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Wilfried Kurth Proportionen und Antiproportionen. Untersuchungen zum funktionalen Denken von SchUiern
Summary: This research was designed to clarify strategies and systematic errors produced by students (grade 7) in solving proportion and inverse proportion word problems before and after a teaching unit on proportional and inversely proportional functions. After the teaching unit, the different types of error decrease in a different extent, some don't decrease. We can show, that the way the teacher defines both types of function and he deduces the solving procedures are not sufficient to further functional thinking.
1. Einleitung
Ein Wasservorrat reicht 6 Tage, wenn man jeden Tag 18 Li
ter verbraucht. Wieviel Liter dUrfen jeden Tag verbraucht
werden, wenn der gleiche Vorrat 4 Tage reichen solI?
Oliver, SchUler einer siebten Realschulklasse, lost diese Aufgabe
in einem schriftlichen Test wie folgt:
36:4 = 9 18+9 = 27
Es dUrfen jeden Tag 27 Liter verbraucht werden, wenn der gleiche
Vorrat 4 Tage reichen solI.
Was hat Oliver sich bei dieser Losung gedacht oder anders ausge
drUckt: Welche Strategie steckt hinter dem von Oliver aufgeschrie
benen Rechenweg? Welche anderen Losungsmuster gibt es? Wie veran
dert sich das Losungsverhalten durch Unterricht?
Fragen dieser Art beschaftigen seit einiger Zeit die Arbeitsgruppe
Lern-Lehrforschung in der Mathematikdidaktik an der Universitat
Osnabruck. Mit diesem Beitrag sollen Ergebnisse empirischer Unter
suchungen dieser Gruppe zum Losungsverhalten bei proportionalen
und antiproportionalen Textaufgaben vorgestellt werden. Dabei kann
ich in diesem Aufsatz nur einen Uberblick geben; an Details Inter
essierte seien auf die Dissertation von KURTH (1989) verwiesen.
Ich verweise auch auf den Diskussionsbeitrag von U. VIET (1984)
(JMD 13 (92) 4, S. 311-343)
312 VV. Kurth
uber die Schwierigkeiten bei der Darstellung empirischer For
schungsergebnisse.
2. Anliegen der Untersuchung
Untersuchungen zum Losungsverhalten bei proportionalen und (selte
ner) antiproportionalen Aufgaben haben eine lange Tradition. Eine
Ubersicht findet man bei TOURNIAIRE und PULOS (1985).
Das Anliegen unserer Untersuchungen war, die in der Literatur kaum
thematisierte Frage nach dem Einflu~ von Unterricht auf das Lo
sungsverhalten zu stellen. VOLLRATH (1989) kritisiert in seinem
Aufsatz "Funktionales Denken" zu Recht, da~ etwa in den wegweisen
den Untersuchungen der Arbeitsgruppe um KARPLUS (1970, 1972, 1974,
1979) der mit zunehmendem Alter der Schuler wachsende Losungser
folg nicht ausschlieplich entwicklungsbedingt. sondern auch als
Folge schulischer Erfahrung gesehen werden mu~:
"Jenseits der Proportionalit~t ist aber ganz sicher der
Unterricht ausschlaggebend, so da~ es wenig sinnvoll ist,
noch eine spontane Entwicklung anzunehmen. Das bedeutet,
dap hier vor allem der Einflup des Unterrichts auf F~hig
keiten zu funktionalem Denken zu untersuchen ist."
(VOLLRATH 1989, S. 30)
Damit ist die uns interessierende Frage gestellt, wie weit Schuler
durch die Unterrichtseinheit uber Proportionen und Antiproportio
nen in Klasse 7 bef~higt werden, Textaufgaben Him Lichte funktio
naler Zusammenh~nge zu sehen" und entsprechend zu losen.
Vorher spielen diese Sachaufgaben die Rolle von Anwendungen des
Multiplizierens und Dividierens und werden in der einfachen Form
(Einheit -> Mehrheit, Mehrheit -> Einheit) schon in der Grund
schule behandelt. Gelegentlich kommen sie im 5./6. Schuljahr auch
in der verknupften Form des zweigliedrigen Schlusses vor.
Das notwendige "Handwerkszeug" - Grundrechenarten im Bereich der
Bruchzahlen - war bereits vorher Unterrichtsthema, so da~ man un
tersuchen kann, wie weit die Schuler schon vor der eigentlichen
Unterrichtseinheit in der Lage sind, eigene Losungsverfahren zu
entwickeln.
Proportionen und Antiproportionen 313
Kernstuck unserer Untersuchung ist ein Vergleich erfolgreicher Lo
sungsstrategien und Fehlermuster von Schulern vor und nach der Un
terrichtseinheit uber Proportionen und Antiproportionen, der Ver
such, die Veranderungen zu erklaren und vor diesem Hintergrund die
Wirkung des Unterrichts zu beurteilen.
Das Projekt wurde in den Jahren 1985-1989 durchgefuhrt. In mehre
ren Durchgangen wurden verschiedene Versionen eines Tests bei
ca. 1000 Schulern aus 87 Klassen der Stufen 6-9 (hauptsachlich in
Haupt- und Realschulen, aber auch in einzelnen Klassen der Orien
tierungsstufe, des Gymnasiums und der Berufsschule) eingesetzt, um
auf der Basis gro~erer Stichproben uberhaupt erst einmal Losungs
muster (erfolgreiche und fehlerhafte) zu sichten, zu unterschei
den, sinnvolle Kategorien zu finden und die Haufigkeit des Auftre
tens in Abhangigkeit von gewissen Aufgabenmerkmalen festzustellen,
um so Hypothesen uber Entstehungsprozesse von Losungsstrategien zu
gewinnen (VIET/KURTH 1986). Dies war notig, weil uns keine Unter
suchung bekannt ist, die Textaufgaben sowohl proportionaler als
auch antiproportionaler Inhalte zum Gegenstand hat und gleichzei
tig einen Vergleich der Strategien vor und nach der entsprechenden
Unterrichtseinheit vornimmt.
Die zusatzlich mit ca. 50 Schulern durchgefuhrten Einzelinterviews
sollten helfen, wenigstens Einblicke in gedankliche Konstruktionen
von Losungen zu erhalten.
So kommentierte etwa Oliver seine in der Einleitung beschriebene
Losung:
4 Tage, vorher waren es 6 Tage, also bleiben 36 Liter ubrig,
verteilt auf 4 gleich 9. 18 plus 9 gleich 27.
Wir haben Olivers Strategie als "Restverteilungsstrategie" bezeich
net, weil er sich vorstellt, da~ bei zunachst unveranderter Tages
ration von 18 Litern ein Restvorrat von zwei Tagesrationen ent
sprechend 36 Litern verbleibt, der auf 4 Tage verteilt und der ur
sprunglichen Tagesration zugeschlagen wird.
Vor der Hauptuntersuchung wurden in 4 Klassen des siebten Jahr
gangs der Hauptschule Unterrichtsversuche uber jeweils 6 Wochen
durchgefuhrt, in denen Mitglieder der Arbeitsgruppe nach verschie
denen Konzepten den gesamten Unterricht gaben (FREKING u. a. 1987).
314 W. Kurth
3. Durchfuhrung und Auswertung
An der Hauptuntersuchung zu Beginn des Schuljahres 1987 wurden aI
le sechs Klassen (114 Schuler) einer Osnabrucker Realschule betei
ligt. Diese Schuler kamen aus 14 verschiedenen Orientierungsstufen
(in Niedersachsen eine unabhangige Schul form) und hat ten nach den
geltenden Richtlinien keine Vorerfahrung mit Proportionen und An
tiproportionen. wobei nicht ausgeschlossen werden kann. da~ ein
zelne Aufgaben dieses Typs gerechnet worden waren. Die Schuler
hatten vor Beginn und etwa sechs Wochen sowie ein halbes Jahr nach
Ende einer ca. 20stundigen Unterrichtseinheit uber Proportionen
und Antiproportionen einen Test aus 10 Aufgaben zu bearbeiten. von
denen nach gangiger Kategorisierung in Schulbuchern 5 "Proportions
aufgaben" und 5 "Antiproportionsaufgaben" waren. Auf die Problema
tik einer solchen Kategorisierung wird noch einzugehen sein.
