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Erika Schmitt-Sackersdorff Kleider machen Leute ...eine Komödie nach der gleichnamigen Erzählung von Gottfried Keller Der junge, etwas zur Melancholie neigende Schneider Strapinski wird von einem herrschaftlichen Kutscher ein Stück Weges mitgenommen, vor einen Gasthof abgesetzt und dort... ja, dort beginnt Strapinskis unfreiwillige Hochstapelei. Der Witz des Kutschers, es handle sich um einen polnischen Grafen von und zu Strapinski, verfängt bei der Wirtin, da unser Schneider beste Kleidung hat. Er weiß freilich, dass diese nicht für ihn bestimmt war, ihm aber statt des Lohnes von seinem bankrotten Meister gegeben wurde. Wenzel Strapinski, ausgehungert und kälteblass - die Wirtin schließt daraus Vornehmheit - versagt sich nicht den gefüllten Schüsseln und dem belebenden Wein. Zum Unglück - denn selbstverständ- lich will der anständige Schneider gleich wieder fort, kommt die Stammtischrunde und veranlasst den Herrn Grafen zu einem Spielchen. Wenzel gewinnt. Gottseidank, denn nun kann er die Zeche bezahlen. Aber er hat die Rechnung ohne die Wirtin gemacht. Jeder Fluchtversuch misslingt. Selbst als er dem anmutigen Zwang der liebevollen Augen Nettchens, einer Amtsratstochter, zu entfliehen versucht, wird er eingeholt. Nun beginnt das Spiel tragikomisch zu werden, denn Wenzel gerät in den Zwiespalt von Liebe und Ehrlichkeit - und der ist ein Abgrund. Das geahnte blamable und hohnvolle Ende kommt, beschleunigt von einem Rivalen um Nettchen, der die Geschichte durchschaut. Aber Nettchen hält nach anfänglicher schwerer Enttäuschung zu ihrem Erwählten, denn sie liebte nicht den Schein, mit welchem andere den Schneider umgaben. Sie liebt - nun weiß sie es gewiss - den so bescheidenen und im Grunde hochan-ständigen Wenzel. BS 532 / Regiebuch IMPULS-THEATER-VERLAG Postfach 1147, 82141 Planegg Tel.: 089/ 859 75 77; Fax: 089/ 859 30 44

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Erika Schmitt-Sackersdorff

Kleider machen Leute

...eine Komödie nach der gleichnamigen Erzählung von Gottfried Keller

Der junge, etwas zur Melancholie neigende Schneider Strapinski wird von einem herrschaftlichen Kutscher ein Stück Weges mitgenommen, vor einen Gasthof abgesetzt und dort... ja, dort beginnt Strapinskis unfreiwillige Hochstapelei. Der Witz des Kutschers, es handle sich um einen polnischen Grafen von und zu Strapinski, verfängt bei der Wirtin, da unser Schneider beste Kleidung hat. Er weiß freilich, dass diese nicht für ihn bestimmt war, ihm aber statt des Lohnes von seinem bankrotten Meister gegeben wurde. Wenzel Strapinski, ausgehungert und kälteblass - die Wirtin schließt daraus Vornehmheit - versagt sich nicht den gefüllten Schüsseln und dem belebenden Wein. Zum Unglück - denn selbstverständ-lich will der anständige Schneider gleich wieder fort, kommt die Stammtischrunde und veranlasst den Herrn Grafen zu einem Spielchen. Wenzel gewinnt. Gottseidank, denn nun kann er die Zeche bezahlen. Aber er hat die Rechnung ohne die Wirtin gemacht. Jeder Fluchtversuch misslingt. Selbst als er dem anmutigen Zwang der liebevollen Augen Nettchens, einer Amtsratstochter, zu entfliehen versucht, wird er eingeholt. Nun beginnt das Spiel tragikomisch zu werden, denn Wenzel gerät in den Zwiespalt von Liebe und Ehrlichkeit - und der ist ein Abgrund. Das geahnte blamable und hohnvolle Ende kommt, beschleunigt von einem Rivalen um Nettchen, der die Geschichte durchschaut. Aber Nettchen hält nach anfänglicher schwerer Enttäuschung zu ihrem Erwählten, denn sie liebte nicht den Schein, mit welchem andere den Schneider umgaben. Sie liebt - nun weiß sie es gewiss - den so bescheidenen und im Grunde hochan-ständigen Wenzel.

BS 532 / Regiebuch IMPULS-THEATER-VERLAG

Postfach 1147, 82141 Planegg Tel.: 089/ 859 75 77; Fax: 089/ 859 30 44

PERSONEN: Wenzel Strapinski, Schneider Schwedler, ein Schuster Kutscher Wirtin, zum „Lamm“ in Goldach Böhni, Stadtschreiber Fiedler, Amtsrat Nettchen, dessen Tochter Meier, Textilien en gros Kinkhard, Südfrüchteimporteur Anna, Köchin Regine, Stubenmädchen Rosi, Stubenmädchen bei Fiedler Johann, Diener bei Fiedler ORT / DEKORATION / REQUISITEN: 1., 3. und 4. Akt: Wirtsstube. Vom Zuschauer aus links ein kleinerer Tisch mit zwei Stühlen, rechts vor einer Bank an der Wand der größere Stammtisch. Gutbürgerliche Ausstattung nach Möglichkeit (Geschirrschrank; ein Kachelofen neben dem Stammtisch). Eine Türe vorne rechts (zur Küche u. a.) und eine links rückwärts. Links- auch ein Fenster. 2. Akt: Zimmer beim Amtsrat. Wo kein zweites Bühnenbild möglich ist, verkürzt man das bisherige Bild durch einen Vorhang, der in der Mitte zur Seite hin etwas gerafft wird, umso einen Eingang anzudeuten. Die Türe vorne rechts bleibt, sie führt ins Schlafzimmer. Stammtisch wird entfernt. Das kleine Tischchen bekommt eine schöne Decke und nach Möglichkeit schöne Stühle. SPIELALTER: (junge) Erwachsene SPIELDAUER: ca. 90 Minuten

Vorspiel

Eine Bank vor dem Vorhang, auf der erschöpft der Schneider Strapinski sitzt. Schwedler tritt auf, betrachtet ihn kritisch, setzt sich neben ihn. Schwedler:

Muss man Sie sagen oder reichts noch zum du? Strapinski: (mehr melancholisch als mürrisch)

Mir egal. Schwedler:

Bist wohl ein feiner Hund? Strapinski:

Warum? Schwedler:

Na ja, so wie du aussiehst! Der Mantel so gut, die Pelzmütze nobel - Sie sind wohl doch einer von den Vornehmen. Erlauben Sie: ein armer Handwerksbursche bittet um eine milde Gabe.

Strapinski: (nach einem Seufzer) Bin selber einer.

Schwedler: Wie bitte?

Strapinski: Das Sprüchlein sag ich schon lange und vielleicht mit mehr Recht als du.

Schwedler: Da schlag einer lang hin. Auch Schuster?

Strapinski: Schneider.

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Schwedler: (singt) Ein Schuster und ein Schneider, die wollten nur mal eben zu ihrem eignen Zeitvertreib die Welt aus den Angeln heben.

Strapinski: Bist eine, lustige Haut.

Schwedler: Du nicht. Das ist nicht schwer zu merken. Schaust in die Welt wie drei Tage Riegenwetter.

Strapinski: Na, wenn man friert und nichts im Magen hat. Und nicht weiß, wohin.

Schwedler: Einen rechten Handwerksburschen stört das nicht. Die nächste Klinke geputzt - und schon gibt's was für den Magen. Im nächsten Heustadel untergekrochen - und das herrlichste Bett ist fertig.

Strapinski: Hab's doch versucht, mir gibt keiner was ...

Schwedler: Warum denn nicht?

Strapinski: Seh ich denn aus wie ein Handwerksbursch?

Schwedler: Aber Mensch, was machst du dich auch so fein, dass keiner dir anmerken kann, dass du von der edlen Schneiderzunft bist?

Strapinski: Weil ich in meinem ganzen Leben nur Pech hab, darum.

Schwedler: Das Pech hab ich weil ich ein Schuster bin. Aber hör mal, Freundchen, wenn der feine Mantel dich stört, dann schenk ihn doch mir! Ich verkauf ihn und mach mir einen guten Tag. Wie kommst du überhaupt zu dem vornehmen Ding? Hast ihn wohl - - - na?

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Strapinski: Ich hab ihn gar nicht. Mein Meister in Seldwyla machte Bankrott und konnte mir den Lohn nicht zahlen. Er gab mir dafür den Mantel und den Rock. Ein feiner Herr hatte sie bestellt aber nicht abgeholt.

Schwedler: Da hast du dich schön übers Ohr hauen lassen.

Strapinski: Ich war's zufrieden. Aber jetzt kann ich nicht fechten gehn, denn keiner gibt mir was.

Schwedler: Wenn du weiter keine Sorgen hast. Verkauf doch das Gelump und mach dich mit mir auf die Wanderschaft. (singt) Es wollt ein Schneider wandern am Montag in der Fruh. Begegnet ihm der Teufel hat weder Strümpf noch Schuh. He, he, du Schneidergesell, komm mit mir in die Höll, du musst uns Teufel kleiden, es gehe wie es wöll.

Strapinski: Hör auf mit dem dummen Lied.

Schwedler: Sobald der Schneider in d' Höll neinkam nahm er sein Ellenstab, er schlug den Teufeln die Buckel voll, die Höll wohl auf und ab. He, he, du Schneidergesell, musst wieder aus der Höll. Wir brauchen nicht das Messen, es gehe wie es wöll.

Strapinski: Bleib beim Leisten, Schuster. Hast ein einz'ges Muster. Einen wie den andern treten wir beim Wandern.

Schwedler: Nachdem er all gemessen hat, nahm er ein lange Scher und schnitt den Teufeln die Schwänzeln ab, sie hupften hin und her. He, he, du Schneidergesell, pack dich nur aus der Höll. Wir brauchen nicht das Stutzen, es gehe wie es wöll.

Strapinski: Nimm vom Kalb das Leder. Schustern kann nicht jeder. Geht der Schuh in Stücken, musst ihn eben flicken

Schwedler: Drauf nahm er Faden und Fingerhut Und fing zu nähen an. Er näht den Teufeln die Nasen zu, so eng er immer kann. He, he, du Schneidergsell, pack dich nur aus der Höll. Wir können nicht mehr schnaufen, es gehe wie es wöll.

