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Präventionsarbeit in der Deutschen Sportjugend Ein Erfahrungsbericht © iStockphoto.com/Polhansen 76

Präventionsarbeit in der deutschen Sportjugend...78 7–8.2016. Präventionsarbeit in der deutschen Sportjugend schreckt und dadurch Kinder, Jugendliche und Erwach- ... hochschule

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Titelthema • Sexualisierte Gewalt und Jugendarbeit

Präventionsarbeit in der deutschen SportjugendEin Erfahrungsbericht

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Präventionsarbeit in der deutschen Sportjugend

Der folgende Beitrag ist ein Erfahrungsbericht aus der Präventionsar-beit in der Deutschen Sportjugend (dsj) zum Schutz vor sexualisierter Gewalt im organisierten Sport. Aufbauend auf der Beschreibung der Aktivitäten der dsj und mit Blick auf ausgewählte Erfahrungen aus der Praxis der letzten fünf Jahre werden Impulse für den zukünftigen Kinder- und Jugendschutz gegeben.

von ElEnA lAMby

Prävention von sexualisierter Gewalt – eine Aufgabe für die deutsche Sportjugend

Sportverbände und -vereine tragen eine hohe Ver-antwortung für den Schutz der ihnen anvertrauten

Kinder und Jugendlichen. Es ist ein Kernanliegen des organisierten Kinder- und Jugendsports, junge Sportler/innen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu unterstüt-zen und ihnen Selbstbewusstsein sowie einen guten durch Achtung und Respekt geprägten Umgang mitei-nander zu vermitteln. Das zeigen u.  a. die vielen Akti-vitäten zur Gewaltprävention im und durch Sport, z. B. Interventionsprogramme gegen Gewalt und Rassismus, Mediationsprojekte, die Arbeit der Fanprojekte und Mit-ternachtssportangebote, Selbstbehauptungskurse und

Sport im Strafvollzug. Mit einer klaren und nach außen sichtbaren Haltung gegen sexualisierte Gewalt und für Transparenz im Trainingsalltag unterstützt die dsj eine Kultur der Aufmerksamkeit, die bei Gewalt im Sport hin-sieht und handelt sowie stets das Wohl der Kinder und Jugendlichen im Blick hat.

Mit der Unterzeichnung der Erklärung »Schutz vor sexualisierter Gewalt im Sport – Vorbeugen und Aufklä-ren, Hinsehen und Handeln!« im Rahmen der Mitglie-derversammlung des Deutschen Olympischen Sportbun-des (DOSB) am 4. Dezember 2010 in München haben der DOSB und seine Mitgliedsorganisation sich zur Umset-zung von Maßnahmen zur Prävention von und Interven-tion bei sexualisierter Gewalt im Sport verpflichtet. Ziel dieser sog. »Münchener Erklärung« war es, eine Kultur der Aufmerksamkeit und des Handelns Verantwortlicher zu fördern, die Kinder, Jugendliche und junge Erwach-sene – mit und ohne Behinderung – im Sport vor sexua-lisierter Gewalt schützt.

Die Koordination der Umsetzung der Selbstverpflich-tungen in den Strukturen übernahm federführend für den DOSB dessen Geschäftsbereich »Jugendsport« – die dsj. Als eigenständiger Jugendverband bündelt sie die In-teressen von rund 10 Mio. Kindern, Jugendlichen und

Ziel der sog. »Münchener Erklärung« war es, eine Kultur der Aufmerksamkeit und des Handelns Verantwortlicher zu fördern, die Kinder, Jugendli-che und junge Erwachsene im Sport vor sexuali-sierter Gewalt schützt.

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jungen Menschen bis 27 Jahre, die in über 90 000 Sport-vereinen organisiert sind. Dabei ist die dsj der Dachver-band von 16 Landessportjugenden, 53 Jugendorganisatio-nen der Spitzenverbände und zehn Jugendorganisationen der Sportverbände mit besonderen Aufgaben. Damit ist sie der größte freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe in der Bundesrepublik Deutschland.

Die dsj und einige ihrer Mitgliedsorganisationen hat-ten sich bereits vor den Diskussionen am Runden Tisch »Sexueller Missbrauch in Abhängigkeits- und Machtver-hältnissen (...)« der Bundesregierung im Jahr 2010 mit der Prävention von sexualisierter Gewalt beschäftigt. Daher konnte aufbauend auf den seit den 1990er-Jahren erarbei-teten Materialien von verschiedenen Sportjugenden und in Zusammenarbeit mit diesen das Programm »Gegen se-xualisierte Gewalt im Sport!« in der dsj entwickelt werden.

