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Rainer Marten Die MȰglichkeit des UnmȰglichen VERLAG KARL ALBER A

Rainer Marten Die Mglichkeit des Unmglichen · tike zurck und dauert die Herrschaft der Ideologie des Fort- ... des Unmglichen zu philosophieren: Marc Aurel . . 18 2. ... Die Mglichkeit

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Rainer Marten

Die M�glichkeit des Unm�glichen

VERLAG KARL ALBER A

�ber dieses Buch:

Reicht auch das Faktum der Entzauberung der Welt bis in die An-tike zur�ck und dauert die Herrschaft der Ideologie des Fort-schritts bis in die Gegenwart an, so vertraut der Mensch doch im-mer neu einer Selbstpoetisierung, die ihn mehr verm�gen l�ßt alser selbst vermag. J�disch-christliche, griechisch-r�mische, selbstneuzeitlich-aufkl�rerische Tradition ist maßgeblich gezeichnetvon Positionen philosophischer, theologischer und religi�ser Re-flexion, die eine ganz spezielle Poesie entdecken lassen. Epos undTrag�die, philosophische und theologische Texte aus Antike, Mit-telalter, Neuzeit und j�ngster Vergangenheit werden zu Schau-pl�tzen, an denen der Autor diese einzigartige Poesie aufsp�rtund zur Darstellung bringt.

Der Autor:

Rainer Marten, geb. 1928, Professor f�r Philosophie an der Uni-versit�t Freiburg i.Br.Ver�ffentlichungen: Der Logos der Dialektik (1965), Existieren,Wahrsein und Verstehen (1972), Der menschliche Tod (1987),Der menschliche Mensch (1988), Denkkunst (1989), Heideggerlesen (1991), Lebenskunst (1993), Menschliche Wahrheit (2000).Buch- und Zeitschriftenbeitr�ge zu Themen der Antiken Philoso-phie, Praktischen Philosophie, Philosophie des 20. Jahrhunderts,Sprachwissenschaft, Psychoanalyse, Theologie und Politikwissen-schaft.

Rainer Marten

Die M�glichkeitdes Unm�glichenZur Poesie in Philosophie und Religion

Verlag Karl Alber Freiburg /M�nchen

Es war eine Freude, bei der Arbeit an diesem Buch vonWinrich Hopp, Guido L�hrer und nicht zuletzt Christian Strubbegleitet zu werden.

Originalausgabe

2. Auflage 2009

Gedruckt auf alterungsbest�ndigem Papier (s�urefrei)Printed on acid-free paper

Alle Rechte vorbehalten – Printed in Germany© Verlag Karl Alber GmbH Freiburg/M�nchen 2005www.verlag-alber.deInhalt gesetzt in der Aldus und Gill SansSatzherstellung: SatzWeise, F�hrenDruck und Bindung: AZ Druck und Datentechnik, Kemptenwww.az-druck.deISBN 978-3-495-48186-8

Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

1. Die M�glichkeit, ohne Rekurs auf die M�glichkeitdes Unm�glichen zu philosophieren: Marc Aurel . . 18

2. Die Erfahrung, daß das Menschenunm�gliche demMenschen unm�glich ist: Gilgamesch . . . . . . . . 33

3. Die M�glichkeit der Ann�herung an das Ideal:Platon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

4. Die M�glichkeit des Endes der Geschichte: Kant . . 69

5. Die M�glichkeit des philosophischer VernunftUnm�glichen: Adorno . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

6. Die Unm�glichkeit des politischer VernunftUnm�glichen: Die Bakchen des Euripides . . . . . . 108

7. Gr�ßer als das Gr�ßte: Anselm . . . . . . . . . . . . 124

8. Die Erkl�rbarkeit des Unerkl�rlichen: Leibniz . . . . 142

9. Die M�glichkeit, Wunder zu schauen undWunder zu tun: Altes und Neues Testament . . . . 161

10. Die M�glichkeit zu glauben, daß Gott tot ist . . . . 177

Nachwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199

5

Vorwort

Eine gr�ßere Selbstherausforderung des Menschen l�ßt sichnicht denken, als daß er versucht, sich des Unm�glichen zu be-m�chtigen: des ihm und des �berhaupt Unm�glichen. KeinWunder, daß er die Verm�gen des Erdichtens und Erdenkensaussch�pft, um das Unm�gliche als m�glich zu inszenierenund seiner M�glichkeit Gestalt zu verleihen. Ein Wunder da-gegen ist es, wie selbstverst�ndlich Religion, Theologie undselbst Philosophie davon leben, sich den von ihnen selbst ge-schaffenen M�glichkeiten des Unm�glichen zu �berantwor-ten. Verwunderlicher noch ist es, daß sie dies tun, ohne sichzu ihrer poetischen Natur und Praxis zu bekennen, ganz so,als h�tten sie sich dessen zu sch�men. Fast m�chte man ihnenzugute halten, sie w�ßten gar nicht darum.

Die Aufdeckung dieser insgeheimen Poesie, die von gr�ß-ter Wirkungsgeschichte bis in die Gegenwart ist, dient ihrerErhellung, nicht ihrer Entzauberung. Das Abrupte der Sze-nenwechsel ist nicht zu gl�tten gesucht worden, weil so derFacettenreichtum des Aufzudeckenden klarer hervortritt. DieVielseitigkeit des Zugriffs auf die poetischen Gestaltungender M�glichkeit des Unm�glichen spiegelt die systematischeAbsicht.

