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Corpus Imperii Überlegungen zum Reichsgedanken der Römer von DIETMAR KIENAST, Düsseldorf JOHANNES STRAUB hat sich immer wieder mit dem Imperium Romanum und der Regeneratio imperii beschäftigt 1 . So seien ihm die folgenden Überlegungen zu einem Aspekt des römischen Reichsgedankens gewid- met, die ihren Ausgangspunkt von einigen an sich lange bekannten antiken Aussagen nehmen und versuchen, diese in einen größeren Zu- sammenhang einzuordnen. In einem grundlegenden Aufsatz hat J. VOGT schon vor vier Jahr- zehnten erkannt, daß man von einem römischen ,Reich' erst in der Kai- serzeit sprechen kann. Denn „wir betrachten als wesenhaft für das Reich das Dasein einer weitausgreifenden politischen Macht, die in einem gro- ßen Raum für viele Völker die Fragen der Herrschaft und des Dienstes dauerhaft regelt. In diesem Ordnungsgefüge muß ein geistiges Band wirksam sein, ein einheitliches Ziel sichtbar werden. Uber die Regelung des materiellen Getriebes hinaus müssen die Glieder vom Ganzen her die Geborgenheit ihres Lebens gewinnen und den Sinn ihrer Opfer empfangen. So erweist sich das Reich als Einheit von Macht und Geist in einem weltweiten Raum 2 ." 1 J. STRAUB, Vom Herrscherideal in der Spätantike, Stuttgart 1939 (ND Darmstadt 1964), 71 ff.; Heidnische Gesdiiditsapologetik in der christlidien Spätantike, Bonn 1963, 149 ff.; Regeneratio Imperii, Darmstadt 1972, Iff. und 27 Iff., Imperium- Pax-Libertas, Wiss. Beilage zum Jahresbericht 1975/6 des Kronenberg-Gymnasiums Aschaffenburg. 2 J. VOGT , Vom Reichsgedanken der Römer, Leipzig 1942, 5 f. Vgl. audi Η. D. MEYER, Cicero und das Reich, Diss. Köln 1957, 248 f. Brought to you by | New York University Authenticated | 216.165.126.139 Download Date | 11/25/13 6:52 PM

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Corpus Imperii

Überlegungen zum Reichsgedanken der Römer

von DIETMAR KIENAST, Düsseldorf

JOHANNES STRAUB hat sich immer wieder mit dem Imperium Romanum und der Regeneratio imperii beschäftigt1. So seien ihm die folgenden Überlegungen zu einem Aspekt des römischen Reichsgedankens gewid-met, die ihren Ausgangspunkt von einigen an sich lange bekannten antiken Aussagen nehmen und versuchen, diese in einen größeren Zu-sammenhang einzuordnen.

In einem grundlegenden Aufsatz hat J . V O G T schon vor vier J ahr -zehnten erkannt, daß man von einem römischen ,Reich' erst in der Kai-serzeit sprechen kann. Denn „wir betrachten als wesenhaft für das Reich das Dasein einer weitausgreifenden politischen Macht, die in einem gro-ßen Raum für viele Völker die Fragen der Herrschaft und des Dienstes dauerhaft regelt. In diesem Ordnungsgefüge muß ein geistiges Band wirksam sein, ein einheitliches Ziel sichtbar werden. Uber die Regelung des materiellen Getriebes hinaus müssen die Glieder vom Ganzen her die Geborgenheit ihres Lebens gewinnen und den Sinn ihrer Opfer empfangen. So erweist sich das Reich als Einheit von Macht und Geist in einem weltweiten Raum2 ."

1 J. STRAUB, Vom Herrscherideal in der Spätantike, Stuttgart 1939 (ND Darmstadt 1964), 71 ff.; Heidnische Gesdiiditsapologetik in der christlidien Spätantike, Bonn 1963, 149 ff.; Regeneratio Imperii, Darmstadt 1972, I f f . und 27 I f f . , Imperium-Pax-Libertas, Wiss. Beilage zum Jahresbericht 1975/6 des Kronenberg-Gymnasiums Aschaffenburg.

2 J . V O G T , Vom Reichsgedanken der Römer, Leipzig 1942, 5 f . Vgl. audi Η. D. M E Y E R ,

Cicero und das Reich, Diss. Köln 1957, 248 f.

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V O G T hat auch schon betont, daß in republikanischer Zeit die Bewoh-ner der außeritalischen Länder Rom gegenüber Fremde blieben. Denn „diese Gebiete wurden zu Untertanenländern, zu Provinzen gemacht: ihre Bewohner blieben Staatsfremde, sie waren zu jährlichem Tribut verpflichtet und wurden durch römische Magistrate regiert. Hier galt ausschließlich die Herrschaft der Römer, der Dienst der Untertanen 3 . " Allerdings waren die Bürger der Provinzialgemeinden nach römischer Auffassung in aller Regel keine Untertanen (subiecti), sondern abhän-gige Bündner (socii) Roms, die freilich die römische Oberherrschaft an-zuerkennen hatten4 . Insofern hat V O G T recht, wenn er an der zitierten Stelle fort fährt : „Die Funktion Roms bestand wesentlich in der Macht-übung, in der Befehlserteilung, römisch ausgedrückt im Imperium. Daher wurde auch dieses Wort , das ursprünglich die Befehlsgewalt des römi-schen Magistrats bedeutete, zum Ausdruck der römischen Machtstellung und schließlich zur Bezeichnung des Herrschaftsraums selbst." W. S U E R -

BAUM konnte denn auch feststellen, daß Cicero die „Verwendung von Imperium populi Romani für die Herrschgewalt des römischen Volkes über andere Gebiete ganz geläufig" war und es „von dieser abstrakten Sphäre der ,Herrschgewalt' nur ein kleiner Schritt zu der konkreten Auffassung von Imperium als Herrschaftsgebiet" gewesen sei5. Häufig könne man bei Cicero nicht zwischen den beiden Bedeutungsschattierun-gen Herrschgewalt und Herrschaftsgebiet unterscheiden. S U E R B A U M hat seine Untersuchung auf die Schrift De re publica beschränkt und findet in ihr nur eine Stelle, an der Imperium mit Sicherheit das Herrschafts-gebiet bezeichnet. In Ciceros Reden lassen sich aber weitere Stellen fin-den, an denen Imperium den Herrschaftsraum bezeichnet6. Allerdings darf man an diesen Stellen nicht mit S U E R B A U M das Herrschaftsgebiet schon mit dem Reich im Sinne der Definition V O G T S gleichsetzen. Denn „ . . . fehlt leider! nur das geistige B a n d " . Das lehren auch die wenigen Stellen, an denen Imperium in Verbindung mit salus gebraucht wird. So betont Cicero, die Catil inarier hätten contra salutem urbis atque imperii gehandelt, während er selbst sich pro salute buiusce urbis atque imperii

3 J . VOGT a. O . 9 . 4 Vgl. dazu D. KIENAST, ZSR 85, 1968, 330 ff. 5 W. SUERBAUM, Vom antiken zum frühmittelalterlichen Staatsbegriff, Münster3 1977,

54 ff. 9 Vgl. ζ. B. Cie. Verr. 5, 150: amplitudo imperii. Cie. Cat. 3, 26. Balb. 13. Milon. 98

Phil. 13, 14. Prov. Cons. 29 (vgl. 33): fines imperii. Cie. Balb. 39: termini imperii.

