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Medienschriften I Rechtswissenschaftliche Beiträge Helmut Goerlich (Hrsg.) Rechtsfragen der Nutzung und Regulierung des Internet BWV • BERLINER WISSENSCHAFTS -VERLAG Band 5

Rechtsfragen der Nutzung und Regulierung des Internet · Runa Kinzel Überwachung der Internetnutzung am Arbeitsplatz 165 Katrin Schwarz Wahlen, Abstimmungen und Petitionen im Internet

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Medienschriften IRechtswissenschaftliche Beiträge

Helmut Goerlich (Hrsg.)

Rechtsfragen der Nutzung und Regulierung des Internet

BWV • BERLINER WISSENSCHAFTS -VERLAG

Band 5

Rechtsfragen der Nutzung und Regulierung des Internet

Medienschriften IRechtswissenschaftliche Beiträge

Band 5

Herausgegeben von der Mitteldeutschen Vereinigung für Medienrecht e.V.

Leipzig

Beirat:Christian Berger

Uwe BerlitChristoph Degenhart

Helmut GoerlichDiethelm Klesczewski

Markus KotzurHeribert Schumann

Helmut Goerlich (Hrsg.)

Rechtsfragen der Nutzung und Regulierung des Internet

BWV • BERLINER WISSENSCHAFTS-VERLAG

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-8305-2579-0

© 2010 BWV • BERLINER WISSENSCHAFTS-VERLAG GmbH, Markgrafenstraße 12–14, 10969 Berlin E-Mail: [email protected], Internet: http://www.bwv-verlag.deAlle Rechte, auch die des Nachdrucks v on Auszügen, der photomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort 1

Professor Dr. Helmut Goerlich

Das Zensurverbot im Zeitalter der Digitalisierung 3

Dr. Ansgar Koreng

Zugangsrisiko und Spamgefahr

Anwendung der Empfangstheorie im E-Mail-Verkehr 19

Erik Hahn

Die virtuelle Aktiengesellschaft

Investor Relations und Hauptversammlung im Internet 37

Tino Marz

Der Digitale Lauschangriff

Online-Durchsuchung im Strafprozess 53

Stefanie Harnisch

E-Government: Bürgernahe Verwaltung für jedermann? 73

Peter Hense

Inhaltsverzeichnis

VI

Cyberwar und die völkerrechtlichen Grenzen des Internet 93

Mario Hemmerling

Informationsquelle Internet versus Urheberrecht? 111

Antje Gruneberg

Günstige Reise günstiges Recht? 127

Risiko Reisebuchung im Internet

Janett Martschenko

Gesundheit aus dem Internet

Doc Morris s möglich? 147

Runa Kinzel

Überwachung der Internetnutzung am Arbeitsplatz 165

Katrin Schwarz

Wahlen, Abstimmungen und Petitionen im Internet

vor den Schranken des Grundgesetzes 183

Ralph Zimmermann

Biographische Angaben zu den Autoren 201

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Professor Dr. Helmut Goerlich

Vorwort

Recht wandelt sich mit den technischen Möglichkeiten. Das gilt auch für den Wan-del der Kommunikationstechniken. Dies eröffnet neue Arbeitsfelder; gerade jüngere Autorinnen und Autoren sind hier gefragt. Offenbar haben das auch diejenigen die-ses Bandes bemerkt.

Der vorliegende Sammelband fasst Vorträge zusammen, die Doktoranden der Juris-tenfakultät der Universität Leipzig im Wintersemester 2009/10 an dieser Universität öffentlich gehalten haben. Alle diese Vorträge sind hier abgedruckt, ohne dass damit

in dieser Weise übergreifende Arbeiten zusammen veröffentlicht.

Ermöglicht haben die Veröffentlichung nicht nur die Autorinnen und Autoren des Bandes, sondern auch vier Fördervereine an der Juristenfakultät, nämlich neben der Mitteldeutschen Vereinigung für Medienrecht e.V. der Verein zur Förderung des Instituts für Völkerrecht, Europarecht und ausländisches öffentliches Recht e.V., das Institut für Verwaltung und Verwaltungsrecht in den Neuen Bundesländern e.V. sowie schließlich der Förderverein der Juristenfakultät e.V. Diese breite Förderung ergab sich aus der Vielfalt der behandelten Themen. Den Förderern gilt der Dank der Autorinnen und Autoren sowie des Herausgebers.

Auch der Berliner Wissenschafts-Verlag hat sich dankenswerterweise bei der Reali-sierung des Bandes entgegenkommend gezeigt.

Leipzig, im April 2010

Professor (em.) Dr. iur. Helmut Goerlich

Vorsitzender der Mitteldeutschen Vereinigung für Medienrecht e.V.

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Dr. Ansgar Koreng

Das Zensurverbot im Zeitalter der Digitalisierung

Das Zensurverbot fristet im Grundgesetz ein Schattendasein. Weder in der juristi-schen Forschung noch in der Praxis kommt ihm bislang Bedeutung zu. Seine große öffentliche Prominenz steht daher im Widerspruch zu seiner geringen juristischen Bedeutung. Doch häufen sich in den letzten Jahren die Ansätze in der rechtswissen-schaftlichen Literatur, dem Zensurverbot vor allem mit Blick auf die allgegenwärti-ge Digitalisierung wieder eine größere Geltung zu verschaffen. Diese Ansätze dar-zustellen und zu bewerten ist Anliegen dieses Beitrags.

