3
M ichl R. hat gerade eine Nachtschicht hinter sich. Jetzt blinzelt der Ans- bacher in die sengende Son- ne. Sein Haar ist noch feucht. „Zwei Minuten Du- schen, mehr ist nicht drin. Wenn jemand von uns zuviel von dem Nass verbraucht, wird das Wasser abgestellt.“ So sieht harter Alltag aus. Die Regeln bei der Bundes- wehr sind streng. Die Bedin- gungen zu akzeptieren, die das Leben im Wüstensand mit sich bringen, das gilt auch für den Mittelfranken. Der „Frankenstammtisch“ hilft ihm dabei. Wie jeden Sonntag sitzt der Oberleut- nant mit fränkischen Kame- raden im Freien vor der Cas- tor-Bar. Das muss sein, die- ses bisschen Gefühl von Hei- mat. Das schweißt zusam- men. Kameradschaft ist bei der Bundeswehr ein großes Thema, und es wird dort am Wüsten-Stammtisch auch im ganz Kleinen zelebriert. Mit heimischen Würstchen, Sala- mi und „Opa´s Weißem“. Die Feldpost hat die Schmankerl gebracht. Geschickt von den Lieben zu Hause. Dazu Ba- guette aus der Kantine als Hommage an das französi- sche Protektorat, zu dem Mali einst zählte. Wie eine Trutzburg mit drei Kilometern Mauer und Sta- cheldraht ragt das deutsche Camp Castor aus dem roten Sand. Einen Steinwurf ent- fernt liegt die einst blühende Stadt Gao, die heute nur noch mit Patrouillen in ge- schützten Fahrzeugen ange- fahren wird. Temperaturen um die 40 bis 48 Grad gehö- ren zum Alltag. Soldatenle- ben im Extremen. DER JOB IST EINE HERAUSFORDERUNG Kamerad Markus R. erinnert sich an frühere Einsätze. In ganz Europa sei der Streu- dorfer mit der Bundeswehr unterwegs gewesen. Einige auf NATO-Ebene. Der Haupt- feldwebel absolviert in Mali seinen Dienst in der Zahlstel- le von Camp Castor. „Ich ver- sorge die Kameraden mit Bargeld und leiste Zahlun- gen, die das Kontingent be- treffen“, sagt der begeister- te Cabrio- und Motorradfah- rer. Was mag er an seinen Job? „Es ist jedes Mal eine neue Herausforderung, das gefällt mir. Ich kenne viele Kameraden aus früheren Einsätzen. Die Welt der Bun- deswehr ist klein!“ Zugute kommt ihm, dass er unge- bunden ist. Seine Großfami- lie lebt in Gunzenhausen. Ungebunden ist Stefan J. nicht mehr. Er freut sich schon auf seine Freundin. Sie war damals am Militär- flughafen Köln-Bonn, als der Fürther in die Wüste flog. 35 21/2019 WÜRZBURGER KATHOLISCHES SONNTAGSBLATT Ein Stück Heimat in der Wüste Bundeswehrsoldaten haben einen Frankenstammtisch im Camp in Mali Der Frankenstammtisch ist jeden Sonntag beliebter Treffpunkt der Soldaten. Der Ansbacher Michl R. (vorne rechts) ist mit seinen Kameraden Markus R. (hinten rechts), Michael R. (hinten links) und Stefan J. (vorne links) wie immer dabei und genießt die Spe- zialitäten aus der Heimat, welche Familien über Feldpost schicken. Fotos: Sabine Ludwig REPORTAGE Fortsetzung auf Seite 36

REPORTAGE - kmba.militaerseelsorge.bundeswehr.de · Bundeswehrsoldaten haben einen Frankenstammtisch im Camp in Mali Der Frankenstammtisch ist jeden Sonntag beliebter Treffpunkt der