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Strapinski: Pechdraht, Pfriem und Leisten! Wer flickt die allermeisten? Wer seine Händ' nicht zeigen kann, der ist fürwahr ein Schustersmann.

Schwedler: Nach diesem kam der Luzifer und sagt: es ist ein Graus. Kein Teufel hat ein Wedel mehr, pack dich nur aus der Höll. Wir brauchen keinen Schneider, es gehe wie es wöll.

Strapinski: (viel freundlicher) Ich hoff, dass du jetzt fertig bist. Mein Lied ist aus.

Schwedler: Meins noch nicht. Aber jetzt bist du endlich wieder munter geworden.

Strapinski: (wieder etwas melancholisch) Ich freu mich gar nicht, denn jetzt bin ich doppelt hungrig.

Schwedler: Dann komm weiter, in Seldwyla wirds wohl was zu essen geben.

Strapinski: Da komm ich eben her, und kein Zünftiger geht einen Weg zurück.

(Man hört Pferdegetrappel.)

Schwedler: Hast Recht. Na, dann adschüs. - du, sieh mal, da kommt einer vierspännig gefahren. So gut sollte man's auch mal haben.

Strapinski: Pa! Ich bin auch schon vierspännig gefahren.

Schwedler: Geh schneid nicht so auf.

Strapinski: Als ich gedient hab, war ich Kutscher beim General. Da bin ich jeden Tag vierelang gefahren.

Schwedler: Du, schau doch, die Kutsche ist ja leer. - He! Schwager!

Kutscher: He! Vetter!

Schwedler: Kannst keine Last brauchen für deinen Wagen? Die Gäul sticht ja der Hafer.

Kutscher: Prrr. Steh! (Das Getrappel hört allmählich auf, der Kutscher tritt auf mit

Peitsche in der Hand.)

Was soll's? Schwedler:

Hier ist ein Meister Fliegengewicht mit leerem Magen. Nimm ihn mit nach Goldach, sonst fällt er um vor Hunger.

Kutscher: Das ist keine Mietskutsche. Siehst nicht das Wappen vom Grafen Stiegelmannsfeld?

Schwedler: Und ob ich's seh, schön in Rot und Gold. Ein goldener Graf, und nett von ihm, dass er nicht drinsitzt in der Kutsche. Geh, sei kein Unmensch. Der Schneider sitzt dir das Polster nicht ab!

Kutscher: Ein Schneider bist? Mein Vater war auch einer.

Strapinski: Strapinski.

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Kutscher: Also, edler Herr von Strapinski, Graf von und zu Strapinski, steigen Sie ein, euer Gnaden. Die Rösser wiehern schon nach Stall und Futter.

Strapinski: Ich dank dir, Schuster - und leb' wohl. (ab mit dem Kutscher)

Schwedler: Nachdem er nun hat aufgepackt, da ward ihm erst recht wohl. Er hüpft und springet unverzagt, lacht sich den Buckel voll. Ging eilends aus der Höll und blieb ein Schneidergesell. Drum holt der Teufel kein Schneider mehr, es gehe wie es wöll. (ab)

1. AKT

Wirtsstube im Gasthaus zum Lamm. Wirtin und Köchin Anna. Die Wirtin prüft Silberbestecke oder ordnet Tischwäsche. Anna trocknet sich die Hände. Wirtin:

Das wärs also, Anna. Für heute reicht das Rindfleisch und die Hammelkeule. Und die Rebhuhnpastete ist ja auch noch da.

Anna: Die ist reserviert für die Abendherren. Und wie ich den Herrn Stadtschreiber Böhni kenne, vertilgt der allein die Hälfte. Der mag sie doch so gern.

Wirtin: Mich freut's, wenn's ihm schmeckt.

Anna: Was ich gekocht hab, hat ihm noch immer geschmeckt.

Wirtin: Anna! Anna! Man sagt zwar, Liebe geht durch den Magen, aber auf den Stadtschreiber dürfen Sie sich keine Hoffnungen machen. Der ist in festen Händen.

Anna: Was sagen Sie?

Wirtin: Nun, man sagt, dass er sich um Amtsrats Nettchen bemüht.

Anna: (unwillig, sie fummelt nur so mit dem Handtuch) Das Nettchen? Ach, die kann ja nicht kochen. Die und der Herr Stadtschreiber? Das glaub ich nicht.

Wirtin: Ich hab Sie jedenfalls gewarnt, Anna. - Mit dem Küchenzettel sind wir also fertig. Gibt's sonst noch was?

Anna: (wirft das Handtuch über die Schulter) Zwei Schnepfen hab ich noch hängen.

Wirtin: Die lass nur hängen bis ...

(Zimmermädchen Regine kommt aufgeregt durch die Tür links hinten.)

Regine: Frau! Eben ist ein feiner Wage vorgefahren mit goldenem Wappen und vierspännig. Ein Herr sitzt drin. Das ist sicher in Baron oder gar ein Graf.

Wirtin: (aus der Ruhe gekommen) Ja, da muss ich doch gleich meine Haare - hier, nimm die Schürze - ein Graf meinst du? Wo ist denn der Sepp? Sepp! Sepp! Wo steckt denn der Bengel? Sepp! Gäste kommen! (nach links ab mit Regine)

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Anna: (am Fenster) Ein feiner Herr! Der weiß sich zu benehmen. Und wie bescheiden. Fast sieht er aus, als wollte er vor unserer Frau davonlaufen, Ha, die lässt keinen aus. - Mein Gott, ich, muss ja in die Küche - die Pastete - die Schnepfen. - Der Sepp soll gleich eine Forelle ... und keine Torte ist da, kein Nachtisch. - Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht. (rechts ab)

(Wirtin, Regine, Strapinski, Kutscher)

Wirtin: Bitte, treten Sie ein, gnädiger Herr. Machen Sie sich's bequem. Sicher wünschen Sie ein Zimmer? Das Fürstenzimmer wär gerade frei. Sehr elegant und eine schöne Aussicht. Regine, der Sepp soll gleich im Fürstenzimmer einheizen. - Halt, Regine, nimm erst dem Herrn den Mantel ab. - Wo wünschen der Herr Platz zu nehmen? Am Stammtisch? Oder hier am kleinen Tisch?

Strapinski: Aber nein, ich möchte...

Wirtin: Nicht mit Fremden zusammensitzen. Das kann ich verstehen. Obwohl unsere Abendherren - also, alles was recht ist, es sind wirklich feine, welterfahrene Herren. Regine; die Speisekarte, tummel dich, Mädchen. - Vielleicht wünscht der Herr zuvor ein Glas Wein? Der Herr ist ja ganz durchfroren. Ja, das Wetter, der November ist kein Mai. Der Herr sind ja ganz blass vor Kälte! Gleich bringe ich einen schönen Tiroler, der wärmt.

(Strapinski am Tisch, den Kopf in dis Hand gestützt.)

Wirtin: (beim Kutscher, der neugierig in die Küche sieht, flüsternd) Ist wohl ein sehr feiner Herr?

Kutscher: (leise) Das will ich meinen. Mein Herr ist ein Graf von und zu.

Wirtin: Wirklich ein Graf? Ja, in meinem Haus verkehren nur vornehme Gäste. Darf man den Namen wissen?

Kutscher: Edler von Strapinski nennt er sich.

Wirtin: Wohl gar ein Pole? Da kommt er ja weit her. Und so mager, bleich und traurig, da sieht man das edle Blut.

Kutscher: Ja, sehr edel. Der hat sich noch nie den Finger an einer Nadel geritzt.

Wirtin: Es schickt sich nicht für Sie, über Ihren Herrn zu scherzen. Bleibt er länger hier?

Kutscher: Das weiß ich nicht. Mir hat er nichts gesagt. Aber Frau Wirtin, wenn ich auch nur ein einfacher Mann bin und kein Graf, so hab ich doch Hunger. Kann ich hier was zu essen kriegen?

Wirtin: Gehen Sie nur hinunter in die Kutscherstube, gleich durch die Küche, da gibt's was Handfestes. Aber ich will ja auch den Wein - kommen Sie gleich mit. (rechts ab mit Kutscher)

(Strapinski blickt auf, sieht sich verwirrt um, merkt, dass er allein ist, steht auf und greift nach seinem Mantel. Anna erscheint mit

einem Teller.)

Anna: O, der Herr frieren? Der Herr will seinen Mantel anziehen? Gleich soll besser geheizt werden. - Bitte, wollen der Herr die Güte haben. Nur ein paar kleine Appetithappen, bis das Essen fertig ist. Den Mantel häng ich schon wieder hin, wenn der Herr nun gütigst wieder Platz nehmen wollen.

Strapinski: Wie bitte? Ja, wenn Sie meinen. (isst hungrig)

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Anna: Gelt, das schmeckt? Ich sah doch gleich; dass der Herr Hunger hatten.

Wirtin: (von rechts) So, da wär er, der Tiroler. Anna, was machen Sie denn hier? Ist in der Küche vielleicht nichts zu tun?

Anna : Ich geh ja schon. (rechts ab)

Wirtin: Ach, die Anna! Kochen tut sie gut, aber aufdringlich ist sie. Sodele, der Wein. Wenn der Herr einmal kosten wollen.

Strapinski: (erschrocken, peinlich) Kosten? Waa - was kostet er denn?

Wirtin: Ich meine doch: versuchen, probieren. Aber der Herr Graf kommen ja aus Polen, da sagt man wohl anders.

Strapinski: (unruhig, erstaunt) Wie kommen Sie darauf? Und warum sagen Sie Graf zu mir?

Wirtin: Nun, man hat eben seine Informationen. Aber wenn der Herr Graf inkognito bleiben wollen - ich bin diskret. Ja, was ich noch sagen wollte: Ihr Kutscher sitzt wohl versorgt unten in der Kutscherstube!

Strapinski: (nervös) So.

Wirtin: Aber der Herr Graf trinken ja gar nicht. Es ist von meinem besten. Freilich, der Herr mag es besser gewöhnt sein!

(Böhni, Meier und Klinkhard treten von links auf.)

Wirtin: Ah, da kommen ja auch unsere Abendherren. Grüß Gott, meine Herren - belieben Platz, zu nehmen. (mit den Herren am Stammtisch, während Strapinski vor sich hinstarrt)

Meier: (interessiert, nicht neugierig) Wer ist denn der Fremde?

Wirtin: (stolz, dann vertraulich) Ein feiner Herr, Ein vornehmer Herr. Ein Graf aus Polen; aber sagen Sie es bitte nicht weiter. Er reist inkognito.

