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Rubrik 2 www.didacta-magazin.de 4/2013 D er Schulgong klingelt, die Physik- stunde an der St. Ursula-Schule in Hannover ist aus, zwischen den Stuhlreihen verbleiben Papier- schnipsel und an der Tafel eine überdimensionale Wertetabelle. Phy- siklehrer Andreas Reincke hat in der Stunde nicht alles geschafft, was er sich vorgenommen hatte. „Bitte schaut ins Netz!“ ruft er den Elftklässlern hin- terher. „Früher hätte ich die Stunde in die Pau- se überziehen oder den Stoff auf die nächste Stunde verschieben müssen“, sagt der Physiklehrer. Früher, das war, als das Gymnasium noch keine Lern- plattform im Internet hatte. Seit einem Jahr jedoch verweist Reincke nach jeder Stunde auf die Plattform, eine Art sozia- les Netzwerk für Schüler, Lehrer und El- tern, mit Lern- und Klassengruppen für jedes Unterrichtsfach, Chats und Nach- richtenfunktion, Terminen und Unter- richtsmaterialien. Auf der Kommunikati- onsplattform steht schon morgens, ob Unterricht ausfällt oder die Schultasche doch anders gepackt werden muss, ob es Stundenplanänderungen oder Kurs- neuigkeiten gibt. In der Parallelschule Nach der Schulstunde geht es im Internet weiter: Schulnetzwerke verändern die Kommunikation zwischen Lehrern und Schülern, Schule und Elternhaus. Text Kaja Godart Nach Schulschluss setzt sich Reincke an seinen Rechner zu Hause, stellt die Wertetabelle ein und schreibt, was damit bis zur nächsten Stunde getan werden soll. Seit etwas mehr als einem Jahr arbeiten die rund 1100 Schüler und Lehrer des St. Ursula Gymnasiums mit der interaktiven Onlineplattform Edy- ou. Hausaufgaben machen ist seitdem anders geworden. Zwar sitzen die Schüler immer noch alleine zu Hause, sind aber über ihren Rech- ner mit den Lehrern und Mitschülern verbunden, kön- nen chatten, fra- gen und diskutie- ren. Das finden die Schüler praktisch, irgendein Mitschüler oder Lehrer antwortet immer. „Die Schüler se- hen, ob jemand anderes gera- de an der gleichen Aufgabe sitzt und können über das Chatfenster mit ihm in Kontakt treten“, erklärt Reincke. Er stellt zusätzliche Übungsaufgaben für stärke- re und schwächere Schüler online, im Unterricht komme das differenzierte Ar- Die Schüler sehen, ob jemand anderes gerade an der gleichen Aufgabe sitzt und können über das Chatfens- ter mit ihm in Kontakt treten. beiten ja oft viel zu kurz, sagt er. „So be- laste ich nicht den Unterricht, aber lasse besonders starke oder schwache Schü- ler auch nicht hängen, sondern gebe ihnen die Möglichkeit, sich freiwillig mit zusätzlichem Stoff zu beschäftigen.“ Irgendwann demnächst, hofft Reincke, werden alle Lehrer und Schüler auf der Plattform für jedes Unterrichtsfach ei- nen eigenen Bereich vorfinden, wenn alle Lehrer entspre- chende Lerngruppen eingerichtet haben. Einen Euro pro Schüler zahlt die Schule für das Edyou Netzwerk an das Start-up zweier junger Ber- liner. „Wenn wir an unsere Schulzeit zu- rückdenken, haben wir ein soziales Netzwerk vermisst, das nicht nur zur Kommunikation mit ande- ren Mitschülern dient, sondern auch als informative Plattform fungiert“, erklären die 25-jährigen Gründer Felix Merchand und Christopher Bick. Dabei, so sagen sie, wollen sie kein zweites Facebook

Rubrik Paralelschue D - edyou.eu · Rubrik 2 4/2013 4/2013 3 D er Schulgong klingelt, die Physik-stunde an der St. Ursula-Schule in Hannover ist aus, zwischen den Stuhlreihen verbleiben

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Page 1: Rubrik Paralelschue D - edyou.eu · Rubrik 2 4/2013 4/2013 3 D er Schulgong klingelt, die Physik-stunde an der St. Ursula-Schule in Hannover ist aus, zwischen den Stuhlreihen verbleiben

Rubrik

2 www.didacta-magazin.de 4/2013 4/2013 www.didacta-magazin.de 3

Der Schulgong klingelt, die Physik-stunde an der St. Ursula-Schule in Hannover ist aus, zwischen den Stuhlreihen verbleiben Papier-schnipsel und an der Tafel eine

überdimensionale Wertetabelle. Phy-siklehrer Andreas Reincke hat in der Stunde nicht alles geschafft, was er sich vorgenommen hatte. „Bitte schaut ins Netz!“ ruft er den Elftklässlern hin-terher.