  • Upload
    lydang

  • View
    214

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Michl R. hat gerade eineNachtschicht hinter

sich. Jetzt blinzelt der Ans-bacher in die sengende Son-ne. Sein Haar ist nochfeucht. „Zwei Minuten Du-schen, mehr ist nicht drin.Wenn jemand von uns zuvielvon dem Nass verbraucht,wird das Wasser abgestellt.“So sieht harter Alltag aus.Die Regeln bei der Bundes-wehr sind streng. Die Bedin-gungen zu akzeptieren, diedas Leben im Wüstensandmit sich bringen, das giltauch für den Mittelfranken. Der „Frankenstammtisch“hilft ihm dabei. Wie jedenSonntag sitzt der Oberleut-nant mit fränkischen Kame-raden im Freien vor der Cas-

tor-Bar. Das muss sein, die-ses bisschen Gefühl von Hei-mat. Das schweißt zusam-men. Kameradschaft ist beider Bundeswehr ein großesThema, und es wird dort amWüsten-Stammtisch auch imganz Kleinen zelebriert. Mitheimischen Würstchen, Sala-mi und „Opa´s Weißem“. DieFeldpost hat die Schmankerlgebracht. Geschickt von denLieben zu Hause. Dazu Ba-guette aus der Kantine alsHommage an das französi-sche Protektorat, zu demMali einst zählte.Wie eine Trutzburg mit dreiKilometern Mauer und Sta-cheldraht ragt das deutscheCamp Castor aus dem rotenSand. Einen Steinwurf ent-

fernt liegt die einst blühendeStadt Gao, die heute nurnoch mit Patrouillen in ge-schützten Fahrzeugen ange-fahren wird. Temperaturenum die 40 bis 48 Grad gehö-ren zum Alltag. Soldatenle-ben im Extremen.

DER JOB IST EINE HERAUSFORDERUNG

Kamerad Markus R. erinnertsich an frühere Einsätze. Inganz Europa sei der Streu-dorfer mit der Bundeswehrunterwegs gewesen. Einigeauf NATO-Ebene. Der Haupt-feldwebel absolviert in Maliseinen Dienst in der Zahlstel-le von Camp Castor. „Ich ver-sorge die Kameraden mit

Bargeld und leiste Zahlun-gen, die das Kontingent be-treffen“, sagt der begeister-te Cabrio- und Motorradfah-rer. Was mag er an seinenJob? „Es ist jedes Mal eineneue Herausforderung, dasgefällt mir. Ich kenne vieleKameraden aus früherenEinsätzen. Die Welt der Bun-deswehr ist klein!“ Zugutekommt ihm, dass er unge-bunden ist. Seine Großfami-lie lebt in Gunzenhausen. Ungebunden ist Stefan J.nicht mehr. Er freut sichschon auf seine Freundin.Sie war damals am Militär-flughafen Köln-Bonn, als derFürther in die Wüste flog.

3521/2019 WÜRZBURGER KATHOLISCHES SONNTAGSBLATT

Ein Stück Heimat in der WüsteBundeswehrsoldaten haben einen Frankenstammtisch im Camp in Mali

Der Frankenstammtisch ist jeden Sonntag beliebter Treffpunkt der Soldaten. Der Ansbacher Michl R. (vorne rechts) ist mit seinenKameraden Markus R. (hinten rechts), Michael R. (hinten links) und Stefan J. (vorne links) wie immer dabei und genießt die Spe-zialitäten aus der Heimat, welche Familien über Feldpost schicken. Fotos: Sabine Ludwig

REPORTAGE

Fortsetzung auf Seite 36

Das schätzt er an ihr und vie-les mehr. Und dieses Jahrwird endlich geheiratet.Ganz sicher. Da wird ihmkein Einsatz mehr in dieQuere kommen. Denn derBerufssoldat träumt vom Fa-milienleben mit ein bis zweiKindern.Doch jetzt heißt es noch,sich in Geduld zu üben. DerFürther koordiniert fünf Ret-tungsteams. Für den Fall derFälle. Anfang 2018 gab eseinige Angriffe auf Konvoisund auch immer mal wiederAngriffe mit Mörserfeuer. Ei-ne von drei abgefeuertenRaketen schlug in der Nähedes Super Camps in Gao ein.Es gab weder Verletzte nochTote. Auch in das UN-Campbei Timbuktu haben insge-samt neun Selbstmordatten-täter versucht, einzudringen.Sie wurden erfolgreich abge-wehrt. Bei einem Anschlag mit Ver-letzten gilt die 10-1-2-Regel.Das heißt, dass in zehn Mi-nuten die Erste Hilfe durchKameraden vor Ort erfolgenmuss. Innerhalb der erstenStunde muss die Behand-lung durch einen Arzt ge-

