Rohals Gespräche

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  • 8/10/2019 Rohals Gesprche

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    2001 Frank Brosow Opus Veritatis Scientique, Nr. 100121www.wolkenturm.de

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    Aus den

    'Gesprchen Rohals des Weisenber Ethik und Moral'

    Auszge aus dem gleichnamigen Kollektanaller der Rohalszeit entstammenden Bnde

    der 'Gesprche Rohals des Weisen'in freier Transkription,

    verfasst in der Sprache des Volkes,gettigt durch Lizentiatus Vitus Ehrwald,

    Abgnger der Herzog-Eolan-Universitt zu Methumis,so geschehen im Jahre 2515 Horas zu Gareth

    mit gndiger Untersttzung des Pentagontempelsder Herrin Hesinde

    Vorwort

    Quid faciemus nos?

    - Was sollen wir tun?Selbst 500 Gtterlufe nach der Entstehung der 'GesprcheRohals des Weisen'scheint diese Frage den kulturschaffendenVlkern Aventuriens nach wie vor ungeklrt. Die Gtterhaben uns die Vernunft geschenkt und uns damit in dieVerantwortung gesetzt, all unser Handeln vor uns selbstund anderen zu legitimieren. Doch Glaube, Tradition undweltliches Recht geben uns eine Vielzahl von Handlungs-weisen vor, denen zu folgen oftmals nicht blo eine Sachedes guten Willens, sondern hufig auch eine der rechtenEntscheidung ist, denn allzu oft scheint uns durch das einegeboten, was das andere verbietet.

    Der himmlischen Kriegsherrin Rondra gilt der Kampf alsehrenhaft, doch die junge Gttin Tsa gemahnt uns, denFrieden zu wahren. Travia, die Gttin des Herdfeuers,spricht in ihren Lehren von Treue und Sittsamkeit, dieschne Gttin Rahja hingegen lobt den freimtigen Genuss.Phex, der Listenreiche, preist Humor als eine Tugend, dochwer nach den Lehren des schweigsamen Boron lebt, wirdstatt dessen seine Erfllung in ernsthaftem Schweigen su-chen. Der nicht weniger ernste Firun bringt uns Klte, Eis

    und Schnee, doch solange er herrscht, ist es uns nicht mg-lich, im Sinne der gtigen Peraine Ackerbau zu betreiben.Der launenhafte Efferd heit uns, unter den Elementen das

    Wasser zu ehren, Feuer jedoch zu meiden; sein gttlicherBruder Ingerimm lehrt uns das genaue Gegenteil. Die all-wissende Herrin Hesinde schlielich zeigt sich erfreut berunseren Umgang mit Magie, welche der Gtterfrst Praiosmit Bann und Geringschtzung belegt.

    Dies sind nur einige Beispiele, welche aufzeigen sollen, wieoft wir uns in unser aller Leben fr die Lehren des einen,damit jedoch gleichzeitig auch gegen die Gebote mindestenseines anderen der Zwlfe entscheiden. Auf die Konflikte,welche sich zudem mit den Weltanschauungen und Religio-nen anderer Kulturen ergeben (man knnte hier viele Vl-

    ker, so etwa die Nivesen, Novadis, Maraskaner und Wald-menschen, ja sogar fremde Rassen wie Zwerge und Elfenals Beispiele heranziehen), soll an dieser Stelle erst gar nichteingegangen werden. So sehr wir auch mit all unseren Krf-ten danach streben mgen, nie wird es uns gelingen, alleGebote der Gtter mit gleicher Strenge und Inbrunst zubefolgen, denn zu unterschiedlich ist selbst die Einheit derZwlfe in ihren Lehren, als dass dieses Ziel jemals fr unserreichbar wre.

    Bedenkt man nun, dass auch die Frsten unseres Konti-nents, welchen es obliegt, fr ihre Herrschaftsgebiete weltli-ches Recht zu schaffen, nicht ohne derartige Glaubensent-scheidungen auskommen, und nimmt man hinzu, welchmannigfaltige, altehrwrdige Traditionen innerhalb derverschiedenen Kulturkreise vielleicht zustzlichen Einfluss

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    auf das Verhalten einer Gemeinschaft ausben, so wirdoffensichtlich, wie schwer es ist, in unserem Leben nichtfortwhrend gegen weltliches Recht, ffentliche Moral odergar gttliche Lehren zu verstoen, und es stellt sich dieFrage, ob es uns unter diesen Bedingungen berhaupt mg-

    lich sein kann, in geistiger Einigkeit ein wahrhaft gtterge-flliges Leben zu fhren, das es wert ist, gelebt zu werden.

    Die Moralphilosophie

    Rohals des WeisenDie Antwort auf diese Frage ist jedoch seit langem schongegeben, und niemand anderer zeigte sie uns auf als dergroe Rohal selbst, auch genannt der Weise. Rohal hlt eingttergeflliges Leben durchaus fr mglich, und vor allemhlt er es fr unser aller Pflicht, ein solches Leben anzustre-ben. Als Weg zu diesem Ziel benennt er die wahrhafte E-thik, welche er als den Weg der goldenen Mitte bezeichnet,der nicht versucht, gezielt die Lehren eines einzelnen Gotteszu befolgen, sondern keinem der Zwlfe ernstlich zu miss-fallen.

    Rohals moralphilosophische Lehre geht von dem Grundge-danken aus, dass das der gttlichen Schpfung entstam-mende Leben mit all seinen mannigfaltigen Facetten vorGttern wie vor Sterblichen das hchste Gut ist, welchesman in unserer Sphre wird finden knnen. Die kulturschaf-fenden Vlker setzt er in die Pflicht, diesen Wert zu erken-nen, sich ihrer Verantwortung gegenber allem Lebendenbewusst zu werden und sich aktiv fr dessen Erhalt undFrderung einzusetzen.

    Fr Rohal liegt der nicht weiter zu hinterfragende End-zweck des Lebens im Streben nach Glck, fr das wir, wannimmer wir es erfahren, dankbar sein sollten, denn es istmitnichten selbstverstndlich. Darum sollen wir uns ummglichst intensive Freude am Leben fr uns und alle ande-ren Lebewesen der zwlfgttlichen Schpfung bemhen,Schmerz und Leid jedoch in jeglicher Form zu vermeidentrachten. Dies schaffen wir, indem wir uns vom gedanken-losen Dahinleben frei machen und uns stetig darin ben,andere bewusst so zu behandeln, wie wir selbst behandeltwerden wollen - nicht jedoch, wie wir selbst von ihnenbehandelt werden, denn dies wrde das gegenwrtige Un-

    recht in der Welt nur erhalten, statt es zu beseitigen.

    Der Weise warnt uns davor, nur das als unsere Ethik anzu-erkennen, was sich leicht erreichen lsst, statt das erreichenzu wollen, was wahrhafte Ethik ist. Auch die schchterneFurcht, angesichts der eigenen, ethischen Ideale von ande-ren als schwach und sentimental belchelt zu werden, lsster nicht als Entschuldigung fr ein verfehltes Leben gelten.Damit erklrt Rohal die Ethik zur ersten und hchstenHerausforderung in unser aller Leben, an der allein wirunseren wahren Wert vor Gttern und Menschen beweisenknnen.

    Das Ergebnis dieses simplen Ansatzes ist ein vollstndiges,moralphilosophisches System, welches uns unregelmigverteilt auf die 21 Bnde der 'Gesprche Rohals des Weisen'

    berliefert wurde und nahezu alle Fragen der Sittlichkeitund Moral beantwortet, seien es nun solche nach ewigerWahrheit, dem Ursprung des Bsen, der richtigen Erzie-hung, wirklichem Glck, dem Umgang mit Tugenden, demWesen der Liebe, einem gttergeflligen Recht, wahrhaftem

    Heldentum oder gar dem Sinn des Lebens. Ein halbes Jahr-tausend hat der Bedeutung dieses Werkes nichts anhabenknnen, doch die Zahl derer, die Zugang zu diesem Wissenhaben, ist noch immer sehr klein. Dies zu ndern und zueinem gttergeflligeren Miteinander aller vernnftigenWesen Deres beizutragen, soll Intention und Ziel dieserKolumne sein, welche ab der nchsten Ausgabe des Opusveritatis scientiquewchentlich erscheinen und ber mehrereGtternamen hinweg die Moralphilosophie Rohals desWeisen ausfhrlich vorstellen wird.

    Von dem Zustandekommen

    dieser ArtikelreiheDie 'Gesprche Rohals des Weisen' entstanden, wie allgemeinbekannt sein drfte, durch die Mitschrift von Aussprchendes groen Philosophen, welche seine Schler im Laufemehrerer Generationen in Form einer lediglich chronolo-gisch geordneten Sammlung von Zitaten in der Sprache derGelehrten anfertigten. Wer jedoch meint, dies htte zu einernandusgeflligen Verbreitung dieser wertvollen Lehrinhalteauszureichen vermocht, irrt sich sehr, denn wie schon Rohalsagte:

    'Die Menschen scheinen zuweilen zu glauben, dass das Teilen vonWissen oder ethischen Erkenntnissen dem Teilen eines Kuchens gleich-

    komme, von dem einem selbst weniger bleibt, je mehr man davonabzugeben bereit ist. Das Gegenteil jedoch ist der Fall, denn eineKerze, welche ihr Licht an eine andere weitergibt, wird darum selbst janicht erlschen, gleichwohl ihr Anteil an der Helligkeit geringer werdenwird und man ihr darum weniger Beachtung beimessen mag. Euch

    jedoch soll es nicht um die eigene Flamme, sondern um das Licht alssolches gehen, denn alles andere wre nichts als bloe Eitelkeit.'

    Aufgrund dieser weisen Worte fasste ich den Entschluss,den moralphilosophischen Inhalt der 'Gesprche Rohals desWeisen'einer mglichst breiten ffentlichkeit zugnglich zumachen, auf dass diese gehaltvolle Botschaft gleichsam alsSauerteig in der Gesinnung der Welt endlich aufgehen und

    ihre segensreiche Wirkung entfalten kann. In den vergange-nen Monaten wurde es mir ermglicht, die Originale der'Gesprche Rohals des Weisen'im Pentagontempel der Hesindezu Gareth einzusehen, die dort niedergeschriebenen Zitatethematisch neu zu ordnen, in freier Transkription in dieSprache des Volkes zu bertragen und somit schlielicheinen eigenstndigen, moralphilosophischen Sonderbandber Ethik und Moral aus den 'Gesprchen Rohals des Weisen'zu extrahieren.

    Dieser neue Kollektan der Sittlichkeit ist in einem demOriginal sehr hnlichen Stil verfasst und zeichnet sich da-durch aus, dass er nicht nur die wichtigsten Aussprche des

    groen Rohal betreffend Sittlichkeit und Moral enthlt,sondern darber hinaus diese in einer leicht verstndlichenForm und inhaltlichen Abfolge prsentiert, die dem Leser

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    das Verstndnis erleichtern, Zusammenhnge zwischen deneinzelnen Gedankengngen verdeutlichen und die Lektrezu einem ebenso anregenden wie kurzweiligen Leseerlebnismachen soll, ohne dafr jedoch einen ungebhrlich hohenPreis an geistreichem Gehalt oder Authentizitt gegenber

    dem Original zu entrichten.