7

Einleitung

I.

Philosophische Aufkl�rung ist der wiederkehrende Versuch,den Gebrauch der in einer Gegenwart von der M�glichkeitdes Unm�glichen gemacht wird, aufzudecken, f�r unzul�ssigzu erkl�ren und gegebenenfalls um seine lebensbef�higendeKraft zu bringen. In dieser Bestimmung spricht sich die unauf-hebbare Ambivalenz der �berzeugungsarbeit aus, die daraufverpflichten m�chte, nur das f�r wahr, wirklich und sinnvoll(praktisch-richtig) zu nehmen, was durch eigene Wahrneh-mung und Vernunft als wahr, wirklich und sinnvoll zu begrei-fen ist. Eine rein praktische Rechtfertigung, etwas f�r wahr,wirklich und sinnvoll zu nehmen, wie sie k�nstlerische undreligi�se Praxis in Anspruch nehmen, wird verworfen. Aufkl�-rung ist solcherweise gewillt, Lebenskraft zu geben, ohne ei-gens R�cksicht zu nehmen, ob sie auch Lebenskraft nimmt.Sie meint, den Menschen auf seine eigensten Verm�gen zu-r�ckzuf�hren, denen er sein Leben- und Handelnk�nnen ver-dankt, und verwirft doch zugleich Verm�gen, die allein er f�rsich zu entdecken und fruchtbar zu machen versteht. Ist aberdie Ambivalenz der Aufkl�rung gegeben und nach ihrem phi-losophischen Selbstverst�ndnis unaufhebbar, dann darf auchdie ambivalente Bewertung der Aufkl�rung nie erlahmen.

Wer als Philosoph im Interesse, das der Mensch f�r sichselbst hat, Selbstreflexion ohne perspektivische Verengungenund Ausblendungen betreibt, wird Aufkl�rung auf Dauer zuf�rdern und zu kritisieren haben. Geh�rt es zur ausgereiften

9

Aufkl�rung, �ber sich selbst aufgekl�rt zu sein, so liegt darinauch schon, daß sie zum Spiel bereit ist, �ber sich hinauszuge-hen: ins – um eine entsprechende Metapher zu gebrauchen –Dunkel. Sie will und kann das freilich nie ohne das Bewußtseintun, was sie selbst ist: illuminatio. Aber sie lernt, im Ausspie-len ihrer Ambivalenz, daß und wie es fruchtbar sein kann, ihreHelle mit dem Dunkel zu tauschen, sofern sie es versteht, �berdem Dunkel nicht sich selbst zu vergessen: ihre kl�rende Helleals ihren K�nigsweg und ihr Ziel. Daß dieser Wechsel zu kei-nem bloßen Spiel mit sich selbst wird, erf�hrt sie an sich selbst,sobald sie wieder ›rein‹ sie selbst ist: Sie ist verwandelt undnunmehr wirklich �ber sich selbst aufgekl�rt. Das Dunkel,dem sie sich �berlassen hatte, ist in ihr Selbstwissen integriert,dasselbe Dunkel, das sie mit ihrer naiv vermeinten Eindeutig-keit schlechtweg zu diskriminieren suchte. Auch das Dunkelhat sich gewandelt: Es bleibt zwar das Dunkel, aber es weißvom Licht.

Hegel hat Aufkl�rung in der Gefahr gesehen, nurmehrf�r hochm�tige Kahlheit und skeptische Inhaltslosigkeit zusorgen.1 Allein die �ber sich selbst aufgekl�rte Aufkl�rung er-kenne im Glauben als dem, wogegen sie aufkl�rt, ihren eige-nen Gedanken und so im Inhalt des Glaubens sich selbst.2 Ver-st�nde, was nicht der Fall ist, Hegel aufgekl�rterweise denreligi�sen Glauben als eine besondere M�glichkeit von Poesie,k�nnte dem zugestimmt werden. So aber hat Hegel jedenfallsdas Verdienst, Aufkl�rung, sofern sie »reine Einsicht« ist,nicht auf ihre Leere zu fixieren.3 Ohne ihre Stoßrichtung zuverlieren, hat sie sich vielmehr auf das Aufzukl�rende selbsteinzulassen. Hegel spricht, die Methode betonend, vom Nega-tiven ihrer selbst. Das Dunkel dagegen als das Wort f�r das

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Einleitung

1 G. W. F. Hegel, Die absolute Religion, S. 230.2 G. W. F. Hegel, Ph�nomenologie des Geistes, S. 306 f.3 G. W. F. Hegel, Ph�nomenologie des Geistes, S. 296 f.

andere ihrer selbst ›beleuchtet‹ die Sache, indem es zugleichdie bleibende Herausforderung festh�lt: Das Dunkel ist nichtder eigene Gedanke der Aufkl�rung, ist seinem Inhalt nachnicht sie selbst. Hegel sieht das »N�tzliche« der �ber sichselbst aufgekl�rten Aufkl�rung darin, daß sich Glaube undWissen vollends vereinigen: »Beide Welten sind vers�hnt,und der Himmel auf die Erde herunter verpflanzt.«4 Er ver-sieht sich darin, daß der Glaube wirklich aufzukl�ren ist, unddies auf die Gefahr hin, daß er darin versagt, Selbstverantwor-tung als eine eigene, nicht aber als eine Chance der verselb-st�ndigten Aufkl�rung wahrzunehmen. Aufkl�rung gelingtnur, wenn Wissen Wissen und Glaube Glaube bleibt – beidesverwandelt, weil f�reinander offen.

