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26 ORTHOPÄDIE & RHEUMA 2014; 17 (2) Fortbildung Hemiprothese versus inverse Prothese bei älteren Patienten Prothetische Versorgung der komplexen proximalen Humerusfraktur H. L EEMANN , U. R IEDE Die Beurteilung und die Indikationsstellung für die Behandlung kom- plexer proximaler Humerusfrakturen werden kontrovers diskutiert. Die Übergänge in den Therapieoptionen dieser häufig Osteoporose- assoziierten Verletzungen sind fließend. Neben relativ klaren Indika- tionen für eine operative respektive konservative Behandlung gibt es eine große Grauzone an Frakturen, die sowohl konservativ als auch mit verschiedenen Techniken operativ behandelt werden können. D ie Ursachen für den fehlenden Konsens in der Behandlung kom- plexer proximaler Humerusfrak- turen sind vielfältig. Die Beurteilung der Fraktur und des Verletzten ist eine sehr individuelle Angelegenheit. Die Wahl der erapiestrategie ist stark von Stand und Orientierung der Ausbildung des betreuenden Arztes oder des Kranken- hauses geprägt. Die große Palette der verschiedenen Implantate und Techni- ken ist schwer miteinander vergleichbar und erfordert oſt höchst individuelle technische Fähigkeiten („skills“). Kommt eine konservative erapie nicht infrage und wird eine Osteosyn- these als wenig erfolgsversprechend be- urteilt, ist die prothetische Versorgung der proximalen Humerusfraktur indi- ziert. Die 1970 von Dr. C. Neer publizier- ten Resultate waren vielversprechend [1]. Dies war aber eine Zeit vor der Einfüh- rung der winkelstabilen Plattenosteo- synthesen mit überwiegend konservati- ver Behandlung oder mit sehr einfachem Osteosyntheseverfahren. Neuere Studi- en geben dieser initialen Euphorie für die Hemiprothese einen klaren Dämpfer [2]. Auch die Verwendung der winkelsta- bilen Implantate ist – besonders bei älte- ren Patienten – mit hohen Raten an Komplikationen und Reoperationen ver- bunden [3]. Vor diesem Hintergrund hat die inverse Prothese in der Versorgung der komplexen proximalen Humerus- fraktur einen neuen und zunehmend bedeutenden Platz erhalten. Wie wir heute entscheiden Welcher Patient und welche Fraktur soll- te mit einer Prothese versorgt werden? Wann entscheiden wir uns für eine He- miprothese und wann verwenden wir eine inverse Prothese? Zu den klassi- schen Indikationen für eine protheti- sche Versorgung der proximalen Hume- rusfraktur gehören Vier-Fragment- Frakturen, Drei-Fragment-Frakturen bei schlechter Knochenqualität sowie Impressionsfrakturen mit einem Defekt, der mehr als 40% der humeralen Ge- lenkfläche umfasst. Im Mittelpunkt der Indikationsstel- lung steht der Patient. Jüngere Betroffe- ne mit sehr komplexen proximalen Hu- merusfrakturen, meist als Folge eines Hochenergietraumas, lassen sich auf- grund ihrer hohen Knochenqualität oſt gut mit einer Osteosynthese versorgen. Bei korrekter Positionierung der Tuber- cula ist es auch im Fall einer möglichen symptomatischen Kopfnekrose erfolg- versprechend möglich, sekundär eine Prothese zu implantieren [4]. Ältere Patienten möchte man nicht dem Risiko einer Revisionsoperation aussetzen. Deswegen neigt man bei ih- nen eher zu einer prothetischen Versor- gung von Frakturen, die sich nicht re- konstruieren lassen und/oder ein hohes Risiko für das Versagen einer Osteosyn- these bergen. Wird die Indikation für eine primäre prothetische Versorgung gestellt, ist als nächstes die entscheidende Frage zu be- antworten, welches Implantat man wählt: die schon von Neer beschriebene- ne anatomische Versorgung mit einer Hemiprothese, oder die bereits aus der Behandlung der Cuff-Arthropathie be- kannte inverse Prothese. Problemstellung Bei den Hemiprothesen erwies sich der hohe Anteil von erapieversagern als problematisch, die Betroffenen eine schmerzhaſte Bewegungseinschrän- kung in der operierten Schulter beschert. Diese Situation wurde 2002 von Boileau analysiert [5]. Er stellte als Hauptfaktor für ein Versagen der Hemiprothese eine Fehlimplantierung der Komponente Abb. 1: Computertomografische 3-D- Rekonstruktion einer linksseitigen proximalen, mehrfragmentären Humerusfraktur mit Headsplit bei einer 82-jährigen Patientin. © H. Leemann, Bürgerspital Solothurn