Klinkhard: (der Kann, der angeblich die Welt kennt) Ein Graf aus Polen? Was, Sie nicht sagen!

Böhni:(skeptisch) Haben Sie seinen Pass gesehen?

Wirtin: Aber wo werd ich denn! Für mich braucht's keinen Pass. Ich seh gleich, was an den Leuten dran ist. - Und haben Sie nicht die feine Kutsche gesehen, in der er gekommen ist? Die mit dem goldenen Wappen? So reisen nur feine Herren.

Böhni:(ironisch) Oder Hochstapler.

Wirtin: (empört, doch höflich) Herr Böhni! Ich lass mir von Ihnen meine Gäste nicht beleidigen.

Meier: Sachte, sachte. Herr Böhni meint' es ja nicht so schlimm, Sie kennen ihn doch.

Böhni: Meinen Schoppen, Frau Häberlin.

Wirtin: (etwas verstimmt) Ja, ja, ich bring ihn ja schon. (bedient)

Klinkhard: (zu laut, da es der Graf hören soll) Heute bekam ich von meinem Kompagnon aus Smyrna eine neue Sendung. Erstklassige Waren meine Herren.

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Böhni: Verdienstspanne nicht unter 100 Prozent. Prost Herr Klinkhard.

Klinkhard: (verschnupft) Ich bin ein reeller Kaufmann, Herr Stadtschreiber, und verbitte mir solche Bemerkungen.

Meier: Lassen Sie ihn doch. Er hat wieder mal seinen sauren Tag.

(Anna und Regine mit Schüsseln.)

Wirtin: Hier Herr Graf, das Essen. Ich wünsche gesegnete Mahlzeit und guten Appetit.

Strapinski: Ja, danke.

Wirtin: Regine, hier fehlt ein Löffel. Anna, wo ist der Nachtisch?

Anna: Gleich Frau, ich bring's schon.

(Mädchen ab.)

Meier: Wünsche gesegnete Mahlzeit.

Klinkhard: Schließe mich ergebenst an.

Strapinski: Danke. Sehr freundlich.

Wirtin: Haben der Herr Graf noch besondere Wünsche?

Strapinski: Nein. (isst hastig, doch mit Anstand)

Böhni: So habe ich noch keinen Grafen schlingen sehen.

Meier: Er ist halt hungrig von der weiten Reise. Aber soll denn heute gar nicht gespielt werden? Bitte, die Karten, Frau Häberlin.

Wirtin: Hier sind sie schon.

Meier: Danke. Wer gibt?

Klinkhard: Das letzte Mal haben Sie gewonnen.

(Die Herren spielen. Strapinski schiebt den Teller zurück.)

Wirtin: Ich hoffe, dass der Herr zufrieden ist.

Strapinski: O, es war ausgezeichnet.

Wirtin: Wie mich das freut. Des Gastes Lob ist mehr wert als Bezahlung.

Strapinski: Das - das freut mich ebenfalls, - für Sie, Frau Wirtin.

(Meier tritt an den Tisch.)

Meier: (wie immer freundlich, nicht untertänig) Darf ich dem Herrn Grafen zum Nachtisch eine Zigarre anbieten? Eine echte Brasil. Ganz exquisit.

Klinkhard: (etwas großtuerisch) Gehen Sie fort mit Ihren schwarzen Giftstängeln. Nach einer guten Mahlzeit eine türkische Zigarette. Bitte, Herr Graf.

Strapinski: Bin leider Nichtraucher. Aber die Herren sind sehr freundlich. Danke.

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Meier: Es soll uns eine Ehre sein, wenn Sie sich ein wenig zu uns setzen, Herr Graf. Vielleicht beteiligen Sie sich an einem kleinen Spielchen?

Strapinski: (etwas unsicher) Wenn die Herren erlauten, werde ich ein wenig zusehen.

(Alle am Stammtisch.)

Böhni:(anzüglich, boshaft) Das ist eine Kinderei mit solchen Einsätzen. Der Herr wird andere Spiele gewöhnt sein. Verdreifachen wir die Einsätze. Wollen Sie die Bank halten, mein Herr?

Strapinski: (verlegen) Zu viel Ehre ne das Spiel nicht. Und außerdem - kein Schweizer Geld.

Böhni: (zu hilfsbereit) Ich werde Ihnen gerne et was einwechseln.

Meier: (der ihn dem Böhni nicht gerne überlässt) Bemühen Sie sich nicht. Ich lege dem Grafen vor. Wir verrechnen dann später.

Strapinski: Sehr freundlich. Ich weiß nur nicht –

Meier: Bitte keine Einwände. Wer hält die Bank?

Böhni:(im neuen Angriff) Natürlich unser Gast. - Bitte zu geben, Herr. So danke.

Meier: Nun ich. - Zwei - drei - immer noch nicht. Vier. Halt, genug.

Klinkhard: Nicht schlecht. Noch eine. O, vierundzwanzig. Aus.

Meier: Sie haben Chancen, Herr Graf, sagt ich's nicht? Einundzwanzig. Ja, ja,. geborgtes Geld heckt. Das ist eine alte Erfahrung. (Man spielt weiter; Im Vordergrund Wirtin, die an dem indes abgeräumten Tisch die Decke ordnet, von rechts Regine.)

Regine: Das Zimmer ist fertig, Frau.

Wirtin: Hat der Sepp gut eingeheizt? - Und ist das gute Damastzeug überzogen? - Ich komm nachher nachsehen. Und noch was Regine. Der Sepp soll das Gepäck des Herrn Grafen herauftragen.

Regine: Ich werd's ihm sagen. (nach links ab)

Meier: (bewundernd) Herr Graf, Sie haben unerhörtes Glück.

Strapinski: Ja, ich weiß selbst nicht. Ich bin ganz verwirrt. (steht auf) Ich bitte mich zu entschuldigen. Ich muss ein wenig an die Luft.

Böhni: (heuchlerisch) Hat das kleine Spielchen Sie so. erregt? Sie sind doch sicher ganz andere Glücksspiele gewöhnt. Und andere Einsätze.

Strapinski: Warum glauben Sie das. (er wird unruhig)

Böhni: Vornehmheit verpflichtet, Noblesse oblige, Herr Graf, nicht wahr? - Aber Frau Häberlin, wo bleibt die Rebhuhnpastete, die Sie uns für heute versprochen haben?

Wirtin: Soll sofort angerichtet werden, meine Herren. – Anna, Anna, die Pastete. (rechts ab)

Böhni: (wie einer, der seinen Weizen blühen sieht) Allseits zum Wohle!

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Meier: Ihr Spezielles, Herr Graf.

Strapinski: Sie sind alle sehr freundlich zu mir, wirklich sehr freundlich. Aber ich möchte mich für einen Augenblick entschuldigen. Sie verzeihen. - Nur einen Augenblick. (nimmt seinen Mantel, geht nach vorn)

(Der Vorhang schließt sieh so weit hinter ihm, dass der Stammtisch verdeckt ist.)

Strapinski: Dem Himmel sei Dank! (sieht verstört nach allen Seiten) Was die nur von mir wollten mit ihrem ewigen: Herr Graf hier und Herr Graf dort. Es muss wohl eine Verwechslung sein. Aber satt bin ich für drei Tage. Der Wirtin schicke ich das Geld gleich morgen. Ich hab's ja jetzt. So leicht verdient es sich nicht in der Werkstatt. Das mit dem Grafentitel; das muss mir der Kutscher eingebrockt haben. Graf! (schütteln den Kopf) Froh bin ich, aus der Geschichte heraus zu sein. (will ab, stockt, da er die Stimmen auf der Bühne hört) Herr Graf! Herr Graf! Hat niemand den Grafen gesehen! Es wird ihm doch nichts zugestoßen sein? Hat ihn jemand fortgehen sehen? Mit Ihren dummen Redensarten haben Sie ihn verjagt, Herr Böhni. - Herr Graf! Herr Graf Strapinski!

(Strapinski versucht sich ganz links zu verbergen. Vorhang etwas öffnen. Meier kommt suchend.)

Meier: Ah, da sind Sie ja, Herr Graf. Wir haben Sie gesucht, befürchteten schon ein Unglück. Und dabei haben Sie sich offenbar nur verlaufen.

Strapinski: Ja, ich fand den Ausgang nicht.

Meier: (erstaunt, bedauernd) Wie, Sie wollten uns wirklich heimlich verlassen?

Strapinski: (gesuchte , Ausrede) Nein, nein. Ich wollte nur an die frische Luft. Mir war nicht ganz wohl.

Meier: (werbend) Meine Freunde sind ungeduldig auf ein neues Spielchen. Sie müssen ihnen Revanche geben. Aber kommen Sie herein. Ich friere wie ein Schneider.

Strapinski: (ertappt) Wie ein Schneider? Wieso?

Meier: (war ich verletzend?) Eine Redensart, die Sie als Pole natürlich nicht kennen können.

(Vorhang geht wieder ganz auf, die Herren stehen, Wirtin räumt den Stammtisch ab.)

Böhni:(dacht mir's doch, dass der nicht davonfliegt) Na, bringen Sie den Ausreißer zurück?

Meier: (leise, ungehalten) Welch ein Ausdruck. Der Herr Graf ist doch kein Zechpreller!

Böhni: Habe ich das behauptet? -- Was halten die Herren von einem steifen Grog?

Klinkhard: (beipflichtend) Ein Wort zu seiner Zeit. Frau Häberlin, haben Sie gehört?

Wirtin: Rum oder Arrak. Ach ja, ich weiß schon: Rum. (rechts ab)

(Amtsrat Fiedler und Tochter Nettchen von links.)

Böhni: O, der Herr Amtsrat! Und Fräulein Nettchen. Meine Reverenz, gnädiges Fräulein.

(Handreichen herum.)

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Amtsrat: (vornehm, warmherzig) Guten Abend, meine Herren. Bitte, lassen Sie sich nicht stören. Wir wollen uns nur ein wenig aufwärmen, Wir kommen vom Herrn Präsidenten und sind nach zweistündiger Fahrt ganz durchfrören.

Nettchen: Du, Papa, mir ist ganz warm.

Meier: Darf ich Ihnen unsern neuen Freund, den Grafen Strapinski vorstellen.

Amtsrat: Freut mich. Amtsrat Fiedler. Das ist meine Tochter Nettchen. Übrigens Strapinski - Strapinski - ich glaube, ich habe den Namen schon einmal gehört.