Der positive und das meint der f�r Leben und Handelnfruchtbare Gebrauch des Unvern�nftigen und Unm�glichennimmt der Aufkl�rung jeden ideologischen, fundamentalisti-schen und utopischen Zug. Sie verkl�rt sich nicht etwa selbst,wenn sie mit ihrem Dunkel zu spielen wagt und es f�r sieselbst bedeutsam werden l�ßt, sondern wird sich dadurch klar�ber sich selbst. Jetzt erst weiß sie, was sie demMenschen allesantut und im letzten nicht bringt, sondern f�r immer schuldet.Jede Rede vom Fortschritt der Aufkl�rung, die nicht mehr sa-gen will und zu sagen hat, als daß aller aufkl�rerisch-geistigeFortschritt der Entdunkelung und Entzauberung zu dienenhat, ist lebenspraktisch unwahr, weil sie an der unaufhebbarenund fruchtbaren Ambivalenz der Aufkl�rung vorbeiredet.

II.

Poesie erwirkt, wider den bon sens, die M�glichkeit des prak-tisch Unm�glichen. Praktisch M�gliches, wie es der bew�hrte

11

Einleitung

4 G. W. F. Hegel, Ph�nomenologie des Geistes, S. 316.

Realit�tssinn weiß, beruht in eins auf frei verf�gbarem K�n-nen (Potentialit�t) und gegebener, frei wahrnehmbarer M�g-lichkeit (Possibilit�t). Zu praktisch Unm�glichem hat ein Han-delnder weder das Verm�gen noch bietet es sich ihm jemals inder Handlungswelt als Alternative an.

Gilt im Praktischen, daß Possibilit�ten nicht ohne ent-sprechende Potentialit�ten existieren, Potentialit�ten nichtohne entsprechende Possibilit�ten, dann versteht sich prak-tisch M�gliches notwendig aus durch Praxis faktisch Wirk-lichem. Konvergieren n�mlich im Begriff des praktisch M�gli-chen das potens und das potest, so gibt es kein bloßes K�nnenund Verm�gen, dem es passieren k�nnte, niemals die Gelegen-heit zu haben, sich ins Spiel zu bringen. Ein Architekt ›kann‹nur H�user bauen, wenn er zumindest einmal in seinem Lebenein Haus baut.5 Ebensowenig gibt es eine bloße M�glichkeit,die zwar, wie f�r sich, an sich best�nde, f�r die sich aber keinVerm�gen zur Stelle f�nde, sie wahrzunehmen. Die M�glich-keit, im Nordatlantik Fische zu fangen, besteht nur, wenn esauch Fischer mit hochseet�chtigen Booten gibt, die verstehen,dorthin zu fahren.

Wer dagegen im Praktischen nicht auf dem Bedingungs-verh�ltnis von Possibilit�t und Potentialit�t besteht, ist aneinen Begriff des praktisch M�glichen gehalten, der dasM�gliche f�r das Denkm�gliche nimmt. Nicht die Wider-spruchsfreiheit steht dann jedoch im Vordergrund (die logi-sche M�glichkeit im engeren Sinne), sondern eine besondereVerallgemeinerung von Einzelnem (¥pagwgffi) und der uto-pische Entwurf. Ist zum Beispiel ein Friedensschluß zwischenzuvor miteinander Kriegf�hrenden ›historisch‹, das heißt ver-l�ßlich bezeugt, und somit Sache von Erfahrung und Wissen,dann ist es evident, daß er praktisch m�glich war. Heißt es dar-

12

Einleitung

5 Siehe bereits Aristoteles, Nikomachische Ethik B 1 1103a35; b9; MetaphysikQ 8 1049b10 ff.; Physik G 1 201a18; b9.

aufhin, ein Friedensschluß dieser Art sei praktisch m�glich,dann trifft der Schluß nicht zwingend f�r jeden neu auftreten-den einzelnen Fall zu. Im strengen und verl�ßlichen Sinne istallein praktisch Verwirklichtes praktisch m�glich. Liegt Kriegin der Luft, und es behauptet einer, es sei praktisch m�glich,den in der Luft liegenden Krieg nicht zum Ausbruch kommenzu lassen, dann muß er bei genauer Rede zumindest von Kau-telen wie »generell«, »im Prinzip«, »mit Gl�ck« Gebrauch ma-chen. Behauptet er jedoch, es sei praktisch m�glich, daß unterMenschen nie wieder Krieg gef�hrt wird, dann reichen auchkeine Kautelen mehr zu. Er behauptet schlicht mehr, als sichbei redlichem Begriffsgebrauch behaupten l�ßt. Soweit wirden Menschen und seine Handlungswelt kennen, l�ßt sich kei-ne geschichtliche Erfahrung und Realit�t anf�hren, die f�runiversal-humane Friedfertigkeit st�nde. Es ist unredlich, f�rUtopien, die gerade dadurch ihre Bedeutung haben, daß siepraktisch Unm�gliches vorstellen, den Begriff des praktischM�glichen zu erschleichen, indem man r�umlich, zeitlich undindividuell begrenztes M�gliches disloziert und universali-siert.

