu den geisteswissenschaftlichen, die ihr Niveau halten können.

Gleichzeitig profitieren die Naturwissenschaften aber auch mehr von den konjunkturellen Phasen.

So steigt die Zahl der naturwissenschaftlichen Dissertationen in Bern kurz vor der Depression von

1907 bis 1908 auf 98 Exemplare, während die geisteswissenschaftlichen erst nach dem wirtschaftli-

chen Abschwung ihren Höchstwert erreichen. Der Grund für den Unterschied dürfte nicht zuletzt

der Tatsache geschuldet sein, dass die neuen naturwissenschaftlichen Methoden „systematisch ge-

nutzt [wurden], um Innovationen in den Produktionsprozess einzuschleusen“112, was gleichzeitig be-

deutet, dass sie von der Nachfrage nach Innovationen sowie den verfügbaren finanziellen Mitteln

abhängig waren. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass erst bei einer Detailbetrachtung der

relativ grosse Einfluss der wirtschaftlichen Entwicklung auf die Zahl der naturwissenschaftlichen

Promovenden ersichtlich wird, während dieser bei den Geisteswissenschaften weit geringer ausfällt.

Die zuvor gemachte Aussage, dass beide Disziplinen von der wirtschaftlichen Entwicklung gleich

betroffen seien, trifft dementsprechend nur in der Gesamtbetrachtung, nicht aber beim detaillierten

Vergleich der jeweiligen wirtschaftlichen Phasen zu.

Wie erwähnt war es in Berlin im Gegensatz zu anderen deutschen Universitäten bereits seit

1810 möglich, das Studium mit dem Staatsexamen abzuschliessen, sodass dort das Verfassen einer

Dissertation keine notwendige Voraussetzung war, um einen Universitätsabschluss zu erlangen.

Diese Möglichkeit wirkt sich auch auf die Zahl der Promotionen und Studenten an der

Philosophisch-historischen Fakultät aus. Auf 100 Studenten entfallen im gesamten untersuchten

Zeitabschnitt im Schnitt nur etwas mehr als 1,7 Promotionen. Die Entwicklung dieses Verhältnisses

ist zwar ansteigend, dabei aber weit sprunghafter als die der Studentenzahlen selbst. Während es in

der ersten Periode bis 1870 noch 1,5 Promotionen sind, steigt dieser Wert in der folgenden auf 1,8

und schliesslich auf 2,7 Promotionen je 100 Studenten in der Periode von 1900 bis 1913. Die

112 Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849–1914, S. 615.

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Masterarbeit Promovenden der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin 1837–1913FS 2011 31. Juli 2011Prof. Dr. Joachim Eibach Daniel Hardegger

bereits erwähnte Zu- und Abnahme der Dissertationen, insbesondere in den Jahren nach dem

Deutsch-Französischen Krieg sowie der Depression bis Mitte der 1890er-Jahre, zeigt sich auch bei

den Studentenzahlen mit zeitlicher Verzögerung. In beiden Fällen sinkt die Zahl der Studenten,

wenngleich im Falle der Depression weniger abrupt als bei den Dissertationen. Anders hingegen ist

die Situation nach 1900. Trotz der auftretenden Depressionen, die bei der Zahl der Dissertationen zu

einzelnen „Dellen“ führt, nimmt die Zahl der Studenten unvermindert weiter zu. Der Einfluss der

wirtschaftlichen Entwicklung ist dementsprechend auf die Zahl der Studenten weit geringer als auf

die Zahl der Dissertationen. Dies zeigt sich insbesondere beim Verhältnis der geschriebenen

Dissertationen zu den Studenten. Wäre der Einfluss gleich gross, müsste dieses konstant bleiben.

Die Zahl der Dissertationen nimmt jedoch weit stärker ab, sodass das Verhältnis in den Jahren nach

dem Deutsch-Französischen Krieg unter 1 % fällt und erst ab den 1880er-Jahren wieder steigt. Auch

in der wirtschaftlichen Krise zu Beginn 1890er-Jahre sinkt die Zahl der Dissertationen mit zeitlicher

Verzögerung weit stärker als die Studentenzahlen von einem Höchstwert von 3,71 % auf noch

2,12 % im ersten Jahr nach der Krise. Schliesslich steigt die Zahl der Studenten in der letzten

Periode weit konstanter an als die Zahl der Dissertationen, deren Zahl im Verhältnis weit stärker

fluktuiert.

4.2 Altersdurchschnitt

Zur Feststellung des Alters der Promovenden wurde das jeweilige Geburtsjahr mit dem Jahr der

Promotion verglichen. Nicht beachtet wurde, ob der Zeitpunkt der Verteidigung der Doktorarbeit

nach dem jeweiligen Geburtstag stattfand oder nicht, es zählte einzig das Geburtsjahr. Insgesamt ist

bei lediglich 13 Promovenden, was ca. einem Prozent aller Promovenden entspricht, keine Angabe

zum Alter möglich. In den meisten dieser Fälle fehlt das Geburtsjahr. Gleichzeitig gibt es mehrere

Promovenden, die lediglich ein Geburtsjahr, in manchen Fällen auch den Monat, angeben. Bei die-

sen konnte demnach das Alter bestimmt werden. Bei der Berechnung des Durchschnittsalters wurde

der jeweilige Jahresdurchschnitt berechnet und die Summe dieser Durchschnitte innerhalb einer

Gruppe durch die Anzahl der Jahre, welche die jeweilige Periode umfasst, geteilt. Jahre, zu denen es

keine Doktorarbeiten gab, wurden nicht mitgezählt. Dies heisst auch, dass die Zahl der Dissertatio-

nen pro Jahr nicht gewichtet wird, sondern alle Jahre innerhalb der entsprechenden Periode gleich

gezählt werden. Die extremen Werte einzelner Jahre beruhen darauf, dass hier meist nur eine resp.

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Masterarbeit Promovenden der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin 1837–1913FS 2011 31. Juli 2011Prof. Dr. Joachim Eibach Daniel Hardegger

ein paar wenige Dissertationen verfügbar waren. Insgesamt fallen diese jedoch aufgrund der gros-

sen Zahl an Promovenden nicht ins Gewicht.

Insgesamt zeigt sich, dass der Altersdurchschnitt über die Jahre kontinuierlich ansteigt, aber

noch weit unter dem heutigen Durchschnitt in Deutschland von 32,5 Jahren bleibt.113 So beträgt er

in der ersten Periode von 1837 bis 1870 24,5 und in der folgenden Periode bis 1899 24,6 Jahre. In

der Periode von 1900 bis 1913 steigt der Altersdurchschnitt auf 26,5 Jahre. Bei genauerer

Betrachtung zeigt sich jedoch, dass ab 1890 der Durchschnittswert nicht unter 25 Jahre fällt und

damit höher ist als der Durchschnitt der entsprechenden Periode. Damit verdeckt der

vergleichsweise geringe Anstieg zwischen der ersten und zweiten Periode die Tatsache, dass die

Entwicklung zu einem höheren Durchschnittsalter nicht erst nach 1900 einsetzte, sondern

mindestens bereits zehn Jahre zuvor begann. Ein Vergleich des Altersdurchschnitts nach geogra-

fischer Herkunft zeigt des Weiteren, dass der Altersdurchschnitt in den preussischen Provinzen und

den restlichen deutschen Staaten in etwa dem Altersdurchschnitt der jeweiligen Periode entspricht.

Andererseits liegt der Altersdurchschnitt der ausländischen Promovenden stets höher als der

Durchschnitt, wenngleich die Werte sich angleichen. Beträgt der Unterschied in der ersten Periode

noch fast fünf Jahre, sind es in der letzten Periode noch deren zwei. Da es sich um Länder mit sehr

unterschiedlichen Bedingungen bezüglich des Bildungssystem handelt, sind auch die Gründe für

den Altersunterschied sehr unterschiedlich und können hier für jedes Land ausgeführt werden. Ein

Beispiel für den Systemunterschied sind die USA. Während es möglich war, im Deutschen Reich

das Studium inklusive Staatsexamen und Doktorgrad leicht innerhalb von drei Jahren zu absolvie-

ren, dauerte es in den USA mit Bachelor- und Mastersystem sowie der anschliessenden

Dissertation wesentlich länger.114 Das Durchschnittsalter der Studenten an der Philosophisch-

historischen Fakultät im Universitätsjahr 1911/1912 lag zwischen 21 und 23 Jahren, die meisten

Studenten haben ihr Studium nach sechs bis acht Semestern abgeschlossen.115 Das Alter der

113 Vgl. Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Selektion nach Geschlecht im Bildungswesen, S. 15. URL: http://www.gew.de/Binaries/Binary24824/bildungsbiographie_juni_04.pdf (10. Mai 2011).

114 In den USA musste, wie im heutigen Studiensystem, zunächst ein Bachelor- und ein Master-Abschluss gemacht werden, um ein Promotionsstudium absolvieren zu können. Nicht selten wurden Frauen zwar zum Bachelor-, nicht aber zum Masterstudium zugelassen, sodass ihnen der Zugang zu weiteren akademischen Graden verwehrt blieb. Vgl. Mazón, Patricia: Die erste Generation von Studentinnen und die Zulassung der „besseren Elemente“1890–1914. In: Auga, Ulrike et al. (Hrsg.): Das Geschlecht der Wissenschaft. Zur Geschichte von Akademikerinnen im 19. und 20. Jahrhundert, Campus Verlag: Frankfurt am Main, 2009, S. 113–125, hier: S. 122.

115 Vgl. Statistik der Preussischen Landesuniversitäten mit Einschluss des Lyceum Hosianum zu Braunsberg, der bischöflichen Klerikerseminare und der Kaiser-Wilhelm-Akademie für das militärische Bildungswesen zu Berlin für das Studienjahr zu Ostern 1911/12, S. 76.

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Promovenden aus den USA beträgt im Durchschnitt über 32 Jahre und liegt damit bis zu vier Jahre

über dem Durchschnitt der ausländischen Promovenden. Ebenso über dem Wert der deutschen

Promovenden, aber noch unter dem der ausländischen, liegt derjenige der Promovenden aus

Russland mit 25,6 in der mittleren und 27,4 Jahren in der letzten Periode. Diese relativ nahen Werte

dürften nicht zuletzt auf die höheren deutschen Auslandsschulen in Russland zurückzuführen sein,

die nach dem deutschen Bildungssystem aufgebaut waren.116 Die Promovierten waren fast 20 Jahre

jünger als die Ordinarien der Friedrich-Wilhelms-Universität im jeweiligen Jahr ihrer Berufung. Im

Vergleich zu kleineren Universitäten wie Giessen und Köln war der Altersunterschied in Berlin

doppelt so gross. Dies ist jedoch aufgrund der Berufungspolitik Berlins nicht überraschend. Berlin

galt in Bezug auf die Professoren resp. die Berufungspolitik allgemein als „alte“ Universität, da sie

bevorzugt Professoren anwarb, die bereits an andere Universitäten berufen worden waren und dort

ihre Eignung unter Beweis gestellt hatten.117

4.3 Soziale Herkunft

4.3.1 Einteilung und Klassifizierung

In den drei Untersuchungszeiträumen variiert die Zahl der Berufsangaben stark. Während bis 1871

exakt 50 % der Promovenden den Beruf ihres Vaters nicht angeben, sind es zwischen 1871 und

1899 mehr als 90 %. Zwischen 1900 und 1913, also nach der Umstellung der Lebensläufe von La-

tein auf Deutsch, sind es lediglich noch ca. 14%. Insgesamt machen 396 Promovierte resp. 30,51 %

der Gesamtzahl keine Angabe zu ihrer sozialen Herkunft.118 Diese relativ wie absolut grosse Zahl

muss bei den folgenden Ausführungen, insbesondere bei der ersten und zweiten Periode, berück-

sichtigt werden. Diese Leerstelle müsste mit einer Analyse der jeweiligen Matrikel, sofern die be-

treffenden Promovierten in Berlin auch immatrikuliert waren, sowie einer genealogischen Untersu-

chung aufgeklärt werden, was jedoch den Rahmen dieser Arbeit gesprengt hätte. Ein Zusammen-

hang zwischen der Sprache, in der der Lebenslauf verfasst werden musste, und des Berufs des Va-

ters ist zwar nicht zwingend, aber sehr wahrscheinlich, da bei keiner anderen Angabe der Wert so

116 Zur Rolle der deutschen Auslandsschulen in Bezug auf die ausländischen Doktoranden siehe das Kapitel zur geografischen Herkunft (4.4).

117 Vgl. Baumgarten, Marita: Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert, S. 124.118 In diese Kategorie fallen auch alle Angaben, die nicht zugeordnet werden konnten. Insgesamt machen diese aber

nur 3,7 % aller untersuchten Lebensläufe aus.

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stark sinkt und wieder steigt. Da es für viele der in dieser Zeit neu entstehenden Berufe und Berufs-

bezeichnungen keine entsprechende lateinische Bezeichnung gab, ist davon auszugehen, dass die

Promovenden diese Angabe lieber weggelassen haben als nur eine Umschreibung des Berufes zu

geben und gleichzeitig Gefahr zu laufen, dass diese Fehler enthält.119

Die Einteilung der Berufsangaben der Väter der Promovierten in die einzelnen Klassen und

Gruppen erfolgte in erster Linie gemäss der Aufteilung in die verschiedenen sozialen Klassen, wel-

che Marita Baumgarten in ihrer Dissertation „Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert“

vorgenommen hat.120 Diese entspricht jedoch nicht den damaligen statistischen Aufteilungskriterien,

wie sie Detlef Müller in seiner Untersuchung über die Sozialstruktur und das Schulsystem verwen-

det.121 Zusätzlich wurden von Müller „wegen der ungenauen Abgrenzung und Bestimmung einzel-

ner Berufszweige (Wirtschaft, Industrie)“122 Zwischengruppen eingeführt. Unter Berücksichtigung

dieser Einteilungen sowie aufgrund der teilweise nur spärlichen Informationen bezüglich der Be-

rufsangaben in den Lebensläufen wurden an der Kategorisierung von Baumgarten einige Anpassun-

gen vorgenommen. So wurde die Einteilung der Klassen in Adel, obere Mittelschicht, untere Mittel-

schicht und Unterschicht übernommen, jedoch werden unter Adel auch nicht adelige Grund- wie

Gutsbesitzer sowie Privatgelehrte zusammengefasst. Neben der Schwierigkeit, über den Nachna-

men sowie Beruf zu eruieren, ob die betreffende Familie zum Zeitpunkt der Dissertation über einen

Adelstitel verfügte, folgte diese Einteilung den Veränderungen der Grundbesitzverhältnisse im 19.

Jahrhundert, denn die Zahl der adeligen Grundbesitzer ging, numerisch betrachtet, stetig zurück und

betrug z. B. in den ostelbischen Gebieten ab 1885 nur noch 33 % aller Grossbetriebe.123

In der Klasse des oberen Mittelstandes wurde die Unterteilung in beamtetes und freiberufli-

ches Bildungsbürgertum sowie Besitzbürgertum beibehalten. Die Unterscheidung in akademische

Lehrer und Professoren wurde jedoch aufgehoben und diese beiden Gruppen zusammengefasst.

Stand im Lebenslauf nur der Professorentitel, wurde versucht zu eruieren, ob der Vater eine Anstel-

119 Eines der wenigen Nachschlagewerke für Berufsbezeichnungen, das u. a. in Teilen auch Neulatein umfasst, ist das in dieser Arbeit verwendete „Alphabetische Verzeichnis der Berufs- und Standesbezeichnungen im ausgehenden Mittelalter bis zur neueren Zeit“ von Albert Haemmerle aus dem Jahr 1933. Vgl. Haemmerle, Albert: Alphabetisches Verzeichnis der Berufs- und Standesbezeichnungen im ausgehenden Mittelalter bis zur neueren Zeit, [k. V.]: [k. O.], 1933.

120 Vgl. Baumgarten, Marita: Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert.121 Vgl. Müller, Detlef K.: Sozialstruktur und Schulsystem. Aspekte zum Strukturwandel des Schulwesens im

19. Jahrhundert, Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen, 1977, S. 546.122 Ebd., S. 521.123 Vgl. Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum

Beginn des Ersten Weltkrieges 1849–1914, S. 811–812.

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lung einer höheren Lehranstalt hatte. Konnte dies nicht bestätigt werden, wurde er dem freiberufli-

chen Bildungsbürgertum zugesprochen, im Speziellen der nun erweiterten Gruppe der Architekten,

Natur- und weiterer Wissenschaftler. Nicht mit einbezogen wurden technische Berufsangaben wie

Ingenieur oder Geometer, solange kein akademischer Grad mit angegeben war. Diese wurden der

Gruppe der Angestellten der unteren Mittelschicht zugeordnet. Zusätzlich wurde die Gruppe der

Gymnasiallehrer, welche auch andere höhere Lehrer und Oberlehrer umfasst, geschaffen. Lehrer er-

fuhren generell eine Aufwertung ihrer sozialen Stellung, die Unterschiede unter den verschiedenen

Lehrerklassen und Schulen blieben jedoch gross. Gymnasiallehrer sowie Oberlehrer hatten ein weit

höheres Einkommen und Prestige in der Gesellschaft als andere Lehrer und wurden 1907 den Rich-

tern und höheren Verwaltungsbeamten gleichgesetzt.124

Daneben wurden die Gruppen der Bahn-, Bau-, Forst- und Postbeamten sowohl im mittleren

wie unteren Mittelstand unter der Gruppe der anderen Beamten zusammengefasst. Abgesehen da-

von, dass es bis 1899 keinerlei Angaben zu diesen Gruppen gibt, von 1900 bis 1913 lediglich im

oberen Mittelstand fünf Forst- und zwei Baumbeamte erwähnt werden und diese insgesamt ledig-

lich 12 % dieser neuen Gruppe ausmachen, entspricht dies mehr der Einteilung von Müller, welche

die Beamten nach ihrer Stellung im Beamtenapparat zuordnet.125

Da in dem Untersuchungszeitraum auch der Ausbau der Wirtschaft und Industrie im Rahmen

des Industrialisierung sowie der weiteren Verschriftlichung wie Verrechtlichung des Handels sowie

des öffentlichen Lebens fällt, erweist sich die Zuordnung der Angestellten im System von Baumgar-

ten als schwierig. Daher wurde die Gruppe der Dienstleistenden in „Angestellte“ umbenannt, womit

aber das Problem einer sich bildenden „Zwischenklasse“ zwischen der oberen und unteren Mittel-

schicht nur umgangen, nicht gelöst wird.126 Zwar waren die Angestellten Arbeitnehmer wie die Ar-

beiterklasse, unterschieden sich von dieser jedoch in der Art der Arbeit, ihrem Habitus, Kleidung,

Verdienst wie auch in ihrem Selbstverständnis. Gleichzeitig waren sie nicht Teil des oberen Bürger-

tums, der Akademiker, Unternehmer und Selbstständigen, denn sie blieben Untergebene wie dies

auch Arbeiter waren.127 Da diese Gruppe statistisch nicht klar erfasst wurde und auch von den Be-

rufsbezeichnungen her nicht immer klar einzuordnen ist, ergeben sich bei der Einteilung einige

124 Vgl. Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849–1914, S.1207–1208.

125 Vgl. Müller, Detlef K.: Sozialstruktur und Schulsystem, S. 546.126 Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat ,S. 374.127 Vgl. ebd., S. 378.

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Schwierigkeiten. In die Gruppe der Angestellten fallen wie bereits erwähnt sämtliche technischen

Berufe, die eine höhere Ausbildung erfordern sowie, als Grenzgruppe, sämtliche „Meister“ und Ver-

waltungsangestellte ohne leitende Funktion. Problematisch ist die Gruppe der Kaufmänner, da in

den meisten Fällen ausser dieser Bezeichnung keine Angabe erfolgte. Es kann sich also ebenso um

einen selbstständigen Kaufmann wie einen Angestellten im wachsenden Handels- und Dienstleis-

tungssektor handeln.128 Da ohne weitere Informationen keine Aufteilung der Kaufmänner in die bei-

den Gruppen möglich war, wurden sie alle, ausser in den Fällen, in denen klar ist, dass es sich um

Angestellte handelt, den Grosshändlern zugeordnet.

Die Übernahme dieser Kategorisierung mit den genannten Anpassungen macht es zwar einer-

seits möglich, die Resultate mit denen von Baumgarten zu vergleichen. Andererseits erschwert dies

den Abgleich mit den Ergebnissen der offiziellen Statistik. So unterscheidet die „Statistik der preus-

sischen Landesuniversitäten mit Einschluss des Lyceum Hosnianum zu Braunsberg, der bischöfli-

chen Klerikerseminare und der Kaiser Wilhelms-Akademie für militärische Bildungswesen zu Ber-

lin“ ab 1905 insgesamt 32 verschiedene Berufsgruppen, wobei auch verschiedene Untergruppen ge-

bildet werden. Bei diesen Untergruppen wird zusätzlich unterschieden zwischen den Selbstständi-

gen und den angestellt Tätigen, eine Unterscheidung, die bei dieser Untersuchung nicht gemacht

wird, da diese Information in den Lebensläufen meist nicht gegeben wird..129 Baumgarten unter-

scheidet nicht zwischen Selbstständigen und den angestellt Tätigen, einzig das „freiberufliche Bür-

gertum“ kann vom Titel her jener Kategorie zugeordnet werden. Da die Lebensläufe in kritischen

Fällen keine weiteren Informationen enthalten, kann auch in dieser Untersuchung keine detaillierte-

re Unterteilung vorgenommen werden. Ferner wird anders als bei Baumgarten in der offiziellen Sta-

tistik nicht zwischen den einzelnen Ständen unterschieden. Gerade die Frage nach dem Stand eines

Promovierten, und damit nach dem Stellenwert, den eine Promotion innerhalb eines Standes hat, ist

aber eine der zentralen Fragen dieser Untersuchung und muss daher berücksichtigt werden.

Eine letzte Einschränkung ist bezüglich der drei Perioden sowie relativen Werte in Baumgar-

tens Untersuchung zu machen. Da Baumgarten ihre Untersuchung in drei Zeiträume unterteilt, die

nicht denen dieser Untersuchung entsprechen, müssen auch hier Abstriche beim Vergleich der Re-

sultate gemacht werden. Des Weiteren gibt Baumgarten in ihrer Untersuchung die relativen Werte

128 Vgl. Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat , S. 374.129 Vgl. Statistik der Preussischen Landesuniversitäten mit Einschluss des Lyceum Hosianum zu Braunsberg, der

bischöflichen Klerikerseminare und der Kaiser-Wilhelm-Akademie für das militärische Bildungswesen zu Berlin für das Studienjahr zu Ostern 1905/06, S. 154.

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nur für die Gesamtsumme der jeweiligen Kategorie an, nicht aber für die jeweiligen Berufsgruppen,

nivellierte Angaben fehlen vollständig. Wo notwendig, wurden diese mithilfe der Angaben von

Baumgarten nachträglich bestimmt. Insgesamt erfolgen die nachstehenden Beschreibungen der Re-

sultate sowie ihr Vergleich mit den jeweiligen Studien und Statistiken einerseits unter Beachtung

der grundlegenden Unterschiede der Kategorien, andererseits unter Betonung der Veränderungen

der Kategorien bei der Übernahme des Systems von Baumgarten. Zusätzlich muss bei den folgen-

den Ausführungen stets der absolut wie relativ grosse Anteil an Promovierten in der ersten und

zweiten Periode, die keine Angabe zu ihrer sozialen Herkunft machen, bewusst sein.

4.3.2 Der Adel

Dem Adel können insgesamt 41 Promovierte resp. 3,16 % zugeordnet werden. Es handelt sich also

um eine absolut wie relativ kleine Gruppe. Abgesehen von der Unterschicht, die im ganzen Untersu-

chungszeitraum lediglich einen Promovierten stellt und daher hier nicht aufgeführt wird, ist der

Adel in allen drei Perioden stets die kleinste Gruppe. In der ersten Periode von 1837 bis 1870 wur-

den fünf, in der darauffolgenden zwei Mitglieder gezählt. Dabei machen diese 4,1 % resp. 0,89 %

aller Promovierten der betreffenden Periode aus. In der letzten Periode von 1900 bis 1913 sind es

insgesamt 34 Mitglieder dieser Gruppe, d. h. 3,58 % der Gesamtzahl an Promovierten dieser Peri-

ode. Vergleicht man die nivellierten Werte, zeigt sich, dass die letzte Periode auch in diesem Fall

mit 48,97 % die grösste Zahl an Mitgliedern diese Gruppe aufweist, währen die beiden vorherigen

Perioden mit 29,88% resp. 22,04% weit darunter liegen, wobei noch einmal betont werden muss,

dass die ersten Perioden die höchste Zahl an Promovierten haben, die keine Angaben zu ihrer sozia-

len Herkunft machen.

Die Verteilung der Gruppe ist dabei höchst unterschiedlich; auch führt nicht jedes ihrer Mit-

glieder einen Adelstitel. Es handelt sich dementsprechend um eine sehr heterogene Gruppe. Allen

gemein ist jedoch, dass sie aufgrund von Vermögen oder Grundbesitz finanziell unabhängig sind.

Von den 41 Promovierten kommen 69,05 % aus der Gruppe der Gutsbesitzer, die damit den mit Ab-

stand grössten Anteil stellen. Bei den Offizieren wurden lediglich zwei, jeweils einer in der ersten

und einer in der letzten Periode, gezählt. Diese Gruppe macht denn auch nur 2,86 % der Gesamt-

gruppe aus. Mit 11 Promovierten oder 26,19 % der Gesamtzahl liegt die Gruppe der Privatgelehr-

ten, die als einzige in allen drei Perioden mindestens einen Promovierten stellt, in der Mitte. Von

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diesen elf geben jedoch nur drei an, einen Adelstitel zu führen, wobei alle drei vor 1900 promovier-

ten. Die Väter der acht Promovierten der letzten Periode sind Privatgelehrte, Privatiers, Privatmän-

ner oder Rentiers. Die beiden Promovierten dieser Periode, die einen Adelstitel angeben, fallen in

die Gruppen der Grundbesitzer und der Offiziere. Die Gruppe der Offiziere ist die einzige Gruppe,

deren Mitglieder explizit ihren Adelstitel nachweisen. Bei der grössten Gruppe, den Gutsbesitzern,

kommt hinzu, dass hier die von Baumgarten noch getrennten Grundbesitzer der oberen Mittel-

schicht enthalten sind. So geben von den insgesamt 29 Mitgliedern dieser Gruppe nur drei, davon

zwei in der Periode von 1837 bis 1870, an, dem Adelsstand anzugehören. Ein Vergleich mit der offi-

ziellen Statistik ist nicht möglich, da die Kategorisierung in diesem Fall zu unterschiedlich ist. Auch

ein Vergleich mit den Resultaten von Baumgarten ist schwierig, insbesondere da es sich in beiden

Fällen um eine vergleichsweise kleine Gruppe handelt. Sie zählt in sämtlichen von ihr untersuchten

Universitäten insgesamt sieben Professoren oder 1,8 %, die dem Adel zuzuordnen sind.130 Damit

liegt ihr Wert unter dem dieser Analyse, obwohl „ein nicht unbeträchtlicher Anteil an Geisteswis-

senschaftlern zu Lebzeiten [aufgrund ihrer wissenschaftlichen Verdienste] in den Adelsstand erho-

ben“ wurde, wobei es starke regionale Unterschiede gab. Während Bayern vergleichsweise viele

Geisteswissenschaftler in den Adelsstand erhob, war man in Preussen äusserst zurückhaltend.131

Aufgrund der geringen Zahl an Fällen sowie der Tatsache, dass in dieser Analyse die Guts- und

Grundbesitzer zusammengefasst wurden, darf diesem Unterschied jedoch nicht zu viel Bedeutung

zugemessen werden.