Die zehn Aufgaben sind in der Auswertungsreihenfolge im folgenden
aufgelistet (zuerst die 5 Proportions-. dann die 5 Antipropor
tionsaufgaben). neben jeder Aufgabe die entsprechende Zuordnungs
tabelle in Kurzform. Auf den Testblattern der Schuler waren diese
Aufgabentypen gemischt. die "tabellarische Aufbereitung" nicht mit
angegeben. Es gab eine A- und eine 8-Form. die sich nur in der
Reihenfolge der Aufgaben unterschieden. Unterschiede im Losungs
verhalten der Schuler konnten bei diesen beiden Formen nicht fest
gestellt werden. Die Arbeitszeit betrug eine Schulstunde.
Proportionen und Antiproportionen
A B
10 3
9
2 6
7 4
5 8
9 2
4 7
3 10
6 5
8
Testaufgaben
Auswertun s-Nr.
1. Man kann aus 7 Litern Milch 42 Gramm Butter herstellen. Wieviel Gramm Butter bekommt man aus 21 Litern?
2. Eine Pommes-Frites-Fabrik verbraucht in 5 Tagen 6 LKW-Ladungen Kartoffeln. Wieviel LKW-Ladungen Kartoffeln verbraucht die Fabrik in 30 Tagen?
3. Eine Wasserpumpe kann in 12 Sekunden 36 Liter Wasser in ein Becken fUllen. Wieviel Liter Wasser kann die gleiche Pumpe in 9 Sekunden in das Becken fUllen?
4. Bei einem Ruhreirezept kommen auf 10 Eier 8 E~loffel Milch. Wieviel E~loffel Milch kommen auf 15 Eier?
5. Ein Computerdrucker druckt in 20 Sekunden 15 Zeilen. Wieviel Zeilen druckt er in 8 Sekunden?
6. Ein Badesee kann von 4 gleichzeitig laufenden Pumpen in 40 Stunden geleert werden. Wie lange brauchen 20 solcher Pumpen dafur?
7. Ein Schutthaufen kann von 5 gleichen LKWs in je 12 Fahrten wegtransportiert werden. Wieviel Fahrten mU~te jeder von 15 solcher LKWs fur denselben Schutthaufen machen?
8. Ein Wasservorrat reicht 6 Tage, wenn man jeden Tag 18 Liter verbraucht. Wieviel Liter durfen jeden Tag verbraucht werden, wenn der gleiche Vorrat 4 Tage reichen solI?
9. Ein Futtervorrat reicht fUr 8 Schafe 15 Tage. Wie lange reicht der gleiche Vorrat fUr 12 Schafe?
10. Eine Menge Kartoffeln wird in Beutel zu je 15 Kilogramm abgefullt, wobei 8 Beutel voll werden. Wieviel Beutel zu je 6 Kilogramm hatte man mit derselben Menge Kartoffeln fullen konnen?
315
a b c x
7 42
21
5 6
30
12 36
9
10 8
15
20 15
8
4 40
20
5 12
15
6 18
4
8 15
12
15 8
6
316 W. Kurth
Die Testkonstruktion basiert auf Untersuchungen von KARPLUS
(1974), VERGNAUD (1983), HART (1981) und SUAREZ (1977) und auf den
genannten eigenen Untersuchungen. Die Zahlenverhaltnisse wurden so
gewahlt, dap bei einigen Aufgaben bestimmte Losungswege nahelie
gen, bei anderen Aufgaben dagegen nicht. In Voruntersuchungen wa
ren die Zahlen und Texte der Aufgaben vertauscht worden, um fest
zustellen, ob eine bestimmte Strategie durch die Zahlenverhalt
nisse oder durch den Aufgabeninhalt begunstigt werden.
Bei Aufgabe 1 sind die Quotienten c:a und boa ganzzahlig, bei Auf
gabe 5 beide nicht ganzzahlig. Sie sollen Aufschlup uber die Ver
teilung der Operationsmuster bei gleich "leichten" bzw. gleich
"schweren" "inneren" (c:a) und "auperen" Verhaltnissen (b:a) geben.
Die Aufgaben 2 und 3 sollen zeigen, wie weit die Schuler ihre
Strategien nach ganzzahligen Verhaltnissen ausrichten.
HART (1981) konnte zeigen, dap Schuler, die bei Proportionsauf
gaben mit "ungunstigen" Zahlenverhaltnissen (also Aufgabe 5)
scheitern, oft noch erfolgreich bei Aufgaben sind, die mit "Buil
ding-up"-Strategien aus Halbieren und Addieren zum Ziel fuhren.
Eine solche Strategie lapt Aufgabe 4 durch f(c) = f(a+a:2)
= f(a)+f(a):2 = b+b:2 zu, ebenso die Anwendung der Mittelwertei
genschaft (s. Lcsungsbeispiel von Helma, Abschnitt 3.1.1).
Bei den Aufgaben 4 und 5 ist b<a und bei Aufgabe 5 zudem c<a ge
wahlt, um das Vorkommen von Divisionsreihenfolgefehlern zu erfas
sen.
Fur die funf Antiproportionsaufgaben wurden aus Grunden der Ver
gleichbarkeit mit den Proportionsaufgaben entsprechende Zahlenver
haltnismuster gewahlt. Allerdings durften hier Teilbarkeits- und
Gropenverhaltnisse eine geringere Rolle spielen, da es ja ein Ope
rationsmuster gibt, bei dem man - zumindest bei den Aufgaben unse
res Tests - ohne gebrochene Zahlen auskommt.
Nach den Ergebnissen der Voruntersuchungen. in denen auch mit den
Inhalten Stuckzahl-Preis-Einheitspreis und Strecke-Fahrzeit-Ge
schwindigkeit experimentiert wurde sowie mit der Umstellung in der
Reihenfolge der Zahlenangaben, entschieden wir uns zur Vermeidung
Proportionen und Antiproportionen 317
von nicht relevanten Variablen fur eine einheitliche Textstruktur
und gegen Inhalte, bei denen eventuell auch schon Kinder Routine
anwenden ("Geschwindigkeit ist Weg durch Zeit").
Fa~t man den Strategiebegriff im Sinne eines Verhaltensplans zum
Erreichen eines Ziels auf, ist bei der Auswertung schriftlich vor
liegenden Datenmaterials im allgemeinen nur das numerische Produkt
zuganglich, aus dem mehr oder weniger gut auf die Strategie ruck
geschlossen werden kann. Aufgrund der vorliegenden Rechnungen der
Schuler kann also nur nach Rechenoperationsmustern kategorisiert
werden.
Bei der Kategorisierung wollen wir zunachst Operationsmuster er
fassen, die entstehen, wenn der Sachzusammenhang der jeweiligen
Aufgabe verstanden wurde. Damit wird nicht angenommen, da~ aIle
Schuler die Aufgabe sprachlich und sachlich erfa~t haben, sondern
nur etwas uber die Basis der Kategorisierung gesagt. Ebensowenig
bedeutet dies, da~ bei diesem Ansatz nur richtige Losungen erfapt
werden, denn es ist durchaus moglich, dap trotz sprachlichen und
sachlichen Verstandnisses der Aufgabe das Entwickeln oder Anwenden
eines angemessenen Operationsmusters nicht gelingt.
Vor der Unterrichtseinheit "Proportionen und Antiproportionen"
sind die Losungen der Schuler Ergebnisse eigener Strategien
(s. 0.). Nach der Unterrichtseinheit besteht fur die Schuler zu
mindest die Moglichkeit der Anwendung fertiger Modelle, die sie
meist in Form von schematisierten Verfahren im Unterricht kennen
gelernt haben. Bei der Kategorisierung nachunterrichtlicher Losun
gen ist daher zu unterscheiden, ob erkennbar ein im Unterricht
vermitteltes Losungsschema angewendet wurde oder nicht.
3.1 Die Operationsmuster im Vortest
Wir gehen von folgender tabellarischer Anordnung der gegebenen
drei Gro~en a, b, c (Reihenfolge, in der sie in den oben genannten
Aufgaben vorkommen) und der gesuchten Gro~e x aus (G, G* seien die
beteiligten Gro~enbereiche):
WG*
a b c x
318 W. Kurth
3. 1. 1 Proportionen
3.1.1.1 Erfolgreiche Operationen
Ganz grob lassen sich drei erfolgreiche Operationsmuster unter
scheiden (die illustrierenden Beispiele von 5chulerlosungen bezie
hen sich auf Aufgabe 4):
Bei einem Ruhreirezept kommen auf 10 Eier 8 E~loffel Milch. Wieviel E~loffel Milch kommen auf 15 Eier?
I-Operationen:
Hier wird eine multiplikative Beziehung zwischen a und c ermittelt
und auf b zum Zwecke der Berechnung von x ubertragen. Mit "I" wird
dabei angedeutet, da~ erst die Gro~en bzw. Ma~zahlen innerhalb des
Bereiches G verarbeitet und dann die dritte Gro~e bzw. Ma~zahl aus
G* einbezogen wird.
