Raum & Zeit - 122/2003 - Wie Gefühle Unsere Gene Steuern

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Wie Gefühle unsere Gene steuern

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  • Ist der Mensch ein fest gefgtes Sortiment aus 35.000 Genen? Be-stimmte Forscher versuchen,diesen Eindruck zu erwecken.Laut ihrer Darstellungen sindBegabungen, psychische Ei-genschaften und krperlicheKrankheiten, die im Laufe desLebens zum Vorschein kom-men, Produkte starrer geneti-scher Programme. Ihr Motivhierbei drfte nicht zuletztsein, einen Markt fr zumgroen Teil unsinnige Pro-dukte zu erzeugen: Ersatzzel-len und Nachschub-Organeaus speziell dafr knstlich ge-zeugten Lebewesen und amEnde natrlich der geklonteMensch.

    Kufliche Wissenschaft

    Akteure dieses Treibens sindeinige am schnellen wirt-schaftlichen Erfolg orientierteVertreter der teilweise kor-rupten universitren For-schung (siehe dazu unter an-derem: Der Spiegel 13/2000:Methode Mnchhausen;oder raum&zeit 119/2002:Embryos fr die Industrie).

    Eine besonders fatale Rol-le bei der Erzeugung eines gen-deterministischen Men-schenbildes spielen unter anderem die Wissenschaftsre-daktionen einiger Tageszeitun-gen, deren Vertreter sich von

    den Sponsoren der Industrieinzwischen nicht weniger um-sorgen lassen wie bestimmteVertreter der rzteschaft. Sel-ten wurde das Unwissen, wel-ches im Journalismus ber dieFunktionsweise der Gene herr-scht, derart vorgefhrt wie am27. Juni des Jahres 2000, als dieFrankfurter Allgemeine Zei-

    tung ihre Leser mit einem sei-tenlangen Abdruck einer ausvier Buchstaben (nmlich ausA, T, C und G) bestehendenBuchstabenserie beglckte. Eshandelte sich um einen Teil desGesamttextes des menschli-chen Gesamterbgutes (desGenoms), dessen noch nichterforschte Teile kurz zuvor vonCraig Venters Firma Celerahinsichtlich der biochemischenBuchstabenfolge aufgeschls-selt (sequenziert) wordenwaren, ohne dass bei diesemGroprojekt auch nur das Ge-ringste ber die Funktion die-ser Sequenzen geklrt wordenwre. Hauptsache, das Publi-kum staunt.

    Gene des Immunsystems reagieren sensibel auf uere und innere Reize

    Dass Gene kein autistisches,also kein nur auf sich selbstbezogenes Eigenleben fhren,wurde als Erstes in der immu-nologischen, spter aber auchin der neurobiologischen For-schung deutlich.Wenn Gene in einer festgeleg-ten, starren Weise agie-ren wrden, wre ein funk-tionierendes Immunsystem un-

    vorstellbar. Zahlreiche Im-munbotenstoffe (z. B. der Tu-mor-Nekrose-Faktor TNF oderdas Interleukin-1) sind uerstgefhrliche Waffen und besit-zen die Fhigkeit, krpereige-nes Gewebe zu zerstren, jaden eigenen Organismus ster-ben zu lassen. Der Mensch ht-te sich in der Evolution nichtlange behaupten knnen, stn-de die Aktivitt der Gene desImmunsystems nicht unterstrengster regulatorischer Kon-trolle. Erst wenn Signale ausder Umwelt vorliegen und Ab-wehrzellen eindeutige Zeichenerhalten haben, dass Erreger inden Krper eingedrungen sind,werden die Gene der immun-ologischen Krperabwehr ak-tiv. Wiederum Signale aus derUmwelt sind es auch, die dafrsorgen, dass vor allem in je-nen Abwehrzellen Zelltei-lungs-Gene aktiv werden undsich damit genau jene Zellenvermehren, die den zum Erre-ger exakt passenden Antikr-per produzieren. Beim Immunsystem beziehtdie Fhigkeit zur Regulationder Genaktivitt auch die See-le mit ein: Steht das Individu-um unter psychischem Druck

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    Wie Gefhle unsereGene steuern

    Gene sind keine egomanischen Alleinherrscher, sondern reagieren auf Umweltsignale. Von Prof. Dr. Joachim Bauer, Freiburg.