Nettchen: (indem sie sehr freundlich die Hand gibt) Es ist gewiss ein sehr alter Name.

Strapinski: Ich weiß nicht, aber es mag wohl sein, mein Fräulein. Ich habe noch nie darüber nachgedacht.

Nettchen: Über Selbstverständlichkeiten macht man sich keine Gedanken.

Amtsrat: Wir wollen uns setzen, meine Herren.

(Böhni hat ihm aus dem Mantel geholfen, dabei nach Nettchen gesehen.)

Böhni: (nun bei ihr) Bitte, Fräulein Nettchen, hier ist ein bequemer Stuhl.

Nettchen: (mehr unruhig als kühl) Danke, Herr Böhni. Ich möchte erst Frau Häberlin begrüßen. (Wirtin mit Regine, die bedient und dann abgeht - beide von

rechts.)

Wirtin: O, welch seltene und liebe Gäste. Guten Abend, Fräulein Nettchen. Nein, Sie werden ja immer hübscher. Wo soll das noch hinaus? Guten Abend, Herr Amtsrat.

Amtsrat: (gibt ihr die Hand) Immer munter, Frau Häberlin? Das ist recht. Ja, mein Nettchen ist jetzt aus der Pension zurück und bleibt bei mir.

Wirtin: Bis eines Tages einer kommt und sie mitnimmt.

Nettchen: (heiter) Heiraten? Ich denke ja gar nicht dran. - Aber Frau Häberlin, könnte ich mich wohl ein wenig frisch machen?

Wirtin: Gewiss, Fräulein Nettchen. Kommen Sie nur.

Nettchen: (im Abgehen) Nun sagen Sie bloß, wer ist denn der interessante Fremde?

Meier: Ihr Wohl, Herr Amtsrat.

Amtsrat: Komme nach, Herr Meier.

(Sie trinken.)

Wie geht's Geschäft? Meier:

Kann nicht klagen. Nur für die Schneiderei fehlt mir wieder -eine tüchtige Kraft. Meinen letzten Zuschneider habe ich wegjagen müssen.

Strapinski: Sie sind Schneider?

Meier: Leider nicht, Herr Graf. Ich habe nur ein Stoffgeschäft mit angeschlossener Schneiderwerkstatt. Da ich aber selbst nichts vom Handwerk verstehe, bin ich ganz auf meinen Meister angewiesen. Aber das wird sie schwerlich interessieren.

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Strapinski: Das interessiert mich sogar sehr. (jetzt muss es raus!) Offen gesagt ich bin nämlich - -

Böhni: (herausfordernd) Nun sagen sie bloß, dass Sie selber Schneider sind, Herr Graf.

Strapinski: (Angst vor der Reaktion) Und wenn ich's wäre?

(Gelächter)

Klinkhard: (wischt alle Zweifel weg) Ein Schnei der - ein Schneider, der vierspännig fährt! Das ist wenigstens was Neues.

Meier: So einen guten Witz hab ich schon lange nicht gehört.

Amtsrat: Köstlich, Herr Graf. Ganz köstlich.

Nettchen: (kommt) Die Herren sind j a sehr vergnügt. Darf man mitlachen?

Amtsrat: Komm setz dich, Kind. Ja, stell dir vor, der Herr Graf wollte uns glauben machen, er sei ein Schneider.

Nettchen: Der Herr Graf weiß sicher nicht einmal, auf welchen Finger man den Fingerhut steckt.

Klinkhard: Ich schätze auf den Zeigefinger, denn der ist der vorwitzigste.

Meier: Nein, auf den Ringfinger, denn der ist der kostbarste.

Böhni: Ich für mein Teil bin für den Daumen, denn der ist am empfindlichsten. Übrigens, Herr Amtsrat ...

(Unterhaltung der Herren)

Strapinski: (ruhig zu Nettchen) Sie machen sich über mich lustig.

Nettchen: (liebenswürdig) Aber nein, Herr Graf, Sie werden doch einen Spaß verstehen.

Strapinski: (bitter) Macht es Ihnen Freude, sich auf Kosten anderer lustig zu machen?

Nettchen: Nein, Herr Graf, das dürfen Sie nicht denken. So war es nicht gemeint. Es kann Sie doch nicht kränken, dass wir Ihnen den Schneider nicht glauben wollen?

Strapinski: Sie sollten darüber nicht scherzen, Fräulein Nettchen. Gerade Sie nicht.

Nettchen: Weil ich nur eine bescheidene Bürgertochter bin?

Strapinski: (bestimmt) Weil Sie eine freie Schweizerin sind.

Nettchen: Ich danke Ihnen, dass Sie mich daran erinnern, Herr Graf. Mit Ihnen kann man sich gut verstehen. Sie sind so gar nicht adelsstolz.

Strapinski: Wie käme ich auch dazu.

Nettchen: Sie haben wohl schon viel Schweres durchgemacht, Herr Graf. Sonst könnten Sie doch nicht so frei denken.

Strapinski: Es hat jeder sein Schicksal. Und mich hat es schon tüchtig in der Welt umhergeworfen. - Aber heute - heute bin ich glücklich wie noch nie.

Nettchen: Sie sind heute glücklich?

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Strapinski: Sehr. Und können Sie sich denken, warum?

Nettchen: Woher sollt ich's wissen?

Strapinski: Weil ich - weil Sie - weil uns heute kennen lernten.

Nettchen: (verlegen) O, Herr Graf.

Wirtin: (kommt) Sie, müssen entschuldigen, Herr Graf. Es ist mir so entsetzlich peinlich -

Strapinski: (wie erwachend) O, ist es herausgekommen?

Wirtin: Was soll denn herausgekommen sein? Es ist gar nichts herausgekommen - aus der Kutsche nämlich.

Meier: Sie sprechen in Rätseln, Frau Häberlin.

Wirtin: Der Kutscher des Herrn Grafen ist doch schon vor einer Viertelstunde weitergefahren. Er sagte, der Herr Graf wüsste Bescheid und deshalb habe ich's nicht gemeldet. Und jetzt stellt sich heraus...

Strapinski: (erregt) Was hat er gesagt?

Wirtin: (verzweifelt) Gesagt? Nichts. Aber er trägt keine Schuld. Der Sepp, der faule Bursche, hat vergessen das Gepäck aus der Kutsche zu holen, obwohl ich es ihm heilig auf die Seele gebunden hatte. Und jetzt eist die Kutsche über alle Berge und der Herr Graf hat sein Gepäck nicht.

Strapinski: Und das - das Bündel, das im Wagen lag, hat er auch mitgenommen?

Wirtin: (niedergeschlagen) Er hat nichts zurückgelassen. Ach, Herr Graf, es ist mir ja so peinlich. Man müsste sofort einen reitenden Boten -

Strapinski: (eifrig) Nein, bemühen Sie sich nicht. Es ist nicht so wichtig.

Nettchen: Daran erkennt man den Mann von Welt, der jedes, Missgeschick gelassen hinnimmt. Ich bewundere Sie, Herr Graf.

Strapinski: O, Fräulein Nettchen. Wenn Sie wüssten, wie wenig Veranlassung dazu besteht.

Meier: Das Unglück ist ja auch nicht so groß. Wenn der Kutscher merkt, dass das Gepäck noch im Wagen ist, dann wird er sofort umkehren.

Böhni: (höhnisch) Das glaube ich nicht.

Wirtin: Vielleicht weiß Herr Böhni überhaupt etwas Näheres. Er hat sich doch gleich nach dem Essen eine ganze Weile mit dem Kutscher unterhalten. Ich meine sogar, er hat ihm Geld in die Hand gedrückt.

Böhni: (unwirsch) Unsinn. Da müssen Sie sich verguckt haben.

Klinkhard: (großtuend) Aber das ist ja alles nicht so schlimm. Ich stelle dem Herrn Grafen gern das Notwendige aus meinem Bestand zur Verfügung, bis seine Sachen zurückkommen oder er sich neu equipiert hat.

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Meier: (ehrlich) Sie nehmen mir das Wort vom Munde. Ich bitte Sie, Herr Graf, über meine bescheidene Habe zu verfügen.

Amtsrat: Selbstverständlich stehe auch ich jederzeit zur Verfügung. Mein Diener wird nachher einen Koffer mit dem Nötigsten herüberbringen.

Strapinski: (befreit, und doch: wie soll das enden?) Sie sind alle so freundlich zu mir. Ich weiß nicht, wie ich dafür danken soll.

Klinkhard: Von Dank kann keine Rede sein. Es ist uns eine Ehre, Ihnen zu helfen. - Aber Herr Amtsrat; wir wurden unterbrochen.

(Herren reden für sich.)

Strapinski: (zu Nettchen, bitter) Vielleicht wäre es aber besser, mich meinem Schicksal zu überlassen.

Nettchen: (schockiert) Ist das nun Stolz - oder Hochmut.

Strapinski: Keins von beiden, Fräulein Nettchen. Ich sagte das mehr in Ihrem als in meinem Interesse.

Nettchen: (enttäuscht) Dann habe ich mir nur eingebildet, dass wir uns gut verstehen. (steht auf) Komm, Papa, es ist schon spät, wir wollen heimgehen.

Strapinski: (ihr ganz nahe) Nun böse. Das tut mir sehr weh.

Nettchen: (abgewandt) Sie haben uns zurückgewiesen, Herr Graf. Nicht wir Sie.

Strapinski: Wie könnte ich das. (zu allen, entschlossen) Nein, ich bleibe. Und, das freundliche Angebot der Herren nehme ich gerne an.

Amtsrat: Na also. Es wäre auch das erste Mal, dass mein Nettchen nicht ihren Willen durchsetzte.

Meier: Ihr Entschluss freut mich außerordentlich, Herr Graf.

Klinkhard: Nicht nur für uns, für ganz Goldach ist es eine besondere Ehre und ein Vergnügen.

(Böhni schlendert zum Fenster, spricht also abseits von der Gruppe um Strapinski.)

Böhni: So ist's recht. Kriecht Ihr nur vor Euerm vermeintlichen Grafen. Demütigen will ich euch, vor allem dich, mein hochnäsiges Nettchen. Du sollst mich noch auf den Knien darum bitten, mit meinem guten Namen deine Blamage zu verdecken. - (zu den anderen tretend) Falls mit dem Gepäck auch Ihre Effekten abgereist sein sollten, Herr Graf -- ich stehe Ihnen mit meinen Mitteln jederzeit gern zur Verfügung. Das soll mir der Spaß wert sein.

