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Einleitung Eine der häufigsten Ursachen für das Auftreten eine adult respiratory distress syndrome (ARDS) sind erregerbe- dingte Pneumonien. Die Entwicklung eines ARDS auf dem Boden einer tuberkulösen Pneumonie ist eine seltene, häu- fig schwer verlaufende Erkrankung. Mit dem vorliegenden Fallbericht möchten wir unsere Erfahrungen hinsichtlich der Diagnostik und der Therapie eines durch eine tuber- kulöse Pneumonie ausgelösten ARDS darstellen. Anamnese Eine 17 Jahre alte Patientin in der 23. SSW (III. Gravida, I. Para) stellte sich am 18. 08. 96 in einem Kreiskranken- haus mit Fieber über 40°C vor. Anamnestisch bestanden seit 4 Wochen Husten ohne Auswurf, Diarrhoen und abend- liche Temperaturerhöhungen unklarer Höhe. Die erste Schwangerschaft verlief ohne Komplikatio- nen, bei der zweiten hatte die Patientin ein Abort. Die be- stehende Schwangerschaft war bislang komplikationslos gewesen. Die Patientin ist albanische Asylbewerberin und lebte seit 5 Jahren ununterbrochen in Deutschland. Am 19. 08. 96 entwickelte sich eine zunehmende respi- ratorische Insuffizienz mit kompensatorischer Hyperven- tilation (PaO 2 46, PaCO 2 26 mmHg bei Spontanatmung). Bei respiratorischer Erschöpfung wurde die Patientin ma- schinell beatmet. In den Röntgenaufnahmen des Thorax zeigten sich bilaterale, flächenhafte, homogene Verschat- tungen („weiße Lunge“). Serologische Untersuchungen auf Legionellen, Adenoviren, Influenza, Mycoplasmen, Q-Fieber, Chlamydien, Ornithose, Parainfluenza, Picorna und säurefeste Stäbchen wurden eingeleitet. Bei Verdacht Intensivmed 35: 412 – 416 (1998) © Steinkopff Verlag 1998 KASUISTIK Respiratorisches Versagen bei tuberkulöser Pneumonie in der Schwangerschaft Ein Fallbericht A. Eichler B. Huch M. Silomon A. Gröschel G. Molter D. Ukena R. Larsen G. W. Sybrecht Summary We report about a 17 year old patient who survived an adult respiratory distress syndrome (ARDS) associated with tuberculous pneumo- nia in the 23rd week of pregnancy. After establishing the diagnosis and initiation of antituberculous and ster- oid treatment, the patient showed rapid improvement and was extu- bated after 5 days of ventilator treat- ment. In the 37th week of pregnancy, she delivered a daughter who showed no signs of tuberculosis after several weeks of observation. Key words ARDS – tuberculosis – pneumonia – pregnancy Zusammenfassung Wir berichten über den Fall einer 17-jährigen Pa- tientin, die in der 23. Schwanger- schaftswoche an einem durch eine tuberkulöse Pneumonie verursachten „adult respiratory distress syndrome“ (ARDS) erkrankte. Nach Diagnose- stellung und Einleitung einer anti- mykobakteriellen Chemotherapie und Steroidtherapie trat eine rasche Besserung ein, so daß die Patientin nach 5-tägiger Beatmung extubiert wurde. In der 37. Schwangerschafts- woche entband die Patientin eine Tochter, die innerhalb eines mehr- wöchigen Beobachtungszeitraumes keine Tuberkulosesymptome zeigte. Schlüsselwörter ARDS – Tuberku- lose – Pneumonie – Schwangerschaft Respiratory failure in tuberculous pneumonia during pregnancy – a case report IM 949 Eingegangen: 5. Januar 1998 Akzeptiert: 6. Mai 1998 Dr. med.A. Eichler () · A. Gröschel D. Ukena · G. W. Sybrecht Medizinische Universitätsklinik V Universitätsklinik des Saarlandes D-66421 Homburg B. Huch · M. Silomon · G. Molter R. Larsen Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin der Universitätskliniken des Saarlandes D-66421 Homburg

Respiratorisches Versagen bei tuberkulöser Pneumonie in der Schwangerschaft Ein Fallbericht

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Page 1: Respiratorisches Versagen bei tuberkulöser Pneumonie in der Schwangerschaft Ein Fallbericht

Einleitung

Eine der häufigsten Ursachen für das Auftreten eine adultrespiratory distress syndrome (ARDS) sind erregerbe-dingte Pneumonien. Die Entwicklung eines ARDS auf demBoden einer tuberkulösen Pneumonie ist eine seltene, häu-fig schwer verlaufende Erkrankung. Mit dem vorliegendenFallbericht möchten wir unsere Erfahrungen hinsichtlichder Diagnostik und der Therapie eines durch eine tuber-kulöse Pneumonie ausgelösten ARDS darstellen.