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eingesetzt habe7. Gemeint ist an beiden Stellen, daß die Catilinarier mit der Zerstörung der urbs auch das imperium vernichtet hätten, ihre Pläne waren ,gegen das Heil Roms und seiner Herrschaft' gerichtet. Wenn an anderer Stelle gesagt wird, C. Marius sei geboren ad salutem huius impe-rii, er sei conservator huius imperiiH, so ist damit nur gemeint, daß Ma-rius durch seine militärischen Erfolge die römische Herrschaft erhalten konnte. Eine besondere Verpflichtung gegenüber dem Heile derer, die unter Roms Herrschaft standen, soll offenbar an keiner dieser Stellen zum Ausdruck gebracht werden®.

Anders steht es möglicherweise mit einer berühmten Wendung Cae-sars. Dieser hatte bekanntlich im Bürgerkrieg den Metellus Scipio zur Vermittlung zwischen sich und Pompeius aufgefordert und hinzugefügt: quod si fecisset, quietem Italiae, pacem provinciarum, salutem imperii uni omnis acceptam relaturos10. Der Ausdruck salus imperii steht jedoch im Werk Caesars isoliert und gewinnt sein Relief erst vor dem Hinter-grund verschiedener Maßnahmen Caesars, die in der Tat auf eine neue Politik gegenüber dem Imperium hindeuten.

Wenn andererseits Cicero davon spricht, daß der römische Herr-schaftsbereich vor Sulla patrocinium orbis terrae verius quam imperium poterat nominarin, so zeigt gerade diese Wendung, daß für ihn impe-rium ganz im Sinne von Herrschaft, nicht aber von einem Reich verstan-den wurde. Der auch von Cicero immer wieder propagierte Gedanke der römischen Weltherrschaft vertrug sich im übrigen schlecht mit der Kon-zeption eines Reiches als eines Ordnungsgefüges in dem von VOGT defi-nierten Sinn. Das Gleiche gilt auch für die berühmten Verse Vergils12:

tu regere imperio populos, Romane, memento — hae tibi erunt artes —• pacique imponere morem parcere subiectis et debellare superbos.

Mit einem gewissen Recht bemerkt F. VITTINGHOFF dazu: „Die Ver-gilverse machen wie so viele andere Aussagen bewußt, daß das römische Imperium nicht in einem tieferen Sinn als ,Reich', als eine organische Einheit, in der die einzelnen Glieder nur aus dem Sinnzusammenhang

7 Cie. Cat. 3, 20. Arch. 28. 8 Cie. Sest. 50. 9 Zur Vorstellung der salus Asiae s. unten.

10 Caes. Bell. civ. 3, 57, 4. Vgl. W. SUERBAUM, a. O. 280 A. 3. 11 Cie. de off. 2, 27. 12 Aen. 6, 851 ff. Vgl. den ähnlichen Gedanken bei Livius (33, 33, 5), dazu J . STRAUB,

Regeneratio Imperii 13 f.

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einer größeren Ordnung leben, begriffen wird . . . Die Republik und der augusteische Staat besitzen darum wohl eine Rom-, aber noch keine Reichsidee. Augustus aber hat den Grund dafür bereitet, daß in Jahr-hunderten ein einheitliches ,Reich' erstehen konnte13."

Aber wenn es auch in augusteischer Zeit noch keinen „Reichsgedan-ken" gab, so vollzog sich damals doch ein Wandel in der Auffassung vom Imperium, der uns sowohl in der augusteischen Politik wie in ver-schiedenen literarischen Äußerungen noch faßbar ist.

In diesem Zusammenhang verdient besonders eine Stelle Suetons wohl eine größere Aufmerksamkeit, als ihr bisher zuteil wurde. Der Bio-graph berichtet von Augustus: reges socios ... nec aliter universos quam membra partisque imperii curae habuit14. Ob diese Formulierung von Sueton selbst stammt oder auf eine Vorlage zurückgeht, muß wohl offen-bleiben. Daß Suetons Worte die Auffassung des Augustus korrekt wie-dergeben, steht jedoch außer allem Zweifel. Augustus hat in der Tat die Klientelstaaten als Teile seines Herrschaftsbereichs betrachtet und die reges socii entsprechend behandelt. Noch in der späten Republik galten die Klientelkönigreiche als Staaten, die nicht zum Imperium gehörten15. Oktavian konnte in seiner Propaganda gegen Antonius dann auch mit dem Argument operieren, dieser habe römisches Provinzialland an fremde Herrscher verschenkt16. Nach der Besiegung des Antonius über-nahm der Prinzeps aber teilweise dessen Politik. So suchte er die ver-wandtschaftlichen Bindungen der Klientelkönige untereinander zu stär-ken und diese dadurch als gesellschaftliche Gruppe zugleich fester an seine Person zu binden. Dem gleichen Zweck diente es, wenn die Söhne der Klientelfürsten in Rom erzogen wurden17. Die Klientelkönige, die jetzt zumeist echte Klienten des Augustus waren und das römische Bürgerrecht besaßen, hatten im übrigen nicht nur ihre Außenpolitik mit Rom abzu-

1S F. VITTINGHOFF, Augustus, Göttingen 1959, 75. 14 Suet. Aug. 48. 15 Nach Appian, Bell. civ. 5, 43, führte Antonius in Alexandria das Leben eines privatus

ώς εν άλλοτρίςι τε άρχη και βασιλευούση πόλει. Vgl. ferner Dio 5 0 , 6 , 5 ; 53, 129. Cicero unterscheidet zwisdien provinciae, liberi populi und reges: De leg. agr. 2, 98; Sest. 64; und öfter.

16 Ein Nachklang dieser Propaganda findet sich noch bei Augustus, RgdA 27: Provin-cias omrtis, quae trans Hadrianum mare vergunt ad Orientem, Cyrmasque, iam ex parte magna regibus ea possidentibus . . . reciperavi. Zu den Schenkungen an Kleo-patra s. Plut. Anton. 36. Dio 49, 32, 3 ff.

17 Suet. Aug. 48. Vgl. D. KIENAST, Augustus, Darmstadt 1982, 260.

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stimmen18. König Herodes konnte ζ. B. den Juden gegenüber behaupten, die Errichtung von Kaisertempeln und seine übrige Bautätigkeit seien auf Weisung erfolgt19. Selbst das freie Verfügungsrecht über ihre Länder war den Klientelfürsten versagt. Das Testament des Herodes bedurfte, um gültig zu sein, der Bestätigung durch den Prinzeps20. Nach außen hin aber äußerte sich die Zugehörigkeit der Klientelkönige zum Reich des Augustus vor allem darin, daß sie ihre Städte nach dem Kaiser oder seinen Angehörigen benannten und daß sie neben ihrem eigenen Bildnis regelmäßig das Porträt des Augustus auf ihre Münzen setzten21. Die Klientelkönigreiche waren also in der Tat Teile des Imperium geworden.

