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749 Priifung der Theorie yon R.W. Gurney an den Heliumlinien der Chromosphere. Von Wilhelm Anderson in Dorpat. (Eingegangen am 9. Juni 1928.) Die Sonnenstrahlen iiben auf die Ca++-Atome nur einen sehr geringen Strahlungs- druck aus, der viel zu klein ist, um die Gravitationswirkung a'ufzuwiegen. Wenn also in der Chromosphiire Ca++-Atome entstehen, miissen sie, der Schwerkraft gehorchend, niederfallen, wobei sie relativ grol]e Geschwindigkeiten erhalten. R. W. Gurney stellt nun die Hypothese auf, dab der Stol~ so]eher herabfallenden Atome eine merkliche Rolle bei der Anregung (bzw. Ionisation) der Chromosph{iren- gase spielen kann. In der vorliegenden Untersuehung wird die Theorie yon R. W. Gurney an der Heliumlinie ,~5876 und an der dem ionisierten Helium angehSrenden Linie ,~4686 gepriift. Es zeigt sich nun, daft die ltShen, bis zu welehen diese Linien in der Chromosphere zu sehen sind, sieh mit Gurneys Theorie (unter gewissen Voraussetzungen) in guter quantitativer Ubereinstimmung befinden. Jedenfalls liefle sieh das Auftreten der Linie ,~ 4686 in der Chromosph~ire sehr schwer erkl~iren, wenn man Gurneys Theorie verwerfen wollte. Wenn in der Chromosphi~re doppel~ ionislertes Calcium entsteht, mull es, der Schwerkraft gehorchend, niedeffallen, wail der Strahlungs- druck auf die Ca+%Atome viel zu gering ist, um die Gravitationskraft aufzuwiegen. Dasselbe mull auch bei der Ionisierung von Wasserstoif stattfinden, sowie dann, wenn das Heliumatom in seinen , Grundzustand ~ zuriickkehrt. Da in der Chromosphere die Dichte sehr gering (also die ,,[reie Wegliinge" sehr gro~) ist, so miissen die herabfallenden Atome bedeutende Geschwindigkelten erreichen, vial grail]ere als die der Tem- peratur ent~sprechenden ,,Molekulargeschwindigkeiten". R.W. Gurney hat nnn die Hypothese au~gestellt, dai] der Stol] solcher schnellen Atome eine merkliche Rolle bei der Anregung und der Ionlsation der Chromo- sphi~rengase spielen kann*. Bekanntlich erstrecken sich in der Chromosphi~re ionisierte Gase bis zu gr(il]eren HShen a]s unionisierte. So z. B. haben C. R. Davidson und F. J. M. Stratton bel der Sonnenfinsternis yore 14. Januar 1926 ionisiertes Calcium bis zur H~ihe yon 9200kin beobachten kSnnen, unionlsiertes dagegen nur bis 2500kin**. Eine sonderbare Ausnahme bildet nur Helium: die dem neutralen Heliumatom angehSrende Linie s konnten Davidson und Stra~ton bis 7500km fiber dem Sonnenrande beobachten, die dem ionisierten Helium angehiirende Linie * R.W. Gurney, Monthl. Not. 88, 377--379, 1928. ** C.R. Davidson und F. J. M. Stratton, )Iem. Roy. Astron. Soe. 64, 139, 1927, Nr. 4.

Prüfung der Theorie von R. W. Gurney an den Heliumlinien der Chromosphäre

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749

P r i i f u n g der T h e o r i e y o n R . W . G u r n e y an d e n H e l i u m l i n i e n der C h r o m o s p h e r e .

Von W i l h e l m Anderson in Dorpat.

(Eingegangen am 9. Juni 1928.)