I. Wortlautweite und Minimierungstendenzen

Bei der apodiktischen Fassung des Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG dürfte es sich um einen der kürzesten und damit vermeintlich klarsten Verfassungssätze handeln. Neben der Menschenwürdegarantie gehört er zu denjenigen Verfassungsnormen, die auch ei-nem breiteren Personenkreis im Bewusstsein sind. Die trügerische Klarheit des Wortlauts steht indes in eklatantem Widerspruch zu dem nur minimalen Anwen-dungsbereich, den ihm Rechtsprechung und Rechtswissenschaft zugestehen möch-ten. Seit seiner Entscheidung im Fall Filmeinfuhrverbot 1 formuliert das BVerfG, die Verfassung verbiete nur die Vor- oder Präventivzensur und damit, wie es spä-ter präzisiert hat, die Durchführung eines staatlichen Verfahrens, vor dessen Ab-schluss ein Werk nicht veröffentlicht werden darf. 2 Die Einschränkungen sind also vielfältig: Es muss erstens der Staat handeln. Er muss zweitens verfahrensförmig handeln und drittens vor Veröffentlichung des jeweiligen Geisteswerks.

Es wird deutlich, dass der Begriff von Zensur , den das BVerfG im Einklang mit der herrschenden Lehre zugrunde legt, etwas anderes meint als der, den Öffentlich-keit und Feuilletons regelmäßig verwenden, wenn sie praktisch jeden Eingriff in einen Kommunikationsvorgang als Zensur bezeichnen.3 Es ist daher nicht von der

1 BVerfGE 33, 52 (71). 2 BVerfGE 87, 209 (230). 3 Fiedler, Die formale Seite der Äußerungsfreiheit, 1999, S. 30.

Ansgar Koreng

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Hand zu weisen, wenn gewisse Minimierungstendenzen in Bezug auf den Zensur-begriff des Grundgesetzes moniert werden.4

II. Die Rechtsnatur von Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG

Wenn nun aber der Frage nachgegangen werden soll, wie der Begriff der Zensur heute zutreffend zu verstehen ist, stellt sich zunächst die Frage nach der Rechtsnatur von Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG. Dabei kommen zwei Deutungen in Betracht: Satz 3 könnte ein eigenständiges Grundrecht5 oder aber eine Schranken-Schranke für die Schranken des Abs. 2 darstellen.

1. Das Zensurverbot als eigenständiges Grundrecht?

Ein eigenständiges Grundrecht kann das Zensurverbot aber aus systematischen Gründen nicht darstellen, wäre doch ein Schutzbereich dieses Grundrechts nicht sinnvoll bestimmbar.6 Meinungs- und in Grenzen auch Tatsachenäußerungen7 sind von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG erfasst. Besondere Äußerungsformen schützen darüber hinaus Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3. Seiner systematischen Stellung in Abs. 1 nach müsste das Zensurverbot, wäre es ein eigenständiges Grundrecht, auch der Schranke des Abs. 2 unterfallen dann hätte es jedoch überhaupt keinen anderen Gehalt, als die sonstigen in Abs. 1 geschützten Rechte. Nähme man dagegen an, es enthielte eine schrankenlose Gewährleistung, so stünde noch die Frage nach seinem Schutzbereich im Raum dieser müsste sich von den sonstigen Rechten aus Abs. 1 Satz 1 und 2 unterscheiden, da sonst andersherum diese anderen Grundrechte obso-let und gleichsam von Abs. 1 Satz 3 geschluckt würden.

2. Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG als Schranken-Schranke

Heute kann es daher als geklärt betrachtet werden, dass es sich beim Zensurverbot nicht um ein eigenständiges Grundrecht, sondern um eine Schranken-Schranke

4 Ridder, AfP 1969, S. 882. 5 So Ott, JuS 1968, S. 459 (461). 6 Vgl. Gucht, Das Zensurverbot im Gefüge der grundrechtlichen Eingriffskautelen, 2000,

S. 37 f. und Koreng, Zensur im Internet, 2010, S. 217 m.w.N. 7 Vgl. zu dieser Problematik Rühl, AfP 2000, S. 17.

Das Zensurverbot im Zeitalter der Digitalisierung

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handelt, eine Norm also, die die äußerste Grenze für Grundrechtseingriffe vorgibt und daher selbst keinen weiteren Beschränkungen unterliegen kann.8 Damit wird zugleich deutlich, dass der Begriff der Zensur nicht im dargestellten feuilletonis-tischen Sinn (Fiedler) verstanden werden kann: Wäre jeder Eingriff in einen Kommunikationsvorgang zugleich Zensur, so wäre Art. 5 Abs. 2 GG als Schranke der Kommunikationsgrundrechte sinnlos. In seiner herrschenden und auch zutref-fenden Auslegung bildet Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG daher eine äußerste Grenze für Eingriffe in die von Art. 5 Abs. 1 und Abs. 3 GG geschützten Äußerungsgrundrech-te. Die Erstreckung auch auf die Kunst- und Wissenschaftsfreiheit mag mit Blick auf die systematische Stellung des Zensurverbots in Art. 5 GG zunächst verwundern, befindet sich das Zensurverbot als Schranken-Schranke doch vor der Verbürgung von Kunst- und Wissenschaftsfreiheit in Abs. 3. Doch ist aus dem Umstand, dass diese beiden Freiheiten gerade keinem Vorbehalt unterliegen, also nur zugunsten kollidierenden Verfassungsrechts beschränkbar sind, im Wege eines argumentum a fortiori zu folgern, dass sie, da sie noch stärkerem Schutz unterliegen als die Freihei-ten des Abs. 1, erst Recht auch vom Zensurverbot geschützt werden müssen.9 Eine Meinungsäußerung darf nicht zensiert werden. Erst recht dann nicht, wenn sie in Form von Kunst oder Wissenschaft getätigt wird.