Prothetische Versorgung der komplexen proximalen Humerusfraktur

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Fortbildung

Hemiprothese versus inverse Prothese bei älteren Patienten

Prothetische Versorgung der komplexen proximalen HumerusfrakturH. LE E M A N N, U. R I E D E

Die Beurteilung und die Indikationsstellung für die Behandlung kom-plexer proximaler Humerusfrakturen werden kontrovers diskutiert. Die Übergänge in den Therapieoptionen dieser häu� g Osteoporose-assoziierten Verletzungen sind � ießend. Neben relativ klaren Indika-tionen für eine operative respektive konservative Behandlung gibt es eine große Grauzone an Frakturen, die sowohl konservativ als auch mit verschiedenen Techniken operativ behandelt werden können.

D ie Ursachen für den fehlenden Konsens in der Behandlung kom-plexer proximaler Humerusfrak-

turen sind vielfältig. Die Beurteilung der Fraktur und des Verletzten ist eine sehr individuelle Angelegenheit. Die Wahl der � erapiestrategie ist stark von Stand und Orientierung der Ausbildung des betreuenden Arztes oder des Kranken-hauses geprägt. Die große Palette der verschiedenen Implantate und Techni-ken ist schwer miteinander vergleichbar und erfordert o� höchst individuelle technische Fähigkeiten („skills“).

Kommt eine konservative � erapie nicht infrage und wird eine Osteosyn-these als wenig erfolgsversprechend be-urteilt, ist die prothetische Versorgung der proximalen Humerusfraktur indi-ziert. Die 1970 von Dr. C. Neer publizier-ten Resultate waren vielversprechend [1]. Dies war aber eine Zeit vor der Einfüh-rung der winkelstabilen Plattenosteo-synthesen mit überwiegend konservati-ver Behandlung oder mit sehr einfachem Osteosyntheseverfahren. Neuere Studi-en geben dieser initialen Euphorie für die Hemiprothese einen klaren Dämpfer [2]. Auch die Verwendung der winkelsta-bilen Implantate ist – besonders bei älte-ren Patienten – mit hohen Raten an Komplikationen und Reoperationen ver-bunden [3]. Vor diesem Hintergrund hat die inverse Prothese in der Versorgung der komplexen proximalen Humerus-

fraktur einen neuen und zunehmend bedeutenden Platz erhalten.

Wie wir heute entscheidenWelcher Patient und welche Fraktur soll-te mit einer Prothese versorgt werden? Wann entscheiden wir uns für eine He-miprothese und wann verwenden wir eine inverse Prothese? Zu den klassi-schen Indikationen für eine protheti-sche Versorgung der proximalen Hume-rusfraktur gehören Vier-Fragment-Frakturen, Drei-Fragment-Frakturen bei schlechter Knochenqualität sowie Impressionsfrakturen mit einem Defekt, der mehr als 40% der humeralen Ge-lenk� äche umfasst.

Im Mittelpunkt der Indikationsstel-lung steht der Patient. Jüngere Betro� e-ne mit sehr komplexen proximalen Hu-merusfrakturen, meist als Folge eines Hochenergietraumas, lassen sich auf-grund ihrer hohen Knochenqualität o� gut mit einer Osteosynthese versorgen. Bei korrekter Positionierung der Tuber-cula ist es auch im Fall einer möglichen symptomatischen Kopfnekrose erfolg-versprechend möglich, sekundär eine Prothese zu implantieren [4].

Ältere Patienten möchte man nicht dem Risiko einer Revisionsoperation aussetzen. Deswegen neigt man bei ih-nen eher zu einer prothetischen Versor-gung von Frakturen, die sich nicht re-konstruieren lassen und/oder ein hohes

Risiko für das Versagen einer Osteosyn-these bergen.

Wird die Indikation für eine primäre prothetische Versorgung gestellt, ist als nächstes die entscheidende Frage zu be-antworten, welches Implantat man wählt: die schon von Neer beschriebene-ne anatomische Versorgung mit einer Hemiprothese, oder die bereits aus der Behandlung der Cu� -Arthropathie be-kannte inverse Prothese.

