24
Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Die Varusschlacht – Quellen, Hintergründe, Folgen Forschung – Tatort Kalkriese 2. 3. 1. Hintergrundwissen, Seite 1 Hintergrund- wissen Hintergrund- wissen

Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Folgen …...Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Die Römer Im 7. Jh. v. Chr. war Rom nicht mehr als ein Dorf am Tiber. Doch alsbald

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Folgen …...Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Die Römer Im 7. Jh. v. Chr. war Rom nicht mehr als ein Dorf am Tiber. Doch alsbald

Römer und Germanen zur Zeit des Augustus

Die Varusschlacht – Quellen, Hintergründe, Folgen

Forschung – Tatort Kalkriese

2.

3.

1.

Hintergrundwissen, Seite 1

Hintergrund- wissenHintergrund- wissen

Page 2: Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Folgen …...Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Die Römer Im 7. Jh. v. Chr. war Rom nicht mehr als ein Dorf am Tiber. Doch alsbald

Römer und Germanen zur Zeit des Augustus

Die Römer Im 7. Jh. v. Chr. war Rom nicht mehr als ein Dorf am Tiber. Doch alsbald begann von hier aus ein Eroberungszug, der zunächst Italien und schließlich die halbe Welt verändern sollte. Rom wurde die militärische und politische Supermacht der Antike.

Der militärische Erfolg des Römischen Reichs beruhte auf einer im Verlauf der Jahrhunderte ausge-feilten Heeresorganisation und strategischer Kriegsführung, gepaart mit strengster Disziplin, eiser-nem Durchhalte- und Siegeswillen. Zur Zeit des Augustus (27 v.–14 n. Chr.) bestand die römische Armee aus 28 Legionen – eine für jene Zeit sehr beachtliche Zahl. Doch die rund 150.000 Legionäre und etwa 100.000 Soldaten in den Hilfstruppen hatten von der Nordsee bis Nordafrika für Sicherheit zu sorgen. Da konnte es durchaus zu Engpässen kommen. Allein sechs Legionen standen am Rhein, also an der nördlichen Grenze des Römischen Reichs. Nach der Varusschlacht wurde ihre Zahl auf acht Legionen erhöht.

1.Hintergrundwissen, Seite 2

Page 3: Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Folgen …...Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Die Römer Im 7. Jh. v. Chr. war Rom nicht mehr als ein Dorf am Tiber. Doch alsbald

Die Armee war ein stehendes Heer. Zu jeder Legion gehörten im Idealfall 6000 Mann, davon waren 4000 bis 5000 Fußsoldaten, gut trainierte Berufssoldaten, die sich für 20 Jahre Militärdienst verpflichtet hatten. Hinzu kamen 120 Reiter, Führungspersonal, Feldzeichenträger, Ärzte, Schreiber, Handwerker, Lagerarbeiter und Stallburschen sowie 1000 Last- und Zugtiere. Allerdings wurde diese Sollstärke nicht immer erreicht.

Eine Legion gliederte sich in Kohorten und diese wiederum in Zenturien à 80 Mann. Jeweils acht Mann bildeten eine Gemeinschaft. Sie teilten sich ein Zelt und ein Maultier. Eine ausgeklügelte Hierarchie, gepaart mit Ordnung und Disziplin bestimmte das Wesen der römischen Armee. Nur so ließen sich Tausende von Soldaten führen und im Kampf dirigieren. Bevorzugt wurden die offene Feldschlacht und der Formationskampf. Alleingänge waren unüblich, Überraschungsangriffe sowie schnelle und spontane Reaktionen sah die römische Militärtaktik nicht vor.

Weiterführende Literatur:· KLAUS BRINGMANN, Römische Geschichte. Von den Anfängen bis zur Spätantike,Verlag C. H. Beck, München 2008.

· ARMIN EICH, Die römische Kaiserzeit. Die Legionen und das Imperium,Verlag C.H. Beck, München 2014.

· WERNER ECK, Augustus und seine Zeit, Verlag C.H. Beck, München 2014.· THOMAS FISCHER, Die Römer in Deutschland, Theiss Verlag, Stuttgart 2001.· MARCUS JUNKELMANN, Die Legionen des Augustus. Der römische Soldatim archäologischen Experiment, Herbert Utz Verlag, München 2015.

· REINHARD WOLTERS, Die Römer in Germanien, Verlag C.H. Beck, München 2011.

Hintergrundwissen, Seite 3

Page 4: Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Folgen …...Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Die Römer Im 7. Jh. v. Chr. war Rom nicht mehr als ein Dorf am Tiber. Doch alsbald

Die Germanen

„Das ganze Land zeigt zwar im einzelnen Unterschiede; doch im ganzen macht es mit seinen Wäldern einen schaurigen, mit seinen Sümpfen einen widerwärtigen Eindruck“ – so schildert der römische Geschichtsschreiber Publius Cornelius Tacitus in seinem Werk Germania (verfasst um 98 n. Chr.) das Land jenseits des Rheins. Damit folgte er einem seinerzeit gängigen Klischee. Doch wahrscheinlich prägte noch ein weiterer Gesichtspunkt seine Schilderung. An den Bewohnern dieses Landstrichs war das Römische Reich trotz energischer und langanhaltender Bemühungen gescheitert – fast 30 Jahre hatte man um Germanien gerungen. Plausible Gründe mussten her, um dies zu rechtfertigen. Die Landschaft war einer davon.

Und tatsächlich, laut den Chronisten zur Varusschlacht, allen voran Cassius Dio, hatte sich in diesen Tagen des Jahres 9 n. Chr. wirklich alles gegen die Römer verschworen: die Barbaren, die Landschaft und das Wetter. Übertreibung oder Wirklichkeit?

Reudigner

AnglierVariner

Friesen

Langobarden

Semnonen

Chasuarier Angrivarier

Dulgubier

Bataver

Chamaver Cherusker

Brukterer

Tenkterer

Usiper Chatten

Hermunduren

Marsigner

Markomannen

Narister

Chauken

Hintergrundwissen, Seite 4

Page 5: Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Folgen …...Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Die Römer Im 7. Jh. v. Chr. war Rom nicht mehr als ein Dorf am Tiber. Doch alsbald

Was das Wetter angeht, lassen sich nach 2000 Jahren keine verlässlichen Aussagen treffen, aber es war Herbst und der fällt in unseren Breiten zuweilen ungemütlich aus.

Konkreter sind demgegenüber die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Umwelt: Schon seit Jahren erforschen Geologen, Bodenkundler und Paläobotaniker die hiesige Landschaft und ihr Fazit fällt differenzierter aus. In der Tat waren vor 2000 Jahren weite Teile Norddeutschlands von Mooren bedeckt – ein Erbe der Eiszeit. Doch überall, wo es möglich war, lebten schon seit Jahrtausenden auch hierzulande Menschen.

So war auch die Umgebung des Kalkrieser Berges lange vor der Schlacht von Menschen bewohnt. Fast genau so lang wurden hier Ackerbau und Viehzucht praktiziert. Von Urwald kann also keine Rede sein. Gleichwohl war die Landschaft am Kalkrieser Berg besonders: Sie liegt auf dem Grat zwischen Mittelgebirge und Niederung und vereint so all das, was einem Römer damals wild und gefährlich vorkommen musste: steile Hügel, unwegsame Wälder, feuchte Sümpfe, tückische Moore. Völlig falsch lag Tacitus mit seinem Urteil also nicht.

Allerdings umfasste das von den Römern als Germanien bezeichnete Land weit mehr als das heutige Norddeutschland, also Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen oder Schleswig-Holstein. Germanien war in ihrer Lesart das Land bzw. die Landschaften jenseits des Rheines und zwischen Nordsee, Ostsee, Weichsel und der Donau. Grenzen im politischen Sinne hatte dieses Germanien nicht und auch die Bewohner selbst fühlten sich nicht als einem Land Germania zugehörig.

Seine Bewohner bezeichneten die Römer zusammenfassend als Germanen. Ein Oberbegriff, der allein bei Tacitus rund 50 verschiedene Gruppen umfasste, deren Zugehörigkeit auch Tacitus nicht immer klar war. Germanisch oder nicht-germanisch? Mal gab die Sprache, mal die Kultur und mal die Kampfkraft einer Gruppe hierfür den Ausschlag.