4.3.3 Die obere Mittelschicht

Mit insgesamt 605 Promovierten resp. 46,61 % stellt die obere Mittelschicht die grösste Gruppe.

Wie beim Adel verteilt sich ihre Zahl absolut wie relativ höchst unterschiedlich. In der ersten Peri-

ode bis 1870 sind es lediglich deren 40, in der folgenden 15. Diese beiden Perioden machen zusam-

men auch nur 9,01 % der Gesamtzahl aus. Rechnet man in diesen beiden Perioden die grosse Zahl

an Promovierten heraus, die keine Angabe über ihre soziale Herkunft machen, macht die obere Mit-

telschicht 65,57 % resp. 68,18 % aller Promovierten aus und ist damit die mit Abstand grösste

Gruppe in der jeweiligen Periode. Aufgrund der grossen Zahl an Promovierten, die bei dieser Art

der Analyse herausfallen, muss der Anstieg jedoch mit Vorsicht betrachtet werden. Denn in der letz-

130 Vgl. Baumgarten, Marita: Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert, S. 287.131 Vgl. ebd., S. 133.

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ten Periode, die mit 550 Promovierten resp. 90,91% die grösste Zahl an Promovierten der oberen

Mittelschicht aufweist, sinkt der prozentuale Anteil auf 57,83 %. Der prozentuale Anstieg und die

folgende Abnahme muss nicht zwingend in einer gesellschaftlichen Entwicklung begründet, son-

dern kann der Tatsache geschuldet sein, dass in den beiden ersten Perioden viele Angaben zur sozia-

len Herkunft fehlen. Eine weitere Möglichkeit, diese Frage zu beantworten, ist die Betrachtung der

nivellierten Werte, da so die Promovierten, die keine Angaben machen, einen weit geringeren Ein-

fluss auf die relativen Werte haben. Es zeigt sich, dass die letzte Periode zwar mit 65,79 % weiter-

hin die grösste Gruppe ausmacht, dennoch ist deren Anteil an der Gesamtsumme der Promovierten

der oberen Mittelschicht um fast ein Drittel kleiner. Die erste Periode hat hierbei hingegen einen

Anteil von 20,22 %, die Periode von 1871 bis 1899 von 13,99 %. Beide Perioden haben dement-

sprechend einen weit höheren Anteil, in der ersten ist er dreimal, in der zweiten sechsmal grösser,

was darauf hindeutet, dass die grossen Unterschiede der ersten und zweiten Periode gegenüber der

letzten der grossen Zahl an fehlenden Angaben geschuldet ist. Eine weitere Möglichkeit ist ein Ver-

gleich mit den Professoren. So steigt bei Baumgarten der Anteil an Geisteswissenschaftlern der obe-

ren Mittelschicht über die drei von ihr festgelegten Perioden an allen Universitäten von 70 % ab

1802 auf 73,9 % bis 1914.132 Auch wenn keine absolute Antwort möglich ist, lässt sich sagen, dass

zumindest tendenziell die obere Mittelschicht in den drei Perioden ihren Anteil an der Gesamtzahl

an Promovierten vergrössert.

Die Gruppe der oberen Mittelschicht umfasst drei Untergruppen: beamtetes Bildungsbürger-

tum, freiberufliches Bildungsbürgertum und Besitzbürgertum, die insgesamt 22 verschiedene Kate-

gorien bilden. Bei Baumgarten ist das beamtete Bildungsbürgertum in allen drei Perioden die gröss-

te Untergruppe mit durchschnittlich 47,6 %, wenngleich der Anteil von 53,6 % in der ersten auf

42,6 % in der letzten Periode sinkt. Das Besitzbürgertum, das seinen Anteil von 8,2 % auf 20,1 %

mehr als verdoppelt, liegt mit einem Durchschnittswert von 15,3 % in der Mitte. An letzter Stelle

liegt das freiberufliche Bürgertum mit 9,7 %, wobei auch dieses seinen relativen Anteil von 8,2 %

auf 11,2 % steigert.133 Ein Vergleich mit den Promovierten zeigt, dass hier ähnliche Tendenzen und

Durchschnittswerte auszumachen sind. Insgesamt beträgt der prozentuale Anteil des Bildungsbür-

gertums 49,09 %, der des Besitzbürgertums 39,67 % und der des freiberuflichen Bildungsbürger-

tums noch 11,24 %. Im Vergleich zur Studie von Baumgarten sind die Bewegungen jedoch weit

132 Vgl. Baumgarten, Marita: Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert, S. 287–288.133 Vgl. ebd.

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stärker. So sinkt der Anteil an Promovierten des beamteten Bildungsbürgertums von 70 % auf noch

47,72 in der letzten Periode, wenngleich diese Untergruppe in allen drei Perioden wie auch im

Durchschnitt die grösste bleibt, wie dies auch bei Baumgarten der Fall ist, wobei der prozentuale

Anteil von einem weit höheren Wert auf den gleichen wie bei Baumgarten fällt. Beim freiberufli-

chen Bürgertum hingegen steigt der Wert von 12,50 % auf 33,33 % in der mittleren Periode, sinkt

dann aber in der folgenden Periode auf 10,55 % ab. Insgesamt verringert sich der Anteil des freibe-

ruflichen Bildungsbürgertums, im Gegensatz zur Studie von Baumgarten, an der Gesamtsumme der

oberen Mittelschicht.134 Die umgekehrte Entwicklung zeigt sich beim Besitzbürgertum. Hier sinkt

der prozentuale Anteil von 17,50 % in der ersten Periode auf 6,67 % in der mittleren Periode und

steigt in der letzten Periode umso stärker auf 42,18 % an. Davon ausgehend, dass die starken

Schwankungen nicht zuletzt den fehlenden Angaben in der mittleren Periode geschuldet sind, zeigt

sich, dass wie bei Baumgarten die Zahl der Promovierten des beamteten Bildungsbürgertums vor al-

lem zugunsten der Promovierten des Besitzbürgertums zurückgeht.

Den grössten Anteil am Wachstum des Besitzbürgertums hat, bei Professoren wie Promovier-

ten, die Kategorie der Grosshändler.135 In der ersten Periode sind es noch vier, in der letzten bereits

172 Promovierte, die dieser Kategorie zugeordnet werden. Sie ist mit insgesamt 29,26 % die grösste

Kategorie, dies im Gegensatz zum Resultat von Baumgartens Analyse, in der die „Theologen- und

Handwerkersöhne“ eine noch grössere Gruppe bilden.136 Ein Vergleich mit der offiziellen Statistik

zeigt, dass auch ihr Anteil an den Studenten ansteigt. Im Universitätsjahr 1886/87 sind es 2 495 von

10 108, 25 Jahre später sind es 5 559 von 19 062.137 Der relative Anteil steigt somit von 25 % aller

Studenten, die eine Angabe zu ihrer sozialen Herkunft machen, auf über 30 %. Auch bei Baumgar-

ten steigt insbesondere die Zahl der Grosshändler stark an, von 5 auf 21, sie sind in allen drei Peri-

oden die grösste Kategorie innerhalb des Besitzbürgertums.138 Dieses starke Wachstum ist u. a. der

Art der Erhebung geschuldet, da aufgrund der spärlichen Informationen in den Lebensläufen jede

Form der kaufmännischen Tätigkeit in dieser Kategorie zusammengefasst wird, auch wenn es sich

um einen kaufmännischen Angestellten handelt. Dennoch ist festzuhalten, dass diese Kategorie so-

134 Vgl. Baumgarten, Marita: Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert, S. 112.135 Vgl. ebd, S. 290.136 Vgl. ebd, S. 112137 Vgl. Statistik der Preussischen Landesuniversitäten mit Einschluss des Lyceum Hosianum zu Braunsberg, der

bischöflichen Klerikerseminare und der Kaiser-Wilhelm-Akademie für das militärische Bildungswesen zu Berlin für das Studienjahr zu Ostern 1911/12, S. 138.

138 Vgl. Baumgarten, Marita: Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert, S. 288.

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wohl bei den Studenten, Promovierten wie Professoren stark wächst. Es gibt jedoch auch die gegen-

sätzliche Entwicklung. So steigt zwar der Anteil an Gymnasiallehrern von 4 auf 36. Dies bedeutet

jedoch hinsichtlich der Gesamtsumme gleichzeitig eine relative Abnahme von 10 % auf noch

5,82 %, was in etwa dem Wert der Kategorie der akademischen Lehrer entspricht, der von 7,50 %

auf 5,65 % fällt. Dennoch liegen beide Kategorien über dem Wert der Studenten, bei denen der pro-

zentuale Anteil an Studenten mit Vätern, die als „Lehrer mit akademischer Bildung“ tätig sind, zwi-

schen 3,34 % und 4,76 % variiert.139

Die zweitgrösste Kategorie ist die der Staatsbeamten mit insgesamt 72 Promovierten. Diese

machen insgesamt 11,90 % der oberen Mittelschicht aus, wobei der Anteil von 17,50 % in der ers-

ten Periode auf 10,91 % in der letzten sinkt. In der mittleren Periode steigt der Anteil jedoch auf

33,33 %, was nicht zuletzt den vielen fehlenden Angaben geschuldet sein dürfte. Auf der anderen

Seite bleibt der Anteil der Justizbeamten relativ stabil zwischen 5,00 % und 6,67 %, liegt damit je-

doch unter dem Wert der Professoren.140 Allgemein erschweren die vielen fehlenden Angaben der

Periode von 1871 bis 1899 die Analyse, da in einigen Kategorien gar keine Promovierten vorhanden

sind oder aber einige wenige das Resultat übermässig stark beeinflussen. So gibt es in der Kategorie

der Pfarrer in der ersten Periode deren sechs und in der letzten 42. Insgesamt macht diese Kategorie

15 % resp. 7,64 % der Gesamtzahl aus. In der mittleren Periode gibt es hingegen gar keinen Vertre-

ter. Zwar nimmt die Zahl der Professoren141 und Studierenden142 aus Pfarrfamilien ebenfalls ab, den-

noch ist es bei einer insgesamt steigenden Zahl an Promovenden unwahrscheinlich, dass es in der

Mitte des untersuchten Zeitraums über fast 30 Jahre hinweg keinen einzigen Promovierten aus der

genannten Kategorie gibt. Das Resultat Baumgartens, dass der Rückgang von Geisteswissenschaft-

lern „durch eine stärkere Beteiligung der Söhne akademisch gebildeter Lehrer“ kompensiert wird,

kann aufgrund der genannten Entwicklung bei den Gymnasiallehrern sowie den akademischen Leh-

rern nicht bestätigt werden. Insgesamt bestätigt sich jedoch, dass „die Hochschullehrerlaufbahn […]

die Domäne des gehobenen Bürgertums“ war, da auch die Promovierten, die schliesslich den Nach-

wuchs der Ordinarien bilden, mit grosser Mehrheit aus dieser Gruppe stammen. Auch die Tatsache,

139 Vgl. Statistik der Preussischen Landesuniversitäten mit Einschluss des Lyceum Hosianum zu Braunsberg, der bischöflichen Klerikerseminare und der Kaiser-Wilhelm-Akademie für das militärische Bildungswesen zu Berlin für das Studienjahr zu Ostern 1911/12, S. 137.

140 Vgl. Baumgarten, Marita: Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert, S. 113.141 Vgl. ebd., S. 288.142 Vgl. Statistik der Preussischen Landesuniversitäten mit Einschluss des Lyceum Hosianum zu Braunsberg, der

bischöflichen Klerikerseminare und der Kaiser-Wilhelm-Akademie für das militärische Bildungswesen zu Berlin für das Studienjahr zu Ostern 1911/12, S. 137.

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dass das beamtete Bildungsbürgertum das „wichtigste Rekrutierungsfeld“ war, obwohl es selbst nur

2 % der Gesamtbevölkerung ausmacht, lässt sich bestätigen. Andererseits muss der weiteren zentra-

len Aussage Baumgartens, dass „der Anteil der oberen Mittelschicht […] unter den Geisteswissen-

schaftlern kontinuierlich“ ansteigt, widersprochen werden.143 Denn im Gegensatz zu den Professo-

ren nimmt ihr Anteil an der Gesamtsumme nicht zu, sondern ab. Es wäre zu prüfen, ob diese Ent-

wicklung spezifisch für Berlin ist oder sich an weiteren Universitäten wiederfindet, insbesondere an

denen, die Baumgarten untersucht hat.

4.3.4 Die untere Mittelschicht

Die untere Mittelschicht wird wie die obere in zwei Untergruppen eingeteilt: den alten und den neu-

en Mittelstand. Diese wiederum teilen sich in insgesamt sieben Kategorien, drei davon im alten,

vier im neuen Mittelstand. Entscheidend für die Differenzen zwischen dieser und Baumgartens

Analyse könnte die unterschiedliche zeitliche Aufteilung sein. Während Baumgarten die letzte Peri-

ode von 1880 bis 1914 ansetzt, beginnt sie in dieser Untersuchung 20 Jahre später, sodass dem neu-

en Mittelstand, insbesondere den Angestellten, eine grössere Bedeutung zukommen kann. So spielt

nach Baumgarten der neue Mittelstand bei den Ordinarien auch „kaum eine Rolle“144. Insgesamt

rechnet sie 17,9 % aller Professoren dem alten und 6,6 % dem neuen Mittelstand zu, wobei der An-

teil des alten Mittelstands ab-, der des neuen zunimmt. Dennoch ist der Anteil des alten Mittelstands

fast dreimal so gross wie der des neuen. Insgesamt macht die untere Mittelschicht in der ersten Peri-

ode 28,2 %, in der letzten 24,5 % aller Professoren aus. Der Anteil der unteren Mittelschicht nimmt

bei Baumgartens Studie dementsprechend sogar ab.145 Darin liegt ein erster grosser Unterschied,

denn die Resultate dieser Analyse zeigen, dass der Anteil der unteren Mittelschicht an der Gesamt-

summe aller Promovierten ansteigt. In der ersten Periode beträgt er 8,20 %, sinkt in der mittleren

auf 1,78 % und steigt in der letzten Periode auf 23,66 %. Ohne die Promovierten, die keine Anga-

ben zu ihrer sozialen Herkunft machen, beträgt der Anteil der unteren Mittelschicht in der ersten Pe-

riode 16,39 % resp. 18,18 % in der mittleren. Wie bei der oberen Mittelschicht ist die Analyse mit

dem Problem konfrontiert, dass durch die grosse Zahl an fehlenden Angaben zur sozialen Herkunft

in der mittleren Periode sich eine kontinuierliche Entwicklung kaum nachweisen lässt. Da in der

mittleren Periode nur vier Promovierte eindeutig dieser Gruppe zugeordnet werden können, wird 143 Vgl. Baumgarten, Marita: Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert, S. 110–113.144 Vgl. ebd., S. 113.145 Vgl. ebd., S. 288.

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diese in den folgenden Ausführungen nach Möglichkeit ausgeklammert. Zusammengefasst kann

dennoch gesagt werden, dass der Anteil an der Gesamtzahl der Promovierten der unteren Mittel-

schicht nicht nur insgesamt, sondern über alle drei Perioden hinweg ansteigt. Von diesem Anstieg

„profitieren“ die beiden Untergruppen jedoch sehr unterschiedlich. Während der Anteil des alten

Mittelstands bei 23,01 % liegt, macht der neue Mittelstand mit 76,99 % mehr als drei Viertel aller

Promovierten diese Gruppe aus, wobei letztere Untergruppe ihren Anteil von 70,00 % auf 77,78 %

steigert. Wie bei den Professoren zieht sich der alte Mittelstand „im Laufe des Jahrhunderts mehr

und mehr“ auch von der geisteswissenschaftlichen Promotion zurück.146 Im Unterschied zu den Pro-

fessoren ist bei den Promovierten über den gesamten untersuchten Zeitraum hinweg der neue Mit-

telstand stark. Da Baumgarten mehrere Universitäten untersucht, ist der doch markante Unterschied

bei der Friedrich-Wilhems-Universität zu suchen. Da insbesondere die katholischen Universitäten

wie München ihren verhältnismässig grossen Anteil an Ordinarien aus dem alten Mittelstand trotz

Änderungen in der Berufungspraxis sowie der „Öffnung zur leistungsbezogener Auslese und der

Rekrutierung auswärtiger, meist protestantischer Ordinarien“ halten konnte, ist davon auszugehen,

dass die Friedrich-Wilhelms-Universität als protestantische Universität den kleineren und mittleren

Beamten gegenüber offener eingestellt war.147

Die grösste Kategorie sind die nicht akademischen Lehrer mit 70 Promovierten, dicht gefolgt

von den Dienstleistenden mit 60. Zusammen machen sie mit 54,39 % mehr als die Hälfte der unte-

ren Mittelschicht aus. Der grosse Anteil der nicht akademischen Lehrer deckt sich mit den offiziel-

len Zahlen, nach denen sie mit 2 740 Vertretern im Universitätsjahr 1911/1912 die drittgrösste

Gruppe stellen.148 Ein Abgleich mit den Dienstleistenden ist hingegen nicht möglich, da diese Kate-

gorie in der offiziellen Statistik auf zu viele andere verteilt wird, die sich insbesondere auch mit Ka-

tegorien der oberen Mittelschicht überschneiden, und die notwendigen Informationen aus den Le-

bensläufen wie der Statistik fehlen, um diese anzupassen. Die Beamten können ihren Anteil sowohl

an der Gesamtzahl wie über die Perioden hinweg vergrössern. Insbesondere die Post- und Bahnbe-

amten profitieren. Der Grund dürfte in diesem Fall nicht zuletzt in der technologischen Entwicklung

liegen. Auch bei Baumgarten sind Post- und Bahnbeamte der unteren Mittelschicht in der letzten

146 Vgl. Baumgarten, Marita: Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert, S. 112.147 Vgl. ebd., S. 113.148 Vgl. Statistik der Preussischen Landesuniversitäten mit Einschluss des Lyceum Hosianum zu Braunsberg, der

bischöflichen Klerikerseminare und der Kaiser-Wilhelm-Akademie für das militärische Bildungswesen zu Berlin für das Studienjahr zu Ostern 1911/12, S. 141.

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Periode stark vertreten.149 Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass die Professoren in Berlin bei

ihrer Ordination im Schnitt mindestens 20 Jahre älter waren als die Promovierten.150 Die soziale

Herkunft der Professoren wird dementsprechend von aktuellen technologischen Entwicklungen weit

weniger beeinflusst als die der Promovierten. Beim alten Mittelstand sind insbesondere die Bauern

mit 10,04 % und die Handwerker mit 10,88 % stark vertreten, wenngleich ihr Anteil, wie bei den

Professoren, abnimmt.151 Überraschenderweise sind die Handwerker mit 24 Promovierten in der

letzten Periode die grösste Gruppe innerhalb der alten Mittelstands. Insgesamt ist die Stärke der

Vertretung der Handwerker jedoch nur schwer zu beurteilen, einerseits aufgrund der Kategorisie-

rung, andererseits aufgrund der grossen Ausfallquote in der mittleren Periode. Insofern kann der Be-

obachtung von Baumgarten, dass die Zahl der Professoren mit Vätern aus Handwerksberufen sinkt,

im Falle der Promovierten weder bestätigt noch widerlegt werden.152

4.3.5 Die Unterschicht

Anders als die obere und untere Mittelschicht wird die Unterschicht, wie der Adel, in keine weitere

Untergruppen unterteilt. Ebenfalls wie der Adel umfasst sie nur drei Kategorien, nämlich Tagelöh-

ner, Arbeiter und Minderkaufmann. Insgesamt hat die Unterschicht lediglich einen Vertreter, wel-

cher der Kategorie der Arbeiter zugeordnet wird. Es handelt sich hierbei um James Douglas Drum-

mond aus Grossbritannien, der 1905 mit „Studien zur Kriegsgeschichte Englands im 12. Jahrhun-

dert“ promoviert wurde und dessen Vater Fabrikarbeiter war. Er erwähnt den einzigen Ordinarius an

den preussischen Universitäten, der ebenfalls dieser Gruppe zugeordnet werden kann, den Histori-

ker Dietrich Schäfer, in seinem Lebenslauf jedoch nicht, sodass davon ausgegangen werden kann,

dass diese beiden keinen Kontakt hatten. Insgesamt ist der Anteil der Unterschicht sowohl innerhalb

der letzten Periode mit 0,11 % als auch insgesamt mit 0,08 % niedriger als bei den Professoren, wo

der Anteil 1,1 % beträgt.153 Aufgrund des zwar ansteigenden, insgesamt aber geringen Anteils der

Nicht-Selbstständigen, zu denen Tagelöhner und Arbeiter gehören, an der Studentenzahl ist trotz der

fehlenden Angaben vor 1900 nicht davon auszugehen, dass diese das Resultat für diese Gruppe

149 Vgl. Baumgarten, Marita: Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert, S. 288.150 Vgl. ebd., S. 292.151 Vgl. ebd., S. 288.152 Vgl. ebd., S. 113.153 Vgl. ebd., S. 113.

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wesentlich beeinflusst haben.154 Hinzu kommt, dass die Kosten für ein Studium von der

Unterschicht in den meisten Fällen nicht zu finanzieren waren. Trotz der erheblichen Zahl neuer

Studenten nach der Reichsgründung kann denn auch die Zahl der Studenten aus der Unterschicht

insgesamt vernachlässigt werden. Wenn, dann erfolgte der Aufstieg meist nicht aus der

Unterschicht, sondern über jene der unteren Mittelschicht und damit erst in der zweiten

Generation.155

4.3.6 Unbekannt

Von den insgesamt 1 298 untersuchten Lebensläufen konnten 15 resp. 1,15 % aller Lebensläufe, die

eine Angabe zur sozialen Herkunft des Promovierten machen, keiner Gruppe zugeordnet werden. In

der ersten und zweiten Periode liegt der Grund dafür vor allem in der mehrdeutigen resp. unklaren

lateinischen Berufsbeschreibung. So konnten in der ersten Periode 4,92 % der Angaben keiner

Kategorie zugeordnet werden, in der folgenden sind es, trotz weiterhin lateinischer Lebensläufe,

lediglich noch 0,44 %. Es ist anzunehmen, dass diese starke Abnahme mit der gleichzeitigen

Zunahme von Lebensläufen, die keinerlei Angaben zur sozialen Herkunft enthalten, verbunden ist.

Diese Leerstelle liesse sich allenfalls über die betreffenden Matrikel in Berlin oder anderen

Universitäten füllen. In der letzten Periode kommt die Gruppe der Rentner hinzu, die nicht in die

vorhandenen Kategorien passen und aus diesem Grund unter „Unbekannt“ geführt sofern, keine

weiteren Informationen zur Berufstätigkeit des Vaters angegeben wurden.156 Von den insgesamt acht

Promovierten, deren Angaben nicht zugeordnet werden konnten, geben vier an, dass ihre Väter

Rentner seien, ohne weitere Informationen zu liefern. Da die Rentner nur 0,42 % aller Promovierten

in der letzten Periode ausmachen und damit einen geringeren Anteil als jede andere Kategorie an

der Gesamtzahl haben, ist es vertretbar, sie in der Analyse auszuklammern.

154 Vgl. Statistik der Preussischen Landesuniversitäten mit Einschluss des Lyceum Hosianum zu Braunsberg, der bischöflichen Klerikerseminare und der Kaiser-Wilhelm-Akademie für das militärische Bildungswesen zu Berlin für das Studienjahr zu Ostern 1911/12, S. 143.

155 Vgl. Blackbourn, David: History of Germany, 1870–1918. The Long Nineteeth Century, S. 276.156 Die offizielle Statistik führt die Rentner als eigene Gruppe auf. Jedoch nur, wenn es sich nicht um „pensionierte

Beamte und sonstige ehemalige Berufstätige“ handelt. Diese wurden entsprechend ihrer vormaligen Berufstätigkeit den jeweiligen Berufgruppen zugeordnet. Vgl. Blackbourn, David: History of Germany, 1870–1918. The Long Nineteeth Century, S. 141.

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4.4 Geografische Herkunft

4.4.1 Einteilung und Klassifizierung

Anders als bei den Angaben über die soziale Herkunft sind die geografischen in fast allen Fällen

vorhanden. Die Ausfallquote beträgt lediglich in der Periode von 1837 bis 1871 etwas mehr als 5 %,

in den beiden anderen ist sie mit knapp 2 % weit geringer. Für die Fälle, in denen keine klare

Zuordnung zu den einzelnen Gebieten möglich war, gibt es verschiedene Gründe. Zumeist wird

nicht ein Ort, sondern eine Region genannt, die sich aber über mehrere Gebiete erstreckt, sodass

keine klare Zuteilung möglich ist. In anderen Fällen wird zwar ein Ort angegeben, da es jedoch an

weiteren Angaben fehlt und mehrere Ortschaften mit dem gleichen Namen existieren, ist auch hier

keine Einteilung möglich. Die letzte und kleinste Gruppe der nicht zuordenbaren Angaben betrifft

die latinisierten Ortsangaben, insbesondere wenn gleichzeitig die Angabe der betreffenden Provinz

resp. Region fehlt.157 In allen drei Fällen wäre eine genealogische Nachforschung zur Klärung

notwendig, die jedoch im Rahmen dieser Arbeit aufgrund des begrenzten Zeitrahmens nicht mög-

lich war. Insgesamt konnte lediglich in 25 Fällen resp. 1,9 % aller untersuchten Dissertationen der

Herkunftsort des Promovierten nicht festgestellt werden, wobei der Anteil in der ersten Periode von

1837 bis 1871 mit 8,6 % am höchsten ist. Für die Einteilung selbst wurden neben aktuellem

Kartenmaterial historische Atlanten konsultiert, insbesondere die „Karte des Deutschen Reiches im

Massstab1: 500 000“ von Vogel aus dem Jahr 1907.158

Die deutschen Promovierten, einschliesslich der Promovierten vor 1871, wurden den jeweili-

gen Staaten des Deutschen Reiches nach der Gründung,159 die Promovierten aus Preussen ihrer

jeweiligen Provinz zugeordnet. Wie bei Baumgarten werden die Universitätsstädte Heidelberg,

Giessen, München, Göttingen und Kiel nebst Berlin einzeln aufgeführt. Generell ist Berlin ein

Sonderfall. Als „Kaiserstadt“, „Reichshauptstadt“ und in diesem Fall noch zusätzlich die Heimat-

stadt der untersuchten Universität hatte es einen speziellen Status und wird daher separat aufge-

157 Zur Übersetzung der lateinischen Ortsangaben wurde das Lexikon „Orbis Latinus“ konsultiert. Vgl. Graesse, Johann Georg Theodor: Orbis Latinus. Lexikon lateinischer geographischer Namen des Mittelalters und der Neuzeit, Klinkhardt & Biermann: Braunschweig, 1972.