Beispiele: David:
10:5=2 15:5=3 8:2=4 3'4=12
Helma:
10= 8 E1310ffel
20"'16 E1310ffel
Torben:
10 8 + 5 + 4 15 12
Christof:
15:10"'1,5 8· 1,5 -8-
40 12,0
Die Beispiele zeigen, da~ die Kategorie der I-Operationen weiter
differenziert werden kann: So versucht David die Beziehung uber
den gro~ten gemeinsamen Teiler von 10 und 15 herzustellen. Helma
benutzt die Mittelwerteigenschaft und Torben die Building-up-Metho
de aus ~albieren und ~ddieren (HA). In diesen beiden Fallen wird
also zusatzlich die Linearitat von Proportionen ausgenutzt.
Christof benutzt eine Operation, bei der der Multiplikations
operator zwischen 10 und 15 direkt bestimmt wird.
Z-Operationen:
Hier wird eine multiplikative Beziehung zwischen a und b ermittelt
und auf c ubertragen. Mit "Z" wird dabei angedeutet, da~ erst die
Gro~en bzw. Mai3zahlen zwischen den einander zugeordneten Bereichen
Proportionen und Antiproportionen 319
verarbeitet und dann die dritte Grope bzw. Mapzahl aus G einbezo
gen wird.
Beispiele: Alfred:
8: 10=0,8
Martin:
0,8' 15 08
40 12,0
10:8=1,25 8
15:1,25=12
20 16 40
Bernd: 8 4
10 5' 12 15 also 12 Eploffel
Die Verwendung der Bruchschreibweise stellt im ubrigen die grope Ausnahme dar.
RD (Regula detri):
Es wird erst b mit c multipliziert und dann durch a dividiert.
Beispiele: Mathias:
(15'8):10=120:10=12
Olaf:
15'8=120
120: 10=12
Dieses Operationsmuster ist weniger zu erwarten, da der erste Re
chenschritt, ein Produkt zweier einander nicht zugeordneter Gropen
bzw. deren Mapzahlen, sachbezogen nicht interpretiert werden kann.
3.1.1.2 Fehlerhafte Operationen
Welche Fehlermuster kann man erwarten, wenn - sprachliches und
sachliches Verstandnis der jeweiligen Aufgabe vorausgesetzt - die
Losung nicht oder nur teilweise gelingt?
320 W. Kurth
Neben unvollstandigen 1- bzw. Z-Operationen, bei denen z. B. wegen
rechentechnischer Schwierigkeiten die dritte Gre~e nicht mehr ein
bezogen wird, sind Reihenfolgefehler bei Divisionen zu erwarten.
FISCHBEIN (1985) hat in seiner Untersuchung festgestellt, da~
Schuler bei Textaufgaben, deren Losung die Division einer kleine
ren durch eine gropere Zahl erfordert, haufig gerade "anders her
um" dividieren, weil sie sich von fruher erworbenen Vorstellungen
der Division im Bereich der naturlichen Zahlen schwer losen ken
nen. Wir haben viele Schuler im 7. Schuljahr gefunden, die behaup
teten: "8: 10 geht nicht, darum rechne ich 10:8."
Div(I)-Operationen:
Es wird statt der angemessenen multiplikativen Beziehung zwischen
a und c die inverse auf b ubertragen.
Es zeigt sich, (s. Tabe1le 1), da~ dieser Fehler im Vortest nicht
vorkommt, wohl aber im Nachtest, wo er auf der Verwechslung der
Schemata fur Proportionen und Antiproportionen beruht.
Div(Z)-Operationen:
Es wird statt der angemessenen multiplikativen Beziehung zwischen
a und b die inverse auf c ubertragen.
Beispiel: (Aufgabe 4) Rita: 10:8=1,25'15 8
20 16 40
40 0'
125 625
18,75
Des weiteren ist - besonders bei nicht ganzzahligen Verhaltnissen
- damit zu rechnen, dap additive Modelle entwickelt werden, wie
sie bei Untersuchungen von KARPLUS (1974), HART (1981) und
VERGNAUD (1983) vorgefunden wurden:
Add(I)-Operationen:
Die Differenz a-c wird von b subtrahiert bzw. c-a zu b addiert. Es
wird also statt einer multiplikativen I-Beziehung eine additive
angenommen.
Beispiel: (Aufgabe 4) Birgit: 15 -10 5
5 + 8 13
Proportionen und Antiproportionen 321
Add(Z)-Operationen:
Die Differenz a-b wird von c subtrahiert bzw. b-a zu c addiert.
Beispiel: (Aufgabe 4) Franziska: 10-8=2 15-2=13 Eploffel
3.1.1.3 Ergebnisse:
Tabelle 1 gibt den prozentualen Losungserfolg fur jede der funf
Aufgaben und den prozentualen Anteil der Operationsmuster, jeweils
bezogen auf die Anzahl der Testteilnehmer, wieder.
Tabelle 1: Losungserfolg bei den Proportionsaufgaben im Vortest
(in Prozent)
~ 1 2 3 4 5
der Testaufgaben 7
I 42 5
I 6 12
I 36 10
I 8 20
I Kategorie 21 30 9 15 8
richtig (insgesamt) 83 64 72 44 16
I 52 57 9 23 7
Z 29 6 63 9 6
RD 1 - - 3 1
Sonstige - 1 - 9 1
falsch (insgesamt) 17 36 28 56 84
Div ( I ) - - - - -Div (Z) - 2 1 9 22
Add ( I ) 1 - 6 8 5 Add (Z) 1 3 - 8 6
nicht bearb. 3 5 8 16 28
Sonstige 12 26 14 16 24
15
Zu den auf dieser Basis nicht kategorisierbaren richtigen und fal
schen Losungen (Sonstige) ist folgendes zu sagen:
Einen nennenswerten Prozentsatz an richtigen, nicht kategorisier
ten Losungen finden wir nur bei Aufgabe 4 (9 %).
In allen Fallen war nur das Ergebnis ohne eine Rechnung aufge-
322 W. Kurth
schrieben, d. h. es wurde im Kopf gerechnet. Da dies am leichte
sten bei der HA-Operation (Halbieren-Addieren, s. Losung von
Torben, Abschnitt 3.1.1.1) machbar und diese auch nur bei Aufga
be 4 anwendbar ist, vermute ich, dap hier dieses Muster verwendet
wurde. Diese Vermutung wird durch Interviewergebnisse gestUtzt.
Unter den nicht kategorisierten fehlerhaften Losungen finden wir
Quotienten und Produkte einander nicht zugeordneter Gropen, unvoll
standige Rechnungen (nur zwei der drei Gropen wurden verarbeitet),
willkUrlich erscheinende Rechnungen (z. B. Multiplikation bzw. Ad
dition aller drei Zahlen).
Der Vergleich der Aufgaben 2 und 3 zeigt deutlich, dap die vorkom
menden Zahlenmuster die Losungsstrategie beeinflussen:
Aufgabe 2: j-Jf-G* 5 6
30 x
Nur die Division innerhalb (I) ergibt eine ganze Zahl, 57 % der
SchUler gegenUber 6 % wahlen dieses Muster:
Aufgabe 3: G G* 12 36
9 x
Nur die Division ~wischen (Z) ergibt eine ganze Zahl. 63 % der
SchUler gegenUber 9 % wahlen hier das Z-Muster.
Anders bei den Aufgaben 1:
~G*
7 42 21 x
und 5: G 20
8
G* 15 x
Hier sind die Anteile an I- bzw. Z-Mustern wesentlich ausgegliche
ner, wenngleich bei Aufgabe 1 das I-Muster bevorzugt wird.
In Aufgabe 5 lapt sich kein auffallender Unterschied zwischen er
folgreich angewendeten 1- bzw. Z-Mustern feststellen, allerdings
ist die Erfolgsquote bei dieser Aufgabe mit 16 % auch sehr niedrig.
Der deutlich hohere Losungserfolg bei Aufgabe 4, verglichen mit
Aufgabe 5, lapt sich erwartungsgemaP zum gropten Teil auf das HA
Muster (Halbieren und Addieren) und die sonstigen erfolgreichen
Proportionen und Antiproportionen 323
Verfahren, die ich aus bereits genannten Grunden fur verkurzte HA
Muster halte, zuruckfuhren.
Wie vermutet, taucht das RD-Muster kaum auf.
