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328 | Biologie in unserer Zeit | 32. Jahrgang 2002 | Nr. 5 BUCHBESPRECHUNGEN | Genau das hat der Geologe und Astronom Paul Sipiera in seinem in leichtem Englisch geschriebenen Buch über den Polarforscher Ernest Shackleton gemacht: Ernest Shackle- ton lebte im Schatten von Captain Robert F. Scott, der tragischerweise den Wettlauf zum Südpol gegen Roald Amundsen verlor und auf dem Rückweg hilflos erfror. Scott wurde daraufhin von der britischen Gesell- schaft zum Helden gemacht, Shackle- ton hat darunter immer gelitten. Sipiera beschreibt in diesem ein- fühlsamen Buch voller Informationen weitab von der gängigen Polarlitera- tur das Leben des Polarpioniers Shackleton, seine Kindheit und sei- nen Weg ins Eis, der vorerst noch im Kopf, dann in der Realität stattfand. Shackleton verlor beinahe jeden Kampf in der weißen Einsamkeit – nur 97 Meilen vor dem Südpol muss- te er umkehren, um seine Männer wieder heil nach Hause zu bringen. Der Polarpionier Norman Vaughn, der vor fast 70 Jahren mit Admiral Byrd erstmals zum Südpol flog, for- mulierte es so: „Dream big – dare to fail“. Die Träume sollen groß sein, doch sollte man auch immer den Mut zum Scheitern haben, um nicht der Eitelkeit zu erliegen. Somit hat Shack- leton schlussendlich den größten Ge- winn gemacht, den ein Expeditions- leiter machen kann: Trotz der Aus- sichtslosigkeit ihres Überlebens hat er alle seine Männer wieder gesund zurückgebracht. Shackleton selbst ist jedoch an seinem Kampf mit dem Eis zerbrochen. Paul Sipiera hat Shackle- tons Weg fast ausschließlich mit eige- nen Bildern dokumentiert. Er selbst kennt den Drang und die Kraft, die Menschen in die Kälte treibt: Schon dreimal hat er selbst Expeditionen in die Antarktis geführt. Paul P. Sipiera: Ernest Shackleton – A Life of Antarctic Exploration. Kendall/Hunt Publishing Company, Dubuque 2002. 130 Seiten, EUR 25,–. ISBN 0-7872-8913-2. Birgit Sattler, Innsbruck MATHEMATIK | Käfer berechnen Mathematikvor- lesungen sind im Grundstu- dium obligato- risch, sie ver- mitteln aber nicht immer die von Biolo- giestudenten erwünschte mathematische Einsicht in biologi- sche Phänomene. Hier verspricht Erich Bohl mit der überarbeiteten und neubetitelten Auflage seines Buches Mathematik in der Biologie Abhilfe: Ausgehend von einem Wachstumsex- periment mit Käfern erklärt Kapitel 1 verständlich das mathematische Handwerkszeug: Zahlen als Mess- werte, Funktionen zur Beschreibung von Vorgängen, Differenzenquotien- ten als Maß für Veränderungen, Diffe- rentialgleichungen für Gesetzmäßig- keiten. Folgerichtig erhält man die logistische Gleichung als mathemati- sche Modellierung des Populations- wachstums. In den anderen Kapiteln wird der Leser mit Michaelis-Menten- Prozessen, Räuber-Beute-Systemen oder präbiotischer Evolution konfron- tiert, aber überwiegend auf die biolo- gische Primärliteratur verwiesen. Die Übungsaufgaben am Ende der Kapitel haben nur ausnahmsweise einen di- rekten biologischen Bezug, Lösungen fehlen, wären aber für eine kontrol- lierbare Bearbeitung unerlässlich. Bio- logiestudenten sind mit diesem Buch zwar besser beraten als mit einem rei- nen Mathematikbuch, ein wirklicher Brückenschlag zwischen Mathematik und Biologie ist aber nur ansatzweise gelungen. Erich Bohl: Mathematik in der Biolo- gie. 2. vollständig überarbeitete Auf- lage. Springer Verlag, Berlin Heidel- berg 2001. 157 Seiten, EUR 16,95. ISBN 3-540-41867-9. Inge Kronberg, Hohenwestedt NEUROLOGIE | Körper und Seele Es gibt Buchtitel, die mehr verspre- chen als der Inhalt bietet. Hier ist es umgekehrt. Der Autor spannt einen weiten Bogen und arbeitet heraus, wie Emotionen und „Geist” die Ge- sundheit des Körpers beeinflussen können und umgekehrt. Die Debatte über dieses Thema ist alt und für den biologisch-medizinisch Gebildeten oft zu wenig inhaltsreich. Nicht so in diesem Buch: Immer wieder wird der Bezug vom allgemein bekannten Phä- nomen über Strukturen und Funktio- nen in unserem Nervensystem bis zur Molekularbiologie hergestellt: „Black- out” und Cortisol, Parkinson und Do- pamin, Depression und Serotonin, Aggression und Monoaminoxidase, Panik und Hypokapnie, Denken und Positronenemissionstomographie, Lernen und Neuroplastizität – um nur einige Beispiele zu nennen. Dabei verfällt der Autor niemals in einen vereinfachenden Biologismus. Das Buch behandelt zunächst neuro-psychophysiologische Grund- lagen, zu deren Verständnis Abitur- kenntnisse vorausgesetzt werden. Dann folgen Kapitel über Schmerzen, Gehirn/Psyche und Kreislauf, Stress, Psychoendokrinologie, Psychosoma- tik, Psychotherapie und Gedächtnis sowie neuronale Plastizität. Eine sehr empfehlenswerte Lek- türe für diejenigen, die an dem Ver- halten von Tier und Mensch (und vor allem an letzterem) Interesse haben. Darüber hinaus wird das Buch denje- nigen Anregungen und Wissen ver- mitteln, die zu Problemen Stellung beziehen wollen, die menschliches Fehlverhalten betreffen. Johann Caspar Rüegg: Psychosoma- tik, Psychotherapie und Gehirn. Neuronale Plastizität als Grundlage einer biopsychologischen Medizin. Schattauer, Stuttgart 2001. 178 Sei- ten, EUR 25,95. ISBN 3-7945-2137-4. Volker Storch, Heidelberg