158 Vogel, Carl (Hrsg.): Karte des Deutschen Reiches im Massstab 1:500 000, Perthes Verlag: Gotha, 1907.159 Das Grossherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach (amtliche Bezeichnung seit 1903: Grossherzogtum Sachsen), die

Herzogtümer Sachsen-Altenburg, Sachsen-Coburg und Gotha und Sachsen-Meiningen sowie die Fürstentümer Reuss ältere Linie, Reuss jüngere Linie, Schwarzburg-Rudolstadt und Schwarzburg-Sondershausen wurden aufgrund der regionalen Zersplitterung und für eine bessere Übersicht als Thüringische Staaten zusammengefasst.

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zählt.160 Aufgrund des starken Wachstums der Stadt und ihres über die damaligen Stadtgrenzen hin-

aus gehenden Einflusses wie auch der im Zuge dieser Entwicklung entstehenden Notwendigkeit

Berlins, mit den damals noch nicht zur Stadt gehörenden Vororten zusammenzuarbeiten,161 wurden

auch die erst im Zuge der Gründung von Gross-Berlin zur Stadt gehörenden Gebiete rund um Ber-

lin, wie Charlottenburg und Teltow, zu dieser hinzu gerechnet. Die Verschiebung der Einwohnerzah-

len vom Stadtzentrum an die Peripherie zeigt sich auch an der Einwohnerstatistik. Während 1871

noch 90 % der Einwohner des späteren Grossberlins auf Berlin selbst entfielen, waren es 1905 gera-

de noch 65 %, 1919 noch 50 %.162 Auch der Ausbau der Industrie und deren Verlagerung von der

Mitte der Stadt in die späteren Randgebiete von Gross-Berlin im Zuge des Ausbaus des öffentlichen

Eisenbahnnetzes verstärkte das Zusammenwachsen der einzelnen Stadtteile.163 Hinzu kommt, dass

auch die Ordinarien bereits ab den 1890er-Jahren vermehrt in den „entstehenden Villen-Vororten, in

Grunewald, Steglitz, Dahlem, Halensee, Nikolassee, Zehlendorf, Schmargendorf, Schöneberg oder

Wilmersdorf“ wohnten. Anstatt wie zuvor in ihren eigenen Privaträumen unterrichten zu müssen,

geschweige den Studenten zu beherbergen, pendelten die Ordinarien nun immer öfter zu ihren

jeweiligen Instituten in der Stadtmitte164 während gleichzeitig der Wunsch nach einem „Deutschen

Oxford“ ausserhalb der unruhigen Stadt immer stärker wurde.165 Mit dieser Untersuchung nicht

geklärt wird die allgemeine Mobilität der Studierenden und späteren Promovenden, insbesondere

nicht, ob die Friedrich-Wilhelms-Universität die letzte besuchte Universität und ob der Besuch

anderer Universitäten eine Bedingung zur Promotion in Berlin war. Aufgrund der tiefen

Abwanderungsquote der geisteswissenschaftlichen Ordinarien aus Berlin – von 1810 bis Ende der

1870er-Jahre betrug sie lediglich 3,85 %, danach stieg sie zwar auf 9,3 %, blieb jedoch weiterhin

niedriger als bei allen anderen Universitäten – ist jedoch davon auszugehen, dass auch die

Promovierten Berlin aufgrund der damit verbundenen Reputation als letzte Station ihres Studiums

wie ihrer Doktorarbeit verstanden.166

Als letzte Gruppe sind die Promovierten aus dem Ausland zu nennen. Bei ihnen wurde das jeweilige

Herkunftsland angegeben. Bei den überseeischen Kolonien, insbesondere des britischen Empires,

160 Vgl. Erbe, Michael: Berlin im Kaiserreich (1871–1918). In: Ribbe, Wolfgang: Geschichte Berlins. Von der Märzrevolution bis zur Gegenwart, Bd. 2, Berliner Wissenschafts-Verlag: Berlin, 2002, S. 691–793, hier: S. 755.

161 Vgl. ebd., S. 742162 Vgl. ebd., S. 693–694.163 Vgl. ebd., S. 734–736.164 Vgl. Wagner, Frank: Professoren in Stadt und Staat. Das Beispiel der Berliner Universitätsordinarien, S. 371.165 Vgl. McClelland, Charles: Berlin Historians and German Politics, S. 5.166 Vgl. Baumgarten, Marita: Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert, S. 295.

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wie Australien und Indien, welche zum damaligen Zeitpunkt keine unabhängigen Staaten waren,

werden die heute gebräuchlichen Landesbezeichnungen verwendet. Weiter werden die Gebiete des

osmanischen Reiches verteilt auf die Bereiche der heutigen Türkei sowie die Provinzen auf dem

Balkan, da sie wie die Kolonien zwar zum gleichen Staat gehörten, aber sowohl geografisch wie

kulturell voneinander getrennt werden können.167 Bezüglich russischen Promovierten muss erwähnt

werden, dass diese Bezeichnung auch die polnischen Russen sowie die baltischen Deutschen

umfasst, da sie sowohl in den offiziellen Statistiken wie auch in der Wahrnehmung der Gesellschaft

im Allgemeinen nicht unterschieden wurden.168

4.4.2 Promovierte aus dem Deutschen Reich

Insgesamt sinkt der Anteil an deutschen Studenten von 91,8 % in der ersten Periode zwischen 1837

und 1870 auf 85,5 % zwischen 1900 und 1913. Der Anteil der preussischen Promovierten an der

Gesamtzahl sinkt zwar ebenfalls von fast 79 % in der ersten auf 73 % in der letzten Periode, sie

stellen damit aber nach wie vor die grösste Gruppe mit einem Durchschnittswert von knapp 74 %.

Vergleicht man statt der absoluten die nivellierten Werte, zeigt sich, dass der Wert um weniger als

ein 0,5 % sinkt. Dabei entwickeln sich die einzelnen preussischen Provinzen sehr unterschiedlich.

Zwar nimmt in allen drei Perioden die Zahl der Promovierten zu, im Vergleich zur Gesamtsumme

sinkt jedoch in einzelnen Provinzen der Anteil an den Promovierten. So steigt die Zahl der

Promovierten aus Pommern von 11 auf 22, gleichzeitig sinkt jedoch der prozentuale Anteil an den

preussischen Promovierten von 12,2 % auf 3,2 %. Die gleiche Entwicklung zeigt sich bei der

Provinz Sachsen, deren Anteil von 14,4 % auf 5,6 % sinkt, Westfalen, aus dem in der ersten Periode

noch 6,6 % der Promovierten stammten, in der letzten Periode nur noch 2 %, sowie Posen, mit

einem Anteil von 15,6 % in der ersten und noch 4,2 % der letzten. Von dieser Entwicklung profitiert

in erster Linie Berlin, das seinen Anteil von anfangs 20 % auf 46,7 % aller Promovierten steigert.

Zusammen mit Brandenburg, dessen Anteil konstant um die 8 % beträgt, liegt der Anteil an

Promovierten aus Berlin zwischen 1900 und 1913 bei 54,2 %., mehr als die Hälfte aller

Promovierten. Ebenfalls profitieren kann die Rheinprovinz, wo der Anteil von 5,6 % auf 8,1 %

steigt, sowie Hessen-Nassau, wo sich der Anteil von 2,2 % auf 4,3 % verdoppelt. Promovierte aus

167 Vgl. Petsalis-Diomidis, N.: Greece at the Paris Peace Conference (1919), Stavros & John Sfakianakis: Thessaloniki, 1975, S. 18–21.

168 Vgl. Mazón, Patricia: Gender and the Modern Research University. The Admission of Women to German Higher Education, 1865–1914, Stanford University Press: Stanford, 2003, S. 121.

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Schleswig-Holstein gibt es erst in der letzten Periode und sie machen mit 1,7 % auch die kleinste

Gruppe aus. In den übrigen Provinzen bleibt der prozentuale Anteil verhältnismässig konstant,

wobei Schlesien mit einem Anteil von 12 % zwischen 1871 und 1899, der damit fast dreimal so

hoch ist wie in der vorangehenden resp. folgenden Periode, heraussticht. Aus den zwei zu Preussen

gehörenden Universitätsstädten Kiel und Göttingen kommt in keiner der drei Perioden ein

Promovend.

Der Anteil an Promovierten aus den restlichen Staaten des Deutschen Reichs bleibt im

Vergleich zu den preussischen Promovierten sehr konstant bei ca. 12,5 % und auch die nivellierten

Werte dieser Gruppe bleiben bei ca. 33,3 %. Während diese Gruppe der ersten Periode noch weit

grösser ist als die Gruppe der ausländischen Promovierten, ändert sich dies in den beiden folgenden

Perioden. Von 1871 bis 1899 ist die Gruppe der ausländischen Promovierten mit 10,7 % an der

Gesamtzahl noch kleiner, in der letzten Periode von 1900 bis 1913 ist sie mit 13,3 % jedoch grösser

als die Gruppe der Promovierten aus den restlichen deutschen Staaten. Im Gegensatz zu den

preussischen Provinzen sind die Fluktuationen der Staaten beim Vergleich der drei Perioden viel

grösser. So sinkt der Anteil an Promovierten aus den Thüringischen Staaten von 26,7 % aller

Promovierten aus den übrigen Staaten des Deutschen Reiches in der ersten Periode auf 0 % in der

folgenden Periode und steigt in der letzten wieder auf 13,6 %. Die gleiche Entwicklung, wenngleich

weniger ausgeprägt, ist beim Königreich Bayern, dem Grossherzogtum Mecklenburg-Schwerin

sowie den beiden Hansestädten Bremen und Hamburg zu beobachten. Andererseits gibt es auch die

umgekehrte Entwicklung, d. H. ein Anstieg zum Höchstwert in der mittleren Periode, während die

Werte der beiden anderen Perioden weit niedriger ausfallen. Dies ist u. a. beim Königreich Sachsen

und dem Grossherzogtum Hessen mit einem Anstieg auf 21,4 % resp. 17,9 % in der mittleren

Periode der Fall. In anderen Fällen, wie dem Reichsland Elsass-Lothringen oder dem Herzogtum

Braunschweig, gibt es keine Promovierten in der ersten Periode, in der mittleren stellen sie jedoch

10,7 % resp. 17,9 % aller Promovierten aus dem Deutschen Reich. Die gleiche Entwicklung zeigt

sich beim Grossherzogtum Baden sowie Mecklenburg-Strelitz. Schliesslich gibt es noch einige

wenige Staaten, die lediglich in der letzten und zahlenmässig grössten Periode Promovierte

aufweisen und auch dann nur auf sehr niedrigem Niveau. Dies sind das Grossherzogtum Oldenburg,

die drei relativ kleinen Fürstentümer Schaumburg-Lippe, Lippe sowie Waldeck und schliesslich die

Hansestadt Lübeck. Den höchsten Wert dieser Gruppe hat das Grossherzogtum Oldenburg mit

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3,4 % während die beiden letztgenannten Fürstentümer mit lediglich 0,9 % die kleinste Gruppe

bilden. Insgesamt lässt sich eine beginnende Diversifizierung der Herkunft feststellen, dabei

profitieren Provinzen und Länder mit eigenen bekannten Universitäten prozentual weit stärker als

solche ohne, wobei die Promovierten nicht aus den jeweiligen Universitätsstädten kommen. Die

vier Universitätsstädte München, Dresden, Heidelberg und Giessen verzeichnen allesamt in den

ersten beiden Perioden keinerlei Promovierte. In der letzten Periode jedoch haben München wie

Heidelberg jeweils zwei Promovierte, Dresden vier und Giessen weiterhin keinen. Insgesamt

machen in der letzten Periode die Promovierten aus diesen Universitätsstädten lediglich 0,84 % der

Gesamtzahl aus.

Ein Vergleich mit den Ordinarien an den grösseren preussischen wie nicht preussischen

Universitäten zeigt, dass die beginnende Diversifizierung der geografischen Herkunft bei den Pro-

movierten auch bei den Ordinarien zu finden ist. Sie setzt jedoch sehr viel früher ein. Die Änderung

der Berufungspraxis, weg von der Förderung „familiärer Strukturen“ sowie der „Protektion der

Landeskinder“ hin zu einem auf Leistung basierenden Berufungssystem begann in den Geistes- wie

in den Naturwissenschaften bereits 1850 und kam an den meisten Universitäten in den 1880er-Jah-

ren zum Abschluss.169 An der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin wurden von 1810 bis 1914

lediglich 6,3 % aller Lehrstühle mit „Landeskindern“ besetzt, wobei als solche nur Bewohner von

Berlin gezählt wurden. Berlin war bezüglich der Reform der Berufungspraxis allgemein führend,

wenngleich sich insgesamt die Entwicklung an preussischen wie nicht preussischen Universitäten

innerhalb der gleichen Zeit abspielten. Berlin berief bereits ab den 1850er-Jahren weitgehend leis-

tungsbezogen, wenngleich auch Fälle bekannt sind, in denen „Landeskinder“ bevorzugt wurden. So

wurden auf den zweiten und dritten Lehrstuhl der Altphilologie weitestgehend Schüler der in Berlin

entwickelten Schule um Boeck, Karl und Wolf berufen. Auch die Berufung Hans Delbrücks in der

Geschichte ist nicht auf wissenschaftliche Leistung zurückzuführen, sondern auf seine Rolle als Er-

zieher Kaiser Friedrich III., der sich sich intensiv für ihn einsetzte. Aufgrund des Widerstands der

Philosophisch-historischen Fakultät, wurde er schliesslich erst 1896 durch den damaligen Universi-

tätsreferenten des preussischen „Ministeriums der geistlichen-, Unterrichts- und Medizinalangele-

genheiten“ Althoff berufen, der dabei die Fakultät nicht befragte. In den Jahren zuvor ist aus der

Geschichtswissenschaft kein Fall bekannt, in dem bewusst ein aus der eigenen Schule stammender

Wissenschaftler berufen wurde. Auch die Schule rund um Ranke führte nicht zu einer bevorzugten

169 Vgl. Baumgarten, Marita: Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert, S. 268–270.

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Berufung von von ihm ausgebildeten Wissenschaftlern. Das Gleiche gilt für die Berliner Philoso-

phie unter Fichte, Hegel, Steffen und Schelling. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass abgesehen

von einigen personellen wie zeitlichen Ausnahmen, letztere vor allem in der Mitte des 19. Jahrhun-

derts sowie um die 1870er-Jahre, „Berufungen aus Schülerkreisen oder dem eigenen Nachwuchs

[...] die seltene Ausnahme“ waren.170 Aus diesem Grund kann die steigende Zahl von Promovierten

aus Berlin nicht zwingend darauf zurückgeführt werden, dass diese ihre Chancen verbessern woll-

ten, später in Berlin berufen zu werden, da sie auf Bevorzugung als „Landeskinder“ spekulierten.

Im Vergleich zu den beiden bereits beschriebenen Gruppen wächst die Gruppe der

ausländischen Promovierten, relativ gesehen, am massivsten. Der Vergleich der nivellierten Zahlen

aller drei Perioden zeigt, dass die erste Periode mit nur zwei Promovierten lediglich 3,3 % der

ausländischen Promovierten umfasst, während es in der zweiten bereits 43,1 % und in der letzten

53,6 % sind. Die ausländischen Promovierten kommen aus insgesamt 25 Ländern. Da mehrere

Länder, u. a. Australien, Südafrika und Chile, nur einen Promovierten stellen, soll hier nur auf die

Länder mit dem grössten Promovendenkontingent eingegangen werden. Nimmt man alle drei

Perioden zusammen, kommt das grösste Kontingent aus Russland mit 34, dicht gefolgt von

Österreich171 mit 31, den USA mit 27 sowie Rumänien mit 15 Promovierten. Alle weiteren Länder

stellen keine Promovierten im zweistelligen Bereich. Vergleicht man nur die absoluten Werte,

nimmt die Zahl der ausländischen Promovierten aus allen Ländern zu. Ein Vergleich des

prozentualen Anteils der einzelnen Länder an der Gruppe der ausländischen Promovierten zeigt

jedoch, wie unterschiedlich die Entwicklung im Vergleich zur Gesamtzahl ist. So stellen die

Promovierten aus den USA in der zweiten Periode mit 29,2 % die grösste Gruppe, sind jedoch in

der letzten Periode mit 15,8 % nur noch die drittgrösste – dies entspricht der allgemeinen Abnahme

der Zahl amerikanischer Studenten zu Beginn des 20. Jahrhunderts an den Universitäten im

Deutschen Reich.172 Umgekehrt verläuft die Entwicklung des Anteils russischer Promovierter, die

mit 16,7 % in der zweiten und 22,8 % in der letzten Periode die Plätze mit den USA tauschen. Jene

aus Österreich stellen in beiden Perioden jeweils die zweitgrösste Gruppe mit 20,8 % resp. 20,5 %.

Die letzte grosse Gruppe, die Rumänen, erhöht ihren relativen Anteil zwischen der zweiten und

letzten Periode mit einem Anstieg von 4,2 % auf 11 % beinahe um das Dreifache.

170 Baumgarten, Marita: Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert, S. 121–124.171 Gemeint ist hier wie im Folgenden das Gebiet der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie.172 Vgl. Mazón, Patricia: Gender and the Modern Research University, S. 121.

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4.4.3 Vergleich mit der Bevölkerungsentwicklung

Im Folgenden sollen die Werte und Entwicklungen der Promoviertenzahlen mit der allgemeinen

Bevölkerungsentwicklung in den jeweiligen Provinzen und Staaten verglichen und so ermittelt wer-

den, ob diese einen Einfluss auf die Zahl der Promovierten hatte oder nicht. Da bis zur Gründung

des Deutschen Reiches die Bevölkerungszählungen und ihre statistische Auswertung nicht zentral

geregelt wurde, führten die Staaten die Datenerhebung nicht immer zum gleichen Zeitpunkt durch.

Auch die sich verändernden Grenzen, z. B. während des Deutschen Krieges 1866, erschweren den

Vergleich der Daten. Aus diesem Grund wird hier insbesondere für die erste Periode nur ein

Annäherungswert verwendet. Hinsichtlich des Bevölkerungswachstums steht dabei nicht die Anzahl

an Einwohnern im Mittelpunkt, sondern das prozentuale Wachstum im Vergleich zu den

Veränderungen an der Anzahl der Promovierten, da sich mit diesen Werten die Entwicklung über

einen längeren Zeitraum besser beschreiben lässt als mit absoluten Zahlen. Dies ist insofern

wichtig, als dass die Steigerung der absoluten Bevölkerungszahl sich nicht sogleich auf die Zahl der

Promovierten auswirken kann, sondern ein Einfluss mindestens mit einer Verzögerung vom

Durchschnittsalter der Promovierten auftritt. Aus diesem Grund stehen die langfristigen

Entwicklungen wie auch kurzfristige starke Veränderungen der Bevölkerungszahlen, die einen

späteren Einfluss haben könnten, im Fokus der folgenden Ausführungen.

Insgesamt wuchs die Bevölkerung auf dem Gebiet des späteren Deutschen Reiches zwischen

1816 und 1870 um durchschnittlich 0,9 % pro Jahr,173 in den beiden folgenden Perioden bis 1913

beschleunigte sich das jährliche Wachstum auf 1 %.174 Zwischen 1871 und 1914 ist eine Zunahme

von insgesamt 60 % der Gesamtbevölkerung zu verzeichnen, wobei in den 1890er-Jahren der

grösste Anstieg zu verzeichnen ist. Das Wachstum fusst zwar mehrheitlich auf der hohen Zahl an

Geburten. Andererseits entwickelte sich Deutschland von einem Auswanderungs- zu einem

Einwanderungsland, nicht nur für Polen, sondern auch für Italiener, Dänen und Slawen sowie eine

relativ kleine Zahl an Türken.175 Die Zunahme an Promovierten liegt damit weit über dem

durchschnittlichen jährlichen Bevölkerungswachstum. Ein Vergleich der einzelnen Provinzen und

Staaten mit den jeweiligen Promoviertenzahlen zeigt, dass die Wachstumszahlen sehr

unterschiedlich ausfallen können. Das grösste Wachstum zwischen 1816 und 1910 verzeichnen

173 Vgl. Statistisches Jahrbuch des Deutschen Reiches, 1881, S. 5.174 Vgl. ebd., 1918, S. 2.175 Vgl. Blackbourn, David: History of Germany, 1870–1918. The Long Nineteeth Century, S. 265.

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Berlin mit 2,5 % und Hamburg mit 2 % pro Jahr.176 Betrachtet man nur die Zeitspanne bis 1895,

beträgt das Wachstum in der Stadt Berlin 9,5 % und in Hamburg 4,3 %.177 Die Verlagerung des

Bevölkerungswachstums von der Stadt Berlin in die später zu Gross-Berlin gehörenden Bezirke

dürfte der Grund für den prozentual starken Abfall von über 7,5 % innerhalb von nur 15 Jahren sein.

Denn mit dem sinkenden prozentualen Wachstum von Berlin steigt das Wachstum von Brandenburg

von 1,2 % zwischen 1871 bis 1890 auf 2,4 % in den folgenden 20 Jahren. Die Urbanisierung der

Gesellschaft war also in vollem Gang und intensivierte sich sogar noch. Bis zum Ausbruch des

Ersten Weltkrieges lebte nur noch jeder Dritte nicht in einer Stadt mit mindestens 100 000

Einwohnern.178 Vergleicht man diese Werte mit der Entwicklung der Promovierten aus den beiden

genannten Städten, so stellt Berlin nicht nur die grösste Zahl an Promovierten, sondern weist auch

das grösste Wachstum auf. Auf der anderen Seite sinkt der relative Wert von Promovierten aus

Hamburg hinsichtlich der Gesamtsumme trotz des verhältnismässig grossen

Bevölkerungswachstums. Bei den preussischen Provinzen weisen neben Berlin einzig Hessen-

Nassau, Schleswig-Holstein sowie die Rheinprovinz über alle drei Perioden hinweg betrachtet ein

überdurchschnittliches Wachstum an Promovierten auf, wobei einzig letztgenannte mit einem

durchschnittlichen Wachstum der Gesamtbevölkerung von 1,4 % pro Jahr bis 1910 über dem

Durchschnitt des Deutschen Reiches liegt. Bei allen anderen Provinzen, einschliesslich

Brandenburg ohne Berlin, sinkt der prozentuale Anteil an den Promovierten, wobei gerade

Brandenburg, zusammen mit Westfalen, mit 1,4 % ein überdurchschnittliches jährliches

Bevölkerungswachstum aufweisen kann.179 Bei den anderen deutschen Staaten zeigt sich ein

ähnliches Bild wie bei Hamburg. So verzeichnen das Königreich Sachsen und die Hansestadt

Bremen ein überdurchschnittliches Bevölkerungswachstum von 1,5 % resp. 1,9 % pro Jahr, ihr

prozentualer Anteil an den Promovierten nimmt jedoch ab. Im Gegensatz dazu weisen die

verhältnismässig kleinen Fürstentümer sowie das Grossherzogtum-Mecklenburg-Strelitz, wie

erwähnt, ein konstantes Wachstum am prozentualen Anteil an Promovierten aus, haben jedoch mit

Bevölkerungswachstumsraten von maximal 0,6 % pro Jahr einen unterdurchschnittlichen Wert.180

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das allgemeine Bevölkerungswachstum keinen direkten

176 Vgl. Statistisches Jahrbuch des Deutschen Reiches, 1918, S. 2.177 Die Angaben zur Einwohnerzahl von Berlin beziehen sich auf die Stadt Berlin vor der Gebietsreform von 1920.

Vgl. ebd., 1901, S. 2.178 Vgl. Blackbourn, David: History of Germany, 1870–1918. The Long Nineteeth Century, S. 265.179 Vgl. Statistisches Jahrbuch des Deutschen Reiches, 1918, S. 2.180 Vgl. ebd.

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Einfluss auf die Entwicklung der Promovierten hat, sondern Teil des allgemeinen

„Aufstiegswillens“, insbesondere der Mittelschicht, ist und damit im Kontext der bereits

geschilderten allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung gesehen werden muss.181 Einzige

Ausnahme ist Berlin, wo dem starken Bevölkerungswachstum von 6,4 % pro Jahr zwischen 1855

und 1895 ein Einfluss am Anstieg in der letzten Periode von 38,7 % auf 46,6 % an Promovierten

zugerechnet werden kann.

4.4.4 Ausländer im Deutschen Reich und ausländische Promovierte

Da die im Deutschen Reich lebenden Ausländer in den Statistiken ebenfalls erfasst wurden, ist ein

Vergleich der Zahl der Promovierten aus den jeweiligen Ländern im Verhältnis zu ihrem Anteil an

der Gesamtbevölkerung möglich. Es muss jedoch betont werden, dass der von den Promovierten im

Lebenslauf angegebene Geburtsort nicht zwingend mit der Staatsangehörigkeit übereinstimmen

muss. So unterscheidet die „Statistik der preussischen Landesuniversitäten“ zwischen der

„Heimatprovinz“ und der „Geburtsprovinz“, die hier dem folgenden Vergleich zugrunde gelegt

wird. Im „Statistischen Jahrbuch des Deutschen Reiches“ wird hingegen jeweils nur die

Staatsangehörigkeit aufgeführt. Aus diesen Gründen kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein

Promovend, der als Geburtsort eine Ortschaft resp. Region im Deutschen Reich angibt, in der hier

aufgestellten Statistik als Deutscher gezählt wird, obwohl er eine ausländische Staatsangehörigkeit

besitzt. Hinzu kommt, dass es für in Deutschland geborene Ausländer, insbesondere für Juden aus

Russland und Österreich, immer schwieriger wurde, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten.

