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Prozess gegen Gott - Leseprobe

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Fesselnd erzählt Arthur Richter die Passionsgeschichte nach: das Leiden und Sterben Gottes, der sich in die Hände der Menschen gab. Wer dieses Buch liest, wird vergessen, dass er die Geschichte (vielleicht) längst kennt: die Geschichte eines Prozesses, in dem man sich als Richtender und als Gerichteter plötzlich selbst erkennt. Beschäftigen Sie sich (wieder neu) mit der wichtigsten Geschichte der Menschheit und lassen Sie Ihr Herz berühren! ISBN: 978-3-417-26639-9

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§ Die Vorverhandlung und der Verrat des Petrus

Etwa um Mitternacht begann der große Prozess gegen Jesus von Nazareth. Erstaunlich ist, warum bis heute alle Macht-

haber der Welt auch bei offensichtlichem Unrecht nicht gern auf den Schein des Rechts verzichten wollen. Darum wurde auch dieser Prozess ziemlich genau nach der Ordnung durchgeführt. Man war bereit, das Recht bis ins Gegenteil zu beugen, aber man wollte keinen offenen Rechtsbruch. Das war man sich schuldig.

Jesus wurde zuerst zu einer Art Voruntersuchung zu Hannas ben Sethi geführt. Dieser Hannas war ein alter, mächtiger Mann ohne Amt, in dem sich das nationale Gefühl des Volkes verkör-perte. Aus seinem Geschlecht waren in 60 Jahren nicht weniger als sieben Hohepriester hervorgegangen.

Seit Valerius Gratus ihn als Hohepriester abgesetzt hatte, stand er im Hintergrund. Später bekam der Schwiegersohn des Alten das hohepriesterliche Amt. Der war klug genug, ihn nach Mög-lichkeit am Ablauf wichtiger Ereignisse zu beteiligen.

Diese Voruntersuchung entsprach nicht der Prozessordnung, alle Beteiligten wussten das. Jesus wusste das auch und schwieg. Er hatte völlig die Haltung eines großen Herrn. An ihm war nichts, was an die weichlichen Leidensfiguren in gewissen reli-giösen Darstellungen erinnert. Hier stand ein Mann, der bewusst und aus eigenem Willen einen schweren Weg ging und der noch als Leidender die Dinge in der Hand behielt. Ruhig und kühl ant-wortete er dem Alt-Hohepriester. Einer Höflingskreatur war die-se Antwort nicht servil genug, sie schlug ihm ins Gesicht. Jesus blieb vollkommen beherrscht, aber er wies das Unrecht deutlich zurück.

Der hohepriesterliche Palast ist längst zerstört, auch Ruinen sind nicht erhalten. Wahrscheinlich war es ein weitläufiges Ge-bäude, im Viereck um einen großen Hof gebaut. In einem Flügel

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wohnte der alte Hannas, im anderen waren die Amtsräume und die Wohnung des regierenden Hohepriesters.

Wie ein Zwischenspiel fügt sich der Verrat des Petrus (Matthä-us 26,69-75) in den Ablauf des Prozesses ein. Die Jünger waren verzweifelt in die Nacht hineingelaufen. Zwei von ihnen besan-nen sich und hielten an, Johannes und Petrus. Sie kehrten um und folgten heimlich dem Fackelschein der Kolonne durch die dunklen Straßen. Sie sahen den Haufen mit dem Gefangenen im Tor des Palastes verschwinden. Johannes stammte aus der pries-terlichen Linie der Zebedäus-Familie und war der Türhüterin bekannt. Sie ließ ihn ein und zeigte ihm den Aufgang zum Ver-handlungsraum. Er wurde Augen- und Ohrenzeuge des Prozes-ses. Petrus stand draußen vor dem Tor. Johannes verschaffte ihm durch einige freundliche Worte an die Türhüterin ebenfalls Ein-gang bis in den Hof. Da stand er herum, suchte das Dunkel und benahm sich ziemlich unbeholfen. Die Türsklavin hatte wahr-scheinlich Langeweile und fing ein kleines Gespräch mit ihm an. Ihre Anrede und die Frage, ob er mit dem Verhafteten etwas zu tun habe, war alles andere als bösartig. Eine einfache Frage mit spöttischem Unterton — eben dieser Lage war Petrus nicht gewachsen. Er antwortete schnell und ohne Überlegung: »Nein, ich gehöre nicht zu dem Gefangenen!« Dann folgte auf weitere Fragen wieder ein rasches und betontes Nein.

Armer Petrus! Hätte er doch kämpfen dürfen! Er hätte seinen Mann gestanden. Er hätte sein Leben eingesetzt für den geliebten Meister. Oder hätte man ihn wenigstens vor ein großes Gericht gestellt, er hätte eine herrliche Bekenntnisrede gehalten und sei-nen Herrn verteidigt. Aber hier im Dunkeln gegenüber der leisen Spöttelei einer Frau, da hat er versagt. Ich kann ihn gut verste-hen, den Mann Petrus.