Psychosomatik, Psychotherapie und Gehirn by Johann Caspar Rüegg

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328 | Biologie in unserer Zeit | 32. Jahrgang 2002 |Nr. 5

B U C H B E S PR EC H U N G E N |

Genau das hat der Geologe undAstronom Paul Sipiera in seinem inleichtem Englisch geschriebenenBuch über den Polarforscher ErnestShackleton gemacht: Ernest Shackle-ton lebte im Schatten von CaptainRobert F. Scott, der tragischerweiseden Wettlauf zum Südpol gegen Roald Amundsen verlor und auf demRückweg hilflos erfror. Scott wurdedaraufhin von der britischen Gesell-schaft zum Helden gemacht, Shackle-ton hat darunter immer gelitten.

Sipiera beschreibt in diesem ein-fühlsamen Buch voller Informationenweitab von der gängigen Polarlitera-tur das Leben des PolarpioniersShackleton, seine Kindheit und sei-nen Weg ins Eis, der vorerst noch imKopf, dann in der Realität stattfand.Shackleton verlor beinahe jedenKampf in der weißen Einsamkeit –nur 97 Meilen vor dem Südpol muss-te er umkehren, um seine Männerwieder heil nach Hause zu bringen.Der Polarpionier Norman Vaughn,der vor fast 70 Jahren mit AdmiralByrd erstmals zum Südpol flog, for-mulierte es so: „Dream big – dare tofail“. Die Träume sollen groß sein,doch sollte man auch immer den Mutzum Scheitern haben, um nicht derEitelkeit zu erliegen. Somit hat Shack-leton schlussendlich den größten Ge-winn gemacht, den ein Expeditions-leiter machen kann: Trotz der Aus-sichtslosigkeit ihres Überlebens hater alle seine Männer wieder gesundzurückgebracht. Shackleton selbst istjedoch an seinem Kampf mit dem Eiszerbrochen. Paul Sipiera hat Shackle-tons Weg fast ausschließlich mit eige-nen Bildern dokumentiert. Er selbstkennt den Drang und die Kraft, dieMenschen in die Kälte treibt: Schondreimal hat er selbst Expeditionen in die Antarktis geführt.

Paul P. Sipiera: EErrnneesstt SShhaacckklleettoonn –– AA LLiiffee ooff AAnnttaarrccttiicc EExxpplloorraattiioonn. Kendall/Hunt Publishing Company,Dubuque 2002. 130 Seiten, EUR 25,–. ISBN 0-7872-8913-2.