Kriterien f�r das praktisch Unm�gliche sind der ge-schichtliche Mensch und seine Welt: Was kein Mensch undkeine menschliche Gesellschaft k�nnen und verm�gen, weiles nicht in der Potentialit�t liegt, �ber die der geschichtlicheMensch verf�gt, und was durch keine Praxis zuwege- und zu-standezubringen ist, weil es nicht in der Possibilit�t liegt, diedie Handlungswelt vorgibt (die Gelegenheiten und Umst�ndedes Handelns sind nicht so, daß eine so bestimmte Alternativein ihr gegeben w�re), ist das praktisch Unm�gliche. Wer eine›neue Erde‹ und einen ›neuen Menschen‹ fordert, erkl�rt denMenschen, wie wir ihn von den fr�hen Hochkulturen bis zuuns selbst kennen, f�r ›alt‹. Aber selbst dann, wenn der ge-schichtliche Mensch der ›alte‹ sein soll, bleibt er der Gew�hrs-mensch f�r das, was praktisch m�glich und unm�glich ist.

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Einleitung

Jeder Entwurf einer neuen Erde und eines neuen Menschenergeht sich per se in dem, was praktisch unm�glich ist.

Der �ber sich selbst aufgekl�rte Mensch weiß, daß das er-dichtete Neue niemals und nirgends statthat. Steht n�mlich imstrikten Sinne allein das Wirkliche und Verwirklichte f�rM�gliches, so wird doch darum nicht im Gegenzug das prak-tisch Unm�gliche zu einer reinen Sache des Bis-jetzt, zu etwas,das vor allem K�nftigen, das wirklich und verwirklicht werdenmag, haltmacht. Dem geschichtlichen Menschen ist f�r dieZukunft keineswegs prinzipiell alles zuzutrauen und als m�g-lich offenzuhalten. Niemand kann ihm in seinem gegebenenSelbstverst�ndnis die Zustimmung zu M�glichkeiten abver-langen, die ihn zu dem Punkt br�chte, sich selbst nicht mehrzu kennen und zu verstehen. Genau zwei Dinge sind es, f�r dieer, an sich selbst und an seiner Handlungswelt Maß nehmend,voll einsteht, daß sie in alle geschichtliche Zukunft praktischunm�glich sind und ein erdichtetes Wunder bleiben: die abso-lute Friedfertigkeit und die absolute Todlosigkeit. Lesen wirbei Jesaja6 das Versprechen eines neuen Himmels und einerneuen Erde, so hat das, was da als neues Diesseits gezeichnetwird, alle Z�ge eines das Ruhen-in-Frieden zum Leben verkl�-renden Jenseits: Es gibt nichts mehr zu beklagen und zu bewei-nen, zu leiden und zu erdulden, zu erk�mpfen und abzuweh-ren, zu verdienen und zu erwarten. Die Natur hat alle Waffengegen den Menschen gestreckt, von m�glichen Epidemien,Erdbeben, �berschwemmungen und selbst Blitzeinschl�gengibt es keine Spur mehr. Zwar stirbt der Mensch noch, dochnie vor dem hundertsten Jahr, und dies auch stets so, daß er»seine Zeit« erf�llt hat. Paulus �berh�ht diese Sicht einer neu-en Erde noch durch die vom neuen Leben eines neuen Men-schen, indem er die absolute Friedfertigkeit an das Evangeliumder wahren Gerechtigkeit und Heiligkeit des Menschen und an

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Einleitung

6 65,17–25.

die Zusage seiner Todlosigkeit anbindet.7 Die mit dem Irdisch-sein verbundene Lebendigkeit, die der absoluten Friedfertig-keit widerspricht, und die mit dem Lebendigsein verbundeneT�dlichkeit stehen nicht zur Disposition. Jesajas und Paulus’Poesien bleiben Poesien, beide �bergl�nzt von der Strahlkraftdes praktisch Unm�glichen.

Wird als erstes Von-wo-aus (ˆqen pr�ton)8 des Han-delns das Ensemble von Selbsten und das einzelne Selbst be-stimmt, dann stellen Entw�rfe, die den Begriff des praktischM�glichen �bersteigen, die Utopisierung des Selbst dar: SeinePosition, die es in praktischen Situationen bezieht, wird insNirgendwo und Nirgendwann verlegt. Wer zum Beispiel eineMenschenwelt ohne schlechte Menschen und schlechte Men-schen, ohne daß sie Schlechtes tun, entwirft9, bekennt sich zurM�glichkeit des Unm�glichen, nicht weniger derjenige, derauf den ›richtigen‹ Menschen setzt, den er im v�llig befreitenIch und in der v�llig befreiten Gesellschaft realisiert s�he.10

Die M�glichkeit des praktisch Unm�glichen hat gleichge-wichtig zur Voraussetzung: ein Verm�gendsein zu etwas, wo-zu niemand verm�gend ist, und ein Seink�nnen von etwas ausFreiheit, das niemals aus Freiheit sein kann. Diese unm�glicheM�glichkeit verlangt nichts geringeres als die Einheit von Po-tentialisierung praktischer Impotenz und Possibilisierung despraktisch Impossiblen. Das Niemand des potens mutiert zumJemand, das Niemals des potest mutiert zum Jemals (Einst-mals).