Strapinski: (erschrocken) Wie bitte?

Böhni: Ach, das ist nur so eine Redensart. (reibt sich die Hände)

(Ende des ersten Bildes)

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2. AKT

Zimmer beim Amtsrat. Rosi und Johann. Johann beim Silberputzen, Rosi mit Staubwedel. Rosi: (singt in G'stanzelton)

Mein Schatz der ist lieb, aber reich ist er nit doch was nützt mir der Reichtum, Geld küss i j a nit.

Johann: (der einen Stock verschluckt zu haben scheint, kühl bedauernd) Warum singen Sie immer so leichtsinnige Lieder, Fräulein Rosi!

Rosi: (spitzbübisch) Hören's lieber was von der Treu? (singt) Es war einmal ein treuer Husar der liebt sein Mädel ein ganzes Jahr, ein ganzes Jahr und noch -

Johann: (als wäre sein Innerstes beleidigt) Hör'n Sie auf, hör'n Sie auf! - Nein, so was Unseriöses wie Sie, dürfte es gar nicht geben.

Rosi: (Oho!) Ich bin aber da. Und mich freut's, dass ich da bin. Und wenn Sie sich auf den Kopf stellen, Herr Johann.

Johann: (will sie los werden) Wie kommt es überhaupt, dass Sie sich immer gerade dort zu tun machen wo ich zu arbeiten habe?

Rosi: (höhnend) Arbeiten nennen Sie das? Ein bisserl Silberputzen, dem Herrn die Röck' ausbürsten, auf einem Tablett Visitenkarten umeinander tragen, Zigarren stibitzen und Sektflaschen auf die Seit' bringen. Das nennen Sie arbeiten?

Johann: (wie erbleichend) Fräulein` Rosi, ich muss doch sehr bitten! Über meine Tätigkeit steht Ihnen kein Urteil zu. Für den Herrn Amtsrat bin ich unentbehrlich, das sagt er oft genug.

Rosi: (ein bisschen bös) Meinen Sie vielleicht, der kriegt nicht auch allein seine Zigarrenkistl leer?

Johann: (wieder mit erhobener Nase) Sie sind eine unausstehliche Person. Ich hoffe, Fräulein Antoinette wird Ihnen das vorlaute Wesen bald abgewöhnen.

Rosi: (scheinbar harmlos) Fräulein Nettchen? Die hat selber gern lustige Leut um sich. Wissen Sie, was sie von Ihnen gesagt hat? Der Johann; sagt sie, der kommt mir vor wie ein Marabu.

Johann: Wie ein - was?

Rosi: Wie ein Marabu. Das ist ein Vogel, ein grauslicher. Hat Beine wie zwei Stecken und verbeugt sich immer feierlich nach allen Seiten. (parodierend) Sehr wohl, Herr Amtsrat, zu Diensten, gnädiges Fräulein.

Johann: (beleidigt) Sie sind eine unverschämte Person. Das hat das gnädige Fräulein nie von mir gesagt. - Ich habe Sie übrigens vorhin etwas gefragt.

Rosi: Warum ich grad dort bin, wo Sie „arbeiten", wie Sie's nennen.. Das hat drei Gründ. Erstens mal, weil's mir Spaß macht, Sie zu frozzeln, zweitens weil ich weiß, dass Sie mich zum Teufel wünschen, denn dort steht die Cognacflasche vom gnädigen Herrn und drittens, weil ich hier abzustauben hab. (fährt mit dein Staubwedel über seine wohl geordnete Frisur)

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Johann: (fast außer sich) Sie impertinentes Frauenzimmer! Warten Sie, das sollen Sie büßen. (Beide jagen um den Tisch, Johann ungelenk, Rosi mit viel

Gekicher und Gelächter. - Nettchen kommt.)

Nettchen: Nanu, was ist denn hier los?

Johann: (erschrocken) O, das gnädige Fräulein. Gnädiges Fräulein mögen entschuldigen. Bin etwas derangiert.

Nettchen: (ehrlich herzlich) Das sehe ich. Wenigstens ein menschlicher Zug bei aller Vollkommenheit. Das beruhigt mich richtig, Johann!

Rosi: (übermütig) Das kommt daher, weil ich ihn frisiert hab. Es war nur zu wenig. Bei so viel Pomad' müsst man ihn mit der Drahtbürst gegen den Strich striegeln.

Nettchen: Still, Rosi. - (lächelnd) Vergreife dich nicht an seiner männlichen Würde. Wenn die wegfällt, bleibt vom Johann nichts mehr übrig, und das wäre doch schade. - Ich habe nach dir geklingelt, aber du kamst nicht. Du musst mir die Wickel aus den Haaren machen.

Rosi: Gehen wir in die Schlafkammer hinüber?

Nettchen: Nein, da ist es kalt, der Ofen ist ausgegangen.

Rosi: Ich hol nur grad die Bürste und den Kamm.

Nettchen: Gut! (Rosi ab, kommt während des Folgenden zurück und kämmt

Nettchen.)

Sie können ruhig bleiben, Johann, und Ihre Arbeit fertig machen.

Johann: Sehr wohl, gnädiges Fräulein Antoinette.

Nettchen: Sie haben schon in vielen Häusern gedient, Johann?

Johann: (stolz) Sehr wohl, in den Schlössern und auf den Gütern der erlesensten Gesellschaft, bei Baronen, Fürsten und Grafen.

Nettchen: (harmlos) Wie interessant. Aber haben Sie Ihre Stellung so häufig gewechselt!?

Johann: Das lag an den jeweiligen Umständen, gnädiges Fräulein.

Rosi: Oder an den Zigarrenkisten der großen Herren. Der Johann hat nämlich einen guten Geschmack und lange - ich meine gepflegte - Finger.

Nettchen: (leicht unwirsch) Das will ich ja gar nicht wissen. - (interessiert) Sagen Sie, Johann, ist Ihnen einmal ein Graf Strapinski begegnet? Ich meine, es könnte ja sein.

Johann: (überlegt) Strapinski? - Strapinski? einen Moment bitte - Strapinski? Ja richtig, war das nicht der Intimus von Seiner Durchlaucht Prinz Dagobert?

Nettchen: (mit Herzklopfen) Sie kennen ihn also? Erzähren Sie doch von ihm.

Johann: (spielt sich auf) Ja, wie war das doch. Der Graf war ein Jugendfreund von Seiner Durchlaucht und die beiden Herren hatten durchaus dieselben Ambitionen.

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Nettchen: Was für Ambitionen?

Johann: Gutes Essen und Trinken. - Sehr gutes Essen und auserlesenes Trinken. - Dann das Glückspiel - und natürlich die Weiber.

Nettchen: Ach!

Johann: (nun vollends im Zug, kostet er die Aufmerksamkeit aus) Ja, ich entsinne mich noch an eine kleine Ballettratte, auf die war der Graf ganz versessen. Er hat sie seiner Durchlaucht dem Prinzen Dagobert ausgespannt, und es wäre beinahe zu einem Duell zwischen den Herren gekommen. Aber dann haben sie sich wieder versöhnt und beide großmütig verzichtet, denn die Kleine war inzwischen mit einem Husarenleutnant durchgebrannt. Das Versöhnungsgelage hat zwei Tage und zwei Nächte gedauert.

Nettchen: Das ist ja schrecklich.

Johann: Später habe ich den Grafen noch einmal wieder gesehen. - Da brauchte er sich die Haare nicht mehr zu färben, weil er keine mehr hatte, ging an zwei Stöcken und wackelte mit dem Kopf. (mimt das)

Nettchen: Um Himmelswillen! Was erzählen Sie da? Wann ist denn das gewesen?

Johann: Das kann gut und gerne seine zwanzig Jahre her sein.

Nettchen: Zwanzig Jahre? - Ach du liebe Güte, hatte ich einen Schrecken.

Johann: Das tut mir Leid, gnädiges Fräulein. Übrigens fällt mir ein, der Graf hieß gar nicht Strapinski, nein, Gablonski oder so ähnlich.

Nettchen: (befreit) Mag er geheißen haben wie er will, was geht mich dieser wüste Mensch an. - Fertig, Rosi?

Rosi: Sogleich, Fräulein Nettchen.

Johann: Hat das gnädige Fräulein noch Befehle?

Nettchen: Nein, danke, Johann. Sie können gehen.

Johann: Sehr wohl. (ab)

Rosi: So. - Einen Augenblick, nur noch abbürsten, Fräulein Nettchen

Nettchen; (streckt und dehnt die Arme)., Ach Rosi, mir ist heute so leicht und fröhlich zumut, ich könnte die ganze Welt umarmen. Kennst du das Gefühl?

Rosi: Freilich. So ist mir's immer, wenn ich verliebt bin. (trällert) Dann ist der Himmel so blau, so blau, und die Sonn scheint so schön, so schön -

Nettchen: (glaubt, was sie sagt) Unsinn, verliebt! In wen sollte ich verliebt sein? Das ist nur, weil ich wieder daheim bin. Komm, du, lass uns eins tanzen. Ja?

(Sie tanzen eire paar Schritte. Amtsrat kommt.)

Amtsrat: Ei, immer feste im Takt, da möchte man ja mitmachen. (Nettchen bei ihm) Es ist doch gut, dass wieder junges Leben im Haus ist. Es war die Jahre über gar so einsam für mich.

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Nettchen: (auch das glaubt sie) Ja, Vater. Und jetzt bleibe ich für immer bei dir.

(Rosi ab.)

Amtsrat: Für immer? Das ist ein großes Wort. Nein, Kind, so egoistisch bin ich nicht. Aber ein paar Jahre lang möchte ich mein Töchterchen gern für mich behalten.

Nettchen: Und mir gefällt's so gut hier draußen auf dem Land. Keine engen Gassen, kein Hasten und Lärmen, Licht und Luft überall und dazu unsere schönen Berge.

Amtsrat: Wenn dir's nur nicht zu einsam wird mit der Zeit.

Nettchen: Ich hab ja dich. Du, Vater, hör doch mal! –

(Schlittenglocken, Peitschengeknall, Lachen, Stimmen.)

Amtsrat: Es scheint, da kommt Besuch. Ein Angriff auf meinen Weinkeller, Nettchen. Das haben die Herren sich so angewöhnt während meiner einsamen Jahre.

Nettchen: Und warum sollten sie es nicht beibehalten? Ich freue mich doch auch über fröhliche Gäste.