schehen, der mit dem Med-Vac-Hubschrauber, der imCamp zum Einsatz bereitsteht, eingeflogen wird.Flankiert wird er von ein biszwei Kampfhubschraubern,um die Evakuierung zu si-chern. Innerhalb von zweiStunden muss die chirurgi-sche Versorgung in einemMilitärkrankenhaus, wie bei-spielsweise im nahe gelege-nen UN-Super Camp statt-finden. Das ist das Szenarioim Ernstfall, der aber jeder-zeit passieren kann. „Alle Sa-nitätseinsätze der Deutschenlaufen über mich. Das gilt eszu koordinieren mit all demnötigen Papierkram“, betontder frühere Erlanger Wal-dorfschüler.

AUCH HELFER AUF VIER PFOTEN

Bis jetzt verliefen die Einsät-ze glimpflich. „Wir hattendrei Verletzte, die aufgrundder großen Hitze kollabier-ten. Einmal kam einer unse-rer Diensthunde in die Ret-tungsstelle, auch ihm hattedas Wüstenklima zugesetzt.Die Veterinärin und das Not-fallteam haben ihn runterge-kühlt. Er konnte nach einerStunde die Rettungsstelleauf allen vier Pfoten wiederverlassen.“ Im Camp gibt esmehrere Schutz- undSprengstoffhunde, für diedie hohen Temperaturen ei-ne Herausforderung sind. In unmittelbarer Nähe desdeutschen Lagers liegt dasso genannte Super Campder Vereinten Nationen, indem sich das Militärkranken-haus befindet und Truppenaus dem Senegal, China undBangladesch stationiert sind.Ziel aller ist es, den Konflikt-herd zu befrieden. Keinleichtes Unterfangen, dennNordmali alleine hat eineFläche doppelt so groß wieDeutschland. Der MINUSMA-Einsatz inMali gilt als die derzeit ge-fährlichste UN-Mission welt-weit. Aber: „Mali ist nichtAfghanistan“, betont Kon-

tingentführer Aslak Heisner.„Jeder Einsatz ist anders, dieKonflikte sind vielschichtig:Die Ursachen unterscheidensich und natürlich auch dieHerausforderungen vor Ort.Und so ist Mali eben nichtAfghanistan. Aber mit Blickauf meine Erfahrungen stelleich auch fest, dass das Enga-gement der Bundeswehr inallen Einsatzgebieten denMenschen immer Perspekti-ven und Hoffnungen gege-ben hat. Dazu haben wir mitunseren Verbündeten undPartnern unseren Beitrag ge-leistet. Das ist eine Gemein-samkeit, und die gilt auchfür Mali und MINUSMA.“Insgesamt 12 000 Soldatenbeteiligen sich an dieser UN-Friedensmission. Das Ziel da-bei ist, die Stabilisierung desmalischen Staats zu unter-stützen und einem drohen-den Bürgerkrieg entgegen-zuwirken. Die rund eintausend deut-schen Soldatinnen und Sol-daten haben dabei die Auf-gabe, MINUSMA Aufklä-

rungsergebnisse zur Verfü-gung zu stellen. Dazu fahrensie auch in die umliegendenDörfer, um mit den Dorfäl-testen und lokalen Autoritä-ten zu reden. Darüber hi-

REPORTAGE

36 WÜRZBURGER KATHOLISCHES SONNTAGSBLATT 21/2019

Etwas ganz Besonderes ist die Post von daheim.

Fortsetzung von Seite 35

Gerne kaufen die Soldaten im deutschen Tante Emma-Laden im Camp Castor ein.

„Mali ist nicht Afghanistan“, sagt Kondem: Der in Mali stattfindende MINUStegrierte Stabilisierungsmission der Vderzeit gefährlichste UN-Mission welt

naus sammelt die Aufklä-rungs-Task Force Informatio-nen zur Nahrungsmittelsi-cherheit oder Nahrungskriseebenso wie jene über die In-frastruktur der Dörfer, be-

waffnete Gruppen, Terror -milizen und die allgemeineSicherheitslage. Auch dieseInformationen gehen an MINUSMA.Michl R. kennt gefährlicheEinsätze. In Afghanistan hater vergangenes Jahr gedient,in Masar-i Sharif. Sieben Wo-chen lang. Angst kennt erdabei keine. „Man weiß haltnie, was passiert. Manchmalbin ich aber auch in derglücklichen Lage, das Campgar nicht verlassen zu müs-sen.“ Der Ansbacher ist oftfür die Bundeswehr unter-wegs. „Hier ist mein sieben-wöchiger Dienst ein rechtüberschaubarer Einsatz“, be-tont der in der Luftwaffen-kaserne in Köln-Wahn Sta-tionierte.

HEIMATGEFÜHLE IN DER WÜSTE

Michl R. und seine Kamera-den prosten sich zu. Es gibtWeißbier. Alkoholfrei, ver-steht sich. Im Camp herrschtZero Promille. Für den ge-samten Einsatz. „Ein ordent-liches Bier vermisse ichschon“, schmunzelt er. „Undrichtige Teller mit stabilemBesteck.“ Denn im Lagergibt es aufgrund der Was-serknappheit nur Plastikge-schirr, das nicht gespült wer-den muss. Der Ansbacher er-innert sich an frühere Ein-sätze, etwa in den USA, Isra-el, Polen. „Da ging es umRüstung und Logistik“, er-klärt er. Hier im Camp Castorgefällt ihm seine Arbeit alsSensorbediener der DrohneHeron. Verantwortlich ist erdabei für Kameraführungund Flugtechnik. „Uns steht in Mali Spitzen-technik zur Verfügung, undwir müssen den Vergleichmit anderen Staaten nichtscheuen. Zum Beispiel kanndie Heron-Drohne in ganzNordmali zur Überwachungeingesetzt werden. Oder diekleinere AugklärungsdrohneLUNA, die regional auch beiden kürzlich erfolgten Wah-len für Aufklärungsergebnis-

se im Raum Gao sorgte“, ergänzt KontingentführerHeisner.

EIN PROST UND DANNZURÜCK AN DIE ARBEIT

Jetzt ist der Bad KissingerMichael R. wieder in derSaaleck-Kaserne in Hammel-burg anzutreffen. Der Präsi-dent des EC Bad KissingerWölfe dient zurzeit auch inNordmali. Und für zuhausehat der Eishockeytrainerauch schon Pläne. „Ich willden nordbayerischen Nach-wuchs voranbringen. Undmeinen Ruhestand werde

ich wohl auf dem Eis ver-bringen. Das war und istmeine Berufung. Wahr-scheinlich wird man michauch da beerdigen“,schmunzelt der 48-Jährige.Doch wie hält sich der Eis-hockeytrainer in der Wüstefit? „Sobald es die Tempera-turen zulassen, also sehrfrüh am Morgen oder nachSonnenuntergang trainiereich im Sportcenter“, sagt dervierfache Familienvater. Die fränkischen Wimpelüber dem Stammtisch flat-tern im Wüstenwind. Nochein Prost auf die Heimat unddann geht es für drei Kame-

raden, auch wenn es Sonn-tag ist, zurück an den Ar-beitsplatz. Und für denOberleutnant selbst erst ein-mal ins Bett. Zuvor ruft eraber noch seine Verlobte zu-hause an. „Begeistert ist sienie, wenn ich auf Auslands-einsatz bin. Aber das istmein Job. Sie hat es von An-fang an gewusst und akzep-tiert.“ Er hofft, in Zukunftheimatnah eingesetzt zuwerden. „Am liebsten inRoth oder Niederstetten.“Denn das Pendeln nach Kölnist mit wöchentlich rund 900Kilometern sehr anstren-gend. Sabine Ludwig

REPORTAGE

3721/2019 WÜRZBURGER KATHOLISCHES SONNTAGSBLATT

Die Katholische Militärseelsorge wirbt im Camp für ihre Arbeit.

ntingentführer Aslak Heisner. Trotz-SMA-Einsatz (Multidimensionale In-

Vereinten Nationen in Mali) gilt als dietweit.

InfosDas Mandat für die Bun-deswehr in Mali geht bisMai 2019. Die Verlänge-rung ist so gut wie sicher.Denn Frieden im Wüsten-staat wird es so schnellnicht geben. Dazu hatteKanzlerin Angela MerkelAnfang des Jahres erklärt,dass Deutschland zwi-schen 2017 und 2020rund 1,7 Milliarden Eurofür die Entwicklung derSahelstaaten ausgebenwerde. sl