Die gegenuber Aufgaben 1 bis 3 viel h6here Mi~erfolgsquote bei
Aufgabe 4 ist - wie vermutet - zum Teil auf Div- und Add-Fehler
zuruckzufUhren. Gleichzeitig ist der Anteil an Nicht-Bearbeitungen
angestiegen. Bei Aufgabe 5 sind gegenuber Aufgabe 4 die Anteile an
Div-Fehlern und Nicht-Bearbeitungen nochmals deutlich angestiegen.
Der hohe Anteil der Nichtbearbeitungen ist nicht etwa auf Zeitman
gel zuruckzufuhren (in der A-Form die 5. Aufgabe, in der B-Form
die 8. Aufgabe), sondern allein auf die Schwierigkeit mit den Bru
chen 15:20 bzw. 15:8.
3.1.2 Antiproportionen
3.1.2.1 Erfolgreiche Operationen
Hier lassen sich zwei erfolgreiche Hauptoperationsmuster unter
scheiden:
I-Operationen:
Hier wird wie bei den proportionalen I-Operationen zunachst eine
multiplikative Beziehung zwischen a und c ermittelt und die hierzu
inverse Beziehung auf b zum Zwecke der Berechnung von x ubertragen.
Beispiele (Aufgabe 9):
Alfons:
12:8=1,5 8
40 40 0"
Julia:
8=15 Tage
4=30 Tage
12=10 Tage
15: 1,5
150:15=10
30:3=10
Ein Futtervorrat reicht fur 8 Schafe 15
Tage.
Wie lange reicht der gleiche Vorrat fur
12 Schafe?
David:
8:4=2 12:4=3 15:3=5 2·5=10
324 W. Kurth
Wegen der fehlenden Linearitatseigenschaft von Antiproportionen
hat die Kategorie der I-Operationen eine geringere Variationsbrei
teo
Z-Operationen (MO):
Sucht man zuerst eine multiplikative Beziehung ~wischen den Gro~en
bereichen (Z), so wird bei Antiproportionen zuerst a mit b ~ulti
pliziert und dann durch c ~ividiert. In ubereinstimmung mit ande
ren Veroffentlichungen nennen wir dieses Muster auch MO-Operation.
Beispiel (Aufgabe 9): Sonka: 15t·8 120t
120 t: 12=10t
Auf dieses Muster fuhren zwei unterschiedliche Oenkansatze:
1 . Fur Schaf reicht der Vorrat 120 Tage, fur 12 Schafe den
12. Tei 1 von 120 Tagen.
2. Der Gesamtvorrat betragt 120 Tagesrationen, verteilt an 12
Schafe ergibt 10 Tage.
Beide Ansatze kamen vor, allerdings unterschiedlich oft bei den
verschiedenen Aufgaben: Die zweite Moglichkeit wurde bei den Auf
gaben 7, 8 ~nd 10 bevorzugt, bei der "Schafsaufgabe" dagegen der
erste Ansatz, vermutlich weil die Schuler den Begriff "Tagesra
tion" (0. a.) nicht bildeten - es gibt keine bekannte Gro~e, die
man als Gesamtmenge berechnen konnte.
3.1.2.2 Fehlerhafte Operationen
Wie bei den Proportionsaufgaben mu~ auch hier mit unvollstandigen
Operationen gerechnet werden.
Bei Proportionsaufgaben gibt es erfolgreiche Operationsmuster, die
keine Entsprechung bei den Antiproportionen haben. So kommt es zu
fehlerhaften Losungen, wenn Schuler solche Entsprechungen falsch
licherweise annehmen, z. B. wenn bei Z-Operationen anstelle von
(a·b):c (MO) gerechnet wird c:(a·b). Wir nennen diese Fehler Z(f).
Proportionen und Antiproportionen 325
Beispiel (Aufgabe 6):
David:
40: 4=10
20: 10= 2
Ein Badesee kann von 4 gleichzeitig lau
fenden Pumpen in 40 Stunden geleert wer
den.
Wie lange brauchen 20 solcher Pumpen da
fur?
Tobi:
4,10=40 Stunden
1 Pumpe 10 Stunden 2 Stun den
brauchen 20 Pumpen
Den Antiproportionalitaten fehlt die Linearitatseigenschaft, was
zur Folge hat, da~ es keine Aquivalente zur Mittelwerteigenschaft
und BUilding-up-Verfahren, etwa den HA-Operationen (Halbieren und
Addieren), bei Proportionalitaten gibt.
SUAREZ (1977) konnte zeigen, da~ Schuler bei funktionalen Zusam
menhangen haufig Linearitat unterstellten, und die uberwindung der
Linearitat offenbar einen schwierigen Schritt im kognitiven Ent
wicklungsproze~ darstellt. Es ist also anzunehmen, da~ SchUler bei
Antiproportionsaufgaben von linear abnehmenden Zusammenhangen aus
gehen (Lin.-Ab.-Operationen).
Beispiel (Aufgabe 9):
Darja:
Ein Futtervorrat reicht fur 8 Schafe 15
Tage.
Wie lange reicht der gleiche Vorrat fur
12 Schafe?
Von 8 bis 12 = 4 das ist die Halfte. 1 Von 15 Tagen die Halfte ist 72 ,
15 - 71, 71, 2 2
Tatjana:
12 Schafe - 8 Schafe
15 Tage - 4 Schafe
4 Schafe
11 Tage
Also: Es sind 4 Schafe mehr,
also 4 Tage weniger
(HAlAS)
(A/S(I»
326 W. Kurth
Das Kurzel HA/HS bei der Losung von Darja steht fur die Operation,
bei der dem ~albieren und ~ddieren in G das ~albieren und Subtra
hieren in G* zugeordnet wird. Sie stellt das Analogon zur HA-Ope
ration bei Proportionsaufgaben dar.
Die A/S(I)-Operation von Tatjana ist das Analogon der auch fur die
Proportionen falschen Add(I)-Operation. Hier wird allgemein die
Differenz c-a von b subtrahiert bzw. a-c zu b addiert.
3.1.2.3 Ergebnisse
Tabelle 2 zeigt nun den prozentualen Losungserfolg der einzelnen
Aufgaben sowie die prozentualen Anteile der Losungsmuster, jeweils
bezogen auf die Teilnehmerzahl:
Tabelle 2: Losungserfolg bei den Antiproportionsaufgaben
im Vortest (in Prozent)
I~ 6 7 8 9
Kategorie 4
I 40 5
I 12 6
I 18 8
I 20 15 4 12
richtig (insgesamt) 47 61 50 23
I 34 28 2 3
MD 10 31 43 19
Sonstige 3 3 4 -
falsch (insgesamt) 53 39 50 77
Z(f) 7 1 - -
HA/HS - - - 4
A/S (I) 1 2 2 13
nicht bearb. 6 12 10 30
Sonstige 39 25 39 30
10
15 15
I 8
6
61
4
57
-
39
-
-2
19
19
Zu den mit dem gewahlten Kategorisierungssystem nicht einteilbaren
richtigen Losungen (Sonstige) ist folgendes zu sagen:
Neben einer Losung (b:c)'a bei Aufgabe 8 finden wir vier Losungen
Proportionen und Antiproportionen 327
des eingangs beschriebenen Restverteilungsmusters (s. Einleitung,
"Oliver").
Bei den kategorisierten erfolgreichen Operationen fallt auf, da~
nur im FaIle eines ganzzahligen Verhaltnisses c:a - Aufgaben 6 und
7 - hohe Prozentsatze an I-Operationen zu verzeichnen sind. Dies
entspricht dem Ergebnis bei den Proportionsaufgaben.
Bei nicht-ganzzahligem Verhaltnis c:a - Aufgaben 8 bis 10 - ist
der Anteil richtiger Losungen vorwiegend auf MD-Operationen zuruck
zufuhren.
Bei Aufgabe 9 werden sie allerdings nicht halb so oft verwendet
wie bei den Aufgaben 8 und 10 (5. S. 13). Dafur ist dies die ein
zige Aufgabe mit auffallenden Anteilen an linearen und additiven
Mustern. Auch der Prozentsatz an Nicht-Bearbeitungen ist deutlich
hoher als bei den anderen Aufgaben.
Z(f)-Operationen finden wir - entsprechend dem Vorkommen von
I-Operationen - fast nur dort, wo diese ohne gebrochene Zahlen
durchfuhrbar sind, namlich bei Aufgabe 6.
Bemerkenswert sind die, verglichen mit den Proportionsaufgaben,
meist hoheren Prozentsatze an sonstigen falschen Losungen. Dabei
sind auffallend haufige Fehlermuster die Operationen b:c, b:a so
wie proportionale Rechnungen in I- und Z-Form (PropI, PropZ).