Der zitierte Satz Suetons bezeichnet die reges socii aber nun nicht bloß als partes, sondern auch als membra imperii. Das Imperium wird also als ein Organismus betrachtet, zu dessen Gliedern auch die Klientel-staaten gehören. Welche Rolle die Vorstellung vom Staat als Organis-mus im römischen Denken gespielt hat, konnte J. B E R A N G E R an einer Fülle von Beispielen zeigen22. Seine Ausführungen lassen sich aber viel-leicht noch ergänzen und präzisieren. Die schon bei Piaton23 begegnende Vorstellung vom Staatsorganismus war bereits den Römern der Repu-blik ganz geläufig. So findet man in der Schrift De inventione schon die Wendung vom corpus civitatis24. Die Auffassung von der res publica als eines Organismus begegnet dann, wie U. K N O C H E zeigen konnte, bei Cicero in immer neuen Wendungen25. Auch sein Gegenspieler Catil ina griff das Bild auf und variierte es, indem er von den duo corpora civi-tatis sprach26. Und auch Antonius wendete später das Bild gegen Cicero

19 Vgl. dazu nur die Reaktion des Augustus auf den Nabatäerfeldzug des Herodes im Jahre 10 v. Chr. : Joseph. Ant. Jud. 16, 9, 3 § 289 ff.; und 10, 8 § 341 ff.

19 Joseph. Ant. Jud. 15, 9, 5 § 328 ff. 20 Joseph. Bell. Jud. 1, 33, 8 § 668 ff. Ant. Jud. 17, 8, 1 § 188 ff. 21 Suet. Aug. 60. Vgl. D. KIENAST, Augustus 410. 22 J . BERANGER, Redierches sur l'aspect ideologique du principat, Basel 1953, 218 ff.,

der die Wendung unter dem Gesichtspunkt der ,ΐ'ϊκίέβ de l'unite' behandelt. Vgl. auch H. BERTHOLD, in: Antiquitas Greaeco-Romana ae Tempora Nostra, Prag 1968, 100 f.

23 Piaton, rep. 5 p. 564 b. Vgl. Aristoteles bei Stobaios 4, 1, 144 p. 90 (Hense), der eine Stelle aus einer Rede des Demosthenes zitiert, wonach die Gesetze die Seele der Polis seien. Sdion im 5. Jahrhundert v. Chr. war aber die Vorstellung von der Polis als von einem Organismus ganz geläufig, vgl. dazu W. NESTLE, Klio 21, 1927, 354 f.

24 De invent. 2, 168. 25 U.KNOCHE, Gymnasium 29, 1952, 327 f. ( = in: Vom Selbstverständnis der Römer,

Gymnasium Beiheft 2, Heidelberg 1962, 152 f.). 28 Cie. Mur. 51.

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an, wenn er von den unius corporis duas acies lanista Cicerone dimi-cantis sprach27.

Bei Cicero findet sich die Wendung corpus rei publicae an zwei Stel-len. Im Hinblick auf sein Vorgehen gegen die Catilinarier sagt der Red-ner in der am 3. Februar 43 v. Chr . gehaltenen achten Philippischen Rede28: In corpore si quod eiusmodi est, quod reliquo corpori noceat, id uri secarique patimur, ut membrum aliquod potius quam totum corpus intereat. Sic in rei publicae corpore, ut totum salvum sit, quidquid est pestiferum amputetur.

Diese Stelle bezieht sich also eindeutig auf den römischen Staat als die Gesamtheit der römischen Bürger29. Das Gleiche gilt für die zweite Stelle, an der Cicero von corpus rei publicae spricht. In der in den letzten Monaten des Jahres 44 v. Chr . abgefaßten Schrift De officiis führ t Cicero aus30: Omnino qui rei publicae praefuturi sunt, duo Piatonis praecepta teneant, unum, ut utilitatem civium sie tueantur, ut, quaecum-que agunt, ad eam referant obliti commodorum suorum, alterum, ut totum corpus rei publicae curent, ne, dum partem aliquam tuentur, reli-quas deserant. Ut enim tutela sie procuratio rei publicae ad eorum utili-tatem, qui commissi sunt, non ad eorum, quibus commissa est, gerenda est.

Auch aus diesem Text geht eindeutig hervor, daß Cicero unter corpus rei publicae die Gesamtheit der cives versteht. Ihnen hat der Staatslenker seine Sorge und seinen Schutz zuzuwenden. An das Imperium hat Cicero, als er diese Sätze schrieb, jedenfalls nicht gedacht. Räumlich war viel-mehr für Cicero die Vorstellung der res publica eng mit der Stadt Rom verbunden®1. Aber der Begriff der res publica war doch der Erweiterung fähig. Am 16. Februar 49 schrieb Cicero seinem Freund Atticus aus For-miae, er habe einen Brief von Pompeius erhalten: erat in extremo ipsius manu: „tu censeo Luceriam venias; nusquam eris tutius." id ego in eam partem accept, haec oppida atque oram maritimam illum pro relicto habere, nec sum miratus eum, qui caput ipsum reliquisset, reliquis mem-bris non parcere32. Hier wird also die Vorstellung vom Körper der res

27 Cie. Phil. 13, 40. 29 Cie. Phil. 8, 15 f. 29 Zu dieser Bedeutung von res publica vgl. Cie. Phil. 2, 54. 30 Cie. De off. 1, 85. Vgl. Piaton, rep. 4, 420 b. Dazu J. BERANGER a. O. 224. 3 1 V g l . d a z u H . D . MEYER, C i c e r o u n d d a s Re ich 3 ff. u n d 5 4 ff.; Η . P . KOHNS, G y m -

nasium 77, 1970, 329 ff.; und H. BRAUNERT, Monumentum Chiloniense, Amsterdam 1 9 7 5 , 3 9 ff.

32 Cie. Att. 8, 1, 1. Vgl. Florus 2, 6 (3, 18) 1.

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publica (das Wort fällt im nächsten Paragraphen des Briefes) dahin variiert, daß die Stadt Rom deren Haupt und die italischen Städte ihre Glieder seien32a.