    Mit dem erklrten Ziel, zu einer mglichst weiten Verbrei-tung der ethischen Lehren Rohals des Weisen beizutragen,wandte ich mich Anfang diesen Jahres an die Redaktion desOpus veritatis scientique, wo man meinen Vorschlag, den vonmir angefertigten Text in dieser Postille zu verffentlichen,mit groer Begeisterung aufnahm. Alsdann trat ich in beid-seitig uerst produktive Verhandlungen mit Adeptus MaiorEborus Zachariad, mit welchem ich sehr schnell darbereinig wurde, den von mir zusammengestellten Kollektanzuknftig allwchentlich als regelmige Kolumne in nichtzu umfangreichen, in sich geschlossenen und in ihrer Ab-

    folge systematisch geordneten Lektionen der Leserschaftdieses Blattes zugnglich zu machen. Gleichwohl es sich beidiesen Inhalten nicht um solche arkaner Natur handelt,hoffen wir doch, mit der Prsentation dieser Artikelseriegem dem Interesse der Leserschaft des Opus veritatis scien-tiquezu handeln und mglichst vielen Lesern dieses fr unsalle so bedeutsame Thema nher bringen zu knnen.

    Anmerkungen zu Inhalt

    und AuslegungIch mchte an dieser Stelle noch einmal vorwegnehmenddarauf hinweisen, dass es sich bei den in dieser Kolumne

    prsentierten Positionen um eine neu systematisierte, freiebersetzung von Mitschriften verschiedener Dritter han-delt, welche sich wiederum ausschlielich auf mndlicheuerungen Rohals des Weisen sttzen. Fr einen uneinge-schrnkt hohen Grad an Authentizitt bezogen auf Rohalstatschliche philosophische Sichtweise der behandeltenThemen kann ich euch, werte Leser, daher keine Garantiegeben, sondern mich lediglich als Herausgeber dafr ver-brgen, beim Erstellen dieses Textes nach besten Krftensorgfltige, wissenschaftliche Arbeit geleistet zu haben.

    Des weiteren bin ich mir bewusst, dass nichts unphilosophi-scher sein knnte, als auf irgendeinem Gebiet unumstlich

    von einer Sichtweise berzeugt oder dogmatisch zu sein.Ich muss jedoch zugeben, dass die in dieser Artikelreiheprsentierte Darstellung die Sache der Moralphilosophie inein so helles Licht rckt, dass ich gegenwrtig von keinerTheorie, die ich aus berlegung und Argumenten gewinnenknnte, berzeugter sein kann als von dieser, und wannimmer ich in einer heiklen Lage nicht sicher wei, was zutun ist, frage ich mich, wie Rohal nach seiner eigenen Lehrean meiner Stelle wohl gehandelt htte. Nichtsdestotrotz istdies nur meine persnliche Sichtweise und erfolge dahernoch einmal der prophylaktische Hinweis, dass es sich beidieser Artikelreihe hnlich dem Original, aus welchem siehervorgegangen ist, im Grunde um historische Dokumente

    handelt, welche nicht vollkommen losgelst von ihremgeschichtlichen Kontext und dem politischen, religisen wiekulturellen Standpunkt ihres Verfassers interpretiert werden

    sollten. Ohne Zweifel hat das Werk auch heute noch unein-geschrnkte Gltigkeit, doch will es lediglich die philosophi-sche Position eines groen Mannes der aventurischen Ge-schichte wiedergeben, keinesfalls jedoch den Ansprucherheben, ewige Wahrheiten zu formulieren, obgleich die

    Autoritt des groen Rohal solches nahe legen mag.

    In Ergnzung dazu sei angemerkt, dass die systematisieren-de bersetzung eines Kollektans aus einzelnen, ungeordne-ten Sinnsprchen in eine andere Sprache niemals die literari-sche Qualitt einer flieend niedergeschriebenen Novelleerreichen kann und den bersetzer darber hinaus rechthufig zu sprachlichen Kompromissen zwingt, welche ichbitte, mir an dieser Stelle wohlwollend nachzusehen. AlsBeispiel sei hier stellvertretend fr viele andere die Verwen-dung der Begriffe 'Mensch' und 'Menschheit' genannt, wel-che in dieser Artikelserie nahezu ausschlielich als simplifi-zierende Umschreibungen zu verstehen sind und im eigent-

    lichen Sinne einzelne, vernunftbegabte Wesen mit der F-higkeit zum Mitgefhl, beziehungsweise den Oberbegriffber all diese Wesen bezeichnen sollen. Rohals Moralphilo-sophie ist also durchaus universal zu verstehen und lsstsich nicht nur auf Menschen, sondern auf alle kulturschaf-fenden Rassen und Vlker mit der gleichen Berechtigunganwenden.

    Anmerkungen und Kritik zu dieser Artikelreihe, welcheber die genannten Punkte hinausgehen, bitte ich, direkt anmich zu richten. Sie werden - soweit mglich - persnlicheBeantwortung finden und gegebenenfalls im Anschluss andie vollstndige Verffentlichung des Textes in dieser Pos-tille neu zur Diskussion gestellt werden, wenn bei allen

    Lesern die vollstndige Kenntnis des zu diskutierendenGegenstandes vorausgesetzt werden kann. In bereinstim-mung mit der Redaktion des Opus veritatis scientiquewurdejedoch beschlossen, eine inhaltliche Diskussion der hierprsentierten Moralphilosophie in diesem Blatt erst nachderen vollstndiger Verffentlichung zuzulassen, um demText die Mglichkeit zu geben, eventuell auftauchendeFragen an anderer Stelle selbst zu beantworten.

    DanksagungSchlieen mchte ich dieses einleitende Vorwort mit einerDanksagung an all jene, ohne die dieses ehrgeizige Projekt

    sich niemals htte verwirklichen lassen. Mein besondererDank gilt den Geweihten des Pentagontempels der Hesindezu Gareth, welche mir die Abschrift der 'Gesprche Rohals desWeisen'und deren Verffentlichung als eigenstndigen Kol-lektan berhaupt erst mglich gemacht haben. Ich dankedem Curriculum scientiae limbologicae, besonders AdeptusMaior Eborus Zachariad, welcher auf die vorbereitendeKorrespondenz mit mir viel Zeit verwendet hat, fr dieMglichkeit, mein Werk in dieser Postille zu verffentli-chen. Meinem Dienstherrn Satu Drudner schulde ich Dankfr mannigfaltige Untersttzung jedweder Art, sei es nun inForm zeitlicher Freistellung, finanzieller Frderung oderinspirierender Gesprche. Dem Geweihten des Nandus

    Lucianus Spiritus, sowie dem Gelehrten Emano Nebelwei-her danke ich fr ihre kompetenten Rezensionen meinesWerkes, welche mir stets ein wichtiger Antrieb waren. Nicht

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    unerwhnt bleiben sollen an dieser Stelle auch die Seelenhei-lerin Leodane Spinosa und der Rechtsgelehrte Doctor A-belmir Plantanego, welche ebenfalls groen Einfluss auf dieEntstehung meines Werkes genommen haben. Ich dankefrderhin der Herzog-Eolan-Universitt zu Methumis,

    besonders der Fakultt fr gttliches und menschlichesRecht, wo man mich zum ersten Male mit den Schriften

    Rohals des Weisen bekannt machte, und meinem Mentor,dem Hesindegeweihten Voltan, den die Fertigstellung mei-nes Werkes sicherlich mit Stolz erfllt htte, so er sie nochhtte erleben drfen.

    Lizentiatus Vitus EhrwaldAbgnger der Herzog-Eolan-Universitt zu Methumis

    I.

    ber das rechte LebenMeister, sagt, wir verehren die Zwlfe und bemhen uns redlich um einLeben in ihrem Sinn, doch was wir im Geiste des einen zu tun be-

    strebt, mag oft den Lehren des anderen widersprechen; was knnen wirtun, um ein Leben im Sinne der Zwlfe zu fhren, ohne einem vonihnen zu missfallen?

    Wohl dem, der einen Gott verehrt, an den sein Herz erhngen kann, doch wehe dem, der Seinesgleichen gering zuachten sich erdreistet, nur weil er sieht, wie ungleich ach-tenswerter sind die Zwlfe. Wer den Gttern wahrhaftdienen will, wird stets bemht sich zeigen, die von ihnengeschaffene Schpfung und Ordnung zu erhalten und sei-nen Brdern und Schwestern mit Respekt und Anteilnahmezu begegnen. Denn seht, ein jeder Mensch ist den Gtternvon Wert, und wenn den Wert der anderen ihr nicht er-

    kennt und schtzt, ihn vielmehr durch gleichgltige Igno-ranz herabwrdigt, so wertet ihr die ganze Menschheit abund damit auch euch selbst und den Wert eurer Verehrungfr die Zwlfe.

    ber den Dienst an

    Gttern und MenschenMeister, sagt, wenn wir die Menschen zu sehr achten, berauben wir dieGtter damit nicht der Achtung, die sonst wir fr unseren Dienst anihnen und fr unser Seelenheil gern aufgewendet?

    Der Dienst an den Gttern ist ehrenvoll und wichtig fr

    euer Seelenheil. Doch auch der Dienst an den Menschen istehrenvoll und wird euch nicht weniger zum Seelenheil ge-

    reichen. So ihr jedoch meint, im Handeln fr die Gttergegen die Menschen grausam oder gleichgltig verfahren zuknnen, wirkt ihr eurem Seelenheil zuwider, denn welcherGott sollte euch nach eurem Leben in seiner und seiner

    Liebsten Nhe wissen wollen, wenn er sieht, dass ihr die,welche zu euren Lebzeiten in eurer Nhe gewesen, nicht mitRespekt und Achtung zu behandeln wusstet! Darum sorgteuch nicht zu sehr um euer Seelenheil, denn wer solches tut,dem gilt Selbstsucht mehr als Gttertreue. Wer stets jedochsich auch um andere bemht, zeigt weitaus mehr seineLiebe zu den Gttern und ihrer Schpfung.

    ber den Sinn fr das RichtigeMeister, sagt, wie knnen wir erkennen, ob wir im Sinne der Zwlfehandeln, wo sich ihre Lehren doch in so vielen Punkten voneinanderunterscheiden?

    Alles, was ist, hat seinen Ursprung im Willen der Gtter,welche die Welt in ihrem Sinn geschaffen haben. Auch ihrseid allesamt geschaffen durch der Gtter Willen, und sieschufen euch so, dass ihr zu erkennen vermgt, was inihrem Sinne ist. Wenn ihr daher als Einzelne handelt, sohrt auf euer Herz, und ihr werdet wissen, was ihr tun sollt!Doch lasst es nie verrohen und erhaltet euch eure Empfind-samkeit, damit der Rat aus eurem Innersten euch niemalstusche, so dass ihr ihn mit dem Drang nach der Verfolgungeurer eigenntzigen Interessen verwechseln mgt. Wenn ihrals Gemeinschaft handelt, dann folgt der geltenden Moral,handelt ihr als Untertanen, so folgt dem euch gegebenenRecht. Doch seid nicht blind dabei und erinnert euch stets

    an den gttlichen Kern, den jeder Einzelne von euch in sichtrgt und auf den zu hren eure oberste Pflicht ist.

    II.

    ber das weltliche RechtMeister, sagt, ist uns das Recht nicht gegeben durch der Gtter Willen,und gengt es daher nicht, dem Recht zu folgen, um in der Gtter Sinn

    zu handeln?