Der Beitrag erläutert die programmatische Umset-zung der Prävention von sexualisierter Gewalt in der dsj und die darin entwickelten Maßnahmen und Aktivitä-ten. Dabei werden besondere Herausforderungen in der Umsetzung sowie sich daraus ergebende neue Aspekte der Präventionsarbeit für den Kinder- und Jugendsport aufgezeigt.

Die Ausführungen basieren auf der praktischen Er-fahrung, die die dsj und ihre Mitgliedsorganisationen mit ihrer Präventionsarbeit zum Schutz vor sexualisier-ter Gewalt im organisierten Sport in Deutschland ma-chen und gemacht haben und die überwiegend aus den zu den Aktivitäten der dsj entstandenen Dokumentatio-nen von Diskussionsrunden und Arbeitstagungen zu entnehmen sind. Es wird Erfahrungswissen genutzt, das im Austausch mit Ansprechpartner/innen aus den Mitgliedsorganisationen von dsj und DOSB sowie ein-zelnen Berichten aus deren Untergliederungen bis hin zu Sportvereinsvertreter/innen in den letzten Jahren entstanden ist.

Entwicklung eines Präventionsprogramms in der dsjDie Aufgaben und Aktivitäten werden hinsichtlich der Arbeitsstrukturen, der fachlichen Kompetenz sowie der Vernetzung und Qualifizierung erläutert. Die Speziali-

sierung des Präventionsprogramms auf die Form der sexualisierten Gewalt war wichtig und notwendig, um sexuelle Übergriffe im organisierten Sport zum Thema zu machen und gezielte Präventionsmaßnahmen zu im-plementieren. Allerdings ist an dieser Stelle darauf hin-zuweisen, dass sich diese spezifische Präventionsarbeit hin zu einer umfassenden Diskussion über die Rechte der Kinder und Jugendlichen im organisierten Sport weiterentwickelt.

Entwicklung von ArbeitsstrukturenUm die Konzepte und Materialien zur Prävention von und Intervention bei sexualisierter Gewalt im Sport, die bereits vor 2010 in den Strukturen des organisierten Sports bestanden, zusammen zu führen, berief die dsj eine Arbeitsgruppe (AG) »Prävention sexualisierter Ge-walt«. Sie besteht aus Personen, die eine besondere fachli-che sowie Netzwerkkompetenz haben. Diese sind erfah-rene Kolleg/innen aus den Mitgliedsorganisationen der dsj und des DOSB, Expert/innen aus der Wissenschaft sowie Funktionsträger/innen der dsj. In Zusammenar-beit mit ihnen wurde der Grundstein für das Programm gelegt und bis heute werden die Aktivitäten der dsj durch diese AG in regelmäßigen Sitzungen fachlich beraten und unterstützt.

Über die oben erwähnte »Münchener Erklärung« ent-stand die Selbstverpflichtung der Mitgliedsorganisatio-nen des DOSB, Ansprechpartner/innen für das Thema »Prävention von und Intervention bei sexualisierter Ge-walt (PSG)« zu benennen. Über diese hat sich eine Kom-munikationsstruktur gebildet, die eine enge Zusammen-arbeit zwischen der dsj und den Mitgliedsorganisationen ermöglicht. Zur Verstetigung dieser Zusammenarbeit wurde in der Geschäftsstelle der dsj eine volle Stelle für die Bearbeitung und Koordinierung des Themenfelds eingesetzt.

Entwicklung einer fachlichen KompetenzIntensive Diskussionen über die eigene Haltung zum Thema führten die dsj zu einer fachlichen Grundlage, die in der Erstellung der Broschüren »Gegen sexuali-sierte Gewalt im Sport – Orientierungshilfe für rechtli-che Fragen« und »Gegen sexualisierte Gewalt im Sport – Kommentierter Handlungsleitfaden für Sportvereine« (beide 1. Aufl. Oktober 2011) mündete. So heißt es hier: »Eine Kultur der Aufmerksamkeit und des Handelns Verantwortlicher muss ein Klima schaffen, das Betrof-fene zum Reden ermutigt, potenzielle Täter/-innen ab-

Die Spezialisierung des Präventionsprogramms auf die Form der sexualisierten Gewalt war wichtig und not-wendig, um sexuelle Übergriffe im organisierten Sport zum Thema zu machen und gezielte Präventionsmaß-nahmen zu implementieren.