Diesen wie allen Ausländern wurde, teilweise von den jeweiligen Behörden selbst, sogar explizit

davon abgeraten, sich um eine Einbürgerung zu bemühen, da sie im Falle eines negativen

Entscheids mit einer Ausweisung zu rechnen hatten.182 Baumgarten berücksichtigt in ihrer Analyse

die Berufung ausländischer Professoren nach Berlin nicht im Einzelnen. Insgesamt war jeder siebte

bis achte Professor an den von ihr untersuchten Hochschulen zuvor im Ausland tätig, von diesen

war jeder vierte Ausländer. Im Vergleich zum Gesamtlehrkörper war ein Ordinarius mit mehr als

viermal grösserer Wahrscheinlichkeit ein Ausländer.183

181 Vgl. Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849–1914, S. 1216.

182 Vgl. Mazón, Patricia: Gender and the Modern Research University. S. 121.183 Vgl. Baumgarten, Marita: Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert, S. 181.

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1871 lebten im Deutschen Reich 194 364 Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit, was

bei einer Gesamtbevölkerung von über 40 Millionen 0,5 % aller Bewohner entspricht, wobei die

Zahl der Ausländer allgemein anstieg.184 Mit 76 000 Einwohnern stellen die österreichisch-

ungarischen Einwohner mehr als die Hälfte der Ausländer im Deutschen Reich und auch mehr als

einige der kleineren deutschen Staaten. Erst mit weitem Abstand folgen die Schweizer mit 25 000

und die Niederländer mit 22 000 Einwohnern. Weitere Ausländergruppen im fünfstelligen Bereich

sind, in absteigender Reihenfolge, die Dänen, Russen, Schweden und Norweger, die Amerikaner

sowie die Briten inklusive der Iren.185 In den folgenden beinahe 30 Jahren erfuhr die ausländische

Bevölkerung ein starkes Wachstum. Während sich die Anzahl mehr als verdreifachte, verdoppelte

sich ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung auf knapp 1 %. Die Österreicher bleiben mit 370 000

Einwohnern die mit Abstand grösste Gruppe, gefolgt von den Niederlanden mit 88 000, Italien mit

70 000, der Schweiz mit 55 000 und Russland mit 46 000 Ausländern.186 Bis 1910 verdoppelt sich

sowohl die absolute Zahl der Ausländer auf 1 259 837 Einwohner als auch ihr prozentualer Anteil

an der Gesamtbevölkerung auf 2 %. Nach wie vor ist sind die Österreicher mit 635 000 die grösste

Ausländergruppe. Danach folgen die Niederlande mit 144 000, Russland mit 138 000 und Italien

mit 104 000. Die Gruppe der Bewohner mit US-Staatsangehörigkeit bleibt zwischen 1900 und 1910

mit einem Anstieg von 17 000 auf 18 000 Einwohner vergleichsweise stabil. Die USA sind auch das

einzige Land, abgesehen von einigen Ausnahmen wie Panama oder Chile, die jedoch prozentual

nicht ins Gewicht fallen, von welchem mehr Frauen als Männer als im Deutschen Reich leben.187

Die Frage ist nun, ob sich diese Entwicklung auch bei den Promovierten widerspiegelt. Der

wachsende Anteil an Ausländern an der Bevölkerung des Deutschen Reiches kann auch bei der

Betrachtung des Ausländeranteils an der Summe der Promovierten bestätigt werden. So steigt ihr

Anteil von weniger als 1 % in der ersten Periode auf über 13,3 % in der letzten Periode und damit

weit stärker als der Anteil an der Gesamtbevölkerung. Vergleicht man jedoch die einzelnen

Ausländergruppen miteinander, zeigt sich, dass das Wachstum sehr unterschiedlich sein kann. So

184 Vgl. Mazón, Patricia: Gender and the Modern Research University. S. 121.185 Vgl. Statistisches Jahrbuch des Deutschen Reiches, 1881, S. 5.186 Vgl. ebd., 1904, S. 9.187 Vgl. ebd., 1914, S. 11

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hat das Wachstum der Österreicher am Anteil der Gesamtbevölkerung keinen Einfluss auf die Zahl

der österreichischen Promovierten, welches konstant bei etwas mehr als 20 % liegt. Auch das starke

Wachstum der Italiener, aus dem kein Promovend stammt, und der Niederländer, welche nur in der

letzten Periode vier Promovierte stellen, hat keinen nachweisbaren Einfluss auf die Zahl der

Promovierten. Die Schweiz stellt in den letzten zwei Perioden 4 % der Promovierten und profitiert

somit nicht von der, absolut gesehen, grösser werdenden Zahl Schweizer Bürger in Deutschland.

Auf der anderen Seite gibt es Gruppen, bei denen die Zunahme an der Bevölkerung mit einer

Zunahme an der Zahl der Promovierten einhergeht. So steigt die Zahl der russischen Promovierten

wie der Bevölkerung. Das Gleiche lässt sich auch bei den rumänischen Promovierten aufzeigen.

Hier wächst der Anteil an den Promovierten von 4,2 % in der zweiten Periode auf 11,1 % in der

dritten, während gleichzeitig die Bevölkerung von 1 615 auf 2 259 Einwohnern anwächst. Auch bei

den amerikanischen Promovierten entwickelt sich der prozentuale Anteil an der Gesamtzahl parallel

zum Anteil an der Gesamtbevölkerung. Während letzterer zwischen 1900 und 1910 von 2 % auf

1,3 % der ausländischen Bevölkerung schrumpfte, nahm auch der Anteil an den Promovierten um

13 % ab, wobei sich in beiden Perioden der absolute Wert nicht verringert. Letztlich lässt sich auch

hier feststellen, dass nur in wenigen Fällen, wie Russland und Rumänien, die jeweilige ausländische

Bevölkerung sich parallel zur damit verbundenen Promoviertengruppe entwickelt.

Wie bei den Promovierten aus dem Deutschen Reich muss es also andere Gründe für den

Anstieg an ausländischen Promovierten geben, als das allgemeine Wachstum des Anteils

ausländischen Bevölkerung im Deutschen Reich. Ganz generell ist die Entwicklung auf dem

allgemein guten Ruf der deutschen Universitäten und der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin

insbesondere begründet. Insbesondere ihre führende Rolle bei der Einführung der Kulturgeschichte

als neuem Zweig der modernen Wissenschaften188 und der Anspruch auf „Weltgeltung“ der

deutschen Kulturwissenschaft189 dürfte einen Einfluss auf die starke Zunahme ausländischer

Studenten und späterer Promovierter der Philosophisch-historischen Fakultät gehabt haben. Eine

„bewusst auswärtige Kulturpolitik“ begann das Deutsche Reich jedoch erst ab den 1980er-Jahren

und damit, im Vergleich zu Ländern wie Frankreich, relativ spät.190 Das Deutsche Reich nutzt die

internationalen Wissenschaftsbeziehungen für seine Kulturpolitik ab den 1890er-Jahren in erster 188 Vgl. Blackbourn, David: History of Germany, 1870–1918. The Long Nineteeth Century, S. 208.189 Vgl. vom Bruch, Rüdiger: Gesellschaftliche Initiativen in den auswärtigen Kulturbeziehungen Deutschlands vor

1914. In: Zeitschrift für Kulturaustausch (31) 1981, H. 1, S. 43–67, hier: S. 44.190 Vgl. Ritter, Gerhard A.: Internationale Wissenschaftsbeziehungen und auswärtige Kulturpolitik im deutschen

Kaiserreich. In: Zeitschrift für Kulturaustausch (31) 1981, H. 1, S. 5–16, hier: S. 6.

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Linie zur Förderung der technischen Fächer und Ingenieurswissenschaften. Diesbezüglich wurden

insbesondere die Weltausstellungen von 1893 in Chicago und 1904 in St. Louis zur

Selbstdarstellung der eigenen naturwissenschaftlichen Leistung genutzt.191 Ein weiteres wichtiges

Instrument waren die deutschen Schulen im Ausland, deren Zahl nach der Gründung der Deutschen

Reiches von lediglich 86 auf ca. 900 im Jahre 1914 anstieg, davon zwei Drittel in Brasilien.192

Neben dem Auftrag, die Eliten der einheimischen Völker in „deutscher Art und Bildung“ zu bilden,

„um sie dadurch zu Freunden Deutschlands zu gewinnen“193, waren sie auch dafür verantwortlich,

ein „Einschmelzen der Auslandsdeutschen in andere Völker zu verhindern“194. Auch für die

Geisteswissenschaften wurden internationale Strategien entworfen, wobei von einer „zielstrebigen

Nutzung der Geisteswissenschaften zur aussenkulturpolitischen Einflussmehrung durch die

Bildungs- und Wissenschaftsadministration“195 keine Rede sein kann. Die meisten Initiativen kamen

denn auch nicht von staatlichen Stellen, sondern aus einer gemeinsamen Initiative des

Bildungsbürgertums, das die Verbreitung seines Bildungssystems zum Ziel hatte, sowie der

Wirtschaft, die ihre Interessen in den Entwicklungsländern wahren wollte.196

Bei den vier grössten Gruppen ausländischer Promovierten – Amerikaner, Österreicher,

Russen und Schweizer – führen spezifische Faktoren zu ihrer jeweils grossen Zahl. Einen

beachtlichen Einfluss auf die Zahl der amerikanischen Promovierten dürfte der deutsch-

amerikanische Professorenaustausch gehabt haben, welcher vor allem den Geisteswissenschaften

zugutekam.197 So stammte die erste in Deutschland promovierte Frau aus Amerika und die

Amerikaner stellten, noch vor den Russen, bis Ende der 1890er-Jahre die Mehrheit der

ausländischen Studenten im Deutschen Reich. Erst im Zuge der Öffnung der französischen und

britischen Universitäten sowie der Reform des amerikanischen Hochschulsystems nach deutschem

Vorbild nahm ihre Zahl wieder ab. Spezifisch für Berlin ist, dass fünf der neun deutschen 191 Vgl. vom Bruch, Rüdiger: Gesellschaftliche Initiativen in den auswärtigen Kulturbeziehungen Deutschlands vor

1914, S. 46.192 Geheime Denkschrift des Auswärtigen Amtes über das deutsche Auslandsschulwesen, April 1914. In: Düwell,

Kurt: Deutschlands Auswärtige Kulturpolitik 1918–1932. Grundlinien und Dokumente, Böhlau Verlag: Wien, 1976, S. 271–273.

193 Ebd., S. 269.194 Ritter, Gerhard A.: Internationale Wissenschaftsbeziehungen und auswärtige Kulturpolitik im deutschen

Kaiserreich, S. 7195 vom Bruch, Rüdiger: Gelehrtenpolitik, Sozialwissenschaften und akademische Diskurse in Deutschland im 19. und

20. Jahrhundert, S. 101.196 Vgl. vom Bruch, Rüdiger: Gesellschaftliche Initiativen in den auswärtigen Kulturbeziehungen Deutschlands vor

1914, S. 46.197 vom Bruch, Rüdiger: Rüdiger: Gelehrtenpolitik, Sozialwissenschaften und akademische Diskurse in Deutschland

im 19. und 20. Jahrhundert, S. 101.

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Masterarbeit Promovenden der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin 1837–1913FS 2011 31. Juli 2011Prof. Dr. Joachim Eibach Daniel Hardegger

Professoren, die im Rahmen des Austauschprogrammes an der Universität Harvard lehrten, aus

Berlin stammten und damit indirekt „Werbung“ für ihre Universität betrieben.198 Der Einfluss

deutscher Auslandsschulen in den Vereinigten Staaten auf die Zahl der Promovierten ist hingegen

schwierig zu beurteilen. So gab es zwar „Hunderte, ja wohl Tausende, deutsch-amerikanische

Schulen, die die deutsche Sprache lehrten und damit den Einstieg amerikanischer Studenten und

Promovierten in das deutsche Bildungssystem erleichterten.“199 Da sie jedoch Teil des regulären

amerikanischen Bildungssystem waren, verfolgten sie, aus Sicht des Deutschen Reiches, „rein

amerikanische Bildungszwecke“200 und wurden somit nicht als Auslandsschulen gezählt.

Auch im Falle Österreichs ist der Einfluss der deutschen Auslandsschulen als gering

einzustufen, da sich das Deutsche Reich nicht in die internen Angelegenheiten seines Verbündeten

einmischen wollte. Die einzige Schule wurde erst 1908 in Budapest gegründet, wobei der Besuch

der Schule durch Kinder ungarischer Staatsangehörigkeit von der ungarischen Regierung verboten

wurde.201 Die grosse Zahl an Promovierten ist dennoch in Teilen der sprachlichen Nähe geschuldet,

denn Deutsch war auch im Gebiet von Ungarn Verkehrssprache. Diese Nähe zeigt sich auch an den

Studentenzahlen der Universitäten in Österreich, wo 1890 40 % aller Studenten Deutsche waren.202

Gleichzeitig wurden insbesondere nach Berlin fünf in Österreich ordinierte Geisteswissenschaftler

zwischen 1875 und 1886 berufen,203 nicht zuletzt aufgrund der Krise der österreichischen

Universitäten, die erst 1867 ähnliche Freiheiten in Wissenschaft und Lehre erlangten wie die

preussischen und damit in Konkurrenz zu ihnen standen.204 Die ungarischen Universitäten besaßen

enge Kontakte zu Universitäten und Hochschulen im Deutschen Reich, die sowohl den ungarischen

Studenten als auch dem Wissenschaftsaustausch zugutekamen. Andererseits führte die ungarische

Nationalitätenpolitik nicht nur dazu, dass die Minderheiten in der Bildung benachteiligt wurden. Sie

veranlasste die nicht ungarischsprachigen Minderheiten dazu, an Universitäten im Ausland,

198 Die Promotion erfolgte an der Universität Göttingen in der Mathematik. Vgl. vom Brocke, Bernhard: Der deutsch-amerikanische Professorenaustausch. In: Zeitschrift für Kulturaustausch (31) 1981, H. 1, S. 137–142.

199 Geheime Denkschrift des Auswärtigen Amtes über das deutsche Auslandsschulwesen, April 1914, S. 288.200 Ebd.201 Vgl. ebd., S. 277.202 Vgl. Slapnicka, Helmut: Die Rechststellung der Universität im alten Österreich von den Reformen Leon Thuns bis

zum Ende der Monarchie. In: Wörster, Peter (Hrsg.): Universitäten im östlichen Mitteleuropa. Zwischen Kirche Staat und Nation – Sozialgeschtische Entwicklungen, R. Oldenbourg Verlag: München, 2008, S. 195–207, hier: S. 206.

203 Vgl. Baumgarten, Marita: Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert, S. 183.204 Vgl. Schübl, Ernst: „Wir wollen ein Gebäude von fester Dauer“. Zur Standortproblematik und baulichen

Entwicklung der österreichischen Universitäten im 19. und 20. Jahrhundert. In: Schwinges, Rainer Christoph: Universität im öffentlichen Raum, Schwabe Verlag: Basel, 2008, S. 439–467, hier: S. 440.

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Masterarbeit Promovenden der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin 1837–1913FS 2011 31. Juli 2011Prof. Dr. Joachim Eibach Daniel Hardegger

bevorzugt im Deutschen Reich, zu studieren, „weil sie an den ungarischsprachigen Universitäten

kein Diplom erwerben wollten“205

In den russischen Ostseeprovinzen sowie in Südrussland wurden viele deutsche Schulen in

den 1890er-Jahren der russischen Unterrichtsverwaltung unterstellt und zählten daher nicht als

deutsche Auslandsschulen. Die Statistik zählt allerdings nur deren neun. Diese waren jedoch

teilweise höhere Schulen und ermöglichten den Schülern den Besuch der Universitäten im

Deutschen Reich ohne Hürden,206 was Einfluss auf die steigende Zahl russischer Studenten und

Promovierten ab den späten 1890er-Jahren gehabt haben dürfte. Ausserdem gab es mit der

deutschsprachigen Universität in Dorpat für russische Studierende die Möglichkeit, ein

deutschsprachiges Studium zu absolvieren. Dies vergrösserte ihre Chancen, im Deutschen Reich

angenommen zu werden.207 Jedoch war die Qualität der russischen Universitäten nicht überzeugend.

Zwar gab es bereits zu Beginn des19. Jahrhunderts eine „Gründungswelle“, an der sich der „Beginn

einer planmässigen Universitätspolitik in Russland“ ausmachen lässt. Jedoch zeigten gerade die erst

ab Mitte des Jahrhunderts gegründeten Universitäten enorme Anlaufschwierigkeiten.208 Hinzu kam,

dass die russischen Universitäten weit abhängiger von der Politik waren als jene im Deutschen

Reich, was in vielen Fällen einen Konflikt zwischen der „nur nach militärische[n] Kategorien

vorgehenden“ Leitung der Behörden und den nach Innovation und Bildung strebenden

Universitäten bedeutete.209

Ebenso wie bei den Österreichern dürfte, zumindest für die deutschsprachigen Schweizer, die

sprachliche Nähe ein Faktor für den relativ grosse Anteil an Schweizern von 4,85 % aller

Promovierten gewesen sein. Gleichzeitig dienten die Universitäten in Basel, Bern, Freiburg und

Zürich „ausschliesslich als Einstiegsuniversitäten in die erste ordentliche Professur“, wobei in Basel

und Zürich mit je zwölf die meisten später nach Deutschland berufenen Geisteswissenschaftler tätig

205 Szögi, László: Die Universitäten in Ungarn. Gründungswellen vom späten Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. In: Wörster, Peter (Hrsg.): Universitäten im östlichen Mitteleuropa. Zwischen Kirche Staat und Nation – Sozialgeschtische Entwicklungen, S. 236–267, hier: S. 266.

206 Geheime Denkschrift des Auswärtigen Amtes über das deutsche Auslandsschulwesen, April 1914, S. 279.207 Vgl. Meyer, Klaus: Die „Gründungswelle“ der Universitäten in Russland und die Gründung der Universität

Dorpat. In: Wörster, Peter (Hrsg.): Universitäten im östlichen Mitteleuropa. Zwischen Kirche Staat und Nation – Sozialgeschtische Entwicklungen, S. 37–47, hier: S. 46.

208 Vgl. Meyer, Klaus: „Gründungswelle“. Von der zarischen zur sowjetischen Universitätspolitik. In: Schorkowitz, Dittmar (Hrsg): Russland – Vertraute Fremde. Neues und Bleibens aus historischer Perspektive, Peter Lang: Frankfurt am Main, 2008, S. 167–179, hier: S. 168.

209 Vgl. Meyer, Klaus: Die Entstehung der „Universitätsfrage“ in Russland. Zum Verhältnis von Universität, Staats und Gesellschaft zu Beginn des 19. Jahrhunderts. In: Schorkowitz, Dittmar (Hrsg): Russland – Vertraute Fremde. Neues und Bleibens aus historischer Perspektive, S. 136–147, hier: S. 142.

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waren. Insbesondere Basel hatte noch bis zur Jahrhundertwende für die deutschen Universitäten

einen „propädeutischen Charakter“, während die Universität Freiburg, die erste in der katholischen

Schweiz, nicht als Volluniversität anerkannt wurde und von dort Berufene ihre „Karriereleiter

nochmals erklimmen“ mussten, die in allen Fällen schliesslich in München endete. Die Gründe für

den verhältnismässig starken Austausch sind einerseits in dem durch die Universitätsgründungen in

Bern und Zürich in den Jahren 1833 und 1834 entstandenen Dozentenmangel zu suchen. Zeitweise

stammten alle Professoren, die an Schweizer Hochschulen tätig waren, aus Deutschland.

Andererseits flohen infolge der Ereignisse von 1848 viele liberale Professoren in die Schweiz, die

als Professoren berufen wurden und so den dortigen Professorenmangel ausglichen.210

4.5 Konfession und Religion

4.5.1 Einteilung und Klassifizierung

Die Einteilung der Religions- resp. Konfessionsangabe erfolgt in insgesamt sechs verschiedene

Gruppen. Dies sind die drei grossen christlichen Konfessionen, Katholiken, Evangelisch-

Reformierte und Orthodoxe, ferner die Juden, sämtliche anderen Religionsgruppen und schliesslich

jene Promovierten, welche keine Angaben zu ihrer Konfession machen. Da es sich in jedem Fall um

bloss formale Angaben handelt kann keine Aussage über die aktive Ausübung der Religion getrof-

fen werden. Da im Allgemeinen die Zugehörigkeit zu einer Religion mit lediglich einem Wort

erwähnt wird, ist eine differenziertere Einteilung nicht möglich. Des Weiteren stellt sich gerade bei

den jüdischen Promovierten das Problem der späteren Taufe, um bessere Berufschancen zu erlan-

gen.211 Auf diese Entwicklung und deren Hintergründe wird im Kapitel zu den jüdischen Promovier-

ten (4.6.1) detaillierter eingegangen. Ist der Vater des Promovierten ein Geistlicher, kann die

Angabe ganz entfallen. In diesem Fall wird der Promovierte als evangelisch-reformiert gezählt. Zu

den Katholiken zählen sämtliche mit Rom verbundenen Kirchen;, zu den Orthodoxen zählen alle

orthodoxen Kirchen. Die evangelisch-reformierte Gruppe umfasst sämtliche Ausprägungen der

reformierten Religionsgruppen wie Calvinisten und Lutheraner. Das Gleiche gilt schliesslich auch

210 Vgl. Baumgarten, Marita: Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert, S. 181.211 Pawilczek, Aleksandra: Kontiuität des informellen Konsens’. Die Berufungspolitik der Universität Berlin und ihre

jüdischen Dozenten im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. In: vom Bruch, Rüdiger (Hrsg.): Kontinuitäten und Diskontinuitäten in der Wissenschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts, Franz Steiner Verlag: Stuttagart, 2006, S. 69–92, hier: S. 70.

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Masterarbeit Promovenden der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin 1837–1913FS 2011 31. Juli 2011Prof. Dr. Joachim Eibach Daniel Hardegger

für die Gruppe der Juden, in der sämtliche Strömungen zusammengefasst werden. Christliche

Konfessionen, die nicht einer der drei Gruppen zugeordnet werden konnten, wie die Mennoniten,

sowie sämtliche anderen Religionen und sämtliche konfessionslosen Promovierte werden in einer

eigenen Gruppen zusammengefasst. In eine letzte Gruppe fallen die Promovierten, die bezüglich

ihrer Religionszugehörigkeit keinerlei Angaben machen. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen

werden, dass ein Promovierter zu seiner Religionszugehörigkeit keine Angabe gemacht hat, weil er

konfessionslos ist. Um dies auszuschliessen, müssten weitere Informationen hinzugezogen werden,

was im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich war. Die Einteilung folgt damit letztlich, wenngleich

etwas detaillierter, derjenigen in den „Statistischen Jahrbüchern des Deutschen Reiches“. Dort wird

eine Unterscheidung in die christlichen Religionen, welcher weiter in evangelisch, katholisch und

sonstige unterteilt werden. Hinzu kommen die Israeliten sowie „Bekenner anderer Religionen und

Personen unbekannter Religion“.212

Generell steigen die absoluten Zahlen aller Gruppen, mit Ausnahme der Promovierten, die

keine Angaben machen, an. Während von 1837 bis 1870 mehr als 35 % oder insgesamt 45 Promo-

vierte keinerlei Angaben zu ihrer Konfessions- resp. Religionszugehörigkeit machen, sind es in den

beiden folgenden Perioden jeweils mit ca. 5 % oder insgesamt 10 resp. 50 weit weniger. Es ist

anzunehmen, dass aufgrund der Gleichberechtigung der verschiedenen Religionsgruppen bezüglich

des Zugangs zur Lehre im Rahmen der Reichsverfassung von 1871 die Angabe der eigenen

Religions- resp. Konfessionszugehörigkeit wieder steigt. Zuvor war es nicht notwendig, sie in

jedem Falle anzugeben, denn die Abgrenzung erfolgte innerhalb der eigenen Religion und nicht

gegen eine andere, wie z. B. bei den an der Universität ab 1871 zugelassenen Juden. Insgesamt

geben die Promovierten jedoch weit öfter ihre Religions- resp. Konfessionszugehörigkeit an als die

Professoren. Während bei diesen zu 13,4 % keine Informationen zur Religions- resp.

Konfessionszugehörigkeit gefunden werden konnten, sind es bei den Promovierten mit 9,09 % fast

5 % weniger.213 Da Baumgarten die Daten ihrer Analyse nicht ebenso detailliert präsentiert wie bei

der sozialen Herkunft, ist die Vergleichsmöglichkeit mit den Professoren eingeschränkt und bezieht

sich lediglich auf das entsprechende Kapitel. Im Folgenden sollen die gewonnenen Daten detailliert

dargestellt und analysiert werden. Ein Vergleich mit der Entwicklung aller Studenten im Deutschen

212 Das „Statistische Jahrbuch des Deutschen Reiches“ erschien ab 1883 bis 1943 jährlich und umfasst die Jahre 1880 bis 1941/42. Hier: Statistisches Jahrbuch des Deutschen Reiches, 1908, S. 5.

213 Vgl. Baumgarten, Marita: Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert, S. 116.

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Reich ist nicht möglich, da erst „in der Zwischenkriegszeit deutschlandweite studentische

Konfessionsstatistiken erstellt wurden“.214

4.5.2 Evangelisch-Reformierte, Katholiken und Orthodoxe

Promovierte mit christlichem Hintergrund sind die bei Weitem grösste Gruppe. Zählt man nur jene

Promovierten, die eine Angabe zu ihrer Religionszugehörigkeit machen, machen sie in allen drei

untersuchten Perioden mehr als 85% aus. Die Gruppe der Evangelisch-Reformierten ist in allen drei

Perioden, mit knapp 48 % aller Promovierten zwischen 1837 und 1870, 76 % zwischen 1871 und

1899 sowie mehr als 72 % von 1900 bis 1913, weit in der Überzahl, sowohl gegenüber den anderen

christlichen Konfessionen als auch den restlichen Gruppen. Auch bei den Studenten sind die

evangelischen die grösste Gruppe. So studieren im Universitätsjahr 1911/1912 zwischen 2 582 und

2 770 Studenten evangelischer Konfession an der Philosophisch-historischen Fakultät, fast

sechsmal mehr als katholische.215 Der vergleichsweise niedrige Wert zwischen 1837 und 1870 rührt

von der grossen Zahl an Promovenden her, die keinerlei Angaben zu ihrer Religionszugehörigkeit

machen. Lässt man diese weg, beträgt der Wert in dieser Periode mehr als 75 % und wäre damit der

zweithöchste Wert aller drei Perioden.