15

Einleitung

7 Epheserbrief 2,15–22; 4,24; R�merbrief 6,4 f.8 Aristoteles, Metaphysik D 1.9 Siehe Marc Aurel, Wege zu sich selbst, IX,42,1 f.10 Siehe Theodor W. Adorno, Negative Dialektik, S. 273; 275.

III.

Wer lebt, ohne sich auf die M�glichkeit des Unm�glichen ein-zulassen, handelt mit Sicherheit nicht als einer, der �ber dieAufkl�rung aufgekl�rt ist. Vielleicht ist er �berhaupt nichtaufgekl�rt, indem er ganz wie von selbst nur seinen M�glich-keiten lebt: allein das f�r m�glich nehmend, was sich wirklichbegibt und eben als m�glich erweist. Nun ist es freilich denk-bar, daß jemand ganz bewußt und h�chst reflektiert – entgegenallen Versuchungen durchWeisheitslehren und Religion – sichallein an das M�gliche h�lt, was allen, die es anders halten, sovorkommen muß, als w�hlte er eigens das Gef�ngnis seinermanifesten M�glichkeiten.

Wer sich g�nzlich auf das M�gliche einschr�nkt, verschat-tet nicht allein die Ambivalenz philosophischer Aufkl�rung,sondern auch eine andere Ambivalenz, in der sich die der Auf-kl�rung spiegelt: die Ambivalenz der Freiheit. Besteht Freiheitin dem Verm�gen, praktische Alternativen zugunsten gelin-gender Lebensteilung zu entscheiden, so wird sie nur dannvollends frei f�r sich selbst sein, wenn sie es wagt, bei Gelegen-heit �ber sich hinauszugehen und sich ihrem Anderen zu �ber-lassen: der Unfreiheit, das heißt der Alternativelosigkeit. Dieseaber besteht �berhaupt nur dann, wenn dem praktisch Un-m�glichen per definitionem bzw. per Denkgesetz abgespro-chen wird, jemals und in irgendeiner Gestalt eine praktischeAlternative zu sein. �berl�ßt sich darum Freiheit, die sichselbst bewahrt, der Alternativelosigkeit, dann muß sie »Willstdu das M�gliche oder das Unm�gliche?« nicht als schlechtenScherz, sondern als gewagtes Spiel mit sich selbst verstehenk�nnen, das heißt als Alternative. Nur so ist sie f�hig, ihr blei-bend Anderes in ihre Selbsterfahrung zu integrieren.

Die f�r sich selbst freie Freiheit, um nicht zu sagen die�ber sich selbst aufgekl�rte Freiheit wird, ohne das M�glicheals K�nigsweg und Ziel aus den Augen zu verlieren, sich auf

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Einleitung

Unm�gliches einzulassen haben, auf solches, was Menschenpraktisch nicht offensteht. Erst die Erfahrung, ja Praktizierungdes �ber-sich-hinaus l�ßt sie g�nzlich ihrer selbst sicher sein.Weiß sie aber erst einmal um Unfreiheit als eigene M�glich-keit, dann ist sie nicht mehr die eindeutige des eigenen An-fangs. Wie die Ambivalenz der Aufkl�rung zuletzt zu neuerEindeutigkeit f�hrt, so auch die Ambivalenz der Freiheit: Sieentschr�nkt dieselbe nicht, macht aus ihr keinen Popanz derAllmacht. Gerade durch die Erfahrung, selber ambivalent zusein, wird sie zur Meisterin ihrer Beschr�nktheit. Indem siesich aus dem gewagten Spiel mit ihrer Andersheit als einemSpiel mit sich selbst ›rein‹ auf sich selbst zur�cknimmt, l�ßtsie die Unfreiheit nicht als einen Widersacher zur�ck, sondernweiß sie als freie M�glichkeit bei sich.

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Einleitung

1.Die M�glichkeit, ohne Rekurs auf dieM�glichkeit des Unm�glichen zuphilosophieren: Marc Aurel

I.

Ambivalente Aufkl�rung und ambivalente Freiheit sind ihreneindeutigen Versionen �berlegen, soweit Aufkl�rung mensch-lichem Gelingen dient. Das jedoch haben verdiente Aufkl�rermit Freiheitskonzepten von großer �berzeugungskraft andersgesehen. Ein herausragendes antikes Beispiel f�r eine philoso-phische Position, die dem Unm�glichen in all seinen lebens-praktischen Formen kompromißlos den Kampf ansagt und sichganz dem M�glichen verschreibt – Eindeutigkeit von Aufkl�-rung und Freiheit allein in Ehren haltend –, sind die Selbst-betrachtungen (TÞ e§@ �aut�n) von Marc Aurel (121–180n.Chr.). In dieser sp�ten Schrift (Marc Aurel beginnt mit ihrerAbfassung 172 n.Chr.) wird exemplarisch die Haltung dar-gestellt, die es einem Menschen erlaubt, in seinem Leben undHandeln durch und durch freien Geistes zu sein. Es ist derMensch, der gerade dadurch in den ideologischen und kriege-rischen Wirren seiner Zeit besteht, daß er sich nicht der Frei-heit zu sich selbst begibt, was hieße, sich der M�glichkeit be-stimmter Unm�glichkeiten hinzugeben. Um ›m�glich‹ undohne sacrificium intellectus zu leben, bedarf es allein, die eige-ne Natur in dem, was sie potentialiter intendiert, t�tig zu er-greifen, und die mit anderen geteilte Natur (� koin¼ fÐsi@) indem, was sie potentialiter bringt, frei hinzunehmen.1

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1 Marc Aurel, Wege zu sich selbst (der von Willy Theiler statt Selbstbetrach-tungen gebrauchte Titel), XII,32,2. Vgl. II,9. Alle Zitate ohne Namen- und Ti-telangabe beziehen sich im folgenden auf dieses Werk.

