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EUROPA ODER TOD Yayi Bayam Diouf hat ihren einzigen Sohn verloren. Er ertrank bei dem Ver- such, die Kanaren mit dem Boot zu erreichen. Yayi ist traurig. Und wütend, dass so viele junge Afrikaner gezwun- gen sind, ihr Leben zu riskieren. Eine Reportage zum Weltmissionssonntag. TEXT: BETTINA TIBURZY FOTOS: FRITZ STARK REPORTAGE S anft schlagen die Wellen an den Sand- strand, doch bei ihrem Anblick emp- findet Yayi Bayam Diouf nur tiefen Schmerz. Ein Spaziergang am Strand ist auch fünf Jahre nach dem Tod von Alioune Mar für seine Mutter ein schwieriger Gang. Doch das hält sie nicht davon ab, aus ihren Sandalen zu schlüpfen und langsam ins Wasser zu waten. Denn hier kann Yayi ihrem Sohn ganz nah sein – in der See, die für Alioune zum Grab wurde. Am Strand liegen Dutzende der typischen senegalesischen Langboote, Pirogen genannt. In knalligem Gelb, Rot, Orange und Grün bemalt, strahlen sie in der Sonne so verführe- risch bunt, dass man meinen könnte, sie seien extra für eine Urlaubswerbung arrangiert worden. Unvorstellbar, dass solche Boote für viele Menschen zu fahrenden Särgen wurden. 10 kontinente 5-2011 Besuch am Grab: Yayi Bayams Sohn starb auf dem Meer. Auch wenn es wehtut, geht sie an den Strand. Hier fühlt sie sich ihm nah. 10-15_Senegal_5_11_480.qxp:01Cover#2_06 420.qxp 06.08.2011 13:36 Uhr Seite 10

REPORTAGE EUROPA · 2011-08-25 · Das bekam auch Yayis Sohn zu spüren. Er war Fischer. Genau wie viele seiner Kollegen fing er immer weniger. Darum brach er im Frühjahr 2006 zusammen

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Page 1: REPORTAGE EUROPA · 2011-08-25 · Das bekam auch Yayis Sohn zu spüren. Er war Fischer. Genau wie viele seiner Kollegen fing er immer weniger. Darum brach er im Frühjahr 2006 zusammen

EUROPAODER

TODYayi Bayam Diouf hat ihren einzigenSohn verloren. Er ertrank bei dem Ver-such, die Kanaren mit dem Boot zuerreichen. Yayi ist traurig. Und wütend,dass so viele junge Afrikaner gezwun -gen sind, ihr Leben zu riskie ren. EineReportage zum Weltmissionssonntag.TEXT: BETTINA TIBURZY FOTOS: FRITZ STARK

REPORTAGE

S anft schlagen die Wellen an den Sand-strand, doch bei ihrem Anblick emp-findet Yayi Bayam Diouf nur tiefen

Schmerz. Ein Spaziergang am Strand ist auchfünf Jahre nach dem Tod von Alioune Mar fürseine Mutter ein schwieriger Gang. Doch dashält sie nicht davon ab, aus ihren Sandalen zuschlüpfen und langsam ins Wasser zu waten.Denn hier kann Yayi ihrem Sohn ganz nah sein– in der See, die für Alioune zum Grab wurde.

Am Strand liegen Dutzende der typischensenegalesischen Langboote, Pirogen genannt.In knalligem Gelb, Rot, Orange und Grünbemalt, strahlen sie in der Sonne so verführe -risch bunt, dass man meinen könnte, sie seienextra für eine Urlaubswerbung arrangiertworden. Unvorstellbar, dass solche Boote fürviele Menschen zu fahrenden Särgen wurden.

10 • kontinente 5-2011

Besuch am Grab:Yayi Bayams Sohn starbauf dem Meer. Auchwenn es wehtut, gehtsie an den Strand. Hierfühlt sie sich ihm nah.�

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Kollektiv der Frauen: Yayi (li.) hat die Frauen mobilisiert. Mit ihrer Handwerkskunst wollen sie eine Lebensgrundlage im Senegal schaffen.

„Ich werde dich sofort anrufen, wenn wir die Inseln erreicht haben. Bete für uns.”

Alioune Mar, 27, vor seiner Reise in den Tod

Fischmarkt von Dakar: Die Fischerei ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige des Senegal. Handel: Eine Frau verkauft den Tagesfang.

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Appell: Plakate sollen Menschen bewegen, im Senegal zu bleiben und das Land gemeinsam aufzubauen.

Yayi Bayam lebt in Thiaroye-Sur-Mer, einemVorort von Dakar, direkt an der Küste des Se-negal. Seit Generationen ernähren sich dieMenschen hier vom Fisch. Die Männer fahrenmit ihren Pirogen aufs Meer und werfen ihreNetze aus, die Frauen verkaufen den Fang.Lange Zeit konnten die Menschen gut von denreichen Fischgründen leben. Doch Über-fischung durch ausländische Fangflottenließen die Bestände drastisch schwinden.

