20
VERLAGSHAUS J. FRANK | BERLIN Edition Belletristik | Quartheft 53

Q53 // Dimitris Lyacos // Der Erste Tod // Gedicht

Embed Size (px)

DESCRIPTION

http://www.belletristik-berlin.de/fileadmin/templates/images/Quarthefte/Q53/Q53_DimitrisLyacos_Leseprobe.pdf

Citation preview

  • Verlagshaus J. Frank | BerlinEdition Belletristik | Quartheft 53

  • Poena Damni Der erSTe ToDEin Gedicht in vierzehn AbteilungenDimitris Lyacos

    Quartheft 53 / edition Belletristik2. berarbeitete Auflageisbn 978-3-940249-85-2

    2014 Verlagshaus J. Frank | berlinChodowieckistrae 2 / 10405 berlinAlle Rechte vorbehalten.

    www.belletristik-berlin.de

    bersetzung // nina-Maria WanekGestaltung / satz // Dominik Zillerschrift // Minion Pro / DirtyEgobuchdruck & bindung // sDL buchdruck, berlin / Printed in Germany, 2014Papier // 90g/m2 1,5-fach Munken Print White / 280g/m2 Alster-Feinleinen

    Alle Titel, die im Verlagshaus J. Frank | berlin erscheinen, werden im Literaturarchiv Marbach, im Lyrik Kabinett Mnchen und in der Deutschen nationalbibliothek archiviert.

    Alle Rechte vorbehalten. Das Werk, einschlielich aller seiner Teile sowie der illustrationen, ist urheberrechtlich geschtzt. Jede Verwertung auerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts-gesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages, des Autors und des Knstlers unzulssig und strafbar. Das gilt insbesondere fr Vervielfltigungen, Lesungen, Vertonungen, bersetzungen, Mikro-verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen systemen.

  • Poena DamniDer erste Tod

    Dimitris Lyacos

    Aus dem Griechischen von

    nina-Maria Wanek

  • 10 11

    #

  • , , , .1

    2

    1 _ Homer, Odyssee 19, 165170 (Homer, Die Odyssee. Deutsch von W. schadewaldt. Hamburg: Rowohlt 1958, s. 250).

    2 _ Parmenides, ber das sein b. 1.23 (Parmenides: ber das sein, Die Fragmente des Lehrgedichts. bersetzung und Gliederung von J. Mansfeld, Text und nummern nach Diels/Kranz 28 b. Leipzig:Reclam 1987, Reclams Universalbibliothek nr. 7739, s. 519).11

  • i16 17

  • 01

    02

    03

    04

    05

    06

    07

    08

    09

    Das Meer sthlern. Der Mond schweigsam wie ein schmerz in der Tiefe des Geistes. Ein Krper, hin- und hergerissen auf dem Felsen, als eine Alge oder ein lebloser Fangarm, Frucht eines von strmen zerrissenen schoes, ein sumpf, voller Fleisch und blutgefllt. Der linke Arm an der Wurzel abgetrennt, der rechte bis zum Handgelenk, ein verfaulter stumpf delirierend in den Lungen des Wassers. Vom zerstrten Mund blieb nur eine Wunde, die sich langsam schloss. Aus den Augen ein ausgewaschenes Licht. Die Augen ohne Lider. Die beine bis zu den Kncheln hinab ohne Fe. Zuckungen.

    17

  • 20 21

    iII

  • 21

    01

    02

    03

    04

    05

    06

    07

    08

    09

    10

    11

    12

    13

    14

    15

    16

    17

    18

    Tote Kinnladen, die sturzbche zusammenpressenzerbrochene Zhne, deren Wurzeln das Zittern des Opfers ausgrub, bevor es den Haken anbeteterund um die spuren der Verzckung und Verwstungzwischen den vergreisten Zweigen der Festopferstrecken sie sich aus wie ein netz gegen den bleichen Himmelder wie ein zitternder Kuss von deinen Lippen strzt;Heerscharen von Toten, die unaufhrlich flsternauf einem endlosen Friedhof, in dirvermagst du auch nicht mehr zu sprechen, du ertrinkstund der vertraute schmerz berhrtAusgnge in dem unzugnglichen Krperjetzt kannst du nicht einmal mehr gehen du schleppst dich dorthin, wo die Dunkelheit dichter istzarter, Gerippeeines ausgeweideten Tiereseine Handvoll bettlgeriger1 Knochen umarmst du und sinkst in den schlaf.

    1 _ Kann auch die bedeutung von in der Hhle wilder Tiere haben.

