Raum & Zeit - 117/2002 - Die Gentechnik Hat Das Denken Brutalisiert

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    Arno Luik: Herr Chargaff, dieNaturwissenschaft versuchtmit allen Mitteln, mit Genma-nipulationen das Leben zuverlngern und ...Erwin Chargaff: Das ist frch-terlich, das ist ein Verbrechen.Schauen Sie doch mich an, ich

    bin jetzt 96, ich bin ein Kurio-sum. Es wre tatschlich dasBeste fr den Menschen, mit82 wie Goethe zu sterben!Ich kann fast nicht mehr al-lein auf die Toilette gehen, ichhumple am Stock das istkein Zustand, ich mssteverschwinden. Ich bin wie einHuhn, das keine Eier mehrlegt. Ich habe das Leben satt,mir tut das Rckgrat weh, dieganze Zeit.

    A. L.: Ihre Klagen, sagen dieMolekularbiologen, werdenbald der Vergangenheit an-gehren. Sie versprechen ei-nen sorgenfreien Sonnenstaat:Wir knnen die Zipperleinheilen, die Leiden abschaffen!Parkinson das kriegen wir inden Griff! Alzheimer war damal was? Hier, schluck dieseRejuvenil-Tabletten unddein Kreuz tut nicht mehrweh!E. C.: Statt mir einen ange-nehmen Stuhl zu konstruieren,wollen sie ein neues Rckgrat

    installieren! Die Naturwissen-schaftler versprechen un-endlich viel, sie auch dierzte! sind gaunerischeMarktschreier geworden. Esherrscht in der Wissenschaftdas laute Geschrei des ameri-kanischen Reklamebetriebs,

    es regiert der kategorische Su-perlativ. Sie tun so, als ob allesreparabel sei.A. L.: Seit das Genom vor ei-nem Jahr entschlsselt wurde,glauben viele Wissenschaftler,sogar das Leben gestalten zuknnen.

    Die Naturwissenschaftler

    fhren einen Krieg

    gegen die Natur

    E. C.: Ja, das ist furchtbar.

    Und es ist so lcherlich undso unendlich traurig zugleich.Sie haben den Respekt ver-

    loren. Kein Wissenschaftler,niemand wei, was das Lebenist, und niemand wird es je er-klren knnen. Es ist ein ewi-ges Mysterium. Ist es Gas?Eine Flssigkeit? Was pas-siert kurz nach der Befruch-tung? Aber die Naturwissen-

    schaftler fhren ja nun einenKrieg gegen die Natur, dieZukunft wird uns deshalbverfluchen. Sie manipulierenungestm an den Genen he-rum, die in Milliarden vonJahren langsam entstandensind, sie hauen der Natur aufden Kopf und spren nicht,dass sie sich selbst auf denKopf hauen. Sie wollen langesLeben, ewiges Leben, sie wol-len den Tod besiegen, das ist

    teuflisch.A. L.: Unsterblichkeit das istdoch ein alter Traum derMenschheit! Selbst so ein fein-sinniger Dichter wie Elias Ca-netti wollte den Tod besiegen.E. C.: Ich habe ihn zwei Jahrevor seinem Tod kennen ge-lernt es ist keine Weisheitdabei herausgekommen. Erhat sich als Tod-Feind gese-hen, als einen Kmpfer gegenden Tod ich fand es einfachnur dumm. Aber der Tod hatsich heute in eine Peinlichkeitverwandelt, die Kunst des

    Sterbens ist uns abhanden ge-kommen. Schon das Altern vor allem in Amerika wirdwie eine ansteckende Krank-heit gesehen, von der man sichfern halten muss: mit Salben,Pillen, Maschinen, Medika-menten. Sie wollen zwar alle

    alt werden, aber nicht zerfal-lend alt werden, wie es natr-lich ist.A. L.: Wir werden bald wis-sen, wie man unsterblichwird, jubiliert Marina Bois-selier, die als erste Frau derWelt ein geklontes Kind zurWelt bringen will: Wir ma-chen den Tod rckgngig!E. C.: Sie soll es probieren.A. L.: Marina Boisselier willein im Alter von zehn Mona-

    ten verstorbenes Kind nocheinmal auf die Welt bringen:Ich will es seinen Eltern wie-dergeben!E. C.: Die Gentechnik hat dasDenken brutalisiert. Wir ha-ben uns an unvorstellbareGruel gewhnt. Was wirddenn ein Klon sein? Ein Skla-ve? Ein Konstrukt? Wie vie-le exekutionswrdige Wesenwird es geben, bevor ein le-bensfhiges Etwas entsteht?Wird es gehunfhig sein?Denkunfhig? Wird man dieverkrppelten Klone in Klon-

    Scharfe Kritik an der Gentechnik

    14 raum&zeit 117/2002

    Wird man dieverkrppelten Klonein Klon-Heimestecken?Sie ermorden,sie hinrichten?

