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JOUIZNAL OF POLYMEH SCIENCE VOL. 58, PAGES 311-333 (1962) Rontgenographische Strukturanalyse von amorphem Polystyrol. VI H.-G. KILIAN uiid K. BOUEKE,* Institut fur Polymere der Universitat Marburg/Lahn, Germany A. Einleitung Der flussige Zustand der Materie bietet der Strukturanalyse bckanntlich grosse Schwierigkeiten. Im Gegensatz zu den Kristallen existiert in einer Flussigkeit keine prazise, molekulare Struktur des Systems, weil die Elemente nicht lokalisiert sind. Die komplizierte Anordiiung der Ele- mente andert sich zudem infolge der Eigendiffusion mit der Zeit. Im Mittel aber stellt sich eine Verteilung der Elemeiite ein, die durch geeignete, statistische Parameter wie zum Beispiel den mittlereii Abstand beiiach- barter Elemente gekeiinzeichnet werden kann. Diese Parameter erhalt man durch Mittelwertbildung uber die sogeiiannte Verteilungsfunktion des Systems unter der Voraussetzung, dass das statistische Gleichgewicht angenommen ist. Rontgendiagramme von Flussigkeitsstrukturen zeigen als Folge der Abstandsschwankungeii der Streuzentren nur iioch diffuse Interferenzen. Diese erscheinen je iiach der relativen Grosse der Abstaiidssehwankuigen mehr oder weniger ausgepragt. Infolgedessen lassen sich aus solchen Beugungsdiagrammen im Vergleich zur Roiitgeiifeinstrukturanalyse bei Kristallen unter Verlust an detaillierter Information nur mehr Parameter angeben, die statistischen Mittelwerten entsprechen. Unter gewissen Voraussetzungen kann mit Hilfe der Fourieranalyse aus dem Rontgendiagramm die radiale molekularc Verteilungsfunktion des Systems ermittelt werden. Die Verteilungsf uiiktion ist hier nur eine Funk- tion des skalaren Abstarides der Streuelementc. Katurgemass erwartet man eine in dieser Hinsicht komplizierte Sachlage bei Hochpolymeren- Flussigkeitsstrukturen. Es kann nicht ohne weiteres vorausgesetzt wer- den, dass die Gesamtstruktur amorpher Polymerer eine radialsymmetrische Verteilungsfunktioii besitzt. Das Beungungsbild amorpher Polymerer wird durch intra- uiid intermolekulare Iiitcrfcrciiz erzcugt . Wenn beide Abstaiidsverteiluiigeii (inter- bzw. intramolekularc Abstaiide) statistisch weitgehend unabhangig sind, gelingt die separate Berechnung des intra- molekulareii Interfereiizbildes anhand cines koiikreten Molekulmodells. * Jeztige Addresse: Institut fur Physikalische Chemie der Technischen Hochschule Aachen, Germany. 311

Röntgenographische Strukturanalyse von amorphem Polystyrol. VI

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JOUIZNAL OF POLYMEH SCIENCE VOL. 58, PAGES 311-333 (1962)

Rontgenographische Strukturanalyse von amorphem Polystyrol. VI

H.-G. KILIAN uiid K. BOUEKE,* Institut fur Polymere der Universitat Marburg/Lahn, Germany

A. Einleitung

Der flussige Zustand der Materie bietet der Strukturanalyse bckanntlich grosse Schwierigkeiten. Im Gegensatz zu den Kristallen existiert in einer Flussigkeit keine prazise, molekulare Struktur des Systems, weil die Elemente nicht lokalisiert sind. Die komplizierte Anordiiung der Ele- mente andert sich zudem infolge der Eigendiffusion mit der Zeit. Im Mittel aber stellt sich eine Verteilung der Elemeiite ein, die durch geeignete, statistische Parameter wie zum Beispiel den mittlereii Abstand beiiach- barter Elemente gekeiinzeichnet werden kann. Diese Parameter erhalt man durch Mittelwertbildung uber die sogeiiannte Verteilungsfunktion des Systems unter der Voraussetzung, dass das statistische Gleichgewicht angenommen ist.

Rontgendiagramme von Flussigkeitsstrukturen zeigen als Folge der Abstandsschwankungeii der Streuzentren nur iioch diffuse Interferenzen. Diese erscheinen je iiach der relativen Grosse der Abstaiidssehwankuigen mehr oder weniger ausgepragt. Infolgedessen lassen sich aus solchen Beugungsdiagrammen im Vergleich zur Roiitgeiifeinstrukturanalyse bei Kristallen unter Verlust an detaillierter Information nur mehr Parameter angeben, die statistischen Mittelwerten entsprechen.

Unter gewissen Voraussetzungen kann mit Hilfe der Fourieranalyse aus dem Rontgendiagramm die radiale molekularc Verteilungsfunktion des Systems ermittelt werden. Die Verteilungsf uiiktion ist hier nur eine Funk- tion des skalaren Abstarides der Streuelementc. Katurgemass erwartet man eine in dieser Hinsicht komplizierte Sachlage bei Hochpolymeren- Flussigkeitsstrukturen. Es kann nicht ohne weiteres vorausgesetzt wer- den, dass die Gesamtstruktur amorpher Polymerer eine radialsymmetrische Verteilungsfunktioii besitzt. Das Beungungsbild amorpher Polymerer wird durch intra- uiid intermolekulare Iiitcrfcrciiz erzcugt . Wenn beide Abstaiidsverteiluiigeii (inter- bzw. intramolekularc Abstaiide) statistisch weitgehend unabhangig sind, gelingt die separate Berechnung des intra- molekulareii Interfereiizbildes anhand cines koiikreten Molekulmodells.

* Jeztige Addresse: Institut fur Physikalische Chemie der Technischen Hochschule Aachen, Germany.

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Hierdurch wird, wie spater eingehend gezeigt wird, eine gcnauere Beschrei- bung amorpher Strukturen voii Hochpolymeren moglich. Das Tempera- turverhalten des Streubildes der amorpheii Hochpolymeren zusammen mit der Untersuchung ahnlich gebauter niedrigmolekularer Flussigkeiten nach derselben Methode geben die Gelegenheit, die Strukturanalyse zu iiberprufen.

B. Das Aufnahmeverfahren Die Rontgenaufnahmen wurden an einer Goniometerapparatur in verti-

kaler Anordnung mit einem Ausloszahler mit CuKa-Strahlung ausgefiihrt . Die Anordnung der Apparaturelemente (Streublendensystem, Probe, Auffangblendensystem mit Zahlrohr) entspricht der ublichen Ausfuhrung, die nach dem Fokussierungsprinzip von Bragg-Brentano2 arbeitet. Die von der Probe abgebeugten Rontgenstrahlen wurden aber vor dem Ein- tritt in das Zahlrohr monochromatisiert, 3-7 in dem ein Johannson-Mono- chromator vor das Ziihlrohr geschaltet wurde. Bei entsprechendem Inten- sitatsverlust werden auf diese Weise der “weisse” Untergrund und die Comptonstreuuiig praktisch ausgeschaltet. Die Comptonstreuung, die im Monochromatoreinkristall entsteht, braucht nicht berucksichtigt zu werden. Diese liefert einen Beitrag zur Intensitat, der in der gleichen Weise, wie das von der Probe abgebeugte Rontgenbiindel moduliert ist ; denn bei fester Winkelstellung des Monochromatoreinkristalls ist die Comp- tonstreuung zur einfallenden Intensitat proportional, also damit der von der Probe abgegebenen Intensitat. Infolgedessen wird aber an der rela- tiven Intensitatsverteilung als Funktioii des Beungungswinkels nichts geandert. Die Luftstreuung ist in der vorliegendeii Anordiiung praktisch vernachlassigbar kleiii. 3-6

Es wurden isotrope Probenplattchen von 25 X 25 X 3 mm untersucht. Nimmt man an, dass sich der lineare Schwachungskoeffizicnt additiv aus den relativen Anteilen der Atome der NIolekule zusammensetzt, so errech- net sich nach dem Lambert’schen G e ~ e t z * - ~ fur Polystyrol beim ungun- stigsten Beueungswinkel29 = 150° ein Verhaltnis der primaren Intensitat lo zur abgebeugten Intensitat I von I / I o = 3 x Die Probendicke von 3 mm geniigt infolgedessen den praktischen Anforderungen an Ge- nauigkeit fur die Intensitatsbestimmung.