Das bekam auch Yayis Sohn zu spüren. Erwar Fischer. Genau wie viele seiner Kollegenfing er immer weniger. Darum brach er imFrühjahr 2006 zusammen mit 80 anderenjungen Männern in die Küstengewässer desNachbarlandes Mauretanien auf, voller Hoff-nung, dort endlich einen besseren Fang zumachen.

Der 27-jährige Alioune hatte für eine Groß-familie von 35 Personen zu sorgen, in der auchseine Mutter lebte. Er war der Einzige miteinem Einkommen. Wenn der Fischfang nichtgut genug lief, versuchte er sich als Maureroder Händler, damit er Miete, Wasser undStrom bezahlen konnte. Der junge Mann warverlobt. Er wollte heiraten, sobald er genug ge-spart hätte.

Mit einer Piroge über die raue SeeNach einem Monat rief er seine Mutter ausMauretanien an. „Mama, wir haben bislangnichts gefangen“, sagte er. „Aber hier gibt esviele, die mit den Pirogen über die KanarischenInseln nach Europa fahren, um dort Arbeit zufinden.“ Yayi war geschockt. Denn sie kanntedas Risiko einer solchen Fahrt. Die Kanari -schen Inseln liegen ungefähr 800 Kilometervon der Küste Mauretaniens entfernt. Die Seeist Anfang des Jahres rau, es gibt Stürme, hoheWellen und es ist kalt. „Mit den Pirogen ist esunmöglich Europa zu erreichen“, beschworYayi ihren Sohn und hoffte, ihn umzustim men.Aber er entgegnete: „Wir sind Fischer. Wirkönnen durch die Ozeane navigieren.“ Yayisagte: „Nein, du fährst nicht. Du bist mein ein-ziger Sohn und ich zähle auf dich. Unsereganze Familie zählt auf dich. Du fährst nicht!“

Am folgenden Tag telefonierte Alioune nocheinmal mit seiner Mutter. „Ich habe mich zu-sammen mit all meinen Freunden entschie -den. Wenn alles gut läuft, dauert die Fahrt eineWoche, ansonsten zehn oder 15 Tage. Ichwerde dich sofort anrufen, wenn wir die Inseln

REPORTAGE

erreicht haben. Bete für uns.“ Da wusste Yayi,sie würde ihn nicht umstimmen können.Schweren Herzens willigte sie ein. Dann be-gann das Warten.

Im Jahr 2006 versuchten 901 Boote mit35490 Menschen die Kanarischen Inseln zuerreichen. Mehr als die Hälfte der Migrantenstammten aus dem Senegal. Besonders diejungen Senegalesen haben es schwer in ihremHeimatland. Der Senegal ist eines der amwenigsten entwickelten Länder der Welt. Inder Liste der Vereinten Nationen, die die Ent-wicklungsstufe aller Länder bewertet, liegt derSenegal nur einen Platz vor Haiti auf Rang 144.„In so einem armen Land ist die Entwicklungder jungen Menschen sehr schwierig“, erklärtPfarrer Ambrosius Tine, der Nationaldirektorder Caritas im Senegal und Nachbar von Yayi.„Viele Jugendliche finden nach der Schulekeine Arbeit.“

Im Senegal gehen viele Kinder nicht zurSchule. Mehr als die Hälfte der Menschen kannnicht lesen oder schreiben. Jeder fünfte Se-negalese ist unterernährt. „Besonders hoch istdie Armut auf dem Land. Viele wandern in dieStädte ab“, berichtet Pfarrer Ambrosius. „Odersie gehen nach Gambia, Südafrika, GuineaBissau oder bis vor kurzem noch Libyen oderin die Elfenbeinküste. Nur 40 Prozent dermigrationswilligen Senegalesen wollten nachEuropa“, sagt Pfarrer Ambrosius.

Es dauerte zwei Monate, da erreichte YayiBayam der Anruf eines Verwandten von Tener-iffa. Das Boot ihres Sohnes sei gesunken, be-richtete er. Alioune und alle seine Freunde

seien ertrunken. Zuerst glaubte Yayi ihm nicht:„Wie willst du wissen, dass unsere Kinder er-trunken sind?“, fragte sie. Er erklärte, dassAliounes Piroge zusammen mit einem zweitenBoot abgelegt habe, um gemeinsam gegenHunger und Müdigkeit zu kämpfen und sichbei Gefahr beizustehen.