    Die Gentechnik hat

    das Denken brutalisiertInterview mit Erwin Chargaff, New York.

    Von Arno Luik, Hamburg.

    Erwin Chargaff ist einer der ganz Groen derNaturwissenschaften, einer der Vter derGentechnologie. Doch den Glauben an dieForscher hat er lngst verloren: Sie pfuschen

    am Menschen herum, sie manipulieren anden Genen ein molekulares Auschwitz droht.

    Die Naturwissenschaftler sind

    gaunerische Marktschreier geworden.

    Sie tun so, als ob alles reparabel sei.

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    Heime stecken? Sie ermorden,sie hinrichten?A. L.: Ohne Sie, Herr Char-gaff, gbe es die von Ihnenso verachtete Gentechnologienicht, Sie haben die Grundla-gen dafr geschaffen, dass manheute die Genstruktur lesenkann. Sie haben jenen, die Sieheute als Brandstifter verteu-feln, das Feuerzeug geliefert!E. C.: Das ist nun viel schlechterWille bei Ihnen, das zu sagen.Wissenschaft ist nicht das Pro-dukt eines einzigen Gehirns meine Entdeckungen wrendann zwei, drei Jahre spter voneinem anderen gemacht worden.Ich mache mir keine Vorwrfe.A. L.: Was war fr Sie derfurchtbarste Tag in Ihrem Le-

    ben als Wissenschaftler?

    E. C.: Hiroshima. Hiroshimazeigt, dass die Naturwissen-schaft untrennbar mit Mordverbunden ist. Eine Todeswis-senschaft. Und wir sind daranalle mitschuldig. 1961 war ichbei einer Privataudienz beimeinem Lieblingspapst Jo-hannes XXIII. In der erstenReihe vor mir war Otto Hahn,im Frack, 82-jhrig, sehr ge-brechlich. Er hat teilweise aufden Knien gelegen von Vor-wrfen gepeinigt.

    Die Sndenflle der

    Naturwissenschaft

    A. L.: Die Spaltung des Atom-kerns ...E. C.: ... und des Zellkernssind die Sndenflle der

    Naturwissenschaften. Und all

    die Versuche, die nun gemachtwerden, dass man Gene in Ge-nome einfhrt, die davon nichtgetrumt haben, all diese Ein-griffe in das Erbmaterial vonNahrungsmitteln oder Lebe-wesen: Das sind grte Ver-brechen.Wenn diese Fabrikate in dieWelt entlassen werden, kannman sie nicht mehr zurckho-len. Dass der Mensch die Evo-lution in die eigene Handnehmen will, das ist des Teu-fels, das ist der Auswurf. DerMensch ist nun an einer Kanteangelangt, ber die er nicht hi-nausgehen soll. Aber er wird estun, obwohl er es nicht kann!A. L.: Wir knnen es sehrwohl, meint der amerikanische

    Wissenschaftler Ron McKay,

    der Zellen so verndern will,dass sie krpereigenes Insu-lin herstellen, so dass Zucker-kranke bald ohne die tglicheSpritze auskommen. Er tnt:Wir sind besser als Gott!E. C.: Das ist eine vollkomme-ne Anmaung. Ein Hhe-

    punkt in den letzten Jahrenwar die Entschlsselung desmenschlichen Genoms und ...A. L.: ... damit die Mglich-keit, Leben zu gestalten.E. C.: Ja? Nein! Ein Ge-schftsmann, Herr Craig Ven-ter, hat das Genom entziffert,aber es wurden dabei Prinzipi-en fallen gelassen: Eine Ent-deckung muss unabhngig be-sttigt werden. Das heit, eineArbeit ist erst gltig, wenn ei-