Die Intensitat wurde fur die einzeliien Beugungswinkel mindestens 2 min. nach der sogenannten Fixed-Counting-Methode ausgezahlt . Der maxi- male relative statistische Fehler der Einzelmessung betrug heierbei ettwa 2%, einschliesslich des Kulleffektes etwa 4%.9 Es ergibt sich praktisch aber eine vie1 hohere statistische Genauigkeit besonders fur den Nulleffekt, da dieser sehr haufig bestimmt wordeii ist und sich uber den gesamten Spektralbereich als konstaiit envies. Das Alessergebnis wurde punktweise aufgezeichnet. Durch die Rlesspunkte wurde eine mittlere Liiiie gezogen. Hierdurch wird iiifolge des zusatxlicheii RIit tlungsprozesses die Genauig- keit der Messung entsprechend erhoht. Exakt musste zur Abschatzimg des Gesamtfehlers in der Intcnsitatsmessung z. B. auch die Todzeit des

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Zahlrohres ermittelt werden. Hierauf haben wir jedoch verzichtet, weil alle auftretenden Intensitatsmessungen im experimentell nachge- wiesenen Bereich des Zahlrohres ausgefuhrt worden sind, in dem auftref- fende und registrierte Intensitat proportional zueinander waren.

Die Proben wurden in einem temperaturgeregelten Ofen aufgeheizt, dessen Probenraum mit reinstem Stickstoff durchgespult wurde. Es wurde keine Braunung der Probe festgestellt, die bei oxydativem Abbau des Polystyrols auftreten sollte.

C. Die Streuformeln und deren Anwendung auf den speziellen Fall amorpher Polymerer

Nach der Schwankungstheorie ergibt sich nach Miinsterl fur die urn den Winkel 219 abgebeugte relative Intensitat 1(9) (relativ zur Primar Intensitat I0) im Abstand R des Aufpunktes der folgende Ausdruck:

-+-+

1(8)/l0 = i*(fi) = I,(J~ " ' ( g t M q i + JJp(2)(qi,qj)& 'ij'ciqicipj) (I) wo Ie die klassische Streuintensitat (Thompson-Intensitat eines freien Elek- trons einschliesslich des Polarisationsfaktors) bedeutet ; p'"'(piq,) ist die rnolekulare Verteilungsfunktion, wobei n die Numerierung der Nachbarele- mente vom Bezugselement aus praktisch in einer Richtung gedezahlt be-

deutet; rij ist der Abstandsvektor zwischen den Elementen i und j ; s =

k, - k ( k = 27r/X) is der Differenz zwischen den Wellenvektoren des ein- fallenden bzw. ausfallenden Rontgenlichtes.

-+ +

- + - +

Zur Ableitung der Formel (1) wurde vorausgesetzt: (1) (9)

(3)

Es wird nur die koharente Streustrahlung berucksichtigt. Es werden die Mehrfachstreuung und die Absorption durch Klein-

Es gilt die Fraunhofer 'sche Naherung (R >> r i j ) . winkelstreuung vernachlassigt.

In Flussigkeiten ist im statistischen Mittel jedes einzelne Teilchen in gleicher Weise von Nachbarteilchen umgeben. Dann hangt aber S2 (qi,qj) nur vom skalaren Abstand der Teilchen ab. p( ' ) (qi) wird gleich der Durchschnittswahrscheinlichkeit der raumlichen Verteilung der Fliissig- keitsteilchen (im Fall einer einatomigen Flussigkeit gleich der mittleren Atomdichte p = N / V = konst. der Flussigkeit, wenn N die Gesamtzahl der Atome und V das Volumen des Systems bedeuten). Unter diesen Voraussetzungen erhalten wir durch Integration des zweiten Terms in Formel (1) uber qr zusatzlich den Faktor V. Mit

s = (4~/X)sin8 -++

( s i , r t , ) = s . r i5 cos a

ergibt sich, wenn man also Polarkoordinaten um das Teilchen i als Mittel- punkt einfuhrt, fur das zweite Integral in Formel (1)

+4

Jp(2 ) (q* 7 j q )&"' 7 ) dql = JJJp(yr )e iST cos a r2dp sin a dadr (2)

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Die Indices i, j sind weggelassen, weil nur die "Zweier-Verteilungsfunktioii" berucksichtigt wird. Zerlegt man die Exponentialfunktion in die Kosi- nus- und Sinus-Funktionen, so folgt durch Integration, weil der Imaginar- teil verschwindet :

Wir erhalten somit fur Formel (1):

Wir konnen schliesslich das Integral

sin(sr) 43rrp sin(sr) dr = lm 7 [-- - cos (sr)

sr

eu Formel (4) hinzufugen, da dieses nur fur extrem kleine, d.h. fur experi- mentell nicht erreichbare Beugungswinkel von Null verschieden wird. 1

Definieren wir die radiale Verteilungsfunktion durch

(wo N die Zahl der Atome ist) mit der Normierungsbedingung

so erhalten wir aus Formel (5) bis (8), die schon von Zernike und Prim10 bzw. von Debye und Menkel' abgeleitete Streuformel:

Fur eine einatomige Flussigkeit ergibt der erste Term die sogenannte klassische Streukurve. Da I , proportional zum Quadrat des Atomform- faktors f(6) ist, gibt diese das Interferenzverhalten der Atomelektronen an. Das Integralglied in Formel (8) erfasst die Abweichungen von der klassischen Streukurve, die durch interatomare Interferenz entstehen. Infolge der statistisch unregelmassigen Schwankungen der Atomabstande wird es schliesslich in genugend grosser Entfernung von einem Bezugsatom gleich wahrscheinlich, wieder ein Atom anzutreffen oder nicht, d.h. aber g@) ( r ) - 1 = 0. Bei grossen Beugungswinkeln 26 zeigt demach die Streukurve einer einatomaren Flussigkeit klassisches Verhalten. Das Streudiagramm besitzt bei kleinen Beugungswinkeln 26 diffuse Interferen- Zen, die durch die im Mittel regelmassige, radialsymmetrische Anordnung

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STRUKTURANALYSE \‘ON POLYSTYROL. f71 315

h

Abb. 1. Rontgenstreuung von fliissigem Natrium. Ordinate: Intensitat (normiert) : Die unterste Kurve stellt die incoharente Strahliing dar (entno- (1) 100°C; ( 2 ) 400”D.

mmen aus Munster’) .

der Nachbaratome in der Kahe jedes Atonis entstehen (Nahordnung). Diese Intefereiizen werden mit zunehmenden Beugungswinkeln 26 immer flacher und breiter und verschwinden schliesslich vollkommen. Ein Beispiel hierfur ist in Abbildung 1 gegeben. Man erkennt an diesem Bei- spiel, dass die Nahordnung sich mit steigender Temperatur verschlech- tert, da die Interferenzen bei Temperaturerhohung besonders fur grosse Beugungswinekl unscharfer und flacher werden.