Um der Magd zu entkommen, ging er mitten auf den Hof zu den Soldaten, die dort um ein Kohlenbecken hockten. Damit brachte er sich nun wirklich in Gefahr. Die Soldaten saßen da und warteten und schwatzten, so wie es die Soldaten in aller Her-

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ren Länder zu allen Zeiten getan haben. Es war empfindlich kalt. Eine dumme Geschichte mit diesem Galiläer, den sie verhaftet hatten. Was mochte dahinterstecken? Diese Juden konnten doch nie Ruhe geben. Und dieser Fremde da zwischen ihnen war auch ein Galiläer. Er war an seiner Mundart so sicher zu erkennen wie unter uns ein Sachse. Sie fragten ihn, und nun musste Pe-trus sich ernsthaft wehren. Jetzt kam er in Erregung, er fluchte und schwor einen Eid. Dieser Jünger Jesu rief wirklich Gott zum Zeugen dafür an, dass er Jesus von Nazareth nie gekannt habe. Er war wie von Sinnen vor Angst. Überlaut und hemmungslos schrie er: »Ich kenne diesen Menschen nicht!«

In diesem Augenblick geschah etwas, was nur zwei Menschen begriffen haben. Das Verhör vor Hannas war ergebnislos abge-brochen worden. Jesus wurde von zwei Soldaten quer über den Hof geführt und zum Sitzungssaal des Synedriums gebracht. Er hörte die wütende, schreiende, sich überschlagende Stimme, die ihm doch so vertraut war, die vor drei Stunden gesagt hatte: »Und wenn ich mit dir sterben müsste, will ich dich nicht verleugnen!« (Matthäus 26,35). Und nun schrie diese Stimme über den Hof: »Ich kenne diesen Menschen nicht!«

Jesus blieb stehen. Ganz still sahen sich die beiden an, der Meister und der Jünger. Kein Wort wurde gesprochen, sie sahen sich nur an. Dann zerrten die Soldaten den Gefesselten weiter. In Petrus ist in diesem Augenblick etwas zerbrochen, sein altes, heftiges Wesen hat hier sein Ende gefunden. Draußen lag er dann im Dunkeln, hatte sein Gesicht in die Erde gedrückt und weinte bitterlich. Sein Glück, dass er so weinen konnte.

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§ Die Verhandlung vor dem Großen Synedrium

Am vierzehnten Tag des Monats Nisan morgens gegen vier Uhr begann die Hauptverhandlung gegen Je sus von Naza-

reth. Durch Eilboten hatte man mitten in der Nacht das ganze Sy-nedrium zusammengeholt. Die alten Herren wurden mit größter Dringlichkeit aufgefordert. Sie kamen alle.

Eine alte Beschreibung erzählt von einem großen und runden Saal, rot ausgeschlagen. An den Wänden standen die feierlichen Sitze der Ratsmitglieder. Die Herren trugen ihre weißen Amts-roben. Auf erhöhtem Sitz thronte der Hohepriester, auch er im weißen Gewand. In der Mitte des Raumes war eine kleine Platt-form, auf der stand der Angeklagte. Er wurde von beiden Seiten durch vielarmige, hohe Leuchter angestrahlt, damit die Richter jede Bewegung seines Gesichtes beobachten konnten. So wollte es die Ordnung des Gesetzes. Jesus stand völlig gelassen, sehr aufrecht und ganz still.

Die Prozessordnung schrieb vor, dass Angeklagte nur durch Aussagen von zwei oder mehr Zeugen überführt werden konn-ten. Diese Aussagen mussten wörtlich übereinstimmen, sonst waren sie ungültig. Nur aufgrund gültiger Zeugenaussagen durf-te ein Urteil gesprochen werden.

Die Zeugen traten auf. Man hatte sie schnell geholt, aber es war nicht mehr Zeit genug da, um sie einzudrillen. Sie sagten rei-henweise aus. Aber die Aussagen waren verschieden und daher nicht beweiskräftig. Recht gefährliche Dinge kamen zum Vor-schein, Aussagen, die schon zu einem Todesurteil führen konn-ten. Erst ging es um den Sabbatbruch, der so viel Ärgernis erregt hatte. Dann fragte man nach dem Tempelwort. Der Angeklagte hatte gesagt, er würde den Heiligen Tempel abbrechen — das war Lästerung und todeswürdig. Nur kamen die Zeugen zu kei-ner Übereinstimmung. Es war peinlich.