ProblemstellungBei den Hemiprothesen erwies sich der hohe Anteil von � erapieversagern als problematisch, die Betro� enen eine schmerzha� e Bewegungseinschrän-kung in der operierten Schulter beschert. Diese Situation wurde 2002 von Boileau analysiert [5]. Er stellte als Hauptfaktor für ein Versagen der Hemiprothese eine Fehlimplantierung der Komponente

Abb. 1: Computertomogra� sche 3-D-Rekonstruktion einer linksseitigen proximalen, mehrfragmentärenHumerusfraktur mit Headsplit bei einer 82-jährigen Patientin.

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oder eine Fehlreposition respektive -hei-lung der Tubercula fest. Besonders bei älteren Patienten mit einer ausgeprägten Osteoporose lassen sich auch an moder-nen Implantaten die eierschalenartigen Fragmente des Tuberculummassivs nur schwer an das Implantat � xieren bezie-hungsweise haben hier eine schlechte Heilungstendenz. Aufgrund dieser Er-kenntnisse und ausgehend von den sehr guten Ergebnisse der inversen Prothese in der Versorgung der Cu� -Arthropa-thie wurde dieser Implantattyp zuneh-mend auch in der prothetischen Versor-gung akuter Frakturen eingesetzt. Erste Arbeiten zeigten nur wenig vielverspre-chende Ergebnisse, allerdings wurden hier die Tubercula reseziert [6].

Entscheidungs� ndungDie Interpretation und Klassi� kation komplexer proximaler Humerusfraktu-ren mithilfe konventioneller Röntgenbil-der ist schwierig und zeigt bei der Ein-teilung der unterschiedlichen Klassi� ka-tionen keine hohe Intraobserver-Relia-bilität [7]. Aus diesem Grund hat sich für die korrekte Beurteilung und � erapie-entscheidung immer mehr die Compu-tertomogra� e (CT) in Verbindung mit einer 3-D-Rekonstruktion durchgesetzt (Abb. 1). Neben der ossären Beurteilung der Frakturfragmente bietet die CT auch die Möglichkeit, eventuelle Pathologien der Rotatorenmanschette zu erkennen. Zusätzlich erlaubt es die CT, eine etwai-ge Osteoporose oder Defektzonen im Humeruskopf einzuschätzen und damit

auch Informationen über die Rekonstru-ierbarkeit zu erhalten. Ebenso lässt sich feststellen, ob die vorliegende Fraktur mit oder eventuell ohne Operation be-handelbar ist. Zusätzlich kann die Ent-scheidung getro� en werden, ob eine Osteosynthese technisch möglich und anhand von prädiktiven Faktoren auch sinnvoll ist [8].

Der für uns wichtigste Faktor in der Entscheidungs� ndung ist der Patient: Zu berücksichtigen sind das Alter, der Gesundheitszustand, die Lebensum-stände (Selbstständigkeit? Altersheim?) sowie die persönlichen Erwartungen an die Schulterfunktion.

Eine Fraktur, die sich aufgrund ihres Dislokationsgrades nicht für eine kon-servative � erapie eignet und die wegen der Knochenqualität oder der Art des-Knochenbruchs nicht sinnvoll mit einer Osteosynthese behandelbar ist, wird mit einer Prothese versorgt.

Entscheidung pro HemiprotheseEine Hemiprothese wird bei jüngeren, meist noch arbeitsfähigen Patienten mit höherem Aktivitätsgrad eingesetzt. Dieser Personengruppe ist es aufgrund ihres Alters und ihres Verständnisses für die Verletzung sowie ihrer intellektuel-len und psychischen Situation in der Re-gel möglich, ein sehr striktes postopera-

tives Physiotherapieprotokoll konse-quent durchzuführen. Neben einer ex-zellenten Compliance ist eine gute Kno-chenqualität sehr wichtig, um eine gute Fixierung der Tuberkula an das Implan-tat zu erzielen.

Entscheidung pro inverse ProtheseDas einzige klare Kriterium für die Im-plantation einer inversen Prothese in der akuten Fraktursituation ist eine komple-xe proximale Humerusfraktur in Ver-bindung mit einer ausgeprägten Patho-logie der Rotatorenmanschette (Abb. 2). Diese Konstellation ist allerdings extrem selten. In der Literatur, hauptsächlich aus Nordamerika, wird das Alter des Pa-tienten als Hauptkriterium angegeben. Inverse Prothesen sollten nicht bei Pati-enten unter 75 Jahren implantiert wer-den. Andererseits ist das Alter ein sehr schlechter Gradmesser für den Gesund-heitszustand und den Aktivitätsgrad des Patienten und seine Erwartungen an die Schulterfunktion.