    ne andere Arbeit zu hnlichenoder gleichen Resultaten fhrt.Und es ist nun das erste Mal inder Wissenschaftsgeschichte,dass eine Arbeit publiziertwird, die nicht wiederholt wer-den kann. Wir sind in einemunerhrten Zustand des Nicht-wissens und ...A. L.: Wie? Die Entschlsse-lung des Genoms alles Lge?E. C.: Nicht alles, aber vieleskann vollkommen falsch sein.Wir wissen nicht, wie wir sei-nen Buchstabensalat verwen-den knnen: Es ist, als ob manin ein Gemisch von Milliardenvon Buchstaben eine Zeilevon Goethe hineinwirft und

    raum&zeit 117/2002 15

    Erwin ChargaffPrivates: Geboren am 11. August 1905im ukrainischen Czernowitz, damalsnoch sterreich-Ungarn; er lebt in NewYork.Karriere: Chargaff studiert in WienChemie und Literatur, besucht 192028jede Vorlesung des Satirikers KarlKraus: mein einziger Lehrer. 1928 gehtChargaff an die Yale Universitt, 1930nach Berlin. Nach dem Reichstagsbrand(Hitler machte mich zum Juden)

    nimmt er eine Stelle in Paris an; von193574 forscht er an der New YorkerColumbia Universitt. 1945 entdeckter die entscheidende Regel, ohne dieeine Entschlsselung der menschli-chen Erbsubstanz nicht mglich gewe-sen wre eine Entdeckung, so bedeut-sam wie die Arbeiten von Darwinund Mendel (SZ). 1978 schreibt erseine Biografie Das Feuer des He-raklit, in der er mit biblischer Wutdie Wissenschaften attackiert. Der

    groe Essayist (FAZ)warnt in mehrals einemDutzend B-chern vor derGenforschung (besonders lesenswert:Aussicht vom 13. Stock). Zuletzt er-schien der Band Ernste Fragen (Klett-Cotta). Seid dem Tod seiner Frau 1995schreibt Chargaff nicht mehr: Mit ihrhabe ich das Leben verlassen.

    Professor

    Erwin Chargaff, 96

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    dann denkt, es wird ein Textentstehen!A. L.: Sie sind ein Nrgler.E. C.: Nein. Es wird nichtsherauskommen auer einemBuch mit unendlich vielen Sei-ten nicht lesbarem Text. Es istwirklich wie der Bau der Py-ramiden: unntig wie Cheops.Ein Klotz, der sinnlos in derLandschaft rumsteht aberMenschenleben und viel Geldgekostet hat.A. L.: Kollegen von Ihnen se-hen das anders. James Watsonsagt: Wir dachten bisher, un-ser Schicksal liegt in den Ster-nen. Jetzt wissen wir, dass eszum groen Teil in den Genenliegt.E. C.: Das ist Bldsinn! DieGene sind heute ja alles. Daherrscht ein fundamentalisti-

    scher Glaube, die Naturwis-senschaftler sind die Talibander Moderne. Watson mchteja auch gesndere und klgereMenschen schaffen. Die Zch-tung des bermenschen ichhalte mir die Ohren zu. Hatdas nicht auch Hitler mal pro-biert? Aber ich will Watsonnicht kommentieren, er ist esnicht wert.

    Die Basen-Paare mssten

    Chargaff-Paare heien

    A. L.: Sie mgen ihn nicht,weil er 1962 zusammen mit

    Francis Crick Ihnen den No-belpreis weggeschnappt hat!E. C.: Nein. Das wird immerwieder gesagt, aber ich bindeswegen nicht verbittert. Ichhatte meine Arbeiten vor ih-nen publiziert. Ich traf sie, diebeiden waren jung, ehrgeizig,aber so ungebildet, dass sienichts wussten von meinenForschungsergebnissen, undich erzhlte ihnen alles. Sie ha-ben mir die Basen-Paare ge-stohlen. Sie mssten Chargaff-Paare heien, aber jetzt sindes die Crick-Watson-Paare.Aber ich mchte nicht dar-ber reden, nein, es langweiltmich, es macht mich mde.A. L.: Ist der universitr-industrielle Komplex auerKontrolle?, sorgte sich un-lngst die amerikanische Wis-

    senschaftszeitschrift Nature.E. C.: Er ist es. Das Geredevom Klonen, das Herumma-chen an embryonalen Stamm-zellen das sind Verbrechen.Da ist ein eigenartiges Be-drfnis, die Realitt zu verlas-sen und in das Unbeschreib-liche vorzudringen nur Frev-ler, nur Trottel machen so et-was.A. L.: Aber auch ein seriserWissenschaftler wie HubertMarkl, der Chef der Max-Planck-Gesellschaft, meint,der Mensch sei nun mal ein