Die Germanen selbst schrieben ihre Geschichte nicht auf. Nicht einmal ihre Sprache ist überliefert und ebenso unklar ist, ob es sich bei den von den Römern überlieferten Bezeichnungen tatsächlich um ihre Stammesnamen handelte. Ungeachtet der vielen überlieferten Stammesnamen fällt das archäologische Fundgut über weite Räume auffallend gleichförmig aus. Lediglich auf überregio-naler Ebene lassen sich anhand unterschiedlicher Siedlungs- und Hausformen, Bestattungssitten oder Alltagsgüter, wie zum Beispiel keramischer Gefäße, ansatzweise drei Gruppen voneinander unterscheiden. Entsprechend ihrer Lokalisierung werden sie als Nordsee-Germanen, Rhein-Weser- Germanen und Elbgermanen bezeichnet.

Hinsichtlich der Details zu den germanischen Stämmen sind wir also tatsächlich weitgehend auf die antiken Überlieferungen angewiesen. Inwieweit diese die Realität in Worte fassen, wird in der Wissenschaft kontrovers diskutiert. Fakt ist, dass die wenigsten der Autoren vor Ort recherchiert haben. Nicht selten verfolgte ihre Beschreibung auch noch ganz andere Ziele. So wollte Tacitus mit der ausdrücklich positiven Bewertung einiger ausgewählter germanischer Tugenden in der Germania den Lebensstil seiner Landsleute kritisieren und ihre Verschwendungssucht, Prahlerei, sittliche Verdorbenheit und Dekadenz anprangern. Kurzerhand steckte er die Germanen in das Gewand des guten Wilden, der zwar ungestüm und unzivilisiert, doch mit reinem Herzen, bescheiden und tugendsam im Einklang mit der Natur lebte. Eines ist jedoch gewiss, die Germanen waren niemals ein Zusammenschluss oder ein Volk im heutigen Sinne. Der Begriff umfasst lediglich alle Bevölkerungsgruppen in einem bestimmten Lebensraum und hat damit eine ähnlich eingeschränkte Aussagekraft wie zum Beispiel das Wort „Indianer“ für die Ureinwohner Nord-, Süd- und Mittel-amerikas oder „Aborigines“ für die Stämme Australiens.

Hintergrundwissen, Seite 5

Page 6: Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Folgen …...Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Die Römer Im 7. Jh. v. Chr. war Rom nicht mehr als ein Dorf am Tiber. Doch alsbald

Lebensweise der GermanenDen archäologischen Erkenntnissen zufolge praktizierten die Germanen Ackerbau und Viehzucht. Sie lebten in großen Wohnstallhäusern, die sie, wie der Name schon sagt, mit ihren Kühen, Schweinen, Ziegen und Schafen teilten. Alles, was sie zum Leben brauchten, stellten sie selber her. Nur für die Gewinnung und Verarbeitung spezieller Rohstoffe, wie zum Beispiel Eisen oder andere Metalle, gab es handwerkliche Spezialisten, ansonsten waren sie tatsächlich weitgehend Selbst-versorger. Die Germanen hatten keine Städte und selbst ihre Dörfer waren übersichtlich und bestanden meist nur aus wenigen Gehöften. Auch wenn es durchaus soziale Unterschiede gab, also reiche und arme Bauern, so waren die sozialen Unterschiede nicht so drastisch ausgeprägt wie bei den Römern. Und selbst dort, wo es bereits eine Elite, Oberschicht oder gar einen Adel gab, war dessen Einfluss und Reichweite äußerst beschränkt und mit dem Auftreten, dem Prunk oder der Machtausübung eines Kaisers Augustus in keiner Weise zu vergleichen.

Die Germanen waren also kein Volk mit Hauptstadt und zentraler Führung. Folglich gab es auch keine gemeinsame Armee. Bei Gefahr griff man(n) zur Waffe. Ansonsten gab es Gefolgschaften, also Gruppen kampferfahrener Männer, die sich um einen Anführer scharrten. Sie wehrten Bedrohungen ab oder gingen selbst auf Kriegs- oder Raubzüge. Die Gruppen konnten klein sein, zuweilen aber durchaus mehrere 100 Männer umfassen. Eine Gefolgschaft beruhte auf Freiwillig-keit. Der Anführer versprach Ruhm und Versorgung, der Krieger bot Kampfkraft und Loyalität; der gemeinsame Erfolg schweißte sie zusammen. Mit der Größe der Gefolgschaft wuchsen Macht und Ansehen des Anführers, aber auch der Bedarf an Beute, um sein Gefolge versorgen und zusammen halten zu können. War das nicht mehr garantiert, verließen die Anhänger das Gefolge und die Gefolgschaft löste sich vielleicht sogar auf.

Hintergrundwissen, Seite 6

Page 7: Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Folgen …...Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Die Römer Im 7. Jh. v. Chr. war Rom nicht mehr als ein Dorf am Tiber. Doch alsbald

Im Vergleich zu den Römern war die Ausstattung der germanischen Krieger bescheiden. Eisen war knapp. Man musste sich auf das Allernötigste beschränken: Schild, Lanze, Schwert. Somit waren die Kämpfer weniger geschützt. Dafür waren sie beweglicher. Sie konnten sich lautlos an den Feind heranschleichen und überraschend zum Angriff übergehen. In einer offenen Feldschlacht hatten sie gegen die gut bewaffneten und in Reih und Glied aufgestellten Römer allerdings kaum eine Chance. Arminius, der lange für die Römer gekämpft hatte, wusste dies und wählte deshalb einen Hinterhalt. Offensichtlich lernten die Germanen rasch dazu. Schon einige Jahre nach der Varus-schlacht schildern die antiken Quellen, dass die Germanen auch in Feldschlachten immer besser aufgestellt waren und sich zu wehren wussten. Funde der ersten nachchristlichen Jahrhunderte aus dänischen Mooren lassen vermuten, dass die Organisationsstrukturen der römischen Armee allmählich übernommen und die Bewaffnung zunehmend standardisiert wurde.

Weiterführende Literatur:· ERNST KÜNZL, Die Germanen, Theiss Verlag, Darmstadt 2015.· ARNULF KRAUSE, Die Geschichte der Germanen, Verlag Nikol, Hamburg 2013.· ALLAN A. LUND, Die ersten Germanen. Ethnizität und Ethnogenese, Verlag C. Winter,Heidelberg 1998.

· WALTER POHL, Die Geschichte der Germanen, Enzyklopädie der deutschen Geschichte Bd. 57,Verlag De Gruyter Oldenbourg, München 2004.

Hintergrundwissen, Seite 7

Page 8: Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Folgen …...Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Die Römer Im 7. Jh. v. Chr. war Rom nicht mehr als ein Dorf am Tiber. Doch alsbald

Die Varusschlacht – Quellen, Hintergründe, Folgen

Die antiken Quellen und ihre Autoren Das einzige erhaltene inschriftliche (epigra-fische) Zeugnis für die Varusschlacht ist in Stein gemeißelt. Es handelt sich um den Gedenkstein zu Ehren des Marcus Caelius, der, so die Inschrift, im „Krieg des Varus“ zu Tode gekommen ist. Die vollständige Inschrift lautet:

„Dem Marcus Caelius, dem Sohn des Titus, aus dem Stimmbezirk Lemonia, aus Bolog-na, dem Hauptmann der 1. Kohorte der 18. Legion, 53 Jahre alt. Er ist gefallen im Krieg des Varus. Es wird erlaubt sein, (seine) Gebeine hier zu bestatten. Publius Caelius, der Sohn des Titus, aus dem Stimmbezirk Lemonia, sein Bruder, hat (diesen Stein) gemacht.“

Der Gedenkstein zeigt den Zenturio Marcus Caelius mit dem Stab des Zenturio, seinen militärischen Orden und einem Kranz aus

Eichenlaub. Abgebildet sind zudem seine beiden Sklaven Privatus und Thiaminus. Der Stein selbst wurde um 1620 unter ungeklärten Umständen in der Nähe von Xanten entdeckt und ist heute im LVR-LandesMuseum Bonn zu sehen.