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Der Angeklagte rührte sich nicht. Er sagte kein Wort. Er stand sehr aufrecht und sah über das Theater dieses Schauprozesses und über seine Spieler weit hinaus. Die Zeugenaussagen fielen matt und wirkungslos zu seinen Füßen nieder, er hob sie nicht auf. Das Gericht war in Verlegenheit. Die Stunden vergingen. Zum Tagesanbruch wollte Kaiphas dem römischen Prokurator das fer-tige Urteil vorlegen, aber man kam mit diesem Menschen nicht weiter. Er verteidigte sich nicht, gab überhaupt keine Antwort. Kaiphas war in höchster Anspannung. Er hatte sich zunächst zu-rückgehalten, wie das die Prozessordnung vom Präsidenten ver-langte. Dann verlor er die Nerven. Dieser eiskalte, gerissene Poli-tiker verlor seine Selbstbeherrschung und beging einen schweren Fehler. Erregt stand er auf — mit ihm erhob sich das Synedri um — und griff in die Verhandlung ein. Aber auch er wurde kei-ner Antwort gewürdigt. Jesus wusste, dass die Befragung durch den Präsidenten unzulässig war, nachdem der versuchte Zeugen-beweis zusammengebrochen war. Rechtmäßig musste man jetzt den Angeklagten freisprechen und dafür die Zeugen anklagen. Der Schauprozess hatte seinen toten Punkt erreicht.

Nun spielte Kaiphas falsch und zwang Jesus zum Eid: »Ich beschwöre dich bei dem lebendigen Gott: Sage uns: Bist du der Messias, der Sohn Gottes?« (Matthäus 26,63). Die Fragestel-lung war seines scharfen Geistes würdig. Sie ging nach dem Mes sias — das konnte zur Not noch als Irrtum gelten —, aber sie ging auch nach dem Sohn Gottes, und eine solche Aussage muss-te auf jeden Fall mit dem Tod bestraft werden.

Jetzt musste Jesus sein Schweigen brechen. Wenn er nun nicht antwortete, hätte er sich rechtlich selbst exkommuniziert. Aber es ging um mehr als um ein Bekenntnis. Es war seine Stunde der Offenbarung vor der Öffentlichkeit, vor Staat und Kirche. Und er antwortete klar und eindeutig: »ICH BIN’s (ani hu) — und ihr werdet den Menschensohn sitzen sehen zur Rechten der Kraft und kommen in den Wolken des Himmels« (Vers 64).

Die Spannung im Raum war unerträglich geworden, die alten

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Männer sahen Jesus fassungslos an. Genau über dem hochaufge-richteten Angeklagten lief nach der Überlieferung der schwere Deckenbalken, der mit goldenen Buchstaben den Text des ersten Gebotes trug: »Schamah jisroel, ani hu elohim — Höre Israel, ICH BIN der Herr!« Und dieser Mensch sagte: »ICH BIN’s — ani hu«. Er benutzte die allerheiligste Offenbarungsformel Got-tes. Eine entsetzliche Gotteslästerung! Es war totenstill. Das Wort stand noch im Raum. Dann hörte man ein knisterndes Reißen, der Hohepriester hatte ein Untergewand eingerissen und die Brust entblößt zum Zeichen des Entsetzens über den Frevel. Es wird eine Mischung von echtem und gemachtem Entsetzen gewesen sein. Ringsum hörte man das gleiche Reißen, alle entblößten die Brust, keiner wollte weniger fromm sein als der Hohepriester.

Der Präsident schlug vor, auf weitere Vernehmungen zu ver-zichten. Der Angeklagte hatte den größten Frevel seines Lebens eben vor dem allerheiligsten Tribunal selbst begangen. Die Rich-ter waren selber Zeugen. Sie widersprachen nicht. Man trat in die Urteilsberatung ein — Kaiphas war seiner Leute sicher. Auf Blasphemie konnte nur das Todesurteil folgen. Die Ordnung schrieb vor, dass jeder Richter persönlich das Urteil aussprach; der Jüngste zuerst, der Präsident zuletzt. Alle ohne Ausnahme verdammten den Angeklagten. Dann geschah eine Zuchtlosig-keit, die in diesem vornehmen Rahmen schwer verständlich ist. Die unerträgliche Spannung musste sich irgendwie entla-den. Matthäus berichtet, wie die hohen Herren ihre Würde und Haltung verloren, wie sie auf den Verurteilten eindrangen, ihn beschimpften und bespien. Nun hatten sie ihn endlich, diesen Mann, der ihnen so viel Mühe und geheime Angst gemacht hatte. Gotteslästerung ist ein klarer Tatbestand, vor Gott und ihrem Ge-wissen waren sie gerechtfertigt. Kaiphas hatte fast triumphierend das Urteil gesprochen: Tod durch Steinigung. So gebot es das Gesetz. Aber er sollte einen viel schrecklicheren Tod sterben.

Es gibt Bruchstücke eines alten Nikodemus-Evangeliums. Eine dieser erhaltenen Stellen des sonst verschollenen Textes

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berichtet: »Nicht alle lästerten. Einige weinten.« Wie gut, dass auch dieses noch gesagt werden kann. Das Bild wäre sonst noch schwerer zu ertragen.

Die geistliche Obrigkeit des auserwählten Volkes hatte ge-sprochen und das Urteil gefällt: Jesus von Nazareth war des To-des schuldig.