Die Sonnenstrahlen iiben auf die Ca++-Atome nur einen sehr geringen Strahlungs- druck aus, der viel zu klein ist, um die Gravitationswirkung a'ufzuwiegen. Wenn also in der Chromosphiire Ca++-Atome entstehen, miissen sie, der Schwerkraft gehorchend, niederfallen, wobei sie relativ grol]e Geschwindigkeiten erhalten. R. W. Gurney stellt nun die Hypothese auf, dab der Stol~ so]eher herabfallenden Atome eine merkliche Rolle bei der Anregung (bzw. Ionisation) der Chromosph{iren- gase spielen kann. In der vorliegenden Untersuehung wird die Theorie yon R. W. Gurney an der Heliumlinie ,~5876 und an der dem ionisierten Helium angehSrenden Linie ,~4686 gepriift. Es zeigt sich nun, daft die ltShen, bis zu welehen diese Linien in der Chromosphere zu sehen sind, sieh mit Gurneys Theorie (unter gewissen Voraussetzungen) in guter quantitativer Ubereinstimmung befinden. Jedenfalls liefle sieh das Auftreten der Linie ,~ 4686 in der Chromosph~ire

sehr schwer erkl~iren, wenn man Gurneys Theorie verwerfen wollte.

Wenn in der Chromosphi~re doppel~ ionislertes Calcium entsteht,

mull es, der Schwerkraf t gehorchend, niedeffallen, wail der Strahlungs-

druck auf die Ca+%Atome viel zu gering ist, um die Gravi ta t ionskraf t

aufzuwiegen. Dasselbe mull auch bei der Ionisierung von Wassers toif

stattfinden, sowie dann, wenn das Heliumatom in seinen , Grundzustand ~

zuriickkehrt. Da in der Chromosphere die Dichte sehr gering (also die

,,[reie Wegli inge" sehr gro~) ist, so miissen die herabfallenden Atome

bedeutende Geschwindigkelten erreichen, vial grail]ere als die der Tem-

peratur ent~sprechenden ,,Molekulargeschwindigkeiten". R . W . G u r n e y

hat nnn die Hypothese au~gestellt, dai] der Stol] solcher schnellen Atome

eine merkliche Rolle bei der Anregung und der Ionlsation der Chromo-

sphi~rengase spielen kann*.

Bekanntl ich erstrecken sich in der Chromosphi~re ionisierte Gase

bis zu gr(il]eren HShen a]s unionisierte. So z. B. haben C. R. D a v i d s o n

und F. J. M. S t r a t t o n bel der Sonnenfinsternis yore 14. Januar 1926

ionisiertes Calcium bis zur H~ihe yon 9200k in beobachten kSnnen,

unionlsiertes dagegen nur bis 2500kin**. Eine sonderbare Ausnahme

bi ldet nur Hel ium: die dem neutralen Heliumatom angehSrende Linie

s konnten D a v i d s o n und S t r a ~ t o n bis 7 5 0 0 k m fiber dem

Sonnenrande beobachten, die dem ionisierten Helium angehiirende Linie

* R.W. Gurney , Monthl. Not. 88, 377--379, 1928. ** C.R. Dav idson und F. J. M. S t r a t t o n , )Iem. Roy. Astron. Soe. 64, 139,

1927, Nr. 4.

750 Wilhelm Anderson,

it 4686 dagegen nur bis 2500 kin. Wir wollen nun untersuchen, ob nicht die Theorle yon R . W . G u r n e y eine Erkl~rung dleser sonderbaren

Erseheinung geben kann.

Wi r nehmen an, dal~ die Heliumlinien durch Stiil~e der herabfallenden

Ca++-Atome angeregt werden. Welter nehmen wir an, da6 ~edes

Hellumatom v o r einem solchen Sto~e unangeregt ist, d. h. sieh in seinem

,Grundzustande" befindet. Da die Calciumatmosphare bis 9200kin

reicht und die Heliumlinie it 5876 bis 7500km, so i s t 9 2 0 0 - - 7 5 0 0

1700km die m i n i m a l e S t r e c k e , d ie ein Ca++-Atom zu f a l l e n

h a t , um d u r c h s e i n e n Stol3 die H e l i u m l i n i e 4 5 8 7 6 a n z u r e g e n .

Es sei M 1 die Masse eines Ca~+-Atoms, M 2 diejenige eines Helium-

atoms, u~ und u~ seien die Gesehwindigkeiten dieser beiden Atome un-

mittelbar vor dem Zusammenstol~, W sei die zur Anregung (bzw. Ionisation)

eines der Atome notwendige Energie. Diese Anregung (oder Ionisation)

erlolgt nur dann, wenn

1 1 7 " 1 1 ( u ~ - - u ~ ) ~ W (1)

N+N ist*. Die AnziehungsbescMeunigung in der Chromosphgre setzen wir

gleieh 2 , 7 . 1 0 ~ cm.see -2, und wenn dort ein Ca++-Atom eine Strecke yon

1700kin gefallen ist, mull seine Gesehwlndigkeit etwa 30,3 km.sec - a

betragen. Wi r kiinnen also u I ---- 3 , 0 3 . 1 0 e cm.see - 1 setzen.