Außer diesem Gedenkstein sind einige antike Schriftquellen zur Varusschlacht überliefert. Sie geben die römische Perspektive auf das Ereignis wieder. Germanische Autoren gibt es nicht – die Germanen schrieben ihre Geschichte nicht auf. So fehlt uns bedauerlicherweise das Wissen um ihre Sicht der Dinge. Doch auch von den römischen Quellen sind längst nicht alle bis heute erhalten geblieben. Die Hauptquellen zur Varusschlacht sind uns von folgenden Autoren überliefert.

Velleius Paterculus (20 v. Chr.–30 n. Chr.[?]) Velleius Paterculus stammte aus einer adligen Familie und trat in jungen Jahren in die Armee ein. Dort wurde er rasch Offizier. Als 20­jähriger begleitete er Tiberius in die Provinzen des Ostens. An dessen Seite erlebte er die Niederschlagung der Aufstände in Pannonien und die Feldzüge in Germanien. Paterculus schrieb eine „Römische Geschichte“ (Historia Romana), bestehend aus zwei Büchern, von denen das erste nur fragmentarisch erhalten ist. Im Unterschied zu allen übrigen Autoren war Paterculus ein echter Zeitzeuge, der die Germanienkriege wirklich miterlebt hatte und diese nicht nur vom Hörensagen oder aus anderen Quellen kannte. Gleichwohl ist sein Werk mit Vorsicht zu genießen. Seine große Bewunderung für Tiberius verstellte ihm gelegentlich den Blick für die Wirklichkeit. So schilderte er die allgemeinen Verhältnisse allzu oft als Sumpf an Niedertracht und Mittelmäßigkeit, aus dem Tiberius wie ein strahlender Stern herausragte. In Kapitel 117–119

2.Hintergrundwissen, Seite 8

Page 9: Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Folgen …...Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Die Römer Im 7. Jh. v. Chr. war Rom nicht mehr als ein Dorf am Tiber. Doch alsbald

seiner Historia Romana befasste er sich mit der Varusschlacht; leider nur kurz. Stattdessen vertröstete er den Leser auf eine spätere Abhandlung zum gleichen Thema. Zu deren Niederschrift ist es offenbar nicht gekommen oder das Werk ging, wie so viele andere, im Laufe der Jahrhunderte verloren.

Publius Cornelius Tacitus (55 n. Chr.–120 n. Chr.) Tacitus kam aus gutem Hause. Vermutlich ritterlicher Herkunft, genoss er eine solide Ausbildung in Jura und Rhetorik und arbeitete zunächst als Gerichtsredner und Rhetoriklehrer. 79 n. Chr. begann seine politische Laufbahn, die ihn auch in die fernen Provinzen des Reiches führte. Erst mit rund 40 Jahren begann er seine Arbeit als Schriftsteller. Er war alles andere als ein objektiver Historiker und hielt mit seiner persönlichen Meinung nicht hinterm Berg. Ganz im Gegenteil neigte er zu boshaften Kommentaren und bissigem Spott. 98 n. Chr. veröffentlichte er sein Erstlingswerk Agricola. Noch im gleichen Jahr erschien die Germania – sie sollte später sein bekanntestes Werk werden. Ab 112 n. Chr. arbeitete er an den 16-bändigen Annalen, heute nur noch in Fragmenten erhalten. Die hierin zusam-mengefassten historischen Ereignisse von 14–68 n. Chr. bieten keine besinnliche Lektüre. Stattdessen bestimmen Mord und Totschlag, politische Intrigen und dekadente Herrscher jene Zeit. Die Varus-schlacht selbst beschrieb Tacitus nicht. Stattdessen schilderte er das cheruskische Familien drama, also das Verhältnis von Arminius zu seinem Schwiegervater Segestes, die Auslieferung und Gefangen-nahme Thusneldas und den Besuch von Germanicus auf dem Schlachtfeld. Tacitus würdigte Arminius als „liberator Germaniae“ – Befreier Germaniens (Tacitus Buch I, Kapitel 3 und 55–71; Buch II Kapitel 7, 26 und 88). Er legte so den Grundstein für die ab dem 16. Jahrhundert einsetzende Arminius-Verehrung.

Gaius Suetonius Tranquillus (ca. 69 n. Chr.–?) Wohl in Nordafrika, im heutigen Algerien, in vermögenden Verhältnissen geboren, stand seiner Karriere nichts im Wege. Doch anstatt nach politischem Ansehen und Macht zu streben, widmete sich Sueton lieber der Schriftstellerei und ging nur gelegentlich einer „geregelten“ Arbeit nach, mal als Gerichtsredner oder Richter, dann als Bibliothekar. 117 n. Chr. avancierte er unter Kaiser Hadrian zum Kanzleileiter. Diese Tätigkeit verschaffte ihm Zugang zu den kaiserlichen Archiven. Für seine literarische Arbeit verwendete er allerdings nicht nur Protokolle, Reden oder Briefe, sondern auch Anekdoten und gelegentlich sogar wilde Gerüchte. 122 n. Chr. veröffentlichte er seine zwölf Kaiser-biographien, darunter auch eine zu Augustus – Divus Augustus (Kapitel 23). Zwar skizzierte er die Abfolge der historischen Ereignisse, verfolgte jedoch kein wirklich historisches Erkenntnisinteresse. Sueton wollte unterhalten und die Neugier seiner Leser wecken. So schilderte er mit überbordender Erzählfreude, überging Wichtiges oder verlor sich in farbigen Details und Nebensächlichkeiten. Sueton war der Klatschreporter der Antike – nicht alles falsch, doch manches ausgeschmückt und übertrieben. Von ihm stammt übrigens der berühmte Satz: „Quinctilius Varus, gib mir meine Legionen wieder!“ 121 n. Chr. stolperte er über eine Intrige und fiel in Ungnade. Ab dann verliert sich sein weiterer Lebensweg im Nebel, selbst sein Sterbejahr ist ungewiss.

Lucius Annaeus Florus (Ende 1. Jh.–Mitte 2. Jh.) Von Florus ist weder das genaue Geburts- noch das Todesjahr bekannt. In der Provinz Africa geboren, entdeckte er schon als Junge sein Talent für Dichtung und Schriftstellerei und wurde deshalb Autor. In seiner Epitoma de Tito Livio schilderte er die Geschichte Roms von den Anfängen bis zu Kaiser Augustus als ein Loblied auf die römische Zivilisation und deren kulturelle Überlegenheit über die übrigen Völker. Die historischen Angaben entnahm er dem heute verschollenen Werk des römischen Geschichtsschreibers Livius. Als Schriftsteller lag sein Augenmerk indes weniger auf historischer Genauigkeit. Stattdessen ging es ihm um eine unterhaltsame, emotionale und spannungsreiche Darstellung – so auch in seiner Schilderung der Varusschlacht (Florus II, 30).

Hintergrundwissen, Seite 9

Page 10: Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Folgen …...Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Die Römer Im 7. Jh. v. Chr. war Rom nicht mehr als ein Dorf am Tiber. Doch alsbald

Cassius Dio Cocceianus (164–230 n. Chr.[?])Bevor er sich der Schriftstellerei zuwandte, absolvierte Cassius Dio eine politische Karriere. Geboren in der Provinz Bithynia, in der heutigen Türkei, zog es den gebürtigen Griechen nach Rom. Eingetreten in den Senat, stieg er alsbald zum Prätor auf, wurde 204 n. Chr. Konsul, schließlich Statthalter und dann mit der Verwaltung der Städte Pergamon und Smyrna betraut. Ab 223 n. Chr. leitete er als Prokonsul mehrere Provinzen, bevor er erneut Konsul wurde. Über zehn Jahre lang sammelte Dio das Material für seine „Römische Geschichte“ (Historia Romana). Das um 211/212 n. Chr. verfasste 80-bändige Werk ist heute nur in Teilen erhalten, die Abhandlung zur Varusschlacht gehört glücklicher-weise dazu. Dios Beschreibungen zur Varusschlacht gelten in der Wissenschaft als die verlässlichsteund vor allem detaillierteste Darstellung der damaligen Ereignisse (Buch 56, Kapitel 18, 1–24,6).Vermutlich standen ihm ältere Schriften zur Verfügung, die zwischenzeitlich verloren gingen,wie Titus Livius’ Ab urbe condita oder die Darstellung der Germanenkriege von Plinius dem Älteren.