Die radiale Verteilungsfunktion gibt somit unmittelbar die im statis- tischen Mittel bestehende molekulare Struktur einer einatomigen Flussig- keit an. Debye und Menkell oder auch Warren12 haben gexeigt, dass man diese Verteilungsfunktion aus dem Rontgendiagramm durch Fourieranalyse ermitteln kann, schreibt man, wie es ublich geworden ist, Formel (8) mit I , = Ie*f(6)2 um

i * (s)-Nf Z( 8) I , * Nf (6)Ie *

s * i ( s ) = s = 4 r p lm [g(2) (r ) - 11 sin (sr) rdr (9)

so ergibt sich dureh Fouriertransformation

pr[g(*)(r) - 11 = (1/2+) 1,” si(s) sin (sr) ds (101 Adjustierbarer Parameter des Experiments ist die Zahl der Atome N . Man “passt” die korrigierte Streukurve (Polarisation, Absorption, Compton- streuung-im vorliegenden Fall braucht nur die Polarisation korrigiert zu werden) bei genugend grossen Beugungswinkeln 28 an die klassische, berechnete Kurve f (8)z an und berechnet i(s) [Formel (9) 1. Hierdurch ‘Lnormiert’’ man also die Streukurve formal auf den Beitrag eiiies Elek- trons. Zur Kontrolle dieser nicht ganz willkurfreien Normierung* kann

* Die Willkur der Anpassung ist beim vorliegenden Apparateaufbau praktisch aufge- hoben. Deren Ursachen Iiegen hauptsachlich darin, dass der “weisse” Untergrund und die inkoharenten Streuanteile nicht sicher bestimmt werden konnen.

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man gleichzeitig den Normierungsfaktor nach

c(fz(6) + iineoh.) sin 6 d6 = c & i*(6) sin 6 d6 (11)

berechnen, wobei die experimentelle Grijsse i* (6) sin 6 planimetriert wird .a Beide Normeirungsfaktoren sollten iibereinstimmen.

Problematischer wird die Anwendung der Fromel (10) auf amorphe Hochpolymere. Es ist grundsatzlich zu uberpriifen, ob die molekulare Struktur durch eine radiale Verteilungsfunktion wiedergegeben werden darf. Betrachten wir als einfachstes Model1 ein unendlich langes Makro- molekul, das ohne Eigenvolumen nur aus hauptvalenzmassig verknupften Kohlenstoff atomen bestehen soll.* Dieses idealisierte Makromolekul kann bei festen C-C-Abstanden infolge der freien Drehbarkeit um die C-C-Bindungen eine grosse Zahl statistisch unregelmassiger Konfigura- tionen einnehmen. Die Valenzwinkel in der Kette sollen hierbei nicht deformiert werden. Betrachtet man eine Gesamtheit vieler solcher Makro- molekule, so besitzt offenbar jedes einzelne Molekul selbst schon eine im statistischen Mittel gleiche, intramolekulare Struktur. Es liegt der Gedanke nahe, die Gesamtstruktur amorpher Polymerer aus zwei charakteristischen, naherungsweise voneinander unabhangigen Anteilen zusammenzusetzen: (1) der erste Anteil soll die im statistischen Mittel fur alle Molekule gleiche intramolekulare Struktur erfassen, wiihrend (2) der zweite Anteil die intermolekulare Struktur, also die Verteilung der Makromolekiile selbst, beschreiben soll. Die beiden Anteile werden in Bezug auf das Interferenzverhalten als unabhangig betrachtet, so dass das Beugungsbild des amorphen Polymeren sich durch additive Uberlage- rung zweier Intensitatsanteile ergibt, wie es im Verfahren von Finbak,I3 Bijoernhaug,I4 Pierce15 angenommen wird. Es gilt dann :

i(s) = i(s)inter + i(s)intra (12)

In praktischen Fallen ist zu prufen, ob ( 1 ) die oben angegebene Aufspal- tung zu rechtfertigen ist und ob (2) beiden Intensitatsanteilen eine mole- kulare Struktur zugrunde liegt, die jeweils durch eine radiale Verteilungs- funktion beschreibbar ist. Nur in diesem Fall kann man mittels der Fourieranalyse die mittlere Gesamtstruktur des amorphen Polymeren ermitteln.

Die erste Bedingung ist bei der idealisierten Kohlenstoffkette sicher erfullt. Da die Kette kein Eigenvolumen besitzen soll, kann die Verteilung vieler Makromolekule bei voller Konfigurationsf ahigkeit beliebig vorge- nommen werden. Der Abstand einzelner Atome benachbarter Makro- molekule ist aber im Vergleich zu zwei benachbarten Kettenatomen weniger eingeschrankt. Es ergeben sich demzufolge Schwankungen der intermole- kularen, kontinuierlich veranderlichen Abstande schon zwischen zwei

* Im konkreten Fall des Polyathylens wurden also die Wasserstoffatome nicht beruck- sichtigt. Diese Naherung ist nur vernunftig, wenn die Streukraft der Wasserstoffatome im Vergleich zu der Streukraft der Kohlenstoffatome im gesamten Spektralbereich vernachlassigbar klein ist.

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STRUKTURANALYSE VON I’OLYS‘l’YROL. VI 317

benachbarten Atomen, die wegen des festen C-C-Abstandes innerhalb der Kette nicht moglich sind. Wenn also die intramolekulare Struktur durch eine radiale Verteilungsfunktion charakterisiert werden kann, ist dies offenbar im vorliegenden Fall erst recht fur die intermolekulare Ab- standsverteilung zu envarten.

Nach Flory16 haben die Makromolekule (ganz sicher im Fall unseres Modells) im kondensierten Flussigkeitszustand dieselbe statistitische Gestalt wie ein “freibewegliches” Makromolekul. Es genugt demnach zur Beurteilung der intramolekularen Abstandverteilung, wenn wir ein solches Molekul betrachten. Als statistisch permamente Gruppe mussen wir mindestens drei Kohlenstoffatome wahlen, da Abstand und Richtung der beiden benachbarten Kohlenstoffatome jedes beliebigen Kohlenstoffa- toms in der Kette festliegen. Erst bei vier Kohlenstoffatomen konnen Dre- hungen um die C-C-Bindungen den Abstand zwischen dem ersten und dem vierten Atom verandern. Fur die mit#tlere quadratische Schwankung dieses Abstandes bei Gleichwahrscheinlichkeit, aller Winkellagen ergibt sich ~ 1 , 4 = 0,19. Bei langeren Nettenstucken ergeben sich entsprechend grossere Schwankungen fur die Abstande aller ausserhalb der permanenten Gruppe des Bezugsatoms liegenden Kohlenstoffatome. Nach der Theorie des Parakristalls ergibt sich nach Hosemann, wenn man als Verteilungs- funktion eine Gaussfunktion annimmt, dass die Grenze zwischen Flussig- keits- und Gasinterferenzen durch eine Streuung der Abstande von u = 0,2 gegeben ist. Bei freier Konfigurationsmoglichkeit des Makromole- kuls konnen wir demnach intramoledular off enbar mit der Abstands- verteilung eines Molekulgases rechnen, das zwischen den Molekulen keine Interferenzen zeigt. Dann kann man aber die Intensitatsfunktion mit Hilfe der bekannten Streuformel von Debye** berechnen.

wobei

Hier ist .ft der Atomformfaktor des i-ten Atoms im Molekul, N i die Zahl der Atome i im Molekiil, und r,, der Abstand zwischen dem n-ten und dem m-ten Atom.

