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Richesse du soir Mädchen aus dem Haslital - kunstmuseum · PDF fileJahrhundert über Franz Schnyders Gotthelf-Verfilmungen der 1950er Jahre bis hin zu Daniel Schmids Beresina oder

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Page 1: Richesse du soir Mädchen aus dem Haslital - kunstmuseum · PDF fileJahrhundert über Franz Schnyders Gotthelf-Verfilmungen der 1950er Jahre bis hin zu Daniel Schmids Beresina oder

Die Pracht der Tracht Schweizer Trachten in Kunst und Kunstgewerbe 2. September 2017 bis 7. Januar 2018, Ganzes Parterre Das Kunstmuseum Solothurn besitzt mehrere Hauptwerke, in denen die Tracht als Bildmotiv auftritt. Dazu gehören vor allem Beispiele der Schweizer Malerei um 1900 wie das monumentale Gemälde Richesse du soir (1899) von Cuno Amiet (1868-1961) oder Mädchen aus dem Haslital (um 1906) von Max Buri (1868-1915). Anlass der Ausstellung ist die Häufigkeit und Vielfalt von Trachten-Darstellungen in der Schweizer Kunst, für deren Vermittlung sich das Kunstmuseum Solothurn besonders einsetzt. Eine zusätzliche Motivation für die Behandlung des Themas bietet die Popularität, die volkstümliche Anlässe wie Schwingfeste oder Trachtenumzüge derzeit finden. Darin kann sich ein nostalgischer Bezug auf die eigene Region und Tradition spiegeln, der als Gegenreaktion aber nicht nur heute, in Zeiten der Globalisierung, sondern schon zu früheren Zeiten wirksam wird. Die Ausstellung zeigt darum nicht nur ein Panorama der Trachten-Darstellung von der Romantik bis heute, sondern fragt anhand von Exponaten aus Kunst und Kunstgewerbe, aus Film und Werbung nach den gesellschaftlichen und historischen Gründen ihres wechselnden Auftretens. Nicht von ungefähr kommt es zu einer Häufung von Trachten-Bildern in Zeiten, die in der Schweiz und ganz Europa von nationalistischen Tendenzen geprägt sind. Viele Exponate stammen aus dem späten 18. Jahrhundert oder dem Jugendstil, andere aus den 1930er Jahren, deren Lebensgefühl in der Schweiz mit dem Begriff „Landi-Geist“ umschrieben wird. Dieser bezieht sich auf die Schweizerische Landesausstellung von 1939, an der die „geistige Landesverteidigung“ mit traditionell und regional geprägten Bildern wie der Tracht beschworen wird. Ebenso naheliegend scheint es, dass zeitgenössische Kunstschaffende mit ihren Werken auf die neue Popularität des Volkstümlichen reagieren, um dem biederen Image des traditionellen Gewandes ironisch oder sinnlich zu entgegnen. Die Ausstellung erstreckt sich über alle sieben Säle der beiden Parterre-Flügel und zeigt die hauptsächlichen Themenfelder der Trachtendarstellung. Dazu gehören nicht nur Porträts, sondern auch verschiedene Genre-Szenen des ländlichen Lebens, bis hin zu detaillierten Schilderungen der bäuerlichen oder kirchlichen Feste. Die Platzierung der rund 200 Exponate folgt sowohl chronologischen wie inhaltlichen Überlegungen. Im ersten Saal finden sich mit Beispielen aus den beiden Trachtenzyklen von Josef Reinhard (1749-1824) die frühesten Trachten-Bilder der Präsentation, mit einem eigens zur Ausstellung realisierten Videofilm von Roman Signer (*1938) im letzten Saal reicht der zeitliche Bogen bis ins Jahr 2017. Vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg siedeln sich viele Maler bewusst in ländlichen Gegenden an, wo sie sich in Malerkolonien zusammenschliessen. Die schönsten und aufwändigsten Trachten sind hauptsächlich in katholischen Gegenden zu finden: in Appenzell Innerrhoden, in der Innerschweiz oder im Wallis, wo die vielteilig bunten Trachten der Walliser Bergregionen eine ganze Künstlergruppe inspirieren. Die zur „Ecole de Savièse“ zählenden Maler Ernest Biéler (1863-1948) und Raphy Dallèves (1878-1940) stellen in ihren Werken immer wieder Trachten dar. Die damalige Kunst des Jugendstils mit seiner Zuwendung zum Dekorativen entdeckt in den Mustern der Trachten ein ideales Motiv. Ein weiterer Schwerpunkt der Trachten-Malerei findet sich im Bernbiet, wo Maler wie Max Buri und Cuno Amiet Menschen in ihren regionalen Trachten zeigen. Grosse Auftritte bei Landes- und Weltausstellungen bilden den Abschluss einer langen Entwicklung der Tracht. An der Landesausstellung 1939 kann sie mit organisierten Gruppen als identitätsstiftendes Heimatbekenntnis instrumentalisiert werden. Lieblingsmotive der damaligen Werbung, die sich mit dem touristischen Anpreisen der Schweizer Landschaft verbindet, sind Trachten-Frauen.