    Etliche Forscher behaupten, Gene seien fr alle Krankheiten verantwortlich. Wie sehr sie damit auf dem Holzweg sind, zeigt Prof. Dr. Joachim Bauer in diesem Beitrag. Der Arzt und Wissenschaftler, der selbst jahrelang in der Genforschung ttig war, belegt, dass Gene und Nervenzellen stark auf Gefhle und die individuelle Lebensweise des Menschen reagieren.

    Die Antwort des Krpers

    Den endgltigen Ausbruch aus demSchrebergarten desgenetischen Determinismus erzielten neurobiologische Entdeckungen.

  • (z. B. im Falle vielerMtter, wenn sozialeVerpflichtungen esnicht zulassen, zu ei-nem bestimmtenZeitpunkt selbstkrank zu werden),dann ist die Psychein der Lage, im Ge-hirn Stressgene (z. B.das CRH-Gen) an-zuschalten, derenProdukte (z. B. dasStresshormon Corti-sol) die Gene desImmunsystems ab-schalten und damitvorbergehend zumSchweigen bringen:Eine Grippe kann soum einige Zeit auf-geschoben werden(in diesen Fllenbricht sie dann aberoft etwas spter, undzwar gerade dannaus, wenn endlich

    Zeit zur Erholung wre). Im-munologen und Psychoimmu-nologen gehrten daher zu denErsten, die erkannten, dass Ge-ne keine auf Autopilot fahren-den Egomanen sind, sondernim Dienste einer Anpassungdes Organismus an sich vern-dernde Umwelten gesteuertwerden.

    Anregende Ttigkeiten frdern Zahl, Gre und Verbindungender Nervenzellen

    Den endgltigen Ausbruch ausdem Schrebergarten des gene-tischen Determinismus erziel-ten neurobiologische Entde-ckungen. Bereits in den 70erJahren beobachteten die kali-fornischen Hirnforscher Mi-chael J. Renner und Mark R.Rosenzweig, dass Muse undRatten eine dramatisch bessereneurobiologische Ausstattungihres Gehirns zeigten, wenn dieTiere in so genannten enri-ched environments, d. h. inKfigen mit anregenden Spiel-zeugen, aufgewachsen waren.Im Vergleich zu genetisch iden-tischen Tieren, die in leerenStandardkfigen gehalten wor-den waren, hatten die Tiere aus

    enriched environments (ausbesseren Wohngegenden) inihren Gehirnen nicht nur einesignifikant grere Zahl vongroen Nervenzellen, sondernauch deutlich mehr Verschal-tungen (Synapsen) zwischenden Nervenzellen sowie eingreres Gesamtgewicht derHirnrinde. Weder groe Ner-venzellen noch Synapsen, nochHirnmasse knnen entstehen,ohne dass Gene aktiv werden.Daher war es fr diejenigen,welche die Forschungen Ren-ners und Rosenzweigs zurKenntnis genommen hatten,nicht ganz unerwartet, als zahl-reiche Forschergruppen in den80er- und 90er- Jahren ent-deckten, dass Erlebnisse undErfahrungen im Gehirn eineganze Reihe von Genen an-und abschalten knnen.

    Das Gehirn braucht angemessene Forderung

    Inzwischen ist bis ins Detail ge-klrt: Nervenwachstums-Genewerden in einem Lebewesenvor allem durch solche He-rausforderungen und Aufgabenangeschaltet, die vom betroffe-nen Individuum gemeistertbzw. bewltigt werden knnen(in der Fachsprache nennt mansolche Herausforderungen es-capable stress). Zu einer Ab-schaltung von Nervenwachs-tums-Genen (z. B. BDNF oderCNTF) und zur Anschaltungverschiedener Stressgene (z. B.CRH oder Thyrosin-Hydro-xylase) kommt es demgegen-ber dann, wenn das Individuumsich nicht bewltigbaren Her-ausforderungen oder gar einerlebensbedrohlichen Situationgegen- ber sieht (inescapablestress). Die Konstellation von abge-schalteten Nervenwachstums-Genen und aufgedrehten Stres-sgenen ist fr das Gehirn nichtungefhrlich, da bestimmteKombinationen von Stress-Bo-tenstoffen (z. B. eine Kom-bination von Glutamat undCortison) Nervenzellen nach-weisbar zum Absterben brin-gen. Tatschlich zeigen einigeneueste Untersuchungen bei

    Menschen, die lange ZeitAngstzustnde zu ertragen hat-ten (z. B. bei Personen mit ei-ner unbehandelten posttrau-matischen Stresserkrankung),messbare Schdigungen derHirnsubstanz.

    Zuwendung steigert Fhigkeit, mit Stress umzugehen

    Welche Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang den zwischenmenschlichenBeziehungen zu? Gute zwi-schenmenschliche Beziehun-gen, dies ist durch zahlreicheExperimente im Rahmen derStressforschung wissenschaft-lich nachgewiesen, sind nichtverzichtbarer Tand, sondernein biologisch relevanter Gesundheitsfaktor. Zwischen-menschliche Untersttzunghat vor allem eine massiv be-ruhigende Wirkung auf dieGene des Stress-Systems.Besonders eindrucksvoll istdie vor kurzem vom kanadi-

    schen Stressforscher Micha-el Meaney gemachte Ent-deckung, dass beim Tier einefrsorgliche Zuwendung inden ersten Tagen und Wochennach der Geburt darber ent-scheidet, wie empfindlich dieStressgene des betreffendenIndividuums spter in der Er-wachsenenzeit reagieren. Frden Menschen bedeutet dies:Die ersten Monate und Jahrenach der Geburt eines Kindeshaben entscheidenden Ein-fluss auf die lebenslangeFeinregulation der biologi-schen Stressantwort. Bereits infrhester Kindheit, lange be-vor wir in der Lage sind, nach-zudenken und Erlebnisse be-wusst zu erinnern, werdenzwischenmenschliche Erfah-rungen von unserem Krper

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    Sichtlich fasziniert lie dieFAZ am 27.6.2000 diebiochemische Buchstabenfol-ge des menschlichen Erbgutesber sechs Seiten laufen.

  • als biologischer Fingerabdruckgespeichert.Leider werden vom Krpernicht nur die guten zwischen-menschlichen Beziehungser-fahrungen gespeichert. Erst in allerjngster Zeit konntedurch neurobiologische Unter-suchungen gesichert werden,dass auch Schmerzen und Ge-walterfahrungen im Krper ei-nen, zum Teil verheerenden,biologischen Fingerabdruckhinterlassen. Massive Schmerz-erfahrungen werden, unabhn-gig von ihrer Entstehung, vomGehirn in einem so genanntenSchmerzgedchtnis gespei-chert, welches der bewusstenKontrolle entzogen ist. Vielesspricht inzwischen dafr, dassPersonen mit chronischen un-erklrlichen Schmerzzustnden(einschlielich Fibromyalgie-Patienten) zu einem frherenZeitpunkt des Lebens massi-ven realen Schmerzerfahrun-gen ausgesetzt waren. Bela-stende, krnkende oder ent-wertende Ereignisse scheinennoch Jahre spter in der La-ge zu sein, die im Schmerz-gedchtnis gespeichertenSchmerzerinnerungen wiederzu beleben. Noch bedrcken-der sind die neurobiologischenFolgen krperlicher oder sexu-eller Gewalt im Kindesalter.Forschungsergebnisse zeigen,dass Erlebnisse dieser Art u. a.krpereigene Betubungsgene(endogene Opioidgene) an-schalten mit der Folge schwerwiegender Krankheitssympto-

    me, wie sie sich vor allem beijungen Menschen mit dem sogenannten Borderline-Syn-drom beobachten lassen.

    Heilung ber die Seele

    Eine gute Nachricht zumSchluss: ZwischenmenschlicheBeziehungen knnen nicht nurkrank machen, sie knnenauch heilen. Psychotherapie istdas Angebot an den Patienten,unter dem Schutz einer thera-peutischen Beziehung mit demTherapeuten bzw. der Thera-peutin Gefhle zuzulassen,Angst auszuhalten, schlielichinnere und uere Vernde-rungen zu wagen, die letztlichzu einer Heilung von seeli-schen oder krperlich-seeli-schen Beschwerden fhren. Jede der oben genannten see-lischen Gesundheitsstrungenlsst sich durch psychothera-peutische Behandlungsverfah-ren bessern oder heilen. Aucheinige Krper-orientierte Be-handlungen wie z. B. die Kon-zentrative Bewegungstherapie(KBT) zeigen hervorragendeHeilerfolge.Neurobiologen knnen inzwi-schen auch nachweisen, dassdie Effekte von Psychotherapiebis in die Krperebene hinein-reichen: Vernderungen desHirnstoffwechsels, die sich alsFolge eine Depression oder ei-ner Angstkrankheit beobach-ten lassen, zeigen bei Patienten,die eine erfolgreiche Psycho-therapie gemacht haben, einevollstndige Rckbildung.

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    Wie Signale aus der Umwelt die Aktivitt der Ge-

    ne regulieren, vertieft das gerade erschienene

    Buch Prof. Joachim Bauers Das Gedchtnis des

    Krpers (Eichborn-Verlag, ISBN 3-8218-3956-2).

    Vor diesem Hintergrund wirft der Autor hier

    ein vllig neues Licht auf weit verbreitete psy-

    chische Gesundheitsstrungen wie Depressionen,

    Schmerzkrankheiten, posttraumatische Erkran-

    kungen, aber auch das unter jungen Leuten im-

    mer hufiger auftretende Borderline-Syndrom.

    Zu bestellen bei: Ehlers Verlag GmbH, Geltinger Str. 14 e, 82515 Wolfrats-

    hausen, Tel.: 08171/418460, Fax: 08171/418466, e-mail: [email protected],

    Internet: www.raum-und-zeit.com

    Buch zum Thema

    Prof. Joachim BauerGeboren am 21. Oktober1951, lebt in Freiburg, istverheiratet und hat zweiKinder.Derzeit arbeitet er alsOberarzt an der Univer-sittsklinik Freiburg, woer die Ambulanz der Ab-teilung fr Psychosomatikund PsychotherapeutischeMedizin leitet. Nach sei-nem Medizinstudium hater drei Facharztausbildun-gen absolviert. Er ist Arztfr Innere Medizin, Arzt fr PsychotherapeutischeMedizin sowie Arzt frPsychiatrie und Psycho-therapie. Darber hinausverfgt er ber eine tie-fenpsychologische und verhaltenstherapeutischeAusbildung. Er ist fr In-nere Medizin und Psychia-trie habilitiert und hat eineUniversitts-Professur frPsychoneuroimmunologieinne. ber viele Jahre hin-weg war Prof. Bauer auchin der Genforschung aktiv.Er beschftigte sich da-bei mit dem immunologi-schen, tumormedizinischenund neurobiologischenBereich. Sein derzeitigesInteressengebiet sind psy-chosomatische Strungen,beruflicher Burn-out so-wie Trauma-Folgen. 1996wurde Prof. Bauer mitdem renommierten Or-ganon-Forschungspreis geehrt.

    Der Autor

    Frhe Schmerzerfahrungenhinterlassen im Gedchtnis des Krpers oft deutliche Spuren.

    Experimente zeigten, dass sich das Gehirn vonMusen, die mit anregendemSpielzeug versorgt sind,strker ausbildet als jenes von Musen inStandardkfigen.

    Prof. Dr. Heber Ferraz-Leite

    Am Ende der Allmachtsfantasien der Genforscher steht der geklonte Mensch.