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schreckt und dadurch Kinder, Jugendliche und Erwach-sene mit und ohne Behinderung im Sport vor sexuali-sierter Gewalt schützt. (…) Daher sollte sich jeder Sportverband bzw. -verein, unter Berücksichtigung sei-ner speziellen Strukturen, mit dem Thema Schutz vor sexualisierter Gewalt befassen und geeignete Maßnah-men der Prävention in einem Konzept hinterlegen« (dsj 2013, S.  6  f.). Der »Kommentierte Handlungsleitfaden« beschreibt detailliert, wie Sportvereine ein Präventions-konzept zum Schutz vor sexualisierter Gewalt entwi-ckeln können und was im Verdachtsfall zu tun ist. Die »Orientierungshilfe für rechtliche Fragen« stellt die be-treffenden Paragraphen und die Rechtsprechung vor und nimmt auch die Struktur von Sportorganisationen in den Blick. Die beiden Veröffentlichungen transportie-ren seither diese Fachlichkeit zur Prävention von und Intervention bei sexualisierter Gewalt über die dsj und ihre Mitgliedsorganisationen bis hin zu den Sportverei-nen. Mit der Bereitstellung eines auf diesen Fachpublika-tionen basierenden Qualifizierungsmoduls in 2012 (zum Download auf www.dsj.de/kinderschutz), wurde die Aufnahme des Themas in das sportverbandliche Aus- und Fortbildungssystem zur Sensibilisierung und Quali-fizierung von Übungsleiter/innen, Trainer/innen und Vereinsmanager/innen gefördert. Mit dem Modul kön-nen zudem Referent/innen geschult werden, sodass die Qualifizierung von Sportvereinsmitarbeiter/innen bun-desweit unterstützt wird. Es besteht aus einem Work-shopkonzept und einer Powerpoint-Präsentation, die durch eine Vielzahl von Hintergrundinformationen er-

gänzt ist. Das Konzept enthält methodische Hinweise, die die Referent/innen durch den Workshop führen und Anregungen für die konkrete Gestaltung geben.

Die dsj suchte zur Weiterentwicklung der nationalen Konzepte den europaweiten Dialog zum Themenfeld. Im Rahmen des von der dsj koordinierten europäischen Projekts »Safer, better, stronger – Prevention of sexual harassment and abuse in sports« im Zeitraum von 2011–2012 schloss sich ein weites Netzwerk von europäischen Sportverbänden und Kinderschutzorganisationen zu-sammen, um internationale Initiativen zur Prävention von sexualisierter Gewalt im Sport zu diskutieren (s. ht-

tps://www.dsj.de/handlungsfelder/europaeisierung/eu-projekte/safer-better-stronger/. Anschließend engagierte sich die dsj von 2013–2015 als Projektpartner in dem dar-auf aufbauenden europäischen Projekt »Sport respects your rights«. Dabei stand das Engagement junger Men-schen im Sport für Kampagnen zum Schutz vor sexuali-sierter Gewalt im Mittelpunkt.

Aktuell ist die dsj Verbundpartner in dem Forschungs-projekt »Safe Sport«, das im Oktober 2014 gestartet ist (Laufzeit 2014–2017). Gemeinsam mit dem Institut für Soziologie und Genderforschung der Deutschen Sport-hochschule Köln (Verbundkoordination des Projektes) und der Klinik für Kinder und Jugendpsychiatrie/Psy-chotherapie des Universitätsklinikums Ulm sollen Aus-maß und Formen sexualisierter Gewalt im Sport unter-sucht werden. Mit den Ergebnissen will die dsj ihre Akti-vitäten zur Prävention systematisch weiterentwickeln.

vernetzung und Qualifizierung über veranstaltungenDie dsj entwickelte Veranstaltungsformate, um eine Plattform zum Austausch und zur Vernetzung für die Ansprechpartner/innen in den Mitgliedsorganisationen bereit zu halten und zu qualifizieren. Hierzu gehört das Forum »Gegen sexualisierte Gewalt im Sport«, das den Schwerpunkt auf die Prävention legt und aktuelle Er-kenntnisse und Diskussionen aus dem Fachgebiet auf-nimmt. Das Forum hat sich in den vergangenen fünf Jah-ren von einem Arbeitstreffen in kleinem Kreis zu einer Fachtagung entwickelt, die mittlerweile durch Kooperati-onen mit einzelnen Landessportjugenden und -bünden neben dem bundesweiten einen regionalen Bezug her-stellen.