Die Temperatur der Chromosphiixe wollen wir gleieh 40000 abs.

annehmen; die mittlere ,quadratisehe" Geschwindigkeit der Heliumatome

bei dieser Temperatur betragt etwa 5k in . see -1. Den hdt igs ten Sto~

seitens der herabfallenden Ca++-Atome werden natiirlich ]ene Helium-

atome erleiden, deren ,,Molekulargeschwindigkeit" im Moment vor dem

Zusammensto~ zut~llig naeh oben gerichtet ist, d .h . e n t g e g e n den

herabfa]lenden Ca++-Atomen. Wi t kSnnen also u 2 = - - 5 . 1 0 ~ em. see - 1

annehmen**. Schliei~lich setzen wir 3 I 1 ~ 6 , 6 . 1 0 - ~ 3 g und M~ ~--- 6,6

1 1 10-e~g, also 2 1 1 - - 3 . 1 0 -2~. Nun erhalten wir aus (1):

3.10 -2~[3,03. 1 0 6 - ( - - 5. 105)] ~ ~ W oder 3 , 7 3 8 . 1 0 - ~ Erg : > W. (2)

* G. Joos and tt. Kulenkampff , Phys. ZS. 25, 258, 1924. ** Die Heliumlinie Z 5876 ist nur bis zu einer HShe yon 7500 km sichtbar.

Wit-miissen daraus schliel~en, da~ in dieser HShe der Stofl der Ca++-Atome

Priifung der Theorie yon R. W. Gurney an den Heliumlinien usw. 751

Wenn wir die Energie W in Volt X Elektronen attsdriicken wollen,

so miissen wlr die linke Seite yon (2) durch 1,591. t0 -12 divldieren

und erhalten 23,5 Volt X Elektr. ~ W. (3)

Dies stimmt sehr gut mit den Beobachtungen yon G. H e r t z fiber-

ein, der gefunden hat, dal] die Anregungsspannung yon /~ 5876 gleich

23,0 Volt ist *

Was die Linie ~ 4686 anbetri~[t, die dem ionisierten Helium an-

gehOrt, so ist sie, wie wir sehon oben erw~hnt haben, nur bis zu einer

ItOhe yon 2500k in beobaehtet worden. Zu ihrer Anregung mull das

herabfallende Ca++-Atom eine Streeke yon wenigstens 9 2 0 0 - - 2 5 0 0

z 6 7 0 0 k m durchmessen haben. Wenn wir unsere Bereehnungen auf

diesen Fal l unwenden, so erhalten wir

80,0 Volt • Elektr. : > W. (4)

Dies stimmt sehr gut mit den Beobachtungen yon R a u tiberein,

wonaeh die Anregungsspannung yon s 4686 zwischen 75 und 80 Volt

liegt, und zwar so, dab bei 75 Volt noch keine und bei 80 Volt schon

volle Intensi tat zu bemerken ist*%

Wir kommen zu dem ScMul], daft d ie T h e o r i e y o n R .W. G u r n e y

s i ch m i t d e n b e o b a e h t e t e n H t i h e n de r H e l i u m l i n i e n i n g u t e r

q u a n t i t a t i v e r ~ b e r e i n s t l m m u n g b e f i n d e h

Die oben entwickelte Theorie hat aber aueh ihren sehwaehen Punkt.