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Verschwindet das Bildmotiv in der Kunst nach 1945 über Jahrzehnte fast ganz, greifen es um die Jahrtausendwende wenige Kunstschaffende wieder auf. Bemerkenswert ist die grosse Video-Installation Hierig-Heutig (2008) von Anka Schmid (*1961), in der die Zürcher Künstlerin mit der fulminanten Darstellung eines Appenzeller Paartanzes die herkömmlichen Vorstellung des Braven und Reinen mit verführerischen Bildern und aggressiven Klängen unterläuft – oder ein fotografisches Selbstporträt von Pipilotti Rist (*1962), bei dem sie die typische Rad-Haube ihrer St. Galler Heimatregion trägt. Die Ausstellung legt den Schwerpunkt auf Beispiele aus der bildenden Kunst. Zu den Exponaten gehören sowohl Gemälde wie auch Aquarelle, Zeichnungen, Graphiken und Skulpturen. Dabei werden nicht nur bekannte Meisterwerke von David Sulzer (1784-1864), Franz Xaver Winterhalter (1805-1873), Charles Giron (1850-1914), Giovanni Segantini (1858-1899) oder Edouard Vallet (1876-1929), sondern dank intensiver Recherchen auch Entdeckungen gezeigt. Ein besonderes Augenmerk gilt der Fotografie und Plakatkunst, die sich zu unterschiedlichen Zeiten der Tracht widmet. Ein kleinerer, doch ebenso wesentlicher Teil der Ausstellung macht die Tracht selbst aus, von der einzelne Elemente wie Hauben oder Trachtenschmuck präsentiert werden. Dabei geht es weniger um das Vergleichen von Vorlage und künstlerischem Abbild als vielmehr um das Aufzeigen einer eigenen Qualität. Nicht selten hat die kunsthandwerkliche Akribie auch die spezifische Handschrift der Malerei inspiriert. Bemerkenswert ist zudem ein Trachten-Sampler, auf dem Ausschnitte aus Filmen vom späten 19. Jahrhundert über Franz Schnyders Gotthelf-Verfilmungen der 1950er Jahre bis hin zu Daniel Schmids Beresina oder die letzten Tage der Schweiz von 1999 zu sehen sind. Die vielfältigen gesellschaftlichen und historischen Hintergründe zum Trachtenwesen werden vor allem in der Begleitpublikation erörtert, mit Aufsätzen von Felix Aeppli, Bernadette Fülscher, Marcel Just, Ursula Karbacher, Barbara Vinken und Christoph Vögele (Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich, 192 Seiten, Fr. 49.-). Das Thema wird mit einem reichen Veranstaltungsprogramm (siehe Einladungskarte) vertieft.

Marcel Just und Christoph Vögele, Kuratoren