Ein weiteres Format ist das Treffen der Anlaufstellen, dass sich an diejenigen wendet, die in den Mitgliedsorga-nisationen für die Annahme von Vermutungen oder Ver-dachtsfällen sexualisierter Gewalt zuständig sind. Mit dieser Arbeitstagung werden die einzelnen Strategien der Intervention in den Sportverbänden unter Einbindung von externen Fachberatungsstellen (z. B. pro familia, Prä-ventionsnetzwerk »Kein Täter werden«) diskutiert und

Das Qualifizierungsmodul enthält methodische Hinweise, die die Referent/innen durch den Workshop führen und Anregungen für die kon-krete Gestaltung geben.

Aktuell ist die dsj Verbundpartner in dem Forschungs-projekt »Safe Sport«, das im Oktober 2014 gestartet ist. Mit den Ergebnissen will die dsj ihre Aktivitäten zur Prävention systematisch weiterentwickeln.

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weiterentwickelt. Ziel des gemeinsamen Austausches ist es, den Ansprechpartner/innen Handlungssicherheit zu verschaffen und zu einer starken Vernetzung beizutra-gen.

Weiterhin dienen gesonderte Informationsveranstal-tungen oder Expert/innen-Hearings dazu, auf neue The-mengebiete und aktuelle Veränderungen einzugehen. Als Beispiele dienen das Expert/innen-Hearing zur Präven-tion von sexualisierter Gewalt im Nachwuchsleistungs- und Spitzensport am 8.9.2014 in Berlin und das Inkraft-treten des Bundeskinderschutzgesetzes 2012.

herausforderungen in der Präventionsarbeit – der Einfluss des bundeskinderschutzgesetzesEs gibt viele Herausforderungen für Sportorganisationen im Zusammenhang mit der Umsetzung ihrer Präventi-onsprogramme zum Schutz von Sportler/innen vor sexu-alisierter Gewalt. Die mit dem Inkrafttreten des Bundes-kinderschutzgesetzes (BKiSchG) am 1.1.2012 einherge-henden Neuregelungen, waren und sind eine solche.

Der neu gefasste § 72a SGB VIII ermöglicht eine Ein-sichtnahme in erweiterte Führungszeugnisse. So kön-nen nun auch Sportvereine und -verbände in dessen An-wendungsbereich fallen, insofern sie eine Anerkennung als freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe haben oder wenn auf sie bestimmte Kriterien in diesem Sinne zu-treffen. Die Regelungen nach § 72a brachten Unsicher-heit in die Umsetzung der Präventionsprogramme der Sportverbände, da diese ihrer Idee eines umfassenden Präventionskonzeptes in einem Sportverein nicht ge-recht werden (s. Dokumentation der dsj-Informations-veranstaltung zum BKiSchG am 24.1.2013, Frankfurt a. M.). So ist es Ziel der dsj/des DOSB und ihrer Mitglied-sorganisationen, dass Sportvereine verschiedene Präven-tionsmaßnahmen umsetzen, die ineinander greifen. Das bedeutet, dass sie nicht nur das erweiterte Führungs-zeugnis einsehen, sondern u. a. mithilfe von Informati-onsverantstaltung, Beauftragten und der Diskussion von Verhaltensregeln im Verein das Thema sexualisierte Ge-walt besprechbar machen und Transparenz im Training-salltag fördern. Gerade diese wichtigen Bausteine eines Präventionskonzepts, die zu einer tatsächlichen Ausein-andersetzung mit dem Thema führen, wurden durch den §  72a an den Rand gedrängt. Er beschreibt allein, dass eine Vereinbarung hinsichtlich der Einsichtnahme von erweiterten Führungszeugnissen bei Mitarbeiter/in-nen zu treffen ist. Die Unsicherheit der Sportverbände wurde bestätigt, denn es konnte beobachtet werden,

dass die Umsetzung der Vereinbarung mit dem öffentli-chen Träger der Kinder- und Jugendhilfe nach § 72a SGB VIII bei Sportvereinen dazu führte, dass diese auf ein umfassendes Präventionskonzept verzichteten. Verein-barungen, die sich ausschließlich auf das erweiterte Füh-rungszeugnis konzentrieren, vermitteln den Anschein, dass dies ein ausreichendes Instrument zur Sicherstel-lung des Kinderschutzes im Verein sei. Die Hauptauf-gabe der Sportvereine ist es, dass alltägliche Sportange-bot zu organisieren. Sich neben einer Vereinbarung und dem damit einhergehenden bürokratischen Aufwand zur Einsichtnahme in Führungszeugnisse darüber hin-aus mit umfassenden Präventionskonzepten zu befas-sen, stellt oftmals eine Überforderung der ehrenamtli-chen Strukturen dar.