    Nicht das Recht ist den Menschen gegeben durch der Gt-ter Willen, sondern der Auftrag, sich selbst ein Recht zuschaffen, das in ihrem Sinne ist. Gehorsam schuldet ihr nurdemjenigen Recht, welches der Gtter Willen nicht miss-achtet. Jeder weltliche Herrscher, in dessen Macht es liegt,Gesetze zu erlassen, soll dies im Bewusstsein seiner Pflicht

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    tun, den Willen der Gtter zu erkennen und in seinem Rei-che umzusetzen, denn Fhrung meint nicht Herrschaft,sondern die Kunst, andere anzuleiten, fr ein gemeinsamesZiel zu arbeiten. Es mag Gesetze geben, die allein der Ord-nung dienend ntig oder ntzlich sind, auch ohne dass auf

    einen tieferen Sinn sie sich zurckfhren lieen. Doch wi-dersprechen sie dem gttlichen Willen, so gilt die Pflicht desEinzelnen nur diesem, und stets ist demjenigen Recht derVorzug zu geben, das selbst sich fest auf gttlichen Willensttzt.

    ber die weltlichen GesetzeMeister, sagt, welchen Sinn haben die Gesetze, so sie nicht Selbst-zweck sind?

    Sinn der weltlichen Gesetze ist es, Anleitung zur Verwirkli-chung des Willens der Gtter auf Dere zu sein und einegerechte Ordnung unter den Menschen aufrecht zu erhal-ten. Das Recht ist eine Gewalt, die der Gewalt das Rechtstreitig macht. Doch etwas ist nicht recht, weil es Gesetz ist,sondern etwas muss Gesetz sein, weil es recht ist. Wenn esaber nicht ntig ist, ein Gesetz zu machen, dann ist es ntig,kein Gesetz zu machen. Gebt acht, dass ihr nicht einesTages unter den Gesetzen mehr noch leidet, als unter denVerbrechen, die sie unterbinden sollen. Das Gefhrliche anGesetzen ist, dass man oft nicht mehr darber nachdenkt,

    wann sie zu ndern wren. Das Vergessen der Absichten istvielleicht die hufigste Dummheit, die gemacht wird. Undtrotz aller Gesetze wird wahrhafte Gerechtigkeit nur dortherrschen, wo sich die nicht Betroffenen ber ein Unrechtgenauso entrsten wie die Geschdigten.

    ber das gttergefllige RechtMeister, sagt, wie schafft ein Frst gttergeflliges Recht?

    Das Recht verdient nur dann wahrhaftig seinen Namen, soes sich um Gerechtigkeit bemht. Wer Gesetze erlassenkann, soll ber deren Folgen fr sich selbst und alle anderensich im Klaren sein. Wenn einer Recht schafft, das fr allegelten soll, dann soll er beim Erdenken der Gesetze allezugleich sein. Er soll vergessen, wer er ist und was er hat, sodass er annehmen kann, als Adliger wie als Bettler, als Mannwie als Frau, als Brger wie als Bauer, als Junger wie alsGreis, als jeder also, fr den sein Recht dann gelten soll,seinen eigenen Gesetzen ausgeliefert zu sein. Unter demSchleier des Nichtwissens um seine eigene Rolle in der Weltsoll er das Recht erschaffen, auf dass er es in jeder denkba-ren Rolle selbst fr sich als gerecht empfinden oder es n-dern mge. Nur dann kann er sich sicher sein, zum Wohleseines Landes ein vor Gttern und Menschen gltiges Rechtgeschaffen zu haben.

    III.

    ber das Erkennen

    des gttlichen WillensMeister, sagt, wie sollen wir erkennen, was im Sinne der Gtter ist,wenn selbst ein Frst sich dabei irren mag; ist dieses zu ergrndennicht viel mehr Aufgabe der Kirchen, und ist es nicht vermessen, sichselber derlei anzumaen?

    So ihr den Willen eines einzelnen Gottes zu ergrndensucht, soll euer erster Weg stets der zu den Geweihten sein.

    Doch so viele Gtter da sind, so viele Antworten werdet ihrerhalten, und was ihr wirklich tun sollt, um keinem derZwlfe zu missfallen, wird weiter euch verschlossen blei-ben. Die Kirchen erhalten auf ihre Art ein im Sinne derGtter ordnendes Gleichgewicht, indem jede nach Krftendie Lehren ihres Gottes vertritt. Ihr jedoch, so ihr allenZwlfen dienen wollt, bemht euch um Ethik, die goldeneMitte, und diese kann euch nur ein reines Herz aufzeigen.Eure wahrhafte Pflicht ist es, euch ein solches zu bewahren,denn hier, in eurem euch von den Gttern gegebenenSelbst, liegt der Ursprung jedweder Ethik und Moral.

    ber die MoralMeister, sagt, was versteht ihr unter Moral?

    Moral ist das Produkt der beiden imaginren Gren Sollenund Wollen, das selbst sich in seiner Realitt nicht leugnenlsst. Ihr nennt Moral, was die Menschheit oder ein be-stimmter Teil von ihr auf dem Weg zur ethischen Voll-kommenheit bereits zurckgelegt hat. In diesem Sinneknnt Moral ihr als gesellschaftlichen Begriff und als Mit-telwert der ethischen Praxis der Einzelnen einer Gruppe

    verstehen. Das Ziel ist stets die Ethik, doch da der Menschvon geringer Strke ist und sich in seinem Handeln wie inseiner Erkenntnis unterschiedlich schnell entwickelt, bleibtmeist zweierlei, was ist und was sein sollte. Ihr sollt euchdaher stets bemhen, ethischer zu sein als die Moral, welcheselbst nur Mittelma zu sein vermag. Der Tag, an demwahrhafte Ethik und gesellschaftliche Moral in Theorie undPraxis bereinstimmen, wird der Tag grten zwlfgttli-chen Wohlgefallens sein.

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    IV.

    ber die wahrhafte EthikMeister, sagt, ihr redet von der wahrhaften Ethik und versichert uns,dass wir sie in unseren Herzen finden, aber wie kommt es, dass keinerzu sagen vermag, welchen Inhalts diese oberste aller Handlungsrichtli-nien ist?

    Ein jeder von euch trgt die Anleitung zu wahrhafter Ethikbereits in sich, doch nicht auf eine Weise, wie Gesetze ineinem Buch niedergeschrieben sind, sondern indem euchder Sinn und der Wunsch gegeben wurden, zwischen gutund schlecht zu unterscheiden. Ihr mgt euch dies wie eineSchale vorstellen, die ein jeder von euch im Herzen trgt,die ihr jedoch selbst mit euren eigenen Erkenntnissen erstfllen msst. Der Wunsch, in dieser Schale nur die grtenKostbarkeiten zu sammeln, ist eure Willenskraft. Der Sinn,der es euch ermglicht, solche Kostbarkeiten zu erkennen,ist euer Mitgefhl. Ausgestattet mit diesen Werkzeugenmuss ein jeder seine eigene Ethik finden, und es ist diePflicht jedes Einzelnen, sich darum zu bemhen.

    ber die WillenskraftMeister, sagt, wie knnen wir unseren Willen festigen, um das Ziel derethischen Vollkommenheit niemals aus den Augen zu verlieren?

    Es gibt keinen Weg zu einem festen Willen. Es gibt nur ein

    Ziel. Was ihr Weg nennt, ist Zgern. Jeder kann so starksein, wie er nur sein will, wenn es um die Strke geht, aneinem einmal gefassten Entschluss festzuhalten. Was euchschwach werden lsst, sind euer Hang zu Miggang undeure Angst, in deren berwindung ihr euch ben msst.

    Erkenntnis verpflichtet zum richtigen Handeln, und der

    richtige Weg wird in den wenigsten Fllen der leichtestesein. Der Wille zur Ethik ist eine permanente Entscheidungfr die Interessen anderer, und diese fllt euch um so leich-ter, je besser es euch selbst geht, je weniger Sorgen ihr euchum euer eigenes Leben zu machen braucht, und je mehrMitgefhl ihr euch zu erhalten vermgt. Die Pflicht zumfesten Willen aber bleibt fr alle gleich, ungeachtet allerUmstnde.

    ber das MitgefhlMeister, sagt, wenn uns die Fhigkeit zum Mitgefhl angeboren ist,wie kommt es dann, dass nicht alle Menschen in gleicher Weise emp-

    findsam sind?

    Die Fhigkeit des Mitgefhls ist jedem Menschen in dieWiege gelegt, so wie jeder gesunde Mensch auch in der Lageist, auf seinen zwei eigenen Beinen zu laufen, mit seinenAugen zu sehen oder mit seiner Zunge zu schmecken.Doch wie der Athlet, der stark sich stets darum bemht,schon bald wird deutlich schneller laufen, so wie wir unserAuge schulen knnen, auf das Entscheidende zu achten undunsere Zunge erst lehren mssen, den einen Wein vomnchsten wohl zu scheiden, so bedarf auch unser Mitgefhlder Frderung durch stete bung und stetes Bemhen. Einjeder muss die Welt fr sich zuerst erfahren, denn Erfah-

    rungen sind Maarbeit und passen nur dem, der sie macht.Erst daran wird er innerlich wachsen, und durch Erziehungund Belehrung knnt ihr bestenfalls die Richtung ihm wei-sen, nicht jedoch seinen Weg bestimmen.

    V.

    ber die JugendMeister, sagt, ist die Jugend wahrhaft bereit fr Ethik, oder muss derMensch erst zur Reife gelangen, bevor dauerhaft ethisch er handelnkann?

    Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manie-ren und verachtet die Autoritt. Kinder widersprechen ihrenEltern, legen die Beine bereinander und tyrannisieren ihreLehrer. Und doch ist das Schlechteste, was ihr ber dieJugend sagen knnt, dass ihr nicht mehr dazu gehrt. DieMenschen und die Gurken taugen nichts, sobald sie reifsind. Was ihr gewhnlich als Reife an einem Menschen zusehen bekommt, ist resignierte Vernnftigkeit. Deshalb

    htet euch davor, jemals ganz erwachsen zu werden! Dasgroe Geheimnis ist, unverbraucht durchs Leben zu gehen.Bewahrt euch die Ideale der Jugend, denn in ihnen sind das

    Wissen und die Kraft darum, wie der Mensch sein soll.Lehrt eure Kinder nicht, ihre Ideale zu Gunsten der Wirk-lichkeit aufzugeben, sondern in sie hinein zu wachsen, aufdass das Leben sie ihnen nicht mehr zu nehmen vermag.

    ber die ErziehungMeister, sagt, wie sollen wir unsere Kinder erziehen, auf dass sieethische Menschen mit einem gefestigten Charakter werden, derenIdeale den Widrigkeiten des Lebens standzuhalten vermgen?

    Auf drei Wegen sollt ihr eure Kinder erziehen: auf dem desDenkens, dem des Fhlens und dem des Handelns. Sprechtihr Herz an, und ihr werdet sie fr das Denken empfnglichmachen. Lehrt sie das Denken, nicht Gedachtes, und sie

    werden zu Erkenntnis gelangen. Helft ihnen, aus ihrer Er-kenntnis Taten werden zu lassen, und sie werden richtighandeln. Lasst sie sich im richtigen Handeln ben, und sie

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    werden ethische Menschen werden. Um ihr Herz anzuspre-chen, lasst sie das Leben selbst in einem Mae erfahren, dassie bewltigen knnen. Um ihren Geist zu schrfen, vermit-telt ihnen Bildung und den Umgang mit dieser. Um sie zumHandeln zu bewegen, seid als Lehrmeister stets ein gutes

    Vorbild. Und um all dies zusammenzuhalten, baut auf Lie-be, Respekt und Vertrauen.

    ber die BildungMeister, sagt, was versteht ihr unter wahrhafter Bildung?