    Wesen, das seine Grenzenberschreiten muss, um ganzMensch zu sein.E. C.: Das ist bld, wirklichbld.A. L.: Der Mensch gewinntseine Wrde erst, sagt Markl,wenn er sich aus den Schick-salszwngen der Natur be-freit.E. C.: Der Markl ist sicherlichein sehr intelligenter Mensch,

    er hat wahrscheinlich einenhheren IQ als ich. Aber ichglaube dennoch, dass ich tie-fer sehe oder vielleicht tiefertaumle, in tiefere Regionen alsdie heutige Naturforschung.A. L.: Das verstehe ich nicht.E. C.: Mir wre es nie in denSinn gekommen, die Natur

    verbessern zu wollen. Frherhat man wegen des Regensden Regenschirm erfunden.Da hat es keine groen Ein-griffe in die Meteorologiegegeben. Heute bekme einForschungsinstitut den milliar-denschweren Auftrag, den Re-gen abzuschaffen. Wir habenden Respekt vor der Dunkel-heit verloren.A. L.: War das frher anders?E. C.: Ich lese gerade, zum

    fnften Mal, die Essais vonMontaigne, das sind ber 1000Seiten. Was er vor 400 Jahrenschrieb, daran hat sich nichtsgendert: Wie verblendet dieMenschheit ist. Er sagt, derMensch soll ruhig leben, sichnicht zu viele Gedanken ma-chen. Und er soll von denTieren, den glcklichsten Le-bewesen, lernen: Die ber-treiben nichts, sondern tunnur, was notwendig ist. Undder Mensch soll auch Angstund Krankheit akzeptieren.Denn Menschen, die nie Trau-er empfunden haben, sind kei-ne Menschen. Ich bin sehrgegen die Abschaffung desmenschlichen Schicksals.Schicksal gehrt zum Mensch-sein, das kann man nicht be-siegen durch den Arztbesuch,durch Medikamente.A. L.: Manfred Rommel, der

    ehemalige Brgermeister vonStuttgart, leidet an Parkin-son. Und er wrde alles, auchHolzwolle, in meinen Kopfstopfen, wenn es hilft.E. C.: Das ist ein Ruf der Ver-zweiflung. Meine Frau ist anParkinson gestorben, vorsechs Jahren. Seitdem schrei-be ich nichts mehr, mit ihr ha-be ich das Leben verlassen,fhle mich allein. Aber ich w-re dagegen gewesen, ihr denKopf aufzumachen und da et-was hineinzuschmeien. EineStammzelle, die durch den

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    Die beiden Biochemiker

    James Watson und Francis

    Crick 1953. Sie haben Erwin

    Chargaff die Basenpaare

    gestohlen und dafr den

    Nobelpreis bekommen.

    Es ist, als ob manin ein Gemisch vonMilliarden vonBuchstaben eine Zeilevon Goethehineinwirft und dann

    denkt, es wirdein Text entstehen!

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    Tod eines anderen, an demdas ausprobiert worden war,geschaffen wurde. Wir pfu-schen am Leben herum, undich glaube nicht an die Heils-versprechungen, die uns ge-macht werden.A. L.: Mediziner der Univer-sitt Dsseldorf haben gera-de erfolgreich einem Herz-infarkt-Patienten krpereige-ne Stammzellen injiziert

    man muss also nicht tten, umzu helfen.

    Gentechnik kratzt nur

    an der Oberflche

    E. C.: Ich bin diesen euphori-schen Berichten gegenbersehr skeptisch. Jeder Sieg berdie Natur wird mit einer Nie-derlage erkauft. Die Medienmssten all diesen drhnen-

    den Erfolgsmeldungen inzwei, fnf Jahren nachgehen.Wie geht es dem Patientendann? Heraus kme, frchteich, meist der Obduktionsbe-richt.A. L.: Die Gentechnik, glau-ben Sie, bringt nichts?E. C.: Sehr wenig, man kratztnur an der Oberflche. Abersie schafft lautes Lrmen:Wundersame Siege ber dieNatur werden verkndet, lem-mingartig wird die Allmachtder Gene angebetet. Doch jemehr man erforscht, desto