Schlusselt man diese Muster fur jede Aufgabe auf, so ergibt sich
folgende Verteilung:
Tabelle 3: Aufschlusselung der sonstigen Fehler bei Antipro
portionsaufgaben (Ergebnisse in Prozent, bezogen auf
die Teilnehmerzahl)
'~ 6 7 8 9 10
Fehlermuster 4
I 40 5
I 12 6
I 18 8
I 15 15
I 20 15 4 12 6
Sonstige insgesamt 32 18 37 30 14
nur b:c, danach abgebr. 17 - 10 2 1 nur b: a, danach abgebr. 1 1 1 5 1
Prop I 3 3 1 1 -Prop Z 3 3 17 3 3
Rest 8 11 9 19 9
8
328 W. Kurth
Die besonders auffalligen Fehlermuster b:c bei Aufgabe 6 und 8 so
wie PropZ bei Aufgabe 8 waren auch bei den Voruntersuchungen (s.
KURTH/KIRSTEIN, 1987) aufgefallen, z. T. in noch starkerer Auspra
gung.
Der Versuch, Hintergrunde nicht erwarteter Fehlermuster zu benen
nen, mup zwangslaufig spekulativ bleiben. Dennoch konnten einige
Schuler interviews magliche Fehlerprozesse aufdecken. Ich machte
dies hier fur die Fehlermuster PropZ und b:c bei Aufgabe 8 skiz
zieren.
Es zeigte sich, dap ganzzahlige Verhaltnisse - wie ja auch die er
folgreichen Operationsmuster zeigen - einen dominanten Einflup ha
ben. Der geht haufig so weit, dap primar die Zahlen wahrgenommen
und Inhalte dahingehend angepapt werden, dap dieses Verhaltnis bei
der Lasung ausgewertet werden kann. So wird bei Aufgabe 8 erst die
Rechnung 18:6 ausgefuhrt und die Tagesration zur Gesamtmenge umin
terpretiert.
Auch der Fehler "nur b:c· bei Aufgabe 8 scheint - trotz des nicht
ganzzahligen Ergebnisses (18:4=4,5) - dieselbe Ursache zu haben.
Dafur spricht, dap einige Schuler zuerst boa berechnen, bevor sie
dann b:c berechnen und das Ergebnis als Losung ausgeben. Hierzu
das Beispiel einer Schulerin:
6 Tage
18 Li ter
Tag
3 Liter
4 Tage
18 Liter
18:4=4,5
Es durfen 4,5 Liter jeden Tag verbraucht werden.
Auch hier ist - wie im vorherigen Beispiel - zunachst die Angabe
der 18 Liter als Gesamtvorrat fehlinterpretiert worden, die dann
aber einmal auf 6 Tage, dann auf 4 Tage zu verteilen ist.
3.2 Zusammenfassung der Vortestergebnisse
Schuler zeigen bei der Bearbeitung von proportionalen und antipro
portionalen Textaufgaben vor der entsprechenden Unterrichtseinheit
durchaus eine Reihe Operationsmuster, die auf zielgerichtete ange
messene Losungsstrategien schliepen lassen.
Dabei treten sowohl Operationsmuster auf, die auf das Erkennen des
"waagerechten Zusammenhangs" (5. VOLLRATH 1989, S. 8) in Form von
Proportionen und Antiproportionen 329
Z- bzw. MD-L6sungen als auch des "senkrechten Zusammenhangs" (s.
VOLLRATH 1989. S. 12) in Form von L6sungen nach dem I-Muster
schie[3en lassen.
Die Schuler sind z. T. recht flexibel. was das Ausnutzen ganzzah
liger Verhaltnisse angeht. scheitern aber haufig. wenn Bruchzahlen
schwieriger zu vermeiden sind. Die Schwachen bestehen nicht nur
bei den Rechentechniken. sondern vor allem auch im Bruchzahl- und
Rechenoperationsverstandnis. An die Stelle angemessener Strategien
treten dann haufig additive bzw. lineare Verfahren.
In einzelnen Fallen wurden - bei L6sungen von Antiproportions
aufgaben - sogar sinnentstellende Textinterpretationen festge
stellt. die ihrerseits durch Zahlenmuster ausgel6st werden konnen
(s. Beispiel Maja).
Der erfolgreiche Umgang mit proportionalen und antiproportionalen
Zusammenhangen ist also nicht trennbar von einem tragfahigen
Bruchzahlkonzept.
4. Unterrichtsbeobachtung
Nach dem Vortest begann im Herbst 1987 in allen 6 Klassen der Os
nabrucker Realschule DOM eine funfwochige Unterrichtseinheit uber
Proportionen und Antiproportionen. In 4 Klassen unterrichteten die
Fachlehrer nach eigenen Konzepten. in 2 Klassen Mitglieder der Ar
beitsgruppe. In allen Klassen wurde in allen ca. 20 Stunden hospi
tiert. Eine Dokumentation findet sich in dem Band VIET/KURTH "Un
terrichtsbeobachtungen" (1989). Protokolliert wurden aIle behan
delten Aufgaben. aIle Lehrererklarungen zu wichtigen Begriffen.
die Einfuhrung des oder der Losungsverfahren (Tabelle. Rechen
schema. graphische Darstellung) und der Grad ihrer Verbindlichkeit
sowie Dialogausschnitte zwischen Lehrer und Schuler. um typische
Fehlersituationen aufzuzeigen. Auf diese Weise war es m6glich. ei
nige auffallende Unterschiede in den Erfolgs- und Fehlerstrategien
der Klassen den jeweiligen Unterrichtsmapnahmen zuzuordnen. Natur
lich unterschieden sich die Klassen in vielen Variablen. Es ist
nicht m6glich. statistisch einwandfrei bestimmte Fehlerhaufigkei
ten genau einer dieser Variablen zuzuordnen.
330 W. Kurth
Sechs Wochen nach Abschlup der Unterrichtseinheit wurde ein Nach
test geschrieben, sechs Monate spater der Behaltenstest. Nach den
Ergebnissen der beschriebenen und vieler anderer Unterrichtsana
lysen kann man davon ausgehen, dap in Unterrichtseinheiten uber
proportionale und antiproportionale Textaufgaben die Begriffe
"proportional" und "antiproportional" sehr fruh und im Zusammen
hang damit fur jede der beiden Zuordnungstypen (genau) ein weit
gehend schematisiertes L6sungsverfahren eingefuhrt wird. Unter
Schemata verstehen wir festgelegte Verfahren in Tabellenform oder
Rechenwegen, die nach der Einordnung der Aufgaben in "proportio
nal" oder "antiproportional" ohne inhaltliche Uberlegungen anzu
wenden sind.
Beispiele:
: 100 . 70
oS ,100
1 , 70
OM 14, 10~ : 100
) . 70
oder 100 oS ~ 14,10 OM 1 oS ~ 14,10:100 OM
70 05 ~ ..... OM
Von den beobachteten sechs Klassen folgten vier ausschlieplich der
I-Konzeption, eine der Z-Konzeption (uber die Bestimmung der Pro
portionskonstanten) und in einer wurden beide M6glichkeiten behan
delt. Dabei gab es zwischen den Klassen geringe Unterschiede in
der Darstellung und dem Rechenweg.
(In anderen Osnabrucker Realschulen und in vielen Berufsschulklas-
sen wird ein Gleichungsverfahren gelehrt. Die oben
genannte Aufgabe wurde ge16st: x 14,10 (Z-Strategie) 70 100
oder auch x 70 (I-Strategie) 14, 10 = 100
Die fruhzeitige Einengung des "L6sungsraumes" mag zum einen daran
liegen, dap einschlagige Schulbucher die Unterrichtseinheit ent
sprechend aufbauen, zum anderen aber auch Ausdruck der Annahme
sein, dap Schuler dann erfolgreich sind, wenn sie m6glichst rasch
uber ein L6sungsinstrument verfugen und dies an vielen Aufgaben
eingeubt wird. Dabei werden die Zahlenmuster in den Anfangsaufga
ben so gewahlt, dap sich genau die Strategie anbietet, die auch
als Basis fur die angestrebte "Definition" und das L6sungsverfah
ren ausgenutzt werden 5011. Bezogen auf d~e Aufgaben unseres Tests
ware also Aufgabe 2 gut geeignet, wenn man auf den "senkrechten
Zusammenhang", Aufgabe 3 wenn man auf den "waagerechten Zusammen
hang" hinaus will.