Die Varusschlacht – Vorgeschichte und Folgen 59 v. Chr. wurde Iulius Caesar Statthalter in Norditalien. Den kurz darauf stattfindenden Überfall germanischer Stämme auf das nördlich benachbarte Gallien deutete er als große Bedrohung für das Römische Reich und rechtfertigte so seine daraufhin ergriffenen Maßnahmen. In nur acht Jahren unter - warf er Gallien und führte die römischen Truppen bis an den Rhein. Fortan galt der Rhein als Grenze des Römischen Reichs. Die neue Grenzlinie wurde allerdings weder gesichert noch befestigt und im Zuge innenpolitischer Wirren geriet sie als-bald aus dem Blickfeld. Die Römer hatten andere Sorgen: 44 v. Chr. fiel Iulius Caesar einer Verschwörung zum Opfer. Daraufhin brach ein Bürgerkrieg um seine Nachfolge aus und entwickelte sich zu einem erbitterten und verlustreichen Wettlauf um die Macht. Im Jahr 27 v. Chr. gelang es Octavian, diesen Kampf für sich zu entscheiden. Er trat als Allein-herrscher die Nachfolge Caesars an und ging, bekannter unter seinem Ehrennamen Augustus – der Erhabene – in die Geschichte ein. Die Römische Republik gehörte der Vergangenheit an, es begann die Römische Kaiserzeit.

Im Verlauf des Bürgerkrieges hatten die Römer ihre neue Provinz Gallien und die Rheingrenze vollends aus den Augen verloren. Diese Gelegenheit ließen die Anrainer nicht unge-nutzt verstreichen. Wiederholt wurden die grenznahen galli-schen Landstriche von rechts des Rheins lebenden Stämmen überfallen. Ein Höhepunkt war erreicht als die 5. Legion 16 v. Chr. von den Sugambrern vernichtend geschlagen wurdeund dabei auch noch das Feldzeichen verlor. Dieser Vorfallveranlasste Kaiser Augustus zum sofortigen Handeln. Nochim gleichen Jahr begab er sich nach Gallien. Er ordnete dieReorganisation der Verwaltung, den Ausbau des Verkehrs-netzes und die Errichtung erster militärischer Stützpunkteam Rhein an und verlegte in Gallien stationierte Truppen andie neue Grenze. Annähernd zeitgleich erfolgte ab 15 v. Chr.die Sicherung der Nordgrenze Italiens durch die Eroberungder Alpen und des Alpenvorlandes bis zur Donau.

Hintergrundwissen, Seite 10

Page 11: Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Folgen …...Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Die Römer Im 7. Jh. v. Chr. war Rom nicht mehr als ein Dorf am Tiber. Doch alsbald

Angesichts fortgesetzter Überfälle seitens der Germanen beauftragte Kaiser Augustus seinen Stiefsohn Drusus mit der Durchführung einer Offensive. Umstritten ist, ob dieser nur das Grenzvorland sichern oder tatsächlich eine Eroberung Germaniens einleiten sollte. Fest steht, dass Drusus am 1. August 12 v. Chr. den Rhein über-schritt. Eine zweite Expedition führte ihn in den Nordsee-küstenraum. Trotz erster Niederlagen setzte Drusus seine Mission unverdrossen fort und erreichte 9 v. Chr. schließ-lich die Elbe. Doch auf dem Rückweg stürzte er vom Pferd und starb. Daraufhin übernahm sein Bruder Tiberius 8 v. Chr. das Kommando.

11 v.Chr.

9 v.Chr

.

10v.

Chr. 9 v. Chr.

12 v.Chr.

OberadenBeckinghausen

Hedemünden

Bad Nauheim-Rödgen

NijmegenXanten

Neuss

Mainz

Dorsten

Bonn

Fossa DrusianaBielefeld

ElbeWeser

Ems

Rhein

Donau

Main

Wie sich an den archäologisch nachgewiesenen baulichen Resten erkennen lässt, stießen die Römer über mehrere Wege ins Innere Germaniens vor. Stärker als Drusus setzte Tiberius allerdings auch auf diplomatische Mittel. Mit Erfolg! Viele germanische Stämme schlossen Verträge mit den Römern. Ungeachtet der immer wieder aufflackernden Aufstände und Revolten galt Germanien 7 n. Chr. als befriedet. Eine folgenreiche Fehleinschätzung, wie sich wenig später zeigen sollte. Noch im gleichen Jahr wurde Publius Quinctilius Varus von Kaiser Augustus als Statthalter nach Germanien entsandt. Er sollte dort mit Unterstützung der Rheinarmee die nötigen Vorbereitungen für die Errichtung einer römischen Provinz Germania treffen. Doch die von ihm eingeführte römische Rechtsprechung und die Steuererhebung stießen bei den Betroffenen auf wenig Verständnis. In einzelnen Stämmen kam es

Hintergrundwissen, Seite 11

Page 12: Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Folgen …...Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Die Römer Im 7. Jh. v. Chr. war Rom nicht mehr als ein Dorf am Tiber. Doch alsbald

zu Auseinandersetzungen zwischen Verbündeten und Gegnern Roms. Der Cherusker Arminius, der in der römischen Armee Karriere gemacht hatte und eine Hilfstruppe befehligte, wurde offenbar Wortführer der Gegner und schmiedete mit seinen Verbündeten einen Komplott: Varus und sein Heer sollten in unbekanntes Terrain gelockt und dort überfallen werden. Zugleich bemühte sich Arminius um das Vertrauen des Varus. Zwar erfuhr Varus durchaus rechtzeitig von dem hinterhältigen Spiel seines vermeintlich guten Freundes Arminius, doch er schlug die Warnung in den Wind. Als ihn auf dem Weg ins Winterlager die Nachricht von einem Aufstand ereilte, schöpfte er keinen Verdacht und änderte die Marschrichtung. Arminius und die Hilfstruppen begleiteten das Heer, bevor sie sich unter dem Vorwand, Verstärkung zu holen, verabschiedeten. Varus vertraute Arminius noch immer. So liefen die Römer ahnungslos in den vorbereiteten Hinterhalt.

Im Verlauf der Schlacht, die sich laut Cassius Dio über mehrere Tage und Orte hinzog, wurde die 17., 18. und 19. Legion in erbitterten Kämpfen vollständig aufgerieben. Angesichts der Aussichtslosigkeitbeging Publius Quinctilius Varus Selbstmord. Seinen Kopf ließ Arminius zunächst dem Markomannen-könig Marbod senden, verbunden mit der Aufforderung zur Kooperation. Dieser jedoch schickte denKopf weiter nach Rom, wo er im Mausoleum der Familie ordnungsgemäß bestattet wurde.

Für die Römer war das Kapitel Germanien trotz der verhee-renden Niederlage keinesfalls abgeschlossen. Nach ersten Vergeltungsmaßnahmen entsandte man sechs Jahre später abermals ein Militärkommando nach Germanien. Unter der Führung von Germanicus und mit Hilfe von rund acht römi-schen Legionen sollte Germanien nun endgültig bezwungen werden. Nach mehreren verlustreichen Schlachten und einigen verheerenden Unglücksfällen zog der zwischenzeit-lich zum Kaiser gekrönte Tiberius allerdings die Notbremse. Er beorderte Germanicus zurück nach Rom, die Truppen zurück an den Rhein und verkündete, die germanischen Stämme fortan ihrer eigenen Zwietracht überlassen zu wollen.

Dieser Meinungsumschwung stieß schon damals auf Kritik. Er wird auch heute noch kontrovers erörtert: Tiberius wurde unterstellt, seinen beliebten Adoptivsohn kalt zu stellen und ihm den etwaigen Erfolg nicht zu gönnen. Andererseits hatte auch dieser Einsatz wieder hohe Verluste gefordert, ohne einen klaren Sieg herbeizuführen.