Abzulehnen ist auch die Auffassung Michael Pfeifers, der das Zensurverbot gänzlich relativieren möchte.10 Dies begründet er mit einer so nicht zutreffenden Anwen-dung der Prinzipientheorie der Grundrechte. Er hält das Zensurverbot in diesem Sinn für ein Optimierungsgebot,11 verkennt dabei aber dessen konkreten Regelcharakter. Letztlich meint er, das Zensurverbot gälte nicht absolut, sondern sei stets mit gegen-läufigen Rechten abzuwägen. Diese Auffassung ist einem durchgreifenden Einwand ausgesetzt: Wenn das Zensurverbot lediglich abzuwägendes Rechtsprinzip ist, wozu ist es dann in den Text des Art. 5 GG aufgenommen worden? Die Abwägung erfolgt schließlich bereits alleine aufgrund von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG, erfordern doch alle staatlichen Grundrechtseingriffen jedenfalls im Rahmen der Verhältnismä-

8 Degenhart, in: BK-GG, 123. EL 2006, Art. 5 Abs. 1 und 2, Rnrn. 17 und 919; Fechner,

Medienrecht, 9. Aufl. 2008, 3. Kapitel, Rn. 110; Gucht (Fn. 6), S. 42; Hüper, Zensur und neue Kommunikationstechnologien, 2004, S. 10 f.; Hoffmann-Riem, in: AK-GG, 3. Aufl. 2001, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 89; Jarass, in: ders./Pieroth, Grundgesetz, 9. Aufl. 2007, Art. 5, Rn. 63; Nessel, Das grundgesetzliche Zensurverbot, 2004, S. 215; BeckOK Epping/Hillgruber/Schemmer/Kempen GG Art. 5, Rn. 114; Starck, in: v. Man-goldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Bd. 1, 4. Aufl. 1999, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 66.

9 Bethge, in: Sachs, Grundgesetz, 5. Aufl. 2008, Art. 5, Rn. 129; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz, Bd. 1, 2. Aufl. 2004, Art. 5 I, II, Rn. 173.

10 M. Pfeifer, Zensurbehütete Demokratie, 2003, S. 176 und passim. 11 M. Pfeifer (Fn. 10), S. 180.

Ansgar Koreng

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ßigkeit eine Abwägung. Der These Pfeifers von der Zulässigkeit einer demokrati-sierten Zensur 12 kann daher aus systematischen Erwägungen nicht gefolgt werden.

III. Der Zensurbegriff des Grundgesetzes

Das rechtswissenschaftliche Schrifttum widmet sich unter dem Eindruck neuer tech-nischer Phänomene, zu nennen ist hier nur die mit der Entwicklung des Internet einhergehende, zunehmende Digitalisierung der Kommunikation, seit kurzem wie-der mehr der Zensur als rechtlichem und sozialem Phänomen.13 Dabei haben sich in der Diskussion verschiedene Begriffspaare herausgebildet, anhand derer sich die einzelnen zu Inhalt und Reichweite des Zensurverbots vertretenen Auffassungen systematisieren lassen.14 Zwischen diesen Begriffspaaren verlaufen auch die Kon-fliktlinien innerhalb der Literatur. In Bezug auf die Rechtsprechung herrscht nach wie vor eine gewisse Zurückhaltung hinsichtlich der Auseinandersetzung mit Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG, was indes nicht einem Mangel an potenziellen Anwendungsfällen geschuldet ist.15

1. Vor- und Nachzensur

Das erste an dieser Stelle vorzustellende Begriffspaar besteht aus den Termini Vor-zensur und Nachzensur . Bestand bislang noch große Einigkeit darüber, dass das Zensurverbot alleine die Vorzensur verbietet, also solche Maßnahmen, die vor der Veröffentlichung eines Geisteswerks vorgenommen werden,16 so befindet sich eine 12 M. Pfeifer (Fn. 10), S. 283. 13 Vgl. zuletzt Koreng (Fn. 6) sowie zuvor Degen, Freiwillige Selbstkontrolle der Access-

Provider, 2007, S. 280 f.; Engel, MMR-Beilage 4/2003, S. 1 (12); Hoffmann-Riem (Fn. 8), Rn. 93; Hüper (Fn. 8), S. 87 f.; Ladeur, NJW 1986, S. 2748 (2749 f.); Nessel (Fn. 8), S. 215 f.; Sieber/Nolde, Sperrverfügungen im Internet, 2008, S. 104 f.; Rohde, Die Nachzensur in Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG, 1996, S. 187 ff.; Spindler/Volkmann, MMR 2003, 348 (355); Stadler, Haftung für Informationen im Internet, 2. Aufl. 2005, S. 172 f.; Volkmann, CR 2005, S. 893 (894).