Wir implantieren eine inverse Prothe-se bei älteren, üblicherweise nicht mehr berufstätigen, aber noch selbstständigen Patienten mit komplexen proximalen Humerusfrakturen, die sich im eigenen Haushalt selbst versorgen und daher eine gute Überkop� unktion des betrof-fenen Armes benötigen.

Abb. 2 Intraoperativer Situs einer rechts-seitigen proximalen Humerusfraktur mit ausgeprägter Ruptur der Rotatoren-manschette (deltopektoraler Zugang).

Abb. 3 Prä- (links) und postoperatives (rechts) Röntgenbild einer komplexen proximalen Humerusfraktur nach Treppensturz eines 63-jährigen Handwerkers; Versorgung mit einer zementierten Hemiprothese.

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Fortbildung Komplexe proximale Humerusfraktur

Sekundäre Implantation einer inversen Prothese Werden sehr hochbetagte Patienten im eigenen Haushalt intensiv unterstützt oder leben sie in P� ege-/Altenheimen, können komplexe proximale Humerus-frakturen mit dem Behandlungsziel ei-ner P� egbarkeit auch konservativ be-handelt werden. Das bedeutet eine ent-sprechende Ruhigstellung zur Analgesie und die Selbstmobilisation beziehungs-weise die Mobilisation durch P� egekräf-te. Eine Physiotherapie ist hingegen nicht unbedingt erforderlich. Häu� g stellen sich diese Frakturen trotz ihrer Komplexität in den ersten Wochen nach dem Unfall aufgrund der Schwerkra� adäquat ein, sodass der Patient schmerz-arm bis schmerzfrei wird und eine Funktion der Schulter erlangt, die ihn p� egbar macht.

Falls sich im Lauf der Nachbehand-lung mit Röntgenkontrollen nach einer, vier und acht Wochen herausstellt, dass eine zunehmende Dislokation der Frag-mente au� ritt, der Patient schmerzha� limitiert ist und seine P� egbarkeit frag-lich wird, lässt sich zu jedem Zeitpunkt

durch die Implantation einer inversen Prothesen immer noch eine sehr gut ak-zeptable Situation erreichen. Diese Maß-nahme ist aber nur selten notwendig.

ImplantatwahlDie Kriterien für die Wahl des richtigen Implantats sind trotz einer schwer über-schaubaren Fülle von Herstellern mit ei-genen Philosophien recht einfach: Ein Frakturprothesensystem muss die Mög-lichkeit einer korrekten Positionierung und Fixierung der Tuberkula am Im-plantat ermöglichen. Das Hauptkriteri-um ist die Modularität, die bei einem Pa-tienten einen einfachen Wechsel ohne Scha� ausbau von einer inversen auf eine Hemiprothese und umgekehrt erlaubt. Auch bei der primären inversen Fraktur-prothese bevorzugen wir einen speziel-len Frakturscha� für die Tuberkulumre-� xation.

OperationstechnikDie Patienten erhalten perioperativ Stan-dardantibiotika und werden in eine Beach-chair-Lagerung mit einem pneu-matischen Armhalter gebracht. Über einen deltopektoralen Zugang erfolgt das Anschlingen der Tubercula und die Bi-zepstenotomie. Der Scha� wird bei Hemi- und inversen Prothesen immer zemen-tiert. Alle Patienten erhalten eine Redon-drainage.

Hemiprothese Verwendet werden moderne Implantate, die eine sekundäre Konvertierung auf eine inverse Prothese erlauben bezie-

hungsweise dem Operateur intraoperativ leicht die Möglichkeit eines Verfahrens-wechsel auf eine inverse Prothese bieten. Die Höhenbestimmung des Scha� es er-folgt anhand des Musculus pectoralis major, einer puzzleförmigen Rekonst-ruktion der Frakturfragmente mit liegen-der Prothese und einer intraoperativen Durchleuchtung. Der Scha� wird mit 0–20° Retroversion zur Epikondylenebe-ne in der Fraktursituation immer zemen-tiert. Auch die Reposition und Fixierung der Tubercula mit nicht-resorbierbaren #5 FiberWire© Fäden erfolgt unter Sicht und Röntgenkontrolle (Abb. 3).

Inverse ProtheseFrakturen mit komplexer Zertrümme-rung des metaphysären Anteils erfor-dern eine genaue Planung mit der gesun-den Gegenseite zur Höhenbestimmung. Ansonsten lässt sich intraoperativ auch ohne Bildwandlerkontrolle die adäquate Prothesenhöhe anhand der Fragmente gut bestimmen. Eine Feinjustierung lässt sich über das Polyethyleninlay an-hand der Spannungsverhältnisse errei-chen. Der Scha� wird in 0–20° Retrover-sion zementiert, die Tubercula minus und majus werden stabil an das Implan-tat und den proximalen Humerus � xiert. (Abb. 4).