„Früher hätte ich die Stunde in die Pau-se überziehen oder den Stoff auf die nächste Stunde verschieben müssen“, sagt der Physiklehrer. Früher, das war, als das Gymnasium noch keine Lern-plattform im Internet hatte. Seit einem Jahr jedoch verweist Reincke nach jeder Stunde auf die Plattform, eine Art sozia-les Netzwerk für Schüler, Lehrer und El-tern, mit Lern- und Klassengruppen für jedes Unterrichtsfach, Chats und Nach-richtenfunktion, Terminen und Unter-richtsmaterialien. Auf der Kommunikati-onsplattform steht schon morgens, ob Unterricht ausfällt oder die Schultasche doch anders gepackt werden muss, ob es Stundenplanänderungen oder Kurs-neuigkeiten gibt.

In derParallelschuleNach der Schulstunde geht es im Internet weiter: Schulnetzwerke verändern die Kommunikation zwischen Lehrern und Schülern, Schule und Elternhaus. Text Kaja Godart

Nach Schulschluss setzt sich Reincke an seinen Rechner zu Hause, stellt die Wertetabelle ein und schreibt, was damit bis zur nächsten Stunde getan werden soll. Seit etwas mehr als einem Jahr arbeiten die rund 1100 Schüler und Lehrer des St. Ursula Gymnasiums mit der interaktiven Onlineplattform Edy-ou. Hausaufgaben machen ist seitdem anders geworden. Zwar sitzen die Schüler immer noch alleine zu Hause, sind aber über ihren Rech-ner mit den Lehrern und Mitschülern verbunden, kön-nen chatten, fra-gen und diskutie-ren. Das finden die Schüler praktisch, irgendein Mitschüler oder Lehrer antwortet immer. „Die Schüler se-hen, ob jemand anderes gera-de an der gleichen Aufgabe sitzt und können über das Chatfenster mit ihm in Kontakt treten“, erklärt Reincke. Er stellt zusätzliche Übungsaufgaben für stärke-re und schwächere Schüler online, im Unterricht komme das differenzierte Ar-

Die Schüler

sehen, ob jemand anderes gerade an der

gleichen Aufgabe sitzt und können über das Chatfens-

ter mit ihm in Kontakt treten.

beiten ja oft viel zu kurz, sagt er. „So be-laste ich nicht den Unterricht, aber lasse besonders starke oder schwache Schü-ler auch nicht hängen, sondern gebe ihnen die Möglichkeit, sich freiwillig mit zusätzlichem Stoff zu beschäftigen.“ Irgendwann demnächst, hofft Reincke, werden alle Lehrer und Schüler auf der Plattform für jedes Unterrichtsfach ei-

nen eigenen Bereich vorfinden, wenn alle Lehrer entspre-

chende Lerngruppen eingerichtet haben.

Einen Euro pro Schüler zahlt die Schule für das Edyou Netzwerk an das Star t-up

zweier junger Ber-liner. „Wenn wir an

unsere Schulzeit zu-rückdenken, haben wir ein

soziales Netzwerk vermisst, das nicht nur zur Kommunikation mit ande-ren Mitschülern dient, sondern auch als informative Plattform fungiert“, erklären die 25-jährigen Gründer Felix Merchand und Christopher Bick. Dabei, so sagen sie, wollen sie kein zweites Facebook

Page 2: Rubrik Paralelschue D - edyou.eu · Rubrik 2 4/2013 4/2013 3 D er Schulgong klingelt, die Physik-stunde an der St. Ursula-Schule in Hannover ist aus, zwischen den Stuhlreihen verbleiben

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4 www.didacta-magazin.de 4/2013

aufbauen: „Wie wol-len lediglich eine siche-re und attraktive Alternative für die Inhalte des Schulalltages bieten.“