Wie Marc Aurel den Stoiker in Szene setzt, beschr�nktder sich frei auf sein der eigenen Natur gem�ßes Tatverm�genund sein der Allnatur gem�ßes Annahme- und Erleidensver-m�gen. Sein menschlicher (nicht speziell m�nnlicher, politi-scher etc.) Geist bejaht mit dieser totalen Naturgem�ßheit kei-ne diesseitige Welt als Gef�ngnis, weil f�r ihn, wie er frei f�rsich selbst und sein einziges Leben ist, �berhaupt nur eineWelt existiert. Was philosophischen Theologen und Weis-heitslehrern sonst die Unfreiheit ist, etwa die Beschr�nkung,kein Gott zu sein, versteht dieser Stoiker f�r das Gl�ck desLebens fruchtbar zu machen. Die »Dogmata« (decreta), mitdenen er sich an sich selbst wendet, vermitteln mit der Ein-sicht, daß jeder Mensch unausweichlich ein »sterbliches Lebe-wesen«2 ist, keinerlei Resignation und Fatalismus. Da ihm, be-schr�nkt wie er ist, vom Ganzen nur Gutes zuteil wird, erf�hrtder Einzelne gerade in seiner Endlichkeit die Ermunterung,wirklich heiter zu sterben3, ja die Lebenszeit �berhaupt zureigenen Aufheiterung (e§@ t� ⁄paiqri€sai) zu nutzen.4 Werfrei zu sich selbst ist, erwirkt eine Selbstsch�tzung5, die ihnzeitlebens tr�gt.

Der zutiefst heitere und darum auch seiner Endlichkeitheiter begegnende stoische Lebensk�nstler6 ist ein Menschen-oder Gottesk�nstler7, weil er rein dem Gotte oder dem Men-schen lebt: Er f�hlt sich den Menschen verbunden, sorgt sichum sie, l�ßt ihnen Gerechtigkeit widerfahren, rettet sie. DenG�ttern begegnet er scheu, fromm, gehorsam, zur Nachfolgebereit.8 Mit seiner Kunst lebt er einfach seine menschliche Na-

19

Marc Aurel

2 IV,3,9.3 II,3,3 (´lew@ ⁄lhq�@); 17,4; VIII,47,5; XII,36,5. Vgl. IX,3,5 (e�kolon).4 II,4,2. Vgl. VIII,28,1; die eigene Heiterkeit (a§qrffla) der Seele.5 II,6,1 f.: a§de…sqai seaut¼n vucffin. Vgl. VI, 16,10.6 VII,61,1.7 VII,68,3.8 III,9,1; VI,30,4; VII,31,2 f.; 66,3; 67,3.

tur aus, die die des vern�nftigen Lebewesens, dabei aber eherdie des Vernunftwesens (logik�n) als des Lebewesens (z†�on)ist.9

�berraschenderweise hindert die menschengerechte undgottesf�rchtige Lebensart den stoischen Lebensk�nstler nicht,vollendeter Solipsist zu sein. In allem, was er tut und l�ßt, ister g�nzlich selbstmotiviert10, selbstbezogen11, in sich selbst zu-r�ckgezogen und sich selbst genug.12 Was ihm an Gutem eig-net (—dion ⁄gaq�n), basiert auf keinem lebenspraktischen Tei-len mit Anderen.13 In seinem Gl�ck macht er einzig von sichselbst Gebrauch.14 Tut er etwas Gutes, so erf�llt er sein eigenesWesen.15 Darum k�mmert er sich auch allein um Menschen,die der Natur gem�ß leben und ihm dadurch v�llig gleichsind.16 Selbst die G�tter sind ihm praktisch keine das eigeneSelbst �bersteigenden Anderen. Wesentlich am G�ttlichen istihm eigentlich allein der in ihm selbst »thronende« D�mon,der sich die Kr�fte, die bei ihm selbst vern�nftig sind, unter-worfen hat.17

Was f�r ein gl�ckliches Leben bedeutsam ist, hat der na-turgem�ß lebende Mensch g�nzlich in seiner Gewalt.18 Werden Dogmata folgt, nach der eigenen Natur zu handeln und

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Ohne Rekurs auf die M�glichkeit des Unm�glichen zu philosophieren