Man hat dann nur anzugeben, welche Atomgruppierung innerhalb der Kohlenstoffkette gewissermassen als “Molekul” des Gases betrachtet werden kann. Xeben den Abstandsschwankungen, die wir oben bereits diskutiert haben, verlangt Formel (1 3) statistisch unabhangige Orien- tierungsmoglichkeit aller Molekule. Formel (13) entsteht aus einem all- gemeineren Ausdruck gerade durch Mittlung iiher allen gleichwahrschein- lichen Orientierungen. Es ist demnach zu prufen, ob die permanenten Gruppen innerhalb des Rllakromolekuls diese Bedingungen erfiillen. Bei zweidimensionaler Betrachtung der idealisierten Kohlenstoffkette

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kann sich fruhestens die 6. C-C-C-Gruppe (Kettenstuck von 8 C-Ato- men) wieder ungefahr* wie die erste orientieren.

n’immt man an, dass alle weiteren permanenten Gruppen sich danii in Bezug auf die erste statistisch zufallig ausrichten konnen, so siiid diese Gruppen uber etwa 10 C-C-C-Gruppen (6-C-At’ome) ihrer Orientierung nach korreliert (die freie Orientierung muss fur beide Richtungen vom Bezugsmolekul aus gefordert werden) . Andererseits habeii wir gesehen, dass die Abstande der Atome innerhalb der Kette parktisch schon na,ch dem funften C-Atom so stark schwanken, dass im Mittel die vorn erstmen und vom funften Atom ausgehende ausgehenden Streuwelleii nicht mehr merklich interferieren. Die Wahl der invarianten Molekulgruppe in cler Kette, die in Formel (13) an die Stelle des Molekuls tret’en soll, kann dem- nach naherungsweise wegen der grossen mittleren relativen Abst,ands- schwankung kleiner gewahlt werden, als es die Bedingung der freien Orien- tierung der permanenten Gruppen fordern wurde. Wir erwarten eiiie gute Naherung fur die Berechnung von i(s)intra nach Formel (13), wenn wir anstelle der permanenten Gruppe funf oder siebeii C-Atome als “effektive permanente Gruppe” definieren. Innerhalb dieser erweiterten Gruppe werden die Atomabstande formal als konstant angesehen. Die Abstande von Atomen ausserhalb der permanenten Gruppe (C-C-C-Gruppe) werden entsprechend durch Mittelwerte erfasst.

Im Vergleich our idealen Kohlenstoffkette mit freier Drehbarkeit urn alle C-C-Bindungen werden die Konfigurationsmoglichkeiten eines Makromolekuls im konkreten Fall sicher eingeschrankt (sterische Behind- erung, spezifische Wechselwirkung einzelner Atomgruppen innerhalb des Molekuls). Dann aber wird sich die effekt,ive permanente Gruppe vergrossern. Diese Xnderung stellt in Bezug auf den Idealfall ein Mass zur Verfugung, wie weit die Konfigurationsfahigkeit eines Makromolekuls im Mittel eingeschrankt wird. Die eff ektive permanente Gruppe ent,- spricht ihrer Grosse nach sozusagen einer “Koharenzlange” innerhalb derer die Rontgenwellen gerade noch interferieren konnen. Sie fallt etwa zusammen mit dem Bereich, in dem um ein Bezugzatom herum die Xahord- nung der Kachbaratome eine von der Gleichverteilung abweichende Elek- tronendichte ergibt. Diese subst’anzspezifische intramolekulare 3-ahord- nung kann sich im Rontgenbeuguiigsbild durch mehr oder weniger verwa- schene Maxima nachweisen, wenn sich namlich der mitt’lere’intramolekulare Abstand merklich von den intermolekularen unterscheidet. Die intramole- kularen Interferenzen mussen sich durch ihr Temperaturverhalten von den Interferenzen unterscheiden lassen, die durch intermolekulare Ab- stande erzeugt werden. Die Hauptvalenzbindung der Kette sorgt dafiir, dass nach thermischer Anregung der vollen Konfigurationsmoglichkeit des Makromolekuls, wenn sie uberhaupt erreichbar ist,, die Winkellage der intramolekularen Abstanden zugeordenten Interferenz bei weiterer Temperaturerhohung unverandert bleibt. Ausserdem sollte die intra- molekulare Interferenz in diesem Fall ihre Intensitat und ihre Breite im

* Abhangig von der genauen Creme des Valenewinkels.

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wesentlichen beibehalten. Im Gegensatz hierzu miissen sich die intermole- kularen Abstande in Korrespondenz zur Volumenausbildung bei Tem- peraturerhohung aufweiten. Diese Ideiitifizierung der intramolekularen Maxima ist wesentlich, weil sie eine praktische Grundlage bietet, die effek- tive permanente Gruppe aus dem Experiment zu bestimmen.

Xach dem Vorangehenden erscheiiit es vernunftig, die Gesamstruktur des amorphen Polymeren, der sich aus idealiserten Kohlenstoffketten aufbauen soll, durch einen radiale Verteiluiigsfunktion zu beschreiben. Dann erhalt man aber nach Formel (I 1) und (13)

pr(g(2)*(r) - I) = ( 1 / 2 ~ ~ ) A" s [ ~ ( s ) , ~ ~ ~ ~ + i ( ~ ) , , ~ ~ ~ ] s i n (sr) dr (14)

g( ' )* ( r ) = g(')(r)lnter + g(')(T)mtra

durch Fouricrtraiisformation die radiale Verteilungsfunktion des Gesamt- systems, die eiri Bild von der mittlcren molekulareii Struktur des Systems gibt. Hierbei ist

(15)

i* (s)intra ist nach Pormel(l4) aus eiiiem konkreten Molekulmodell berechen- bar, wobei hier an die Stelle des Nlolekuls die effektive permanente Gruppe tIritt8. Bei der Anwendung dieses Verfahrens auf konkrete Beispiele muss streng uberpruft werden, ob alle oben gegebeneii Voraussetzungen weingstens naherungsweine erfullt, sind.

D. Die Rontgenmessungen an amorphem Polystyrol VI In Abbildung 2 (Kurve b) ist' die Ront'genaufnahme von amorphem

Polystyrol VI bei lGO°C als Funktion des Beugungswinkels 26 wieder- gegeben. Polarisationfaktor* und Xnlleffekt sind berucksichtigt worden.

Bei kleinen Beugungswinkcln 2 6 sind zwei relativ ausgepragte Inter- ferenzeii erkennbar. Eine erste Zuordiiung dieser Maxima ist von Katz20 gegeben worden, die daiin spater vor allem von Krimm und TobolskyZ1 bestatigt und verfeinert wurde. Die zulet'zt. genannten Butoren haben Aufiiahmen bei mehreren Temperat,uren und Texturaufnahmen ausge- wertet. Hiernaeh ist das Maximum bei 229 = 9 , 5 O (dKette = 9 A) den Kettenabstanden, also intermolekularen oAbstanden, zuzusprechen. Das Maximum bei 26 = 19,.io (dBenzol = 4 7 A) dagegen wird vorwiegend von int'ramolekularen Abstanden erzeugt, die mit den seitenstandigen Benzol- kernen zusammenhangen. In Abbildung 2 (Kurve a) ist zusatzlich die klassische Steukurve gestrichelt eingezeichnet,. Diese passt sich, wie es

* Als Polarisationsfaktor P wurde die nachstehende Form gewah1t:'g P = (1 + cos2 201 cos 29)/(1 + cos2 2,)

nobei 01 der Beugungswinkel des Monochromatoreinkristalls ist.

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.4bb. 2. Die korrigierte Streukurve von arnorphem Polystyrol VI (Kurve h) . Kiirve a gibt die klassische Streukurve.

10 20 30 40 50 25

Abb. 3. Streudiagramme von amorphem Polystyrol VI bei den angegebenen Temperatur- en. Der Ordinatennullpunkt wurde jeweils verschoben.

Abb. 4. Die Bragg-Abstande der beiden Interferenzen des Polystyrol VI also Funktion der Temperatur: ( a ) intramolekulare Interferenz; ( b ) intermolekulare Interferenz.

verlangt werden muss, bei grossen Reugungswinkeln 26 gut der experimen- tellen Kurve an.

Die Beugungsdiagramme bei Temperaturen zwischen 20°C und 160°C zeigt Abbildung 3. Es wurde stets von hohen Temperaturen aus abkuh-

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20 120 TYC)

Sbb. 5 . Die Halbwcrsbreiten der bciden Interferenzen des Polystyrol VI als Funktion der Temperatur (Bezeichnung siehe Abb. 4).