Mehrere Tausend Menschen vermisstNach einigen Tagen auf dem Meer drangWasser in die Piroge von Yayis Sohn ein. Diejungen Männer glaubten, bereits die Küsten -lichter der Kanaren zu sehen. Die Insassen desanderen Bootes versprachen, schneller zufahren und Hilfe zu holen. Yayis Sohn blieb mitseinen 80 Kameraden zurück. Doch die Besat-zung der noch seetüchtigen Piroge mussteschnell feststellen, dass die vermeintlichenLichter der Inseln lediglich Leuchten andererBoote gewesen seien.

Als sie endlich die Inseln erreichten und dieKüstenwache nach den Vermissten suchte,fanden die Suchmannschaften Wrackteile derPiroge, Gepäck und Plastiktüten mit Ver-pflegung, die auf dem Meer trieben. Und zweiLeichen, die sie bergen konnten. Die übrigen79 jungen Männer blieben vermisst. „Als mirmein Cousin das erzählte, da verstand ich,dass unsere Kinder im Meer verschollen sind“,sagt Yayi. Im Jahr 2006 bargen Schiffe vor denKanarischen Inseln 1167 Leichen ertrunkenerBootsflüchtlinge. Mehrere Tausend Menschengelten als vermisst.

Seither patrouillieren Frontex-Boote vor denInseln und stoppten den Zustrom. Frontex ist

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eine europäische Agentur, welche die illegaleEinwanderung nach Europa verhindern soll.Flüchtlingsboote werden abgefangen und andie Küste ihrer Heimatländer zurückeskortiert.Flüchtlinge, die schon auf die Kanaren gelangtsind und aus sicheren Herkunftsländernstammen, schickt Frontex zurück.

Zurückgeschickt in die HeimatSo endete auch für den Senegalesen AmadouFall* sein Versuch, über die Kanaren nachSpanien zu gelangen. Amadou wagte imselben Jahr wie Alioune die Fahrt mit demBoot. Elf Tage dauerte es, um von der Küste desSenegal zu den Inseln zu gelangen. Größere

Probleme gab es nicht. Doch nach der glück-lichen Ankunft zerplatzte Amadous Traumvon Europa wie eine Seifenblase. Er musste zu-rück.

Amadou kommt aus dem FischerdorfN'Diébène Gandiol, nicht weit von der Hafen-stadt St. Louis im Norden. Er versucht, sich mitdem Aufbau von Veranstaltungstechnik überWasser zu halten. Doch leben kann er davonnicht. „Ich möchte nach Europa, um Arbeit zufinden und damit ich meinen Eltern helfenkann. Nur deswegen. Denn hier gibt es nichts.Absolut nichts“, erklärt er frustriert.

Heute hat André Sene von der Caritas in St.Louis im Heimatdorf von Amadou alle Be-

wohner zu einem Workshop eingeladen.Solche Programme, die vor den Gefahrenriskanter Migrationswege warnen, werdenauch von missio unterstützt. Fast 80 Dorf-bewohner sind gekommen, Männer undFrauen, Junge und Alte.

André zeigt zu Beginn einen kurzen Filmüber eine Fahrt mit einem für eine solche Über-fahrt untauglichen Boot. Zusammengepferchthocken die Bootsflüchtlinge in der viel zukleinen Jolle. Der Film weckt Emotionen. EinMann bricht in Tränen aus, als er sich daran er-innert, dass er seinen Sohn verlor. „Es hat michsehr bewegt zu sehen, dass ein Vater vor derganzen Dorfgemeinschaft weint“, sagt André.

André berichtet auch von den Problemenvieler Migranten in europäischen Ländern. Mitder Dorfgemeinschaft möchte er Wege finden,wie sie gemeinsam für die jungen Menschenbessere Chancen bei sich zu Hause schaffenkönnen. Das ist nicht einfach, aber alle sindsich einig: Es muss etwas passieren.

Yayi hilft Witwen und WaisenBei Amadou sitzt die Enttäuschung, es nichtnach Europa geschafft zu haben, immer nochtief. „Viele Freunde und Verwandte sind dort.Sie schicken Geld an ihre Familien, könnensich ein Auto leisten und hier ein Haus bauen.Und ich habe nichts“, erklärt der 26-Jährige.

Doch auch für viele Migranten, die Europaerreicht haben, erfüllen sich diese Träumenicht. Pfarrer Ambrosius erzählt: „Viele habenes in Europa schwer. Besonders diejenigen, dieAnalphabeten sind. Sie erzählen zu Hausenichts von ihren Schwierigkeiten, weil sie sichschämen. Es ist eine Sache der Würde.“

Und so glauben viele Familien immer noch,dass Europa das mythische WunderlandEldorado ist. Sie erwarten, dass die Auswan-derer für die ganze Familie die Kosten für Ge-sundheit, Schule und Ernährung über-nehmen. „Das ist völlig unrealistisch. Es istfast eine Ausbeutung der Migranten“, sagtPfarrer Ambrosius und findet, dass der Staatviele dieser Aufgaben übernehmen müsste.