Bei den Katholiken ist der höchste Wert in der ersten Periode mit über 13 % erreicht, in den

beiden folgenden Perioden ist er mit knapp 9 % und etwas über 10 % geringer. Der abnehmende

Wert kann sowohl statistisch begründet werden als auch mit dem sich intensivierenden Konflikt

zwischen Katholiken und Protestanten nach der Reichsgründung im Zuge des Kulturkampfes und

sich verstärkenden Konfessionalismus.216 Weder dafür noch dagegen spricht, dass der Anteil der

Katholiken an den Promovierten dem Anteil an der Studentenzahl entspricht. Mit 424 resp. 482

Studenten an der Philosophisch-historischen Fakultät im Universitätsjahr 1911/12 beträgt ihr Anteil

knapp 10 %. Orthodoxe Doktoranden gibt es zwischen 1837 und 1870 keine und auch danach ist

die Gruppe mit unter 1 % und exakt 2 % die kleinste der drei Konfessionen. Bei den Studenten

werden sie nicht einzeln aufgeführt, sondern zählen zur Gruppe der „sonstigen Bekenntnisse“, was

einen Vergleich erschwert. Da diese Gruppe jedoch weniger als 0,1 % aller Studenten ausmacht, 214 Dowe Christopher: Auch Bildungsbürger. Katholische Studierende und Akademiker im Kaiserreich, S. 304.215 Vgl. Statistik der Preussischen Landesuniversitäten mit Einschluss des Lyceum Hosianum zu Braunsberg, der

bischöflichen Klerikerseminare und der Kaiser-Wilhelm-Akademie für das militärische Bildungswesen zu Berlin für das Studienjahr zu Ostern 1911/12, S. 77.

216 Vgl. Strötz, Jürgen: Das Katholizismus um deutschen Kaiserreich 1871 bis 191. Strukturen eines problematischen Verhältnisses zwischen Widerstand und Integration, S. 149–150.

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kann gesagt werden, dass die Zahl der Orthodoxen unter den Promovierten gut zehnmal höher ist

als unter den Studenten.217 Diese Verhältnisse sind weitgehend identisch mit denen bei den

Professoren. Insgesamt 76,1 % aller Professoren gehören dem evangelischen Glauben an, davon

72 % dem protestantischen. Weitere 18,8 % waren katholischer Konfession, orthodoxe Professoren

werden keine genannt. Bei den Berliner Ordinarien sind gar 81 % protestantisch und 10 %

katholisch.218 Vergleicht man diese Zahlen mit denen der Stadt Berlin und des Deutschen Reiches an

sich, zeigt sich, dass die Universität einerseits weniger stark evangelisch-reformiert geprägt war als

Berlin. Hier sank der prozentuale Anteil an der Bevölkerung von mehr als 89 % im Jahr 1871 auf

knapp 82 % im Jahr 1910. Andererseits war er höher als im Deutschen Reich, wo von 1871 bis

1910 mit 62,3 % zu 61,5 % nur ein leicht fallender Prozentsatz zu verzeichnen ist.219 Etwas

differenzierter fällt der Vergleich mit den katholischen Promovenden aus. In der ersten Periode hat

die Universität noch einen weit höheren Wert als Berlin mit gut 5,9 %.220 Im Laufe der Jahre steigt

der prozentuale Anzahl der Katholiken in Berlin von 6,3 % im Jahr 1871, 10 % im Jahr 1900 bis auf

11,7 % im Jahr 1910, sodass der Wert zuletzt sogar leicht über dem der Studenten an der Universität

liegt. Er ist jedoch weit niedriger als der der Professoren, die ihren Anteil von 10 % auf 20 %

verdoppeln konnten.221 Die Universität hat im Vergleich zum Deutschen Reich mit konstant ca.

36 % Katholiken über den gesamten untersuchten Zeitraum einen teilweise mehr als viermal nideri-

geren Anteil an katholischen Promovierten als die Gesamtbevölkerung des Reiches.222 Ein Vergleich

mit den orthodoxen Promovierten ist anders als bei den beiden vorangegangenen Gruppen weit

schwieriger, da sie in der Untersuchung als eigene Gruppe, und damit getrennt von anderen

christlichen Gruppen wie den Mennoniten, geführt werden. In der offiziellen Statistik nach 1871

werden sie hingegen mit ebenjenen anderen christlichen Gruppen zusammengefasst. In Berlin wie

im gesamten Deutschen Reich beträgt der Prozentsatz dieser Gruppe „sonstiger christlicher

Konfession“ stets weniger als 1 % und liegt damit weit unter dem Höchstwert der orthodoxen Pro-

movenden von 2 % zwischen 1900 und 1913.223

217 Vgl. Statistik der Preussischen Landesuniversitäten mit Einschluss des Lyceum Hosianum zu Braunsberg, der bischöflichen Klerikerseminare und der Kaiser-Wilhelm-Akademie für das militärische Bildungswesen zu Berlin für das Studienjahr zu Ostern 1911/12, S. 77.

218 Vgl. Baumgarten, Marita: Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert, S. 116.219 Vgl. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 1880, S. 13. Vgl. ebd., 1910, S. 9.220 Es ist anzumerken, dass es in der Volkszählung Berlins die Gruppe der „anderen Christen“ nicht gibt, aber die der

„Dissidenten“. Vgl. Schwage, Herrmann: Die Resultate der Berliner Volkszählung vom 3. Dezember 1867. Bericht der Commission über die Ausführung der Zählung, 1869, S. 30–31.

221 Vgl. Baumgarten, Marita: Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert, S. 116.222 Vgl. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 1880, S. 13. Vgl. ebd., 1900, S. 7 und. ebd., 1915, S. 9.223 Vgl. ebd., 1880, S. 13 und ebd., 1900, S. 7 und ebd., 1915, S. 9.

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Vergleicht man die einzelnen Konfessionen in den einzelnen Perioden unter Berücksichtigung

der Promoviertenzahl zeigt sich die Entwicklung unabhängig von der Gesamtzahl der Promovierten.

In der Periode von 1900 bis 1913 ist mit 693 die höchste Zahl der evangelisch-reformierten Promo-

venden festzustellen, im Vergleich zu den Vorperioden sind es über 75 %. Stellt man dies jedoch in

Relation zur Entwicklung der evangelisch-reformierten Promoviertenanzahl an sich, so zeigt sich,

dass die Periode mit etwas mehr als 37 % sogar um 1,5 % weniger Promovenden zählt als die vor-

angehende Periode mit mehr als 38,5 %, Die Periode von 1837 bis 1870 ist hingegen nicht nur im

Vergleich zu den absoluten Zahlen, sondern auch den relativen mit etwas mehr 24 % am kleinsten.

Anders liegt der Fall bei den Katholiken. Hier stellen die Katholiken der ersten Periode zwar

absolut gesehen die kleinste Gruppe, sind bei den relativen Zahlen aber mit 40 % die grösste. Die

beiden folgenden Perioden sind mit über 27 % resp. 32 % weit kleiner. Bei den orthodoxen Promo-

venden erübrigt sich ein Vergleich der ersten Periode mit den beiden folgenden, da es während je-

ner, wie erwähnt, keinerlei Promovenden dieser Herkunft gibt. Auch in den beiden folgenden

Perioden ist die Zahl mit einem resp. später 19 Promovenden vergleichsweise klein. Relativ

gesehen macht die Gruppe der orthodoxen Promovenden zwischen 1900 und 1913 beinahe 82 %

aus, während es in der Periode zuvor nur wenig mehr als 18 % sind.

4.5.3 Juden

Wie erwähnt wurden Juden, wie alle anderen Angehörigen einer Konfession, erst durch die

Reichsgründung hinsichtlich des Zugangs zur Lehre zumindest rechtlich mit dem Christentum

gleichgestellt. Zwar konnten sie in Preussen von 1812 bis 1822 eine Professur erhalten, in den

folgenden Jahren wurde dieses Recht jedoch eingeschränkt. Mit der Reform der Fakultätssatzung

im Jahr 1838, die bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Kraft war, war es ihnen nur noch erlaubt,

als Pricatdozenten oder Extraordinarien tätig zu sein.224 Dennoch gibt es bereits in der Periode zuvor

zwei jüdische Promovenden, die mit 1,6 % aber eine vergleichsweise kleine Gruppe sind (rechnet

man nicht die Promovenden, die keine Angaben zur Konfession machen, sind es 2,6 %). Mit der

offiziellen Zulassung zum Studium steigt die Zahl der jüdischen Promovenden jedoch rapide. Zwar

ist ihr Anteil an den Promovierten mit 8,4 % zwischen 1871 und 1899 sowie 8,2 % von 1900 bis

1913 weiterhin geringer als der der Katholiken. Die Differenz zu diesen beträgt in der zweiten

Periode jedoch weniger als 0,5%, in der folgenden wieder 2,5 %. Gleichzeitig gab es im

224 Vgl. Baumgarten, Marita: Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert, S. 118.

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Universitätsjahr 1911/12 nur halb so viele jüdische wie katholische Studenten an der Philosophisch-

historischen Fakultät, an der juristischen und medizinischen studierten sogar mehr Juden als

Katholiken.225 Im Vergleich zur Bevölkerung Berlins wie dem Deutschen Reich stellen die Juden

damit eine überproportional grosse Zahl an Promovierten. 1961 betrug der Anteil der Juden an der

Gesamtbevölkerung Berlins knapp 4 %.226 In den folgenden Jahren bis 1871 steigt er auf 5 %, sinkt

danach aber bis 1910 auf 4,3 %, während er an der Universität beinahe doppelt so hoch ist. Im

Vergleich zum Deutschen Reich, wo der Anteil der jüdischen Bevölkerung in der gesamten Periode

ca. 1 % beträgt, ist er sogar achtmal höher.227 Insgesamt machen die Juden 7,63 % aller

Promovierten aus. Dieser verhältnismässig grosse Anteil wird bei einem Vergleich mit den

Professoren umso deutlicher. Lediglich 3,1 % aller Ordinarien im deutschen Reich waren jüdisch,

wobei zu beachten ist, dass für Juden in Berlin noch bis weit ins das 19. Jahrhundert hinein eine

ordentliche Professur nicht möglich war.228

Der Anstieg zeigt sich auch beim Vergleich der jüdischen Promovierten über alle drei Perioden

hinweg. Insgesamt wurden in der untersuchten Zeitperiode 99 jüdische Promovierte gezählt.

Betrachtet man die absoluten Zahlen, machen diese zwischen 1900 und 1913 mit insgesamt 78 über

79 % der Gesamtsumme aus, in der Periode zuvor etwas mehr als 19 %. Ein Vergleich der relativen

Zahlen unter dem Aspekt des allgemeinen Wachstums an Promovierten zeigt jedoch, dass der

Eindruck einer im Verhältnis zur Studentenzahl immer grösser werdenden Gruppe von jüdischen

Promovierten täuscht. Denn tatsächlich ist der Wert in der Periode von 1900 bis 1913 relativ be-

trachtet mit 44 % sogar um 2 % kleiner als in der Periode von 1871 bis 1899. Die Periode von 1837

bis 1870 weist lediglich noch einen Anteil von knapp 9 % auf und ist damit sowohl absolut wie

relativ die kleinste der drei Perioden.

4.5.4 Andere Religionen und Konfessionslose

Mit nur insgesamt 14 Promovierten stellt diese Gruppe, welche sämtliche Religionen umfasst, die

keiner der bereits präsentierten zugeordnet werden konnten, lediglich 1 % der Gesamtzahl an Pro-

movierten. Sowohl zwischen 1837 bis 1870 als auch zwischen 1900 und 1913 beträgt der Anteil 225 Vgl. Statistik der Preussischen Landesuniversitäten mit Einschluss des Lyceum Hosianum zu Braunsberg, der

bischöflichen Klerikerseminare und der Kaiser-Wilhelms-Akademie für das militärische Bildungswesen zu Berlin für das Studienjahr zu Ostern 1911/12, S. 77.

226 Vgl. Schwage, Herrmann: Die Resultate der Berliner Volkszählung vom 3. Dezember 1867, S. 30–31.227 Vgl. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 1880, S. 13 und ebd., 1900, S. 7 und ebd., S. 9.228 Vgl. Baumgarten, Marita: Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert, S. 116–118.

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dieser Gruppe an der Summe aller Promovierten weniger als 1%, lediglich in der zweiten Periode

ist der Wert mit über 1,5 % etwas höher. Dennoch übersteigt er damit den Wert in der Stadt Berlin

und im Deutschen Reich. In Berlin wächst er zunächst von 0,2 % im Jahr 1861229 auf 0,8 % im Jahr

1900, fällt dann aber in den folgenden Jahren wieder auf 0,5 % zurück und bleibt damit permanent

unter dem Wert der Promovierten. Noch grösser ist der Unterschied gegenüber dem Wert im

Deutschen Reich, wo in der Statistik von 1871 noch der relative Wert angegeben wird, der nur

0,03 % beträgt. In den folgenden Ausführungen wird nur noch die absolute Zahl angegeben, der

relative Wert fällt ganz weg.230 Da Baumgarten keine Angaben zu den Professoren anderer

Religionen macht, ist hier ein Vergleich nicht möglich. Angegeben werden einzig einige wenige

Fälle, in denen sich Ordinarien von ihrem Glauben abwandten und konfessionslos wurden, wie z. B.

der Göttinger Orientalist Paul de Lagarde. Diese machen jedoch nur 0,4 % aller Professoren aus und

liegen damit unter dem Durchschnittswert der Promovierten.231

Aus den genannten Gründen sollen zumindest die offiziellen Angaben mit dem Resultat dieser

Untersuchung in gebotener Kürze verglichen werden. Ein Vergleich der relativen Werte zeigt auf,

dass, wie bei den Promovierten jüdischer resp. evangelisch-reformierter Herkunft, die Periode von

1900 bis 1913 von den absoluten Werten her die grösste ist, relativ gesehen hingegen die Periode

zuvor. Der Unterschied fällt mit über 50 % zu 27 % weit grösser aus als bei den anderen Gruppen.

Insofern gleichzeitig auch der prozentuale Anteil an der Summe der Promovierten von 1,8 % auf

1 % sinkt, lässt sich argumentieren, dass die steigende Zahl von Promovenden an der Universität

nicht zwingend mit einer kulturellen, hier religiösen, Öffnung einhergeht. Von 14 Promovenden

dieser Gruppe geben sechs an, konfessionslos zu sein. Die anderen acht gehören jeweils

unterschiedlichen Religionen an, vier davon verschiedenen christlichen Strömungen wie Anglikaner

oder Mennoniten, drei weitere gehören fernöstlichen Religionen, Schintoismus, Buddhismus und

Parsismus, an. Nur ungenaue Angaben machen zwei Promovenden. Das letzte Mitglied dieser

Gruppe gibt an, einer „alten Glaubensrichtung“ anzugehören, wobei es sich um verschiedene

Religionen handeln kann und somit keine genauere Zuteilung möglich ist.

229 Vgl. Schwage, Herrmann: Die Resultate der Berliner Volkszählung vom 3. Dezember 1867, S. 30–31.230 Vgl. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 1880, S. 13 und ebd., 1900, S. 7 und ebd., S. 9.231 Vgl. Baumgarten, Marita: Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert, S. 116.

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Letztlich zeigt die Verteilung zweierlei: Einerseits die „wissenschaftliche Weltanschauung“

des 19. Jahrhunderts, die sich an „nachweislichen Entwicklungsgesetzen orientiert“,232 an der Zahl

der konfessionslosen Promovierten ab den 1890er-Jahren. Auch die deutschen Auslandsschulen

spielten möglicherweise eine Rolle. Deren Fokus lag ab dem frühen 20. Jahrhundert auf den

asiatischen Ländern, dies dürfte mit ein Grund für die grosse Zahl an Promovenden fernöstlicher

Religionszughörigkeit bei gleichzeitig vollständigem Fehlen geografisch näher liegender Religionen

wie dem Islam.233 Hinzu kommt, dass China bereits ab 1900 deutsche Lehrer ins Land holte und

zehn Jahre später deutsche Hochschullehrer an die neu gegründete Universität in Peking berief.234

Diese Entwicklung setzte jedoch erst um 1900 ein und damit zu spät, um einen direkten Einfluss auf

die Zahl der Promovierten im untersuchten Zeitraum annehmen zu können. Der exakte Einfluss

dieses Engagements müsste durch weitere Untersuchungen, insbesondere bezüglich des zeitlichen

Rahmens, dargestellt werden.

4.6 Einige Religions-/Konfessionsgruppen im Vergleich

4.6.1 Die Juden

Insgesamt wurden 98 jüdische Promovierte gezählt, davon 2 in der ersten, 19 in der zweiten und 77

in der letzten Periode. Die tatsächliche Zahl der Promovierten mit jüdischer Erziehung dürfte in den

ersten beiden Perioden jedoch weit grösser gewesen sein. Dies ergibt sich aus der Tatsache, dass

von elf Geisteswissenschaftlern, von denen bekannt ist, dass sie jüdischen Glaubens waren und bis

1906 an die grösseren Universitäten im Deutschen Reich berufen wurden, sieben bis Ende der

1880er-Jahre zum Protestantismus übergetreten sind, von einem weiteren ist das Übertrittsjahr nicht

bekannt. Dabei geschah der Übertritt bereits als Jugendlicher resp. kurz vor der Beginn der wissen-

schaftlichen Laufbahn. Mit der Verstärkung der „emanzipatorischen Bestrebung“ des Judentums zu

Beginn des 20. Jahrhunderts endeten auch die Übertritte, wobei dies nicht immer mit einer weiteren

Öffnung der Berufungspraxis einherging. So wurde die Berufung des jüdischen Kunsthistorikers

Adolf Traube in München aufgrund seiner Weigerung, seine Religion zu wechseln, lange verzögert.

Gleichzeitig bedeutete der Übertritt nicht zwingend ein Ende der Diskriminierung: dass man als

232 Vgl. vom Bruch, Rüdiger: Bürgerlichkeit, Staat und Kultur im Deuschen Kaiserreich, Franz Steiner Verlag: Stuttgart, 2005, S. 18.

233 Vgl. Geheime Denkschrift des Auswärtigen Amtes über das deutsche Auslandsschulwesen, April 1914, S. 282.234 Vgl. Düwell, Kurt: Deutschlands Auswärtige Kulturpolitik 1918–1932. Grundlinien und Dokumente, S. 61.

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Jude geboren wurde, haftete einem auch nach dem Übertritt weiter an.235 Aufgrund dieser Entwick-

lung, insbesondere der Tatsache, dass der Übertritt als Jugendlicher resp. vor Beginn der wissen-

schaftlichen Laufbahn erfolgte, ist zu erwarten, dass es auch unter den Promovierten vor 1900 Fälle

gibt, die vor Beginn ihrer Doktorarbeit, welche gleichzeitig den Beginn der wissenschaftlichen

Laufbahn darstellt, ihre Religion gewechselt haben. Dies müsste jedoch von Fall zu Fall mithilfe ei -

ner vertieften Untersuchung des Lebenslaufs des jeweiligen Promovierten geprüft werden, was den

Rahmen dieser Arbeit sprengen würde.

Im Gegensatz zu den Katholiken waren Juden nicht älter, sondern in allen drei Perioden jünger

als der Durchschnitt. So betrug der Altersdurchschnitt der ersten beiden Promovierten in der ersten

Periode lediglich 23 Jahre, womit er gut eineinhalb Jahre unter dem Durchschnitt lag. In den beiden

folgenden Perioden näherte er sich dem Durchschnitt bis auf ein halbes Jahr an. Mit 20,41 % resp.

insgesamt 20 jüdischen Promovierten kommt mehr als jeder fünfte aus dem Ausland. Die grösste

Gruppe stellen dabei die jüdischen Promovierten aus Russland mit zehn, allesamt in der letzten Pe-

riode von 1900 bis 1913, gefolgt von den Österreichern mit fünf und denen aus den USA mit insge-

samt zwei. Innerhalb der jüdischen Promovierten aus dem Deutschen Reich kommt die grösste Zahl

aus Berlin, zugleich aber kein einziger aus Brandenburg. Insgesamt stellen sie 39,80 % aller jüdi-

schen Promovierten und 57,35 % derjenigen aus dem Deutschen Reich. Insbesondere nach der Zu-

lassung der Juden zum Studium ist der Anteil derer aus Berlin in der mittleren Periode mit 31,58 %

und in der letzten Periode mit 42,86 % besonders hoch, während beide jüdischen Promovierten, die

noch vor der offiziellen Zulassung 1871 promoviert wurden, nicht aus Berlin, sondern aus Pom-

mern und Westpreussen stammten. Im Gegensatz zu den katholischen verteilt sich die Zahl der jüdi-

schen Promovierten auf die westlichen wie östlichen preussischen Provinzen weit stärker. So kom-

men insgesamt 15 jüdische Promovierte aus den Provinzen Posen, Schlesien und Westpreussen,

während es aus den westlichen Provinzen Hessen-Nassau, Hannover, Sachsen und Rheinprovinz de-

ren 12 sind. Aus den restlichen deutschen Staaten kamen nur in der letzten Periode jüdische Promo-

vierte, insbesondere aus Bayern und dem Grossherzogtum Hessen. Insgesamt machen diese denn

auch nur 10,20 % aller jüdischen Promovierten aus gegenüber 12,31% im Vergleich zu sämtlichen

Promovierten.

In Bezug auf die soziale Herkunft ist insbesondere der grosse Anteil der oberen Mittelschicht

auffällig. Während im Durchschnitt 58,16 % aller jüdischen Promovierten aus dieser Klasse 235 Vgl. Baumgarten, Marita: Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert, S. 116.

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stammen, sind es in der letzten Periode sogar 74,02 %. In beiden Fällen liegt der Anteil damit weit

über dem Durchschnitt aller Promovierten mit 43,86 % resp. 54,36 % in der letzten Periode.

Innerhalb der Klasse der oberen Mittelschicht ist insbesondere die Unterklasse des

Besitzbürgertums mit 80,70 % – doppelt so viel wie im Durchschnitt – übermässig stark vertreten.

Bei den Grosshändlern ist fast jeder vierte in der letzten Periode jüdischer Herkunft. Die Werte der

beiden anderen Gruppen, dem beamteten und dem freiberuflichen Bildungsbürgertum, liegen mit

8,77 % resp. 10,53 % entsprechend niedriger. Gar nicht vertreten sind die Juden bei den Staats-,

Lokal- und Hofbeamten sowie bei den Offizieren. Auf der anderen Seite sind die juristischen

Berufe, Rechtsanwälte und Justizbeamte, mit je 3,51 % bei den jüdischen Promovierten relativ stark

vertreten. Weit unter dem Durchschnitt liegt hingegen der Anteil des Adels und der unteren

Mittelschicht. Während ersterer in der letzten Periode mit einem Vertreter 1,30 % aller jüdischen

Promovierten ausmacht, sind es bei der unteren Mittelschicht nur 5,10 %. Insbesondere die untere

Mittelschicht liegt dabei mehr als 15 % unter dem Durchschnitt aller Promovierten mit 20,96 %.

Die soziale Herkunft zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich bei den jüdischen Promovierten

exemplarisch die „um 1900 vollzogene Verbürgerlichung [der deutschsprachigen Gesellschaft] vor

dem Hintergrund der Urbanisierung, der Berufsstruktur mit dem hohen Anteil selbstständiger

Erwerbsarbeit und die spezielle Lage einer Minderheit, die zu ihrer Anerkennung und

gesellschaftlichen Inklusion in der Regel mehr leisten musste als die Mehrheitsbevölkerung“236

zeigt.

4.6.2 Die Katholiken

Im Folgenden soll die Gruppe der katholischen Promovierten genauer untersucht werden, insbeson-

dere ihre soziale und geografische Herkunft im Vergleich zu den anderen Promovierten. Da das

Universitätslehramt ein protestantisch geprägtes Milieu war, wäre bei katholischen wie jüdischen

Promovierten die Frage des Konfessionswechsels zu stellen. So wechselten von 31 katholischen

Geisteswissenschaftlern, die an grösseren evangelisch geprägten Universitäten tätig waren, jeder

vierte seine Konfession resp. wurde konfessionslos.237 Wie bei den Juden stellt sich das Problem,

dass in der ersten und zweiten Periode mit 16 resp. 20 Promovierten eine sehr geringe Zahl an Fäl-

236 Hoffmann-Ocon, Andreas: Pionierinnen – Mitstreiterinnen – Ausgegrenzte. Jüdische Lehrerinnen und Studentinnen in Deutschland. In: Maurer, Trude (Hrsg.): Der Weg an die Universität. Höhere Frauenstudien vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert, Wallstein Verlag: Göttingen, 2010, S. 211–235, hier: S. 214.

237 Vgl. Baumgarten, Marita: Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert, S. 116.

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len zur Verfügung steht, insbesondere im Vergleich zur letzten Periode mit 102. Aus diesem Grund

sind die folgenden Ausführungen zur ersten und zweiten Periode mit Vorsicht zu betrachten. Dies

zeigt sich bereits beim Durchschnittsalter: In der ersten Periode liegt es mit 22,38 Jahren mehr als

zwei Jahre unter dem Durchschnittswert liegt, in der nachfolgenden Periode mit 27,55 Jahren fast

drei Jahre über dem allgemeinen Durchschnitt. Dieser verhältnismässig starke Anstieg ist mit gros-

ser Wahrscheinlichkeit der geringen Zahl an Fällen geschuldet, denn in der letzten Periode von 1900

bis 1913 liegt der Wert mit 27,57 nur noch gut ein Jahr darüber.

Die katholischen Promovierten kommen in allen drei Perioden mehrheitlich aus den preussi-

schen Provinzen. Gegen den Trend können sie ihren Anteil von 60,00 % in der Periode von 1871 bis

1899 auf 63,64 % in der letzten Periode steigern. Gleichzeitig steigt die Zahl der katholischen Pro-

movierten aus dem gesamten Deutschen Reich von 70,00 % auf 73,43 % an. Die Zahl der katholi-

schen Promovierten aus den restlichen deutschen Staaten bleibt entsprechend gleich hoch bei gut

10 % und damit um 3 % niedriger als der Durchschnitt aller Promovierten aus den restlichen deut-

schen Staaten. Interessanterweise ist eine Verschiebung der Herkunft von West nach Ost innerhalb

der preussischen Provinzen festzustellen. In der ersten Periode kommen 9 von 15 katholischen Pro-

movierten aus Posen, doch bereits in der mittleren Periode von 1871 bis 1899 ebenso viele aus den

westlichen wie aus den östlichen Provinzen. In der letzten Periode sind die katholischen Promovier-

ten aus den westlichen Provinzen, insbesondere der Rheinprovinz und Westfalen, in der Überzahl.

Bei den übrigen deutschen Regionen ist eine solche Verschiebung rein geografisch nicht möglich.