Der Markt der internetbasierten Schul-netzwerke wächst kontinuierlich. Er teilt sich in Verwaltungssoftwareanbieter mit technisch ausgeklügelten Lösun-gen, E-learning-Angebote und Schüler-Lehrer-Kommunikationssysteme. Einige Plattformen richten sich an die Schulver-waltung, andere unterstützen die Schü-ler beim Lernen. Viele Anbieter bieten alles in einem, und umwerben die Schu-len mit umfangreichen Komplettpaketen, versprechen ein Kommunikationssystem für Schule und Verwaltung, Lehrer und Schüler, Unterricht und Elternhaus. Alles soll online miteinander verknüpft, die Organisation rund um den Schulalltag erleichtert, die Kommunikation schnel-ler werden, weil alle immer und überall darauf zugreifen können. Lehrer sollen sich nicht nur im Lehrerzimmer und Schüler sich nicht nur im Klassenraum treffen. Auf fast allen Schüler-Lehrer-Kommunikationsplattformen können Unterrichtsmaterialien, Bilder und Videos hoch- und heruntergeladen, geteilt oder bearbeitet werden. Der Unterricht profitiert davon enorm, fin-det Reincke.

Neben Kommunikation und Unterrichts-foren geht es vielen Anbietern auch um Lernerfolgsmessung, wie auf der Platt-form Info Mentor. Hier können Schüler ihre Lernfortschritte auswerten lassen und die Schule ihre Statistiken mit we-nigen Klicks abrufen. Eine große Chance bieten die Schulnetzwerke auch für die Elternkommunikation. Die Wirtschafts-schule Neuburg an der Donau testet seit

September die Plattform Anton, um im Rahmen einer vom bayerischen Kultus-ministerium ins Leben gerufenen Initiati-ve, die Kommunikation zwischen Schule und Elternhaus zu verbessern. Eltern können beispielsweise Abwesenheits-zeiten oder Noten ihrer Kinder einsehen.

Auch an der St. Ursula-Schule können sich neuerdings auch die Eltern einlog-gen: „Wir haben eigene Gruppen nur für die Eltern“, berichtet eine Mutter, „ohne Einfluss der Schule können wir uns hier über den Schulalltag austauschen.“

Alles soll online miteinander verknüpft,

die Organisation rund um den Schulalltag erleichtert,

die Kommunikation schneller werden, weil alle immer und

überall darauf zugreifen können.

wenn al le techni -schen Maßnahmen er-

griffen und auf dem aktu-ellsten technischen Stand sind,

wie zum Beispiel aktuelle Firewalls, Virenscanner und eine verschlüsselte Datenübermittlung, ist immer noch der Zugangsberechtigte Mensch das größte Risiko.“ Persönliche Log-ins, Freischal-tung jedes einzelnen Teilnehmers durch einen Administrator und eingehende Be-ratung seien hier grundlegend. Auch an der St. Ursula-Schule versucht man sich gegen Missbrauch mit einer Art Kin-dersicherung zu schützen, erklärt Rein-cke. Das System wird nach gewissen Schlagworten durchscannt und meldet Verstöße an den Administrator. Neulich ging eine Warnung des Systems bei Reincke ein: In einem Schülerchat ging es um Rettungsmesser und Waffenge-schäfte. Kurz darauf klärte sich, was die Software nicht wissen kann: Die beiden Schüler waren Schulsanitäter und hatten sich über ihre Ausrüstung unterhalten.

Viele Anbieter entwickeln derzeit mobile Versionen für Smartphones und Tablets. „Ein gutes System er-kennt man daran“, erklärt Stephan Scharnagl, „dass es ein hohes Maß an Flexibilität besitzt und von jedem

beliebigen Endgerät aus einfach und sicher zu bedienen ist.“

Dennoch müsse man schon ein biss-chen mehr Zeit einplanen, bis man sich auf einer neuen Schulplattform zurecht-findet und es in die Unterrichtsvor- und -nachbereitung eingeplant hat, gesteht Physiklehrer Reincke. Doch nun, nach einem Jahr mit der Lernplattform, kön-nen er und seine Schüler sich die St. Ursual-Schule gar nicht mehr ohne die Plattform vorstellen.

Diese Menge an sensiblen Daten erfor-dert hohe Sicherheitsstandards. Einige Anbieter setzen daher auf ähnliche Me-chanismen wie Banken bei ihren On-linebanking-Portalen. Dennoch, warnt Stephan Scharnagl vom Verwaltungs-softwareanbieter Campus Lan: „Auch