Proportionen und Antiproportionen 331
So wurde beispielsweise in einer Klasse - auf die Konzeption wurde
von uns kein Einflup genommen - die tabellarisch vorgegebene Menge
Preis-Zuordnung
k OM 6 10,80
12 4 1 5
benutzt, um mit Hilfe von Multiplikations- und Divisionsoperatoren
die fehlenden Werte zu berechnen:
k OM 6 10,80 t . 2 ~12 '2
:3 '4
21,60 ; :3 :4 7,20 :4
'1 1, 80 ~ . 5 ~5 9,00 . 5
Nach zwei weiteren ahnlichen Aufgaben wurde dann definiert:
Eine Zuordnung ist proportional, wenn dem Doppelten der
1. Grope auch das Doppelte der 2. Grope zugeordnet ist oder
der Halfte die Halfte zugeordnet ist oder dem Dreifachen das
Dreifache zugeordnet ist usw.
Entsprechend wurden bei tabellarisch vorgegebenen antiproportiona
len Zuordnungen weitere Gropenpaare uber Operatoren ermittelt und
"antiproportional" analog definiert.
Die so formulierten Charakterisierungen von Proportionen und Anti
proportionen geben im wesentlichen (nur) den rechentechnischen Ab
lauf wieder, und dies verkurzt fUr den Fall, dap ganzzahlige Multi
plikations- und Divisionsoperatoren anwendbar sind.
Entsprechend fallen die SchUlerauperungen zu den Begriffen "propor
tional" und "antiproportional" aus. Zitate:
Eine Zuordnung ist proportional,
"wenn ich links mal 2 rechnen mup und rechts auch mal 2"
"was man links macht, mup man auch rechts machen"
"wenn man links und rechts mal (geteilt) rechnet"
"ich mup beides mal oder geteilt rechnen"
332 VV. Kurth
Eine Zuordnung ist antiproportional,
"wenn ich links mal 2 und rechts geteilt durch 2 rechnen mu~"
"wenn man links mal und rechts geteilt rechnen mu~ oder um
gekehrt".
Nicht genannt wird hier, warum so zu rechnen ist. Die nach Ende
der Unterrichtseinheiten durchgefuhrten Schuler interviews zeigen
das gleiche Bild. Die Schuler au~ern, was zu rechnen ist, konnen
aber auf Nachfragen selten eine Begrundung fur das rechnerische
Vorgehen nennen.
Die im Unterricht vorgenommene Charakterisierung von Proportionen
und Antiproportionen setzt eine bereits erfolgte tabellarische
Aufarbeitung der Aufgabenstellung voraus. Diese Aufarbeitung wird
im Unterricht nun (nachtraglich) thematisiert. Sie umfa~t das Auf
finden zweier Gro~enbereiche, Erkennen der Zuordnungsart und die
tabellarische Darstellung einander zugeordneter Gro~en.
Das folgende Beispiel zeigt, da~ die Ubersetzung vom Text in eine
Zuordnungsformulierung nicht immer in eindeutig festgelegter Weise
moglich ist.
Beispiel aus dem Unterricht einer Klasse mit I-Konzeption:
Eine Schulklasse (30 Schuler) hat fur einen Wandertag ei
nen Bus gemietet. Um den Bus zu bezahlen, wird von jedem
Schuler 10,40 DM eingesammelt. Wieviel mu~ jeder Schuler
einer Parallelklasse fur die gleiche Fahrt zahlen, wenn
5 Schuler weniger mitfahren?
Einige Schuler nahmen das Gro~enpaar (1 Schuler; 10,40 OM) als
Ausgangspunkt und argumentierten - sachlich angemessen - propor
tional:
Anzahl der Schuler 1
30
DM 10,40
312,00
Nun trugen sie unter die 30 die Zahl 25 ein und rechneten die Auf
gabe proportional zu Ende. Die "gewunschte" Losung in Sinne des
Unterrichts ware gewesen, von einer antiproportionalen Zuordnung
auszugehen:
Proportionen und Antiproportionen
Anzahl der Schuler Preis ro Schuler OM 10,40 -; 62,40 1 12,48 ~
'6 :5
333
(Hinweis: Den Schulern dieser Klasse wurde empfohlen, geeig
nete Zwischengrapen, wie hier den grapten gemeinsamen Teiler
von 30 und 25 oder die "Einheit", zu w~hlen.)
Der erstgenannte Ansatz papt aber auf keins der beiden im Unter
richt behandelten Lasungsverfahren.
Mit anderen Worten: Die Anwendung eines der beiden im Unterricht
vermittelten Verfahren setzt einen "Zuordnungsansatz" voraus, der
yom Kontext der Aufgabe her gar nicht zwingend ist.
Eine so vorgenommene starke methodische Einengung auf nur einen
Aspekt, die wir in den anderen Beobachtungsklassen in ~hnlicher
Form vorfanden, widerspricht aber gerade dem Facettenreichtum
funktionalen Denkens, wie er sich schon in der von den Schulern im
Vortest gezeigten Lasungsvielfalt andeutet. Ein Schuler wie der in
der Einleitung zitierte Oliver wird schwerlich einsehen kannen,
warum man bei der Wasservorratsaufgabe 8 von einem antiproportiona
len Zusammenhang zwischen der Zeitdauer und der Tagesration aus
gehen solI, wo es doch auch uber den proportionalen Zusammenhang
zwischen der Zeitdauer und dem davon abh~ngigen Verbrauch geht.
Eine vorwiegend an Sachanalysen mit Uberbetonung des Begrifflichen
orientierten Didaktik hat einer Vorgehensweise wie oben beschrie
ben zumindest Vorschub geleistet. VOLLRATH bemerkt zudem:
"Am Ende ergibt sich dann ein hoch entwickelter formaler Apparat,
der seine Wurzeln in den Ph~nomenen kaum erkennen l~Pt. Der Mathe
matikunterricht l~Pt sich leider immer wieder davon verfuhren, die
Mathematik yom Hahepunkt der Entwicklung her zu sehen. Damit mUs
sen dem Lernenden wesentliche Einsichten verschlossen bleiben."
(VOLLRATH 1989, S. 23).
5. Die Tests nach dem Unterricht
5.1 Die Nachtestergebnisse
In allen sechs Versuchsklassen wurde sechs Wochen nach Ende der
Unterrichtseinheit der mit dem Vortest identische Nachtest durch-
334 W. Kurth
gefuhrt. Dieser zeitliche Abstand wurde gewahlt, weil uns die Re
konstruktion der gelernten Losungsverfahren interessiert, wahrend
direkt nach Ende des Unterrichts ein Gutteil an reinen Reproduk
tionen zu erwarten ist.
Die Nachtestergebnisse zeigen den nach erfolgtem Unterricht zu er
wartenden Zuwachs an richtigen L6sungen:
5.1. I Proportionsaufgaben:
Tabelle 4: Vergleich Vor- und Nachtest bei Proportionsaufgaben
(in Prozent, bezogen auf die Teilnehmerzahl; Vortest
werte in Klammern)
Auswert ungs-Nr. 1 2 3 4 5
~ 7 I 42 5
I 6 12 I 36 10 I 8 20 I 15
21 30 9 15 8
richtige Losung 92 (83) 89 (64) 81 (72) 75 (44) 70 (16)
I 61 (52) 66 (57) 30 (9) 48 (23) 40 (7) Z 26 (29) 20 (6) 48 (63) 24 (9) 26 (6) Sonst. 5 ( 1 ) 3 ( 1 ) 3 - 3 (12) 4 (3)
Fehler: Add. ISubt r. - (2) - (3) 1 (6) - (16) - (11) a:b statt boa - (-) 1 (2) 4 ( 1 ) 12 (9) 11 (22) Antiprop. 1 (-) 1 (-) 5 (-) 3 (-) 4 (-) nicht bearb. 4 (3) 2 (5) - (8) 2 (16) - (28) Sonst. 8 (12) 10 (26) 9 (14) 7 (16) 15 (24)
Nichtbearbeitungen und nichtkategorisierbare Fehler sind deutlich
zuruckgegangen, die additiven Muster Add(I) und Add(Z) kommen gar
nicht mehr vor. Dafur erscheint ein neues Fehlermuster, das im Vor
test praktisch keine Rolle spielte, namlich da~ Proportionsauf
gaben mit dem Verfahren fur Antiproportionen bearbeitet werden.