Einige Jahre später fiel die Familie des Varus, die Quinctilii, in Ungnade. Die verbliebenen Mitglieder wurden des Verrats bezichtigt und verurteilt. Dieser Umschwung ging auch an Publius Quinctilius Varus nicht spurlos vorbei. Zwar war dieser seit mehr als 15 Jahren tot, doch ab nun galt er als der eigentlich Schuldige an dem Desaster. Man bezichtigte ihn der Unfähigkeit und warf ihm mangeln-den politischen Verstand, Ruhmsucht und Raffgier vor. Es gab keinen mehr, der hätte widersprechen können – und warum auch. Die Varusschlacht war Vergangenheit und auf Rom warteten längst neue Herausforderungen.

Hintergrundwissen, Seite 12

Page 13: Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Folgen …...Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Die Römer Im 7. Jh. v. Chr. war Rom nicht mehr als ein Dorf am Tiber. Doch alsbald

Who is who im Alten RomAugustus – ein Mann will nach obenVorgezeichnet war ihm sein Lebensweg nicht: Am 23. Sep-tember 63 v. Chr. als Sohn eines kleinen Landadligen geboren, wuchs Gaius Octavius, so sein eigentlicher Name, bei seiner Großmutter auf. Deren Bruder, Gaius Iulius Caesar, förderte seine Ausbildung und machte ihn zu seinem Haupterben. Nach Caesars Ermordung 44 v. Chr. erbte der 19-Jährige ein Vermögen und zugleich Caesars Einfluss. Noch fehlte ihm die politische Erfahrung, doch Octavius lernte rasch und seine Anhängerschar wuchs stetig. Intrigen, Mord und Verrat begleiteten seinen Machtkampf. Octavius kannte weder Skrupel noch Gnade. 31 v. Chr. ermordete er seinen letzten Rivalen. Jetzt gab es nur noch einen Gegner: das republikani-sche Politikverständnis. Doch Octavius taktierte so geschickt, dass dem Senat nichts anderes übrig blieb als ihn 27 v. Chr. um den Schutz des Staates zu bitten. Außerdem sprach man ihm die Herrschaft über die unbefriedeten Provinzen zu und verlieh ihm den ungewöhnlichen Ehrennamen Augustus – der Erhabene, der ihn in göttliche Sphären rückte. Als Princeps – Erster im Gemeinwesen – hielt Augustus die Ideale derrömischen Republik scheinbar am Leben. Tatsächlich endetemit seinem Amtsantritt die Republik. Die Macht hatte ein

neues Gesicht bekommen. Für die folgenden 40 Jahre prägte Augustus Politik und Gesellschaft, Religion und Kunst und schuf ein Imperium, das vom Atlantik bis zum Euphrat reichen sollte. Am 19. August 14 n. Chr. starb er im Alter von 76 Jahren im süditalienischen Nola.

Tiberius – Spielball der Macht14 n. Chr. trat Tiberius die Nachfolge von Kaiser Augustus an. Über Jahre hatte ihn Augustus spüren lassen, dass er allenfalls als „Ersatzmann“ in Frage kam und mehrfach anderen in Aussicht gestellt, im Falle seines Todes sein Erbe anzutreten. Dabei war Tiberius sein ältester Stiefsohn. Überdies war er ein verlässlicher Gefolgsmann und ein erfolgreicher Feldherr. Doch Augustus dankte es ihm nicht. Im Namen kaiserlicher Interessen schreckte er vor nichts zurück. Er trennte Tiberius‘ glückliche Ehe und befahl ihm die Zwangsehe mit seiner Tochter Iulia. Erst nachdem drei designierte Thronkandidaten gestorben waren, besann sich Augustus und adoptierte Tiberius. Damit schien 4 n. Chr. alles geregelt. Doch Augustus adoptierte auch Agrippa Postumus, außerdem zwang er Tiberius, den 18-jährigen Germanicus zu adoptieren und somit den leiblichen Sohn hintan zu stellen. So war nach dem Tod von Augustus erst

noch ein Mord an Agrippa Postumus zu verüben, bevor Tiberius endlich sein Amt antreten konnte. Wen wundert es also, dass kein strahlender Herrscher den Thron bestieg? In all den Jahren war Tiberius misstrauisch und menschenscheu geworden. Auftretende Gerüchte, Intrigen und Verschwörungen veranlassten ihn alsbald zu harten Gegenmaßnahmen. Das machte ihn nur noch unbeliebter. Dennoch regierte er 23 Jahre. Am 16 März 37 n. Chr. starb er in Misenum. Sein Nachfolger war Caligula, der Sohn des 19 n. Chr. verstorbenen Germanicus.

Hintergrundwissen, Seite 13

Page 14: Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Folgen …...Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Die Römer Im 7. Jh. v. Chr. war Rom nicht mehr als ein Dorf am Tiber. Doch alsbald

Marcus Caelius – gefallen in der VarusschlachtNur von wenigen Gefallenen der Varus-schlacht sind die Namen überliefert. Marcus Caelius ist einer von ihnen. Sein Bruder ließ für ihn einen Grabstein anfertigen. Doch ein ordentliches Begräbnis erhielt Marcus Caelius nie. Der 53-Jährige aus Bologna, der es in der 18. Legion bis zum Centurio gebracht hatte, war im „bello Variano“, im Krieg des Varus gefallen – so die Inschrift. Das Bild zeigt ihn inTunika und Panzer mit großen Ordenauf der Brust, Hals- und Armringen undeinem Kranz aus Eichenlaub auf dem Kopf.In der Hand hält er, als Zeichen seinerAutorität, einen Stock. Zu beiden Seitenstehen seine freigelassenen Sklaven.

Der Stein ist der einzige inschriftliche Beleg für die Varusschlacht und eines der frühes-ten Zeugnisse römischer Bildhauerkunst in Deutschland. 1620 unter ungeklärten Umständen entdeckt, wurde der Stein 1678 in das Grabmal von Graf Johann Moritz

von Nassau-Siegen zu Bergendal bei Kleve eingebaut. 1792 wurde er dort entfernt und zunächst im Antiquitätensaal des Schlosses ausgestellt. Als dieser 1817 wegen Baufälligkeit einstürzte, zog der Stein in den Gerichtssaal um, obwohl er dort „freylich dem Verderben durch die Zuhörer … ausgesetzt“ war. So nahm man das Angebot, den Stein in Bonn auszustellen, dankbar an. 1893 wurde er erstmals im neu erbauten Provinzialmuseum der Öffentlichkeit präsentiert. Heute ist er im LVR-LandesMuseum Bonn zu sehen.

Arminius, der Cherusker„Er (Arminius) war unbestritten der Befreier Germaniens und hat das römische Volk nicht … in seinen Anfängen heraus-gefordert, sondern als das Reich auf dem Höhepunkt seiner Macht stand“ – mit diesem Satz legte Tacitus den Grundstein für die im 16. Jh. einsetzende Arminiusbegeisterung. Arminius wurde Vorbild, Vordenker, schließlich auch Vorkämpfer.

Ob es um die Zersplitterung des Heiligen Römischen Reiches, die Machtkonflikte zwischen Landesfürsten, Kaiser und Papst oder die Suche nach kultureller Identität ging, stets folgte der Verweis auf den siegreichen Cherusker Arminius.

In der deutschen Ahnen- und Heldengalerie rückte Arminius auf Platz 1 und erhielt zur besseren „Integration“ auch einen eingängigeren Namen – Hermann. Doch nicht nur in der Politik, auch in der Kunst, der Literatur und auf den Bühnen wurde der junge Held gefeiert. Zu Beginn des 19. Jhs. nahm die zuvor eher schwärmerische Verehrung zunehmend

Hintergrundwissen, Seite 14

Page 15: Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Folgen …...Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Die Römer Im 7. Jh. v. Chr. war Rom nicht mehr als ein Dorf am Tiber. Doch alsbald

aggressive Töne an: Fortan zogen „Hermanns Enkel“ in neue „Hermannsschlachten“ – gegen Österreich, Dänemark und Frankreich. 1871 war es endlich so weit. Das Deutsche Reich wurde gegründet und nichts verkörperte das neue Selbstbewusstsein besser als das 1875 nach über 50 Jahren Planungs- und Bauzeit in Anwesenheit des Kaisers eröffnete Hermannsdenkmal in Detmold.