Hinzu kommt, dass die datenschutzrechtlichen Be-stimmungen nach § 72a (Abs. 5) SGB VIII für Sportver-eine und -verbände nur bedingt handhabbar sind, da eine Archivierung der Einsichtnahme legal nicht mög-lich ist. Einhergehend mit dieser Rechtsunsicherheit und

dem Unverständnis vor Ort, wurde sogar vom Rückzug einiger Jugendmitarbeiter/innen aus Sportvereinen be-richtet.

Große Unterschiede können bisweilen hinsichtlich der Vereinbarungskultur zwischen den öffentlichen Trä-gern und Sportvereinen beobachtet werden. So kann es sein, das Vorsitzende von Sportvereinen lediglich einen Brief mit der vorgedruckten Vereinbarung nach §  72a SGB VIII vom für sie zuständigen öffentlichen Träger in ihrem Briefkasten finden, mit dem Hinweis, dass die För-derung gestrichen wird, falls er/sie nicht unterschreibt.

Die bisher berichtete Praxis hat jedoch gezeigt, dass die Umsetzung des § 72a nur dann einen positiven Effekt auf die Einführung einer »Kultur der Aufmerksamkeit« in Sportvereinen hat, wenn dabei der Kinderschutz nicht nur auf das erweiterte Führungszeugnis reduziert wird. Die Vereinbarungen mit den öffentlichen Trägern dürfen nicht bloß auf dem Papier existieren. Es geht vielmehr um eine partizipative Vereinbarungskultur, die partner-schaftlichen Austausch und Zusammenarbeit zulässt. Die dsj schlägt hierzu die Entwicklung von praxisnahen

Sich neben einer Vereinbarung zur Einsichtnahme in Führungszeugnisse darüber hinaus mit umfas-senden Präventionskonzepten zu befassen, stellt oftmals eine Überforderung der ehrenamtlichen Strukturen dar.

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Stelle Impulse aus der Praxis aufgenommen, die für die zukünftige Entwicklung weiter zu denken sind.

die Körperlichkeit im Sport – mehr als ein GefährdungsmomentIm Zuge der Auseinandersetzung mit der Prävention von sexualisierter Gewalt im Sport wurden Risiken für das potentielle Auftreten von sexuellen Übergriffen im orga-nisierten Sport analysiert. Dabei ist v.  a. die herausra-gende Rolle der Körperlichkeit in den Fokus der Betrach-tungen gerückt. Diese ist im Sport so bedeutend wie in keinem anderen Feld der Kinder- und Jugendarbeit. Es geht um Hilfestellungen mit direktem Körperkontakt, die notwendig sind um Unfällen und Folgeschäden vorzu-beugen. Es geht um Handgriffe, die den Körper der Sportlerin oder des Sportlers führen, um eine erfolgrei-che, technische Ausführung zu erlernen. Nach einem er-folgreichen Spiel liegen sich alle in den Armen und ju-beln oder sie rücken im Time-Out zur taktischen Bespre-chung Körper an Körper dicht zusammen.

Was wir im Rahmen der verstärkten Sensibilisierung von Übungsleiter/innen oder Trainer/innen zu sexuali-sierter Gewalt im Sport hinsichtlich des Umgangs mit Körperlichkeit wahrnehmen ist, dass die gutgemeinten intuitiven körperlichen Handlungen in Frage gestellt werden. Darf ich ein Kind dann noch in den Arm neh-men, wenn es hingefallen ist? Was ist wenn das Kind ju-belnd auf mich zuläuft und in meinen Arm springen möchte?