14 Fiedler (Fn. 3), S. 41. 15

2183; VG Köln MMR 2005, 399; VG Düsseldorf MMR 2003, 205. 16 BVerfGE 33, 52 (71); 73, 118 (166); 83, 130 (155); 87, 209 (230); OVG Münster MMR

2003, 348 (350); VG Arnsberg ZUM-RD 2005, 293 (298); VG Köln MMR 2005, 399 (404); Bullinger, in: Löffler, Presserecht, 4. Aufl. 1997, § 1 LPG, Rn. 120;

Das Zensurverbot im Zeitalter der Digitalisierung

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Meinung im Vordringen, die den Anwendungsbereich des Zensurverbots auch auf Eingriffe erstrecken will, die nach der Veröffentlichung eines Werks stattfinden.17 Die Vertreter dieser Auffassung stützen sich argumentativ vor allem auf die durch das Internet gewandelten Verhältnisse.

Während es im analogen Zeitalter noch sehr klar war, wann ein Werk veröffent-licht ist, ist dies gerade im Bereich des Internet nicht mehr mit gleicher Eindeutig-keit festzustellen. Im World Wide Web, also dem größten und wohl bekanntesten Teildienst des Internet, werden Inhalte in der Weise veröffentlicht, dass sie vom Publizierenden auf einem Server zum Abruf durch das bestimmungsgemäße Publi-kum bereitgestellt werden. Das bedeutet aber noch nicht, dass sie zugleich auch zur Kenntnis genommen worden sind oder werden können. Die Wahrnehmung der In-halte findet immer nur mit dem jeweiligen Abruf durch den Rezipienten statt, die Inhalte werden sozusagen für jeden einzelnen Rezipienten einzeln vom Server zu-sammengestellt und ausgeliefert.18

Während also beispielsweise die Tagesauflage einer Zeitung ohne Zweifel veröf-fentlicht ist, sobald sie in den Läden zu haben ist bzw. sich im Briefkasten der Abonnenten befindet, besteht bei einer hochgeladenen Internet-Seite zwar die theo-retische Möglichkeit des Abrufs, gesichert ist die tatsächliche Kenntnisnahme aber noch nicht. Es kann also sein, dass der Zensor der erste und letzte ist, der die kon-kreten Inhalte zur Kenntnis nimmt, bevor sie verboten und gelöscht oder gesperrt werden.19

Dennoch möchte ein beachtlicher Teil der Autoren und Gerichte am Vorzensurbe-griff auch im Internet festhalten mit der Folge, dass das Internet faktisch niemals im rechtlichen Sinn zensiert werden könnte.20 Begründet wird diese Eingrenzung zum einen damit, eine Erstreckung des Zensurverbots auch auf die Nachzensur führe

Dietlein/Heinemann, K&R 2004, S. 418 (422); Fechner (Fn. 8), 3. Kapitel, Rn. 111; Gucht (Fn. 6), S. 21; M. Herzog, Rechtliche Probleme einer Inhaltsbeschränkung im In-ternet, 2000, S. 229; J. Ipsen, Staatsrecht II, 9. Aufl. 2006, § 10, Rn. 464; Katholnigg, NJW 1963, S. 892 (893); Ladeur, ZUM 2004, S. 1 (6); Pieroth/Schlink, Grundrechte, 24. Aufl. 2008, Rn. 605.

17 Degen (Fn. 13), S. 280 f.; Engel, MMR-Beilage 4/2003, S. 1 (12); Hoffmann-Riem (Fn. 8), Rn. 93; Hüper (Fn. 8), S. 87 f.; Ladeur, NJW 1986, S. 2748 (2749 f.); Nessel (Fn. 8), S. 215 f.; Sieber/Nolde (Fn. 13), S. 104 f.; Rohde (Fn. 13), S. 187 ff.; Spind-ler/Volkmann, MMR 2003, S. 348 (355); Stadler (Fn. 13), S. 172 f.; Volkmann, CR 2005, S. 893 (894).

18 Vgl. die Nachw. o., Fn. 17. 19 Degenhart, in: BK-GG (2006), Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 933 m.w.N. 20 Volkmann, Der Störer im Internet, 2005, S. 46 f. m.w.N. sowie die Gerichte in o., Fn.

15.

Ansgar Koreng

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dazu, dass Art. 5 Abs. 2 GG ohne jeden Anwendungsbereich gestellt würde.21 Über-dies sei es lediglich die Vorzensur, die sich lähmend auf das Geistesleben auswirke. Dieser Argumentation kann aus verschiedenen Gründen nicht gefolgt werden. Denn zum einen würde Abs. 2, wie schon gezeigt, nur dann anwendungslos gestellt, wenn man jede Maßnahme nach Veröffentlichung eines Werks auch gleichzeitig als Zen-sur begreifen würde.22 Dazu besteht aber kein Anlass, wenn man den Begriff der Zensur nicht anhand eines Zeitpunkts, sondern nach anderen Kriterien bestimmt.23

Zum zweiten können durchaus auch Maßnahmen, die nach dem formalen Veröffent-lichungszeitpunkt vorgenommen werden, lähmend wirken. Wer nachträgliche Sank-tionen zu befürchten hat, wird ebenso eingeschüchtert, wie der, dem die Veröffentli-chung schon im Vorhinein verboten wird. Möglicherweise wirkt das Risiko nach-träglicher Sanktionierung sogar lähmender als die Gefahr einer Vorzensur.