Als Cicero den ersten Brief an seinen Bruder Quintus schrieb, war aber für ihn auch die Provinzialverwaltung eine pars rei publicae33. Im glei-chen Brief überträgt Cicero den Gedanken Piatons von der Philosophen-herrschaft auf die Statthalterschaft des Quintus, die verlängert worden sein soll ad salutem Asiae. Quintus wird ermahnt, ut medeare incommo-dis hominum, provideas saluti, ut te parentem Asiae et dici et haberi velis34. Hier taucht also der Gedanke vom Heile zwar nicht des gesam-ten .Reiches', aber doch wenigstens der Provinz Asia auf (wobei die Anknüpfung an die griechische Soter-Vorstellung deutlich genug ist)35. Aber Cicero relativiert diesen Gedanken im gleichen Brief, wenn er schreibt, ihm schiene non magna varietas esse negotiorum in admini-stranda Asia, sed ea tota iurisdictione maxime sustineri3e. Von Ver-pflichtungen des Statthalters gegenüber den Griechen Kleinasiens, die über die Ausübung der Rechtsprechung hinausgegangen wären, scheint Cicero nichts zu wissen. Im übrigen läßt Cicero keinen Zweifel daran, daß die socii der Provinz Asia der römischen Herrschaft unterworfen waren: simul et illud Asia cogitet, nullam ab se neque belli externi neque domesticarum discordiarum calamitatem afuturam fuisse, si hoc imperio

32a Cie. Cat. 1, 27 und ähnlidi 4, 24 erstreckt sich res publica auf cuncta Italia. Auch Fam. 5, 2 , 1 versteht Cicero unter res publica ganz Italien. Vgl. H. D. M E Y E R a. O. 24 mit Anm. 3.

s s Cie. Q. fr. 1 , 1 , 4. Vgl. Cie. Fam. 2 , 1 2 (11), 1, vom 4. April 50 v. Chr., wo Cicero aus Kilikien schreibt: mirum me desiderium tenet urbis . . . satietas autem provin-ciae . . . quia totum negotium non est dignum viribus nostris, qui maiora onera in re publica sustinere et pofsim et soleam. Die Provinzialverwaltung gehört demnach immerhin zu den onera in re publica, wenn audi nach Cicero zu den minora. — Zu dem Brief an Quintus Cicero s. H. D. M E Y E R , Cicero und das Reich 103 ff. mit der älteren Literatur.

54 Cie. Q. fr . 29 ff. Der Gedanke der salus sociorum begegnet auch in den Paragra-phen 2 und 13.

55 Vgl. nur Cie. pro Flacco 60: Mithridatem dominum, ilium patrem, illum conserva-torem Asiae, illum Euhium, Nysium, Bacchum, Liberum nominabant. Später heißt es von Kleopatra, als sie im J. 41 v. Chr. den Antonius in Tarsos aufsuchte, ώς ή 'Αφροδίτη κωμάζοι παρά τον Διόνυσον έπ' ά γ α θ φ της 'Ασίας (Plut. Ant. 26, 5). — Zur Verbindung von Retter- und Vaterbegriff s. A . ALFÖLDI , Der Vater des Vater-landes im römischen Denken, Darmstadt 1971, 46 ff. Vgl. allg. M. FALTNER , Ideale der römisdien Provinzverwaltung nach Cicero und Plinius dem Jüngeren, Diss. Mün-chen 1955, 97 ff.

M Cie. Q. fr. 1, 1, 20.

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non teneretur; id autem Imperium cum retineri sine vectigalibus nullo modo possit, aequo animo parte aliqua suorum fructuum pacem sibi sempiternam redimat atque otium37. Hier wird also imperium durchaus als Herrschaft verstanden, die wegen ihrer den Frieden sichernden Funk-tion von den Griechen ertragen werden muß und für die die Griechen ihren Preis zahlen müssen. Der Brief an Quintus wurde Ende 60 oder Anfang 59 v. Chr. geschrieben und sollte diesen über die Tatsache hin-wegtrösten, daß ihm gegen seinen und seines Bruders Willen das Pro-consular der Provinz Asia auf ein drittes Jahr erstreckt wurde38. Die Aussagen Ciceros müssen von dieser Situation her verstanden werden und dürfen nicht ohne weiteres verallgemeinert werden. Wenn Cicero seinem Bruder zuliebe dessen Provinzialverwaltung als eine pars rei publicae bezeichnet, so bestand doch für ihn noch im Jahre 43 v. Chr. das corpus rei publicae nur aus der römischen Bürgerschaft, wie die oben an-geführte Stelle aus der achten Philippischen Rede beweist.

Nur auf die römischen Bürger bezieht sich auch die Wendung membra rei publicae bei Paterculus, der im Anschluß an die Darstellung der restitutio rei publicae durch Augustus schreibt: Sepultis, ut praediximus, bellis civilibus coalescentibusque rei publicae membris, et coaluere quae tarn longa armorum series laceraverat. Dalmatia, annos viginti et du-centos rebellis, ad certam confessionem pacata est imperii. Alpes ... perdomitae. Hispaniae ... pacatae. ... Has igitur provincias tarn d i f f u s a s ... ad eam pacem . .. perduxit Caesar Augustus, ut quae maximis bellis numquam vacaverant, eae ... postea etiam latrociniis vacarent3β.

37 Cie. Q. fr . 1 ,1 , 34. 38 Vgl . M. GELZER, Cicero, Wiesbaden 1969, 122 ff. 39 Veil . Pat . 2, 90, 1 ff. Zum Gebrauch von coalescere in diesem Zusammenhang vgl .

Tac. hist. 4, 74, 3 : octingentorum annorum fortuna diseiplinaque compages haec coaluit, quae convelli sine exitio convellentium non potest. Dazu s. Livius 1, 8, 1 . . . vocata . . . ad concilium multitudine, quae coalescere in populi unius corpus nulla re praeterquam legibus poterat, iura dedit (Romulus). S. audi Tac. ann. 11,24, 2 f. (oratio Claudii): neque enim ignoro . . . Etruria Lucaniaque et omni Italia in se-natum accitos, postremo ipsam ad Alpes promotam, ut non modo singuli viritim, sed terrae, gentes in nomen nostrum coalescerent. Das Bild vom Zusammenwachsen ist hier also auf die Einheit Italiens beschränkt. Es heißt dann bei Tacitus weiter : tunc . . . floruimus, . . . cum specie deduetarum per orbem terrae legionum additis provincialium validissimis fesso imperio subventum est. Imperium meint an dieser Stelle also die Herrschaft und nicht etwa das Reich (zur Wendung fesso imperio vgl . audi Sil . Ital . Pun. 4, 709). Was W. SUERBAUM, Vom antiken zum frühmittel-alterlichen Staatsbegriff 101 mit Anm. 71, zu dieser Stelle schreibt, ist unklar und in sich widersprüchlich.

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Leider ist das in diesem Zusammenhang wichtige Wort coaluere emendiert. Doch wird diese Emendation durch das folgende laceraverat gestützt, das zeigt, daß Vellerns Paterculus die Vorstellung eines orga-nischen Körpers mit seinen Gliedern von der römischen res publica im engeren Sinne auch auf das Imperium erstreckte. Allerdings ist dieses Imperium hier noch ganz im Sinne von Herrschaft verstanden. Die Tätigkeit des Augustus beschränkte sich in der Sicht des Velleius auf die Herstellung und Sicherung des Friedens, den schon Cicero in dem Brief an seinen Bruder Quintus als Folge der römischen Herrschaft bezeichnet hatte. Dennoch ist es sicher kein Zufall, daß Velleius Paterculus gerade im Anschluß an seinen Bericht von der restitutio rei publicae die Vor-stellung vom Staatsorganismus auch auf die Provinzen des Imperium überträgt. Denn offenbar wurde im Jahre 27 v. Chr. die Übernahme des imperium proconsulare durch Augustus mit dessen allgemeiner cura et tutela rei publicae motiviert. Der Bericht des Cassius Dio über jenen Vorgang40 hat allerdings verschiedene Interpretationen erfahren. Nach Dio übernahm Augustus την μέν φροντίδα τήν τε προστασίαν των κοινών πασαν ώς και επιμελείας δεομένων und übergab dann die schwächeren Pro-vinzen dem Senat, während er für sich Militärprovinzen behielt. Das hat bekanntlich A. v. PREMERSTEIN zur Annahme eines staatsrechtlich definierten Schutzauftrages für den Prinzeps geführt41. Davon kann aber wohl keine Rede sein. Zuerst hat Oktavian außerdem alle Provinzen dem Senat zur Verfügung gestellt. Erst auf dessen Drängen hin erklärte er sich bereit, einige noch unbefriedete Provinzen zu übernehmen, bis sie befriedet seien, längstens aber für 10 Jahre. Hinter dieser Regelung steht die Konzeption von dem Imperium als einem Ganzen, das insgesamt in den Genuß der pax Augusta kommen sollte. Wenn also der Prinzeps die Übernahme der noch unbefriedeten Provinzen mit der cura et tutela rei publicae rechtfertigte, so verstand er offenbar in diesem Falle res publica in jenem weiteren Sinne, in dem das Wort schon Cicero in dem Brief an seinen Bruder Quintus verstanden hatte41a.