    Hohe Bildung knnt ihr dadurch beweisen, dass ihr kompli-zierte Dinge auf einfache Art zu erlutern versteht. Bcher,die nicht geschrieben werden, damit man daraus lerne, son-dern damit man nur wisse, dass der Verfasser etwas gewussthat, sind von geringem Wert. Wissen ist Macht, doch wahr-haft gebildet ist, wer wei, wo er findet, was er nicht wei.Darum bt euch nicht darin, viel zu wissen, sondern darin,viel zu denken. Phantasie ist wichtiger als Wissen, dennWissen ist begrenzt. Habt den Mut, euch eures eigenenVerstandes zu bedienen und wisset, wo eure Grenzen lie-gen! Der Gebildete treibt die Genauigkeit nicht weiter, als esder Natur der Sache entspricht. Er ist im Besitz von Ideen,nicht jedoch von Ideen besessen. Und denkt daran: Wer das

    Denken zur Hauptsache macht, kann es darin zwar weitbringen, aber er hat doch den Boden mit dem Wasser ver-tauscht, und irgendwann wird er ertrinken.

    ber den guten LehrmeisterMeister, sagt, was zeichnet einen guten Lehrmeister aus?

    Ein guter Lehrmeister macht alles so einfach wie mglich,aber nicht einfacher. Er kennt den Wandel der Zeit undwandelt sich mit der Welt. Wer sich an seine eigene Kind-heit nicht deutlich erinnert, ist ein schlechter Erzieher. Dar-um, wenn ihr ein gutes Vorbild abgeben wollt, setzt eurerTugend eine Unze Narrheit hinzu! In euch muss brennen,was ihr in anderen entznden wollt. Seid authentisch undfolgt auch selbst den Regeln, die ihr aufstellt! Die meistenMenschen sind durchaus gewillt, etwas zu lernen, doch nurdie wenigsten, sich belehren zu lassen. Bemht euch daherstets, Ideen in den Menschen zu wecken, statt sie ihnenblo vorzutragen. Lang ist der Weg durch Lehren, kurz undwirksam durch Beispiele. Eine gute Rede soll das Themaerschpfen, nicht die Zuhrer. Darum redet, worber ihrwollt, aber nie ber eine halbe Stunde. Schtzt Fragen eben-so hoch wie Antworten und steht dazu, selbst unvollkom-men zu sein.

    VI.

    ber die ErfahrungenMeister, sagt, wchst der Mensch an jeder Art von Erfahrung?

    Erfahrungen sind wichtig, um euch zu denen zu machen,die ihr seid, denn nichts ist im Verstand, was nicht zuvor inden Sinnen war. Doch nicht an allen Erfahrungen vermagder Mensch zu wachsen. Die meisten werden wohl folgen-los bleiben fr die Entwicklung seines ethischen Sinns, undwieder andere werden ihn weit zurckwerfen auf dem Weg,den er bereits beschritten hat. Darum sollt ihr einen jungenMenschen anleiten und ihn vor schdlichen Einflssenbewahren, bis dass er im Herzen gestrkt ist und auch dieSchattenseiten des Lebens zu ertragen vermag. Und auch ihrsollt euer ganzes Leben hindurch darauf achten, euch euerMitgefhl zu erhalten und nicht durch Abstumpfung ver-derben zu lassen. Denn Abstumpfung fhrt zu Gleichgl-tigkeit, und Gleichgltigkeit fhrt zu Stillstand. Wer sichjedoch durch nichts mehr bewegen lsst, ist innerlich totund des Namens Mensch nicht lnger wrdig.

    ber den Umgang mit

    schlechten ErfahrungenMeister, sagt, wie schtzen wir uns vor Resignation und Verzweiflung

    angesichts der Schlechtigkeit der Welt?

    Wer ber gewisse Dinge den Verstand nicht verliert, hatkeinen zu verlieren, und allzu oft ist Erfahrung nichts weiterals eine Parodie auf die Idee. Weigert euch nicht, dasSchlechte in der Welt zur Kenntnis zu nehmen, weigerteuch blo, euch ihm zu unterwerfen! So euer Charakterwahrhaft gefestigt ist, euer Wille nicht erlahmt und euerMitgefhl euch nicht verloren gegangen, solange sollt ihrallem bel der Welt stets ein 'und dennoch' entgegensetzen.Seid im Erkennen Pessimist, im Handeln jedoch Optimist!Trennt euch nie von euren Illusionen, denn sind sie ersteinmal verschwunden, so mgt ihr noch existieren, aber ihrwerdet aufgehrt haben zu leben. Mge eure Hoffnungeintreffen oder nicht, so hat sie doch den Vorteil, die Furchtzu vertreiben und euch als Menschen am Leben zu erhalten.Ohne sie seid ihr nichts mehr, darum haltet an ihr fest!

    ber die Hindernisse auf dem Weg zumguten Leben

    Meister, sagt, es klingt so einfach, was ihr uns ratet, doch ist derMensch nicht schwach und wird er dem beschwerlichen Weg zur Ethikauch wirklich gewachsen sein?

    Der Weg zur ethischen Vollkommenheit ist durchaus nichtleicht, und gerade wenn die Menschen das Vertrauen inPersonen verlieren, die auf dem Weg zur Ethik gescheitertsind, verlieren sie oft auch das Vertrauen in die Allgemein-heit. Doch wer ans Ziel getragen wurde, darf nicht glauben,

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    es erreicht zu haben. Auch aus Steinen, die euch in den Weggelegt werden, knnt ihr etwas Schnes bauen, und derMensch ist durchaus in der Lage, Hindernisse zu berwin-den. Denkt immer daran: Nicht der Wind, sondern die Segelbestimmen den Kurs. Die grte Entscheidung eures Le-

    bens liegt darin, dass ihr euer Leben ndern knnt, indemihr eure Geisteshaltung ndert. Darum sollte man auchnicht von der Kunst sprechen, glcklich zu sein, sonder vonder Fhigkeit, sich als ganzer Mensch glcklich zu fhlen,was euch stets ein wichtiger Antrieb sein mag.

    VII.

    ber das GlckMeister, sagt, was ist Glck und wie knnen wir es erreichen?

    Solange Leben da ist, gibt es auch Glck, und der Menschist gerade so glcklich, wie er es seinem eigenen Entschluss

    nach sein will. Glck ist Selbstgengsamkeit, denn nicht werwenig hat, sondern wer viel wnscht ist arm. Wunschlosig-keit hingegen fhrt zu innerer Ruhe. Die Menschen neigendazu, den Wert der Dinge, die sie nicht erlangen konnten,zu berschtzen, denn die Dinge haben nur den Wert, denihr ihnen beimesst, und berall dort, wo ihr es antrefft,msst ihr euch das heraussuchen, was gut fr euch ist. Einguter Freund mag mehr zu eurem Glck beitragen als tau-send Feinde zu eurem Unglck. Das grte Glck des Le-bens besteht wahrscheinlich in der berzeugung, geliebt zuwerden. In all seinen Formen mag das Glck euer Antriebsein, euch immer wieder gegen die Versuchung der Resigna-tion zu stemmen. Vergleichen jedoch ist das Ende des

    Glcks und der Anfang der Unzufriedenheit.

    ber die FreundschaftMeister, sagt, wie erkennt man einen wahrhaften Freund?

    Ein wahrhafter Freund ist eine Seele in zwei Krpern. Erfragt nicht danach, was ihr fr ihn tun knnt, sondern freutsich, etwas fr euch tun zu knnen. Und doch braucht ihrFreunde nicht, um sie zu brauchen, sondern um die Ge-wissheit zu haben, dass ihr sie brauchen drft. WahrhafteFreundschaft findet ihr einzig dort, wo ihr Schwche zeigenknnt, ohne Strke zu provozieren. Nie sollt ihr euch darumsorgen, dass eure Freunde werden wie ihr, noch dass siewerden, wie ihr sie euch wnscht. Tragt einzig Sorge dafr,dass sie so werden, wie sie selbst es gern sein wollen, ohnedarauf zu bestehen, dass sie euch damit zufrieden stellen. Ineurer Kritik seid rckhaltlos dem Freunde gegenber, dochseid ihm stets ein Rckhalt gegenber der Kritik anderer.Gebt ihm das Gefhl, von euch bedingungslos als ganzerMensch angenommen zu sein, und seid fr ihn da, wannimmer er euch braucht.

    ber die LiebeMeister, sagt, was ist wahrhaftige Liebe?

    Liebe ist der Entschluss, das Ganze eines Menschen zubejahen, die Einzelheiten mgen sein, wie sie wollen. Sie

    allein versteht das Geheimnis, andere zu beschenken unddabei selbst reich zu werden und ist das einzige, das mehrwird, wenn ihr es verschwendet. Wenn ihr daher geliebtwerden wollt, so liebt! Jemanden lieben bedeutet vlligeHingabe und als einziger ein fr andere unsichtbares Wun-der sehen. Am Anfang eines jungen Lebens gehren oft alleGedanken der Liebe, spter dann gehrt meist alle Liebeden Gedanken, denn jede enttuschte Liebe macht ein biss-chen immun gegen die nchste. Dennoch wird so mancheiner sagen, die Summe seines Lebens seien diejenigenStunden gewesen, in denen er liebte. Nichts sein und nichtslieben ist fr den Menschen identisch. Drum Kindlein, liebteuch, und wenn das nicht gehen will, lasst wenigstens ein-

    ander gelten!

    ber die Liebe zu sich selbstMeister, sagt, ist Eigenliebe frevelhaft?

    Wer in sich selbst verliebt ist, hat bei seiner Liebe zumindestden Vorteil, dass er nicht viele Nebenbuhler haben wird,doch wer andere gegenber sich selbst gering schtzt, wirdniemals ethische Vollkommenheit erlangen. Dennoch wer-det ihr einander nicht lieben knnen, wenn ihr euch selbstnicht zu lieben vermgt. Lernt darum, die zu werden, die ihrsein wollt und lieben knnt! Wenn ihr selbst euch zu geringschtzt, werdet auch andere ihr schwerlich achten knnen.So ihr erkennt, dass ihr euch selbst nicht mehr liebt, nderteuch, euer Leben und eure Gesinnung, und strkt so eureninneren Wert. Die groe Schuld des Menschen ist, dass erjeden Tag zur Umkehr fhig ist und es nicht tut. Wer 'A'sagt, muss nicht auch 'B' sagen, wenn er erkannt hat, dass'A' falsch war. Doch schlechte Angewohnheiten kann mannicht einfach aus dem Fenster werfen. Man muss sie Stufefr Stufe die Treppe hinunter treiben.

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    VIII.

    ber das GuteMeister, sagt, was genau meint der Begriff des Guten?