Abb. 6. Die relative Intensitat I, = Z B ~ ~ . ~ I / I I C ~ ~ ~ ~ als Funktion der Temperatur.

lend gemessen. Die Einzelmessung bei konstanter Temperatur dauerte 2-3 Tage. Hierdurch konnen merkliche Relaxationserscheinungen im Einfrierbereich praktisch ausgeschlossen ~ e r d e n . ~ ~ * ~ 4 Relaxationen wer- den naturlich immer noch stattfinden. Die durch sie bedingten Anderun- gen aber sind nur noch klein und bei konsequenter Versuchsfuhrung (gleiche Zeit fur jede Messreihe) praktisch reproduzierbar. Die den beiden Maxima zugeordneten Bragg-Abstande als Funktion der Temperatur sind in Abbildung 4 wiedergegeben. Die beiden Maxima wurden separiert, mobei beide praktisch als symmetrisch vorausgesetzt werden konnten. Wie es aus DilatometermessungenZ2 und Refraktometermes~ungen~~ her bekannt ist, zeigt der thermische Volumenkoeffizient bei der Glastem- peratur T , eine “Sprungstelle.” dKette in Abbildung 4 (Kurve b) gibt dem- nach das Volumenverhalten beim Aufheizen der Probe wieder. dBenzol dagegen in Abbildung 4 (Kurve a) zeigt bei etwa 5OoC, also etwa 3.5’ unterhalb der Glastemperatur T , = 86°C24 ein Maximum. Mit dem Uberschreiten der Glastemperatur Tg nimmt dBenzol wieder zu, andert

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sich aber bei Annaherung an 16OOC schliesslich immer weniger mit der Temperatur. Schon hierdurch ergibt sich der erste Hinweis fur die A d - teilung der Iiiterferenzen auf hauptsachlich inter- bzw. intramolekulare Abstande.

Auch in den Halbwertsbreiten der beiden Interferenzen als Funktion der Temperatur zeigen sich analoge Unterschiede. Nach AbbiIdung 5 (Kurve b) verbreitert sich die Ketteninterferenz beim Uberschreiten der Glastem- peratur To. Dieser “Struktureffekt” ist von einem der Autoren25 auch an anderen amorphen sowie fur den amorphen Anteil partiell kristallisierter Polymerer nachgewiesen worden. Der “Sprung” in der Halbwertsbreite hangt offenbar von der Symmetrie im Molekulbau und von spezifischen Wechselwirkungen (z.B. H-Brucken) ah. Entsprechend zeigt das Tetra- fluorpolyathylen den grossten Effekt. Die sperrige Seitengruppe (Ben- zolkern) beim Polystyrol sorgt anscheinend auch unterhalb der Glastem- peratur To fur eine relativ breite Abstandsstatistik der Kettenabstande, die sich mit dem Uberschreiten von T , nur noch wenig andern kann. (Wegen genauere Einzelheiten mussen wir auf eine in Vorbereitung be- findliche Veroffentlichung hinweisen.) Die Halbwertsbreite der Benzolin- terferenz (Abb. 5, Kurve a) verlauft als Funktion der Temperatur ahnlich eigentumlich wie das dBensol. Die relativen Intensitaten beider Interfer- enzen I , = IBeneol/IKette bestatigen im wesentlichen die Messungen von Krimm und Tobolsky, 21 weichen aber bei tiefen Temperaturen unterhalb 6OoC von deren Ergebnis ah. (Abb. 6). Vor einer Diskussion dieser Mes- sungen mochten wir zunachst die Strukturanalyse des amorphen Polysty- rols ausfuhren. Offensichtlich eignet sich hierzu am besten die Messuiig bei 16OoC. Von dieser Temperat,ur an bleibt die Benzolinterferenz na- hezu unverandert, so dass man naherungsweise annehmen darf, dass sie zur Hauptsache nur von intramolekularen Abstandeii erzeugt wird.

E. Die Strukturanalyse des amorphen Polystyrols VI bei 160°C Each dem Vorangehenden mussen wir durch Berechnung nach Formel

(13) die Benzolinterferenz bei 229 = 19,5O weitgehend tviedergeben konnen. Das lauft daraus hinaus, die passende “effektive permanente Gruppe” des Polystyrolmolekuls zu bestimmen.

Zunachst wurde das intramolekulare Streubild fur die monomere Ein- heit als effektive permanente Gruppe bei freier Rotation des Benzolkerns berechnet. Dies fuhrt zu keiner Ubereinstimmung mit der experimentellen Kurve. In Abbildung sind unter der Xummer 2 und 3 zwei weitere Modelle angegeben, die wir als effektive permaiiente Gruppe gewahlt haben und die eine konsequente Erweiterung des Modells 1 darstellen. Bei freier Dreh- barkeit um die C-C-Bindungen kanii auch mit, dieaem Modell die Benzol- interferenz nicht befriedigend weidergegeben werden. Die Konfigurations- moglichkeit des Polyst8yrolmolekuls ist, offenbar starker eingeschrankt . Die st,erisch sehr sperrigen Benzolkerne scheinen hierfiir verantwortlich zu sein, wie man es sich ohne weiteres an eiiiem Stuart-Briegleb-Model1 plausibel machen kann.

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S’I’RUKTIJKANALYSE 1 ON POLYS’rYROL. V I 323

7’ Abb. 7. Schematische Darstellung der verschiedenen Modelle, die als “effekt,ive

permanente Gruppen” zur Berechnung der intramolekularen Streukurve benutzt wur- den. Fur das Modell 4 ist zur Verdeutlichung auch eine Aufsicht gezeichnet.

Abb. 8. Vergleich der experimentellen Streukurve: ( a ) mit berechneten intramoleku- laren Streukurven, fur Polystyrol in reduzierter Darstellung; ( b ) “einfache, (c) zweifache und (d ) dreifache Spirale des Modell 4 in Abb. 7.

Die Kristallstruktur von isotaktischem Polystyrol ist von n’attaI7 auf- geklart worden. Heirnach bildet das Polystyrolmolekiil im Kristall eine komplizierte Spiralstruktur aus. Polystyrol VI kann off enbar nicht kristal- lisieren, weil, wie man heute ziemlich sicher weiss, das Molekul selbst als’ Folge des Polymerisationsablaufs im Vergleich zur regelmassig isotaktischen Kette statistisch fehlgeordnet ist. Eine passende Zuordnung der Nach- barmolekule in eine Kristallstrukt ur ist in diesem Falle nicht mehr moglich. Es ist nun aber nahliegend, auch fur das amorphe Polystyrol eine iiitramole- kulare Spiralstruktur anzunehmen. Diese sol1 sich aber nur im statisti- schen Mittel in kleinen, nicht notwendig aber moglicherweise isotaktischeii bzw. auch syndiotaktischen Kettenstucken einstellen. Demzufolge haben wir als Modell fur die effektive permanente Gruppe zur Berechnung der intramolekularen Intensitatskurve verschieden lange Spiralsequenzen angenommen, deren Grimdeinheit in Abbildung Nr. 4 gezeichnet ist. Die Benzolringe sind jeweils um +60° aus der Bildebene herausgedreht, so dass in der Aufsicht (s. Abb. 6) um 120’ verdrehte Benzolkerne erscheinen.

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3% H.-G. KILIAN IJND K. BOUEKE

Abb. 9. Die Spiralstruktur des isotaktischen Poly-m-Methylstyrols (entnommen aus Corradini u. Ganis.19

Die Abstande der Atome innerhalb der eff ektiven permanenten Gruppe sind der Literatur entnommen worden. 28 Abbildung 8 gibt den Vergleich der berechneten intramolekularen Streukurven fur 1, 2 bzw. 3 solcher Spiralsequenzen. In Abbildung 8 sind die normierten Schwankungen der Streukurven um die klassische Streukurve dargestellt [s. Formel (9) 1. ‘Auch diese Modelle sind schlecht geeignet, die Interferenz 26 = 1 9 , 5 O quantitativ durch Berechnung angenahert wiederzugeben. Eine Ver- besserung dieser Modelle erhalt man, wenn man direkt die Spiralstruktur des isotaktischen Kristalls ubernimmt. Diese unterscheidet sich vom vorangehenden Model1 dadurch, dass die Kettenatome bei isotaktischer Anordnung selbst schon eine Spirale bilden, wie es aus Abbildung 9 zu ersehen ist. Hier ist allerdings die Spirale f i r das Poly-m-Methylstyrol gezeichnet. l9 Das beste Ergebnis der Berechnung wird nach Abbildung 10 (Kurve c) mit zwei Spiralsequenzen dies6.r Art erzielt, wobei der Verlauf im gesamten Streudiagramm fur dieseri Fall am gunstigsten erscheint.