Anamnese

Eine 17 Jahre alte Patientin in der 23. SSW (III. Gravida,I. Para) stellte sich am 18.08.96 in einem Kreiskranken-

haus mit Fieber über 40°C vor. Anamnestisch bestandenseit 4 Wochen Husten ohne Auswurf, Diarrhoen und abend-liche Temperaturerhöhungen unklarer Höhe.

Die erste Schwangerschaft verlief ohne Komplikatio-nen, bei der zweiten hatte die Patientin ein Abort. Die be-stehende Schwangerschaft war bislang komplikationslosgewesen. Die Patientin ist albanische Asylbewerberin undlebte seit 5 Jahren ununterbrochen in Deutschland.

Am 19.08.96 entwickelte sich eine zunehmende respi-ratorische Insuffizienz mit kompensatorischer Hyperven-tilation (PaO2 46, PaCO2 26 mmHg bei Spontanatmung).Bei respiratorischer Erschöpfung wurde die Patientin ma-schinell beatmet. In den Röntgenaufnahmen des Thoraxzeigten sich bilaterale, flächenhafte, homogene Verschat-tungen („weiße Lunge“). Serologische Untersuchungenauf Legionellen, Adenoviren, Influenza, Mycoplasmen, Q-Fieber, Chlamydien, Ornithose, Parainfluenza, Picornaund säurefeste Stäbchen wurden eingeleitet. Bei Verdacht

Intensivmed 35: 412–416 (1998)© Steinkopff Verlag 1998 KASUISTIK

Respiratorisches Versagen bei tuberkulöserPneumonie in der SchwangerschaftEin Fallbericht

A. EichlerB. HuchM. SilomonA. GröschelG. MolterD. UkenaR. LarsenG. W. Sybrecht

Summary We report about a 17 yearold patient who survived an adultrespiratory distress syndrome (ARDS)associated with tuberculous pneumo-nia in the 23rd week of pregnancy.After establishing the diagnosis andinitiation of antituberculous and ster-oid treatment, the patient showedrapid improvement and was extu-bated after 5 days of ventilator treat-ment. In the 37th week of pregnancy,she delivered a daughter who showedno signs of tuberculosis after severalweeks of observation.

Key words ARDS – tuberculosis –pneumonia – pregnancy

Zusammenfassung Wir berichtenüber den Fall einer 17-jährigen Pa-tientin, die in der 23. Schwanger-schaftswoche an einem durch einetuberkulöse Pneumonie verursachten„adult respiratory distress syndrome“(ARDS) erkrankte. Nach Diagnose-stellung und Einleitung einer anti-mykobakteriellen Chemotherapieund Steroidtherapie trat eine rascheBesserung ein, so daß die Patientinnach 5-tägiger Beatmung extubiertwurde. In der 37. Schwangerschafts-woche entband die Patientin eineTochter, die innerhalb eines mehr-wöchigen Beobachtungszeitraumeskeine Tuberkulosesymptome zeigte.

Schlüsselwörter ARDS – Tuberku-lose – Pneumonie – Schwangerschaft

Respiratory failure in tuberculouspneumonia during pregnancy –a case report

IM 949

Eingegangen: 5. Januar 1998Akzeptiert: 6. Mai 1998

Dr. med.A. Eichler (½) · A. GröschelD. Ukena · G. W. SybrechtMedizinische Universitätsklinik VUniversitätsklinik des SaarlandesD-66421 Homburg

B. Huch · M. Silomon · G. MolterR. LarsenKlinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin der Universitätsklinikendes SaarlandesD-66421 Homburg

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auf eine atypische Pneumonie wurde eine Antibiotikathe-rapie mit Erythromycin eingeleitet. Die abdominelle Ultra-schalluntersuchung zeigte ein Kind mit normalen Herzak-tionen und Bewegungen. Am 20.08.96 wurde die Patien-tin bei zunehmender Verschlechterung der Oxygenierungzur weiteren Behandlung in unsere Klinik verlegt.