    Das Gute ist leichter zu erkennen als zu identifizieren. Gutnenne ich das, was seinen Zweck erfllt. Schlecht nenne ichdas, was seinen Zweck nicht erfllt. Bse nenne ich das, wassich bewusst weigert, seinen Zweck zu erfllen. Ethischnenne ich das, was seinen Zweck bewusst erfllt. EinSchwert nennt ihr gut, wenn ihr euren Gegner damit wir-kungsvoll bekmpfen knnt, mag der Kampf selbst auchtadelnswert sein. Um nun aber gute und damit ethischeMenschen zu werden, msst ihr bewusst euren Zweck als

    Menschen erfllen, und das heit schlichtweg: menschlichsein. Zuweilen werdet ihr vor der Entscheidung stehen, obihr lieber gute Kmpfer, gute Untertanen, gute Geschfts-leute oder ethische Menschen sein wollt, und dann wirdeuch klar werden, dass ethische Grundstze einen Preishaben, wenn ihr sie ernst nehmt. So ihr diesen Preis nichtmit Wehmut, sondern mit Stolz zahlt, seid ihr wahrhaftethisch.

    ber das BseMeister, sagt, warum gibt es soviel Bses in der Welt?

    Wenn ein Mensch einen Tiger ttet, dnkt er sich tapfer;ttet ein Tiger einen Menschen, gilt das als grausam. Dies istunberechtigt, denn von Natur aus gibt es weder Ethisches,noch Bses; diese Unterscheidung hat der Mensch gemacht,und nur auf ihn als vernunftbegabtes Wesen mit der Fhig-keit zum Mitgefhl ist sie anwendbar. Das Bse ist mehr als

    nur ein Mangel an Gutem; es ist die bewusste Entscheidungfr sein Gegenteil. Alles andere ist lediglich schlecht, alsoUnwissenheit oder Schwche, und beidem knnt ihr wir-kungsvoll begegnen. Bse ist nur, wer wei, was richtigwre, und es nicht tut, obwohl es in seiner Macht stnde.Darum wehren sich die Menschen gegen ethische Einsich-ten. Doch auch das Bse kann sie nur verfhren, nie jedochselbst Mensch werden. Geboren wird der Mensch frei undohne jegliche Grundstze, jedoch mit der Fhigkeit, sie allein sich aufzunehmen.

    ber das UrteilenMeister, sagt, steht es uns zu, einander ethisch zu beurteilen?

    Kein Mensch soll sich anmaen, einen anderen ethisch zubeurteilen. Was ihr jedoch kritisch beurteilen sollt, sind dieHandlungen, die ein Mensch begeht. ber sie sollt ihr euchjederzeit eure eigene, ethische Meinung bilden, und dieseMeinung mgt ihr so frei uern, wie auch die Handlungfrei geschah, damit der Handelnde wisse, wie ihr darberdenkt. Achtet jedoch darauf, euch mindestens so sehr imLob des guten wie im Tadel des schlechten Verhaltens einesMenschen zu ben, und macht stets deutlich, dass ihr nichtihn, sondern allein seine Taten kritisiert. So ihr jemandenndern wollt, teilt ihm ruhig und gelassen mit, was seineHandlungen in euch fr Gefhle wecken und welches Ver-

    halten ihr ihm statt dessen anempfehlen wrdet. Und wannimmer ihr ein Urteil ber eine Handlung fllt, versicherteuch, von der Handlung selbst und von den Grnden, ausdenen sie geschah, auch wirklich lckenlose Kenntnis zubesitzen.

    IX.

    ber die Trume unddie Wirklichkeiten

    Meister, sagt, ist das gute Leben wirklich ein erreichbares Ziel, oderdoch nicht mehr als ein schner Traum?

    Ihr pflegt immer zu sehen und zu fragen 'warum?', dochsolltet ihr lieber trumen und fragen 'warum nicht?'. Wenneiner allein trumt, ist es nur ein Traum, wenn viele gemein-sam trumen, ist das der Beginn einer neuen Wirklichkeit.Trume wirken oft viel strker auf uns als wirkliche Erleb-nisse, weil ein Erlebnis immer eine viel geringere Realitthat als die Phantasie. Phantasie ist etwas, was sich manche

    Leute gar nicht vorstellen knnen. Sie gehrt zu den wich-tigsten Geschlechtsorganen des Menschen und trstet ihn

    ber das hinweg, was er nicht sein kann, whrend der Hu-

    mor ihn ber das hinweg trstet, was er tatschlich ist. Hu-mor und Phantasie sind die Schwimmgrtel auf dem Stromdes Lebens. Darum pflegt und achtet beide, denn sie sindvon groem Wert.

    ber die VisionenMeister, sagt, ist es nicht schdlich, sich mit Visionen zu begngen,statt die Realitt zu verndern?

    Die besten Ideale taugen wenig, so ihr euch hinter ihnen vorder Wirklichkeit versteckt und nicht den Mut und die Kraftaufbringt, aus Worten Taten werden zu lassen. Doch wenn

    ihr ein Schiff bauen wollt, so ruft nicht Menschen zusam-men, um Holz zu sammeln, Skizzen anzufertigen und dieArbeit zu verteilen, sondern lehrt sie die Sehnsucht nach

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    dem groen, weiten Meer. Wenn das Leben keine Visionhat, nach der man sich sehnt, die man verwirklichen will,dann gibt es auch kein Motiv, sich anzustrengen. Aber Visi-onen knnen erst Wirklichkeit werden, wenn man die Mg-lichkeit ihrer Erfllung auch in Betracht zieht. Niemand

    wird alt, weil er eine bestimmte Anzahl von Jahren gelebt

    hat. Menschen werden alt, wenn sie ihre Ideale verraten. Esist unglaublich, wie viel Kraft die Seele dem Krper zuleihen vermag, denn nichts ist so stark wie eine Idee, derenZeit gekommen ist. Darum achtet auf eure Gedanken, siesind der Anfang eurer Tat.

    X.

    ber den TodMeister, sagt, ist das Leben nicht zu kurz, um wahrhafte Ethik zuerlernen?

    Es ist nicht wenig Zeit, die ihr habt, sondern viel Zeit, dieihr nicht nutzt. Man muss nicht dem Leben Jahre hinzuf-gen, sondern den Jahren Leben. Darum sollt ihr auch nichtvon Zeitvertreib, sondern von Zeitgenuss reden. Sorgt euchvor allem um ein Leben vor, nicht nach dem Tode. Lerntloszulassen! Das ist die groe Lektion des Lebens. Philoso-phieren heit sterben lernen. Es ist euer Irrtum, dass ihr denTod in der Zukunft erwartet. Er ist zum groen Teil schonvorber. Was von eurem Leben hinter euch liegt, hat derTod, der allem Weltlichen ein Ende setzt. Doch nicht jedesEnde ist das Ziel. Das Ende der Melodie ist nicht ihr Ziel,und doch hat sie ihr Ziel nicht erreicht, bevor sie nicht auchihr Ende erreicht hat. Leben und Tod sind zwei Geheimnis-

    se, verschlossen hinter zwei Tren, von denen jede denSchlssel zur anderen verbirgt. Doch dass ihr einmal gelebthabt, kann euch keiner nehmen, und wahrhaft tot seid ihrerst, wenn niemand mehr an euch denkt.

    ber die FurchtMeister, sagt, ist es nicht menschlich, Furcht zu empfinden?

    Nichts mag menschlicher sein als die Furcht, doch dies

    allein ist noch keine Rechtfertigung. Mut heit nicht, keineFurcht zu kennen, sondern seine ngste zu berwinden. Esist darum nichts zu frchten als die Furcht. Selbst Gtter-furcht ist Gtterlsterung. Auch Feinde hat der Mensch aufder Welt nicht zu frchten, denn es gibt unter den Men-schen keine Feinde, auer jenem Feind in den Menschenselbst, der ihnen andere als Feinde erscheinen lsst. Diegrte Gefahr im Leben ist oft, dass man zu vorsichtig ist.Drum strzt euch khn in die Flle des Lebens! Gefahrlosist Gefahr niemals zu berwinden. Wenn ein Mensch nichtbereit ist, fr seine berzeugungen Risiken einzugehen,dann taugen entweder seine berzeugungen, oder aber derMensch selbst nichts. Das Rechte erkennen und nicht tun,

    ist Mangel an Mut. Mut jedoch ist eine Tugend und alssolche eine besondere Art der Willenskraft.

    XI.

    ber die Tugenden

    Meister, sagt, was meint ihr, wenn ihr von Tugend redet?

    Alle Tugenden haben in allen Kulturen das gemein, dass siestets entweder euch selbst oder anderen ntzlich oder ange-nehm sind. Der ethische Wert einer Handlung wird nichtdadurch geschmlert, dass ihr selbst Freude dabei empfin-det. Darum ist Keuschheit ebenso wenig eine Tugend wieUnterernhrung, denn Tugend besteht nicht in der Abwe-senheit von Leidenschaften, sondern in ihrer Kontrolle.Genau das ist es, was ein tugendhaftes Leben so schwermacht, denn es ist leichter, einer Begierde ganz zu entsagen,als in ihr Ma zu halten. Bemht euch nach Krften, tu-gendhafte Menschen zu werden; das wird einige Leute zu-

    frieden stellen und die anderen in Erstaunen versetzen.Doch seid stets wachsam, denn der schlimmste Missbrauchist der Missbrauch des Besten. Angebliche Strke des Cha-

    rakters ist oft nichts weiter als eine Schwche des Gefhls,und so mancher meint, ein gutes Herz zu haben, und hat

    nur schwache Nerven.

    ber die Freude und den NutzenMeister, sagt, wenn alle Tugenden entweder angenehm oder ntzlichsind, ist das Streben nach Freude und Nutzen dann auch immertugendhaft?

    Freude und Nutzen sind die grundlegenden Ziele menschli-chen Handelns. Doch legitim sind sie nur auf die Mensch-heit, nicht auf den Einzelnen bezogen. Nie sollt ihr euchdaher zum Erreichen dieser Ziele verleiten lassen, euchunlauterer Mittel zu bedienen oder Umstnde in Kauf zunehmen, die dem Prinzip der Ethik entgegen laufen. Gebt

    acht, dass ihr sinnlichen Genuss nicht mit wahrhaft erfl-lender Freude verwechselt, denn echtes Glck erwchst

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    nicht aus dem, was ihr habt, sondern aus dem, was ihr seid.Eure eigenen Interessen schtzt nicht hher als die Interes-sen anderer, denn das Leben in ihnen ist ebenso wertvollwie das Leben in euch. Achtet auch stets darauf, dass nichtWenige zu Gunsten der Freude oder des Nutzens Vieler

    ungerecht behandelt werden, denn dies wre ein bei weitemzu hoher Preis, den wahrhafte Ethik nie zu zahlen bereit ist.

    ber den GenussMeister, sagt, wie unterscheidet sich sinnlicher Genuss von wahrhafterFreude?

    Genuss ist das sinnliche Empfinden von Glck, Freudehingegen ist Glcklichsein. Um Genuss zu empfinden,braucht ihr stets etwas, das ihr genieen knnt, das euch alsMittel fr den Zweck des Genussempfindens dient. Wahr-hafte Freude hingegen ist nicht so sehr ein gefhlsmigerZustand, als vielmehr ein den ganzen Menschen umfassen-der Zustand des Seins und erfordert nichts weiter auereuch selbst. Ein schmackhafter Braten mag euch sinnlichenGenuss bereiten, wahrhafte Freude jedoch wird sich beiseinem Verzehr nicht einstellen, denn der Teil von euch, dernicht am sinnlichen Genuss teilhat, den ihr betuben msst,um berhaupt genieen zu knnen, kann nicht darberglcklich sein, dass ihr als Objekt eures Genusses ohne Not

    ein ehemals lebendes Wesen verzehrt. Genuss und Freudestehen nicht in Widerspruch, doch nur, was ihr als ganzerMensch bewusst genieen knnt, ist wirklich von Wert.

    ber die SchnheitMeister, sagt, wie kommt es, dass wir bestimmte Dinge als schnempfinden?