    grer werden die weienFlecken auf der Landkarte.Die Gene sind nicht das einzi-ge Werkzeug, das die Natureinsetzt, um das Leben auf-rechtzuerhalten. In einigenJahren wird das Wort Gennicht mehr in aller Mundesein. Ganz verblfft wird manauf das heutige Geredezurckblicken.A. L.: Aber Ihren Einwndenzum Trotz: Der Glaube an dieAllmacht der Gene regiert.ber 450 Gentests verspre-chen bereits heute einen Blickin die Zukunft: Gesund oderbald krank? Die Tests ent-scheiden, ob jemand einen Jobbekommt oder einen Rabattbei der Krankenversicherungerhlt.

    E. C.: Irgendwann werden sieuns auch noch den Todestagvoraussagen. Der Mensch sollaber nicht wissen, was die Zu-kunft bringt. Sie kommt so-wieso und schnell genug.Das Nichtwissen ist eine Gna-de, Ungewissheit ist das Salzdes Lebens.A. L.: Aber vielleicht mchteder Mensch dennoch genaudas in die Zukunft blicken.E. C.: Ja, frher gab es dasOrakel von Delphi oder die al-ten Damen, die in Sditalienin ihren Hhlen saen und die

    Zukunft weissagten. Heutesind das die Forscher, aberihren Voraussagen wrde ichgenauso viel Glauben schen-ken wie einem Magier, einemSchamanen, einem Astrolo-gen. Die sind allerdings vielbilliger.A. L.: Die prnatale Diagnos-tik verspricht doch Wunder-bares: Nur noch gesunde Men-schen werden auf die Weltkommen!E. C.: Nein. Diese Diagnostikist eine grssliche Sache. DerMensch hat nicht die Garan-tie, dass er gesund geborenwird. Dahinter ist doch derWunsch nach einem verbes-serten Hitler. Wer steht an derRampe? Wer selektiert? Wirleben in einer elenden Welt,

    wenn wir ernsthaft ber dieseDinge reden mssen. WieHeidegger bin ich der Auffas-sung, dass der Mensch ein insein Schicksal Hineingeworfe-ner ist.A. L.: Vor kurzem wurde eineStudentin an einer US-Elite-Universitt abgelehnt. Siehatte alle Aufnahmetests be-standen, und sie war gesund.Der Gentest aber wies eineVeranlagung fr eine tdlicheKrankheit aus. Das aufwndi-ge Studium, meinte dann dieUni, lohne sich nicht fr sie.

    E. C.: Das msste man bestra-fen, aber das zeigt die schran-kenlose, kalte Herrschaft desGeldes, das Pneuma des Teu-fels. Geld. Geld. Fr allesbraucht man heute Sponsoren.Frher war die Universitt einleeres Zimmer, da hat man ge-forscht und es herrschte eineandere Moral.

    Das Wichtigste im Labor ist

    der Patentanwalt

    A. L.: Jaja, frher war halt al-les besser.E. C.: Jaja, schon Methusalemhat ja gesagt, vor 460 Jahren,als ich noch ein junger Mannwar, war alles viel schner!.Und doch: Es war anders,noch zu meiner Zeit waren wirgetrieben von einer beschei-

    denen Khnheit. An Patente,Verwertungen haben wir nichtgedacht. Heute ist der Pa-tentanwalt das Wichtigste

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    Der Kaufmann Craig Venter

    (links) mit Bill Clinton bei

    der Bekanntgabe:

    Das menschliche Genom

    ist entschlsselt.

    all diese Eingriffein das Erbmaterial vonNahrungsmitteln oderLebewesen: Das sindgrte Verbrechen.

    Hiroshima zeigt, dassdie Naturwissenschaftuntrennbar mit Mordverbunden ist. EineTodeswissenschaft.