Es zeigt sich jedoch, dass katholisch geprägte Länder mit eigenen bekannten Universitäten, wie

München, Heidelberg und Giessen, einen überproportional grossen Anteil haben insbesondere im

Vergleich zur Gesamtsumme. So beträgt z. B. der Anteil der bayerischen Promovierten an der Ge-

samtzahl der nicht aus Preussen stammenden Deutschen in der letzten Periode 11,18 %. Betrachtet

man jedoch nur die katholischen Promovierten, sind es mit 42,86 % fast viermal mehr. Wie erwähnt

kommen katholische Promovierte, im Vergleich zur Gesamtzahl, weniger häufig aus dem Deutschen

Reich. Dem steht die relativ grosse Zahl an katholischen Promovierten aus dem Ausland gegenüber.

Während in der ersten Periode keine katholischen Promovierten aus dem Ausland gezählt wurden,

sind es mit 25,49 % in der zweiten und 21,68 % in der letzten Periode mehr als doppelt so viele wie

der Durchschnittswert aller Promovierten. Insgesamt kommen 31 katholische Promovierte kommen

aus dem Ausland. Die mit Abstand grösste Gruppe stellen die Österreicher: Von den 31 Promovier-

ten aus Österreich sind 14 oder 45,16 % Katholiken. In der letzten Periode stellen sie, nach der

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Rheinprovinz und Posen, sogar insgesamt die drittgrösste Gruppe. Die nächstgrösste Gruppe mit

fünf Vertretern stellen die katholischen Promovierten aus Rumänien. Alle anderen Länder, einsch-

liesslich der Schweiz, stellen maximal zwei Promovierte.

Bei der sozialen Herkunft machen die katholischen Promovierten etwas häufiger keine

Angaben machen als der Durchschnitt. Dies gilt nicht nur für die erste und zweite Periode, in denen

die Zahl der Promovierten, die keine Angaben machen, allgemein hoch ist, sondern auch für die

letzte Periode, in der 15,59 % aller katholischen Promovierten keine Informationen zu ihrer sozialen

Herkunft geben, immerhin fast 2 % mehr als der Durchschnitt. Insgesamt machen 31,39 % aller

katholischen Promovierten keine Angaben, immer noch 0,73% mehr als der Durchschnitt. Ein

Vergleich der einzelnen Klassen zeigt, dass die Katholiken weit häufiger aus dem Adel wie der

unteren Mittelschicht stammen, während die obere Mittelschicht einen geringeren Anteil hat. So

kommen 27,74 % aller Katholiken aus der unteren Mittelschicht gegenüber 20,96 % im

Gesamtdurchschnitt, beim Adel sind es mit 4,35 % fast 1,50 % mehr als im Durchschnitt. Noch

deutlicher wird der Unterschied, wenn man nur die letzte Periode betrachtet. Beim unteren

Mittelstand ist der Anteil mit 36,27 % um fast 10 % höher, beim Adel mit 5,83 % um 2,36 %. Bei

der unteren Mittelschicht ist insbesondere der alte Mittelstand stark vertreten. Von den 37

Mitgliedern des unteren Mittelstandes sind 13 Handwerker sowie acht Bauern zu finden. Im

Vergleich zum allgemeinen Durchschnitt, wo der alte Mittelstand weniger als ein Viertel dieser

Klasse ausmacht, ist er bei den Katholiken mit über 50 % mehr als doppelt so hoch. Dabei ist

insbesondere die Zahl der katholischen Ausländer, welche aus Rumänien und Österreich kommen,

unter den Bauern mit vier von acht relativ gesehen äusserst hoch. Diese grosse Zahl an Ausländern

zeigt sich auch beim Adel. Vier der sechs dieser Klasse zugeordneten katholischen Promovierten

kommen aus dem Ausland. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass der bereits sehr hohe Anteil an

Ausländern unter den katholischen Promovierten unter den Adeligen und dem alten Mittelstand

noch höher ist.

4.6.3 Die Orthodoxen

Die orthodoxen Promovierten stellen unter den christlichen Konfessionen die kleinste Gruppe. Ins-

gesamt wurden 20 orthodoxe Promovierte gezählt, davon zwei in der mittleren und 18 in der letzten

Periode. Aufgrund der geringen Zahl an Fällen wie auch der Tatsache, dass die Orthodoxen in den

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jeweiligen Statistiken nicht einzeln aufgeführt werden, sind die folgenden Vergleiche und Ausfüh-

rungen, die sich hauptsächlich auf die Periode von 1900 bis 1913 beziehen, ebenso kurz gefasst wie

mit der entsprechenden Vorsicht zu betrachten.

Wie bei den Katholiken liegt das Durchschnittsalter der orthodoxen Promovierten mit 32 Jahren in

der mittleren und 28,53 in der letzten Periode über dem allgemeinen Durchschnitt. Jedoch kommt

im Gegensatz zu allen anderen Konfessionen kein orthodoxer Promovierter aus dem Deutschen

Reich. Diesem Wert darf jedoch aufgrund der geringen Zahl an Fallbeispielen nicht zu grosse

Bedeutung beigemessen werden. Die meisten orthodoxen Promovierten kommen aus Rumänien mit

acht, gefolgt von Bulgarien mit vier und Serbien mit drei. Der einzige orthodoxe Promovend aus

einem in Teilen deutschsprachigen Land kommt aus Österreich, genauer aus Wien. Bei der sozialen

Herkunft zeigt sich, dass die orthodoxen im Vergleich zu den jüdischen und katholischen

Promovierten näher am Durchschnitt sind, insbesondere in Bezug auf die obere Mittelschicht.

Insgesamt kommen 57,89 % aller orthodoxen Promovierten aus dieser Klasse, etwas mehr als 3 %

als im Durchschnitt. Wie beim Judentum ist insbesondere das Besitzbürgertum, genauer gesagt die

Gruppe der Grosshändler, stark, das beamtete wie das freiberufliche Bildungsbürgertum hingegen

fast gar nicht vertreten. Bei der Klasse des Adels wie der unteren Mittelschicht sind die

Unterschiede weit grösser. Während der Adel mit nur einem Vertreter aus der Gruppe der Gutsbesit-

zer oder 5,26 % über dem Durchschnitt liegt, liegt der untere Mittelstand mit 15,79 % deutlich

darunter.

4.7 Frauen

4.7.1 Übersicht

Im Unterschied zu den USA, wo Frauen bereits ab 1870 an einzelnen Universitäten regulär studie-

ren,238 und Russland, wo Frauen schon 1859 Vorlesungen als Gasthörerinnen besuchen durften,239

wurden Frauen in Preussen erst ab 1908 offiziell zum Studium sämtlicher Studiengänge zugelas-

sen,240 wobei sie nach wie vor „aus besonderen Gründen […] mit Genehmigung des Ministers […] 238 Vgl. Mazón, Patricia: Die erste Generation von Studentinnen und die Zulassung der „besseren Elemente“

1890–1914, S. 122.239 Vgl. Maurer, Trude: Emanzipierte Untertaninnen: Frauenstudium im Russischen Reich. In: Dies. (Hrsg.): Der Weg

an die Universität, Höhere Frauenstudien bis zum 20. Jahrhundert, Wallstein Verlag: Göttingen, 2010, S. 108–146, hier: S. 135.

240 Vgl. Mazón, Patricia: Gender and the Modern Research University, S. 10.

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von der Teilnahme an einzelnen Vorlesungen ausgeschlossen werden“241 konnten. Zwar besuchten

bereits in den frühen 1870er-Jahren einzelne Frauen Vorlesungen, ohne eine entsprechende

Erlaubnis zu besitzen, doch wurde durch gesetzliche Verschärfungen und die Einführung

bürokratischer Hürden den Frauen bis gegen Ende der 1880er-Jahre an fast allen Universitäten das

Studium verweigert. Aus diesem Grund war es bis dahin für Promovenden nicht notwendig, ihr

Geschlecht im Lebenslauf anzugeben.242 Die Information, ob ein Promovend weiblichen

Geschlechts ist, ist in der Regel aus dem Vornamen entnommen. Ist diese Angabe unklar, wurden

weitere Informationen im Lebenslauf gesucht, zum Beispiel ob die Verfasserin der Doktorarbeit

Tochter oder Ehefrau sei oder ob weibliche Personalpronomen und andere weibliche Wortformen in

Bezug auf die Verfasserin der Dissertation verwendet werden. Im Gegensatz zu den anderen Kate-

gorien gibt es keine fehlenden Angaben und es war, mit einer Ausnahme, in allen Fällen möglich,

das Geschlecht zu bestimmen.

Insgesamt wurden 36 Promoviertinnen gezählt, alle zwischen 1900 und 1913. Zwischen 1900

und 1913 machen die Frauen damit lediglich knapp 3,8 % aller erfassten Promovierten aus,

während sie 1914 schon 10 % stellten.243 Der einzige Fall, bei dem nicht klar ermittelt werden

konnte, ob es sich um eine Frau handelt, ist der Kandidat Margarites Evangelides aus dem Jahr

1882. Zwar deutet der Vorname auf eine Promoviertin, doch verwendet der Gutachter in den

Dokumenten stets die männliche Form „Candidat“.244 Zudem spricht das Jahr 1882 gegen eine

Promoviertin, da in diesem Fall die erste Frau mehr als 20 Jahre vor der regulären Zulassung der

Studentinnen an der Universität promoviert worden wäre. Aus diesen Gründen wird dieser Fall von

der weiteren Analyse ausgeschlossen, da keine abschliessende Zuordnung möglich war. Auch im

Vergleich zu bereits vorhandenen Untersuchungen sind Unterschiede aufgefallen. So zählt Vogt

zwischen 1899 bis zur Zulassung der Frauen zum Studium im Jahr 1908 22 Frauen, die als

„Ausnahmepromovendinnen“ der Philosophischen Fakultät zugelassen wurden, davon 17 in den

241 Ministerialerlass vom 18. August 1908 auf Zulassung von Frauen zum Universitätsstudium, Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien der HU Berlin und Projektgruppe Edition Frauenstudium: Störgrösse „F“, Frauenstudium und Wissenschaftlerinnenkarrieren an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, 1892 bis 1945, Eine kommentierte Aktenedition, Trafo Verlag: Berlin 2010, S. 82.

242 Eine der wenigen Promoviertinnen ist die Mathematikerin Sofia Kovaleskaia aus Russland, die von der Universität Göttingen 1873 in absentia promoviert wurde. Vgl. Mazón, Patricia: Gender and the Modern Research University, S. 118.

243 Vgl. Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien der HU Berlin und Projektgruppe Edition Frauenstudium: Störgrösse „F“, S. 107.

244 Die Dokumente zu diesem Kandidat sind zu finden im Archiv der Humboldt Universität in HUB, UA, Phil. Fak. Nr. 258.

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geistes- und fünf in den naturwissenschaftlichen Fächern.245 Bei den Recherchen wurde jedoch eine

weitere Promoviertin im Bereich der Geisteswissenschaften gezählt, die Vogt nicht erwähnt, deren

Existenz aber durch einen Beleg im Katalog der Staatsbibliothek Berlin nachgewiesen werden

konnte.246Die folgenden Ausführungen beschränken sich aus Gründen der Vergleichbarkeit auf die

Periode zwischen 1900 und 1913. Frauen erscheinen aufgrund der offiziellen Zulassung um 1908

im Allgemeinen erst ab 1909 in den Statistiken über alle Universitäten.247 Davor werden sie jeweils

nur als die Gasthörerinnen, teils mit exakten Zahlen, teils nur mit dem Vermerk „einige“, in den Be-

richten der Dozenten erwähnt.248 Berlin war mit Abstand der bei Frauen beliebteste Studienort:249

Waren Mitte der 1890er-Jahre lediglich 77 Gasthörerinnen zugelassen, verzehnfachte sich ihre Zahl

in nur zehn Jahren auf 777 Gasthörerinnen.250 Zum Wintersemester 1909/10 machten Frauen mit

1814 Studentinnen im Schnitt 3,5 % aller Studenten an den preussischen Universitäten aus, davon

mehr als die Hälfte (988), wovon lediglich ein Drittel reguläre Studentinnen waren, an der Fried-

rich-Wilhelms-Universität zu Berlin.251 In den folgenden Jahren nahm die Zahl der Studentinnen

stetig zu, sodass zum Wintersemester 1911/12 mit einer Gesamtzahl von insgesamt 2 727 Studen-

tinnen 5 % aller Studenten weiblich waren;252 damit war innerhalb kürzester Zeit der Anteil erreicht,

den die Studentinnen in Russland, wo der Zugang von Frauen zur Universität bereits früher möglich

war, hatten.253 Mit 1 115 Studentinnen, davon noch 270 als Gasthörerinnen, nahm die Friedrich-Wil-

helms-Universität zu Berlin zwar weiterhin eine führende Rolle ein, im Vergleich zum Vorjahr hat

245 Vgl. Vogt, Anette: Die Ausnahmepromovendinnen (1899–1909). In: Ausstellungsgruppe an der Humboldt-Universität zu Berlin, Zentrum für interdisziplinäre Frauenforschung (Hrsg.): Von der Ausnahme zur Alltäglichkeit: Frauen an der Berliner Universität Unter den Linden, Trafo Verlag: Berlin, 2003, S. 33–38, hier: S. 33.

246 Es handelt sich hier um die Promoviertin Grace Fleming-Swearingen, welche unter HUB, UA, Phil. Fak. Nr. 392 im Archiv der Humboldt Universität dokumentiert ist und dort als „Fräulein“ bezeichnet wird.

247 Vgl. Statistik der Preussischen Landesuniversitäten mit Einschluss des Lyceum Hosianum zu Braunsberg, der bischöflichen Klerikerseminare und der Kaiser-Wilhelms-Akademie für das militärische Bildungswesen zu Berlin für das Studienjahr zu Ostern 1911/12, S. 29.

248 Vgl. Czech, Uwe: Die Staats-, Kamera- und Gewerbewissenschaften an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin von 1871 bis 1918. Wissenschaftliche Hausarbeit zur Ersten Staatsprüfung für das Amt des Studienrats, Berlin, 2007, S. 16.

249 Vgl. Lund, Hannah: Blaustrumpf – Knäbin – Pionierin!. Die Berliner Studentin 1908–1918. In: Ausstellungsgruppe an der Humboldt-Universität zu Berlin, Zentrum für interdisziplinäre Frauenforschung (Hrsg.). Von der Ausnahme zur Alltäglichkeit: Frauen an der Berliner Universität Unter den Linden, S. 49–57, hier: S. 49.

250 Vgl. Mazón, Patricia: Gender and the Modern Research University, S. 120.251 Vgl. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 1911, S. 275.252 Nicht mitgezählt wurden jeweils die „Hospitanten und Hörer“. Vgl. Statistik der Preussischen Landesuniversitäten

mit Einschluss des Lyceum Hosianum zu Braunsberg, der bischöflichen Klerikerseminare und der Kaiser-Wilhelms-Akademie für das militärische Bildungswesen zu Berlin für das Studienjahr zu Ostern , 1911/1912, S. 29.

253 Vgl. Maurer, Trude: Emanzipierte Untertaninnen: Frauenstudium im Russischen Reich, S. 133.

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sich die Zahl der Frauen an den preussischen Universitäten jedoch mehr verteilt.254 Die Studentin-

nen studierten verstärkt an der Philosophisch-historischen Fakultät, insbesondere moderne Spra-

chen, Geschichte und Mathematik:255 Waren es zu Beginn der Öffnung des Studiums für die Frauen

mit 48 % noch weniger als die Hälfte der Studentinnen,256 so ein Jahr später mit 52 % mehr als die

Hälfte.257

Abgesehen von der zahlenmässigen Vertretung gibt es auch in den anderen Bereichen markan-

te Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Promoviertinnen waren im Schnitt fast fünf Jahre

älter als ihre männlichen Kollegen.258 Der Hauptgrund für diesen Unterschied liegt in den zusätzli-

chen Jahren, die eine Frau benötigte, um das Abitur zu erlangen.259 Der „Aufstiegswille“ war bei

den Frauen in Bezug auf die Klasse insofern weniger stark, als dass Studentinnen wie Promoviertin-

nen weit häufiger aus der oberen Mittelschicht kamen, somit bereits zur höchsten bürgerlichen

Klasse gehörten. Unter den Studentinnen machten jene mit einem akademisch gebildeten Vater

42 % aus, jene des Besitzbürgertums bis zu 30 %. Des Weiteren war die Wahrscheinlichkeit bei ei-

ner Promoviertin wie Studentin, dass sie jüdisch war, fast zweieinhalbmal höher als bei männlichen

Kommilitonen. In Bezug auf die christlichen Promovierten sind die Unterschiede minimal, wenn-

gleich es keine Promoviertinnen mit orthodoxer Konfession gibt, wobei die Zahl der Jüdinnen in

Berlin fast dreimal grösser war als die der Katholikinnen.260 Ein weiterer grosser Unterschied zeigt

sich bei der geografischen Herkunft. Mit über 36 %, fast die Hälfte davon aus den USA, ist der Pro-

zentsatz der Ausländerinnen unter den Frauen an der Friedrich-Wilhelms-Universität fast dreimal so

hoch als unter den Männern innerhalb des gleichen Zeitraums, während sowohl aus Preussen wie

dem gesamten Deutschen Reich im Vergleich zu den Männern jeweils fast 20 % weniger Promo-

viertinnen kommen. Auffallend ist dabei der Unterschied zwischen den jeweiligen Religionen resp.

Konfessionen an den Ausländerinnen. Während bei den jüdischen und evangelischen Promoviertin-

nen der Anteil an Ausländerinnen 28,57 % resp. 32,00 % beträgt, ist er bei den katholischen mit

75 % mehr als doppelt so gross. Bei den Promoviertinnen aus Deutschland kommen zwölf und da-

254 Vgl. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 1913, S. 307.255 Vgl. Mazón, Patricia: Gender and the Modern Research University, S. 146.256 Vgl. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 1911, S. 275.257 Vgl. ebd., 1913, S. 307.258 Der Altersunterschied glich sich durch die gleiche Vorbildung von Frauen und Männern in den folgenden Jahren

an. Vgl. Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien der HU Berlin und Projektgruppe Edition Frauenstudium: Störgrösse „F“, S. 107.

259 Vgl. Mazón, Patricia: Gender and the Modern Research University, S. 145.260 Vgl. ebd., S. 145.

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mit mehr als ein Drittel aus Berlin, wobei Preussen mit 20 der 23 aus dem Deutschen Reich stam-

menden Promoviertinnen auch insgesamt überproportional vertreten ist. Im Durchschnitt ist die Pro-

moviertin des untersuchten Zeitraumes 31 Jahre alt, kommt aus Berlin, ist evangelischer Herkunft

und stammt aus dem Besitzbürgertum der oberen Mittelschicht.

4.7.2 Die Frau als Studentin und Promoviertin

Im Folgenden sollen die Ergebnisse der Analyse der Promoviertinnen mit der Entwicklung des Zu-

gangs der Frauen zur Universität, von der Rolle als Gasthörerin zur Studentin, verglichen werden.261

Generell wurden Frauen gegen Ende des 19. Jahrhunderts aktiver und sichtbarer in der Gesellschaft,

Wirtschaft und Politik.262 Grundsätzlich ist der Zugang von Frauen zum Studium auf zwei verschie-

dene Impulse zurückzuführen. Einerseits war ebendieser Zugang das Ziel „der bürgerlichen Frauen-

bewegung“, ausgelöst durch die vollberufliche Tätigkeit der Frauen als Lehrerinnen, die steigende

Nachfrage an weiblichen Ärzten sowie die „anachronistische[…] Isolation“ durch die Gründung

von Mädchengymnasien bei gleichzeitiger Beibehaltung des Ausschlusses von Frauen vom Studi-

um.263 Gleichzeitig führten „die Veränderungen im Bürgertum und damit einhergehend in den Ge-

schlechterrollen als auch die allgemeine Modernisierung Deutschlands“ dazu, dass die Forderung,

auch Frauen zum Studium zuzulassen, in der Gesellschaft immer breitere Unterstützung fand.264

Wie erwähnt waren Frauen in Preussen bis 1908 nur als Gasthörerinnen zugelassen. In der

Chronik der Universität werden sie denn auch erst ab dem Wintersemester 1908/09 als immatriku-

lierte Studentinnen inklusive der Angabe ihrer Herkunft aufgeführt, während sie noch im Semester

zuvor nur als „nicht immatrikulierte Preussen und Nichtpreussen, welche vom Rektor die Erlaubnis

dazu erhalten haben“ ohne weitere Angaben genannt werden.265 Studentinnen, die bis 1908 Gasthö-

rerinnen waren, wurden jedoch nicht automatisch zu regulär immatrikulierten Studentinnen, son-

dern mussten, in der Regel aufgrund des fehlenden Abiturs, weiterhin für jedes Semester einen An-

261 Eine umfassende Studie über die Entwicklung der Frauen an der Friedrich-Wilhelms-Universität mit dem Titel „Statistiken zum Frauenanteil an der Friedrich-Wilhelms / Humboldt-Universität in ausgewählten Jahrgängen im Zeitraum von 1894–1945“ ist derzeit beim Zentrum für interdisziplinäre Frauenforschung der Humboldt Universität in Berlin in Arbeit, jedoch noch nicht veröffentlicht und war für diese Untersuchung nicht zugänglich.

262 Vgl. Blackbourn, David: History of Germany, 1870–1918. The Long Nineteeth Century, S. 281.263 Vgl. Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum

Beginn des Ersten Weltkrieges 1849–1914, S. 1218.264 Vgl. Mazón, Patricia: Die erste Generation von Studentinnen und die Zulassung der „besseren Elemente“

1890–1914. S. 116.265 Chronik der königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin für das Rechnungsjahr 1908, Buchdruckerei des

Waisenhauses: Halle a. S., 1908, S. 18.

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trag um Aufnahme als Gasthörerin stellen. Erschwerend für die Analyse ist ferner, dass ab dem

Sommersemester 1912 die Angaben zur Herkunft ganz entfallen und nur noch zwischen Preussen

und Nichtpreussen unterschieden wird. Aus diesen Gründen ist ein Vergleich der Herkunft der Stu-

dentinnen mit den Promoviertinnen ohne eine weitere Analyse der Matrikel, die im Rahmen dieser

Arbeit nicht geleistet werden kann, nur durch Verweis auf bereits erfolgte Untersuchungen, von de-

nen die erste bereits im Wintersemester 1913/14 von Gerta Stücklen erfolgte, möglich.266 Um als

Gasthörerin zugelassen zu werden, mussten die Frauen nachweisen, über ausreichend Wissen zu

verfügen, um das Studium bewältigen zu können, und die Zustimmung des betreffenden Dozenten

einholen. Zusätzlich war es notwendig, die Wahl der Kurse zweckgerichtet zu begründen.267 Jedoch

hatte es das preussische Kultusministerium aufgrund des grossen bürokratischen Aufwandes bereits

1896 aufgegeben, alle Anträge einzeln zu prüfen, sondern liess sich lediglich Listen der Universitä-

ten vorlegen.268 Rechtlich betrachtet wurden sie, wie in der Schweiz,269 den Männer insofern gleich-

gestellt, als dass die bestehenden Regeln vorderhand auch auf die Frauen angewandt wurden, ob-

wohl sich die verantwortlichen Beamten nicht sicher waren, ob man die geltenden Regeln „ohne

weiteres auf Frauen übertragen“ kann.270 Gleichzeitig, in manchen Fällen sogar vor der offiziellen

Zulassung der Gasthörerinnen, konnten Frauen neben dem Gesuch zur Teilnahme als Gasthörerin

auch ein Gesuch als „Ausnahmepromovendinnen“ stellen. Diese wurden in Preussen offiziell erst

ab 1894, und auch dann nur mit der Genehmigung des Preussischen Kultusministeriums, zugelas-

sen.271 Frauen war es trotz Zulassung als Gasthörerin nicht erlaubt, „qualifizierte Studiennachweise

zu erwerben und das Studium mit einer regulären Prüfung abzuschliessen“272, wodurch die Gasthö-

rerinnen in Preussen schlechter gestellt waren als in den meisten anderen Ländern. So waren Gast-

hörerinnen in Russland den regulären Studenten, abgesehen vom Abschlussexamen, an den Univer-

266 Vgl. Mazón, Patricia: Gender and the Modern Research University, S. 144.267 Vgl. Hellin, Silke: Schlaglichter auf eine frühe Journalistin und politische Lobbyistin: Else Frobenius (1875–1952).

In: Auga, Ulrike et al. (Hrsg.): Das Geschlecht der Wissenschaft. Zur Geschichte von Akademikerinnen im 19. und 20. Jahrhundert, S. 141–156, hier: S. 145.

268 Vgl. Costas, Ilse: Von der Gasthörerin zur voll immatrikulierten Studentin: Die Zulassung von Frauen in den deutschen Bundesstaaten 1900–1909. In: Maurer, Trude (Hrsg.): Der Weg an die Universität, Höhere Frauenstudien bis zum 20. Jahrhundert, S. 191–210, hier: S. 206.

269 Die Gleichbehandlung von Männern und Frauen bezieht sich in Preussen nur auf die Gasthörerinnen, während in der Schweiz Frauen regulär immatrikulierte Studentinnen waren. Vgl. Maurer, Trude: Emanzipierte Untertaninnen: Frauenstudium im Russischen Reich, S. 117.

270 Vgl. Mazón, Patricia: Gender and the Modern Research University, S. 116.271 Vgl. Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien der HU Berlin und Projektgruppe Edition Frauenstudium:

Störgrösse „F“, S. 59.272 Ebd., S. 61.

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Masterarbeit Promovenden der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin 1837–1913FS 2011 31. Juli 2011Prof. Dr. Joachim Eibach Daniel Hardegger

sitäten praktisch gleichgestellt273 und noch bis 1899 war es Frauen, die im Ausland Medizin studiert

hatten, in den meisten Fällen Gynäkologie oder Pädiatrie, verboten, im Deutschen Reich zu prakti-

zieren.274 Bis zur Einführung des regulären Frauenstudiums in Preussen war die einzige Abschluss-

möglichkeit für Frauen in Preussen das Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasium, zu welchem

sie 1905 zugelassen wurden, wobei Frauen, im Gegensatz zu den Männern, insofern nicht immatri-

kuliert gewesen sein mussten, als dass sie dies zu regulären Studentinnen gemacht hatte, was zu die-

sem Zeitpunkt noch nicht möglich war.275 Da es sich jedoch nicht um einen von der Universität ver-

gebenen Abschluss handelte, bedeutete dies, dass bis 1908 die einzige Möglichkeit für Frauen,

einen universitären Abschluss zu erlangen, die Promotion war.