Birgit Sattler, Innsbruck

M AT H E M AT I K |Käfer berechnen

Mathematikvor-lesungen sindim Grundstu-dium obligato-risch, sie ver-mitteln abernicht immerdie von Biolo-giestudentenerwünschte

mathematische Einsicht in biologi-sche Phänomene. Hier verspricht Erich Bohl mit der überarbeiteten undneubetitelten Auflage seines Buches Mathematik in der Biologie Abhilfe:Ausgehend von einem Wachstumsex-periment mit Käfern erklärt Kapitel 1verständlich das mathematischeHandwerkszeug: Zahlen als Mess-werte, Funktionen zur Beschreibungvon Vorgängen, Differenzenquotien-ten als Maß für Veränderungen, Diffe-rentialgleichungen für Gesetzmäßig-keiten. Folgerichtig erhält man die logistische Gleichung als mathemati-sche Modellierung des Populations-wachstums. In den anderen Kapitelnwird der Leser mit Michaelis-Menten-Prozessen, Räuber-Beute-Systemenoder präbiotischer Evolution konfron-tiert, aber überwiegend auf die biolo-gische Primärliteratur verwiesen. DieÜbungsaufgaben am Ende der Kapitelhaben nur ausnahmsweise einen di-rekten biologischen Bezug, Lösungenfehlen, wären aber für eine kontrol-lierbare Bearbeitung unerlässlich. Bio-logiestudenten sind mit diesem Buchzwar besser beraten als mit einem rei-nen Mathematikbuch, ein wirklicherBrückenschlag zwischen Mathematikund Biologie ist aber nur ansatzweisegelungen.

Erich Bohl: MMaatthheemmaattiikk iinn ddeerr BBiioolloo--ggiiee.. 2. vollständig überarbeitete Auf-lage. Springer Verlag, Berlin Heidel-berg 2001. 157 Seiten, EUR 16,95. ISBN 3-540-41867-9.

Inge Kronberg, Hohenwestedt

N EU RO LO G I E |Körper und SeeleEs gibt Buchtitel, die mehr verspre-chen als der Inhalt bietet. Hier ist esumgekehrt. Der Autor spannt einenweiten Bogen und arbeitet heraus,wie Emotionen und „Geist”die Ge-sundheit des Körpers beeinflussenkönnen und umgekehrt. Die Debatteüber dieses Thema ist alt und für denbiologisch-medizinisch Gebildetenoft zu wenig inhaltsreich. Nicht so indiesem Buch: Immer wieder wird derBezug vom allgemein bekannten Phä-nomen über Strukturen und Funktio-nen in unserem Nervensystem bis zurMolekularbiologie hergestellt: „Black-out”und Cortisol, Parkinson und Do-pamin, Depression und Serotonin,Aggression und Monoaminoxidase,Panik und Hypokapnie, Denken undPositronenemissionstomographie,Lernen und Neuroplastizität – um nureinige Beispiele zu nennen. Dabeiverfällt der Autor niemals in einenvereinfachenden Biologismus.

Das Buch behandelt zunächstneuro-psychophysiologische Grund-lagen, zu deren Verständnis Abitur-kenntnisse vorausgesetzt werden.Dann folgen Kapitel über Schmerzen,Gehirn/Psyche und Kreislauf, Stress,Psychoendokrinologie, Psychosoma-tik, Psychotherapie und Gedächtnissowie neuronale Plastizität.

Eine sehr empfehlenswerte Lek-türe für diejenigen, die an dem Ver-halten von Tier und Mensch (und vorallem an letzterem) Interesse haben.Darüber hinaus wird das Buch denje-nigen Anregungen und Wissen ver-mitteln, die zu Problemen Stellungbeziehen wollen, die menschlichesFehlverhalten betreffen.

Johann Caspar Rüegg: PPssyycchhoossoommaa--ttiikk,, PPssyycchhootthheerraappiiee uunndd GGeehhiirrnn. Neuronale Plastizität als Grundlageeiner biopsychologischen Medizin.Schattauer, Stuttgart 2001. 178 Sei-ten, EUR 25,95. ISBN 3-7945-2137-4.

Volker Storch, Heidelberg