Betrachtet man die Rechtsprechung des BVerfG zum Zensurverbot genauer, so wird auch deutlich, dass das BVerfG den Vorzensurbegriff nicht so sehr am Zeitpunkt der Veröffentlichung, sondern vielmehr am Zeitpunkt der Rezeption des Gedankenin-halts festmacht. So äußerte das Gericht in seiner Filmeinfuhrverbot -Entscheidung, ein Geisteswerk unterliege den allgemeinen, an Art. 5 Abs. 2 zu messenden Vor-schriften, sobald es erst einmal an die Öffentlichkeit gelangt ist und Wirkung auszuüben vermag.24 Es wird daran also deutlich, dass das Zensurverbot im Grunde nicht den Äußernden schützen will dies ist allenfalls ein Rechtsreflex , sondern die Wahrnehmung der Äußerung durch die Öffentlichkeit sichern möchte. Die Zeit-punkte von Äußerung und Rezeption fielen unter den Bedingungen analoger Medien regelmäßig zusammen,25 heute aber können sie in der digitalen Welt zunehmend auseinanderfallen. Das Unterbinden von Äußerungen war bis zur Erfindung des Buchdrucks auch durch eine reine Nachzensur (censura repressiva) möglich, da sich Informationen auf dem mühseligen Weg handschriftlicher Kopien nicht so schnell verbreiten konnten. Nach der Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg um 1450 konnten Informationen um ein vielfaches schneller verbreitet werden, so dass eine Vorzensur (censura praevia) erforderlich wurde.26 Heute ist durch die wiederum gewandelten technischen Umstände eine Zensur im Sinne einer Diskurs-lenkung auch wieder in Form der censura repressiva denkbar, so dass das Zensur-verbot in seiner sprachlichen Interpretationsoffenheit wieder dahingehend ausgelegt

21 BVerfGE 33, 52 (72); Katholnigg, NJW 1963, S. 892 (893); Ridder, AfP 1969, S. 882. 22 Nessel (Fn. 8), S. 51. 23 Fiedler (Fn. 3), S. 97 ff.; Hoffmann-Riem (Fn. 8), Rn. 94; Hüper (Fn. 8), S. 63. 24 BVerfGE 33, 52 (72). 25 Breitbach/Rühl, NJW 1988, S. 8 (9). 26 Hilker, Grundrechte im deutschen Frühkonstitutionalismus, 2005, S. 254 ff.; Hoffmann-

Riem (Fn. 8), Rn. 93; Löffler, NJW 1969, S. 2225.

Das Zensurverbot im Zeitalter der Digitalisierung

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werden muss, dass auch die nachträgliche diskurslenkende Beeinträchtigung der freien Kommunikation verboten ist. Der Inhalt der Norm ist mit Blick auf die ge-wandelte tatsächliche Gefährdungslage neu zu bestimmen.

Ein Festhalten am reinen Vorzensurbegriff ist daher nicht länger zu rechtfertigen.27 Fraglich ist aber, wie der Begriff der Zensur anderweitig qualitativ einzugrenzen ist, wenn er nicht Abs. 2 obsolet machen soll.

2. Formelle und materielle Zensur

Über die Frage, ob und wie der Zensurbegriff des Grundgesetzes nach objektiven oder subjektiven Merkmalen zu bestimmen ist, herrscht ebenfalls Uneinigkeit. Diese Diskussion wird maßgeblich unter den Topoi von formeller und materieller Zensur geführt. Unter formeller Zensur sollen dabei diejenigen Zensurbegriffe ver-standen werden, die den Begriff nach bestimmten äußeren, also objektiven Kriterien bestimmen wollen, also anhand der Art und Weise des Eingriffs.28 Dagegen wollen die Vertreter des materiellen Zensurbegriffs mit Blick auf die subjektive Einstellung des jeweiligen Akteurs feststellen, ob in concreto ein schlichter oder ein zensieren-der Eingriff vorliegt.

Das BVerfG geht im Einklang mit der herrschenden Lehre davon aus, dass Zen-sur nur ein bestimmtes Verfahren meint, wobei das Verbot mit Erlaubnisvorbehalt zumindest der klassische, wenn nicht sogar der einzige Fall von Zensur sein soll. Demgegenüber wurde früher, vor allem ausgehend von Johanne Noltenius29 vertre-ten, Zensur liege dann vor, wenn der Staat mit manipulativer Absicht in den freien öffentlichen Kommunikationsprozess eingreife, Zensur sei also die konformistische Kontrolle des Geisteslebens. 30

Während der formelle Zensurbegriff, wie ihn u.a. das BVerfG vertritt, deutlich zu eng gefasst ist, greift der materielle Zensurbegriff zu weit. Denn erstens macht letz-terer die Frage, ob absolut verbotene Zensur vorliegt, von einer nur schwer feststell-baren inneren Einstellung des jeweils Handelnden abhängig. Zum anderen verwech-

27 Koreng (Fn. 6), S. 219. 28 Nessel (Fn. 8), S. 151. 29 Noltenius, Die freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft und das Zensurverbot des

Grundgesetzes, 1958, passim. 30 von Hartlieb, Die rechtliche, insbesondere verfassungsrechtliche Seite der Selbstkon-

trolle, in: Löffler (Hrsg.), Selbstkontrolle von Presse, Rundfunk und Film, 1960, S. 10 (17).