    Schnheit ist das Versprechen des Glcks und keine Eigen-schaft der Dinge, sondern deren Wirkung auf euch als har-monisches Ganzes. Schn kann alles sein, das ihr mit Liebebetrachtet, und diese Art der Schnheit, die dem Lebendeninne wohnt, ist auch von Dauer. Einen Regenbogen, dereine Viertelstunde lang steht, schaut ihr nicht mehr an, dochder Schnheit des geliebten Wesens an eurer Seite wird dieGewohnheit niemals etwas anhaben knnen. Um euch stetsan der Schnheit, wo immer sie euch begegnet, erfreuen zuknnen, msst ihr lernen, den Augenblick jenseits der Be-deutung von Vergangenheit und Zukunft zu genieen undjedem Tag die Mglichkeit zu geben, der schnste euresLebens zu werden. Htet euch daher vor andauernderSchwermut, die euch den Blick fr das Schne zu raubenvermag. Es ist in Ordnung, einmal schlechte Laune zu ha-ben, doch nur solange es nicht im Grunde die schlechteLaune ist, die euch hat.

    XII.

    ber die edlen Taten

    und den edlen SinnMeister, sagt, ist es wichtiger: dass man etwas tut, oder warum man estut?

    Eine Handlung ist nur dann wirklich tugendhaft, wenn sienicht nur in ihrer Folge euch selbst oder anderen angenehmoder ntzlich ist, sondern wenn auch das Motiv eurer Hand-lung auf diesen Zweck hin ausgerichtet war. Man stattetDank nicht blo deshalb ab, um die Dankbarkeit loszuwer-

    den. Man verzichtet auf Rache nicht blo, um gegenbereinem strkeren Gegner nicht noch zustzlichen Schaden zunehmen. Wer solches tut, kann schwerlich von sich sagen,ein tugendhafter Mensch zu sein, denn er folgt nicht seinenWerten, sondern seinen nchternen Interessen. Der Tu-gendhafte wird Freude empfinden, wenn er Gutes tut, docher tut nicht Gutes, um Freude zu empfinden. Aber auchumgekehrt gilt die gute Absicht wenig oder nichts ohne dieHandlung. Mitgefhl ist gut, doch besser, als einen Men-schen zu bemitleiden, ist es, ihm zu helfen, denn Ethik istnicht blo eine Lehre, sondern eine Ttigkeit.

    ber den FriedenMeister, sagt, darf man sich fr einen edlen Zweck der Gewalt bedie-nen?

    Die Gewalt ist der Feind des Friedens ebenso wie der Frei-heit, denn wo immer sie auftritt, erzeugt sie Gegengewalt,die ihr frher oder spter ebenbrtig oder berlegen werdenwird. Darum sollt ihr euch stets bemhen, Gewalt in allihren Formen zu meiden und den Frieden im gelassenenDialog anzustreben. Gewalt verursacht Schmerz, und dergrte Schmerz eines Volkes ist der Krieg. Die Schriftstel-ler, welche sind die Gewissensbisse der Menschheit, knnennicht so schnell schreiben, wie manche Staaten Kriege los-brechen lassen, denn das Schreiben erfordert Denkarbeit.Ihr jedoch sollt euch und eure Mitmenschen vor Schmerzbewahren und euer Streben auf dem Weg des Friedens inden Dienste des Glcks stellen. So euch jedoch Gewaltdurch andere widerfhrt, leistet Widerstand, aber gebt acht,lnger zu leben als die Gewalt und euch, die euren und eureSache zu bewahren, statt zu opfern oder zu verraten.

    ber die Laster und

    die noch greren belMeister, sagt, welche Handlungen sollten wir unbedingt vermeiden?

    Vermeiden sollt ihr all jene Handlungen, die euch oderanderen schdlich sind oder Verdruss bereiten. Nie sollt ihr

    die Achtung vor dem Leben verlieren, nie euch selbst verra-ten und nie euer Mitgefhl fr andere verrohen lassen. Dasgrte bel, das ihr euren Mitmenschen antun knnt, ist

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    nicht, sie zu hassen, sondern ihnen gegenber gleichgltigzu sein. Das ist absolute Unmenschlichkeit. Doch auch dasHassen berlasst denen, die zu schwach sind, um zu lieben.Lasst euch niemals von Oberflchlichkeiten tuschen, undprft auch stets eure eigenen Handlungen und Motive auf

    ihre Lauterkeit. Bedenkt, dass ihr nur mit dem Herzen gut

    zu sehen vermgt, denn das Wesentliche ist fr die Augenunsichtbar. Und so ihr nicht tun knnt, was ihr wollt, tutzumindest, was ihr knnt, und lasst euch nicht verleiten,einmal zu denken, es sei genug, denn das gute Gewissen isteine Erfindung des Namenlosen.

    XIII.

    ber die Pflicht zur EthikMeister, sagt, ihr redet oft von Pflicht, doch welche ist die hchste vonallen?

    Eure hchste Pflicht liegt darin, die Ethik als ins Grenzen-lose gesteigerte Verantwortung gegenber allem, was lebt,zu erkennen und diese Erkenntnis in eurem Handeln leben-dig werden zu lassen. Dazu msst ihr euer Mitgefhl undeure Willenskraft strken und erhalten. Das Streben nachethischer Vervollkommnung ist wie das Rudern gegen denStrom; sobald man aufhrt, treibt man zurck. Ihr sollteuch davon jedoch nicht entmutigen lassen. Ein jedermchte die Welt verbessern, und ein jeder knnte es auch,wenn er nur bei sich selbst anfangen wollte. Achtung ver-dient, wer vollbringt, was er vermag, doch die Snde einesjeden Menschen beginnt dort, wo er nur noch das Mglichewill. Man muss das Unmgliche versuchen, um das Mgli-

    che zu erreichen. Wer einen Stein ins Wasser wirft, vern-dert damit das Meer, und es ist besser ein einziges, kleinesLicht anzuznden, als die Dunkelheit zu verfluchen.

    ber die Grundgedanken

    ethischen HandelnsMeister, sagt, was sind die Grundprinzipien ethischen Handelns?

    Geistige Macht habt ihr nur, wenn die Menschen euchanmerken, dass ihr nicht kalt nach ein fr allemal festgeleg-ten Prinzipien entscheidet, sondern in jedem einzelnen Falleum eure Menschlichkeit kmpft. Es gibt nun einmal keine

    ewigen Werte; ewig ist nur der Menschen Sehnsucht nach

    ihnen. So ihr aber eine grundlegende Richtlinie eures Han-delns bentigt, handelt so, dass ihr zu jeder Zeit wollenknnt, dass alle anderen an eurer Stelle genauso handeltenwie ihr. Lebt nicht nur so, als ob euer Leben morgen endenknnte, sondern auch so, als ob ihr noch hundert Jahre zuleben httet. Lernt dazu, die anderen als Zweck, nicht je-doch als Mittel zu begreifen und euer Handeln stets auchdurch ihre Augen zu beurteilen. Bedenkt, dass wer denZweck will, auch die Mittel wollen knnen muss, die zumerreichen dieses Zwecks notwendig sind. Und wohin ihrauch geht, geht mit eurem ganzen Herzen und bleibt euchselbst treu.

    ber das HeldentumMeister, sagt, was macht einen wahrhaften Helden aus?

    Arm ist das Land, das Helden ntig hat, deren Taten die derMasse an Edelsinn bertreffen. Reich hingegen ist das Land,

    in dem es keine Helden gibt, weil alle Menschen Heldengleichen. Ein Held kmpft mit, wenn er einen Kampf umGerechtigkeit sieht, doch niemals vergisst er dabei seineethischen Prinzipien. Er achtet das Leben und stellt sichjeder Gefahr, doch er sucht nicht nach ihr. So er im Zweifelist, entscheidet er zum Vorteil des anderen und lsst dessenRecht ber dem seinen gelten. Leicht ist es, eine gute Hand-lung zu begehen, der Held jedoch macht es sich zur Ge-wohnheit, bestndig Gutes zu tun. Er strebt danach, dieWelt von Schmerz zu erlsen und ihr Glck zu mehren. Soer dabei einen Fehler macht, setzt er alles daran, ihn nichtzu wiederholen. Seine Ideale schlielich behandelt er wieSterne und orientiert sich an ihnen, obwohl er wei, dass er

    sie niemals vollends wird erreichen knnen.

    XIV.

    ber das SelbstMeister, sagt, wie schaffen wir es, uns stets selbst treu zu bleiben?

    Die Vorstellung, dass der Charakter eines Menschen ein fest

    zu umreiender Begriff sei, ist ebenso weit verbreitet wieirrig. Es ist nicht ein einziges Selbst, das in euch wohnt,sondern euer Charakter wird aus dem Chor unzhliger

    Einzelseelen gebildet, der jeden Tag aufs Neue in andererZusammensetzung eure Gesinnung bestimmt. Htet euchalso davor, von euch selbst und eurem Willen ein Bild alsEinheit aufzubauen, denn es ist die Vielheit all eurer innerenStimmen, die euch ausmacht. Im Mindesten solltet ihr euch

    stets bewusst sein, dass euer Handeln das Produkt eurerGedanken, Gefhle und Triebe ist, also von Geist, Seeleund Krper bestimmt wird, die alle ihr Recht einfordern

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    und von denen ihr keine Seite unterdrcken, jedoch auchniemals unkontrolliert und ohne Aufsicht der anderen bereuer Tun bestimmen lassen sollt. Dieses Gleichgewicht zuwahren ist das Geheimnis echter Authentizitt.

    ber den Verstand, das Gefhlund die Triebe

    Meister, was ist hher einzuschtzen: Verstand, Gefhl oder Trieb?

    Der Mensch ist Mensch, und das bisschen Verstand, daseiner haben mag, kommt wenig oder nicht in Anschlag,wenn Leidenschaften wten und die Grenzen der Mensch-

    heit einen drngen. Den Verstand braucht ihr, um mitWeitblick ein vollstndiges Bild von einer Handlung undihren Folgen zu erlangen, doch erst das Gefhl ermglichtes euch, sie als gut oder schlecht wahrzunehmen, und nurein gesunder Krper kann aus Absichten auch Taten wer-

    den lassen. Wer sich nur von seiner Vernunft leiten lsst, istnicht vernnftig, und wer zuviel berlegt, sucht oft nur nachBeweggrnden, um nicht zu drfen. Hrt daher im Zweifelstets auf euer Herz, doch bemht gar redlich euch darum,so oft es geht auch den Verstand gelten zu lassen und dabeitrotz allem nicht eure menschlichen Triebe zu verleugnen,denn Krper, Geist und Seele machen gemeinsam denMenschen aus, und das Ganze ist mehr als die Summe sei-ner Teile.