Daraufhin wurde das Thema »Körperlichkeit und Se-xualität im Sport« ausführlich beim 4. Forum »Gegen se-xualisierte Gewalt im Sport« der dsj im November 2013 in Berlin diskutiert. Ein Ergebnis war, dass diese Verunsi-cherung in Bezug auf die gelebte positive Körperlichkeit

Mindeststandards für die Vorbereitung und Umsetzung einer Vereinbarung nach § 72a SGB VIII vor, die den Grundsätzen des § 4 SGB VIII entspricht (s. dsj/DOSB-Forderungspapier). Dann können sich, so zeigte es sich beim 5. Forum »Gegen sexualisierte Gewalt im Sport« im November 2014 in Hannover, über den gemeinsamen Austausch von öffentlichen und freien Trägern regionale Kinderschutznetzwerke heraus bilden, die Sportorganisa-

tionen als Partner ernst nehmen. Dabei sind Sportver-eine als Organisationen, die auf bürgerschaftlichem En-gagement basieren, zu berücksichtigen. Sie sind gekenn-zeichnet durch Freiwilligkeit, Selbstorganisation, Mitbestimmung und soziale Nähe. Sportvereine müssen auf professionelle Unterstützung der kommunalen öf-fentlichen Träger sowie auf ressourcenstarke Fachbera-tungsstellen zurückgreifen können, um die Umsetzung von Präventionskonzepten zu bewerkstelligen. Mit der Einführung des § 8b SGB VIII im Rahmen des BKiSchG hat der Gesetzgeber zwar einen Beratungsanspruch zur Umsetzung von Handlungsleitlinien (Abs. 2) eingeführt, jedoch haben Sportvereine darauf keinen Anspruch. Die-ser gilt nur für Einrichtungen und Dienste, die im Adres-sat/innenkreis des § 8a SGB VIII (Kindeswohlgefähr-dung) sind. Fachberatungsstellen, die ihrer Beratungen zur Entwicklung von Präventionskonzepten über den § 8b SGB VIII finanzieren, haben daher Probleme sich im Rahmen von Präventionsprojekten für Sportvereine zu engagieren. Für Sportvereine bleibt im Gesetz nur die all-gemeine Unterstützungs- und Beratungszuständigkeit der öffentlichen Träger der Kinder- und Jugendhilfe ge-genüber Ehrenamtlichen, die sich aus § 73 SGB VIII er-gibt.

impulse für die Präventionsarbeit – Erfahrungen mit Körperlichkeit und PartizipationBeispielhaft für die Weiterentwicklung der Präventions-arbeit zum Schutz vor sexualisierter Gewalt im organi-sierten Sport, haben sich zwei unterschiedliche prakti-sche Erfahrungen erwiesen. Damit werden an dieser

Mit der Einführung des § 8b SGB VIII im Rahmen des BKiSchG hat der Gesetzgeber zwar einen Be-ratungsanspruch zur Umsetzung von Handlungs-leitlinien eingeführt, jedoch haben Sportvereine darauf keinen Anspruch.

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Titelthema • Sexualisierte Gewalt und Jugendarbeit

im Sport am Ende nicht hilfreich für die Prävention von sexualisierter Gewalt ist, wenn sie ausschließlich zu ei-nem Gefährdungsmoment degradiert wird. Der pädago-gisch orientierte Kinder- und Jugendsport ist ohne Kör-perlichkeit und Vertrauen praktisch undenkbar. Der größte Teil der Menschen, die als Übungsleiter/innen

oder Trainer/innen im Kinder- und Jugendsport tätig sind, tun dies aus der Motivation heraus ein gutes Sportangebot für junge Menschen anzubieten. Sie wollen Kinder und Jugendliche in ihren Bewegungsmöglichkei-ten fördern und deren Persönlichkeitsentwicklung unter-stützen. Das Erleben von Körperlichkeit im und durch Sport sowie die vielen guten Erfahrungen, die mit profes-sionell ausgeführter Hilfestellung oder beim respektvol-len, gemeinsamen Jubeln über einen Wettkampfsieg ent-stehen, dürfen nicht verloren gehen. Denn besonders diese können als informelle Bildungsprozesse im Sport begriffen werden, die die Fähigkeit zur Selbst- und Fremdeinschätzung und die Körperwahrnehmung stär-ken können. Gerade weil Körperlichkeit dem Sport im-manent ist, müssen wir, wenn wir den Schutz vor sexua-lisierter Gewalt in der Aus- und Fortbildung thematisie-ren, gleichzeitig ein positives Verhältnis zu Körperlichkeit in den Blick nehmen und das Wohl der Kinder und Ju-gendlichen in den Mittelpunkt stellen.

Junges Engagement für den Kinder- und JugendschutzDie Partizipation und Engagementförderung junger Men-schen ist traditionell ein wichtiger Bestandteil der Ju-gendarbeit im Sport. Es ist eine Grundaufgabe der Ju-gendorganisationen im Sport, Teilhabe von jungen Men-schen zu fördern und zu stärken.