Abgesehen von einigen wenigen Frauen, wie z. B. der ersten Promotionsaspirantin Alice Salo-

mon, verstanden sich diese jedoch nicht als Vorreiterinnen für die Rechte anderer Frauen, sondern

wiesen alles Weibliche von sich.276 Die Möglichkeit, als Externe das Abitur abzulegen und damit

einen offiziellen regulären Zugang als Gasthörerin zur Universität zu erhalten, gab es erst ab den

1890er-Jahren, während die ersten Mädchengymnasien in Preussen erst um 1900 entstanden.277

Zwar existierten bereits zuvor zumeist private höhere Mädchenschulen, sie verschafften jedoch, da

sie „nicht in das staatliche Berechtigungssystem eingebunden waren“, ihren Absolventinnen keinen

Zugang zur Universität.278 Da die Zahl der Gasthörerinnen, insbesondere aus dem Ausland, kontinu-

ierlich zunahm, kamen die Bildungsministerien der jeweiligen Länder des Deutschen Reiches über-

ein, dass nur durch eine Zulassung der Frauen zum regulären Studium die Entwicklung zu kontrol-

lieren sei. So müssten sie die gleichen Anforderungen wie die Männer erfüllen, d. h. das Abitur vor-

weisen. Zusätzlich mussten Ausländerinnen, wie die Ausländer, eine Spezialbewilligung des Minis-

teriums vorlegen, um zugelassen zu werden. Hinzu kam die Angst, dass insbesondere die qualifi-

zierten Frauen an Universitäten im Ausland wechseln würden, da sie dort bereits einen regulären

Abschluss erlangen konnten.279 So verliessen viele Frauen das Deutsche Reich, um z. B. in Frank-

273 Vgl. Maurer, Trude: Emanzipierte Untertaninnen: Frauenstudium im Russischen Reich. S. 135.274 Vgl. Blackbourn, David: History of Germany, 1870–1918. The Long Nineteeth Century, S. 281.275 Vgl. Costas, Ilse: Von der Gasthörerin zur voll immatrikulierten Studentin: Die Zulassung von Frauen in den

deutschen Bundesstaaten 1900–1909. S. 191.276 Vgl. Mazón, Patricia: Die erste Generation von Studentinnen und die Zulassung der „besseren Elemente“

1890–1914, S. 116.277 Vgl. ebd., S. 118.278 Kraul, Margret: Von der höheren Töchterschule zum Gymnasium: Mädchenbildung in Deutschland im

19. Jahrhundert. In: Maurer, Trude (Hrsg.): Der Weg an die Universität, Höhere Frauenstudien bis zum 20. Jahrhundert, S. 169–190, hier: S. 179.

279 Vgl. Mazón, Patricia: Gender and the Modern Research University, S. 139.

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Masterarbeit Promovenden der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin 1837–1913FS 2011 31. Juli 2011Prof. Dr. Joachim Eibach Daniel Hardegger

reich, wo das Frauenstudium bereits 1861 eingeführt worden war, zu studieren.280 Alles in allem war

dies ein Schritt zu einer stärkeren Beschränkung der Frauen an den Universitäten. In erster Linie

richtete er sich jedoch gegen die grosse Zahl von aus dem Ausland stammenden Gasthörerinnen.281

Einerseits befürchtete man eine Politisierung der Gasthörerinnen, wie es in den 1870er-Jahren in der

Schweiz durch die ausgewanderten russischen Studentinnen der Fall war. Andererseits war diese

Haltung auch ein Ausdruck des sich verstärkenden Antisemitismus wie auch der Vorurteile gegen

Ausländer im Allgemeinen, insbesondere der Slawen. Gerade jüdische Russinnen hatten unter die-

ser Entwicklung besonders zu leiden.282 Die Initiative zu dieser Änderung kam nicht von den Män-

nern, insbesondere den Studenten und Professoren an den Universitäten, um gleiche Voraussetzun-

gen zu schaffen, sondern von den deutschen Abiturientinnen und Gasthörerinnen selbst, die der

Meinung waren, dass die „unvorbereitete[n] Hörerinnen der Sache des Frauenstudiums nur schaden

würden“.283 Gleichzeitig setzten sie aber die entsprechenden Behörden mit der Drohung unter

Druck, sich im Falle einer Nicht-Zulassung an badischen Universitäten zu immatrikulieren, wo

„schon heute die volle Gleichberechtigung herbeigeführt ist“284. Für die Männer hingegen war die

Zulassung der Frauen zum Studium eine Verstärkung der Konkurrenz in höheren Berufen. Da die

reguläre Zulassung der Frauen zum Studium jedoch nicht mehr aufzuhalten war, versuchten sie zu

erreichen, dass nur eine geringe Zahl an Mädchengymnasien eingerichtet wurde, um die „Anzahl an

studienberechtigten Frauen so gering wie möglich zu halten“285. Noch vor der offiziellen Zulassung

der Frauen zum Studium begannen die Universitäten, die Zahl der Gasthörerinnen, insbesondere der

ausländischen, einzuschränken, sodass zum Wintersemester 1909/10 nur noch 0,5 % der nun regulä-

ren Studentinnen aus dem Ausland stammten, während ihre männlichen Kommilitonen insgesamt

3,4 % der Studenten ausmachten.286

280 Vgl. Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849–1914, S. 1218.

281 Vgl. Mazón, Patricia: Die erste Generation von Studentinnen und die Zulassung der „besseren Elemente“1890–1914, S. 131–133.

282 Vgl. Mazón, Patricia: Gender and the Modern Research University, S. 120.283 Vgl. Mazón, Patricia: Die erste Generation von Studentinnen und die Zulassung der „besseren Elemente“ 1890–

1914, S. 119.284 Gesuch von bereits zugelassenen Hörerinnen, nur Frauen mit ausreichender Vorbildung zum Studium zuzulassen,

1902. Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien der HU Berlin und Projektgruppe Edition Frauenstudium: Störgrösse „F“, S. 49.

285 Costas, Ilse: Von der Gasthörerin zu immatrikulierten Studentin: Die Zulassung der Frauen in den deutschen Bundestaaten 1900–1909, S. 192.

286 Vgl. Mazón, Patricia: Die erste Generation von Studentinnen und die Zulassung der „besseren Elemente“1890–1914 S. 120.

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Eine weitere Hürde waren die finanziellen Kosten des Studiums, insbesondere für junge Frau-

en. Ohne „ein finanziell abgesichertes und bildungsorientiertes familiäres Umfeld, das Zeit und

Geld in die Ausbildung einer Tochter investieren konnte“,287 war für eine Frau ein Studium, ge-

schweige den die Erlangung eines Doktortitels, nicht möglich. Die Frage des Einkommens wurde

bis zur Zulassung zum regulären Studium auch als Kriterium verwendet, um Frauen als Gasthöre-

rinnen abzulehnen.288 Wichtig war dabei nicht nur das Einkommen der Eltern. Im Falle der Germa-

nistin Herrmann war es ihr Ehemann, den sie bereits kurz nach Studienbeginn heiratete, der sie fi-

nanziell unterstützte,289 während Else Frobenius noch während ihres Studiums 1909 einen Job als

Journalistin annahm, um unabhängiger von ihrem Vater zu werden.290 Zusammengefasst lässt sich

sagen, dass es für Frauen äusserst schwierig war, Zugang zur Universität zu erhalten. War es ihnen

dennoch gelungen, folgte daraus nur in den wenigsten Fällen eine wissenschaftliche Karriere. „Das

in der bürgerlichen Gesellschaft vorherrschende traditionelle und noch weitgehend konsensfähige

Familienbild [war] nach wie vor wirksam und stellte somit einen wesentlichen sozialen Einflussfak-

tor dar.“291 Dieses sah für Frauen, abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen, eine universitäre

Laufbahn nicht vor.292 Daran änderte auch eine Promotion nichts, denn auch Frauen, die im An-

schluss wissenschaftliche Artikel veröffentlichten, taten dies „nebenberuflich oder im Rahmen von

ausseruniversitären Beschäftigungsverhältnisse[n]“, nicht aber als Angestellte oder Lehrende der

Universität.293 Man ging davon aus, dass sie „nur bestimmte Fächer studieren und Berufen nachge-

hen würden, die ihren ‚weiblichen‘ Talenten entsprachen, wie Ärztin oder Lehrerin.“ Dies galt ins-

287 Vgl. Vogt, Anette: Die Spielregeln der Objektivität. Die ersten Promotionen und Promotionsversuche von Frauen der Philosophischen Fakultät der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität 1898 bis 1909. In: Bleker, Johanna (Hrsg.): Der Eintritt der Frauen in die Gelehrtenrepublik. Zur Geschlechterfrage im akademischen Selbstverständnis und in der wissenschaftlichen Praxis am Anfang des 20. Jahrhunderts, Husum Matthiesen Verlag: Husum, 1998, S. 31–48, hier: S. 34.

288 Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien der HU Berlin und Projektgruppe Edition Frauenstudium: Störgrösse „F“, S. 59.

289 Vgl. Tischel, Alexandra: Wissenschaft jenseits des Berufes – Teilhabe und Ausschluss am Beispiel der Germanistin Helene Herrmann, S. 130.

290 Vgl. Hellin, Silke: Schlaglichter auf eine frühe Journalistin und politische Lobbyistin: Else Frobenius(1875–1952), S. 147.

291 Vgl. Hoffmann, Petra: Der Übergang vom universitären Ausbildungs- ins Wissenschaftssystem. Das Beispiel der Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. In Auga, Ulrike et al. (Hrsg.): Das Geschlecht der Wissenschaft. Zur Geschichte von Akademikerinnen im 19. und 20. Jahrhundert, S. 157–182, hier: S. 165.

292 Die erste Frau, die im Personalverzeichnis der Universität aufgeführt wird, ist die Kernphysikerin und ausserordentliche Professorin Lise Meitner. Sie wurde 1913 als Assistentin angestellt. Vgl. Tischel, Alexandra: Wissenschaft jenseits des Berufes – Teilhabe und Ausschluss am Beispiel der Germanistin Helene Herrmann, S. 132.

293 Vgl. Tischel, Alexandra: Wissenschaft jenseits des Berufes – Teilhabe und Ausschluss am Beispiel der Germanistin Helene Herrmann. In: Auga, Ulrike et al. (Hrsg.): Das Geschlecht der Wissenschaft. Zur Geschichte von Akademikerinnen im 19. und 20. Jahrhundert, S. 127–140, S. 128.

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besondere für jüdische Frauen wie Helene Herrmann, die, verheiratet mit dem jüdischen Privatdo-

zenten für Germanistik Max Herrmann, als Lehrerin an verschiedenen Schulen tätig war.294 Selbst

die für die Reform eintretenden Frauen betonten fast einstimmig, dass „die gebildeten Frauen der

Nation einen Dienst leisteten“, während sie gleichzeitig „ihre Weiblichkeit erhalten würden“.295 Die-

se Einstellung hielt Frauen jedoch nicht davon ab, sich zu organisieren. Bereits die Gasthörerinnen

und ab 1908 die regulären Studentinnen gründeten diverse studentische Vereine unterschiedlichster

politischer und konfessioneller Ausrichtung, um – neben der Pflege der Geselligkeit – ihre Interes-

sen und Forderungen besser durchsetzen zu können.296

Zusätzlich erschwerend war, dass Frauen bis 1920 in Preussen in der Regel nicht habilitieren

und somit keine Venia Legendi erwerben konnten.297 Zwar waren Frauen nicht wörtlich ausge-

schlossen, aber eine Habilitation war an die Ableistung des Militärdienstes geknüpft, den Frauen gar

nicht leisten konnten.298 So mussten die Frauen mit einer Tätigkeit in der Industrie, staatlichen For-

schungsprojekten oder anderen ausseruniversitären Wissenschaftseinrichtungen vorlieb nehmen.

Ein Beispiel für letztere Möglichkeit ist die Preussische Akademie der Wissenschaften zu Berlin, in

welcher sich bereits ab den 1890er-Jahren an Akademieprojekten beteiligte Wissenschaftlerinnen, in

erster Linie Ausländerinnen und deutsche Wissenschaftlerinnen, die im Ausland studiert hatten,

nachweisen lassen, nicht zuletzt aufgrund der engen Verbindungen zwischen der Akademie und der

Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. Nicht selten vermittelten die Professoren ihre Promovier-

tinnen an die Akademie oder nahmen sie selbst als Mitarbeiterinnen mit, wenn sie von der Universi-

tät an die Akademie wechselten.299 Eine andere Möglichkeit war die Anstellung als Privatangestellte

an einem Lehrstuhl der Universität. Diese Angestellten tauchen allerdings in den Universitätsunter-

lagen nicht auf und zählten nicht als Mitglieder der Universität.300 Letztlich wurden sie jedoch in

beiden Fällen nicht als eigenständige Forscherinnen angestellt, sondern meist für „oft massenhaft

anfallende, tendenziell nachgeordnete und periphere Arbeiten, die nicht im Zentrum der Akademie-

294 Vgl. Tischel, Alexandra: Wissenschaft jenseits des Berufes – Teilhabe und Ausschluss am Beispiel der Germanistin Helene Herrmann. S. 132.

295 Mazón, Patricia: Die erste Generation von Studentinnen und die Zulassung der „besseren Elemente“1890–1914, S. 120.

296 Vgl. Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien der HU Berlin und Projektgruppe Edition Frauenstudium: Störgrösse „F“, S. 109.

297 Vgl. ebd., S. 127.298 Vgl. ebd., S. 149.299 Vgl. Hoffmann, Petra: Der Übergang vom universitären Ausbildungs- ins Wissenschaftssystem, S. 157–161.300 Vgl. Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien der HU Berlin und Projektgruppe Edition Frauenstudium:

Störgrösse „F“, S. 129.

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projekte standen, sondern als Anfängerarbeiten entweder am Anfang oder am Ende bei der Fertig-

stellung ausgeführt wurden“301.

Die hier beschriebenen Entwicklungen des Frauenstudiums im Deutschen Reich wie im Be-

sonderen an der Friedrich-Wilhelms-Universität stimmen mit denjenigen der Promoviertinnen in

weiten Teilen überein. So zeigt sich der Rückzug der ausländischen Studentinnen auch bei den Pro-

moviertinnen in aller Deutlichkeit. Zwar kam die Mehrheit der ersten Promoviertinnen wie Gasthö-

rerinnen mehrheitlich auch aus dem Ausland, insbesondere aus Ländern, die das Frauenstudium

noch nicht eingeführt oder weit restriktiver handhabten, wie z. B. die USA302 und Russland303, wo

Frauen bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts zumeist nur an spezifischen Frauenuniversitäten studie-

ren durften. Doch mit der Einführung des allgemeinen Frauenstudiums änderte sich dies sehr

schnell. Kamen von 1900 bis einschliesslich 1908 noch elf und damit weit mehr als die Hälfte aller

Promoviertinnen aus dem Ausland, waren es von 1909 bis einschließlich 1913 nur noch deren zwei

oder lediglich 11 %. Insofern lässt sich sagen, dass die Einführung der Frauenstudiums mit dem

Ziel, den ausländischen Studentinnen den Zugang zur Hochschule zu erschweren, sich auch direkt

auf die Promoviertinnen, selbst wenn sie allenfalls im Ausland studierten hatten, auswirkte. Insbe-

sondere jene aus den USA fallen komplett weg, wobei zu erwähnen ist, dass gleichzeitig der Anteil

an Frauen an den im Reich lebenden amerikanischen Staatsbürgern von 50 %304 im Jahr 1900 auf

52 % im Jahr 1910305 steigt, man also nicht von einer generellen Abwanderung der Amerikanerin-

nen reden kann. Die Abnahme der US-amerikanischen zugunsten der russischen Promoviertinnen

spiegelt sich auch bei den Gasthörerinnen resp. Studentinnen wieder. Noch Mitte der 1890er-Jahre

waren die Amerikanerinnen klar in der Überzahl, aber bereits drei Jahre später hatten die Russinnen

die Amerikanerinnen überholt.306 Auch innerhalb der Gruppe der deutschen Promoviertinnen führte

die Einführung des Frauenstudiums zu diversen Veränderungen, insbesondere zu einer Diversifizie-

rung bezüglich der geografischen Herkunft. Stellten die Berliner Promoviertinnen bis einschliess-

lich 1908 noch mehr als die Hälfte der deutschen Promoviertinnen, waren es danach nur ein Drittel.

Was aufgrund der Zahlen hingegen weder bestätigt noch widerlegt werden kann, ist die These von

Mazón, dass sich der Ausschluss der ausländischen Studentinnen insbesondere gegen die russischen

301 Hoffmann, Petra: Der Übergang vom universitären Ausbildungs- ins Wissenschaftssystem, S. 162.302 Vgl. Mazón, Patricia: Gender and the Modern Research University, S. 115–120.303 Vgl. Maurer, Trude: Emanzipierte Untertaninnen: Frauenstudium im Russischen Reich, S. 135.304 Vgl. Statistisches Jahrbuch des Deutschen Reiches, 1904, S. 9.305 Vgl. ebd., 1915, S. 11.306 Vgl. Mazón, Patricia: Gender and the Modern Research University, S. 121.

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Jüdinnen richtete,307 die, aufgrund der Beschränkung des Zugangs zur Universität für Juden in Russ-

land, die Mehrheit der russischen Studentinnen im Deutschen Reich ausmachten.308 Einerseits ist

dafür die untersuchte Gruppe mit lediglich 36 Promoviertinnen zwischen 1900 und 1913 zu klein.

Es müssten die Promoviertinnen weiterer Universitäten im Deutschen Reich, insbesondere der badi-

schen, an denen das Frauenstudium bereits 1900 eingeführt wurde, hinzugezogen werden. Anderer-

seits gibt es zwischen 1909 und 1913 lediglich eine jüdische Promoviertin weniger als zuvor. Aus-

serdem war die einzige Promoviertin aus Russland selbst Jüdin, die ihre Doktorarbeit erst nach Ein-

führung des Frauenstudiums beendete. Gleichzeitig grenzten sich die deutschen Studentinnen und

Promoviertinnen bewusst von den Ausländerinnen ab, insbesondere den russischen, wobei dies auch

dem Deutschen Reich verbundene Baltendeutsche mit russischer Staatsangehörigkeit wie Else Fro-

benius traf, die selbst eine „glühende Anhängerin des Kaiserreichs“ war.309

Dass Frauen in einem dem Studium aufgeschlossenen familiären Umfeld eine weit grössere

Chance hatten, an der Universität erfolgreich zu sein, lässt sich hingegen bestätigen. Dies zeigt sich

insbesondere bei einem genaueren Vergleich der Promoviertinnen der oberen Mittelschicht. Wie bei

den Studentinnen der ersten Generation kommt die Mehrheit der Frauen aus Familien des beamte-

ten und freiberuflichen Bildungsbürgertums, dessen „Bereitschaft besonders gross war, auch bei fi-

nanziell knappen Ressourcen in die Ausbildung der Kinder zu investieren“310. Bei den Promovierten

kommen im gleichen Zeitraum fast 48 % der Studenten aus der beamteten Bildungsschicht, weitere

40 % aus dem Besitzbürgertum und weniger als 10 % aus dem freien Bildungsbürgertum. Bei den

Promoviertinnen ist diese Gruppe mit 24 % zwar weiterhin die kleinste Gruppe, jedoch fast einein-

halbmal grösser als bei den Männern. Insbesondere Ärzte scheinen ihre Töchter weit häufiger bei

ihren akademischen Ambitionen unterstützt zu haben, denn sie machen die Hälfte der Gruppe des

freien Bildungsbürgertums aus; bei den Männern hingegen, wenngleich auch hier die grösste Grup-

pe, nur ein Drittel. Beim Besitzbürgertum ist der Unterschied zu den Männern mit einem Frauenan-

teil von 40 % vergleichsweise gering. Dies bestätigt aber gleichzeitig, dass die grösseren finanziel-

len Mittel des Wirtschaftsbürgertums es diesen Frauen ermöglichte, die von Männern dominierte

307 Vgl. Mazón, Patricia: Die erste Generation von Studentinnen und die Zulassung der „besseren Elemente“1890–1914, S. 118.

308 Vgl. Mazón, Patricia: Gender and the Modern Research University, S. 120.309 Hellin, Silke: Schlaglichter auf eine frühe Journalistin und politische Lobbyistin: Else Frobenius (1875–1952),

S. 146.310 Vgl. Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien der HU Berlin und Projektgruppe Edition Frauenstudium:

Störgrösse „F“, S. 107.

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universitäre Gesellschaft herauszufordern und sich in ihr einen Platz zu erkämpfen.311 Auch die Ver-

teilung innerhalb der Gruppe entspricht in etwa der der Männer. Einziger Unterschied ist, dass sich

das Gewicht auf Kosten der Grosshändler ein wenig zugunsten der leitenden Angestellten verlagert.

Grösser ist der Unterschied beim beamteten Bildungsbürgertum, das bei den Promoviertinnen ledig-

lich 36 % ausmacht und damit um mehr als 10 % geringer als bei den Männern ist. Auffallend ist

hier, dass die Staatsbeamten bei den Promoviertinnen mehr als die Hälfte dieser Gruppe ausmachen,

während ihr Anteil bei den Männern nur ein Viertel beträgt. Ein Vergleich des Adels sowie des unte-

ren Mittelstandes ist aufgrund der geringen Anzahl weiblicher Promovenden nur bedingt möglich.

Lediglich eine Promoviertin, die ihren Vater als Gutsbesitzer ausweist, ist der Gruppe des Adels zu-

zuordnen, beim unteren Mittelstand zählen zwei Promoviertinnen zur Gruppe der Angestellten so-

wie eine zu der der Bauern. Relativ überraschend ist, dass keine Promoviertin aus der Gruppe der

anderen Beamten, insbesondere der neu entstehenden Gruppe der Post- und Bahnbeamten, kommt.

Vergleicht man diese Resultate mit den offiziellen Statistiken über die Studentinnen an den preussi-

schen Universitäten, fällt auf, dass die „niederen“ gegenüber den „höheren Berufsschichten“ bei den

Promoviertinnen noch schlechter vertreten sind. Machen sie bei den Studentinnen noch etwas mehr

als ein Drittel aus, sind es bei den Promoviertinnen mit drei von 37 weniger als 10 %.312 Anderer-

seits ist, bei deutschlandweiter Betrachtung, das Besitzbürgertum im Vergleich zu den Studentinnen,

bei dem lediglich 17 % dem „neuen“ Mittelstand zugerechnet werden, überdurchschnittlich gut ver-

treten.313 Einerseits besteht die Möglichkeit, dass gerade Frauen aus den „niederen Berufsschichten“

eine höhere Ausbildung als hinreichend für die weitere Karriere betrachteten und keinen Doktortitel

anstrebten. Andererseits ist der Unterschied auch ein Hinweis auf die mit einer Doktorarbeit einher-

gehenden höheren Kosten, die die Studentinnen aus den „niederen Berufsschichten“ nicht zahlen

wollten oder konnten. Denn aus Sicht der damaligen Statistiker ist bei Frauen „die Frage, wie weit

das Studium einen späteren Broterwerb zu schaffen vermag, von ausschlaggebender Bedeutung“314.

Ausserdem würden sich Frauen vorzugsweise Studienfächern widmen, die „der Vorbereitung auf

311 Vgl. Blackbourn, David: History of Germany, 1870–1918. The Long Nineteeth Century, S. 281.312 Vgl. Statistik der Preussischen Landesuniversitäten mit Einschluss des Lyceum Hosianum zu Braunsberg, der

bischöflichen Klerikerseminare und der Kaiser-Wilhelms-Akademie für das militärische Bildungswesen zu Berlin für das Studienjahr zu Ostern , 1908/1909, S. 194.

313 Vgl. Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849–1914, S. 1219.

314 Statistik der Preussischen Landesuniversitäten mit Einschluss des Lyceum Hosianum zu Braunsberg, der bischöflichen Klerikerseminare und der Kaiser-Wilhelms-Akademie für das militärische Bildungswesen zu Berlin für das Studienjahr zu Ostern, 1908/1909, S. 194.

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den höheren Schuldienst“ dienen, wie Philologie und Mathematik und Naturwissenschaften.315 Dass

diese Fächer auch eine wissenschaftliche Karriere ermöglichen, wird nicht erwähnt und damit von

den Statistikern nicht in Betracht gezogen.

Nimmt man die Religionsangabe hinzu, zeigen sich nur minimale Unterschiede der jüdischen,

katholischen und evangelischen Promoviertinnen zu den männlichen Promovierten. Jüdische

Promoviertinnen kommen weit häufiger aus dem Besitzbürgertum, während sich die katholischen

und weiblichen Evangelikalen mehr zwischen den drei Gruppen der oberen Mittelschicht verteilen.

Nimmt man die Forderung der Frauen, vom Staat resp. der Universität eine Änderung des Systems

zu verlangen, als eine „staatskritische“ Haltung wahr, so kann man die Unterschiede zu den

Männern bezüglich ihrer religiösen wie sozialen Herkunft auch als „anerzogene staatskritische“

Haltung beschreiben. Denn Frauen kommen öfter als Männer aus Familien, die nicht evangelischen,

insbesondere nicht christlichen Glaubens sind und damit nicht der Mehrheit der Bevölkerung

Berlins resp. des Deutschen Reiches entsprechen. Ausserdem sind die Väter der Promoviertinnen

weit weniger häufig im Staatsdienst als freiberuflich tätig resp. zählen zum Besitzbürgertum und

haben meist nicht nur durch die Eltern, sondern auch durch die Geschwister Bildung als vorbildlich

erlebt.316 Insofern lässt sich sagen, dass gerade die durch die Eltern „anerzogene staatsferne“

Haltung der Frauen zur Forderung der Frauen geführt hat, die bestehenden Regeln zu ändern und

ihnen Zugang zu den höheren staatlichen Ausbildungsstätten zu geben. Hinzu kommt, dass es

insbesondere im Judentum früher als in anderen Religionen resp. Konfessionen im Zuge der

Modernisierung der Gesellschaft zu einem Geburtenrückgang kam. Die damit verbundenen

grösseren finanziellen Mittel pro Kind ermöglichten es auch jungen jüdischen Frauen zu

studieren,317 womit für sie auch eine Emanzipation gegenüber ihrer eigenen Religionsgemeinschaft

einherging, in der sie weit weniger Rechte als in der Gesellschaft besassen.318 Bezüglich der

„staatsfernen Haltung“ der Frauen muss jedoch erwähnt werden, dass der Vater jeder dritten

Gasthörerin resp. Studentin zu Beginn ihres Studiums bereits verstorben war, wodurch einerseits die

familiäre Opposition der männlichen Mitglieder gegen das Studium abgenommen hatte,

315 1911/1912 studierten fast 60 % der Frauen Philologie, mehr als 17 % Mathematik und Naturwissenschaften, weitere 12 % Medizin. Vgl. ebd., 1911/12, S. 150.

316 Vgl. Tischel, Alexandra: Wissenschaft jenseits des Berufs – Teilhabe und Ausschluss am Beispiel der Germanistin Helene Herrmann, S. 130.