Die Berechnung dcr intramolekiilaren Intensitatskurve nach Formel (13) muss zunachst noch gerechtfertigt werden. Fur die niittle relative quadratische Schwankung fur das vierte C-Atom von einem Bezugsatom

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STRUKTITRANA1,YSE VON POLYS1'YROIA. VI 32s

4 Abb. 10. Vergleich der experimentellen Streukurve: (a) fur Polystyrol VI mit berech-

neten intramolekularen Streukurven in reduzierter Darstellung; ( b ) einfache, ( c ) aweifache, und (d) dreifache Spirale ahnlich der Struktur von Abb. 9.

aus gesehen, das in einer solchen Kohlenstoffspirale liegen soll, ergibt sich r ~ 1 4 = 0,18. Hierbei war angenommen worden, dass das vierte C-Atom alle Winkellagen von +60° um die Ideallage in der Spirale gleichwahr- scheinlich einnehmen kann. Bei einer Verteilung der Winkellagen, die eine Anhaufung um die Ideallage nach einer Cosinusfunktion besitzt, schwanken die Abstande fast unverandert stark. Die im wirklichen Mole- kiil auftretenden Schwankungen sollten jedoch grosseren Einschrankungen unterworfen sein; denn in die Berechnung der intramolekularen Intensi- tatskurven sind samtliche Abstande der doppelten Spiralsequenz einbezo- gen worden (die Rotation der Benzolkerne wurde durch mittlere Abstande berucksichtigt) . * Innerhalb dieser Gruppe also sollen die Atome so geringe Abstandsschwankungen zeigen, dass die abgebeugten Rontgenstrahlen innerhalb der effektiven permanenten Gruppe gerade noch interferieren konnen. Die idealisierten Modellannahmen aussern sich unter anderem sicher darin, dass die berechnete Benzolinterferenz etwas schmaler als die experimentelle ausfall t . Solche Abweichungeii werden sicher vor allem dadurch bedingt, dass die Begrenzung der effektiven permanenten Gruppe im Modell scharf gezogen ist. In Wirklichkeit miissen die Abstandsschwan- kungen von einem Bezugsatom ausgesehen im Mittel einem kontinuierlichen Gesetzt folgen. Ausserdem haben wir die H-Atome vernachlassigt, was bei kleinen Beugungswinkeln zu systematiscgen Abweichungen fiihren muss.

Wir mochten hier um Missverstandnisse zu vermeiden, klar herausstel- len, dass zur Rechenerleichterung fur die Molekiilstucke in den effektiven permanenten Gruppen eine isotaktische Anordnung gewahlt worden ist. Da die Spiralstruktur der effektiven permanenten Gruppen selbst schon eine mittlere sein soll, wobei besonders die Lage der Atome in grosserer Entfernung vom Bezugsatom erheblicheren Schwankungen unterworfen sein kann, kann die isotaktische Sequenz in Grenzen durch isotaktisch-

* Fur drei Spiralsequenzen betragt die Gesamtzahl der Abstande n(n - 1)/2 mit n = 72 als Zahl der C-Atome. In diesem Fall ergeben sich 2556 Abstande. Abstande, die sich nur wenig unterschieden, wurden zur Erleichterung der Rechnung durch einen gemeinsamen Mittelwert mit entsprechendem Gewicht erfasst.

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326 H.-G. KILIAN UND K. BOUEKE:

syndiotaktische oder auch durch syndiotaktische Kettenstucke ersetzt werden. Die effektive permanente Gruppe liefert zwar die Vertehngs- funktion der Abstande innerhalb des Molekuls, die im Mittel fur jedes be- liebige C-Atom gelten soll, sie lasst naturgemass aber alle Modelle a u , die die gleiche Abstandsverteilung liefern. Nun ist die Variationsmoglichkeit des Molekuls gerade beim Polystyrol nicht sehr gross, wie man den ver- schiedenen Modellannahmen weiter vorn entnehmen kann. Es kann aber in keinem Fall gefolgert werden, dass sich die effektiven permanenten Gruppen aus isotaktischen Kettenstucken zusammensetzen sollen. Bei dieser Annahme musste faktisch das Molekul als ganzes isotaktisch ge- baut sein, da fur jedes Kettenatom im Mittel dieselbe effektive perma- nente Gruppe auftreten soll.

Die Konfigurationsmoglichkeit des Polystyrolmolekuls im flussigen Zus- tand bei 16OOC ist also im Vergleich zur freien Kohlenstoffkette stark eingeschrankt. Es ergibt sich in kleinen Bereichen eine Kahordnung in- nerhalb der Ketten, die im statistischen Mittel dieselbe wie im isotaktischen Kristall ist. Die Grossenordnung dieser Nahordnungsbereiche betragt etwa 11 A. Die Anordnung benachbarter Atomgruppen zeigt im Molekul demnach im Mittel eine Korrelation uber ungefahr 12-C-Atome. Fur das Polyathylen ergibt sich dagegen nur eine Korrelation uber etwa 5 C- At~me.~O Es ergibt sich also der etwas uberraschende Tatbestand, dass die intramolekulare Struktur des nichtkristallisationsfahigen Polystyrol im statistischen Mittel besser als dieselbe Ordnung in amorphem Polyathylen ausf allt.

Nach Formel (10) wurde nun die radiale Verteilungsfunktion des Gesamt- systems bestimmt. Die Fourieranalyse wurde auf einem Siemens-Re-

Abb. 11. Vergleich der reduzierten radialen Verteilungsfunktion ( a ) aus dem Ex- periment und (5) aus dem Model1 (zweifache Spirale der Abb. 9) fur Polystyrol VI bei 160° C.

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STRIJRTURANALYSE VON POLYSTYROL. VI 327

chenautomaten ausgefuhrt. Die Approximation der norrnierten, reduzierten Funktion s.i(s) wurde stuckweise durch Funktionen der Form Y = ax2 + bx + c vorgenommen. Abbildung 11 zeigt den Vergleich der radialen Verteilungsfunktionen des 2-Spiralsequenzenmodells fur die intramole- kulare Struktur (Kurve b ) mit der experimentellen (Kurve a) . Die Dif- ferenz dieser beiden Kurven in Abbildungs 15 (Kurve a) gibt also die Verteilungsfunktion nur der intermolekularen Abstande [siehe Formel (14)]. Man erkennt eine Anhaufung dieser Abstande um 10 8, die in Anlehnung Krimm und TobolskyZ1 hauptsachlich Abstanden zwischen Kettenatomen benachbarter Molekule zuzuordnen ist. Die jeweilige Aufspaltung der Maxima bei 9 bzw. 11 8 halten wir nicht fiir relevant, da sie methodisch bedingt sein konnen.31 Zusatzlich treten bei etwa 5 A bevorzugt intermolekulare Abstande auf.

Die Wiedergabe der intermolekularen Abstandverteilung durch eine radiale Verteilungsfunktion ist kritisch zii beurteilen, da hekannt ist,, dass benachbarte Benzolkerne sich bevorzugt parallelisieren. 32 Es treten also intermolekular spezifisch wechselwirkende Gruppen (Benzolkerne) im amorphen Polystyrol auf , die die Abstandsverteilung soweit verandern konnen, dass keine Radialsymmetrie mehr besteht. Um diese Verhalten der Benzolkerne zu uberpriifen, haben wir eine niedrigmolekulare Substanz zusatzlich undersucht. Auf alle Falle lierfert die Analyse mit der der radi- alen Verteilungsfunktion, weingstens ein “Ersatzbild der Struktur,” in das die individuellen Besonderheiten der wirklichen Verteilung eingehen.