Ansonsten wissen wir reichlich wenig über diesen deutschen Helden. Nicht einmal sein richtiger Name ist überliefert. Um 17 v. Chr. geboren, kam er vermutlich um 8 v. Chr. mit seinem Bruder Flavus nach Rom. Dort erhielt er eine Ausbildung und trat offenbar in den Militärdienst ein. Ab 4 n. Chr. begleitete Arminius wahrscheinlich das Heer des Tiberius im Kriegszug gegen Pannonien und erhielt für seine Verdienste das römische Bürgerrecht und die Ritterwürde. Damit gehörte er sogar zur römischen Oberschicht. Möglicherweise kehrte er aufgrund des Todes seines Vaters um 7 n. Chr. zurück nach Germanien. Vielleicht blieb er aber auch in Rom und lernte dort Varus kennen, den er dann nach Germanien begleitete. Während sein Bruder Flavus weiterhin in der römischen Armee diente, spielte Arminius offenbar ein doppeltes Spiel. Er warb Verbündete an und organisierte den Hinterhalt. 9 n. Chr. lockte er Varus und dessen Armee im saltus teutoburgiensis in eine fatale Falle und bezwang die Römer. Ab 10 n. Chr. stand er wiederholt den Römern gegenüber und trat ab 15 n. Chr. auch gegen die Übermacht des Germanicus an. Abermals geriet das römische Heer in arge Bedrängnis, doch auch die germanischen Kämpfer mussten hohe Verluste hinnehmen. Gleichwohl gaben sich die Römer geschlagen und zogen ab. Arminius‘ Ambitionen fanden indes kein Ende. 19 n. Chr. wurde er von seinen Verwandten umgebracht. Offenbar hatte er zu unverfroren nach der Macht gegriffen, doch die germanischen Stämme waren noch nicht bereit für einen Zusammen-schluss unter (s)einer Führung.

Über die Gründe für seinen Widerstand kann man nur spekulieren. Einerseits regierten die Römer in Germanien tatsächlich mit harter Hand. Dabei wurden nicht nur weite Landstriche verwüstet, sondern viele Zivilisten fanden den Tod und manche Stämme wurden kurzerhand deportiert. Auch die Steuern und Abgaben, die Rom erhob, drückten sicher auf die Stimmung. So könnte einerseits „gerechter Zorn“ ein glaubhaftes Motiv gewesen sein.

Andererseits war Arminius ambitioniert. Er hatte in Rom eine in jener Zeit beispiellose Karriere hingelegt: von der germanischen Geisel zum römischen Bürger und sogar Adligen. Nach jahrelanger Abwesenheit kehrte er nun in seine Heimat zurück. Dort hatte keiner auf ihn gewartet. Um seine Führungsansprüche geltend machen zu können, musste er sich im wahrsten Sinne des Wortes erst einmal „zurückmelden“. Ein Sieg gegen die Römer war in dem Kontext sicherlich ein sehr guter Anfang.

Publius Quinctilius VarusVarus wurde um 47/46 v. Chr. in Cremona als Sohn des Quaestoren (Schatzmeister) Sextus Quinctilius Varus geboren, der allerdings vier Jahre später verstarb. Schon früh trat Varus in die Fußstapfen seines Vaters, als er 22 v. Chr. selbst Quaestor wurde. Schon ein Jahr später begleitete er Augustus auf dessen Orientreise. Die folgenden Jahre sind umstritten. Vielleicht war er Legat der später untergegangenen 19. Legion, vielleicht sogar Statthalter der neu eroberten Provinz Raetien. Ab 13 v. Chr. wurde er jedoch zusammen mit dem späteren Kaiser Tiberius Konsul. Die Nähe zum Kaiserhaus schlug sich auch familiär nieder. So war Varus mit einer Großnichte des Augustus verheiratet, während eine Schwester einen engen Vertrauten des Kaisers ehelichte, eine weitere dessen Neffen.

Hintergrundwissen, Seite 15

Page 16: Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Folgen …...Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Die Römer Im 7. Jh. v. Chr. war Rom nicht mehr als ein Dorf am Tiber. Doch alsbald

Ab 7/6 v. Chr. war er dann Statthalter der Provinz Africa (Tunesien), eine der bedeutendsten Provinzen des Reichs, danach der Provinz Syria, wo ihm drei Legionen unterstanden. Um 7 n. Chr. wurde er vom Kaiser zum Statthalter Germaniens berufen und erhielt damit zugleich den Oberbefehl über die Rhein-legionen. 9 n. Chr. brachte er sich noch auf dem Schlachtfeld um. Sein Kopf geriet auf Umwegen nach Rom, wo er ein ordentliches Begräbnis im familieneigenen Mausoleum erhielt. Noch galt Varus nicht als der Allein-Schuldige an dieser Katastrophe. Die Sicht wurde erst in den erheblich später verfassten Schriften vertreten.

Weiterführende Literatur:· KLAUS KÖSTERS, Mythos Arminius. Die Varusschlacht und ihre Folgen, Aschendorf Verlag,Münster 2009.

· WOLFGANG KORN/KLAUS ENSIKAT, Das Rätsel der Varusschlacht. Archäologen auf der Spurder verlorenen Legionen, Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2015.

· GÜNTHER MOOSBAUER, Die Varusschlacht, Verlag C.H. Beck, München 2009.· LUTZ WALTHER (HRSG.), Varus, Varus! Antike Texte zur Schlacht im Teutoburger Wald,Reclam Verlag, Stuttgart 2008.

· RAINER WIEGELS UND WINFRIED WOESLER, Arminius und die Varusschlacht.Geschichte – Mythos – Literatur, Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 1995.

· REINHARD WOLTERS, Die Schlacht im Teutoburger Wald. Arminius,Varus und das römische Germanien, Verlag C.H. Beck, München 2008.

· www.geo.de/magazine/geo-epoche/6760-rtkl-die-germanen-interview-wo-siegte-arminius (Stand 16.08.2017)

Hintergrundwissen, Seite 16

Page 17: Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Folgen …...Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Die Römer Im 7. Jh. v. Chr. war Rom nicht mehr als ein Dorf am Tiber. Doch alsbald

Forschung – Tatort Kalkriese

Die Anfänge Schon ab dem 17. Jh. wurde auf Schloss Barenaue eine Sammlung antiker Münzen angelegt. Die Quelle hierfür waren tatsächlich die unmittelbar benachbarten Äcker. Auf ihnen traten wieder holt römische Gold- und Silbermünzen zutage, die die Bauern gegen Finderlohn auf Schloss Barenaue ablieferten. Schon bald zog die so entstehende Münzsammlung auch das Interesse von Gelehrten auf sich. Sie beschäftige vor allem die Frage, warum die Römer ausgerechnet in Kalkriese so viel Geld verloren hatten. Aufgrund der Datierung der Münzen fiel der Verdacht früh auf die Eroberungszüge der Römer zwischen 12 v. Chr. und 16 n. Chr. In dieser Zeit hatten viele Feldzüge in das rechtsrheinische Germanien geführt. Allerdings lieferten die Berichte der antiken Autoren nur vage Anhaltspunkte.

Im Jahre 1884 wurde Theodor Mommsen, der Althistoriker und Nobelpreisträger, auf die Münzsammlung von Barenaue aufmerksam. Ausgehend von der Untersuchung des Münz-fachmannes Julius Menadier veröffentlichte er ein Jahr später seine Studie „Zur Örtlichkeit der Varusschlacht“ und schrieb: „Meines Erachtens gehören die in und bei Barenau gefundenen Münzen zu dem Nachlass der im Jahre 9 nach Christus im Venner Moor zugrunde gegangenen Armee des Varus.“

Mehr als 100 Jahre später entdeckte der englische Major Tony Clunn über hundert römische Silbermünzen und wenig später römische Wurfgeschosse – die ersten römischen Waffen in Kalkriese: Das war der Startschuss für die archäologischen Ausgrabungen am Kalkrieser Berg.