Aufnahmebefund

Die Patientin war bei Ankunft auf der Intensivstation mitFentanyl und Diazepam sediert, und im CMV-Modus miteiner FiO2 von 1,0 beatmet. Die gegen Ende des Transpor-tes pulsoxymetrisch gemessene SaO2 betrug 54%. Bei derAufnahme hypotone Kreislaufsituation (RR 75/40 mmHg).Herztöne rhythmisch, tachykard (f=140/min), 3/6 Systo-likum mit Punktum maximum über Erb ohne Fortleitung.Feuchte Rasselgeräusche über der gesamten Lunge. DasAbdomen war weich. Im Unterbauch wurde suprapubischeine bis Nabelhöhe reichende Resistenz entsprechend derSchwangerschaft getastet. Die Darmgeräusche waren leb-haft. Direkte und konsensuelle Pupillenreaktion beidseitsohne pathologischen Befund. Blutgase bei Aufnahme:paO2 76 mmHg, PaCO2 70 mmHg, pH 7,15 (FiO2=1,0).Eine genauere Fremd- oder Familienanamnese scheitertean Entfernungs- und Sprachproblemen.

Therapie und Verlauf

Beatmung im BiPAP Modus mit folgender Einstellung:FiO2 1,0, P1 10 mbar, P2 25 mbar, t1 2,5 sec., t2 2,5 sec.Sedierung mit Fentanyl/Midazolam. Einleitung einer Kreis-laufstabilisierung mit Noradrenalin (0,1 µl/kg/min) und ei-ner diuretischen Therapie mit Furosemid zum Erreicheneiner negativen Flüssigkeitsbilanz. Lagerungstherapie mitSeitenlagerung bis 60 Grad im Therapiebett. Da differen-tialdiagnostisch auch eine Legionellen-, Chlamydien- oderMykoplasmenpneumonie erwogen wurde, wurde die be-stehende antibiotische Therapie mit Erythromycin fortge-führt und in Anbetracht des Schweregrades der Erkrankungum Rifampicin erweitert. Die Therapie wurde durch Pipe-racillin/Tazobactam ergänzt, um das Spektrum möglichergrampositiver oder gramnegativer bakterieller Pneumo-nieerreger ausreichend zu erfassen.

Zusätzlich zu der schon eingeleiteten Diagnostik Ent-nahme von 3 Blutkulturen bei Anstieg der Temperaturen39,3°C. Einleitung einer Stuhldiagnostik auf pathogeneKeime und Serumdiagnostik auf Autoimmunerkrankun-gen (antinukleäre Antikörper und Antikörper gegen Gra-nulozyten).

Bronchoskopisch fand sich eine ubiquitär geröteteSchleimhaut, kein eitriges Sekret. Im Bronchialsekret keinKeimnachweis. Initiierung einer hochdosierten Steroid-

therapie mit 4×100 mg Prednisolon i.v. bei differential-diagnostisch möglicher immunologischer Ursache desKrankheitsbildes (z.B. M. Wegener).

Ein gynäkologisches Konsil zeigte ein für das Gestati-onsalter normgerecht entwickeltes Kind, ohne Anhalt füreinen gynäkologischen Fokus der Infektion. Echokardio-graphisch wurde eine Klappenendokarditis und eine Klap-peninsuffizienz ausgeschlossen, so daß das Systolikum alsfunktionelles Phänomen im Rahmen der Tachykardie ge-wertet wurde. Eine Thrombose der Bein- und Abdominal-venen wurde dopplersonographisch ausgeschlossen.

Am 22.08. erhielten wir den mikrobiologischen Befundaus dem vorbehandelnden Krankenhaus mit dem Nachweissäurefester Stäbchen im Bronchialaspirat, die spätere Dif-ferenzierung ergab M. tuberculosis. Bei nun dringlichemVerdacht auf eine tuberkulöse Pneumonie wurde die anti-biotische Therapie durch Ethambutol und Isoniazid ergänztund die Steroidtherapie auf zunächst auf 100 mg Predni-son/die, nach 2 weiteren Tagen auf 50 mg/die reduziert.Danach erfolgte ein stufenweiser weiterer Abbau derSteroidzufuhr über weitere 4 Wochen.