9 III,6,7; VII,11,1; XII,3,2.10 III,4,5; 14; VI,8.11 IV,18; XI,1,1; 16,3.12 VII,28; IV,3,2; VIII,48,1.13 VIII,56,1 f. Wie man sich etwa bei Tisch und im Bett »richtig« miteinanderverh�lt (XI,18,3), ist durch Dogmata festgelegt, die dem Naturgem�ßen folgen.Dabei kommt es allein auf das eigene Verhalten an: auf das eigene Anfangen,Mensch zu sein (XI,18,19).14 III,1,2; 4,5: Auch der Gebrauch der Vernunft ist maßgeblich Selbstgebrauch(IV,13), da die vern�nftige Seele ihre Frucht selbst erntet. (XI,1,1) Vgl. außer-dem VIII,40,1 f.15 IX,42,13; XI,1,1 f.16 III,4,7.17 II,13,1; 17,4; III,4,4; 6,2; 7,2; 12,1; 16,3; V,10,6; 27,1.18 II,11,3; III,12,2. 14; V,5,2; VIII,29,1; X,321,2.

die allgemeine Natur zu erleiden19 und so mit allem in �ber-einstimmung zu leben20, macht sich selbst sein Schicksal.21 Ge-rade das ist nichts Fremdverh�ngtes, sondern besteht einzigdarin, sein eigenes Leben heiter zu leben, um einst heiter vonihm zu lassen. Was diesem stoischen Lebensk�nstler auch zu-stoßen mag, sein verehrungsw�rdiges Annahmeverm�gen22

sch�tzt seine rein solipsistisch erwirkte Erheiterung vor derM�glichkeit, durch Unertr�gliches in Verd�sterung umzu-schlagen.

Bei aller programmatischen Sozialit�t kennt der stoischeSolipsist nur eine praktische Position: die eigene. Er macht seinGl�ck nicht von praktischen Situationen abh�ngig, die er ge-meinsam mit praktisch positionierten freien Anderen bildet.F�r ihn ist Gl�ck nicht Sache des lebensteiligen Miteinander.Wie er seine Position bezieht und h�lt, ist er g�nzlich f�r sichund von sich eingenommen. Sein Mein ist durch kein Deinkonstituiert, seine Freiheit und Vernunft durch keine Freiheitund Vernunft Anderer.23 Ganz auf Selbstpositionierung fixiert,bleibt diesem autarken Einzelnen kein anderer Besitz als dieeigene Gegenwart (t� par�n). Gemeint ist die Erlebnis- undBegegniszeit ohne jeden Anteil an Gewesenem und K�nfti-gem, weil man, um Vergangenheit und Zukunft haben zu k�n-nen, �ber beides praktisch verf�gen k�nnen m�ßte. Die Ge-genwart ist – w�rtlich – zu kurz, um sie schneiden zu k�nnen

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Marc Aurel

19 V,25,2; XI,13,4; XII,32,5.20 IV,23,1; V,8,4; VI,16,10.21 V,36a,4.22 III,9,1: T¼n ¢polhptik¼n dÐnamin sffbe. IV,3,10: ¡ bfflo@ ¢p�lhvsi@, das Le-ben ist Annahme Vgl. X,3,3: Kraft der eigenen Annahme vermag einer alleinalles zu ertragen und die Vorstellung, daß es zutr�glich ist, macht es tragbar undertr�glich.23 In der Sprache Marc Aurels: Das, was als Leitendes (�gemonik�n) in ihm ist,braucht kein anderes, l�ßt kein anderes an sich heran. VII,28; VIII,56,2; III,7,2.

(⁄karia…on).24 Sie wird auch nicht etwa gr�ßer, je l�nger manlebt. Die winzige Zeit ist f�r alle gleich lang (—son) und ver-�ndert auch f�r den Einzelnen im Leben nie ihre L�nge.25 Werstirbt, wird demnach einzig seiner Gegenwart beraubt: Er istnicht mehr bei sich selbst, nicht mehr bei dem, was sein unge-teiltes Eigenes ist.

Wer stirbt, verliert (⁄pob€llein, sterfflskesqai) mit derGegenwart, die er besitzt, das Leben, das er lebt26: Es ist nichtsmehr mit Eigen- und Selbstsein. Das f�hrt zur Frage, ob Gott-fromme, die ihre Gegenwart ausgiebig als »Stoff der Tu-gend«27 nutzen, nicht gerechterweise ein anderes Ende ver-dient haben. Oder m�ssen – gerechterweise – auch sie mitdem Verlust der eigenen Position, Pr�senz und eben Freiheitrechnen, weil ihnen, gleich allen anderen, das v�llige Aus-gel�schtsein28 bevorsteht?

Die Beantwortung dieser Frage l�ßt den Realismus MarcAurels triumphieren. Sein Argument lautet: W�re die Wieder-geburt des Gottesf�rchtigen »gerecht«, w�re sie auch »m�g-lich« (»es kann sein, weil es gerecht ist« vergleichbar einem»es kann sein, weil es sein soll«); w�re sie »gem�ß der Natur«,h�tte die Natur sie auch »herbeigef�hrt«. Da es sich nun abereinmal nicht so verh�lt (o'c o˜tw@ ˛cei), und kein Menschwiedergeboren wird (es sei denn im Leben)29, sondern jederein, und nur ein Leben hat30, w�re Wiedergeburt auch der

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Ohne Rekurs auf die M�glichkeit des Unm�glichen zu philosophieren

24 III,9,1 f.; IV,48,4; V. 24. Vgl. VI,36 die Idee der Ganzheit der Gegenwart (p”nt� ¥nest@ to‰ cr�nou).25 II,14,3–6. Von Ewigkeit her ist alles gleichartig (¡moeid»). In der unend-lichen Zeit wird man dasselbe (tÞ a't€) sehen. Ist nun die Gegenwart f�r allegleich (—son) und verliert einer, ob er lang oder kurz lebt, das Gleiche (t� —son),so spricht das daf�r, »gleich« im Sinne von »gleich lang« zu verstehen.26 II,14,1–6. Vgl. XII,3,4.27 VII,68,3.28 XII,5,1.29 VII,2a.30 II,6,1; XII,3,4; VIII,2,1: »und alles ist vorbei«; 5,1: »wirst du nichts und nir-gends sein«.