Die Unterrichtsbeobachtungen haben gezeigt, da~ weniger die vor
handenen Schulerstrategien thematisiert und ausgebaut werden, als
da~ es - fur die meisten Schuler - um einen qualitativ anderen Zu
gang zu den Aufgaben geht. Wahrend im Vortest jede der zehn Aufga
ben eine eigene Anforderung an die Schuler stellt, ist Schwerpunkt
des Unterrichts, die Aufgaben unter dem Zuordnungsgesichtspunkt
mit den Auspragungen ·proportional" und "antiproportional" zu be-
Proportion en und Antiproportionen 335
trachten und zur konkreten Losung ein dem Zuordnungstyp entspre
chendes schematisiertes Verfahren zu verwenden.
Es erscheint mir daher sinnvoll, bei der Auswertung der Nachtest
ergebnisse zwischen L6sungen ohne und mit erkennbarer Verwendung
eines schematisierten Verfahrens zu unterscheiden. Damit ist noch
nichts uber den Hintergrund einer nichtschematisierten Losung ge
sagt. Es kann durchaus sein, da~ sich ein SchUler an ein Losungs
schema erinnert, die Aufgabe auch durch Anwendung dieses Schemas
lost, nur auf die optische Form soweit verzichtet, da~ Elemente
des Schemas nicht mehr erkennbar sind. Das gleiche "Sild" wUrde
aber auch vorliegen, wenn der SchUler den Unterricht ignoriert und
mit einer "Vorteststrategie" zur Losung gelangt.
Tabelle 5: Vergleich Schema- (S) und Nichtschemabenutzer (N)
bei Proportionsaufgaben (in Prozent)
Auswertungs-Nr. 1 2 3 4 5
~ 7
I 42 5 I 6 12
I 36 10
I 8 20
I 21 30 9 15 8
S N S N S N S N S % bearbeiteter Aufgaben 41 59 51 49 59 41 55 45 60
richtig in % von bearbeiteten 96 87 93 84 84 70 89 60 84 Aufgaben
Fehler: Schemafehler - - 2 - - - - - 1 Antiprop. 2 3 2 2 12 11 6 8 12 Div. Fehler - 1 2 - 3 6 3 28 -Sonst. 2 9 1 14 2 13 2 4 3
15
N
40
46
-11 30 13
Die Tabelle zeigt eine - vernUnftige - Tendenz der SchUler, schwe
re Aufgaben eher als leichte nach dem gelernten Schema zu bearbei
ten. Darin sind sie im Nachtest auch erfolgreich. Unter den Feh
lern ist nur der hohe Anteil von Divisionsfehlern bei den Aufgaben
4 und 5 (10:8 anstelle von 8: 10 bzw. 20: 15 statt 15:20) allein un
ter den Nichtschemabenutzern auffallend.
Dies ist nicht einmal verwunderlich, weil ja der Unterricht gerade
ein spezielles Verfahren anzielt, aber schUlereigene Strategien
und die dabei sichtbar werdenden Defizite nicht thematisiert.
336 W. Kurth
5.1.2 Antiproportionsaufgaben:
Tabelle 6: Vergleich von Vor- und Nachtest bei Antiproportions
aufgaben (in Prozent, bezogen auf die Teilnehmerzahl;
Vortest in Klammern)
Auswertungs-Nr. 6 7 8 9 10
~ 4 I 40 5 I 12 6 I 18 8 I 15 15 I 8 20 15 4 12 6
richtige Losung 80 (47) 83 (61) 65 (SO) 72 (23) 64 (61)
I 32 (34) 47 (28) 16 (2) 28 (3) 14 (4) Z (MD) 36 (10) 33 (31) 44 (43) 44 (19) 49 (57) Sonst. 12 (3) 3 (3) 5 (4) - ( 1 ) 1 (-)
Fehler: Prop. 11 (7) 8 ( 1 ) 29 (-) 15 (-) 31 (-) nicht bearb. 2 (6) 3 (12) 3 (10) 6 (30) 4 (19) Sonst. 7 (39) 6 (25) 4 (39) 6 (47) - (29)
In der Auseinandersetzung omit den Antiproportionsaufgaben domi
niert das Z(MD)-Muster bei den Aufgaben 8, 9, 10 wie auch schon im
Vortest. Bei den Fehlern sind die "50nstigen" und der Anteil der
nicht bearbeiteten Aufgaben deutlich zuruckgegangen, aber der
"neue" Fehler - Antiproportionsaufgaben als Proportionsaufgaben zu
rechnen - nimmt besonders bei den Aufgaben 8 und 10 zu.
Tabelle 7: Vergleich 5chema- (5) und Nichtschemabenutzer (N)
bei Antiproportionsaufgaben (in Prozent)
Auswertungs-Nr. 6 7 8 9 10
~ 4 I 40 5 I 12 6 I 18 8
I 15 15
I 20 15 4 12 6
S N S N S N S N S % bearbeiteter Aufgaben 49 51 47 53 48 52 54 46 51
richtig in % von bearbeiteten 77 83 81 84 67 62 76 64 53 Aufgaben
Fehler: Schemafehler - - 2 - 4 - - - 3 Prop. Rechn. 16 - 17 3 27 17 23 11 39 nicht bearb. - 2 - 7 - 3 - 15 -Sonst. 7 14 - 6 2 18 1 10 4
8
N
49
75
-9 9 7
Proportionen und Antiproportionen 337
Wahrend bei den Proportionsaufgaben ein deutlicher Erfolgszuwachs
bei den schematisierten Losungen (im Mittel 32 Prozentpunkte) ge
genuber den nichtschematisierten (im Mittel 12 Prozentpunkte) zu
verzeichnen ist, fallt dieser Unterschied bei den Antiproportions
aufgaben weit geringer aus (27 Prozentpunkte gegenuber 20 Prozent
punkte). Ein deutlicherer "Vorsprung" wird durch den - verglichen
mit den Nicht-Schema16sungen - wesentlich starkeren Anstieg an
proportionalen Rechnungen verhindert.
Eine genauere Analyse zeigt zudem, da~ Schuler, die diesen Fehler
typ bei der Anwendung schematisierter Verfahren begehen, in einem
Drittel aller FaIle im Vortest noch richtige L6sungen hatten!
Das Verwenden schematisierter L6sungsverfahren begunstigt also
ganz offensichtlich den Fehler, Antiproportionsaufgaben wie pro
portionale zu bearbeiten. Mechanismen, die auf dieses Fehlermuster
fuhren k6nnen, sind bereits bei der Unterrichtsbeobachtung deut
lich geworden. Dennoch ist das Ausma~ uberraschend.
Die durchgefuhrten Interviews zeigen, dap Schuler, die scnemati
sierte Verfahren benutzen, haufig die zwei Arbeitsschritte (Fest
stellen des Zuordnungstyps und "Abspulen" des L6sungsverfahrens)
nicht aufeinander beziehen. So passiert es etwa bei Aufgabe 10,
da~ ein proportionaler Zusammenhang zwischen der Anzahl der Beutel
und der mit dieser Anzahl abzufullenden Kartoffelmenge richtig er
kannt wird. Die L6sung k6nnte wie folgt aussehen:
Anzahl der Beutel Men Anzahl der Beutel
15 6
8 120 20 120
Sie wird also uber eine zweifache Proportion erreicht.
Ein solches Vorgehen sieht aber der Unterricht im allgemeinen gar
nicht vor. Er lapt praktisch nur eine Tabelle fur den antipropor
tionalen Zusammenhang zwischen der Anzahl der Beutel und der Menge
pro Beutel bei konstanter Gesamtmenge zu. Die SchUler gehen also
einerseits - richtig - von einem proportionalen Zusammenhang aus,
wahlen aber zwangslaufig eine Tabelle der Form
338
15 6
8 x
die sie dann proportional bearbeiten.
5.2 Der Behaltenstest
VV.Kurth
Die Leistungen im Behaltenstest entsprechen denen im Nachtest; die
durchschnittliche Erfolgsquote bei den Proportionen bet rug 82 %,
bei den Antiproportionen 74 %.
Im Vergleich zu den Nachtestergebnissen hat die Flexibilitat der
SchUler zugenommen. Dieser Eindruck wird dadurch verstarkt, dap
weniger SchUler einen schematisierten Losungsweg wahlten.
5.3 Weitere Ergebnisse
Zum Schlup dieses Abschnitts sollen nur einige Ergebnisse Uber in
teressante SchUlergruppen mitgeteilt werden:
1. Vergleich zwischen leistungsstarken und -schwachen SchUlern:
Definiert werden die Gruppen durch die Erfolgsquoten im Vortest:
"Schwach" sind SchUler, die 3 oder weniger Aufgaben richtig gelost
haben, "stark" sind diejenigen, die 7 oder mehr richtig haben.