Amtsrat: Nun ja, bisher waren es ausgesprochene Herrenpartien, eigentlich nichts für junge Mädchen. Aber in Zukunft werden wir die Herren bitten, auch ihre Damen mitzubringen.

Johann: Stadtschreiber Böhni, Kaufmann Klinkhard, Herr Meier und ein fremder Herr wünschen den Herrschaften ihre Aufwartung zu machen.

Amtsrat: Nur herein mit ihnen.

(Die Genannten treten ein, Begrüßung, Strapinski bescheiden im Hintergrund.)

Meine Herren, ich beglückwünsche sie und mich zu der ausgezeichneten Idee, uns hier in unserer Abgeschiedenheit zu überfallen. Vor allem aber freue ich mich, dass Sie, Graf Strapinski, uns die Ehre geben.

Meier: (erfreut) Ja, denken Sie, lieber Amtsrat, welch ein Zufall. Wir wollten den Grafen zu dieser Partie auffordern, er war aber nicht aufzufinden. So fuhren wir ohne ihn los. Aber gerade an der Stelle wo der Weg hierher von der Straße abbiegt, trafen wir ihn einsam durch den Schnee stapfend.

Böhni: (höhnisch) Er ging, als wolle er heute noch das Ende der Welt erreichen.

Meier: (arglos) Ja, er sah nicht rechts und nicht links. Und er erschrak förmlich, als wir ihn anriefen. Er wollte auch nicht mit uns kommen.

Klinkhard: (Unterfon der Schadenfreude) Erst als Herr Böhni ihn fragte, ob er sich nicht getraue, den Schlitten zu führen, wo doch die Polen als waghalsige Fahrer bekannt seien, da sprang er auf und nahm die Zügel.

Meier: (begeistert) Und dann gab's eine Fahrt! Donnerwetter, Donnerwetter! Das war eine Lust.

Klinkhard: (tut, als ob er nur berichte) Der Herr Stadtschreiber aber war weiß wie der Schnee, klammerte sich mit beiden Händen fest und stöhnte immer: Langsamer! Fahren Sie doch vernünftig!

Böhni: (wegwerfend) Glauben Sie, ich will mir von nichts und wieder nichts das Genick brechen?

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Amtsrat: (mit verbindlichem Humor) Warum haben Sie den Grafen auch in seiner nationalen Ehre gekränkt. Dafür mussten Sie büßen. - Mein Kompliment für Ihr kavaliermäßiges Verhalten, Graf Strapinski.

Nettchen: Nun sieh einer diese Bescheidenheit. - Aber etwas müssen Sie mir erklären, Graf. In Ihrer Heimat fährt man doch häufig mit drei Pferden. Wie wird denn da geschirrt?

Strapinski: Das ist sehr kompliziert, mein Fräulein, das müsste ich Ihnen aufzeichnen.

Nettchen: Hier sind Papier und Stifte. Kommen Sie.

(Beide am kleinen Tisch, Nettchen sitzend, Strapinski stehend, zeichnend und erklärend.)

Amtsrat: Und wir werden inzwischen unser gewohntes Spielchen vorbereiten. Johann, den Bordeaux ins Herrenzimmer. Darf ich bitten, meine Herren.

(Alle nach hinten ab bis auf Strapinski und Nettchen, die nur ihn sieht.)

Strapinski: Die Leine wird also zuerst durch diese Öse geführt, dann hier herum, so dass sie sich mit der des Mittelpferdes trifft - - aber Fräulein Nettchen, Sie hören mir ja gar nicht zu.

Nettchen: (wie erwachend) O doch, ich habe gut aufgepasst. Erst hier herum, dann dort und - ja, dann so hinüber.

Strapinski: (lächelt) Ich fürchte, auf diese Weise würden Sie die arme Kreatur erdrosseln.

Nettchen: Nun, lassen wir das. Ich versteh's doch nicht. Mit meiner alten Liese allein komm ich ja ganz gut zurecht. - Hat in Ihrer Heimat auch jeder Schlitten einen besonderen Namen?

Strapinski: (ablenkend) Nein. Ich sah aber, dass der Schlitten von Herrn Böhni „Zum Teich“ heißt. Soll das etwas bedeuten?

Nettchen: Das bedeutet, dass der Besitzer des Schlittens Geduld hat, und - wenn es sein muss - dreißig Jahre lang auf sein Glück warten kann.

Strapinski: (sieht Nettchen bedeutungsvoll an) So. Nein, das wäre nichts für mich. - Und wie heißt Ihr Schlitten?

Nettchen: Fortune. Das Glück.

Strapinski: (bewegt) Ja, das ist ein schöner Name. Im Glück möchte ich gerne fahren, mit Ihnen, Fräulein Nettchen. Im Glück ins Glück. - Verzeihen Sie, halten Sie mich bitte nicht für unbescheiden.

Nettchen: (begeistert) Aber wieso denn? Ich mag ja auch gerne mit Ihnen fahren. - - Ich meine, nachdem Ihre Fahrkunst so gelobt wurde, möchte ich für mich gerne etwas davon profitieren.

Strapinski: Ach, damit ist es gar nicht so weit her.

Nettchen: Sie sollten Ihr Licht nicht so unter den Scheffel stellen, Graf Strapinski. Hierzulande bewertet man die Menschen gern nach ihrem Auftreten und ihrer äußeren Erscheinung.

Strapinski: (bitter lächelnd) Das habe ich bereits bemerkt, denn diese Eigentümlichkeit Ihrer Landsleute hat mich in eine schiefe Situation gebracht. - Und meine äußere Erscheinung ist zurzeit auch nicht vollkommen, denn bei der wilden Fahrt vorhin, ist mir an der Jacke dieser Knopf abgerissen.

20

Nettchen: Wahrhaftig! Den Schaden werden wir schnell beheben. (holt Nähzeug)

Strapinski: Aber, gnädiges Fräulein werden doch nicht selbst - (im Schneiderelement) bitte geben Sie mir die Nadel und erlauben Sie mir gütigst die Jacke auszuziehen -

Nettchen: Aber Herr Graf, was fällt Ihnen ein, das gäbe eine schöne Näherei mit Ihren ungewohnten Händen! Ich könnte ja Rosi rufen, aber die wird in der Küche alle Hände voll zu tun haben. Da müssen Sie mir schon erlauben. - (näht) So, gleich sitzt er wieder fest.

Strapinski: Nicht zu fest, sonst lässt er sich nicht knöpfen.

Nettchen: (übermütig) Hu, welche Sachkenntnis. Die sollte man so einem feinen Herrn gar nicht trauen.

Strapinski: (bedächtig) Vielleicht ist der Herr gar nicht so fein, wie es scheint. (nimmt sich ein Herz) Fräulein Nettchen, ich möchte Ihnen gerne etwas sagen -

(Musik klingt leise, Geige oder Leierkasten.)

Nettchen: Still! Hören Sie? Das ist der blinde Sepp. So lange habe ich den nicht mehr gehört.

(Nettchen immer noch am Knopf beschäftigt, wiegen sich beide im Takt leise hin und her. Dann legt Strapinski sehr leicht den Arm um Nettchen und sie fangen wie unbewusst an zu tanzen. Langsam,

leicht und schwebend. - Nach einiger Zeit kommt Böhni.)

Böhni: (als habe er nichts gesehen) Ich wollte nur mal nachschauen, wo Sie bleiben Herr Graf. - (tut überrascht) O, welches Idyll, hoffentlich störe ich nicht.

Nettchen: (tritt verstört etwas zurück) Wie bitte? Ach, Sie sind's, Herr Böhni, nein, Sie stören nicht. Graf Strapinski zeigte mir nur eben einige neue Tanzschritte, wie sie neuerdings in Paris Mode werden.

Strapinski: Vorsicht, Fräulein Nettchen, der Faden!

Nettchen: Ach ja, ich muss rasch eine Schere holen.

Strapinski: Nicht nötig, bemühen Sie sich nicht. (beißt den Faden ab)

Böhni: (betont) Eine zünftige Bewegung, Herr Graf. Fast wie bei einem gelernten Schneider.

Nettchen: (scharf) Das ist eine ganz dumme Bemerkung, Herr Stadtschreiber. Der Herr Graf wollte mir nur den Weg um die Schere ersparen.

Böhni: (verbindlich) Es ist zweifellos sehr höflich, sich deshalb die Zähne zu strapazieren. - Aber weshalb ich hereinkam, Graf Strapinski. Sie werden drüben als vierter Mann beim Spiel gebraucht. Ich habe heute Pech und möchte einige Runden aussetzen.

Strapinski: (mit Blick auf Nettchen) Das tut mir Leid.

Böhni: (gemein) Ihre Teilnahme ehrt mich. Aber gehen Sie nur hinüber, die Herren warten schon ungeduldig auf Sie. Ich werde inzwischen gerne Fräulein Nettchen Gesellschaft leisten.

(Strapinski ab.)

21

Nettchen: (eisig) Zu gütig. Aber meine Hausfrauenpflichten lassen mir keine Zeit zu einem Plauderstündchen.

Böhni: (mit der ihm möglichen Wärme) Ihre Hausfrauenpflichten schienen Sie bis eben nicht sehr zu bedrücken, Fräulein Nettchen. Was dem Grafen recht war, dürfte mir als altem Freund des Hauses wohl billig sein.

Nettchen: (einer Anstandspflicht genügend) Nun also, setzen wir uns für ein paar Minuten. - Wie geht s Ihrer Frau Mutter, Herr Stadtschreiber?

Böhni: Sie wartet sehnsüchtig auf die Schwiegertochter, die ich ihr ins Haus bringen soll, denn die Arbeit in dem großen Haus wird ihr nun bald zu viel. Und Sie wissen ja; sie gehört noch zu der kraftvollen Generation, die nichts den Dienstboten überlässt, was sie selbst besser machen könnte.

Nettchen: (kurz, sachlich) Ich weiß. Keine Magd hat es bisher länger als einen Monat bei ihr ausgehalten.

Böhni: Das liegt daran, dass das junge Mädchenvolk keinen Ernst und kein Pflichtgefühl mehr hat. Mit einem Taler Monatsgeld sind sie nicht mehr zufrieden und dann wollen sie gar noch alle vier Wochen einen Sonntag frei haben. Und dabei sind sie sogar frech und geben Widerworte, wenn die Mutter zankt.

Nettchen: (in Böhnis Ton) Dann haben sie freilich keine Zeit zum Arbeiten, denn Ihre liebe Mutter zankt doch den ganzen Tag über.

Böhni: Ja, leider hat sie ein so cholerisches Temperament, dass ich oft gezwungen bin, mich im Wirtshaus davon zu erholen. Deshalb habe ich mich nun entschlossen, mir eine Frau zu nehmen, damit es daheim gemütlicher wird.

Nettchen: (spitz) Und damit Ihre Mutter einen Blitzableiter hat, wenn Sie im Amt sind.

Böhni: Aber Fräulein Nettchen, so dürfen Sie das doch nicht ansehen. Wenn Sie - - ich meine, wenn die junge Frau erst einmal im Haus ist, dann wird meine Mutter sicher gerne einen Teil ihrer Pflichten abtreten.

Nettchen: Davon bin ich überzeugt. Sie wird nur noch kommandieren und das arme Schaf darf die Arbeit tun. Es wird ihr nicht anders gehen, als den Mägden. Nur mit dem Unterschied; dass sie den Dienst nicht aufsagen kann.

Böhni: (beteuernd) So weit wird es nie kommen, denn ich bin ja der Herr im Haus und werde meine Frau zu schützen wissen.

Nettchen: (lächelnd) Auch gegen die eigene Mutter? Das glauben Sie selber nicht. Aber wer ist überhaupt die Glückliche, die Sie in Aussicht genommen haben? Man hat, doch noch gar nichts dergleichen gehört. Ist sie aus Goldach? Oder aus Seldwyla? Oder gar von weiter her? Das wäre wohl am günstigsten, denn die hiesigen jungen Damen kennen die Verhältnisse im Haus zum Teich Bethesta allzu gut.

Böhni: (erstmals etwas hilflos) Fräulein Nettchen, ich weiß nicht, wollen Sie mich nicht verstehen ,oder verstehen Sie mich wirklich nicht.

Nettchen: (tut nur so) Also, jetzt verstehe ich Sie wirklich nicht.

Böhni: (werbend) Wissen Sie denn nicht mehr, dass ich Sie schon als ganz kleines Mädchen immer auf den Schoss genommen und Sie „meine kleine Frau" genannt hab?

22

Nettchen: Aber was soll denn das nun wieder heißen? Sie sprechen in Rätseln, Herr Böhni.

Böhni: (wirkt läppisch) Und wenn ich Sie fragte: „Was bist du, mein Nettikind?" Dann antworteten Sie: „Deine kleine Frau."

Nettchen: (amüsiert) Aber Herr Stadtschreiber, Sie werden doch aus dem dummen Nachplappern eines Kindes keine Ansprüche herleiten wollen?

Böhni: Und warum nicht? Ich ließ Ihnen ja Zeit genug, sich an den Gedanken zu gewöhnen. Gerade deswegen habe ich ja das Frage- und Antwortspiel mit ihnen wiederholt, bis Sie dann -leider zur weiteren Erziehung Ihrer Tante übergeben wurden. Die Erinnerung an mich muss Ihnen doch haften geblieben sein.

Nettchen: Da muss ich Sie enttäuschen. Ich habe höchstens einmal flüchtig an Sie gedacht, wenn Ihr Name beiläufig in Vaters Briefen auftauchte. Wie hätte ich auch anders, als an einen guten Onkel an Sie denken sollen. Sind Sie doch zwanzig Jähre älter als ich.

Böhni: Achtzehn, Fräulein Nettchen; nur achtzehn.

Nettchen: Das macht keinen Unterschied. Ich bedaure nur, dass Sie mich in eine peinliche Lage gebracht haben. (aufstehend) Ich möchte deshalb das unfruchtbare Gespräch beenden.

Böhni: (will einlenken) Sie sind erregt, Fräulein Nettchen. Es kam zu überraschend, zu unvorbereitet. Ich wäre auch nicht so mit der Tür ins Haus gefallen, wenn ich nicht eben Zeuge der Szene mit Strapinski -

Nettchen: (zu kurz) Was hat Graf Strapinski damit zu tun? Bitte lassen Sie ihn aus dem Spiel.

Böhni: (schon wieder gefährlich) Ich wüsste nicht, was ich lieber täte. Aber der Herr beliebten seine Karten ins Spiel zu mischen und das werde ich nicht dulden.

Nettchen: (kämpferisch) Und ich werde nicht dulden, dass Sie mir nachspionieren oder mich gar bevormunden. Merken Sie sich das.

Böhni: Wenn Sie wüssten, wie schön Sie in Ihrem Zorn sind, Nettchen, dann würden Sie verstehen, dass ich mich hinreißen lasse (versucht sie an sieh zu reißen)

Nettchen: (laut) Lassen Sie los! Ich schreie um Hilfe. Loslassen! sag ich.

Strapinski: (noch Karten in der Hand, die er achtlos fortwirft) Was geht hier vor! Lassen Sie augenblicklich die Dame frei! (Nettchen klammert sich an ihn. Die andern Herren, Rosi und

Johann.)

Amtsrat: (baff) Nanu? Was soll denn das heißen? Was geht hier vor?

Böhni: (auch platt) Eine Lebensrettung, wie Sie sehen, Herr Amtsrat: Der kühne Ritter befreit die Prinzessin aus der Gewalt des Räubers.

Meier: (auch überrascht) Gar kein so Vergleich, scheint mir schlechter,

Amtsrat: (bestimmt, dann mit unsicherem Humor) Nettchen. Hättest du wohl die Freundlichkeit, deine Arme von dem Halse des Herrn zu lösen, an dem sie meines Erachtens nichts zu suchen haben. Solltest du jedoch das unbezwingbare Bedürfnis verspüren, dich an eine männliche Brust zu lehnen, so stehe ich als dein Vater und naturgegebener Beschützer gern zur Verfügung.

23

Nettchen: (fällt ihm um den Hals) Ach Vater.

Amtsrat: Ach Vater! Mehr weißt du wohl nicht zu sagen, mein Kind. Vielleicht ist dann der Herr Graf so liebenswürdig, sich zu dieser merkwürdigen Situation zu äußern.

Strapinski: (still, wie schicksalsergeben) Herr Amtsrat, ich glaube, wir haben uns lieb Ihre Tochter und ich.

Amtsrat: (schon etwas geschmeichelt) So, glauben Sie das? Und was glaubst denn du, mein Kind?

Nettchen: Ich weiß es ganz sicher, Papa.

Amtsrat: Nun sieh einer an. Sie weiß es ganz sicher. Er glaubt und sie weiß. Was soll man nur als Vater dazu sagen?

Strapinski: Ich weiß ebenfalls ganz sicher, dass ich Ihre Tochter liebe, Herr Amtsrat. Ich wagte nur nicht zu hoffen, dass auch sie -

Klinkhard: (zu aufdringlich) Also ist glas nun eine Verlobung oder ist es keine.

Meier: (herzlich) Das Stichwort ist gefallen, Herr Amtsrat. Jetzt sind Sie an der Reihe.

Amtsrat: (mit gespieltem Selbstbedauern, dann deutlich stolz) Ja, das Stichwort ist gefallen. Nur habe ich nicht auf- sondern abzutreten. Vor noch nicht einer halben Stunde hat diese junge Dame, die da eben eines jungen Herrn Hand ergreift und festhält - hat diese junge Dame sage ich, mir mit dem ehrlichsten Augenaufschlag erklärt, dass sie mich niemals verlassen wolle. Großmütig habe ich auf dieses selbstlose Angebot verzichtet und mir nur einige wenige Jahre des glücklichen Zusammenseins gewünscht. Aber das Schicksal und das Herz dieses törichten Mädchens gönnen mir nicht einmal das. - Schon als Schulkind behauptete sie fortwährend, nur einen Italiener oder Polen, einen großen Pianisten oder -einen Räuberhauptmann mit schönen schwarzen Locken heiraten zu wollen. Und nun haben wir die Bescherung. Statt sich unter den Söhnen der Heimat, wie es sich gehört, umzutun, träumt sie von der polnischen Wüstenei als dem ersehnten Paradies. Nun, meinen Segen hat sie, denn man soll Schlafwandler nicht wecken. - Nehmen Sie meine Tochter, Herr Graf, und schicken Sie sie mir zurück, wenn sie in Ihrer Polakai friert und einst unglücklich wird und heult. Ach, was würde ihre selige Mutter entzückt sein, wenn sie hätte erleben können, dass ihr verzogener Liebling zu einer Frau Gräfin geworden ist!

Meier: Das war eine schöne Rede. Darauf müsste man eigentlich anstoßen.

Amtsrat: (in Stimmung) Richtig, mein Bester. Lasst uns den Kummer ersäufen und die Freude begießen. Der erste ist eine derbe, die zweite eine sehr empfindliche Pflanze. - Johann, hol einen Arm voll Silberhalsige aus der verstaubtesten Kellerecke. Und nun, ihr zwei glücklich Verstummten, kehrt auf die Erde und in unsere glückwunschbereite Mitte zurück. Wir müssen beraten, auf dass ihr gefeiert werdet, wie es in Goldach der Brauch ist.

Nettchen: Muss das sein, Papa?

Klinkhard: Und ob das sein muss! Solange die Verlobung nicht öffentlich gefeiert wurde, wird sie nicht anerkannt. Das sollten, Sie als Goldacher Kind doch wissen.

24

Amtsrat: Wie sich die Meinungen ändern. Wie großartig hat mir der kleine Fratz früher die künftigen Verlobungs- und Hochzeitsfeierlichkeiten ausgemalt. Da sollte nicht an Seide, Spitzen und Gold nicht an Musik und nicht an gutem Essen und Trinken geknausert werden. Und nun? „Muss das sein, Papa?" Hahaha!

Strapinski: (bedrückt, ernst) Ich bitte, Herr Amtsrat. Auch ich liebe kein großes Aufsehen.

Amtsrat: Tja, das hätten Sie sich früher überlegen müssen, mein lieber künftiger Schwiegersohn! In Goldach gelten nun einmal Goldacher Sitten. Und eher beißen sich meine lieben Landsleute die Zungen ab, als dass sie auf eine Sensation, wie sie die Verlobung von Amtsrats Nettchen sein wird, verzichten. Ich schlage deshalb vor, wir feiern heute über acht Tage bei unserer guten Freundin, der Lammwirtin.

Meier: Ich bin dabei.

Klinkhard: (überlegend) Das wird sich machen lassen.

Böhni: (sehr beherrscht) Und ich möchte bitten, den Termin etwas zu verschieben, - wenn man überhaupt Wert auf meine Teilnahme legt.

Amtsrat: Ich lege sogar ganz besonderen Wert darauf, Herr Stadtschreiber. Denn erstens freue ich mich, dass Sie uns trotz einer begreiflichen Enttäuschung die Treue halten wollen. Zum andern hatte man wohl schon über gewisse Heiratspläne Ihrerseits gemunkelt, was nun nicht besser, als durch Ihre tätige Teilnahme an der Verlobungsfeier dementiert werden kann. Welchen Termin schlagen Sie also vor?

Böhni: Leider muss ich in den nächsten Tagen eine kleine Reise antreten. Danach aber benötige ich einige Zeit für die Festvorbereitungen. Denn, ich hoffe sehr, dass Sie mir den Posten des Arrangeurs und des Festleiters zusprechen.

Amtsrat: (glaubt ihm arglos) Mit dem größten Vergnügen. Und ich muss sagen, Herr Stadtschreiber, dass mich Ihre Bitte ganz besonders freut, weil sie Ihrer Großherzigkeit alle Ehre macht.

Böhni: (schlangenhaft) Jedem nach seiner Art, Herr Amtsrat. Die Goldacher sollen ihr blaues Wunder erleben.

Klinkhard: Lassen Sie uns aber nicht zu lange darauf warten.

Böhni: (Herr der Lage) Nicht länger als nötig. Ich schlage vor - ja, das ginge - also ich schlage den Freitag, den 13. vor.

Meier: Ein seltsames Datum.

Strapinski: Warum nicht einen Tag früher oder später?

Böhni: (verrucht sanft) Sind Sie abergläubisch, Herr Graf? Oder haben Sie ein schlechtes Gewissen?

Meier: Na, na, was soll denn das heißen?

Böhni: (rasch) Es hat also niemand etwas dagegen einzuwenden? Dann kann ich für diesen Tag die Einladungen verschicken. Möchten Sie mir bitte recht bald eine Liste der Gäste zuschicken, Fräulein Nettchen.

Nettchen: Das ist doch Papas Sache.

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Amtsrat: Die ich gerne den berufenen Händen des Stadtschreibers überlasse. Aber nun wollen wir endlich auf unser Brautpaar anstoßen! Wo bleibt denn der Johann? Rosi, schau mal nach, wo er steckt.

(Rosi öffnet die Türe weit, da steht Johann, die Sektflasche am Mund, taumelt flaschenschwingend herein.)

Johann: Heißa! Wir - wir feiern Ver - Verlobung! Hoch lebe das glück - das glückliche Paar!

(Vorhang)

3. AKT

Wirtsstube wie im 1. Akt, mit künstlichen Girlanden ausgeputzt. Wirtin, Anna, Regine. Wirtin:

Aber so hören Sie doch zu, Anna. Sie sind so konfus, als ob Ihre eigene Verlobung gefeiert werden sollte.

Anna: Soll ich mich nicht freuen? Endlich hab ich mal wieder ein richtiges Festmahl kochen können.

Regine: Und dass das Fräulein Nettchen sich mit dem Grafen Strapinski und nicht mit Herrn Böhni verlobt, das ist ganz besonders nett von ihr, nicht wahr, Anna?

Anna : Ich verbitte mir diese Anzüglichkeiten. Was geht mich Herr Böhni an!

Wirtin: Na, na, Anna. Wir sind ja nicht blind. Immer stecken Sie mit dem Herrn Stadtschreiber zusammen.

Anna: Das ist nur wegen dem Theaterspiel zur Verlobungsfeier.

Regine: Das ist wahr. Ich kann nachts nicht mehr schlafen, weil die Anna laut ihre Rolle lernt.

Wirtin: Der Herr Stadtschreiber hätte auch was Gescheiteres tun können, als die Anna theaterspielen zu lassen. Sie hat Flausen genug im Kopf. - Regine, wo sind denn die vielen Blumen, die geschickt wurden?

Regine: Die hab ich auf den Gabentisch im Festsaal gestellt.

Wirtin: Gut. Ich will's mir dann mal ansehen.

(Die Mädchen ab.)

Ah, da kommt ja Herr Böhni als Erster der Gäste. Die Herrschaften sind noch auf ihren Zimmern, werden aber gleich erscheinen.

Böhni: (im Vorgefühl seines Triumphes) Ich bin noch nicht als Gast da, Frau Häberlin, sondern als Vergnügungsleiter. Für unser Theaterstück habe ich zwei Männer mitgebracht, einen Schuster und einen Kutscher, sie sitzen unten in der Kutscherstube. Mit Fräulein Anna hätte ich gerne noch einmal gesprochen.

Wirtin: Da wird nichts draus, die hat in der Küche zu tun. Sie haben sie mir schon verrückt genug gemacht mit Ihrem Theaterstück.

Böhni: (händereibend) Es wird für alle eine große Überraschung werden.

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Wirtin: (mit Spott) Ich hätte gar nicht gedacht, dass es Ihnen so viel Vergnügen machen würde, Fräulein Nettchens Verlobung auszugestatten. Wir alle glaubten, dass Sie - nun ja, was man so redet.

Böhni: (unterdrückt böse) Hat man geredet? Nun, dann soll man heute noch mehr zu reden kriegen!

(Amtsrat mit Nettchen.)

Wirtin: Meinen herzlichen Glückwunsch Fräulein Nettchen, - Herr Amtsrat. Und wie das Bräutchen glüht - wie eine Rose.

Böhni: (aalglatt) Und ich werde mir Mühe geben, diesen Tag zu einem unvergesslichen für Sie zu machen, Fräulein Nettchen.

Nettchen: (die überhört, strahlend) Der schönste Tag meines Lebens, Herr Böhni.

Amtsrat: Wo ist Graf Strapinski?

Wirtin: Auf seinem Zimmer. Ich lasse ihn gleich rufen.

Böhni: (verschlagen) Der Glückliche. Fast könnte ich ihn beneiden. Aber so verwegen bin ich nicht, mich mit einem echten Grafen messen zu wollen.

Nettchen: (was hat er vor?) Ich versteh Sie nicht.

Böhni: (lächelnd) Sie werden mich bald verstehen, Gnädigste. Zerbrechen Sie sich nur nicht vorzeitig Ihr reizendes Köpfchen.

Amtsrat: (sachlich) Sie haben die Regie der Verlobungsfeier übernommen. Darf man das Programm wissen?

Böhni: Festessen und Empfang sind im Festsaal, wo sich die Gäste bereits versammeln. Für den kleinen Freundeskreis habe ich zuvor eine kleine Überraschung hier im Herrenstübchen vorbereitet, die gleich ihren Anfang nehmen wird.

(Meier und Klinkhard)

Meier: Hier sind sie alle? Im Saal droben wartet man schon auf das Brautpaar. Sie haben uns herbitten lassen; Herr Böhni?

Böhni: Um Sie alle erst mal in die rechte Stimmung zu bringen. Aber die Hauptperson fehlt noch.

(Strapinski kommt, begrüßt Nettchen, dann die andern.)

Amtsrat: So, nun können wir wohl nach oben gehen. Wir wollen die Gäste nicht warten lassen.

Wirtin: Es fehlen noch einige. Aber die Stimmung ist gut. Die Musik spielt zur Unterhaltung.

Böhni: Dann wollen wir uns hier auch unterhalten. Ich bitte die Stühle in eine Reihe zu stellen. Gleich bin ich wieder da. (ab)

(Die Herren und die Wirtin ordnen die Stühle schräg zum Publikum, auf der linken Bühnenseite. Brautpaar im Vordergrund.)

Nettchen: Ach Lieber, ich bin j a so glücklich.

Strapinski: (sehr erregt, doch leise) Nettchen, ich muss dich einen Augenblick allein sprechen. (zieht sie nach rechts vorne)

Nettchen: Wir haben ein ganzes Leben vor uns, in dem wir uns sagen können, wie lieb wir uns haben.

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Strapinski: Ja, Nettchen. Aber ich muss dir etwas sagen, was mich, was uns beide betrifft. Es hätte schon längst geschehen müssen; aber ich habe den Mut nicht gehabt. Aber jetzt weiß ich, dass du mich von Herzen lieb hast und da darf es keine Geheimnisse und Unklarheiten zwischen uns geben.

Nettchen: Du erschreckst mich. Um was handelt es sich denn?

Strapinski: (rasch) Dass ich kein Pole, sondern Schlesier bin, habe ich dir schon erzählt.

Nettchen: Nun ja. Und was weiter?

Strapinski: Ich habe aber keine Papiere, um mich ausweisen zu können. Die waren ja in dem Bün - ich meine in dem Gepäck, das der Kutscher aus Versehen mitgenommen hat.

Nettchen: Ich dachte, die hättest du dir inzwischen wieder beschafft?

Strapinski: Ja - nein - das heißt, sie würden nicht viel nützen. Nettchen, ich muss es dir jetzt sagen. Ich bin in Wirklichkeit -

Böhni: (laut) So. Ich bitte die Herrschaften Platz zu nehmen. Das Brautpaar kommt in die Mitte, wie es sich gehört. Also, wir können anfangen.

Das Spiel

Er: Schwedler. Sie: Anna. Nachbar: Kutscher. Er und Sie treten auf. Das Publikum, vor allem Strapinski erlebt, wirklich mit: Zuerst amüsiert, dann die Tücke spürend, usw. Er:

Jetzt sind allein wir, liebe Braut Heut wurdest du mir angetraut. Nun sage jetzt mir auf der Stell, Hast du mich lieb als Trautgesell? Bist mir im Herzen treu und brav?

Sie.: Ich liebe dich, mein lieber Graf Aus aller Kraft in meinem Herzen. Glaub mir, ich wage nicht zu scherzen. Mein Lieben dauert alle Zeit Und länger als die Ewigkeit. Mein Leben will ich mit dir teilen.

Er: Ach, lass uns länger noch verweilen Zu plaudern von der Liebe Wesen. Wie kam's, dass du mich auserlesen?

Sie: Es war, ich sag es dir ganz offen Als hätt ein Blitz mein Herz getroffen, Da ich dich sah in jener Stunde, Als offenbar mir ward die Kunde Du seiest edel von Geblüt, Wie man's auch gleich am Mantel sieht.

Er: Mein liebes Herze, sag mir an,

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Ganz können wir Ihnen diesen Spieltext hier nicht geben. Ist doch klar, oder?! Wenn Sie dieses Stück spielen wollen – rufen Sie uns an:

Impuls-Theater-Verlag Tel.: 089 / 859 75 77

Dann besprechen wir alles weitere!

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