Frommen erwiesenermaßen nicht gerecht und nicht naturge-m�ß. Das aber heißt: Es bedarf der Wiedergeburt nicht (m¼de»sai o˜tw@ gfflnesqai).31

Es bedarf nur des M�glichen. Man m�chte diesen Realis-mus bewundern. KommtMarc Aurel bei seinen Hinweisen aufdie ewigeWiederkehr des Gleichen (¡moeid») ohne NietzschesPathos aus32, so besticht auch bei seinem unzweideutigen Be-harren auf menschlicher Endlichkeit der Verzicht auf jede he-roische Attit�de. Die ausschließliche Option f�r das M�glicheist eine Liebeserkl�rung an die M�glichkeiten des Menschen.Sie folgt keinerlei Zwang, sondern ist reine Sache der Freiheit.Dank seines Annahmeverm�gens sorgt der Mensch bei denBegegnissen (sumbafflnonta) selbst daf�r, daß es Gegebenes(did�menon), das heißt Annehmbares und Zutr�gliches undgerade solcherweise M�gliches (dunat�n) ist.33 Darum ist dasM�gliche immer auch schon das Gerechte. In seinem Anneh-men ist der Mensch dazu herausgefordert, daf�r zu sorgen,daß das Begegnende gerecht begegnet.34 So sieht Marc Aurelangesichts der K�rze und T�dlichkeit des Lebens keine Ver-anlassung, dem Geist die ›Freiheit‹ zu lassen, die Grenzenmenschlicher M�glichkeiten zu �berschreiten. Selbst und ge-rade die G�tter, wie sie ihm vertraut sind, �ben ihre f�r denMenschen relevante Gerechtigkeit im Rahmen des M�glichen:Was f�r sie gerecht ist, ist m�glich. Das heißt, es bedarf keinesWunders, und es geschehen auch keine Wunder. Entsprechendgibt es keine g�ttliche Macht, die von der Verursachung ir-gendwelcher Unertr�glichkeiten freizusprechen w�re, weil jader Mensch selbst daf�r zust�ndig ist. Das heißt gerade nicht,der Mensch k�nne jede seiner ›guten‹ Absichten verwirk-

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Marc Aurel

31 XII,5,4: Willy Theiler �bersetzt mißverst�ndlich: »daß es nicht so sein durf-te«.32 II,14,5; VI,37; VIII,6,2; XI,1,3.33 IV,1,1.34 IV,10,1.

lichen. Nur das steht in seiner Gewalt, wof�r er gemacht ist,daß es wirklich wird.35

Wer die utopische Ansicht vertritt, daß es in der Welt kei-ne schlechten Menschen geben muß und schlechte Menschennichts Schlechtes tun m�ssen, ist wahnsinnig (manik�@,main�meno@)36, weil er Unm�gliches (⁄dÐnaton) versucht.Die Ethik des M�glichen sieht im Versuch des Unm�glichennotwendig den Verlust der das vern�nftige Lebewesen (z†�onlogik�n) beherrschenden Gewalt (kÐrion bzw. �gemonik�n).Sie ist darum auch kein Freund eines fundamentalistisch ge-gr�ndeten Beharrungsverm�gens von der Art christlicherM�rtyrer. L�ßt sich etwas nicht machen, weil menschliche Ge-walt dazwischentritt, dann soll man sich zufriedengeben.37

Sein Rat f�r den Umgang mit Menschen: »Belehre sie oderertrage sie.«38

Mit dem Pl�doyer f�r das M�gliche, Naturgem�ße undGerechte distanziert sich Marc Aurel nicht nur von den Bem�-hungen ›wahnsinniger‹ Moralisten, unter Menschen Uto-pisches anzustreben. Mehr indirekt als direkt wendet er sichauch gegen die großen Konzeptualisierungen der ›M�glich-keit‹ von Unm�glichem seiner Zeit: gegen die ›M�glichkeit‹der Unverweslichkeit und Unsterblichkeit.39 Wer ausgerechnetin der Lebensendlichkeit die Lebensunendlichkeit sucht undgar zu finden meint, muß ihm wahnsinnig vorkommen gleichjenem, der im Winter eine Feige sucht.40

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Ohne Rekurs auf die M�glichkeit des Unm�glichen zu philosophieren

35 VI,50,2.36 IX,42,1 f.; V,17; XI,18,24; XI,33.37 VI,50,1.38 VIII,59.39 Siehe Willy Theiler, Einf�hrung zu Kaiser Marc Aurel. Wege zu sich selbst,S. 17. Vgl. S. 302 (Anmerkungen 1 und 3 zu S. 17).40 XI,33.