Die Gruppe der schwachen SchUler steigert sich von 20 % im Vortest
auf 69 % im Nachtest, wegen des Ceiling-Effekts nimmt die Erfolgs
quote der stark en Gruppe nur von 82 % auf 84 % ZU, sie bleibt da
mit signifikant starker.
Die schwachen SchUler bevorzugen bei beiden Aufgabentypen schema
tisierte Verfahren und sind damit auch relativ erfolgreich, wah
rend sich bei den starken SchUlern Schemabenutzer und Nichtbe
nutzer die Waage halten. Im Behaltenstest sinkt die Schemabenut
zung bei der starken SchUlergruppe wieder abo
2. Vergleich von Jungen und Madchen:
Im Vortest sind die Jungen erfolgreicher als die Madchen, die Er
folgsquoten betrugen 53 % bzw. 43 %. Sehr deutlich sind die Unter
schiede bei den schwierigeren Proportionsaufgaben. Aufgabe 5 wurde
von den Jungen mit 23 % richtig bearbeitet, von den Madchen nur
mit 7 %. Ahnliches gilt fUr die Antiproportionsaufgabe 7. Im Nach-
Proportionen und Antiproportionen 339
test behalten die Jungen ihren Vorsprung, obwohl die Madchen einen
heheren Lernerfolg aufweisen (Nachtestergebnis - Vortestergebnis),
das gilt besonders fur die Antiproportionen. Ahnliches gilt fur
den Behaltenstest, in dem die Jungen in 5 Aufgaben signifikant
oder sehr signifikant besser abschneiden.
6. Konsequenzen fur dieUnterrichtspraxis
Die Ergebnisse unserer Untersuchungen kennen fur die in der Schul
praxis stehenden Lehrer in mancher Hinsicht von Bedeutung sein:
Sie gestatten, den Schwierigkeitsgrad der Aufgaben in Abhan
gigkeit vom Zuordnungstyp, vom Inhalt, von der Textgestaltung
und vor allem von den vorkommenden Zahlenverhaltnissen abzu
schatzen.
Sie geben Auskunft uber zu erwartende Schulerstrategien bei
Lesung von Textaufgaben proportionalen bzw. antiproportionalen
Typs.
Sie geben Auskunft uber Fehler und Fehlerursachen in Abhangig
keit der benutzten Strategien.
Sie zeigen Vor- und Nachteile verschiedener im Unterricht ver
mittelter Losungsschemata.
Wir kennen aber z. B. nicht sagen, welches Verfahren das empfeh
lenswerteste, das sogenannte "beste" ist. Unsere Untersuchungen
haben uns im Gegenteil zu der uberzeugung gefuhrt, dap es solch
ein "bestes" Verfahren nicht gibt. Die nicht befriedigenden Erfol
ge bisherigen Unterrichts sind z. T. gerade dadurch entstanden,
dap sehr fruh eine Einengung auf zwei Zuordnungstypen mit genau je
einem L6sungsverfahren erfolgte. Diese Schemata wurden dann haufig
"eingeubt", bevor die Schuler eine adaquate Modellvorstellung von
proportionalen und antiproportionalen Zusammenhangen gewonnen ha
ben. Diese lapt sich durch Tabellen und Pfeile nicht ersetzen. Ei
ne adaquate Modellvorstellung liepe sich durch starkere Einbezie
hung des Funktionsaspektes bewerkstelligen, wie es in einer unse
rer Beobachtungsklassen geschah, die deutlich bessere Ergebnisse
in der Bestimmung des Funktionstyps hatte.
Der Funktionsbegriff hat im Zusammenhang mit unserem Thema Werk
zeugcharakter. Der "Werkzeugcharakter" von Funktionen wird gerade
in den Vortestlosungsmustern der Schuler deutlich. Man erkennt,
wie "ausgefeilt" ein Werkzeug ist, wo es greift, wo nicht, welche
340 VV.Kurth
Fehler es eventuell aufweist. Es ist moglich, eine Methodendiskus
sion mit den Schulern zu fuhren mit dem Ziel der Bewuptmachung ei
gener und anderer Losungsstrategien. Diskussionen dieser Art schei
nen im Mathematikunterricht kaum ein Thema zu sein. Das Erlernen
einer im Unterricht vorgegebenen Losungsmethode wird durch ihren
Bezug zu vorher erprobten und diskutierten Strategien erleichert
oder erubrigt sich eventuell sogar. Die Tatsache, dap verschiedene
"vernunftige" Vorteststrategien beobachtet wurden und die Ver
schiedenheit der Anwendungssituationen sprechen ohnehin fur eine
Methodenvielfalt, also dafur, die vorhandenen Strategien auszu
bauen und Defizite aufzugreifen.
"Eine moglichst bewupte Berucksichtigung und Handhabung kognitiver
Mittel und Werkzeuge scheint eine der wichtigsten Bedingungen fur
eine adaquate Entwicklung des mathematischen Denkens zu sein. Dies
gilt fur den Proportions- und Funktionsbegriff umso mehr, als die
se Begriffe ihrerseits implizit die epistemologischen Voraussetzun
gen beinhalten, um Diagramme und Formeln als Modelle von Anwen
dungssituationen zu interpretieren. [ ... J Es ware ganz falsch, vor
schnell nach einer moglicherweise vorliegenden Proportionalitat
Coder Antiproportionalitat, W. K.] zu fragen. Vielmehr besteht die
Grundaufgabe des Problemlosens gerade darin, bei Konzentration auf
einen Teilaspekt das Denken zugleich fur den Gesamtkontext und ein
moglichst gropes Spektrum an Losungen offen zu halten. Begriffe
und Reprasentationen durfen also nicht ohne Not vorzeitig spezia
lisiert und verengt werden" (Jahnke & Seeger 1986, S. 77).
Dieses Zitat steht nun im krassen Widerspruch zu dem beobachteten
Unterricht. Wir sind uberzeugt, dap dies nicht nur auf diese Klas
sen zutrifft.
"Setzt" man auf Methodenvielfalt, stellt sich auch die Frage nach
dem "besseren" mathematischen Zugang zu den Begriffen Proportiona
litat und Antiproportionalitat nicht mehr.
Will man moglichst vielen Aspekten des Proportions- bzw. Antipro
portionsbegriffs gerecht werden, kann eine fruhzeitige Auszeich
nung eines bestimmten Aspekts in Form einer Definition nicht die
geeignete Empfehlung sein. Die fachdidaktische Diskussion mup von
der Oberbetonung der Frage nach dem "richtigen Einstieg" wegkommen.
Proportionen und Antiproportionen 341
VOLLRATH (1989) beschreibt funktionales Denken als eine Denkweise,
die typisch fur den Umgang mit Funktionen ist, wodurch der metho
dologische Aspekt des Funktionsbegriffs betont wird.
Nimmt man die Vokabel "Umgang" ernst, so bedeutet dies, dap funk
tionales Denken uber konkrete oder zumindest gedanklich vollzogene
Handlungen als kognitives Schema erworben wird.
Gerade diesem Gedanken tragt die Arbeitsgruppe "Grundlagen der Ma
thematik/Kognitionstheorie" an der Universitat Osnabruck durch ei
ne langjahrige Forschungsarbeit Rechnung (s. z. B. KAUNE 1985).
Die dabei gewonnenen Ergebnisse hat diese Gruppe inzwischen im
Rahmen eines von ihr initiierten und wissenschaftlich betreuten
Schulversuchs des Niedersachsischen Kultusministers in ein Unter
richtskonzept umgesetzt (COHORS-FRESENBORG u. a. 1989a, b, COHORS
FRESENBORG 1985).
Oiesen Zugang hier zu skizzieren, wurde den Rahmen des Aufsatzes
sprengen. Er ermoglicht wesentliche von VOLLRATH genannte Einsich
ten, die mit funktionalem Oenken verbunden sind:
die Abhangigkeit einer Grope von einer oder mehreren anderen;
den dynamischen Aspekt: Es wird erfapt, wie Anderungen einer
oder mehrerer Gropen sich auf eine abhangige Grope auswirken;
den Aspekt der Berechenbarkeit;
Funktionen als kognitive Modelle.
Der bisherige Verlauf des Schulversuchs stimmt optimistisch und
hat gezeigt, dap Schuler tragfahige Modellvorstellungen von Funk
tionen und damit fur den in diesem Aufsatz angesprochen Teilbe
reich der Proportionen und Antiproportionen erwerben.
342 W. Kurth
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Dr. Wilfried Kurth Hoger Weg 14 2800 Bremen 33