    XV.ber die Adressaten der Ethik

    Meister, sagt, sind die Menschen wirklich bereit, eure Lehren zubefolgen, oder bleiben eure Gedanken denen vorbehalten, die von her-ausragendem Geiste sind?

    Groe Menschen sind Inhaltsverzeichnisse der Menschheit,doch so der Rat eines Toren einmal gut ist, wird ihn eingescheiter Mann auch ausfhren. Es gengt nicht, wenneinige Wenige wissen, was zu tun ist. Die Welt wird nicht

    bedroht von den wenigen Menschen, die Bses tun, son-dern von den vielen, die Bses zulassen. Verantwortlich istman nicht nur fr das, was man tut, sondern auch fr das,was man nicht tut. Wer schweigt, scheint beizustimmen,und wer ein Unrecht zulsst, das er verhindern knnte,befiehlt es gar. Darum richtet sich die Ethik an die Frstenwie an die einfachen Menschen, denn auch viele kleineMenschen, die an vielen kleinen Orten viele kleine Schrittetun, knnen das Gesicht der Welt verndern. Alle Men-schen sind freinander da, also belehrt oder duldet sie, dennandere gibt es nicht.

    ber die GemeinschaftMeister, sagt, ist der Mensch geschaffen zum Leben in der Gemein-schaft oder zum Leben fr sich allein?

    Allein sein zu knnen, ist das Schnste, allein sein zu ms-sen, das Schwerste. berlegt wohl, bevor ihr euch der Ein-samkeit ergebt, ob ihr auch fr euch selbst ein heilsamerUmgang seid. Doch bewahrt euch auch stets einen kriti-schen Abstand gegenber dem, was die Gemeinschaft heit,denn nur tote Fische schwimmen mit dem Strom, und umein tadelloses Mitglied einer Schafherde zu sein, muss manvor allem erst einmal ein Schaf sein. Das Missverhltnis derWelt scheint jedoch glcklicherweise nur ein zahlenmigeszu sein. Darum, wann immer ihr euch auf Seiten einer

    Mehrheit wiederfindet, solltet ihr einen Moment verharrenund nachdenklich werden. Doch htet euch auch davor, zuanspruchsvoll zu sein. Sucht ihr nach Vollkommenheit, so

    schaut zuerst in den Spiegel. Findet ihr sie dort, so mgt ihrsie auch anderswo erwarten.

    ber die Gleichheit und die FreiheitMeister, sagt, warum gibt es Wenige, die ber Viele herrschen?

    Gleichheit ist deshalb so schwer zu verwirklichen, weil dieMenschen Gleichheit nur mit jenen wnschen, die berihnen stehen, und auch ein freier Mensch darf nur tun, waseinem anderen nicht schadet. Erhebt weder Freiheit, noch

    Gleichheit zum Gtzen, denn wann immer ihr euch ein Zielsetzt, und Ethik ist das hchste, verliert ihr die Freiheit, daszu tun, was diesem Ziel abtrglich ist, und jeder soll dasSeine, nicht das Gleiche tun, um dieses Ziel zu erreichen.Demokratie ist die Vermutung, dass mehr als die Hlfte derLeute in mehr als der Hlfte der Flle recht haben. Damittrgt sie zumindest Sorge dafr, dass die Menschen nichtbesser regiert werden, als sie es verdienen. Was die Men-schen jedoch am Ntigsten brauchen, ist eine weise Fh-rung, die nicht blo herrschen will, sondern sie anleitet, daszu tun, was sie knnen. Geschieht dies nicht, mag die Ge-sellschaft vielleicht nicht ins Chaos strzen, jedoch auch niezur moralischen Vervollkommnung gelangen.

    ber die EigenverantwortlichkeitMeister, sagt, entbindet uns ein Herrscher von der Verantwortung frunser Handeln?

    Man darf niemandem seine Verantwortung abnehmen, aberman soll jedem helfen, sie zu tragen. Einen Rat befolgenheit immer auch, Verantwortung zu verschieben, und mitdem Gehorsam ist es dasselbe. Irren ist menschlich, dochbei manchen ist der Irrtum hufiger Gast als bei anderen.Darum sollen die Weisen den einfachen Menschen helfen,das Richtige zu erkennen und in ihrem Handeln umzuset-zen. Dazu aber msst ihr lernen, miteinander zu reden undaufeinander zu hren, wenn ihr im Unrecht seid. Verpflich-tet bleibt jedoch jeder seinem eigenen Gewissen, der Unter-

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    tan wie auch der Frst, selbst gegen Widerstand und Kritik.Die Menschen lieben immer die, von denen sie bewundertwerden, aber nicht immer die, die sie selbst bewundern.Doch es ist nicht die Aufgabe eines Frsten, das zu tun, was

    ihn beim Volk beliebt macht. Aufgabe des Frsten ist es,das Richtige zu tun und es bei den Menschen beliebt zumachen.

    XVI.

    ber die WahrheitMeister, sagt, kann die Suche nach Wahrheit berhaupt je zum Zieluns fhren?

    Von denen, welche sich rhmen, die Wahrheit zu suchen,suchen die mehresten nur ein System; und wenn sie nur

    irgendeines gefunden haben, so sind sie zufrieden und blei-ben nicht selten auf ewig darin gefangen. In Wahrheit istWahrheit ein Grenzwert, den der Mensch nie erreichenkann, denn ihr knnt nicht die Dinge an sich, sondern nurderen Erscheinung wahrnehmen. Wahr ist nicht immer das,was ihr wahr haben wollt, und alles, was lediglich wahr-scheinlich ist, ist wahrscheinlich falsch. Daher sollt ihr nichtnach Wahrheit, sondern nach Wahrhaftigkeit streben, dennWahrheit ist bei den Gttern allein. Wahrhaftigkeit jedochmeint Offenheit und Ehrlichkeit zugleich und verdient injedweder Form stets Anerkennung. Dennoch gehrt euerInnerstes nur euch und msst ihr selbst entscheiden, wemwie viel davon ihr offenbart. Bedenkt jedoch, dass wohl ein

    halbleeres Glas zugleich ein halbvolles, eine halbe Lgejedoch mitnichten eine halbe Wahrheit ist.

    ber den GlaubenMeister, sagt, was ist der richtige Glaube?

    Der Glaube ist eine starke Kraft, die aus Vertrauen undSehnsucht Hoffnung und innere Ruhe zu schaffen vermag.Doch selbst der Glaube kann den Menschen nicht vonetwas berzeugen, das seiner Vernunft zuwiderluft. Derrichtige Glaube ist daher im Unterschied zum Aberglaubenein vernnftiger Glaube, also ein Glaube an das, was auchmglich ist. Damit ist der richtige Glaube auch die Grund-

    lage von Wissen, denn ihr knnt nicht wissen, dass ihrmenschliche Wesen seid, ohne zu glauben, das es so ist.Dies macht den Glauben zu einer nicht bewiesenen Wahr-heit, den Aberglauben zu einem nicht widerlegten Irrtum.Euer einziges Instrument, um beide voneinander zu schei-den, ist die Vernunft, welche es euch erlaubt, eure Erfah-rungen zu ordnen, sie zu interpretieren und verlsslicheSchlussfolgerungen aus ihnen zu ziehen. Den Ansto dazubietet der Zweifel, der eine wichtige Triebfeder menschli-chen Handelns ist.

    ber den ZweifelMeister, sagt, woher wissen wir, dass die Dinge sind, als was sieerscheinen?

    Der Zweifel ist wichtig, um einen Irrtum zu erkennen undum einen richtigen Gedanken zu festigen. Einen Gedankenenne ich richtig, wenn er vernnftig ist, falsch, wenn er ausvernnftigen Grnden nicht zutreffen kann. Nicht jederGedanke, fr den es keine Grnde oder Beweise gibt, ist

    unvernnftig. Manche Denker behaupten, der Menschknnte gar nichts wissen, doch das ist falsch. Ihr wisst viel-leicht nicht, ob ihr morgen tot sein werdet, doch ihr wisst,dass es entweder so sein wird oder nicht und knnt Wahr-scheinlichkeiten fr das eine wie fr das andere angeben.Echte Wahrheit vermgt ihr nicht zu erkennen, sehr wohljedoch verschiedene Wahrheitsgrade, die ihr gegeneinanderabwgen knnt. Es ist der Zweifel, der sich gegenber eurenberzeugungen rechtfertigen und Beweise vorbringenmuss, die sie als unrichtig entlarven. Solange er dies nichtkann, ist es vernnftig, an euren berzeugungen festzuhal-ten.

    XVII.

    ber die SchpfungMeister, sagt, welchen Sinn haben die Schpfung und ihre innereOrdnung?

    Es ist erstaunlich, dass manche Menschen soviel Energie

    darauf verwenden, das Gefge der Sphren verstehen wol-len, wo es doch schon schwer genug ist, sich in den Straenund Gassen der Kaiserstadt zurechtzufinden. Sie bedenken

    nicht, dass der Plan der Schpfung vielleicht gar nicht vor-sieht, dass die Menschen mit ihrem begrenzten Geiste ihnverstehen. Es gibt mehr Dinge innerhalb und jenseits derSphren, als euer bescheidener Verstand sich zu ertrumenvermag, denn ihr knnt die Dinge stets nur auf menschlicheWeise begreifen, und das wird ihnen nicht immer gerecht.

    Eine verbreitete Theorie besagt, wenn jemals irgend jemandherausfindet, warum das Gefge der Sphren da ist undwozu es da ist, dann wird es auf der Stelle verschwinden

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    und durch etwas noch Bizarreres und Unverstndlicheresersetzt werden. Es gibt eine andere Theorie, nach der genaudas schon geschehen ist.

    ber das SchicksalMeister, sagt, existiert so etwas wie Schicksal oder Vorsehung, undwenn ja, wie kann es dann noch freie Entscheidungen zu ethischemHandeln geben?

    Der Mensch hat die fatale Neigung, nur etwas Nieder-schmetterndes Schicksal zu heien, und das, wobei seineBerechnungen versagen, nennt er Zufall. Tatschlich mischtdas Schicksal die Karten zum Spiel des Lebens, doch derMensch ist es, der damit spielen darf. Es mag einer einschlechtes Blatt auf die Hand bekommen, mit dem er nurschwer das Spiel wird gewinnen knnen, doch das Ziel liegtnicht im Sieg, sondern im Spielen selbst. Jeder Mensch trgtselbst die Verantwortung fr all seine Handlungen, unge-achtet seiner Lebensumstnde. Doch auch diese knntenbesser sein, denn die Welt hat genug fr jedermanns Be-drfnisse, nur nicht fr jedermanns Gier. Die Menschenneigen dazu, Erfolg eher nach dem Ausma ihres Reich-tums zu bestimmen, als nach dem Ma ihrer Menschlich-keit. Diese jedoch ist des Menschen einziger echter Wert.

    ber die Sichtweise der WeltMeister, sagt, sollen wir stets das Beste, oder stets das Schlechtesteerwarten?