Ansgar Koreng

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selt er das Telos des grundgesetzlichen Zensurverbots mit seinem Tatbestand.31 Sicher ist, dass das Zensurverbot derartige lenkende Eingriffe in die freie Kommu-nikation verhindern will, dies also zumindest eines seiner ihm inhärenten Ziele ist. Die Frage aber, welche Maßnahmen er verbietet, um dieses Ziel zu erreichen, ist eine davon zu trennende. Der Zensurbegriff des Grundgesetzes ist daher durchaus formell zu bestimmen, nämlich nach der Art und Weise des Eingriffs.

Wie schon angedeutet, ist dagegen aber die bereits oben wiedergegebene Begriffs-bestimmung des BVerfG und der herrschenden Literaturmeinung zu eng: Hier soll Zensur nur ein bestimmtes Verfahren präventiver Inhaltskontrolle meinen. Sicher-lich kann sich Zensur in einem solchen Verfahren darstellen, nur ist dies nicht die einzige Form, in der sie auftreten kann. Dass das Grundgesetz nur ein besonderes Verfahren präventiver Inhaltskontrolle verbieten soll, wird überwiegend mit dem Argument begründet, nur von einem solchen Verfahren gehe der lähmende Effekt für die öffentliche Kommunikation aus, den das Grundgesetz verhindern will.32 Diese Begründung greift aber zu kurz. Denn der Lähmungseffekt , der überwie-gend als Begründung für das grundgesetzliche Zensurverbot herangezogen wird, geht nicht nur von verfahrensförmigen Eingriffen in den Kommunikationsprozess aus.33 Auch ist die Vermeidung eines solchen Lähmungseffekts nicht der einzige Sinn des Zensurverbots. Es ist historisch belegbar, dass Zensur seit jeher vor allem dazu diente, im Sinne eines paternalistischen Staatsverständnisses die Kenntnisnah-me bestimmter Informationen und somit die Bildung bestimmter Ansichten über Wahrheit sowie die autonome Deutung der Welt durch das gemeine Volk zu un-terbinden.34 Die Kirche und der monarchistische Staat wollten die Deutungshoheit über die Welt und das Zeitgeschehen bei sich monopolisieren und daher den Kom-munikationsprozess im eigenen Interesse steuern. Das Zensurverbot will also histo-risch betrachtet nicht nur Lähmungseffekte verhindern, sondern auch die Entwick-lung von Wahrheits- und Deutungsmonopolen, die Ausübung semantischer Herr-schaft 35 vermeiden. Hierzu reicht ein reines Verbot bestimmter Verfahren nicht aus.

31 Vgl. Rieder, Die Zensurbegriffe des Art. 118 Abs. 2 der Weimarer Reichsverfassung

und des Art. 5 Abs. 1 Satz 3 des Bonner Grundgesetzes, 1970, S. 156. 32 BVerfGE 33, 52 (72). 33 Hüper (Fn. 8), S. 63. 34 Vgl. Breitbach/Rühl, NJW 1988, S. 8 (10); von Hartlieb (Fn. 30), S. 16 f. 35 Kienzle, zitiert nach Breitbach/Rühl, NJW 1988, S. 8 (10).

Das Zensurverbot im Zeitalter der Digitalisierung

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3. Präventive und repressive Zensur

Daran schließt sich die Frage an, welcher Beschaffenheit ein staatlicher Eingriff sein muss, um als absolut verbotene Zensur i.S. von Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG zu gelten, wenn die Eingrenzung auf ein bestimmtes Verfahren zu eng ist, der materielle Zen-surbegriff aber zu weit. Hilfreich erscheint an dieser Stelle das letzte darzustellende Begriffspaar, nämlich die Unterscheidung von präventiver und repressiver Zensur. Mit großer Unschärfe hat das BVerfG in den schon erwähnten Entscheidungen wie-derholt ausgedrückt, das Grundgesetz verbiete die Vor- oder Präventivzensur 36, womit es diese beiden Begrifflichkeiten fälschlicherweise gleichgesetzt hat. Fälsch-licherweise deshalb, weil die Vorzensur lediglich den tatsächlichen Veröffentli-chungszeitpunkt einer Publikation meint, Präventivzensur dagegen eine bestimmte Form staatlicher Eingriffe. Übersetzt man nämlich präventiv mit gefahrenab-wehrrechtlich , wie es aus dem Polizeirecht bekannt ist, lässt sich das Phänomen der Zensur deutlich besser fassen. Verboten ist in diesem Sinn nicht (nur) die Vorzensur, sondern jede präventive, also gefahrenabwehrrechtliche Zensur, auch wenn sie nach der Veröffentlichung erfolgt.37 Nur das garantiert die umfassende Rezeptionschance, die das Grundgesetz für alle Äußerungen erreichen will. Äußerungsinhalte können demnach nie eine Gefahr im polizeirechtlichen Sinn darstellen.