Unter der genannten Therapie rasche Besserung derGasaustauschstörung, die FiO2 wurde schrittweise auf 0,3 am 23.08.96 reduziert (paO2 75 mmHg). Im Laufe desVormittags erfolgte die Extubation. Die täglich mit Ultra-schall untersuchten Kindsbewegungen und Herzaktionen(F=140–160/min) des Fötus waren jederzeit regelrechtgewesen. Am 23.08. wurde die Patientin zur weiteren Be-handlung auf die pneumologische Intensivstation zur wei-teren antimikrobiellen Chemotherapie verlegt.

413A. Eichler et al.Respiratorisches Versagen bei tuberkulöser Pneumonie in der Schwangerschaft

Abb. 1 ap-Röntgenbild des Thorax bei Aufnahme (Bettaufnahme)

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Inzwischen erhaltene serologische Befunde zeigtenaußer einer abgelaufenen HAV-Infektion keinen auffälli-gen Befund. Es ergaben sich keine Hinweise auf eine HIV-Infektion oder Infektion durch pneumotrope Viren, Myco-plasmen, Chlamydien, Rickettsien oder Legionellen.

Die antimykobakterielle Chemotherapie wurde durchPyrazinamid ergänzt und als Viererkombination fortge-setzt. Einnahme und Serumkonzentrationen mußten beimangelhafter Patientencompliance mit Vortäuschung derEinnahme zunächst engmaschig kontrolliert werden.Außerdem erfolgten weiterhin eine intensive Lagerungs-und Physiotherapie.

Ab dem 23.08.97 war die Patientin kardiorespiratorischweitgehend stabil. Mit Zufuhr von 4 l O2/min über Na-sensonde betrug der paO2 80 mmHg bei physiologischempH und paCO2. Es bestanden noch für weitere 3 Tagemäßig erhöhte Temperaturen bis 38,6° axillär und eineNeutropenie von 2500/mcl bei 7% stabkernigen Granulo-zyten. Die Blutbildveränderungen normalisierten sich in-nerhalb von 10 Tagen völlig. Der Gasaustausch normali-sierte sich in diesem Zeitraum vollständig. Die pulmona-len Infiltrate bildeten sich weitgehend zurück. In den Kon-trollröntgenbildern zeigte sich kein Anhalt für Residueneiner abgelaufenen Primärtuberkulose. Ab dem 28.08.konnte auf eine zusätzliche Sauerstoffzufuhr vollständigverzichtet werden. Die Patientin wurde auf Normalstationverlegt.

Regelmäßige gynäkologische Kontrolluntersuchungeninklusive Kardiotokographie waren stets unauffällig.

Wegen eines deutlichen Anstiegs der Serumtransami-nasen (GOT 533 U/l, GPT 281 U/l) wurde INH nach 20-tägiger Therapie abgesetzt. Die Therapie wurde mit Pyra-zinamid, Rifampicin und Ethambutol unter Vitamin B6-Substitution weitergeführt, die Steroidtherapie wurde aus-

geschlichen. Der Serum-Transaminasenverlauf war in derFolge rasch rückläufig (am 19.09. GOT 40, GPT 59 U/l).Bis zum 09.09. noch Nachweis säurefester Stäbchen imSputum (Gaffky V). Bei den Sputumkontrollen am 16.09.und 29.09. sowie im Bronchialaspirat vom 08.10. keinNachweis säurefester Stäbchen. Die Patientin wurde am08.10.97 in ambulante Weiterbehandlung entlassen.

Der weitere Verlauf gestaltete sich unkompliziert. DiePatientin entband am 26.11.97 ein leicht dystrophesMädchen, mit 2380 g innerhalb der 10. Perzentile. APGAR9/10/10. Nach Angaben der behandelnden pädiatrischenKlinik gab es auch nach mehrwöchiger Beobachtung keineAnzeichen für Tuberkulose bei der Tochter. Es zeigte sichbei dem Kind ein negativer Ausfall des Tuberkulin-Testsund ein unauffälliger Röntgenbefund des Thorax. Im Ma-gensaft konnten keine säurefesten Stäbchen nachgewiesenwerden.

Der Ablauf der tuberkulösen Pneumonie (Reaktivie-rung oder Neuinfektion) ließ sich nicht eruieren.