Wi r haben namlich stillschweigend angenommen, dai] bei einem un-

elastischen Zusammensto]] eines Heliumatoms mit einem Ca++-Atom

]etzteres weder angeregt noch zu Ca +++ ionisiert wird. Eine solche

Annahme mag aber vielleieht nur bei einem Teile der Zusammenst~l]e

berechtigt sein.

gerade noch kaapp zur Anregung von ~ 5876 ausreicht. In auch nur etwa.s grSflerer HShe ist die Anregung yon ~ 5876 selbst unter des gtinstigsten Be- dingungen nicht mehr mSglieh. Diese gilnstigsten Bedingungen liegen darin, dall alas Ca+~-Atom yon der obersten Grenze der Calciumatmesph~tre (d. h. yon 9200kin HShe) herabf~llt und au[ ein Heliumatom stSl~t, dessen ~k[olekular- gesehwindigkeit" ira ]~oment vor dem Zusammensto~ zuf~llig nach oben gerichtet ist. Dann ist n~mlich der Stoi] am heftigsten. Natiirlich tragen unsere Be- rechnungen nur einen angen~herten Charakter, da die ,Molekulargesehwindigkeit" yon 5kin blol] eiae-Durehsehnittswert darstellt. Aber andererseits ist die Zahl der Heliumatome, deren Molekulargeschwindigkeiten bedeu tend von 5kin.see -1 abweichen, nelativ sehr gering, so daft solche Atome wohl kaum eine merkliche Rolle spielen werden.

�9 ZS. f. Phys..09, 24, 1924. �9 * Dies zitiere ich naeh A. S o m m e r f e l d , Atombau und Spektrallinien,

4. Auflage, Braunsehweig 1924, S. 521.

752 Wilhelm Anderson, Priifung der Theorie yon R. W. Gurney usw.

Bis ietzt haben wit die ZusammenstN]e der Ca++-Atome nur mit

unangeregten Helinmatomen in Betracht gezogen (d. h. nur mlt solehen,

die sich v o r dem Zusammenstofl in ihrem ,,Grundzusfande" befanden).

Beim Zusammenstofl mit einem bereits angeregten oder gar ionisierten

Heliumatom ist eine betrachtlich geringere Energie zur Anregung der

LiMe it 4686 niitig. Im Falle eines ionisierten Heliumatoms ist die

(theoretische) Anregungsspannung gleich 50,1 Volt*. Im Falle eines

Heliumatoms im ,,metastabilen" Zustande ,(dessen Niveau um 19,75 Volt

iiber dem Grundniveau liegt) ist die theoretische Anregungsspannung

yon it 4686 gleich 54,85 Vol~.

Sollten wir nun annehmen, dal~ in der Chromosphare sich das Helium

hauptsi~chllch im metastabilen Zustande beflndet, so miissen wir auf eine

gute quantitative Erkli~rung da~iir verzichten, dal] die obere Grenze" yon

~t 4686 gerade um 6700 km und diejenige yon it 5876 gerade um 1700kin

niedriger ist als die obere Grenze der Calciumatmosphi~re.

Wenn wir iedoeh G u r n e y s Hypothese ganz verwerfen wollten

und das Auftreten der Linie it 4686 in der Chromosphiire auf andere

Weise zu erkl~ren suehten, etwa dureh thermische oder durch photo-

elektrische Anregung, so wiirden wir auf au~erordentliche Schwlerig-

keiten stol~en. Damit ein bereits ionisiertes Heliumatom die Linie it 4686

emittieren kann, mui3 sein Elektron yon der Grundbahn bis zur

4. Quantenbahn gehoben werden, wozu eine Anregungsspannung yon

50,1 Volt notwendig ist. Sogar um das Elektron nur bis zur 2. Quanten-

bahn zu heben, ist eine Anregungsspannung yon 40,5 Volt ni~ig oder

eine Wirkung yon Liehistrahlen, deren Wellenliinge kiirzer ist als 305 A.

Eine so kurzwellige Strahlung kann aber im Sonnenspektrum nur eine

ganz versehwindend kleine Rolle spielen. Es w~re darum sehr schwierig,

das Auftreten yon it 4686 aus der Anregung dureh die Photosphi~ren-

strahlung zu erkliiren.

* A. S o m m e r f e I d, Atombau und Spektrallinien, 4. Auflage, Braunschweig 1924, S. 520.

Bericht igung zu dem Aufsatz: I'~ber Strahlungsgleichgewicht in den iiufleren Schichten der Sterne. II. Eindeutigkeitsbeweis fiir die LSsung des Problems yon Milne,

yon Eberha rd Hopf*. Auf S. 157 ist in den Zeilen 4, 5, 6, 8, 9 und 10 ii x durch ~ zu ersetzen;

ferner in Zeile 14 ~ (~) zu ersetzen durch u (~).

* ZS. f. Phys. 4:9, 155--161, 1928.