Nicht vom Zensurverbot erfasst sind dagegen repressive Maßnahmen, unabhängig davon, ob sie vor oder nach dem Veröffentlichungszeitpunkt greifen. Das ist es, was herkömmlich unter dem Schlagwort Polizeifestigkeit der Presse diskutiert wird. Eingriffe in Pressepublikationen aufgrund ihres Inhalts sind auf der Grundlage der polizeirechtlichen Generalklausel unzulässig.38 Zulässig sind Eingriffe auf der Grundlage des Polizeirechts alleine wegen ihrer äußeren Umstände, etwa der Form einer Äußerung (Flugblätter o.ä.).39 Das wird bislang vor allem mit dem abschlie-ßenden Charakter der Landespressegesetze begründet, nur vereinzelt argumentiert man originär verfassungsrechtlich.40 Tatsächlich ergibt sich diese Polizeifestigkeit aber unmittelbar aus dem verfassungsrechtlichen Zensurverbot. So formuliert das BVerfG, das Grundgesetz überlasse es der Entscheidung des Einzelnen, ob er sich dem Risiko einer Bestrafung für seine Äußerung aussetzt, während eine Zensur

36 BVerfGE 33, 52 (72). 37 So auch schon Breitbach/Rühl, NJW 1988, S. 8 (12); Stadler (Fn. 13), S. 171 f. 38 Bullinger (Fn. 16), Rn. 138. 39 Bullinger (Fn. 16), Rnrn. 133 und 193; Degenhart (Fn. 8), Rn. 212; Wendt, in:

v. Münch/Kunig, Grundgesetz, Bd. I, 4. Aufl. 1992, Art. 5, Rn. 63. 40 Bullinger, in: Isensee/Kirchhof, HdStR VI (1989), § 142, Rn. 29; von Bonin, die Kon-

trolle digitaler Kommunikationsinhalte, 2000, S. 99.

Ansgar Koreng

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verhindern würde, dass sich eine Risikobereitschaft überhaupt bilden kann. 41 Chris-tian Starck bringt dies auf den Punkt, indem er sagt, die Liberalität des Zensurver-bots bestehe darin, dass es das präventive Polizeiregime durch das repressive Gerichtsregime ablöst .42 Es betont damit den grundsätzlichen Vorrang der Eigen-verantwortung des Äußernden.43 Das Zensurverbot bedeutet daher nicht den Vorrang der Repression vor der Prävention, wie Christoph Fiedler meint,44 sondern den völ-ligen Ausschluss der Prävention. Es belastet aber den Einzelnen mit dem Risiko, im Nachhinein für seine Äußerung in vollem Umfang verantwortlich gemacht zu wer-den.45

Während das Zensurverbot es also dem Staat untersagt, auf gefahrenabwehrrechtli-cher Basis gegen Äußerungen aufgrund ihres Inhalts vorzugehen, unterliegen repres-sive Eingriffe, also Straf- und Schadensersatzdrohungen lediglich der Schranke des Art. 5 Abs. 2 GG, sind demnach im Rahmen des Gesetzesvorbehalts zulässig. Es zeigt sich hier in besonderer Weise die starke objektive Dimension des Art. 5 GG, der vor allem der Sicherung des für die demokratische Willensbildung so wichtigen freien öffentlichen Diskurses dient: Die freie Diskussion ist das eigentliche Funda-ment der freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft. 46 Es ist wesentliches Merkmal und Voraussetzung des demokratischen Staates, dass eine umfassende Kommunikationsfreiheit besteht. Nur, wenn der Bürger sich selbst informieren kann, ist er auch in der Lage, selbst Entscheidungen zu treffen. Die Möglichkeit, sich zwi-schen Alternativen zu entscheiden, ist der Inbegriff von Freiheit. Beginnt der Staat, die Informationsmöglichkeiten des Bürgers einzuschränken, nimmt er ihm damit seine Entscheidungsfreiheit und entmündigt ihn. Davor schützt ihn das Zensurver-bot. Dem Staat ist es aufgrund von Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG verwehrt, darüber zu befinden, welche Kommunikationsinhalte der Nutzer wahrnehmen darf und welche nicht. Ein paternalistisches Staatsverständnis, nach welchem der fürsorgende Staat etwa den Internet-Nutzer davor beschützen möchte, gewisse Dinge zu sehen,47 wäre daher letztlich mit dem aus Art. 1 Abs. 1 GG folgenden Menschenbild des Grundge-setzes, das von einer grundsätzlichen Willensfreiheit des Einzelnen, die mit seiner spiegelbildlichen Eigenverantwortlichkeit auf der anderen Seite korreliert, nicht zu vereinbaren. Zwar darf der Staat, wie es auch Art. 5 Abs. 2 GG ausdrückt, Sanktio-

41 BVerfGE 33, 52 (73). 42 Starck (Fn. 8), Rn. 158. 43 Vgl. Degenhart, in: BK-GG (2006), Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 936. 44 Fiedler (Fn. 3), S. 349 ff.; ders., Meinungsfreiheit in einer vernetzten Welt, 2002, S.

67 ff. 45 Breitbach/Rühl, NJW 1988, S. 8 (15). 46 BVerfGE 90, 1 (20 f.). 47 Vgl. die Nachweise bei Koreng (Fn. 6), S. 221, dort Fn. 51.

Das Zensurverbot im Zeitalter der Digitalisierung

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nen daran knüpfen, dass bestimmte Inhalte verbreitet werden. Er darf aber deren Kenntnisnahme nicht von vornherein unterbinden.48

IV. Die Drittwirkung des Zensurverbots

In der Diskussion steht darüber hinaus die Frage, ob und inwieweit dem Zensurver-bot eine Drittwirkung zukommt, es also im Verhältnis Privater untereinander an-wendbar ist. Dies zu diskutieren erscheint auf den ersten Blick verwunderlich, schließlich handelt es sich beim Zensurverbot um eine Schranken-Schranke , eine Vorschrift also, die keinen eigenständigen Gehalt hat, sondern lediglich akzessorisch zum jeweiligen Grundrecht besteht.49 Dass dem Zensurverbot aber dennoch eine Drittwirkungsdimension zukommt, lässt sich aus der Prinzipientheorie Robert Alexys heraus erklären, nach der grundsätzlich zwischen Regeln und Prinzipien zu unterscheiden ist.50 Grundrechte sind dabei überwiegend Normen, die nicht nur, wie nahezu jede Rechtsnorm, einen bestimmten Regelcharakter haben, sondern darüber hinaus auch Prinzipien und in dieser Eigenschaft Optimierungsgebote darstellen. Abstrahiert von ihren Trägern stellen sie Normen dar, die gebieten, dass etwas in einem relativ auf die tatsächlichen und die rechtlichen Möglichkeiten möglichst hohen Maße realisiert wird. 51