40 Dio 53, 12, 1. 41 A. v. PREMERSTEIN, Vom Wesen und Werden des Prinzipats, München 1937, 117 ff.

Dagegen mit Redit sdion J. BFERANGER (o. Anm. 22) 203 ff. 41a Man kann daher audi Η . BRAUNERT, Monumentum Chiloniense 37 ff. und Chiron 4,

1974, 343 ff., nidit folgen, wenn er die von Augustus in den Res Gestae (34) ver-kündete Rückgabe der res publica allein „auf die urbs und ihre traditionellen Insti-tutionen" beziehen möchte. Eine solche Interpretation verkennt den Inhalt der Neu-regelung des Jahres 27 v. Chr. ebenso wie deren ideologische Rechtfertigung.

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Daß diese Überlegungen richtig sind, lehrt der Bericht des Tacitus über die Vorgänge beim Regierungsantritt des Tiberius, in dem offen-bar Material aus den acta senatus verarbeitet ist42. Dixit forte Tiberius, heißt es da, se ut non toti rei publicae parem, ita quaecumque pars sibi mandaretur, eins tutelam suscepturum. Darauf stellte Asinius Gallus die Frage quam partem rei publicae mandari tibi velis, und erläuterte seine Äußerung später so: non idcirco interrogatum ..., ut divideret quae separari nequirent, sed ut sua confessione argueretur, unum esse rei publicae corpus atque unius animo regendum. addidit laudem de Augusto, heißt es weiter, Tiberiumque ipsum victoriarum suarum quaeque in toga per tot annos egregie fecisset admonuit. Im ferneren Verlauf der Debatte fragte dann der Consular Haterius den Kaiser: quo usque patieris, Caesar, non adesse caput rei publicae? Aus dem Kontext geht eindeutig hervor, daß res publica hier den gesamten römischen Herrschaftsbereich meint, der als ein organisches Ganzes gesehen wird. Mit caput rei publicae muß daher auch Haterius die monarchische Spitze des ganzen Imperium, nicht bloß das Haupt der römischen civitas be-zeichnen.

Wenn aber der gesamte Herrschaftsbereich Roms als ein organisches Ganzes gesehen werden konnte, dann mußte für corpus rei publicae audi corpus imperii eintreten können. Vielleicht ist es kein Zufall, daß diese Wendung zuerst von dem verbannten Ovid gebraucht wurde, der im fernen Tomi am Ende der damaligen Welt, aber doch noch innerhalb der Grenzen des römischen Imperium sein Leben fristete.

Der Gedanke der Friedenssicherung steht auch für Ovid im Vorder-grund, wenn er an die Aufgaben des Augustus denkt. Dessen Sorgen sind allerdings groß:

utque dees caelumque simul sublime tuenti non vacat exiguis rebus adesse lovi

de te pendentem sie dum circumspicis orbem effugiunt curas infertora tuas43.

nunc tibi Pannonia est, nunc lllyris ora domanda Raetica nunc praebent Thraciaque arma metum

denique, ut tanto, quantum non extitit umquam

42 Tac. ann. 1, 12, 1 ff. Zur Benutzung der acta senatus s. R. SYME, Tacitus I, Oxford 1 9 5 8 , 2 7 8 ff.

43 Ovid, Trist. 2, 215 ff.

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corpore pars nulla est, quae labet, imperii, urbs quoque te et legum lassat tutela tuarum

et morum, similes quos cupis esse tuis44. Wenn hier Ovid von corpus imperii spricht, so darf man diese Wen-dung wohl getrost als „Reichskörper" übersetzen. Es ist bezeichnend, daß diese Wendung bei Ovid in einem Zusammenhang auftaucht, in dem von den curae des princeps die Rede ist, der hier übrigens imperii prin-ceps genannt wird45. Audi Sueton sagt von den Klientelkönigen ja, daß ihnen Augustus als membra partesque imperii seine cura angedeihen ließ. Wenn Cicero in De officiis noch schrieb, daß der Staatslenker alle Bür-ger, totum corpus rei publicae, in seine cura und in seine tutela einbezie-hen sollte, so wird jetzt diese cura et tutela auf das ganze Imperium er-streckt, weil der ganze Herrschaftsbereich des römischen Volkes zur res publica geworden war.

Man kann, wenn man so will, in dieser Erstreckung des Begriffes der res publica auf den ganzen Herrschaftsbereich des römischen Volkes einen Ausdruck für die Verstaatlichung des Imperium sehen. Denn in der Tat entsprach ja jener Ausweitung des res-publica-HegriSes in der Realität der das ganze Reich überspannende kaiserliche Beamtenapparat und die für das ganze Reich gültigen Kaisergesetze, die aus der „hege-monialen" Herrschaft Roms den römischen „Welt"-Staat werden ließen. Gerade die Gesetzgebung erscheint denn auch schon unter Augustus neben der Friedenssicherung und neben der Bautätigkeit im Reich als Gegenstand der kaiserlichen curaw.

Die zuerst von Ovid gebrauchte Wendung vom corpus imperii be-gegnet dann wieder in Senecas Fürstenspiegel, in dem der junge Nero aufgefordert wird: tradetur ista animi tui mansuetudo diffundeturque paulatim per omne imperii corpus, et cuncta in similitudinem tuam formabuntur. A capite bona valetudo. inde omnia vegeta sunt atque erecta aut languore demissa, prout animus eorum vivit aut marcet. Erunt cives, erunt socii digni hac bonitate, et in totum orbem recti mores revertentur*1.

4 4 Ovid, Trist. 2, 225 ff. 4 5 Ovid, Trist. 2, 219. 4 6 Vgl. FIRA I2 Nr. 68 (Kyrene-Edikte) 2. 79 f. und 77 f. Zur Bautätigkeit als Ge-

genstand kaiserlicher cura s. Vitruv I praef. 2 f. und ILS Nr. 97. Vgl. allgemein J. BERANGER, Recherdies 186 ff., und M. HAUSER, Der römische Begriff cura, Win-terthur 1954, 36 ff. Dazu jetzt A. PALMA, Le ,curae' pubbliche, Neapel 1980, 69 ff.

