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Reisebericht Janek
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Nicaragua- spannend, authentisch und wunderschön
Denken Sie mal an Mittelamerika. Berühmt sind die eindrucksvollen Maya-Ruinen Guatemalas, die
Lage zwischen Pazifik und Karibik und das Naturparadies Costa Rica. Das flächenmäßig größte Land
Mittelamerikas ist jedoch Nicaragua.
„Mensch, wo liegt das noch gleich? Da war doch mal eine Revolution oder? Da gibt es guten Rum.
Eins der ärmsten Länder des Kontinents, hab ich gelesen.“ Das waren ein paar der Reaktionen, die ich
bekam, als ich mir überlegte, für ein Jahr nach Nicaragua zu gehen, um dort zu reisen und zu leben.
Weit weg von Bekanntem in ein Land eintauchen, in dem das Leben so anders ist als bei uns in
Deutschland. Der Entschluss dafür reifte in mir beim Durchblättern eines Katalogs von Miller Reisen
über Mittelamerika.
So ging alles schnell und plötzlich erlebe ich Weihnachten statt unter dem winterlichen
Weihnachtsbaum im strahlenden Sonnenschein an der Pazifikküste, Silvester Salsa- und Tango -
tanzend mitten im Regenwald und Ostern auf einer Prozession inmitten von Kaffeeplantagen. Statt
Kässpätzle und Salat esse ich das Nationalgericht Gallo Pinto (Reis und Bohnen). Und statt im
klimatisierten Zug bewege ich mich in alten amerikanischen Schulbussen fort, die mit Menschen,
Hühnern, Arbeitsgeräten, Markteinkäufen oder Schubkarren bepackt sind.
Schon beim Einsteigen ziehe ich Blicke auf mich, so ein großer Weißer fällt hier auf. Ein anderes
Problem ist, dass der Bus weder zum Sitzen noch zum Stehen für meine Beinlängen gemacht ist. So
quetsche ich mich in eine Nische des völlig überfüllten Fahrzeugs. Es ist heiß, laut und hektisch. Dann
geht es los und durch das Radio ertönt laut eine Latinoschnulze oder dröhnender Reggaeton, der von
einigen Fahrgästen leise mitgesummt , von anderen lauter mitgesungen wird. Immer wieder drängen
sich Frauen und Männer durch den Gang, um Tortilla, Wasser oder Medikamente zu verkaufen und
diese lautstark anzupreisen. Plötzlich bremst der Bus, das Jesuskreuz vorne knallt gegen die
Windschutzscheibe. Wir warten, bis die Kühe vor uns die Straße verlassen haben und fahren weiter.
Oft steigen auch Prediger in den Bus, die die Bibel zitieren und die Fahrt für eine kleine Mission
nutzen.
Es fühlt sich an wie eine andere Welt. Und es gibt nur wenige Länder, in denen es auf so kleiner
Fläche so viel Verschiedenes zu entdecken und bestaunen gibt. Der Name „Nicaragua“ bedeutet
„Land der Seen und Vulkane“. So befindet sich in Nicaragua der nach dem Titicacasee zweitgrößte
See Lateinamerikas und der Legende nach ist es der einzige der Welt, in dem Süßwasserhaie leben.
Aktive wie inaktive Vulkane kann man wie auf der ländlich idyllischen „Insel mit zwei Bergen“
Ometepe im Fußmarsch besteigen. Oder wie den Cerro Negro bei León auf Brettern beim
Sandboarding herunterrutschen. Oder wie beim Vulkan Masaya einen Krater mit aufsteigendem
Schwefeldampf bewundern . Die Städte Granada und insbesondere León mit seiner berühmten
Kathedrale verleihen dem Land auch kulturellen Glanz und studentisch intellektuelle Vitalität und
Lebendigkeit. Der Norden Nicaraguas lädt ein zum Wandern in den grünen Hügeln Estelís durch
Kaffeeplantagen und vorbei an atemberaubenden Wasserfällen oder zum Besuch des
„beschwimmbaren“ Canyon in Somoto.
Außerdem liegt Nicaragua zwischen zwei Meeren, die sich kaum unterschiedlicher präsentieren
könnten. Da ist auf der einen Seite die raue Pazifikküste, die sich zum Beispiel am Playa Maderas
nahe San Juan del Sur oder in Las Peñitas nahe León zum Surfen anbietet. Auf der anderen Seite
findet man das türkisblaue Wasser der Karibik an Stränden mit weißem Sand wie auf den Corn
Islands, wo man vergleichsweise günstig in Korallenriffen schnorcheln und tauchen kann. Bunte
Fische, Schildkröten und Haie begleiten einen. Auch die Karibikküste jenseits von weißem Sand hat
seinen Reiz. So ist Nicaragua in gewisser Hinsicht ein Land mit zwei Kulturen. Die Region um die
Karibikküste bezeichnet sich als autonom und als ich auf meiner Reise dort Station machte, musste
ich wirklich nach Anhaltspunkten suchen, die mir zeigten, dass ich mich doch noch im selben Land
befinde. So haben die Menschen eine viel dunklere Hautfarbe und gerade in ländlichen Gebieten ist
die Verständigungssprache Englisch. Von beiden Teilen Nicaraguas herrscht in offiziellen Kreisen kein
besonderes Interesse an der anderen Seite. So hat sich hier eine Kluft gebildet zwischen diesem Teil
Nicaraguas und dem Rest, was sich auch in der Sprache ausdrückt. So bekam ich oft nur Antwort auf
Englisch, obwohl die Menschen hier neben dem Kreol (Mischsprache) ebenso Spanisch beherrschen.