Nachbehandlung bei HemiprotheseFür die Hemiprothese erforderliche kor-rekte Heilung der Tubercula wird von uns durch das Anlegen eines Abdukti-onskissens für die ersten sechs Wochen,

Abb. 4 Zwei-Jahres-Verlauf der Patientin aus Abb. 1, versorgt mit einer zementier-ten inversen Prothese; Anwachsen der Tuberkula am Schaft.

| Tabelle 1Resultate von primären inversen Prothesen bei komplexen proximalen Humerusfrakturen

Durchschnittswert Spannbreite

Absolute Constant Score 67 Punkte 34–83

Schmerz 14,4 Punkte 10–15

ADL 18.6 Punkte 6–10

Flexion 130° 80–180

Abduktion 125° 20–170

Außenrotation 18° 0–70

Kraft 4,9 Punkte 0–16

Relative Constant Score 99% 52–139

Subjective Shoulder Value 82% 40–100

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ähnlich wie nach einer Rotatorenman-schettenrekonstruktion, mit einer vor-sichtigen passiven Mobilisation unter-stützt. Die aktive Mobilisation ist in den ersten sechs Wochen nach der Hemipro-thesen-Implantation verboten. Danach beginnt der schrittweise Übergang zur freien Funktion. Als sehr hilfreich hat sich die Wassertherapie erwiesen.

Nachbehandlung bei inverser ProtheseTrotz der Re� xierung der Tubercula dürfen die Patienten postoperativ den Arm – schmerzadaptiert und ohne Be-lastung – für „Activities of Daily Living“ (ADL) funktionell gebrauchen. Dies ist besonders für die hochbetagte Popula-tion ausgesprochen wichtig und ein be-deutsamer Vorteil der inversen Prothe-sen. Falls der Patient auf Gehstützen an-gewiesen ist, dürfen diese in den ersten sechs postoperativen Wochen nur zur Gleichgewichtsunterstützung, aber nicht zur Entlastung eingesetzt werden.

ErgebnisseDie eigenen Daten und Daten der Pati-enten aus der Uniklinik Balgrist (Zü-rich) der primären Implantation inver-ser Prothesen bei komplexen proxima-len Humerusfrakturen sind vielverspre-chend (Tab. 1): Funktion und Schmerz-situation dieser hochbetagten Patienten sind hervorragend [9]. Die Komplikati-onsrate (zwei erforderliche Hämatom-spülungen und eine konservativ behan-delte Fissur im Humerusscha� ) ist ak-zeptabel.

ZusammenfassungModerne Implantatsysteme bieten uns technisch hervorragende Möglichkeiten für die prothetische Versorgung von proximalen Humerusfrakturen. Die Hauptprobleme, besonders jene der He-miprothese, sind aber noch nicht voll-ständig gelöst. Die Indikationsstellung ist schwer standardisierbar und wird noch länger eine individuelle Entschei-dung bleiben.

Hemiprothesen sollten jüngeren Pati-enten mit guter Knochenqualität und ei-nem klaren Verständnis für ein striktes postoperatives Physiotherapieprotokoll vorbehalten bleiben. Inverse Prothesen zeigen bei betagten und hochbetagten,

aber noch selbstständigen Patienten sehr vielversprechende Ergebnisse; die Nach-behandlung ist einfach, die Komplika-tionsrate gering.

Die guten Möglichkeiten der nicht-operativen Behandlung – auch von sehr komplexen Frakturen – sollten bei Pati-enten mit reduzierter Selbstständigkeit immer als Alternative erwogen werden. Das Versagen einer konservativen � e-rapie ist in den meisten Fällen mit einer inversen Prothese gut aufzufangen.

Literatur unter www.springermedizin.de/orthopaedie-und-rheuma

Dr. med. Ulf RiedeStv. ChefarztLeiter Schulter und EllenbogenchirurgieKlinik für Orthopädie & Chirurgie des Bewegungsapparates Bürgerspital Solothurn Schöngrünstrasse 42CH-4500 Solothurnwww.so-H.ch

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Literatur1. Neer CS, 2nd Displaced proximal humeral

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9. Grisch D, Riede U et al. Reverse total shoul-der arthroplasty (RTSA) as primary treat-ment for complex proximal humerus fractu-res in elderly people. 2011 SECEC Lyon

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