Yayi Bayam Diouf geht aufrecht über diesandigen Wege ihres Heimatortes Thiaroye-Sur-Mer. Sie strahlt Würde und Entschlossen -heit aus. Jeder kennt die 52-Jährige hier. Dennnach dem großen Unglück hat Yayi nicht ge-schwiegen. Zuerst ging sie zu den betroffenenFamilien. Ihr Sohn Alioune war der Kapitän

REPORTAGE

HINTERGRUND

Der Sonntagder Weltmis-sion wird jedesJahr weltweitim Oktober ge-feiert und istdie größte So-lidaritätsakti-on der katho-lischen Kirche.Mit den Ein-nahmen der

weltweit durchgeführten Kollekte werdendie ärmsten Diözesen unterstützt. missio stellt in diesem Jahr unter demMotto „Macht euch auf und bringt Frucht“das Engagement der katholischen Kircheim Senegal vor. Die bundesweite Eröff-nung der Aktion findet am Sonntag, 2. Ok-tober, in Hamburg statt. ErzbischofWerner Thissen zelebriert mit Vertreternder Kirche Senegals und Prälat KlausKrämer, Präsident von missio Aachen, imMariendom den Eröffnungsgottesdienst.Am Freitag, 30. September, findet um19.30 Uhr im Großen Michel in Hamburgein Abend der Weltmusik statt. Bundes-weit finden im Oktober rund 300 Ver-anstaltungen mit Gästen aus dem Senegalstatt.

23. Oktober 2011: Sonntag der Weltmission

ZAHLEN UND FAKTENGeografie: Der Senegal liegt in Westafrika und erstreckt sich von der Sahara im Norden bis zum tropischen Wald im Süden. Hauptstadt: Dakar.Fläche: 196 722 Quadratkilometer, etwa halb so groß wie Deutschland.Staatsform: Präsidialrepublik.Einwohner: 12,6 Millionen.Religion: 94 Prozent Muslime; 5 % Christen; 1 % Sonstige.Wirtschaft: Landwirtschaft, Fischerei, Industrie(weitgehend in ausländischer Hand),Tourismus(durch die Regierung beschränkt) und Bergbau.

Dakar

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Guinea-Bissau

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„Ich möchte nach Europa. Denn hier gibt es nichts, absolut nichts.“

Amadou, 26, will in Europa Arbeit finden

Aufklärung: André Sene (li.) von der Caritas spricht über die Gefahren, denen sich Menschen aussetzen, die sich mit dem Boot aufmachen nach Europa.

des Bootes. Darum sah seine Mutter sich in derPflicht, allen 80 Familien der Verunglücktenihr Beileid auszusprechen.

Später ergriff sie das Wort bei einer Ge-meindeversammlung. Eine kleine Sensation,denn Frauen haben in ihrer Gemeinschaft keinMitspracherecht. Doch Yayi konnte die Äl-testen überzeugen, die Männer ließen siesprechen. Sie stimmten sogar zu, als Yayi er-zählte, sie wolle die Witwen und Mütter derVerunglückten organisieren, damit sie selbstihre Existenz sichern könnten.

Sie fand Unterstützer für Kleinkredite, um soArbeit zu schaffen. Pfarrer Ambrosius ermu -tigte und unterstützte sie, damit die Kinder derVerunglückten weiter zur Schule gehenkonnten. Dann ging Yayi zu den Jugendlichen

und sprach diejenigen an, die wegwollten.„Ich werde über den Tod meines Sohnesimmer wieder sprechen“, sagt sie. „Denn ichmöchte nie wieder erleben, dass ein Kindmeiner Gemeinschaft oder meines Landes dasgleiche erleiden muss wie mein Kind.“

Auch die Europäer sieht Yayi in der Verant-wortung. „Das ist eine erzwungene Migration.Die Europäer nehmen uns unsere Ressourcen:den Fisch im Senegal, die Baumwolle in Maliund den Kakao in der Elfenbeinküste“, erklärt

sie. „Ich verlange, dass die Europäische Unionund unsere afrikanischen Staaten ihre Politiküberdenken, auch die Migrationspolitik. Essollte eine partnerschaftliche Entwicklunggeben.“

In ihrem Büro sitzt Yayi an ihremSchreibtisch. Hinter ihr steht ein Porträt ihresSohnes. Er blickt ernst, doch zuversichtlich.„Er ist gefahren, weil er die Existenz unsererFamilie sichern wollte“, sagt Yayi. „Mein Sohnwar ein sehr mutiger Junge.“

Erinnerung: Yayi wollte nicht, dass ihr Sohn fährt. Doch sie lobt seinen Mut.Sehnsucht: Amadou träumt noch immer den Traum vom „Gelobten Land“ Europa.

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