Über das oben bereits erwähnte europäische Projekt »Sport respects your rights« konnte die dsj von 2013–2015 Erfahrungen sammeln, wie junge Menschen mit dem Thema sexualisierte Gewalt im Sport umgehen und wel-che Rolle sie innerhalb von Vereins- und Verbandsaktivi-täten im Themenfeld spielen können. Dabei zeigte sich, dass junge Menschen mit ihrer Kreativität und ihrem

Willen sich für etwas einzusetzen, die Kultur in Sport-vereinen und -verbänden europaweit verändern können. Daran schloss die Zusammenarbeit der dsj mit der West-fälischen-Wilhelms-Universität in Münster im Projekt »Gemeinsam. Achtsam. Wirksam.« (2014–2015) an, über das weitere Jugendliche sensibilisiert und qualifiziert wurden. Sie bekamen dadurch die Möglichkeit sich im und mit dem Sport, mit der Thematik Körperlichkeit, Se-xualität und dabei auch mit sexualisierter Gewalt ausein-anderzusetzen. Anschließend wurden erste Treffen für Juniorbotschafter/innen für den Kinder- und Jugend-schutz initiiert, die auch zukünftig in regelmäßigen Ab-ständen geplant sind. Über das Juniorbotschafter/innen-Programm wird der kontinuierliche Austausch zwischen den jungen Engagierten gefördert sowie deren Arbeit an eigenen Projekten längerfristig begleitet. Beispiele aus beiden Projekten haben bereits gezeigt, dass Sportver-eine sich der Thematik eher öffnen, wenn deren junge Mitglieder sich für den Kinder- und Jugendschutz ein-setzen.

Ausblick – Prävention weiterdenkenDie vorgestellte Präventionsarbeit der dsj gestaltet sich auf verschiedenen Ebenen, in Rückkopplung und unter Betei-ligung mit den Ansprechpartner/innen in den Mitglieds-organisationen von dsj und DOSB. Die Entwicklung von

Arbeitsstrukturen, fachlicher Kompetenz und die Bereit-stellung von Angeboten zur Vernetzung und Qualifizie-rung sind die Grundlage dafür, dass die Prävention von sexualisierter Gewalt ein fester Bestandteil der Aktivitä-ten im Kinder- und Jugendschutz des organisierten Sports geworden ist. Wie weit der Umsetzungsprozess in allen Mitgliedsorganisationen ist und welche Präventionsmaß-nahmen bereits in Sportvereinen umgesetzt werden, kön-nen uns erst die Ergebnisse des noch laufenden For-schungsprojekts »Safe Sport« sagen. Fest steht, dass fünf Jahre nach der »Münchener Erklärung« die Verstetigung der Präventionsarbeit eine wichtige Aufgabe der dsj bleibt.

Denn besonders die gelebten positiven Erfahrungen mit Körperlichkeit können als informelle Bildungspro-zesse im Sport begriffen werden, die die Fähigkeit zur Selbst- und Fremdeinschätzung und die Körperwahr-nehmung stärken können.

Die Entwicklung von Arbeitsstrukturen, fachlicher Kompetenz und die Bereitstellung von Angeboten zur Vernetzung und Qualifizierung sind die Grund-lage dafür, dass die Prävention von sexualisierter Gewalt ein fester Bestandteil der Aktivitäten im Kin-der- und Jugendschutz des organisierten Sports geworden ist.

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Präventionsarbeit in der deutschen Sportjugend

Damit die Prävention von sexualisierter Gewalt im Sport nicht trotz, sondern mit dem Bundeskinderschutz-gesetz gelingen kann, müssen bürokratische Hindernisse und Rechtsunsicherheiten abgebaut sowie Vernetzung und verlässliche Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Trägern und Sportorganisationen gefördert werden. Die vielen Engagierten dürfen nicht bevormundet, sondern sollten beteiligt werden. Ein Ansatz dafür muss die Ein-beziehung von Sportvereinen in kommunale Kinder-schutznetzwerke sein.

Die Einbindung der einzelnen Akteure des Gemeinwe-sens in die Kinderschutzarbeit ist eine Bewegung, die in der Fachliteratur für die zukünftige Arbeit der professio-nellen Kinderschutzdienste von Reinhart Wolff (2010) be-reits beschrieben wurde. Gleichzeitig wird die Kontakt-aufnahme zu Sportvereinen im Zusammenhang mit der schwierigen Infrastruktur der Kinderschutzdienste in ländlichen Regionen von Yvette Völschow (2014) ange-dacht. Ein Weg dorthin könnte sein, Sportvereine zukünf-tig mehr als Orte zu unterstützen, an denen Kinder und Jugendliche vertrauensvolle Ansprechpersonen finden, an die sie sich auch mit ihren Sorgen wenden können.