Wie kann nun aber einer grundrechtlichen Schranken-Schranke, wie dem Zensur-verbot, ein solcher Prinzipiencharakter zukommen? Auch das Zensurverbot lässt sich von seinem Träger (dem Träger des jeweiligen Kommunikationsgrundrechts) abstrahieren, so dass letztlich ein Prinzip des Inhalts die Abwesenheit von zensie-renden Maßnahmen ist gesollt daraus destillieren lässt. Denn gerade das Zensur-verbot ist nicht nur eine verfassungsrechtliche Regel, sondern stellt zugleich den inneren Kern, gleichsam den Wesensgehalt der Äußerungsfreiheiten dar.52 Das ist historisch begründbar. So wurde die Pressefreiheit erst aus der Freiheit von Zensur entwickelt und ist Zensur aus dieser Perspektive die terminologische Antipode zur

48 Koreng (Fn. 6), S. 226 f. 49 Nessel (Fn. 8), S. 207; Rhode (Fn. 13), S. 184. 50 Alexy, Theorie der Grundrechte, 2. Aufl. 1994, S. 133; ders., Der Staat 29 (1990), S. 49

(55). 51 Alexy, Der Staat 29 (1990), S. 49 (54). 52 Bullinger (Fn. 16), Rn. 124; Schmidt-Jortzig, in: Isensee/Kirchhof, HdStR VI (1989), §

141, Rn. 44; Schulze-Fielitz (Fn. 9), Rn. 170, jew. m.w.N.

Ansgar Koreng

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Pressefreiheit .53 Die Zensurfreiheit bildet insofern das wesentliche Prinzip aus Art. 5 GG, so dass ihr ein eigenständiger materieller Gehalt zukommt. Als verfas-sungsrechtliches Optimierungsgebot hat es, von seiner konkreten Regelhaftigkeit abstrahiert, daher auch eine objektive Ausstrahlungswirkung des Inhalts, dass eine größtmögliche Abwesenheit zensierender Maßnahmen im Recht ganz allgemein gewollt ist. In seiner Eigenschaft als Rechtsprinzip kommt ihm aber nicht der glei-che absolute Charakter zu, den es als konkrete grundrechtliche Schrankenregelung gegenüber dem Staat hat. Es ist vielmehr als ein weiterer Topos in die Abwägung einzustellen, wenn die Äußerungsfreiheiten mit anderen Rechten, etwa dem allge-meinen Persönlichkeitsrecht, kollidieren.

V. Verfahrensdimension des Zensurverbots

Da dem Zensurverbot, wie gezeigt worden ist, eine prinzipielle, objektive Wirkung zukommt, hat es nicht nur eine Drittwirkungsdimension, sondern auch eine prozes-suale, wirkt also auch im gerichtlichen und im Verwaltungsverfahren. Gerade in zivilrechtlichen Streitigkeiten zwischen Privatpersonen liegt heute eine große Gefahr für die freie öffentliche Meinungsbildung. So wird mittlerweile Zensur vor allem von Privaten betrieben, die durch gerichtliche Verfügungen erreichen wollen, dass bestimmte Meinungen, etwa produkt- oder personenbezogene Kritiken, den öffentli-chen Diskurs nicht erreichen.54 Derartige Verbote werden heute zunehmend durch einstweilige Verfügungen erreicht, die vielfach auch ohne vorherige mündliche Verhandlung, in einem nur schriftlichen Verfahren ergehen. Weil aber nichts so alt ist, wie die Zeitung von gestern, haben solche Verfügungen häufig de facto endgül-tigen Charakter.55 Als Optimierungsgebot adressiert das Zensurverbot aber auch den Zivilrichter und hält ihn dazu an, zensierende Entscheidungen nicht zu erlassen. Konkret könnte dies bedeuten, dass Äußerungsverbote nicht ohne vorhergehende mündliche Verhandlung ergehen dürfen, durch die garantiert wird, dass die Äuße-rung eine Chance auf öffentliche Rezeption hat.56 Das schmälert den Rechtsschutz des anderen Teils nicht, da noch nicht endgültig über die Zulässigkeit einer Äuße-

53 Vgl. Degenhart (Fn. 8), Rn. 17; Bullinger (Fn. 16), Rn. 126; Fechner (Fn. 8), 3. Kapitel,

Rn. 110; Hilker (Fn. 26), S. 257; Kübler, Das Recht der Massenkommunikation, 2008, S. 8 ff.; Nessel (Fn. 8), S. 93; Pfeifer, Zensurbehütete Demokratie, 2003, S. 30, dort Fn. 52.

54 Vgl. exemplarisch Gostomzyk, FAZ Nr. 283 v. 3. 12.2008, S. 21. 55 Nessel (Fn. 8), S. 163. 56 Koreng (Fn. 6), S. 240 iheit.