3.Hintergrundwissen, Seite 17

Page 18: Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Folgen …...Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Die Römer Im 7. Jh. v. Chr. war Rom nicht mehr als ein Dorf am Tiber. Doch alsbald

Die AusgrabungenIm Jahr 1989 begannen auf dem sogenannten Oberesch, einem Flurstück am Nordhang des Kalkrieser Berges, die Ausgrabungen. Nachdem die Untersuchung der ersten sechs Suchschnitte fast ergebnislos verlief, überraschte Schnitt 7 die Forscher gleich durch mehrere sensationelle Funde: eine römische Pionieraxt, eine römische Gesichtsmaske und ein Befund, der sich im Laufe der Jahre als Rest einer einstmals rund 400 m langen und 2 m hohen Wallanlage entpuppen sollte. Er war aus Rasensoden und Erde, in Teilbereichen auch aus Kalksteinen aufgeschichtet und in einzelnen Abschnitten wahr-scheinlich mit einer Brustwehr versehen. Ursprünglich als ein von Germanen errichtetes Hindernis für ihren Hinterhalt interpretiert, wird seit 2017 überprüft, ob es sich nicht auch um einen von Römern errichteten Wall handeln könnte. Erste Indizien für weitere Wallabschnitte traten 2016 in den Ausgra-bungen zutage. Sie werden seitdem in Ausgrabungen weiter untersucht. Das Ergebnis steht noch aus.

Ausgehend von den Untersuchungen am Nordhang des Kalkrieser Berges wurden die Forschungs-aktivitäten alsbald auch auf das Umland ausgedehnt. So erfolgten sowohl systematische Bege-hungen als auch gezielte Ausgrabungen, um die Ausdehnung des Schlachtareals zu ermitteln. Sie ergaben, dass sich römische Funde in einem Areal von rund 30 km2 Fläche verteilen. Allerdings wurde nicht überall gleichermaßen gekämpft, sondern es ist, wie die Fundverteilung erahnen lässt, ebenso mit Marsch- sowie Flucht- und Absatzbewegungen zu rechnen.

Innerhalb dieses großen Areals stellt der Park mit der Wallanlage und den unzähligen römischen Funden, darunter die römische Maske, derzeit noch die eigentliche archäologische Kernzone dar. Interessanterweise liegt sie inmitten eines etwa sechs Kilometer langen und an der schmalsten Stelle lediglich ein Kilometer breiten Korridors zwischen dem sogenannten Großen Moor im Norden und dem Kalkrieser Berg im Süden. Der Kalkrieser Berg liegt am Rand des Wiehengebirges, nördlich des Teutoburger Waldes. Der Berg überragt das umliegende Tiefland um mehr als 110 Meter. Ihm gegen-über liegt in geringer Entfernung das Große Moor. Zwischen Berg und Moor verläuft eine Senke – ein natürlicher Engpass von sechs Kilometern Länge.

Aufgrund der bisherigen Ergebnisse wird die Fundregion Kalkriese in den Kontext der Varusschlacht gestellt. Dafür spricht die großräumige Fundstreuung sowie das außergewöhnliche Fundspektrum, das neben militärischen Ausrüstungsgegenständen auch Objekte der zivilen und sakralen römischen Lebenswelt umfasst. Hinzu kommt der spezifische topographische Charakter des Fundplatzes.

Die konkretesten Datierungshinweise liefern die in Kalkriese gefundenen römischen Münzen. Demnach muss sich das Ereignis zwischen 7 und 10 n. Chr. am Kalkrieser Berg zugetragen haben. Kritiker bemängeln, dass bei der Münzauswertung und Interpretation Aspekte wie Umlaufzeiten,

Hintergrundwissen, Seite 18

Page 19: Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Folgen …...Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Die Römer Im 7. Jh. v. Chr. war Rom nicht mehr als ein Dorf am Tiber. Doch alsbald

Geldversorgung und -kreisläufe zu wenig Berücksichtigung fänden. Diesen Fragen soll zukünftig von numismatischer Seite aus verstärkt nachgegangen werden.

Darüber hinaus ist der Fundort Kalkriese allerdings in weiterer Hinsicht einzigartig. Erstmals bietet sich hier die Gelegenheit zur systematischen Erforschung eines antiken Schlachtfelds. Hierfür wurden in den vergangenen Jahren, auch in Zusammenarbeit mit vielen anderen Forschungsdisziplinen, die methodischen Grundlagen entwickelt. Neben Archäologen und Historikern sind bei der Erforschung des Fundplatzes von Kalkriese auch Geowissenschaftler und Bodenkundler, Botaniker, Zoologen, Anthropologen, Numismatiker und Materialkundler beteiligt.

Hintergrundwissen, Seite 19

Page 20: Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Folgen …...Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Die Römer Im 7. Jh. v. Chr. war Rom nicht mehr als ein Dorf am Tiber. Doch alsbald

Die FundeBisher wurden bei den Untersuchungen rund 6000 römische Objekte geborgen, darunter viele römische Münzen. Im Zuge der Ausgrabungen am Kalkrieser Berg und im direkten Umland wurden allerdings nicht nur römische Gegenstände, sondern auch Funde aus früheren Epochen, beginnend bei der Steinzeit sowie Siedlungsspuren und Keramikscherben der Vorrömischen Eisenzeit und der frühen Römischen Kaiserzeit (ca. 1. Jh. v.– 1. Jh. n. Chr.) entdeckt.

Gleichwohl bleiben die germanischen Angreifer im Fundspektrum nahezu un-sichtbar. Das kann viele Ursachen haben: Die germanischen Krieger hatten aufgrund ihrer vergleichsweise spärlichen Aus-stattung nicht viel zum Verlieren und falls sie nicht als germanische Stammeskrieger, sondern als Angehörige einer Hilfstruppe in den Kampf gezogen waren, glich ihre Ausstattung womöglich ohnehin der der Römer. Zum anderen bargen die Germanen nach Kampfende ihre Verletz-

ten und Toten und hatten obendrein genügend Zeit, um das Schlachtfeld zu plündern. Dass germa-nische Funde weitgehend fehlen, ist deshalb kaum überraschend.

Allerdings ist ein antikes Schlachtfeld nach 2000 Jahren keine „Fundgrube“ – Kämpfe, Plünderung, 2000 Jahre Wind und Wetter haben an den Relikten genagt. Größere oder gar vollständige Objekte sind nur erhalten, wenn sie schon während der Kampfhandlungen in den Boden gerieten. Umso mehr überrascht Vielfalt und Breite des Fundspektrums. Der größte Teil der Kalkrieser Funde besteht aus kleinen Resten und Fragmenten verschiedener Bewaffnungsteile der römischen Legionäre, unter anderem Schutz- u. Angriffswaffen. Des weiteren wurden die Ausstattung von Reit- und Zugtieren sowie Gewandspangen (Fibeln), Pionier- und Vermessungsgeräte, medizinische Instrumente, Gegen-stände des römischen Soldatenalltags und Hunderte an Münzen aus Kupfer, Silber und auch Gold geborgen. Fragmente vergoldeter Silberbleche deuten auf Prunkrüstungen hin, andere stammen hingegen von Tafelgeschirren und Servierplatten. Überraschend ist überdies das breite Spektrum an Objekten aus der zivilen oder gar sakralen Sphäre, angefangen bei Frauenfibeln und Haarnadeln über äußerst naturalistisch gearbeitete kleine Miniaturglasaugen hin zu den bisher ausgesprochen selten entdeckten Litui, den spiralförmigen Stäben der römischen Orakelpriester.

Die eigentliche Sensation war allerdings die Entdeckung der eisernen Gesichtsmaske. Sie ist aus Eisen geschmiedet und war ursprünglich mit Silberblech belegt. Davon zeugen Reste in der Randeinfassung. Die Gesichtszüge sind differenziert und verleihen der Maske einen individuellen Charakter. Der Träger erhielt selbst bei anstrengenden Tätigkeiten ausreichend Luft durch Nase und Mund und hatte unge-achtet der schmalen Augenschlitze ein gutes Sichtfeld, vorausgesetzt die Maske wurde eng am Gesicht getragen und passte perfekt. Sie war demnach durchaus als Schutz im Kampf geeignet. Ihre Herstel-lung war aufwändig, aber nicht unerschwinglich. Neuere Schätzungen veranschlagen die möglichen Kosten auf 57 bis 83 Tagessätze eines Legionärssolds. Zu einer Prunkausrüstung gehörte sie demnach eher nicht. Über den einstigen Besitzer wissen wir allerdings nichts. Inschriften an deutlich jüngeren Exemplaren weisen meist auf Reiter hin. Immerhin ist für die Varusschlacht, neben der Anzahl der üblichen Meldereiter, die Teilnahme von drei Reitereinheiten überliefert. Die Kalkrieser Gesichtsmaske ist derzeit die älteste ihrer Art.