Abschließende Diagnose: respiratorisches Versagen aufdem Boden einer tuberkulösen Pneumonie.

Diskussion

Ein ARDS bei pulmonaler Tuberkulose kann sowohl durcheine miliare Verlaufsform als auch, wie im vorliegendenFall, durch eine pneumonische Verlaufsform ausgelöstwerden [14].

Eine tuberkulöse Pneumonie ist eher selten Auslöser ei-nes ARDS. Zahlen über die Inzidenz eines durch Tuber-kulose ausgelösten ARDS gibt es unseres Wissens nachnicht. Nach einer retrospektiven kanadischen Untersu-chung führen weniger als 1% der tuberkulösen Pneumo-nien zu einer beatmungspflichtigen respiratorischen In-suffizienz [14].

Ein erheblicher Anteil der Fälle mit respiratorischenVersagen bei pulmonaler Tuberkulose wird erst verzögerterkannt. Meist ist die Diagnose einer Tuberkulose bei Auf-nahme eines beatmungspflichtigen Patienten noch nichtklar. Nach einer retrospektiven Studie von Penner et al.[14] ist die Dauer vom Auftreten erster Symptome bis zurDiagnosestellung im Mittel 45±33 Tage.

Die Mortalität bei tuberkulöser Pneumonie beträgt nacheinigen Literaturangaben bis zu 60% auch bei früh einset-zender spezifischer Therapie [2, 15, 19].

Eine Verbesserung der Prognose dieser Patienten beruhtvor allem auf frühzeitiger Diagnosestellung und spezifi-scher Therapie. Dies ist angesichts meist unspezifischerklinischer und radiologischer Befunde und eines oft nega-tiven Tuberkulintestes jedoch erschwert [18, 19]. Das dia-gnostische Dilemma wird noch verschärft, weil bei einemerheblichen Anteil (ca. 28–50%) der schweren ambulanterworbenen Pneumonien auch bei intensiver und invasiverDiagnostik kein Erregernachweis geführt werden kann.

Intensivmedizin und Notfallmedizin, Band 35, Heft 6 (1998)© Steinkopff Verlag 1998

Abb. 2 ap-Röntgenbild des Thorax (Bettaufnahme) nach 4 WochenTherapie

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Die Angaben schwanken erheblich, da die Definition derschweren ambulant erworbenen Pneumonie uneinheitlichist [13] und die Intensität und Invasivität der Diagnostikerheblich variieren [11, 18].

In manchen Fällen können aus der Anamnese Hinweiseauf die Ätiologie des ARDS entnommen werden. So ma-chen Alkoholismus, Immundefekte, HIV-Infektion und einschlechter sozioökonomischer Status das Vorliegen einerTuberkulose wahrscheinlicher [2, 9, 15]. Auch ein mehr-wöchiges Prodromalstadium ist eher typisch für eine tu-berkulöse Ursache des respiratorischen Versagens, im Ge-gensatz zu vielen anderen Ursachen eines ARDS.

Neben den o.g. Hinweisen finden sich zum Teil wie imvorliegenden Fall seit Wochen bis Monaten bestehendeSymptome wie Fieber, Dyspnoe, Husten, Tachypnoe,Tachykardie oder ein pathologischer physikalischer Be-fund mit inspiratorischem Knistern, Pleurareiben oderRasselgeräuschen [9, 14, 18].

Bei diesen schweren Verlaufsformen der Tuberkuloseist der Tuberkulintest meist negativ. Bis zum Verschwin-den des Begleitödems können bei bis zu 90% der Patien-ten auch radiologisch keine tuberkulosespezifischen Be-funde erhoben werden [2, 9, 15, 18].

Daher wird zur Diagnosestellung bei Verdacht auf tu-berkulöse Pneumonie als Auslöser eines ARDS ein for-ciertes diagnostisches und therapeutisches Vorgehen ge-fordert. Neben mikroskopischen und kulturellen Untersu-chungen von Sputum, Tracheobronchialsekret, Pleurase-kret, Magensaft, Urin und gegebenenfalls Liquor wird auchdie Anlage von Blutkulturen im Mykobakterien-Milieu ge-fordert. Auch die histologische und mikrobiologische Un-tersuchung von Leber- und Knochenmarkspunktaten so-wie von transbronchialen Probeexzisionen wird von vie-len Autoren wegen der häufig disseminierten Verlaufsformfür erforderlich gehalten [2, 9, 14, 19].