4 7 Seneca, De clem. 2, 2, 1. vgl. 1, 5, 1.

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Die cura morum, die Ovid noch in enger Auslegung der augusteischen Politik auf die urbs beschränkt hatte, wird nun von Seneca auf das ganze Reich bezogen. Die boni mores sind allerdings für ihn nicht die Folge entsprechender Gesetze, sondern die Folge der bonitas und der man-suetudo animi des Prinzeps selbst. Von ihm als dem Haupt hängt das Gedeihen des Reichskörpers ab.

Es ist möglicherweise eine Reaktion auf diese ganz auf den Prinzeps orientierte Sicht, wenn Senecas Neffe Lucan in seinem Epos über den Bürgerkrieg die Senatoren als cruor imperii bezeichnet, gegen die Caesar bei Pharsalos zu wüten befahl48:

seit cruor imperii qui sit, quae viscera rerum unde petat Romam, libertas ultima mundi quo steterit ferienda loco.

Der Senat erscheint also hier als Repräsentant Roms, als Hort der libertas und als diejenige Institution, die das Reich zusammenhält, wobei Lucan das ciceronische Bild vom sanguis bzw. von den viscera rei publicae auf das Imperium überträgt49. Daß allerdings schon Caesar zum caput orbis geworden war, wußte auch Lucan. Läßt er doch nach Caesars vergeblichem Versuch, auf einem kleinen Boot die stürmische Adria zu überqueren, die Soldaten ihrem Führer vorwerfen:

cum tot in hac anima populorum vita salusque pendeat et tantus caput hoc sibi fecerit orbis, saevitia est voluisse morii0.

So wundert es nicht, daß später Florus die Wendung vom corpus imperii wieder aufgreift und den Augustus lobt, qui sapientia sua atque sollertia perculsum undique ac perturbatum ordinavit imperii corpus, quod haud dubie numquam coire et consentire potuisset, nisi unius praesidis nutu quasi anima et mente regereturSi.

Wenn J . V O G T und F. V I T T I N G H O F F unter „Reich" eine organische Einheit verstehen, „in der die einzelnen Glieder nur aus dem Sinnzu-sammenhang einer größeren Ordnung leben", so kommt die Vorstellung

4 8 Lucan, Bell. civ. 7, 579. 4 9 Cie. Pison. 28. Dom. 124. Cluent. 146. 5 0 Lucan, Bell. civ. 5, 685 ff. 5 1 Florus 2 ,14 [4, 3] 5. — Das Bild vom Reichskörper begegnet auch an der bekann-

ten Stelle bei Curtius Rufus 10, 9, 1—6, wo die Lage beim Tode Alexanders offen-bar mit der Situation nach der Ermordung des Caligula verglichen wird. Doch kann auf das umstrittene Datierungsproblem hier nicht weiter eingegangen werden.

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vom corpus imperii bei Seneca und Florus jener Definition Zumindestens

recht nahe.

Auch bei Tacitus begegnet die Wendung corpus imperii. Anläßlich

der Adoption Pisos läßt der Historiker den Kaiser Galba sagen52: Si

immensum imperii corpus stare ac librari sine rectore posset, dignus

eram a quo res publica inciperet: nunc eo necessitatis tarn pridem ventum

est, ut nec mea senectus conferre plus populo Romano posset quam

bonum successorem, nec tua plus iuventa (sc. Pisonis) quam bonum

principem.

Res publica bezeichnet hier selbstverständlich den alten Freistaat der

sich selbst regierenden Bürgerschaft. Die Erstreckung des Begriffs res

publica auf das ganze Imperium ist hier zurückgenommen zu Gunsten

der engeren Bedeutung, wie sie bei Cicero üblich war. Die Stelle besagt

nicht bloß, daß es für Tacitus unter den Principes keine res publica gab,

sondern auch, daß die Notwendigkeit der Reichslenkung eine restitutio

rei publicae verhinderte, weil andernfalls das Reich Schaden nehmen

würde. Dem corpus imperii wurde damit im Munde Galbas ein höherer

Rang eingeräumt als der res publica. Der Gedanke, daß das Imperium einer

monarchischen Spitze bedurfte, begegnet schon unter Caesar und war in

augusteischer Zeit ganz geläufig. Aber Reich und Republik in dieser Weise

in einen Gegensatz zueinander zu stellen vermochte erst eine Generation,

der das Bild vom Reichskörper eine geläufige Vorstellung geworden war.

Die Äußerung des Tacitus fällt denn auch nicht zufäll ig in eine Zeit, als

sich das politische Schwergewicht aus Rom und Italien in die Provinzen

zu verlagern begann.

Die Auffassung vom römischen Reich als einem lebendigen Organis-

mus kollidierte nun allerdings mit der spätrepublikanischen Vorstellung

von der römischen Weltherrschaft, der Herrschaft über den orbis terrarum,

die gerade in augusteischer Zeit ihre für die ganze Folgezeit gültige Aus-

formung erhielt und der auch Augustus in seinen Res Gestae Rechnung

trug53. Diesem Gedanken der Herrschaft über die gesamte Oikumene

52 Tacit. Hist. 1, 16, 1. 53 Vgl. allg. zum römisdien Weltherrschaftsgedanken J. V O G T , Orbis Romanus, in:

Orbis. Ausgewählte Schriften zur Geschichte des Altertums, Freiburg—Basel—Wien 1960, 151 ff. M. GELZER , Kleine Schriften 2, Wiesbaden 1963, 3 ff. R. W E R N E R ,

A N R W I 1, 1 9 7 2 , 5 2 8 ff. — Z u r Gleidisetzung v o n Imperium u n d orbis terrarum bei Tacitus s. W. SUERBAUM (O. Anm. 5) 102 mit Anm. 73. — Zum Weltherrschafts-gedanken in den Res Gestae s. A . HEUSS , Monumentum Chiloniense, Amsterdam 1975, 70 ff.

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entsprach es auch, d a ß die v o m Kaiser Beherrschten unter dem stoisdien Begriff des genus humanuni zusammengefaßt werden konnten 5 4 . Die Vorstel lung v o m Imperium sine fine, v o n der Herrschaft ohne Grenzen in R a u m und Zeit , welche Jupi ter selbst den R ö m e r n verliehen habe 5 5 , ließ sich aber nicht vereinen mit der K o n z e p t i o n eines Reiches mit festen Grenzen, innerhalb derer allen Teilen ihre g a n z bestimmten Funktionen zugewiesen w a r e n 5 8 . Die Weltherrschaftsideologie enthielt allerdings die Tendenz, diesen Gegensatz zu verschleiern, so d a ß es zu Überschneidun-gen zwischen dem Weltherrschaftsgedanken und dem Reichsgedanken k a m und das Imper ium sehr bald als Weltreich vorgestellt wurde 5 7 . Dennoch zeigen die oben zitierten Stellen sehr deutlich, d a ß es sich bei d e m Weltherrschafts- und d e m Reichsgedanken u m getrennte Vorstel -lungen handelt . Theoretisch konnte der Kaiser durch immer neue E r -oberungen die römische Herrschaft bis ans E n d e der W e l t ausdehnen. Seine cura aber konnte er nur den membra partesque imperii zuwenden 5 8 .