F. Die Untersuchung von amorphem Phenolphthalein

Zur indirekten Bestatigung der Strukturanalyse am Polystyrol wurde aus den oben angegebenen Grunden die radiale Verteilungsfunktion von amorphem Phenolphthalein ermittelt. Diese wurde wiederum mit der berechneten, intramolekularen Verteilungsfunktion verglichen. Das Phe- nolphthaleinmolekiil ist schernatisch in Abbildung 12 angegeben. Diese

Abb. 12. Schematische Darstellung von Phenolphthalein.

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328 IT.-G. KILTAN IJND I<. BOUEKE

Abb. 13. Vergleich der Streukurve (a) des Experiments mit ( b ) der berechneten in re- duzierter Dantellung fur amorphes Phenolphthalein.

Abh. 14. Vergleich der reduzierten radialen Verteilungsfunktion (a ) des Experiments mit ( b ) der Rechnung fur amorphes Phenolphthalein.

Substanz wurde gewahlt, weil sie (1) durch Abschrecken als Glas eingefroren werden konnte und weil sie (2) drei Benzolkerne im Molekul besitzt. Spezifisch intermolekulare Wechselwirkung der Benzolkerne sollten also bei dieser Substanz deutlich in Erscheinung treten. Die effektive per- manente Gruppe fallt in diesem Fall praktisch mit dem Molekiil selbst zusammen. Es mussen allerdings Rotationen der zwei aussenstehenden Benzolkerne beriicksichtigt werden. Abbildung 13 zeigt zunachst den Vergleich der berechneten, intramolekularen Intensitatskurve (Kurve b) als Funktion von s mit, der reduzierten experimentellen Kurve (Kurve a) . Die Grundziige des Beugungsdiagramms werden durch die intra- molekulare Kurve gut wieder gegeben. Die radialen Verteilungen zeigen entsprechende Verwandtschaft (Abb. 14). Die radiale Verteilungsfunktion der intermolekularen Abstande, die die Differenz der beiden in Abbildung 15 gezeigten Kurven darstellt, ist wenig profiliert Abbildung 15 (Kurve b). Es ergibt sich eine wesentlich kontinuierlichere Verteilkmg als im Fall des Polystyrols. Die Anhaufung der Abstande um 4,5 A konnte dieselben

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Abb. 15. Reduzierte radiale Verteilungsfunktion von amorphem Phenolphthalein (Kurve b ) verglichen mit der entsprechenden Verteilungsfunktion von amorphen Polystyrol VI (Kurve a).

Ursachen wie beim Polystyrol haben. Dieses Maximum konnte etwa dadurch zustande kommen, dass die Benzolkerne nicht frei rotieren konnen, sondern das vorallem intermolekular parallelstehende Benzolringe etwas bevorzugt auftreten. Eine zuverlassige Deutung ware allerdings erst moglich, wenn die analoge Untersuchung bei verschiedenen Temperaturen ausgefuhrt werden wiirde. Intermolekulare Abstande treten beim Phenol- phthalein ausserdem erst bei 10 bis 11 8 merklich auf. Als Kriterium fur diese Zuverlassigkeit der Analyse kann ebenso die Ubereinstimmung der berechnneten radialen Verteilungskurven mit den experimentellen bei 1,5 k benutzt werden. Diese ist in den Grenzen der erreichbaren Genauigkeit (H-Atome) fur das Polystyrol wie fur das Phenolphthalein als durchaus befriedigend anzusehen. Streng genommen sollte eine vollokommene Ubereinstimmung erreicht werden, da der Abstand von 1,54 A nur bei kovalenzmassiger Bindung zwischeii den C-Atomen erreichbar ist.

G. Abschliessende Diskussion der Messergebnisse

Der Einfluss der im Makromolekul lokalisierten Benzolkerne auf die intermolekulare Verteilungsfunktion macht sich im Vergleich zum Phe- nolphthalein wesentlich eigentlich nur durch quantitative Unterschiede bemerkbar. So scheint die intermolekulare Abstandsverteilung des Poly- styrols bei prinzipieller Ahnlichkeit einen hoheren Ordnungsgrad als die des Phenolphthaleins zu besitzen. Hierfur mochten wir spezifische Wecheselwirkung im Molekul der lokalisierten Benzolkerne verantwortlich machen, die die Gesamtstruktur des Polystyrols wesentlich charakterisi- eren. Die im Makromolekul verhafteten Benzolkerne bedingen demnach eine fur amorphe Hochmolekulare typische Verbesserung intermolekularen Ordnung im Vergleich zu ahnlichen gebauten niedrigmolekularen Flussig- keitsstrukturen. So resultiert im Mittel wegen der sterischen Sperrigkeit der Benzolringe intramolekular in kleinsten Bereichen eine Spiralstruktur . Andererseits scheinen parallelisierte Benzolkerne zwischen Nachbarmole-

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330 H.-G. KlLIAN UND K. BOUEKE

kulen das 5 Maximum in der intermolekularen Verteilungsfunktion von Polystyrol zu erzeugen. 5 konnen allerdings im Mittel nur dann sehr haufig auftreten, wenn sich die Benzolkerne nur teilweise iiberlappen kon- nen, was bei einem mittleren Kettenabstand von etwa 10 8 auch vernunftig erscheint. Die zwischenmolekulare Wechselwirkung wird hiernach in Ubereinstimmung mit Modellrechnungen von Adam32 praktisch nur durch die Benzolkerne bedingt. Mit abnehmender Temperatur schieben sich die Benzolkerne im Mittel infolge der kleiner werdenden Kettenabstande immer weiter iihereinander, his schliesslich die Wechselwirkung unter Einbeziehung kooperativ gekoppelter Bereiche so gross wird, dass das Polystyrol einfriert. Der Ubergang in den Glasszustand aber lauft offen- sichtlich kompliziert ah, wie aus dem besonderen Verhalten der Benzolin- terferenz um 50 his 60°C zu entnehmen ist. Besondere Effekte sind hier auch durch Kernresonan~messungen~~ und durch mechanische Schwin- gungsme~sungen~~ nachgewiesen. * Die Beriicksichtigung aller Experi- mente fiihrt mit Anmeldung von Vorbehalten zu den folgenden Vorstel- lungen : Die Benzolkerne “rotieren” im zunehmenden Mass, wenn man die Temperatur von 20 his 50°C erhoht. Starkere Behinderungen dieser Rotationen vergrossern den mittleren Abstand bei gleichzeitiger Verbreite- rung der Abstandsverteilung (Abb. 4,.5). Die Kettenkonfiguration ist hierbei praktisch festgelegt. Oberhalb von 50” muss man annehmen, dass-immer noch bei wesentlich unveranderten Kettenabstanden-sich eine grossere Zahl von Benzolkernen weitgehend parallelisieren konnen, so dass ohne nachweisbaren Volumeiieff ekt eine Verschiehung der Benzolin- terferenz zu kleineren Beugungswinkeln erfolgt. Diese kann aber eigent- lich nur fur intermolekular wechselwirkende Benzolkerne angenommen werden. Bei Temperaturen unterhalb von 50°C wird zwar die Wechsel- wirkung aller benachbarter Benzolkerne im Mittel immer grosser. Wegen sterischer Behinderung bei zunehmend dichterer Packung werden aber relativ gesehen weiiiger parallelisierte Benzolkerne als bei 50” vorliegen, weil aus Griinden der Raumerfullung auch energetisch ungiinstigere Lagen der Benzolkerne erzwungen werden. Die Zunahme von IBensol/lKette

unterstutzt die Deutung, dass sich die mittlere Ordnuiig der intermole- kular wechselwirkenden Benzolkerne beim Aufheizen von 20 auf 50°C ver- bessert. Mit dem Uherschreiten der Glastemperatur entfernen sich die Ketten mehr und mehr. Das Volumen zeigt hier einen grosseren Tempe- raturkoeffizjeriten als unterhalb von To, die Interferenzen werden infolge zunehmender thermischer Storung breiter und die relative Intensitat l ~ ~ ~ ~ ~ ~ / l ~ ~ ~ ~ ~ ~ nimmt, ah (Abb. 4,5,6), Oherhalb von 160°C schliesslich besta- tigen sich die Messungen von Krimm und Toblsky. 2 1 Entsprechend moch- ten wir die Meinung dieser Autoren unterstutzen dass hier offenbar der mittlere KF ttenabstand so gross geworden ist, dass zusammenhangende Molekiilteile ohne merkliche Behinderung durch “verhakte” Benzokerne in Richtung der Molekiillangsachsen abgleiten konnen. Der Intensitats-

* Eine geniiuere Diskussion dieser Zusammenhange sol1 in einer zusammengefassten Veroffentlichung vorgenommen werden.