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    im Labor. Laute Konquistado-ren-Typen, ungebildete Spe-zialisten, die Brse immer festim Blick, haben die Laborsbernommen. Solche Typengab es frher in der Wissen-schaft nicht. Heute wollensie Celebrities, Stars, werden,

    berhmt sein. In den frhen70ern sind diese Gestalten auf-

    getaucht, sie wissen, wie sieMillionen von irgendwelchenFoundations kriegen und wiesie Millionen machen. WrdeNewton heute ber Schwer-kraft forschen, mssten wir al-le dafr zahlen, weil wir auf-recht gehen. Der Fortschrittist ein nicht aufhaltbarer

    Schrecken geworden und dieMoral zu einem Gummiband.A. L.: Bundeskanzler GerhardSchrder meint, man sei gera-dezu moralisch verpflichtet,die Gentechnik zu frdern.Man msse endlich die ideo-logischen Scheuklappen ab-

    streifen, es gehe schlielichum den Standort Deutschland,um Arbeitspltze, Wohlstand.E. C.: Schrder imitiert Blair.Sein Optimismus ist Scheu-klappen-Optimismus, und washerauskommen wird, ist dasmolekulare Auschwitz.A. L.: Sie sind eine Kassandra.E. C.: Das bin ich nicht, ich willauch nicht, dass mir jemandfolgt. Ich habe keine Philoso-phie, ich erwarte nichts von

    der Welt, nur noch den Tod.A. L.: Weil Sie zu viel erlebthaben?E. C.: Mein Gott, ja, ich binja wahrhaft ein Zeuge des20. Jahrhunderts, und dieserZeuge sagt wie Strindberg imTraumspiel: Es ist schadeum die Menschen. 1914 wareine Blutscheide, Lichter gin-gen aus, die nie mehr angin-gen.A. L.: Sie waren neun Jahrealt, als der Erste Weltkriegausbrach.E. C.: Ich kann mich noch sehrgenau daran erinnern: Ich warmit meiner Familie im Ostsee-bad Zopot. Es war Ende Juni,und ich schaute den jnge-ren Shnen Kaiser Wilhelmsdes Zweiten beim Tennis zu.

    Pltzlich kommen Adjutantenund flstern den jungen Her-

    ren etwas ins Ohr. Sie werfenihre Rackets weg und renneneilig davon: Der sterreichi-sche Erzherzog Franz Ferdin-and war ermordet worden. Esfolgten 86 Jahre eines bestia-lischen Gemetzels, hunder-te Millionen Menschen lieenihr Leben.

    Ich hielt Hitler

    fr einen Spuk

    A. L.: Fast Ihre ganze Familiekam in den fen der Nazisum.E.C.: Ich habe es noch ge-schafft, meine Schwester 1938aus Wien herauszubringen,um meine Mutter habe ichvergebens gekmpft. Deramerikanische Konsul in Wienwar ein Nazi-Sympathisant,

    und er hat ihr das Vi-sum verweigert. Ichkmpfte um sie, aber

    ich hatte keine Ver-bindungen. Pltzlichkamen von ihr keineBriefe mehr, 1943 ist

    sie in Treblinka verschwun-den.A. L.: Als Adolf Hitler 1933an die Macht kam ...E. C.: ... dachte ich mir nichtviel dabei. Ich war kein politi-scher Kopf. Und meine dreiJahre in Berlin, das war die

    schnste und glcklichste Zeitmeines Lebens.A. L.: Das sagen Sie als Jude?E. C.: Ich habe mich nie alsJuden empfunden, ich war niein einer Synagoge, doch frHerrn Hitler war ich ein Jude.Nein, Berlin vor 1933 hatte da-mals all das, was man mirflschlicherweise von NewYork vorgeschwrmt hatte, eswar einzigartig. Ich sah natr-lich, wie das Elend zunahm,

    pltzlich tauchten barfigeMenschen in der Friedrich-strae auf, immer mehr. Aberdass das Land auf den tiefstenAbgrund zutaumelte, sah ichnicht. Ich stand am Fenstermeiner Wohnung in der Neu-en Wilhelmstrae, als Hitlerseinen Wahlsieg in einem ds-teren Triumphzug feierte, dieKolonnen, die Fackeln, dieTrommeln und ...A. L.: Da dachten Sie: Jetztwird es eng fr mich?E. C.: Nein, ich hatte keineAngst um mich und meineFrau, ich war jung, ich warselbstsicher, ich hatte schon ei-nige gute Arbeiten in Yale ge-macht. Wenn ich Hitler redenhrte, habe ich immer gesagt:Klingt wie ein oberster-reichischer Frisr. Es war ge-danklich und sprachlich ein-fach abscheulich warum der

    Kerl Menschen faszinierte, ha-be ich nie verstanden.A. L.: Sie erlebten, wie derReichstag abbrannte?E. C.: Der war ja nur ein paarHuser von mir weg, ich hrtedie ganze Nacht die Feuer-wehrsirenen, aber ich bin nichtraus. Es gab ja damals nachtsstndig Schlgereien, Schiee-reien. Ein paar Wochen spterhabe ich meinen Koffer ge-packt, mein ganzer Besitz gingda rein, und bin mit meinerFrau im Schnellzug nach Paris ich hatte da eine Stelle ange-

    raum&zeit 117/2002 19

    Berthold Brecht nahm Hitler

    ernst, im Gegensatz zu

    Chargaff, der ihn fr einen

    Spuk hielt.

    Die Naturwissen-schaftler versprechenunendlich viel, sie auch die rzte! sind gaunerische

    Marktschreiergeworden.Es herrscht in derWissenschaft daslaute Geschrei desamerikanischenReklamebetriebs

    Kurz vor dem

    Attentat auf Erzher-

    zog Franz Ferdinand:

    das sterreichisch-

    ungarische Thronfol-

    gerpaar am 28.6.1914

    in Sarajevo. Hunder-

    te Millionen Men-

    schen lieen in den

    folgenden Welt-

    kriegen ihr Leben.

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    boten bekommen, es warGlck. Ich hielt Hitler aberimmer noch fr einen Spuk,mit dem es bald vorbei seinwrde.A. L.: Berthold Brecht etwasah das ganz anders.E. C.: Ja, 1936 habe ich mitihm einen Nachmittag ver-bracht, er war sieben Jahrelter, tat sehr berlegen. Ersah Hitler als finstere Ge-walt, die sehr lange an derMacht bleiben wrde undauf Krieg aus sei. Brecht hat-te Recht. Aber wir mssenjetzt nicht weiter reden ... Ichbin allein, alle meine Freun-de sind tot, und meine Stim-me ist nicht mehr so laut, ich

    bin mde, ich schlafe viel zuwenig ...A. L.: Sie sind traurig.E. C.: Unendlich traurig ist,wie der Anstand die Weltverlassen hat. Befruchtungund Zeugung werden sie baldabschaffen, Internetelternwerden per Internet Internet-kinder ordern, und Kin-der werden wie Cocktails zu-sammengeschttelt, aber siewerden keine Menschen mehrsein. Die Seele kann mannicht klonen. Wir leben in ei-ner Zeit des Missbrauchs. DesMissbrauchs der Sprache,des Missbrauchs der Natur-forschung, des Missbrauchsdes Lebens, der Hoffnung.

    Wir kommen noch in eineZeit, wo die Leichen nichtmehr begraben oder ver-brannt, sondern industriellausgeschlachtet werden, weilsie so unheimlich viele wert-volle Substanzen enthalten.Die Menschlichkeit ist zu En-de gegangen.A. L.: Herr Chargaff, Sie...E. C.: Ich hre jetzt auf zudenken. Schauen Sie, wie vie-le Spezies, Rassen oder Tier-arten ausgestorben sind. Unddie Natur wird sich auch desMenschen entledigen. Die Na-tur ist grer als der Mensch,sie braucht keine Kenntnisvon ihm zu nehmen. Die Na-tur geht einfach weiter.

    A. L.: Sie haben keine Hoff-nung, fr nichts.E. C.: Wir leben nicht in vielversprechenden Zeiten. Ichbin kein Verehrer des Bloch-schen Prinzip Hoffnung.Seine Bcher stehen bei mirzu Hause, und sie schauenmich strafend an. Der Todkann jeden Augenblick kom-men, und ich bin bereit. Aberan meinem Grab pflanze ichdennoch die Hoffnung. Hof-fentlich bald.

    Das Interview erschien im

    Stern, raum&zeit erwarb

    die Nachdruckrechte.

    Arno Luik stern

    20 raum&zeit 117/2002

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    Auf dem Bild links sind

    polnische Juden an der

    Verladerampe in Auschwitz

    zu sehen; hier wurde ausor-

    tiert, wer in die Gaskammern

    kam.

    kl. Bild: Brger mit Juden-

    stern.

    Ich habe es noch geschafft,

    meine Schwester 1938

    aus Wien herauszubringen,

    um meine Mutter habe ich

    vergebens gekmpft,

    so Chargaff.

    Wer wird an der Verlade-

    rampe stehen, wenn die

    geklonten Menschen

    aussortiert werden?,fragt Chargaff heute.

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