54 So ζ. Β. V. EHRENBERG - Α. Η. M. JONES, Documents illustrating the Reigns of Augustus and Tiberius, Oxford3 1976, Nr. 98 a. Ovid, Metam. 15, 758 f. Vgl. Horaz, carm. 1, 12, 49 ff. Dazu die reiche Materialsammlung von U. (SCHILLINGER-) HÄFELE, Historische Untersuchungen zum Panegyricus des jüngeren Plinius, Diss. Freiburg i. Br. 1958, 133 ff. — Besonders interessant ist Plinius, n. h. 16, 8: Dedit hanc Augustus coronam (rostratam) Agrippae, sed civicam α genere humano acce-pit ipse. In einer Äußerung wie dieser beginnen sich schon lange vor der Constitutio Antoniniana die Grenzen zwischen Bürgern und Reichsangehörigen zu verwischen.

55 Verg. Aen. 1, 278 f. 58 Diese Vorstellung entsprach seit Augustus der Realität und fand ihre klassische For-

mulierung durch Tacitus (ann. 1 , 9 , 5 ) : mari Oceano aut amnibus longinquis saep-tum Imperium; legiones, provincias, classes, cuncta inter se conexa. Aber schon der Formel für die Schließung des Janusbogens lag die Vorstellung eines räumlich be-grenzten Herrschaftsbereiches zu Grunde: cum per totum Imperium populi Romani terra marique esset parta victoriis pax (RgdA 13). Erinnert sei audi an das um-strittene consilium coercendi intra terminos imperii (Tac. ann. 1, 11, 4. Dazu D . KIENAST, Augustus 307 mit Anm. 205 f.).

57 Dem mußte noch entgegenkommen, daß in den philosophischen Vorstellungen des Altertums auch der Kosmos als Organismus gedacht werden konnte, s. J . BERANGER a. O. (Anm. 22) 226 f. und W. NESTLE, Klio 21, 1927, 356 ff. — Die Überschneidun-gen von Reichsgedanken und Weltherrschaftsgedanken zeigen sich in Wendungen wie pater orbis, caput orbis u. a. für den Kaiser (vgl. audi die folgende Anmerkung). In der modernen Forschung hat das leider vielfach dazu geführt, daß man von einem augusteischen „Reichsgedanken" sprach, wo man in Wahrheit den Weltherr-schaftsgedanken meinte. Vgl. ζ. Β. U. KNOCHE, Das neue Bild der Antike II, Leip-zig 1942, 213 und R. WERNER, A N R W I 1, 1972, 525.

58 Dennoch kann Ovid, Ex Ponto 2, 8, 25, den Prinzeps bezeichnen als terrarum domi-num quem sua cura facit. Auch hier werden also die Grenzen zwischen der Herrschaft über das Reich und der Weltherrschaft verwischt. — Vgl. schon Verg. Georg. 1, 24.

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Es lag allerdings nicht bloß am Einfluß der Weltherrschaftsideologie, daß sich die Formel vom Reichskörper nicht als entwicklungsfähig erwies. Denn diese Formel diente vor allem dazu, die Herrschaft des Prinzeps zu rechtfertigen58*1. Die Vorstellung vom corpus rei publicae bzw. corpus imperii war auf dessen Haupt hin konzipiert. Und tatsächlich beruhte ja die Einheit des Imperiums vor allem auf dem Kaiser, wie schon nach außen in vielen Einzelheiten zum Ausdruck kam. Es genügt dafür, an den Herrscherkult, an die zahlreichen Augustusstädte in den Provinzen, an die Münzprägung mit dem Bilde des Kaisers oder an die unzähligen Meilensteine mit seinem Namen an den Straßen des Reiches zu erinnern. Lucans Bild von den Senatoren als dem „Herzblut des Reiches" konnte sich denn auch schon deswegen nicht durchsetzen, weil es den Realitäten in keiner Weise entsprach59. Denn nicht der Senat, sondern der Kaiser war es, der das Reich zusammenhielt.

Auch unter den Augusti aber bestand das Imperium weiterhin aus Bürgern und Bündnern, aus Römern, Griechen und Barbaren. Die Teil-habe am römischen Bürgerrecht oder das Stadtbürgerrecht einer Polis waren wichtiger als die allgemeine Reichszugehörigkeit80. So standen sich ζ. B. für den Redner Aristides Römer und Griechen noch im 2. Jahr-

&en Es war denn auch eine bewußte Umkehrung der offiziellen Kaiserideologie, wenn Tacitus im Hinblick auf Otho und Vitellius schreibt (Hist. 1, 50, 1): tum duos omnium mortalium impudentia ignavia luxuria deterrimos velut ad perdendum Imperium fataliter electos non senatus modo et eques, quis aliqua pars et cura rei publicae, sed volgus quoque palam maerere. Statt des einen caput imperii sind zum Verhängnis des Reiches duos omnium mortalium deterrimos gewählt worden, die sich durch ihre Laster hervortun statt sich, wie es von einem princeps gefordert wird, durch Tugenden auszuzeichnen. Statt laetitia herrscht deshalb maestitia. Auch die cura rei publicae wird in dieser Schilderung folgerichtig nicht mehr von den un-würdigen Augusti, sondern von Senat und Ritterschaft wahrgenommen.

5 · Erst in der sog. Institutio Traiani wird das Bild wieder aufgegriffen: princeps vero capitis in re publica obtinet locum . . . Cordis locum senatus obtinet, a quo bono-rum operum et malorum procedunt initia. Oculorum, aurium et linguae officia sibi vindicant iudices et praesides provinciarum. Officiates et milites manibus coaptan-tur. etc. (Text nadi J . BERANGER, Recherdies 235 f.). Aber schon die schulmäßige Durchführung des Vergleichs von Körper und Staat zeigt den geringen Wert der Schrift. Die Epistula ad Traianum de institutione principis gilt denn auch als eine „von cluniacensischem Geist berührte Fälschung" des Mittelalters. Vgl. W. CHRIST -W. SCHMID - O. STÄHLIN, Geschichte der Griediisdien Literatur II 1, München' 1920 N D 1959 , 488 , 1 und 5 1 6 f. — Zum Gedanken vgl. die von E . KANTOROWICZ, The King's Two Bodies, Princeton 1957, 208 Anm. 42, angeführte Parallele. Vgl. dazu die wichtigen Ausführungen von D. NÖRR, Imperium und Polis in der hohen Prinzipatszeit, München 1966, 94 ff.