  • VII

    28 29

  • 01

    02

    03

    04

    05

    06

    07

    08

    09

    10

    11

    12

    13

    14

    15

    16

    17

    18

    19

    20

    21

    22

    im blutgetrnkten Takelwerk des Gehirnsbefinden sich die inneren Flgel und das Erdbebenschumt eine unersttliche Larve in des HelmsMndungenund andere Wrmer, die am Fue des Grabes toben, Hauklotzwo Vgel mit durchsichtigen Flgeln voranstrmenin brand gesetzte Augen mosaikartiges sehenabgeschraubte brustkrbe, schreiendund die Kampfeslust der sonne ber dem rotenKanal Opfermesser ohne schnabelkrnt einen gelhmten Gotteswahnhell erleuchtete Fransen verwundeteLippen, erlsende scherbenWogen von schlangen Glieder, die sich ablsenstoen das Fleisch zurck in den verrecktenschdel, der sthnt und schluckt

    und der Ausschachter-schmerzgrbt unnachgiebig schwankenddas blutgetrnkte Takelwerk des Gehirns aus

    29

  • Nachwort

    50 51

  • Der erste Tod kann als Ausgangspunkt und zugleich als Ziel einer insgesamt fnfzehnjhrigen Arbeit von Dimitris Lyacos betrachtet werden: als das zuerst geschriebene, jedoch kompositorisch an letzter stelle angesiedelte buch der Trilogie Poena Damni als causa causarum des langjhrigen schreibprozesses also. Doch Der erste Tod ist noch mehr als das: Es ist ein buch, das in Teil i der Trilogie, Z 213: Exit, vom Protagonisten gefunden wird, und forthin mit der bibel von diesem als Kopfkissen genutzt wird: A nudge, you slip all but fall, you put out your hand, below the palm crumpled paper, a dog-eared book open. Turn over the cover: The First Death. You would smile. This too for a pillow, on top of the bible.

    Womit befasst sich nun Der erste Tod? Auch im Zusammenhang der beiden kompositorisch ersten Teile der Trilogie muss geantwortet werden: Es handelt sich um ein Gedicht-band, das sich ganz und gar mit den Mglichkeiten der menschlichen Existenz befasst. Das klingt nun sehr bekannt leider. Denn dieser satz wird hufig und oftmals dort bemht, wo es angebrachter wre, nicht von Existenz, sondern vielmehr von Lebensgestaltung und -entfaltung zu sprechen. Gleich im ersten dieser vierzehn Gedichte aber sehen wir, auf welch dicht gezogene Rahmen dieses Leben seine Existenzmglich-keiten begrenzt sieht: auf den uerst schmalen bereich des berlebens im Angesicht eines als unausweichlich erscheinenden Todes. Wir finden einen gescheiterten und im Verlauf der vierzehn in diesem band versammelten Gedichte immer wieder scheiternden Menschen vor: Einen Menschen, der immer aufs neue an ein und demselben Wetzstein schiffbruch erleidet. Diesen Wetzstein bildet in Der erste Tod ein Tim-system, ein Ehresystem darwinistischer Frbung. Tim-systeme sind in der Literatur vielgekannt besonders, dies sei ein Vorgriff, aus Erzhlungen der griechischen Mythologie, ja aus der ganzen

    51

  • isBn: 978-3-940249-85-2 | Preis: 13,90 www.belletristik-berlin.de | 100% Independent

    1992 begann Lyacos die Trilogie POEnA DAMni.

    Der Titel bezieht sich auf die strafe der verdammten

    seelen in der Hlle: sie drfen Gott nicht schauen.

    Die Trilogie beginnt mit dem schluss und schreitet von

    dort aus zurck an den Anfang. Der chronologisch

    letzte Teil erschien somit als erster: O PROTOs

    THAnATOs (DER ERsTE TOD). Er liegt inzwi-

    schen neben dem griechischen Original auch in

    englischer, deutscher, spanischer und italienischer

    bersetzung vor.

    Die Trilogie gehrt einem Kontext von tragischer

    Dichtung und epischem Drama an. Homer, Aischylos,

    Dante und dunklere Aspekte der romantischen

    Dichtung zeigen ebenso ihren Einfluss wie der

    symbolismus, Expressionismus sowie religises und

    philosophisches Gedankengut. DER ERsTE TOD

    beginnt mit einem auf einer felsigen insel ausgesetzten

    Mann und schildert in weiterer Folge dessen ber-

    lebenskampf, begleitet vom Zerfall seines Krpers und

    der unaufhaltsamen Auflsung seines Gedchtnisses.