Ebenfalls eine Reise wert ist die Bootsfahrt in den von Affen und vielen anderen Tieren bewohnten
Regenwald des Rio San Juan und auf die Inselgruppe Solentiname, wo man in ursprünglicher Natur
die Seele baumeln lassen kann.
Wer abseits der üblichen Touristenrouten etwas erleben will, kann zum Beispiel im Fischerort
Ostional in der Nähe der Grenze zu Costa Rica morgens allein mit den Fischern und begleitet von
Pelikanen aufs Meer rausfahren oder im Gebiet Peñas Blancas nördlich von Matagalpa ländliches
Leben kennenlernen und in absolut unangetasteter Natur den Nebelwald erforschen.
Natürlich ist die Natur Nicaraguas ähnlich der Costa Ricas, allerdings steht Nicaragua sowohl von der
Lebensart als auch von den Kosten nicht unter dem gleichen US-amerikanischen Einfluss, sondern ist
vielmehr authentisch Mittelamerika in seiner ganzen Vielfalt. Der Großteil der Menschen lebt in sehr
einfachen Bedingungen und man wird auch beim Reisen in diesem Entwicklungsland mit anderen
Themen wie Armut, Kinderarbeit oder dem globalisierten Handel mit Lebensmitteln konfrontiert.
Wenn man jedoch ehrliches Interesse an dem Land und seinen Menschen zeigt, wird man mit
offenen Armen empfangen.
Dass Nicaragua trotzdem noch nicht wie Costa Rica von Touristenscharen besucht wird, führt auch
dazu, dass man hier individuell die Intensität des Landes und des ganzen Kontinents kennenlernt,
was sehr spannend ist. So gibt es zum Beispiel außer in der Hauptstadt Managua landesweit keine
US-amerikanischen oder europäischen Fastfoodketten.
Politisch und historisch gesehen ist Nicaragua allerdings kein unbeschriebenes Blatt. Lange Zeit
musste Nicaragua um seine Unabhängigkeit gegenüber den USA bangen und widersetzte sich so zum
Beispiel der Idee einer Wasserverbindungsstraße zwischen den zwei Ozeanen. Der Kanal wurde dann
später in Panama gebaut. Wenn man als Europäer mal was von Nicaragua gehört hat, dann oft
wegen der sandinistischen Revolution aus dem Jahre 1979, als Somozas Diktatur gestürzt wurde und
sich eine neue Regierung bildete. Es folgten jedoch bald Jahre des Bürgerkrieges zwischen den
Anhängern der Sandinisten und Contratruppen. Nach Beendigung des Krieges und einigen
Präsidenten der liberalen Partei setze sich bei der Wahl im Jahre 2006 einer der Drahtzieher der
Revolution, Daniel Ortega- in Bürgerkriegszeiten bereits Präsident Nicaraguas-, und seine Partei FSLN
durch. Auf Bannern wird nun in den Straßen Nicaraguas auf die revolutionäre Tradition hingewiesen
und Ortega zusammen mit Galionsfiguren der lateinamerikanischen Unabhängigkeitsbewegung
abgebildet. Beim Gespräch mit Menschen ab Mitte 40 kommt man auch oft auf das Thema
Revolution zu sprechen. Stolz zeigten sie mir dann Fotos von sich, schwer bewaffnet aus
Bürgerkriegszeiten. Oft berichten diese Menschen dann aber bereits im nächsten Satz, sie seien
enttäuscht von der Regierung, die nun nicht mehr für die Ideale von einst eintrete. Oft geht es dann
um Presse- und Meinungsfreiheit, das strenge Abtreibungsgesetz oder um Korruption.
Nicaragua ist echt und interessant und eine Reise erfordert auch ein wenig Mut. Angst braucht man
aber nicht zu haben. Verglichen mit den meisten anderen mittelamerikanischen Ländern gibt es
weniger Banden- und Drogenkriminalität. Achtsam sollte man natürlich trotzdem sein.
Kann, darf oder sollte man überhaupt in „Entwicklungsländern“ Urlaub machen? Ich denke, dass ein
verantwortungsvoller, nachhaltiger und rücksichtsvoller Tourismus dazu beiträgt, dass dieses Land
und seine Bevölkerung in Zukunft davon profitieren kann.
Wenn man sich auf das Land einlässt, wird man belohnt, denn Nicaragua ist spannend, authentisch
und einfach wunderschön!
Janek W.