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hundert durchaus als Herrscher und Beherrschte gegenüber61. Und nur weil für diese die Möglichkeit bestand, durch die Aufnahme ins römische Bürgerrecht zur Teilhabe an der Herrschaft zu gelangen, konnten auch sie als Angehörige des Weltstaats Rom gelten62. Nur die Christen ver-standen sich selbst wohl gerade weil sie außerhalb der damaligen Ge-sellschaft standen, als membra imperii, wie uns Tertullian bezeugt63. Es ist daher verständlich, daß sich auch in der Kaiserzeit ein prägnanter Begriff der Reichsangehörigkeit nicht entwickeln konnte. Vielleicht wäre dies angesidits der Bedrohung des Imperium in der Spätantike anders geworden. Aber damals bestand für einen solchen Begriff keine Not-wendigkeit mehr, da durch die constitutio Antoniniana alle Reichsange-hörigen zu römischen Bürgern geworden waren.

Das Bild vom Reichskörper allerdings, das der neuen imperialen Konzeption des ersten Augustus seine Entstehung verdankte, wurde in der ausgehenden Antike zur Formel unter der noch einmal die Einheit des von Zerfall und Spaltung bedrohten Reiches beschworen wurde. Es begegnet bei Constantin dem Großen ebenso wie bei Symmachus, bei Augustin und Orosius64. Und noch König Theoderich kann in einem Schreiben an den oströmischen Kaiser Anastasius um 508 n. Chr. er-

81 Ael. Aristid., Εις 'Ρώμην 31. 62 Ael. Aristid. a. O. 60. Dazu J. Bleicken, Der Preis des Aelius Aristides auf das

römische Weltreich, Göttingen 1966, 244 ff. — Die Ausführungen des Aristides be-ziehen sidi allerdings vor allem auf die Verhältnisse im griechischen Osten. Im Westen mag das Zusammengehörigkeitsgefühl vor allem in den stärker romanisierten Pro-vinzen Spaniens und der Narbonensis schon im 2. Jahrhundert stärker gewesen sein. [Vgl. dazu J. S t raub , Würzb. Jb. NF 6 a (Festschrift H.Erbse) 230], Dennoch bleibt es bezeichnend genug, daß Tacitus im Jahre 70 n. Chr. den Cerealis erklären l äß t (His t . 4, 74, 1): nos . . . iure victoriae id solum vobis addidimus, quo pacem tueremur; nam neque quies gentium sine armis neque arma sine stipendiis neque stipendia sine tributis haberi queunt. So ha t t e schon Cicero in dem Schreiben an seinen Bruder Quintus die römische Herrschaft gerechtfertigt. Wenn Cerealis in seiner Rede f o r t f ä h r t : cetera in communi Sita sunt: ipsi plerumque legionibus nostris praesidetis, ipsi has aliasque provincias regitis; nihil separatum clausumve, so richten sich diese Worte an die mit dem römischen Bürgerrecht ausgezeichneten Gallier und sind im Jahre 70 eine gewaltige Ubertreibung. Wenn es dann weiter he iß t : proinde pacem et urbem, quam vidi victoresque eodem iure obtinemus, amate colite (a. O. § 3), so zeigt sich, daß auch für Cerealis (und d. h. für Tacitus) ebenso wie für Aristides nicht die Zugehörigkeit zum Imperium an sidi, sondern die damit gegebene Möglichkeit, das römische Bürgerrecht und damit die Teilhabe an der Herrschaft zu erlangen, das Wesentliche war.

, s Tert. Apolog. 31, 3. M Constantin bei Euseb., Vita Const. 2, 19, 1; 65, 1; 69, 1. Symmachus, Orat. 4, 6

(anno 376). Augustin, De civ. Dei 3, 1. Oros. 5, 22, 7. 7, 22, 9. Jordanis, Getica

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klären . . pati vos non credimus inter utrasque res publicas, quarum semper unum corpus sub antiquis principibus fuisse declarator, aliquid discordiae permanere®5. Audi im römischen Reich des Mittelalters lebte die Vorstellung vom Reichskörper fort. Sie begegnet noch unter dem Stauferkaiser Friedrich II., von dem der Dominikaner Bartholomaeus in einem Brief im Jahre 1241 in Anlehnung an den bekannten Gedanken Senecas schrieb: ipse ... versus Romam iter suum dir exit intendens in mundi capite potentie et etiam clementie sue signa relinquere, ut virtus α capite in membra diffundaturm.

172 p. 102, 24 (MOMMSEN). Vgl . ebda. 145 p. 96, 5 (MOMMSEN), WO die Wendung im Hinblick auf die gotischen Truppen im Imperium gebraucht wird. Claudian (In Rufinum 2, 238 f.) spricht vom non dissociabile corpus im Hinblick auf die ver-einigten west- und oströmischen Truppen unter Stilidio. Dieser erscheint bei Clau-dian (De laud. Stilidi. 3, 129) als ,restaurateur de l'unite' (BERANGER): capitique errantia membra reponit.

' 5 Cassiod. Varia 1, 1, 4 p. 10, 22 (MOMMSEN). Dazu W. SUERBAUM a. O. 250 f. — Auch in einem Edikt Athalaridis vom Jahre 527 (Cassiod. Varia 9, 2, 1 p. 262) be-gegnet das Bild vom Staatskörper — übrigens wieder in Verbindung mit der cura des Herrschers: Qui rei publicae statum et generale cupit stare fastigium, ad uni-versa debet esse sollicitus, quia non est salus in corpore, nisi quam et membra potuerint optinere, iniuria unius loci compago tota concutitur et tanta convenien-tiae vis est, ut unum vulnus ubique credas accipi, quando illa coeperit condolere. res publica siquidem non est unius civitatis cura, sed totius regni provisa custodia: quapropter si quid ex ipsa minuitur, in origine dispendia sentiuntur. minus enim habere necesse est, cui aliquid perit. et ideo diversarum civitatium pervigil nos cura sollicitat, ne permissa longius mala possint gravare palatia.

" J . F. BÖRNER, Regesta imperii V 3209. Zitiert nach E. KANTOROWICZ, Kaiser Fried-rich der Zweite. Ergänzungsband, Berlin 1931, 183. — Vgl. auch die Mediatio prin-cipum vom Jahre 1232, wo es heißt: Tronus imperialis, cui velut capiti membra coniungimur, sie nostris insedet humeris et nostra compage firmatur, ut et imperium quadam excellenti magestate premineat et noster ab eo rejulgeat prineipatus (Mon. Germ. Hist. Legum Sectio IV. Constitutiones II Nr. 170 p. 210, 15). Ähnlich sagt Friedrich II. in der Constitutio in favorem prineipum des gleichen Jahres (a. O. Nr. 171 p. 211, 31) von den Fürsten: in quibus velut honorabilibus membris insidet caput. Hier liegt aber offenbar nicht die Vorstellung vom Staatskörper zugrunde. Das Vorbild scheint vielmehr ein Gesetz der Kaiser Arcadius und Honorius vom 4. September 397 (Cod. Theod. 9, 14, 3 = Cod. Just. 9, 8, 5) zu sein, in dem die Mitglieder des kaiserlidien consistorium und die Senatoren als pars corporis nostri bezeichnet werden. — Eine große Rolle spielte im späten Mittelalter die Vorstel-lung vom corpus rei publicae mysticum. Dazu s. Ε. H. KANTOROWICZ, The King's Two Bodies, Princeton 1957, 193 ff. (Den Hinweis auf dieses wichtige Werk ver-danke ich meinem Kollegen R. HIESTAND.)

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