    Ein Pessimist sieht in jeder Mglichkeit die Schwierigkeiten,ein Optimist in jeder Schwierigkeit die Mglichkeiten. Oftirren sich beide, doch der Optimist lebt froher, denn erfhrt Rckschlge auf Vernderbares zurck. So ihr zulange in einen Abgrund blickt, blickt der Abgrund irgend-wann auch in euer Herz hinein, das von Trbsal zerfresseneuch zum schlechten Ratgeber wird. Tren werden nichtnur zugeschlagen, es gehen auch Tren auf; blo macht dasweniger Lrm. Verhaltet euch nicht gleich dem Zyniker, dervon allem den Preis, von nichts jedoch den Wert kennt unddessen mangelnde Wahrnehmung die Dinge nur so sieht,wie sie sind, statt so, wie sie sein sollten. Der rger ist alsGewitter gedacht, nicht als Dauerregen; er soll die Luftreinigen, nicht die Ernte verderben. Viel Klte ist unter denMenschen, weil sie nicht wagen, sich so herzlich zu geben,wie sie sind. Ein Lcheln auf dem Marktplatz hat schon somanchen Selbstmord verhindert.

    XVIII.

    ber den Sinn des LebensMeister, sagt, was ist der Sinn des Lebens?

    Ihr verlangt, das Leben msse einen Sinn haben, doch eshat nur genau soviel Sinn, wie ihr ihm gebt. Jedes Wesenauer dem Menschen wei, dass der Sinn des Lebens alleindarin besteht, es zu genieen. Doch der Mensch ist einzigar-tig, weil er mit anderen Wesen mitfhlen kann. Das machtihn verantwortlich fr das Leben um ihn herum, ja selbstfr das Leben derer, die lange nach ihm kommen werden.Darum soll ihm nicht nur an seinem eigenen Glck und amGlck derer gelegen sein, die von ihm abstammen, sondernam Glck eines jeden Wesens, das Leben in sich trgt.Glck und Schmerz sind die durch das Gefhl vorgegebe-nen Endzwecke, die weiter nicht zu hinterfragen sind; allesandere taugt nur als Mittel fr diese beiden. Indem ihr daseine fr euch und andere sucht, das andere jedoch zu ver-meiden trachtet, erfllt ihr den Zweck eurer menschlichenExistenz, der einzig darin besteht, menschlich zu sein, undsorgt gleichzeitig fr euer Seelenheil.

    ber das LebenMeister, sagt, warum genau sollen wir das Leben so hoch achten?

    Nichts gibt es in der Welt, dessen ihr euch sicher wissenknntet, auer eurem eigenen Willen zum Leben. Die Ein-fhlung ermglicht es euch, diesen Lebenswillen auch in

    allen anderen lebendigen Wesen zu erkennen. Ihr seid Le-ben, das Leben will, inmitten von Leben, das Leben will undfhlt, dass es gut ist, Leben zu erhalten und Leben zu fr-dern, schlecht jedoch, Leben zu vernichten oder Leben zuhemmen. Aus dieser Erkenntnis erwchst in euch dieGrundhaltung der Ethik. Ihr wisst, dass ihr das Recht aufLeben habt und gesteht es auch allem anderen Leben umeuch herum zu, so gut ihr es vermgt, ohne euer eigenesLeben aufzugeben, denn soweit geht eure Verantwortungnicht, dass ihr euer eigenes Leben, das die Grundlage eurerethischen Erkenntnis bildet, fr anderes Leben opfern sollt,es sei denn vielleicht im Dienste wahrhafter, selbstloserLiebe. Damit erkennt ihr die hchste Grundhaltung jedwe-

    der Ethik: Die Ehrfurcht vor dem Leben!

    ber das TtenMeister, sagt, kann das Beenden von Leben jemals gerechtfertigt sein?

    Selten ttet der Mensch grundlos, noch seltener aus einemguten Grund, aber selbst dann hat er nur Grnde fr seinTun, nie jedoch eine Rechtfertigung. Ihr knnt nicht leben,ohne den Tod anderen Lebens zu verursachen. Nicht im-mer tragt ihr dafr die Schuld, aber stets die Verantwortung.Darum sollt ihr Tod und Leid zu vermeiden suchen, woimmer es mglich ist. Der Landmann, der soeben viele

    Rechtschritt Gras als Futter fr seine Tiere gemht hat, sollsich hten, auf seinem Heimweg gedankenlos eine Blumeoder einen Kfer zu zertreten. So ihr meint, nicht auf das

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    Essen von Tieren verzichten zu knnen, esst sie zumindestseltener, doch macht euch stets bewusst, was eure Schwchefr anderes Leben bedeutet. Die Menschen gehen lieberzugrunde, als dass sie ihre Gewohnheiten ndern, doch man

    verliert nicht immer, wenn man entbehrt. Denkt daran undtrefft nur solche Abwgungen, zu denen ihr auch stehenknnt, ohne euch selbst tuschen zu mssen.

    XIX.

    ber die EinfhlungMeister, sagt, wie knnen wir anderes Leben so hoch schtzen wieunser eigenes?

    Die Fhigkeit, die es dem Menschen ermglicht, andere inihren Interessen und Bedrfnissen genauso ernst zu neh-

    men wie sich selbst, ist die bewusste Einfhlung, welche dieBrcke zwischen aktiver Willenskraft und passivem Mitge-fhl schlgt. Kein Mensch ist ihrer von Geburt an fhig,doch hnlich wie fr den Gebrauch der Sprache sind ihmEigenschaften gegeben, die es ihm ermglichen, diese F-higkeit zu erwerben und in ihr zur Meisterschaft zu gelan-gen, so er sich darum bemht. Der Mensch kann dann indie Rolle von allem schlpfen, was mit ihm das Wunder desLebens gemein hat, und die Welt, sich selbst und seineHandlungen aus der Perspektive des anderen wahrnehmenund bewerten. Er denkt nicht nur sich selbst in die Rolle desanderen, sondern vermag sich selbst in den anderen ver-wandelt zu fhlen, mit all seinen Eigenheiten, Interessen

    und Bedrfnissen. Dies ist es, was dem Menschen wahrhaf-te Ethik berhaupt erst mglich macht.

    ber das MahaltenMeister, sagt, wie finden wir fr all unser Tun das rechte Ma?

    Von allem, was ihr tun knnt, gibt es ein Zuviel und einZuwenig, denn optimal heit nicht maximal. Die goldeneMitte im Allgemeinen ist die Ethik, im Besonderen die

    Tugend. Furchtsamkeit ist ein Mangel, Tollkhnheit einberma an Mut. Das rechte Ma ist das, was auch hinter-her keinen Schmerz bringt. Meist liegt es dem einen Extremnher als dem anderen, so dass es am sichersten zu findenist, wenn ihr euch stets bemht, euch von dem entlegenerenExtrem fern zu halten. Auch an Ethik gibt es in gewisserWeise neben dem Mangel auch ein Zuviel. Es ist jedochsehr selten und liegt dort, wo ihr euch so sehr fr anderesLeben aufreibt, dass euer eigenes Leben euch nicht mehr zuerfreuen vermag. Ethik ist nicht eigentlich die Lehre davon,wie ihr glcklich werdet, sondern davon, wie ihr es wertwerdet, glcklich zu sein. Doch ethische Empfindsamkeitmeint nicht nur Mitleiden, sondern auch, dass ihr euch mit

    anderen freuen knnen sollt.

    XX.

    ber die gelebte EthikMeister, sagt, was knnen wir tun, um die Ethik der Menschen zufrdern?

    Ein ethisches Leben fhren ist schwierig, doch nochschwieriger ist, es anderen nicht aufzuzwingen. Gebt jedemdie Mglichkeit, an euren ethischen Erkenntnissen teilzuha-ben, doch nicht durch Belehrung, sondern durch euer ethi-sches Vorbild. Ethische berzeugungen sind vielschichtig;zwar mssen sie auch gelehrt, doch vor allem mssen sievorgelebt werden. Ihr philosophiert nicht, um zu erfahren,was ethische Wahrhaftigkeit sei, sondern um ethische Men-schen zu werden. Weil Ethik jedoch kein Privileg sein soll,darf Philosophie nicht schwer sein, denn sonst ist etwas faulbei dem, der sie vertritt. Es trgt Verstand und rechter Sinnmit wenig Kunst sich selber vor, doch viele Vortrge hinter-

    einander heit, in einem Fort sen, so dass nichts wachsenkann. Aus Wissen allein entstehen weder gesellschaftliche

    Moral, noch ethische berzeugungen. Darum sollt ihr eureEthik nicht nur lehren, sondern vor allem leben!

    ber die Versuchung zur ResignationMeister, sagt, wie bleiben wir stark, wenn wir sehen, dass unser ethi-sches Streben folgenlos bleibt?

    Euer ethisches Handeln soll stets auf Erfolg ausgerichtet,nicht jedoch auf ihn angewiesen sein. Wo Kraft ist, ist Wir-kung von Kraft. Kein Sonnenstrahl geht verloren. So derErfolg in der Ethik einmal auszubleiben scheint, gibt esviele Dinge, die euch helfen mgen, den richtigen aberschweren Weg bis zu Ende durchzustehen. Die wichtigstensind die Hoffnung, der Schlaf und das Lachen. Bewahrteuch daher eure Ideale, denn es gibt mehr Leute, die kapitu-lieren, als solche, die scheitern. Darum, solange ihr atmet,sollt ihr auch hoffen. Haltet euch jeden Tag eine halbe

    Stunde fr eure Sorgen frei, und in dieser Zeit macht einNickerchen. Und lernt die Dinge nur mit genau der Ernst-

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    haftigkeit zu betrachten, die sie verdienen. Darber hinausmag auch die Kunst euch Trost in schweren Zeiten sein.Der Poet versteht die Natur fr gewhnlich besser als derwissenschaftliche Kopf, und die Poesie heilt ebenso oft wiewirkungsvoll die Wunden, die der Verstand geschlagen hat.

    ber die KritikMeister, sagt, wie sollen wir mit Menschen umgehen, die eure Lehrekritisieren?

    Gedanken springen wie Flhe von einem zum anderen,doch sie beien nicht jeden. Ich bin dankbar fr die schrfs-te Kritik, so sie nur sachlich bleibt, jedoch meinen unsere

    Gegner oft, uns bereits zu widerlegen, wenn sie ihre Mei-nung wiederholen und auf die unsrige nicht achten. Ver-langt nicht, dass der Kleinbrger seine Moral aufgibt, dochbesteht darauf, dass er euch die eure lsst, denn Toleranz istgut, aber nicht gegenber Intoleranten. Dem Schlechten

    missfallen heit, gelobt zu werden, und es gibt eben Leute,die solange den Kopf ber der Suppe schtteln, bis ein Haarhinein fllt. Die Menschen lieben es, wenn jemand frischheraus sagt, was er denkt, doch nur, wenn er dasselbe denktwie sie. Ideen sind wie Kinder: die eigenen liebt man ammeisten. Darum grmt euch nicht ber die, die eure ber-zeugungen nicht teilen, sondern erfreut euch derer, die ihrzur wahrhaften Ethik habt fhren knnen!

    ber die Nachwelt

    Meister, sagt, so viel habt ihr uns gelehrt ber das rechte Leben, und vielen Generationen noch werden eureLehren guten Dienst erweisen; doch gibt es eine Botschaft, die der Nachwelt zu hinterlassen ihr vielleicht ge-denkt, um sie zu einem Leben in grerer ethischer Vollkommenheit anzuleiten, als es unserer Zeit bisher ver-

    gnnt war?

    Liebe Nachwelt!Wenn ihr nicht gerechter, friedlicher und berhaupt vernnftiger sein werdet, als wir es sind,

    beziehungsweise gewesen sind, so sollen euch die Gehrnten holen!