317 Vgl. ebd.318 Vgl. Hoffmann-Ocon, Andreas: Pionierinnen – Mitstreiterinnen – Ausgegrenzte: Jüdische Lehrerinnen und

Studentinnen in Deutschland, S. 214.

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andererseits die Frauen sich selbst ernähren mussten, was sie dazu zwang, sich beruflich

weiterzubilden.319 Insofern gab es auch Promoviertinnen und Studentinnen, die nicht auf

Unterstützung ihrer Eltern zählen konnten oder aber ihr Studium selbst finanzieren wollten.

Bekanntes Beispiel hierfür ist die Journalistin Else Frobenius, die neben ihrem Studium für die

konservative Kreuz-Zeitung arbeitetete, obwohl ihr Vater anbot, sie beim Studium zu

unterstützen.320 Es muss jedoch nochmals betont werden, dass es sich hier um eine insgesamt sehr

kleine Gruppe, insbesondere im Vergleich zu anderen untersuchten Gruppen wie den männlichen

Promovierten, handelt. Aus diesem Grund müssen die hier gewonnenen Erkenntnisse mit Vorsicht

betrachtet werden. Für genauere Daten müssten die Studentinnen und Promoviertinnen weiterer

Universitäten im Deutschen Reich, insbesondere in Baden, wo Frauen bereits seit 1900 zum

Studium zugelassen waren, hinzugezogen werden.

319 Vgl. Mazón, Patricia: Gender and the Modern Research University, S. 146.320 Vgl. Helling, Silke: Schlaglichter auf eine frühe Journalistin und politische Lobbyistin: Else Frobenius

(1875–1952, S. 147.

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5 Fazit

Baumgartens Feststellung, dass „die Universitätsprofessur [...] nicht nur bürgerlich“ war, sondern

„auch protestantisch“321, lässt sich nach der vorliegenden Untersuchung auch auf die Promovenden

der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin im 19. Jahrhundert bis zum Ausbruch des Ersten

Weltkrieges übertragen. Die aufgezeigte Verschiebung der Sozialstruktur der Promovenden

aufgrund der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung im Deutschen Reich

erfolgte mehrheitlich innerhalb der einzelnen Gruppen des Bürgertums und nicht durch eine

Öffnung der Promotion gegenüber anderen Klassen, insbesondere der Unterschicht.

Die Entwicklung des Bürgertums lässt sich grundsätzlich nach den beiden Gruppen der oberen

und unteren Mittelschicht differenzieren. In der oberen Mittelschicht ist insbesondere die Zunahme

der Promovenden aus dem Wirtschaftsbürgertum auffällig. Letztlich ist dies jedoch nur konsequent,

bedenkt man den Aufstieg des Wirtschaftsbürgertums ab Mitte des 19. Jahrhunderts und den damit

einhergehenden stärker werdenden Einfluss innerhalb der gesamten Gruppe des Bürgertums sowie

auf Gesellschaft und Politik insgesamt. Die Verschiebung der Herkunft der Promovenden vom

Bildungs- zum Wirtschaftsbürgertum ist dementsprechend u. a. eine Folge der sich verändernden

Machtverhältnisse innerhalb dieses Bürgertums selbst. Ausserdem muss diese Entwicklung auch

unter dem Aspekt des dem Bürgertum eigenen Hierarchiesystems angesehen werden. Da der

Doktortitel vom Bürgertum als ihm spezifisch zugehörige Auszeichnung zur Abgrenzung gegenüber

anderen Klassen geführt wird,322 musste auch das Wirtschaftsbürgertum als Zeichen seines

gewachsenen Einflusses diesen Titel vermehrt für sich beanspruchen. Zur weiteren Klärung dieser

These wäre hier ein Vergleich der Themen der einzelnen Promotionen im Vergleich der Herkunft

der Verfasser hilfreich wie auch ein Vergleich mit der sozialen Herkunft der Promovenden der

Juristischen Fakultät. Eine weitere Frage wäre, ob der Einfluss des Vaters bei der Dissertation

respektive des Themas noch ebenso gross war wie bei der Wahl des Studienfachs.323

Bei der unteren Mittelschicht ist die Entwicklung innerhalb des neuen Mittelstands auffallend.

So zeigt einerseits der grosse Anteil an Promovenden, deren Väter nicht akademische Lehrer waren,

dass gerade jene Berufsgruppen, die im Bildungssystem tätig waren, die Chancen einer Promotion

321 Baumgarten, Marita: Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert, S. 116.322 Vgl. Mayer, Arno J.: Adelsmacht und Bürgertum. Die Krise der europäischen Gesellschaft 1848–1914, S. 101.323 Vgl. Möller, Silke: Zwischen Wissenschaft und „Burschenherrlichkeit“. Studentische Sozialisation im Deutschen

Kaiserreich 1871–1914, Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte, Bd. 4, Franz Steiner Verlag: Stutt-gart, 2001, S. 171–177.

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erkannten, andererseits jener aus aus der Gruppe der Bahn- und Postbeamten, dass die neu vom

Staat geschaffenen Berufsfelder weniger Berührungsängste hinsichtlich eines möglichen Aufstiegs

geschürt zu haben scheinen. Dies gilt auch für die Gruppe der Dienstleister. Zwar ist bei dieser

Gruppe aufgrund des Aufkommens der Angestellten gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein Vergleich

schwierig, dennoch lässt sich sagen, dass gerade die Angestellten in der Promotion die Möglichkeit

sahen, ihren Willen zum Aufstieg und den Wunsch, sich nach unten gegen das Proletariat

abzugrenzen, zu realisieren,. Der relativ niedrige Anteil an Promovierten aus der restlichen

Beamtenschaft sowie dem alten Mittelstand insgesamt muss nicht zwingend als Desinteresse an der

Promotion sowie Bildung insgesamt ausgelegt werden. Es wäre vorerst zu prüfen, ob diese Gruppen

die neu geschaffenen Fachhochschulen und vergleichbare Bildungsangebote weit intensiver nutzen

als andere Berufsgruppen.324

Die Ausweitung des Leistungsprinzips mit der rechtlichen und gesellschaftlichen Öffnung der

Universität für nicht protestantische Konfessionen und nicht christliche Religionen führt zu einer

stärkeren Diversifizierung der Promovenden bezüglich ihrer religiösen Herkunft, die jedoch

durchaus ambivalent zu sehen ist. So waren die Protestanten unter den Promovenden im Vergleich

zu den Katholiken auch weiterhin überdurchschnittlich stark vertreten, während an der katholisch

geprägten Universität in München die Zahl der Protestanten zunahm.325 Zur gleichen Zeit mussten

die Katholiken im Zuge des Kulturkampfes die Einführung gemischt-konfessioneller Schulen durch

die protestantische Mehrheit hinnehmen.326 Von der Öffnung profitierten letztlich vor allem die

Juden, deren Anteil an der Zahl der Studenten wie Promovenden weit stärker als im Vergleich zu ih-

rem Anteil an der Gesamtbevölkerung stieg. Das Judentum nutzte die sich im Zuge der

„Judenemanzipation“ erkämpften Freiheiten, die mit der Forderung der bürgerlich-liberalen

Bewegung zur Emanzipation des Bürgertums verknüpft war, zum sozialen Aufstieg.327 Ausserdem

ist festzuhalten, dass die bei den Professoren festgestellte Benachteiligung jüdischer Dozenten, resp.

der Trend zur Assimilation, sich bei den Promovenden zumindest zahlenmässig nicht belegen

lässt.328

324 Vgl. Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849–1914, S. 1224–1232.

325 Vgl. Baumgarten, Marita: Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert, S. 116.326 Vgl. Strötz, Jürgen: Der Katholizismus im deutschen Kaiserreich 1871 bis 1914. Strukturen eines problematischen

Verhältnisses zwischen Widerstand und Integration, S. 214.327 Vgl. Rürup, Reinhard: Emanzipation und Antisemitismus. Studien zur „Judenfrage“ der bürgerlichen Gesellschaft,

Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen, 1975, S. 74–94.328 Vgl. Baumgarten, Marita: Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert, S. 117–118.

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Der Anstieg des Altersdurchschnitts ist im Zusammenhang mit dem Ausbau des staatlichen

Schulsystems und der damit einhergehenden Verlängerung der Schulzeit zu sehen, wobei es erst in

der Weimarer Republik gelang, ein allgemeines Unterrichtsgesetz zu verabschieden.329 In Bezug auf

die geografische Herkunft dürfte hingegen – neben dem allgemeinen technologischen Fortschritt,

der das Reisen an sich erleichterte – vor allem der Ruf der Universität als Forschungsstätte von in-

ternationalem Rang der entscheidende Faktor gewesen sein. Die Verbindung von Politik und Wis-

senschaft, die in Berlin aufgrund der Lage der Universität und der Rolle der Stadt als Hauptstadt

äusserst eng war, dürfte ein weiterer Grund für manche Wahl des Studienorts gewesen sein. Gerade

für Promovenden wird die grosse Zahl an wissenschaftlichen Vereinen in Berlin von Interesse ge-

wesen sein, einerseits zum Austausch über die eigene Forschung, andererseits um sich in die jewei-

ligen Netzwerke eingliedern zu können.330

Bei den Frauen sind zwei Entwicklungen besonders zu erwähnen. Zum einen, dass Frauen an

der Friedrich-Wilhelms-Universität promovierten, bevor sie regulär studieren durften. Zum anderen,

dass im Zuge der Einführung des Frauenstudiums die Zahl der Promovendinnen aus dem Ausland

zugunsten derjenigen aus dem Deutschen Reich abnahm. Ob diese Entwicklung eine Folge des

Frauenstudiums war oder auf andere Faktoren, wie dem sich verstärkenden Antisemitismus,331 von

dem die Promoviertinnen aufgrund der überdurchschnittlich grossen Zahl an Jüdinnen stärker be-

troffen wären, zurückzuführen ist, wäre noch zu klären.

Bei allem bleiben jedoch Unsicherheiten bezüglich der nicht wenigen fehlenden Angaben be-

stehen, die nur durch eine vertiefte, zeitintensive biografische Quellenforschung zu lösen sind. Eine

Analyse der Dissertationen über die Biografie der Promovenden hinaus böte sodann die Möglich-

keit, weitere Kenntnisse von der Entwicklung der Geisteswissenschaften an der Philosophisch-his-

torischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin wie auch der Entwicklung der wis-

senschaftlichen Arbeit an sich zu gewinnen. Gerade die mit der „Guttenberg-Affäre“ aufgekomme-

ne Debatte über wissenschaftliche Genauigkeit und Arbeitsweisen hat diese Frage wieder stärker ins

Bewusstsein der Öffentlichkeit treten lassen, sodass eine entsprechende qualitative Prüfung der Dis-

sertationen einen Vergleich mit der aktuellen Situation ermöglichte.

329 Vgl. Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849–1914, S. 339.

330 Vgl. vom Bruch, Rüdiger: Gelehrtenpolitik, Sozialwissenschaften und akademische Diskurse in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, S. 172.

331 Vgl. Rürup, Reinhard: Emanzipation und Antisemitismus. Studien zur „Judenfrage“ der bürgerlichen Gesellschaft, S. 74–94.

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hier: S. 75.

• Ritter, Gerhard A.: Internationale Wissenschaftsbeziehungen und auswärtige Kulturpolitik

im deutschen Kaiserreich. In: Zeitschrift für Kulturaustausch (31) 1981, H. 1, S. 5–16.

• Rogger, Franziska: Geschichte der Universität Bern. URL: http://www.uniarchiv.

unibe.ch/unibe/generalsekretariat/uniarchiv/content/e3558/e3559/e3567/GeschichteUniBern

web_ger.pdf (17.05.2011)

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Masterarbeit Promovenden der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin 1837–1913FS 2011 31. Juli 2011Prof. Dr. Joachim Eibach Daniel Hardegger

• Rürup, Reinhard: Emanzipation und Antisemitismus. Studien zur „Judenfrage“ der

bürgerlichen Gesellschaft, Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen, 1975.

• Rüschmeyer, Dietrich: Bourgeoisie, Staat und Bildungsbürgertum. Idealtypische Modelle

für die vergleichende Erforschung von Bürgertum und Bürgerlichkeit. In: Kocka, Jürgen

(Hrsg.): Bürger und Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert, Vandenhoeck & Ruprecht:

Göttingen, 1987, S. 101–120.

• Schröder, Wilhelm Heinz: Kollektive Biographien in der historischen Sozialforschung: Eine

Einführung. In: Ders. (Hrsg.): Lebenslauf und Gesellschaft. Zum Einsatz von kollektiven

Biographien in der historischen Sozialforschung, Klett-Cotta: Stuttgart 1985, S. 7–17.

• Schübl, Ernst: „Wir wollen ein Gebäude von fester Dauer“. Zur Standortproblematik und

baulichen Entwicklung der österreichischen Universitäten im 19. und 20. Jahrhundert. In:

Schwinges, Rainer Christoph (Hrsg.): Universität im öffentlichen Raum, Schwabe Verlag:

Basel, 2008, S. 439–467.

• Slapnicka, Helmut: Die Rechststellung der Universität im alten Österreich von den

Reformen Leon Thuns bis zum Ende der Monarchie. In: Wörster, Peter (Hrsg.):

Universitäten im östlichen Mitteleuropa. Zwischen Kirche Staat und Nation –

Sozialgeschichtliche Entwicklungen, R. Oldenbourg Verlag: München, 2008, S. 195–207.

• Stone, Lawrence: Prosopography. In: Daedalus (100) 1974, H. 1, S. 46–79.

• Strötz, Jürgen: Der Katholizismus im deutschen Kaiserreich 1871 bis 191. Strukturen eines

problematischen Verhältnisses zwischen Widerstand und Integration, Bd. 1, Verlag Dr.

Kovač: Hamburg, 2005 (Studien zu Religionspädagogik und Pastoralgeschichte, Bd. 6).

• Szögi, László: Die Universitäten in Ungarn. Gründungswellen vom späten Mittelalter bis ins

20. Jahrhundert. In: Wörster, Peter (Hrsg.): Universitäten im östlichen Mitteleuropa.

Zwischen Kirche Staat und Nation – Sozialgeschichtliche Entwicklungen, R. Oldenbourg

Verlag: München, 2008, S. 236–267.

100

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Masterarbeit Promovenden der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin 1837–1913FS 2011 31. Juli 2011Prof. Dr. Joachim Eibach Daniel Hardegger

• Tischel, Alexandra: Wissenschaft jenseits des Berufes – Teilhabe und Ausschluss am

Beispiel der Germanistin Helene Herrmann. In: Auga, Ulrike et al. (Hrsg.): Das Geschlecht

der Wissenschaft. Zur Geschichte von Akademikerinnen im 19. und 20. Jahrhundert, Cam-

pus Verlag: Frankfurt am Main, 2009, S. 127–140.

• Vogt, Anette: Die Spielregeln der Objektivität. Die ersten Promotionen und

Promotionsversuche von Frauen der Philosophischen Fakultät der Berliner Friedrich-

Wilhelms-Universität 1898 bis 1909. In: Bleker, Johanna (Hrsg.): Der Eintritt der Frauen in

die Gelehrtenrepublik. Zur Geschlechterfrage im akademischen Selbstverständnis und in der

wissenschaftlichen Praxis am Anfang des 20. Jahrhunderts, Husum Matthiesen Verlag:

Husum, 1998, S. 31–48.

• Vogt, Anette: Die Ausnahmepromovendinnen (1899–1909). In: Ausstellungsgruppe an der

Humboldt-Universität zu Berlin, Zentrum für interdisziplinäre Frauenforschung (Hrsg.): Von

der Ausnahme zur Alltäglichkeit: Frauen an der Berliner Universität Unter den Linden,

Trafo Verlag: Berlin, 2003, S. 33–38.

• Wagner, Frank: Professoren in Stadt und Staat. Das Beispiel der Berliner

Universitätsordinarien. In: Schwinges, Rainer Christoph (Hrsg.): Universität im öffentlichen

Raum, Schwabe Verlag: Basel, 2008, S. 365–385.

• Wehler, Hans-Ulrich: Wie „bürgerlich“ war das Deutsche Kaiserreich? In: Kocka, Jürgen

(Hrsg.): Bürger und Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert, Vandenhoeck & Ruprecht:

Göttingen, 1987, S. 243–280.

• Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Von der „Deutschen

Doppelrevolution“ bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849–1914, Bd. 3, Beck:

München, 2008.

• Winkler, Heinrich August: Der lange Weg nach Westen. Deutsche Geschichte vom Ende des

Alten Reiches bis zum Untergang der Weimarer Republik, Bd. 1, Beck: München, 6. durch-

ges. Aufl., 2005.

101

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Masterarbeit Promovenden der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin 1837–1913FS 2011 31. Juli 2011Prof. Dr. Joachim Eibach Daniel Hardegger

• Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien der HU Berlin und Projektgruppe Edition

Frauenstudium: Störgrösse „F“, Frauenstudium und Wissenschaftlerinnenkarrieren an der

Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, 1892 bis 1945, Eine kommentierte Aktenedition,

Trafo Verlag: Berlin 2010.

102

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Masterarbeit Promovenden der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin 1837–1913FS 2011 31. Juli 2011Prof. Dr. Joachim Eibach Daniel Hardegger

Tabellen und Grafiken

Quellenlage

Entwicklung der in Bern lagernden Dissertationen der Philosophisch-historischen Fakultät der

Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin im Vergleich zu den offiziell verzeichneten.

103

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Masterarbeit Promovenden der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin 1837–1913FS 2011 31. Juli 2011Prof. Dr. Joachim Eibach Daniel Hardegger

Studentenzahl

Entwicklung der Zahl der Studenten an der Friedrich-Wilhelms-Universität von 1837 – 1913.

104

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Masterarbeit Promovenden der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin 1837–1913FS 2011 31. Juli 2011Prof. Dr. Joachim Eibach Daniel Hardegger

Soziale Herkunft

Übersicht

Prozentualer Anteil der jeweiligen sozialen Gruppen (Adel, Obere Mittelschicht (OM), Untere

Mitteschicht (UM), Unterschicht (US), keine Angaben (k. A.) sowie jener, die keiner der genannten

Gruppen zugeordnet werden konnten (UB). Zusätzlich die prozentualen Anteil unter Abzählung

jener Promovenden, die keine Angaben zu ihrer sozialen Herkunft machen.

105

Total 1837 – 1870 122 100,00% nur jene mit Angabendavon Adel 5 4,10% Total 1837 – 1870 61 100,00%davon OM 40 32,79% davon Adel 5 8,20%davon UM 10 8,20% davon OM 40 65,57%davon US 0 0,00% davon UM 10 16,39%davon k.A. 61 50,00% davon US 0 0,00%davon UB 6 4,92% davon UB 6 9,84%

Total 1871 – 1899 225 100,00% nur jene mit Angabendavon Adel 2 0,89% Total 1871 – 1899 22 100,00%davon OM 15 6,67% davon Adel 2 9,09%davon UM 4 1,78% davon OM 15 68,18%davon US 0 0,00% davon UM 4 18,18%davon k.A. 203 90,22% davon US 0 0,00%davon UB 1 0,44% davon UB 1 4,55%

Total 1900 – 1913 951 100,00% nur jene mit Angabendavon Adel 35 3,68% Total 1900 – 1913 819 100,00%davon OM 550 57,83% davon Adel 35 4,27%davon UM 225 23,66% davon OM 550 67,16%davon US 1 0,11% davon UM 225 27,47%davon k.A. 132 13,88% davon US 1 0,12%davon UB 8 0,84% davon UB 8 0,98%

Total 1937 – 1913 1298 100,00% nur jene mit Angabendavon Adel 42 3,24% Total 1937 – 1913 902 100,00%davon OM 605 46,61% davon Adel 42 4,66%davon UM 239 18,41% davon OM 605 67,07%davon US 1 0,08% davon UM 239 26,50%davon k.A. 396 30,51% davon US 1 0,11%davon UB 15 1,16% davon UB 15 1,66%

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Masterarbeit Promovenden der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin 1837–1913FS 2011 31. Juli 2011Prof. Dr. Joachim Eibach Daniel Hardegger

Obere MittelschichtTabellarische und grafische Darstellung der Oberen Mittelschicht im Untersuchungszeitraum

106

1837 – 1870 1871 – 1899 1900 – 1913 1837 – 19130.00%

10.00%

20.00%

30.00%

40.00%

50.00%

60.00%

70.00%

80.00%

Beamtetes BildungsbürgertumFreiberufliches BildungsbürgertumBesitzbürgertum

Beamtetes Bildungsbürgertum Freiberufliches Bildungsbürgertum Besitzbürgertum1837–1870 70,00% 12,50% 17,50%1871–1899 60,00% 33,33% 6,67%1900–1913 47,27% 10,55% 42,18%

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Masterarbeit Promovenden der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin 1837–1913FS 2011 31. Juli 2011Prof. Dr. Joachim Eibach Daniel Hardegger

Geografische Herkunft

Grafische Darstellung der geografischen Herkunft der Studenten an der Friedrich-Wilhelms-

Universität zu Berlin von 1837 bis 1913

107

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Masterarbeit Promovenden der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin 1837–1913FS 2011 31. Juli 2011Prof. Dr. Joachim Eibach Daniel Hardegger

Tabellarische Darstellung der geografischen Herkunft der Studenten an der Friedrich-

Wilhelms-Universität zu Berlin von 1837 bis 1913 insgesamt sowie exklusive (nivelliert)

derjenigen, die keine Angaben zu ihrer Herkunft machen respektive deren Angabe nicht zugeordnet

werden konnte

108

Gesamt in Prozent Nivelliert in Prozent959 100,00% 100,00%

1837–1870 96 10,01% 34,75%1871–1899 168 17,52% 32,97%1900–1913 695 72,47% 32,27%

Gesamt in Prozent Nivelliert in ProzentRest Deutschlands Gesamt 161 100,00% 100,00%1837–1870 16 9,94% 34,64%1871–1899 28 17,39% 32,87%1900–1913 117 72,67% 32,49%

Gesamt in Prozent Nivelliert in Prozentandere Länder Gesamt 153 100,00% 100,00%1837–1870 2 1,31% 6,39%1871–1899 24 15,69% 41,57%1900–1913 127 83,01% 52,04%

Gesamt in Prozent Nivelliert in Prozentunklar Gesamt 25 100,00% 100,00%1837–1870 8 32,00% 65,30%1871–1899 5 20,00% 22,13%1900–1913 12 48,00% 12,57%

Königreich Preußen Gesamt

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Masterarbeit Promovenden der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin 1837–1913FS 2011 31. Juli 2011Prof. Dr. Joachim Eibach Daniel Hardegger

Konfession/Religion

Übersicht

Prozentualer Anteil einer Konfession/Religion im Untersuchungszeitraum

109

1837 – 1870 Gesamt in Prozentkatholisch 16 13,11%evangelisch 58 47,54%jüdisch 2 1,64%orthodox 0 0,00%andere 1 0,82%keine Angaben 45 36,89%Gesamt 122 100,00%

1871 – 1899 Gesamt in Prozentkatholisch 20 8,89%evangelisch 171 76,00%jüdisch 19 8,44%orthodox 1 0,44%andere 4 1,78%keine Angaben 10 4,44%Gesamt 225 100,00%

1900 – 1913 Gesamt in Prozentkatholisch 102 10,73%evangelisch 693 72,87%jüdisch 78 8,20%orthodox 19 2,00%andere 9 0,95%keine Angaben 50 5,26%Gesamt 951 100,00%

1837 – 1913 Gesamt in Prozentkatholisch 138 10,63%evangelisch 922 71,03%jüdisch 99 7,63%orthodox 20 1,54%andere 14 1,08%keine Angaben 105 8,09%

Page 110: Promovenden derFriedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin1837 bis 1913

Masterarbeit Promovenden der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin 1837–1913FS 2011 31. Juli 2011Prof. Dr. Joachim Eibach Daniel Hardegger

Entwicklung

Entwicklung einer Konfession/Religion im Untersuchungszeitraum

AltersdurchschnittDurchschnittsalter der Promovierten im Untersuchungszeitraum

110

Alter1837–1870 24,481871–1899 24,621900–1913 26,48

Gesamt in Prozent Nivelliert in ProzentKatholisch 138 100,00% 100,00%1837–1870 16 11,59% 40,07%1871–1899 20 14,49% 27,16%1900–1913 102 73,91% 32,77%

Gesamt in Prozent Nivelliert in ProzentReformiert 922 100,00% 100,00%1837–1870 58 6,29% 24,20%1871–1899 171 18,55% 38,69%1900–1913 693 75,16% 37,10%

Gesamt in Prozent Nivelliert in ProzentJüdisch 99 100,00% 100,00%1837–1870 2 2,02% 8,97%1871–1899 19 19,19% 46,18%1900–1913 78 78,79% 44,85%

Gesamt in Prozent Nivelliert in ProzentOrthodox 20 100,00% 100,00%1837–1870 0 0,00% 0,00%1871–1899 1 5,00% 18,20%1900–1913 19 95,00% 81,80%

Gesamt in Prozent Nivelliert in Prozentandere 14 100,00% 100,00%1837–1870 1 7,14% 23,13%1871–1899 4 28,57% 50,17%1900–1913 9 64,29% 26,70%

Page 111: Promovenden derFriedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin1837 bis 1913

Masterarbeit Promovenden der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin 1837–1913FS 2011 31. Juli 2011Prof. Dr. Joachim Eibach Daniel Hardegger

Männer/FrauenÜbersicht über das Verhältnis von Männern und Frauen in der letzte Perioden von 1900 bis

1913 in den jeweiligen Untersuchungskategorien

Geographische Herkunft

Soziale Herkunft

Altersdurchschnitt

Religion/Konfession

111

katholisch evangelisch jüdisch orthodox andere k.A.Frauen 8.33% 72.22% 19.44% 0.00% 0.00% 0.00%Männer 10.82% 72.90% 7.76% 2.08% 0.98% 5.46%

AlterFrauen 30,9Männer 26,41Gesamtdurchschnitt 26,48

katholisch evangelisch jüdisch orthodox andere k.A.Frauen 8,33% 72,22% 19,44% 0,00% 0,00% 0,00%Männer 10,82% 72,90% 7,76% 2,08% 0,98% 5,46%

Frauen MännerGesamt Gesamt in Prozent

Königreich Preussen 20 55,56% 675 73,77%Rest Deutschland 23 8,33% 790 12,57%andere Länder Gesamt 13 36,11% 113 12,35%unklar 0 0,00% 12 1,31%Gesamt 36 100,00% 915 100,00%

in Prozen

beamtetes Bildungsbürgertum freies Bildungsbürgertum BesitzbürgertumFrauen 36,00% 24,00% 40,00%Männer 47,91% 9,89% 42,21%