Es wurde eine Perspektive auf Körperlichkeit im

Sport eröffnet, die dafür wirbt, weniger die gefährden-den, sondern mehr die förderlichen Aspekte für den Kin-der- und Jugendschutz zu betrachten. Die Verknüpfung

des Wissens über sexualisierte Gewalt im Sport mit dem Wissen über die Bedeutung von Körperlichkeit im Sport für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ist eine Chance für die Qualifizierung von Übungsleiter/in-nen und Trainer/innen. So könnten sie noch stärker da-rin unterstützt werden, Kinder- und Jugendsportange-bote so zu gestalten, dass die jungen Sportler/innen in der Entwicklung eines positiven und eigenständigen Kör-perkonzepts gefördert werden.

Weiterhin wurde darauf verwiesen, dass es sich für die Jugendorganisationen im Sport lohnt, das eigene Po-tenzial als Verband zu nutzen und junge Menschen dabei zu unterstützen, sich für ihre eigenen Rechte einzuset-zen. Es ist die Aufgabe der dsj und ihrer Mitgliedsorgani-sationen, weiter in die Umsetzung von Projekten zur Be-teiligung junger Engagierter für den Kinder- und Jugend-schutz im Sport zu investieren, denn sie sind es, die die zukünftige Gestaltung der Verbands- und Vereinskultur prägen werden.

Vor dem Hintergrund, dass Sportorganisationen eine wichtige Rolle in regionalen Kinderschutznetzwerken einnehmen sollten und die Themen »Körperlichkeit« und »Partizipation« als zwei dem Kinder- und Jugendsport immanente Themen in der allgemeinen fachlichen De-batte zur Prävention von sexualisierter Gewalt an beson-derer Bedeutung gewinnen, ist der organisierte Kinder- und Jugendsport nicht allein als Schutz-, sondern viel-mehr auch als Kompetenzort mitzudenken.

literatur und weiterführende linksAbschlussbericht der ZI:EL-Einzelmaßnahme »Gemeinsam. Achtsam.

Wirksam.« der dsj und der Westfälischen-Wilhelms Universität Münster, (in Vorbereitung).

Dokumentation der dsj-Informationsveranstaltung zum Bundeskin-derschutzgesetz am 24.1.2013, Frankfurt a.  M. (nicht veröffent-licht).

Dokumentation des 4. Forums »Gegen sexualisierte Gewalt im Sport«, 23.11.2013, Berlin. www.dsj.de/handlungsfelder/praevention/kin-derschutz/veranstaltungen-der-dsj/ (Abruf 1.12.2015).

Dokumentation des 5. Forums »Gegen sexualisierte Gewalt im Sport«, 25.11.2014, Hannover. www.dsj.de/handlungsfelder/praevention/kinderschutz/veranstaltungen-der-dsj/ (Abruf 1.12.2015).

dsj/DOSB-Forderungspapier »Anpassung des § 72a SGB VIII (Bundes-kinderschutzgesetz) an die Realitäten des Kinder- und Jugend-sports: Rechtsunsicherheiten abbauen, Handlungssicherheit schaf-fen!«, 1.12.2014. www.dsj.de/index.php?id=460 (Abruf 1.12.2015).

Stellnungnahme der Deutschen Sportjugend (dsj) zum Schreiben des BMFSFJ vom 18.12.2014 zur Evaluation des Bundeskinderschutz-gesetzes, 11.2.2015 (nicht veröffentlicht).

Summary and prospects of the project »Sport respects your rights«. www.sport-respects-your-rights.eu/outcomes/ (Abruf 1.12.2015).

Materialien und Informationen der dsj zur Prävention von sexualisier-ter Gewalt im Sport unter www.dsj.de/kinderschutz.

zur Person

Elena lamby, Dipl.-Päd., ist seit 2012 Referentin für Prävention sexualisierter Gewalt in der Deutschen Sportjugend (dsj) im Deut-schen Olympischen Sport-bund (DOSB). E-Mail: [email protected]

Die Verknüpfung des Wissens über sexualisierte Gewalt im Sport mit dem Wissen über die Bedeu-tung von Körperlichkeit im Sport ist eine Chance für die Qualifizierung von Übungsleiter/innen und Trainer/innen.

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