Hintergrundwissen, Seite 20

Page 21: Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Folgen …...Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Die Römer Im 7. Jh. v. Chr. war Rom nicht mehr als ein Dorf am Tiber. Doch alsbald

Die BefundeUngeachtet der vielen Einzelbefunde auf dem Oberesch gibt es im Wesentlichen vier höchst unterschiedliche Befund-komplexe. Hierzu gehören zum einen die Hinweise auf Siedlungsaktivitäten vor der Varusschlacht, erhalten in Form von Pfostengebäuden und Abfallgruben aus dem 1. Jh. v. Chr.

Hinzu kommt die Wallanlage, die dank zahlreicher Ausgra-bungen mittlerweile auf einer Länge von rund 400 m zwi-schen zwei Bachläufen auf dem Oberesch erfasst werden konnte. Zusätzlich gibt es Hinweise auf weitere Wallanlagen im Norden und Osten des Obereschs.

Die dritte Befundgruppe umfasst mehrere sogenannte Knochengruben. Insgesamt wurden bisher acht solcher Gruben entdeckt. Sie konzentrieren sich im östlichen und westlichen Bereich des Obereschs und variie-ren erheblich in Größe und Tiefe: die kleinste misst im Durchmesser knapp 1 m, die größte fast 4 m. Die Gruben enthielten Knochen von Menschen, Maultieren und Pferden sowie vereinzelt auch römische Funde. Manche Gruben waren vollständig mit Knochen verfüllt, in anderen fanden sich dagegen nur wenige Fragmente, Splitter oder kleine

Knochenkonzentrationen mal auf der Sohle, mal eher am Rand. Den eindrücklichsten Befund lieferte im Jahr 1999 die Grube 5 in Schnitt 22P mit gut erkennbaren menschlichen Skelettteilen, darunter ein Schädel mit untrüglichen Anzeichen für eine tödliche Verletzung. Die Untersuchung der menschlichen Knochen erbrachte, trotz deren schlechten Erhaltungszustands, aufschlussreiche Hinweise. Demnach war der Skelettverband bereits aufgelöst und alle Weichteile vergangen, als die Knochen in die Gruben gelegt wurden. Folglich haben sie mindestens zwei und maximal zehn Jahre auf der Oberfläche gele-gen. Zwar fehlen vollständige Skelette, dennoch ließen sich mindestens 17 Individuen nachweisen. Mit Ausnahme eines Fragmentes deuten sie alle auf 20–40-jährige Männer von kräftiger Statur, zwei von ihnen mit tödlichen Kopfverletzungen.Zwar konnten wegen schlechter Erhaltung weder molekulargenetische Untersuchungen noch Sauer-stoff- oder Strontium-Isotopenanalysen durchgeführt werden, doch dafür lieferte die Bodenkunde einen Hinweis zur möglichen Herkunft der Toten. Sie ermittelte im direkten Umfeld der Knochen erhöh-te Werte für mehrere Schwermetalle, darunter Blei. Im Römischen Reich wurde Blei für die Herstellung von Ess- und Kochgeschirren ebenso wie für Wasserleitungen verwendet. Blei lagert sich in Knochen an und gelangt bei deren Zerfall in den Boden. Demnach könnte es sich also um die Knochen römi-scher Gefallener handeln.

Hintergrundwissen, Seite 21

Page 22: Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Folgen …...Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Die Römer Im 7. Jh. v. Chr. war Rom nicht mehr als ein Dorf am Tiber. Doch alsbald

Den eigentlichen Schlüssel zum Verständnis der Kalkrieser Knochengruben liefert allerdings am ehesten Tacitus: „Und nun betraten sie die Unglücksstätte, grässlich anzusehen und voller schreckli-cher Erinnerungen… Mitten in dem freien Felde lagen die bleichenden Gebeine zerstreut oder in Haufen, je nachdem die Leute geflohen waren oder Widerstand geleistet hatten (I, 61,1)… So bestattete das römische Heer, das jetzt da war, sechs Jahre nach der Niederlage, die Gebeine der Gefallenen“ (Annalen I, 62,1). Der Mann, der dieses Heer befehligte, war Germanicus. Er hatte das Kommando von seinem Adoptivvater Tiberius übernommen und weilte seit einigen Jahren in Germanien. 15 n. Chr. besuchte er auf einem seiner Feldzüge durch Germanien den Ort der Varusschlacht, um dort, wie Tacitus schreibt, den Gefallenen die letzte Ehre zu erweisen. Den archäologischen und anthropologischen Ergebnissen folgend, könnten die Knochenfunde eventuell im Zusammenhang mit diesem Besuch stehen. Getrübt wird diese Einschätzung durch den Umstand, dass die Römer ihre Toten üblicherweise verbrannten.

Bei dem vierten aufsehenerregenden Befund handelt es sich um ein vollständig erhaltenes Skelett eines Maultiers. Offenbar war das Tier beim Sprung über den Wall gestürzt und hatte sich dabei den Hals gebrochen. Wie die Sauerstoff- und Strontium-Isotopen-Untersuchung seiner Zähne ergab, stammte es aus dem Mittelmeerraum. Im Alter von drei Jahren kam das Tier zur Armee, überquerte als Lasttier die Alpen und hielt sich im nördlichen Alpenraum in einem römischen Lager auf. Wenig später ging es zurück in die Heimat. Nach einigen Monaten führte der Weg abermals in den Norden, diesmal nach Kalkriese. Dort setzte es an zu seinem tödlichen Sprung. Dem Ergebnis der Sauerstoff-Isotopie zufolge geschah dies zwischen August und Oktober.

Hintergrundwissen, Seite 22

Page 23: Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Folgen …...Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Die Römer Im 7. Jh. v. Chr. war Rom nicht mehr als ein Dorf am Tiber. Doch alsbald

Weiterführende Literatur:· HEIDRUN DERKS, Kalkriese und die Varusschlacht: Geschichte – Forschung – Funde, Kalkriese 2015.· JOACHIM HARNECKER UND GEORGIA FRANZIUS, Kalkriese 4. Katalog der römischen Fundevom Oberesch. Die Schnitte 1 bis 22. Römisch-Germanische Forschungen 66, Verlag Zabern,Mainz 2008.

· JOACHIM HARNECKER UND DOROTHEA MYLO, Kalkriese 5. Katalog der römischen Fundevom Oberesch. Die Schnitte 23 bis 39. Römisch-Germanische Forschungen 69, Verlag Zabern,Mainz 2011.

· JOACHIM HARNECKER UND EVA TOLKSDORF-LIENEMANN, Kalkriese 2. Sondierungenin der Kalkrieser-Niewedder Senke. Archäologie und Bodenkunde. Römisch-GermanischeForschungen 62, Verlag Zabern, Mainz 2004.

· GUSTAV ADOLF LEHMANN UND RAINER WIEGELS (HRSG.), Römische Präsenz und Herrschaftim Germanien der augusteischen Zeit. Der Fundplatz von Kalkriese im Kontext neuerer Forschungund Ausgrabungsbefunde. Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen,Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007.

· ACHIM ROST UND SUSANNE WILBERS-ROST, Kalkriese 6. Die Verteilung der Kleinfundeauf dem Oberesch in Kalkriese. Kartierung und Interpretation der römischen Militariaunter Einbeziehung der Befunde. Römisch-Germanische Forschungen 70, Verlag Zabern,Mainz 2012.

· SUSANNE WILBERS-ROST, HANS-PETER UERPMANN, MARGARETHE UERPMANN,BIRGIT GROSSKOPF UND EVA TOLKSDORF-LIENEMANN, Kalkriese 3. InterdisziplinäreUntersuchungen auf dem Oberesch in Kalkriese. Archäologische Befunde undnaturwissenschaftliche Begleituntersuchungen. Römisch-Germanische Forschungen 65,Verlag Zabern, Mainz 2007.

Hintergrundwissen, Seite 23

Page 24: Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Folgen …...Römer und Germanen zur Zeit des Augustus Die Römer Im 7. Jh. v. Chr. war Rom nicht mehr als ein Dorf am Tiber. Doch alsbald

NotizenNotizenHintergrundwissen, Seite 24