Der Mykobakterien-DNA-Nachweis durch in vitro-Nu-kleinsäuren-Amplifikationssysteme hat nur in einigen La-bors mit spezieller Erfahrung eine ausreichende Spezifitätund Sensitivität. Gerade in neueren Studien zeigte sich be-züglich der Sensitivität eine große Variabilität zwischen 60 und 99% je nach untersuchtem Probenmaterial, Test-system und Institut. Für nicht-pulmologisches Materialwie z.B. Blut liegen noch keine ausreichenden Daten vor[16].

Schwangere Patientinnen haben kein erhöhtes Risiko,an Tuberkulose zu erkranken. Die Erkrankung verläuftauch nicht schwerer als bei Nicht-Schwangeren Patientin-nen [3, 4].

Bei der Behandlung schwangerer Patientinnen mit Tu-berkulose wie im vorliegenden Fall sind vor allem die oto-toxischen Nebenwirkungen des Streptomycin und anderer

Aminoglykoside zu beachten (fetale Entwicklungsstörun-gen des Nervus vestibulocochlearis). Bei Pyrazinamid lie-gen bisher gute, wenngleich insgesamt noch wenig Erfah-rungen vor. Bislang ergaben sich keine Hinweise auf tera-togene Nebenwirkungen [3, 7]. Für den Einsatz bei Schwan-geren ungeeignet sind Protionamid, Ethionamid, p-Ami-nosalicylsäure und Terizidon, da sich die für diese Medi-kamente charakteristischen gastrointestinalen und psychi-schen Nebenwirkungen in der Schwangerschaft verstärkenund auch ein erhöhtes Risiko fetaler Nebenwirkungen dis-kutiert wird [6, 7, 10].

Empfohlen werden in erster Linie Isoniazid, Ethambu-tol und Rifampicin [3, 6, 7, 10]. Das Teratogenitätsrisikowird insbesondere außerhalb des 1. Trimenons für we-sentlich geringer gehalten als das fetale Risiko durch eineExazerbation des Krankheitsbildes [6, 15].

Der Beginn einer antimykobakteriellen Chemotherapiekann durch Freisetzung bakterieller Produkte zunächst mitklinischer Verschlechterung einhergehen. Im vorliegendenFall wurde die Therapie angesichts des schweren Verlau-fes mit einer Viererkombination unter Einschluß möglichststark und rasch wirksamer antimykobakterieller Substan-zen begonnen.

Eine Kortikoidtherapie der Tuberkulose wird in der Li-teratur kontrovers diskutiert [2, 5, 15, 17, 18]. Jedoch wirdsie gerade bei schweren Verlaufsformen in neueren Arbei-ten eher favorisiert. Folgende Verlaufsformen der Tuber-kulose gelten als mögliche Indikationen für eine Kortiko-idtherapie: Miliartuberkulose, fortgeschrittene kavernöseTuberkulose, extensive primäre Tuberkulose mit großemPleuraerguß, endobronchiale Tuberkulose und bei Patien-ten mit schwerer Hypoxie bei fortgeschrittener Tuberku-lose [2, 7, 12]. Von manchen Autoren wird auf die erfor-derliche Steroidtherapie bei perikardialer und meningea-ler TB hingewiesen [17].

Schlußfolgerungen

Beim Vorliegen eines ARDS unklarer Ätiologie sollte auchdie Möglichkeit einer mykobakteriellen Genese erwogenwerden. Nur gezielte Anamneseerhebung und die frühzei-tige und im Bedarfsfall invasiv betriebene Diagnostik kön-nen die hohe Mortalität senken. Eine invasive Diagnostikwäre vor allem indiziert, wenn die Ursache des ARDS mit-tels konventioneller Diagnostik nicht zu eruieren ist. DerEinsatz von Kortikoiden ist unter Berücksichtigung neue-rer Erkenntnisse bei gleichzeitiger effektiver antibakteri-eller Therapie zu erwägen.

415A. Eichler et al.Respiratorisches Versagen bei tuberkulöser Pneumonie in der Schwangerschaft

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416 Intensivmedizin und Notfallmedizin, Band 35, Heft 6 (1998)© Steinkopff Verlag 1998

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