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STRLTKTURANALYSE VON POLYSTYROL. VI 331

beitrag intermolekularer Benzolkernahstande zur Interferenz bei 26 =

1 9 , 5 O ist hier entsprechend klein, ein Tatbestand der eine wichtige Stutze der vorliegenden Strukturanalyse vom amorphen Polystyrol dargestellt. Diese Annahme wird ubrigens auch durch den Vergleich des berechneten und der experimentellen Beugungsinterferenz vom Phenolphthalein gerechtfertigt, da sich hier (Abb. 13) eine ahnliche Ubereinstimmung zwangslaufig ergibt. Die zuletzt gegebenen Deutungen bringen molekulare Details fur die intermolekularen Abstandsverteilungen, die in den Einzel- heiten notwendig durch weitere, moglichst. unabhangige Messungen veri- fiziert werden sollten. Das entworfene molekulare Bild steht zwar mit den erwahnten Experimenten nicht im Widerspruch, zeigt aber naturge- mass prinzipiell alle Unzulanglichkeiten solcher detaillierten Modellbe- schreibungen.

Das Ergebnis der Strukturanalyse erscheint im wesentlichen physikalisch vernunftig. Intramolekular treten im Mittel in kleinen Bereichen ahn- liche Spiralstrukturen auf, wie sie fur den isotaktischen Kristall gefunden worden ~ i n d . * ~ Die Kristallisation wird durch “Baufehler” des Poly- mermolekuls selbst verhindert, weil die isotaktischen bzw. syndiotaktischen Zwischenstucke, die noch dazu in ihrer Lange statistisch schwanken, zu klein ausfallen. Die Einstellung der Spirale in der effektiven permanenten Gruppe ist der sterischen Sperrigkeit der Benzolkerne zuzuschreiben, die in spezifischer Wechselwirkung den intermolekularen Zusammenhalt wesentlich bestimmmen. Sterische Gesichtspunkte in Konkurrenz zur Tendenz der Benzolringe, sich zu parallelisieren, bedingen bei dichter Pak- kung wahrscheinlich die eigentumliche Veranderung des Beugungsdia- gramms im Temperaturbereich zwischen 20 und 60°C.

VI). Wir danken an dieser Stelle Herrn Dr. K.-H. Illers fiir das Prohenmaterial (Polystyrol

Fur die Programmierung danken wir Herrn Reinharz herzlich.

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Zusammenfassung Es wurden Rontgenaufnahmen von amorphem Polysryrol VI zwischen 20 und 160°C

mit monochromatischer Cu Ka-Strahlung ausgefuhrt. Das Beugungsbild bei 160°C wurde nach einem bekannten Verfahren, der Fourieranalyse unterworfen, und so die radiale Verteilungsfunktion des amorphen Polymeren ermittelt. Die Berechnung des Beugungsbildes, das von den intramolekularen Interferenzen herriihrt, fuhrt auf die Bestimmung einer effektiven permanenten Gruppe. Diese stellt ein Mass fur die mittlere statistische Reichweite dar, iiber die die Lage benachbarter Atome im Makro- molekul durch gegenseitige Korrelation bestimmt wird. Es ergeben sich fur die Liinge der effektiven permanenten Gruppe 11 A. Uber diese Lange stellt sich im Mittel dieselbe Molekulspirale ein, die von der Struktur des isotaktischen Kristalls bekannt ist. Die Struktur bestimmende Bedeutung des Bensolkerns im Polystyrol wird anhand der Streudiagramme bei verschiedenen Temperaturen diskutiert. Nach demselben Analy- senverfahren wurde amorphes Phenolphtalein untersucht. Am Beispiel dieses niedrig- molekularen Glases sollten Methode und Ergebnis der Untersuchung am hochpoly- meren Polystyrol indirekt uberpruft werden.

Synopsis

X-ray photographs of amorphous polystyrene VI have been taken in the range of 20 to 160’C. with monochromatic Cu Kz radiation. The x-ray diagram was evaluated by means of a known Fourier analysis method and the radial distribution function of the amorphous polymer was determined. An “effective permanent group” has been calcu- lated from the diffraction pattern originating from intramolecular reflections. This is a measure of the mean statistical range where a correlation between neighboring atoms in a macromolecule determines their position. The length of the effective permanent group is 11 A. The helix known from the structure of the isotactic crystal is formed over this

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S‘l’HUTKTURANALYSE VON POLYSTYHOL. VI 333

length. The importance of the benzene ring in polystyrene in determining the structure is discussed, diffraction diagrams obtained a t different temperatures being used. Amor- phous phenolphthalein was investigated in the same manner. This low molecular weight glass was chosen for an indirect examination of the method and results obtained with high molecular weight polystyrene.

RBsum6 Des Rontgenogrammes de polystyrene VI amorphe ont Bt6 pris entre 20 et 1 6 0 T B

l’aide d’une radiation Cu-Ka monochromatique. D’aprbs une methode bien connue, l’image de diffraction B 160°C a Bt6 soumise B l’analyse de Fourier, ce qui a permis d’etablir la fonction de distribution radiale du polymbre amorphe. Le calcul de l’image de diffraction, qui provient des interferences intramol&ulaires, conduit 8, la determina- tion d’un ”groupe effectif permanent.” Celui-ci reprgsente une mesure pour la portee statistique moyenne, B base de laquelle la position d’atomes voisins dans la macromol6- cule est determinee p:r une corrblation reciproque. La longueur du groupe effectif permanent est de 11 A. Sur cette longueur s’6tablit moyennement la mbme spirale mol6culaire, qui est connue de la structure du cristal isotactique. A l’aide de diagram- mes de diffraction B differentes temperatures on traite de l’importance du noyau benz6- nique pour la structure du polystyrkne. D’aprbs la mhme methode d’analyse on a examine de la phholphtaleine amorphe. Suivant l’exemple de ce verre de bas poids mol6culaire la m6tdode et le r6sultat de l’examen du polystyrkne de poids mol6culaire Bled devraient &re verifies indirectement.

Discussion R. L. Miller (Monsanto Chemical Company, Springjield, Muss.): Was your sample

atactic or isotactic? Did you subject the other to a similar treatment? Since the atactic sample was studied it is not surprising that a linear-chain model gives the best agreement for the intrachain portion.

We have investigated amorphous so-called atactic polystyrene VI. There are some difEculties in preparing a molten sampie of isotactic polystyrene. We get an effectively permanent group of a twofold helix. But we have to emphasize that this short-range ordering inside the macromolecule only holds as a statistical mean. Relevant fluctuations of the distances between the atoms inside the permanent group are possible. The quantity of these fluctuations should be discussed. The tacticity of the polymer, depending on the special polymerization conditions, should change the short-range ordering, that is, the length of the effectively permanent group on the intra- molecular structure.

R. S. Stein (University of Massachusetts, Amherst, Mass.): Were you able to notice any dependence upon stretching, of the amorphous x-ray scattering? It would seem that this might aid in the interpretation.

H. G. Kilian: We have not performed such experiments because of the difficulties in using the given method of structure analysis. Krimm and Tobolsky [Teztile Research J . , 21, 805 (1951)] have investigated such stretched samples. Experiments in this di- rection are also to have been made by Williams et al. [J. Polymer Sci., 8, 345 (1952)]. The interpretation of these authors corresponds very well with those we have given before.

H. G. Kilian: