7
Rundschau 2. Tagung ffir Erkenntnislehre der exakten Wissenschaften. Die Tagung, deren Programm wir in Heft I, S. 8o, mitgeteilt haben, hat am 5. bis 7. September in Ktinigsberg unter grot3er Beteiligung stattgefunden. Die enge Ver- flechtung mathematischen, physikallschen und philosophischen Denkens erweckte reges Interesse, besonders auch bei den gleichzeitig tagenden Fachwissenschaftlern. Die an die Vortr~ge angeschlossenen Diskussionen konnten zur Kl~rung der Prolffeme Wesentliehes beitragen. Die Vortr~tge und Diskussionsbemerkungen werden in Jahrgang II der ,,Erkenntnis" vertiffentlicht werden, ~hnlich wie dies bereits fiir die I. Tagung fiir Erkenntnislehre in Prag geschehen ist. H.R. Kurzer Bericht iiber den VII. Internationalen Philosophenkongrefl zu Oxford (1.-- 5. Sept. 193o ). Es war sieherlich ein hiibscher Gedanke, den VII. Inter- nationalen Philosophenkongret3 -- der letzte Kongrefl dieser Art land vet vie r Jahren in l~eapel start - - gerade in diese Stadt zu verlegen, deren genius loci ein philo- sophischer genannt werden daft: Oxford ist ja die Stadt, in der Berkeley begraben ]iegt; we im Mittelalter Duns Scotus wirkte und Wilhelm yon Ockham, vor ibm noeh Roger Bacon, seinen Studien olffag. Und besonders im XIX. Jahr- hundert stellt Oxford einige markante Denker in die philosophische Arena: denken wir bloi3 an T. H. Bradley oder an den- noeh heute deft t~tigen- F. C. S. Schiller, den Begriinder des sog. Humanismus. Gewis der Ort war gut gew~hlt fiir eine gros philosophisehe Zusammenkunftl Eine andere Frage ist freilich die, ob die konkrete Organisation dieses aus fast allen Teilen der Welt reichlieh beschickten Kongresses eine ebenso gliickllche war. Hier sind wolff versehiedene Auffassungen m~glich. Im ganzen wird man vielleicht sagen dfirfen, dat3 eine etwas sorgf~ltigere Regie, ich meine: eine etwas strammere Zusammenfassung der Referate und -- Referenten reeht angenehm empfunden worden w~re. Dies, trotzdem das Lokalkomitee redlieh bestrebt war, dureh Festsetzung bestimmter Vortrags- bzw. Diskussionsthemen einen gewlssen Rahmen zu schaffen, dcr Redner und Reden zusammenhalten sollte. Allein dieser Gedanke wurde nur bei wenigen Themen tats~chlich durehgefiihrt, h~ufig schien zwischen den einzelnen Vortragenden der ,,Verbindungsoffizier" gefelfft zu haben: so ergaben sich unter den Vortr~gen vielfaeh ~bersehneidungen, ja rnanehmal f~rm]iche Doubletten; w~hrend auf der anderen Seite das gelegentlich arg verschobene Thema geradezu den Fdndruck einer ~ttrappe" erweekte, m Auch die Diskussion entgleiste nicht selten. W~ren diese, mehr ~us M~ngel -- wie eben angedeutet -- vieUeieht durch eine geschickte Regie vermeidbar gewesen, so gibt es freilich for die Gewinnung einer besonders reichen, gedankhchen Ausbeute bei solchen Anlassen wohl iiberhaupt kein wirksames Rezept. Hier tut vielder KAIROS, der gliickhche Zeitpunkt, der

Rundschau

  • Upload
    hr

  • View
    213

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

R u n d s c h a u 2. T a g u n g ffir E r k e n n t n i s l e h r e der exa k t e n Wissenschaf ten . Die

Tagung, deren Programm wir in Heft I, S. 8o, mitgeteilt haben, hat am 5. bis 7. September in Ktinigsberg unter grot3er Beteiligung stattgefunden. Die enge Ver- flechtung mathematischen, physikallschen und philosophischen Denkens erweckte reges Interesse, besonders auch bei den gleichzeitig tagenden Fachwissenschaftlern. Die an die Vortr~ge angeschlossenen Diskussionen konnten zur Kl~rung der Prolffeme Wesentliehes beitragen. Die Vortr~tge und Diskussionsbemerkungen werden in Jahrgang II der ,,Erkenntnis" vertiffentlicht werden, ~hnlich wie dies bereits fiir die I. Tagung fiir Erkenntnislehre in Prag geschehen ist. H .R .

Kurze r Ber icht iiber den VII . In t e rna t iona l en Phi losophenkongref l zu Oxford (1.-- 5. Sept. 193o ). Es war sieherlich ein hiibscher Gedanke, den VII. Inter- nationalen Philosophenkongret3 - - der letzte Kongrefl dieser Art land vet vie r Jahren in l~eapel start - - gerade in d iese Stadt zu verlegen, deren genius loci ein philo- sophischer genannt werden daft: Oxford ist ja die Stadt, in der B e r k e l e y begraben ]iegt; we im Mittelalter D u n s Sco tu s wirkte und W i l h e l m y o n O c k h a m, vor ibm noeh R o g e r Bacon, seinen Studien olffag. Und besonders im XIX. Jahr- hundert stellt Oxford einige markante Denker in die philosophische Arena: denken wir bloi3 an T. H. B r a d l e y oder an d e n - noeh heute deft t ~ t i g e n - F. C. S. Sch i l l e r , den Begriinder des sog. Humanismus. Gewis der Ort war gut gew~hlt fiir eine gros philosophisehe Zusammenkunftl

Eine andere Frage ist freilich die , ob die konkrete Organisation dieses aus fast allen Teilen der Welt reichlieh beschickten Kongresses eine ebenso gliickllche war. Hier sind wolff versehiedene Auffassungen m~glich. Im ganzen wird man vielleicht sagen dfirfen, dat3 eine etwas sorgf~ltigere Regie, ich meine: eine etwas strammere Zusammenfassung der Referate und - - Referenten reeht angenehm empfunden worden w~re. Dies, trotzdem das Lokalkomitee redlieh bestrebt war, dureh Festsetzung bestimmter Vortrags- bzw. Diskussionsthemen einen gewlssen Rahmen zu schaffen, dcr Redner und Reden zusammenhalten sollte. Allein dieser Gedanke wurde nur bei wenigen Themen tats~chlich durehgefiihrt, h~ufig schien zwischen den einzelnen Vortragenden der ,,Verbindungsoffizier" gefelfft zu haben: so ergaben sich unter den Vortr~gen vielfaeh ~bersehneidungen, ja rnanehmal f~rm]iche Doubletten; w~hrend auf der anderen Seite das gelegentlich arg v e r s c h o b e n e Thema geradezu den Fdndruck einer ~ t t r a p p e " erweekte, m Auch die Diskussion entgleiste nicht selten.

W~ren diese, mehr ~us M~ngel - - wie eben angedeutet - - vieUeieht durch eine geschickte Regie vermeidbar gewesen, so gibt es freilich for die Gewinnung einer besonders reichen, gedankhchen Ausbeute bei solchen Anlassen wohl iiberhaupt kein wirksames Rezept. Hier tut v ie lder KAIROS, der gliickhche Zeitpunkt, der

Rundschau 415

neue interessante Gedankenbildungen gerade ffir eine solche Versammlung reif machen kann - - oder auch nicht.

So betrachtet, stand nun dieser KongreB schwerlich unter einem besonders gfinsfigen Stern. Kaum eine der dort geredeten Abhandlungen er0ffnete wlrkhch groBe, unerwartete Perspektiven. Kaum eine Rede rib bier, wurde zum Erlebnis. Auch die altberfihmten Namen - - ein Croce , ein A l e x a n d e r , ein D r i e s c h - - , die ungliicklicherweise auch fast stets fiber ein yon ihrem eigenthchen Arbeitsfelde mehr oder mlnder abhegendes Thema sprachen ( A l e x a n d e r z .B. tiber ~-sthetik), ent- tiiuschten einigermaBen.

Dazu t ra t noch ein Zweites. Nicht wenige Vortrtige - - namentlich unter den angelstichsischen Referaten - - waren allzu sehr ira Gedankenstil der traditionellen Schulphilosophie gehalten: meist metaphysisch auslaufend, spirituallstisch get0nt, sanft theologisch gefiirbt. Man hat te manchmal den Eindruck, dab die gew~hlte Behandlungsart wichtige Forderungen und Ergebnisse des heutigen Denkens voll- kommen fibersah. Auf einigen Referaten lag wirklich eine dicke Schicht grtiner Patina.

Mit diesen Bemerkungen soll allerdings keineswegs geleugnet werden, dab der KongreB im einzelnen manches Scht~ne gebracht habe. Freihch kann aus Raum- grunde im folgenden nur ein kurzer Hinweis auf einige markantere Erscheinungen gegeben werden.

Aus den VortrAgen des ersten KongreBtages (2. Sept.) wiire vielleicht ein Referat yon C.E .M. J o a d (London), , ,Der T a t b e s t a n d de r S i n n e s w a h r n e h m u n g i n B e z i e h u n g a u f die w i s s e n s c h a f t l i c h e E r k e n n t n i s " , hervorzuheben. Der Vortragende polemisierte gegen die, yon ibm als ,,idealistlsch" bezeichnete Auf- fassung, dab das moderne physikalische Weltbild nur die Realltt~t eines Denkproduktes besitze (er dachte dabei besonders an E d d i n g t o n s letzte Schrlftl). Diese Auffassung sei unhaltbar: in der Sinneserfahrung, in der wissenschafthchen Forschung wie auch im mystischen Erlebnis kiimen wit zwar in Kontakt mit verschiedenen Ordnungen der Wirkliebkeit, abet alle diese Ordnungen seien g l e i c h r ea l , es habe keinen Sinn, die sinnliche oder die wissenschaftliche Erfahrung ftir ,,subj ektiv" zu erkliiren. Sondern dleselbe ,,geistige Aktivit~it des Bemerkens" (mental activity of awareness) sei in a l l e n Typen tier Erfahrung am Werke, nur eben auf verschiedene Wirklichkeits- ordnungen gerichtet. - - Derselbe Tag brachte auch einen Vortrag N i k o l a i H a r t - m a n n s (K01n) fiber die , , K a t e g o r i e n de r G e s c h i c h t e " . Sie sollen als Kategorien des geschichtlichen Se ins verstanden werden, als Kategorien des geschichtlichen Prozesses. Bereits H e g e l ffihrte in diesem Sinn den Begriff ,,objekfiver Geist" ein. Aber Hege l s Geschichtsteleologie sei ,,in jeder Hinsieht unhaltbar". Nach H a r t - m a n n s Meinung besitzt der objektive Geist in der Geschichte ,,weder eine physische, noch eine psyehisehe, sondern eine eigentfimlich geistig-geschichtliche Eigengesetzlieh- keit". ,,Das Merkwfirdige an ihm ist, dab er yon sieh aus kein adiiquates BewuBtsein seiner selbst hat ." Und auch das BewuBtsein, das die lebenden Individuen yon ihm haben, sei ein sehr l(ickenhaftesl Im p o l i t i s c h e n Leben mache sich dieses Fehlen des adAquaten BewuBtseins aufs empfindlichste ffihlbar, weil dann - - das individuelle BewuBsein ht~ufig an Stelle des fehlenden GemeinbewuBtseins trete. - - Zur Frage: , , I s t d ie U n t e r s e h e i d u n g y o n m o r a l i s c h e m R e c h t u n d U n r e c h t e n d - g f i l t i g ? " sprach am selbenTage F. C. S. S c h i l l e r (Oxford). S c h i l l e r meinte: Vor Aufrichtung irgendeiner ethischen TheoHe, welche diese Unterscheidung als Basis rdmmt, mfisse eine systematische Untersuehung fiber ihre g e o g r a p h l s c h - l i n g u i s t i s c h e V e r b r e i t u n g stattfinden. Es wfirde sich dann ergeben, dab eine ganze Reihe europiiischer Sprachen (z. B. das Deutsche, Schwedische u .a . ) eine p o s i t i v e Bezeiehnung fiir den bier gemeinten Tatbestand fiberhaupt nicht hahen! Freiheh spreche diese Feststellung noch nicht ohne weiteres gegen eine Verwendung

416 Rundschau

jener Distinktion. Und von seinem ,,humanistischen" Standpunkte ftigte S c h i l l e r hinzu" Wenn diese Unterscheidung ,,gut arbeitet" und die menschlichen Neigungen kontrollieren hilft, werden wir sie doch als wertvoll ansehen[ Man kann sie ver- wenden in einem n a t f i r l i c h e n Sinn, der sich weder dem N a t u r a l i s m u s noch dem S u p r a n a t u r a l i s m u s in die Arme wirft.

Ferner analysierte noch H. G o m p e r z (Wien) in sehr feiner Weise , , P l a t e n s P h i l o s o p h i s c h e s S y s t e m " . Er nannte es ein , , A b l e i t u n g s s y s t e m " : Ihm sei die Aufgabe gestellt, darzutun, dai3 die Dinge durch die Ideen, die Ideen durch die Zahlen, diese durch die Urfaktoren bedingt sind. In dieser Formel bedeute das ,,Frtihersein" vor allem logische Priorit~it, freilich eine solche, die einen Zug yon wirldicher Abh~ingigkeit des ,,Sp~iteren" in sich schlSsse, jedoch auch ein Hervor- gehen in der Zeit nlcht ganz und gar aussctd~sse. Dieser Auffassung zufolge besteht also die Summe des Platonismus ,,nicht lediglich in der Entgegensetzung der ewigen Ruhe wandelloser Musterbilder und des best~indigen Flusses der Sinnendinge".

Am gleichen Tage sprach F. E n r i q u e s (Rein) tiber , , A t o m t h e o r i e u n d D e t e r m i n i s m u s " . Sein Vortrag (der infolge Zeitknappheit leider nicht, gleich den meisten andereI1, in Druck gelegt worden war) erSrterte besonders die Frage, ob der heute vielfach aus der modernen Quantentheorie und WeUenmechanik ab- geleitete I n d e t e r m i n i s m u s ein empirisches Faktum eder eine philosophische Theorie sei. E n r i q u e s entschled sich ftir letzteres. Die indeterministischen Anschauungen bez~gen ihre Kraft nur aus der bekannten Situation, dab die makrophysischen Prozesse lediglich den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit folgen. Da aber die eigentlichcn Vor- g~inge im Atomkerne uns heute noch so gut wie unbekannt seien, sei es nicht aus- geschlossen, daft kfinftige Forschung sich neuerdings zum Determinismus bekenne. Der Vortragende schloB mit einem E i n s t e i n - Z i t a t , in welchem ftir sp~itere Zeiten ein ,,an die Strenge der N ewtonschen Physik heranreichender" Determinisrnus in Aussicht gestellt wird. - - J o e r g e n J o e r g e n s e n (Kopenhagen), der, ansctflieBend an E n r i q u e s , die , , M e t a p h y s i s c h e n K o n s e q u e n z e n de r n e u e s t e n p h y s i - k a l i s c h e n T h e o r i e " besprach, gab der Ansicht Ausdruck, daft jene neue Lehre die landl~ufigen Vorstellungen yon Natur und Welt ,,in mindestens zwei oder drei Punkten redikal ver~indern mtisse": n~imlich e r s t e n s , in bezug auf die S t r u k t u r der Welt, z w e i t e n s , in bezug auf den S t o f f der Welt, vielleieht auch noch d r i t t e n s , in bezug auf die R e a l i t ~ t der Welt. (Die weiteren kritischen Ausftihrungen J o e r g e n - sens , die wohl h~chstens das Weltbild des naiven Realismus ernstlich gef~ihrden mSgen, k~nnen kaum als sehr ertragreich und gewit3 nicht als ,,metaphysisch" an- gesehen werden.)

Am 2. Kongrefltage (dem 3- Sept.) sprachen mehrere Teilnehrner zu dem Thema: , ,Mfissen b i o l o g i s e h e V o r g g n g e e n t w e d e r t e l e o l o g i s c h ode r m e c h a n i s c h s e i n ? " - - I-Iier versuchte E. U n g e r e r (Karlsruhe) fiber , , K e n n z e i c h n u n g u n d E r k l g r u n g des o r g a n l s c h e n L e b e n s " Aufschlufl zu geben. ]~r fflhrte u. a. aus: Erkenutnis der Organismen und der in ihnen gegebenen Lebensvorggnge bedeutet Kennzeichnung und Erkl/irung besonderer Naturgegebenheiten. Wit stehen bei der Erklgrung der Lebenserscheinungen zwei Gruppen yon Lehren gegentiber. Die erste umfaflt die m o n i s t i s c h e n (fglschlich m e c h a n i s t i s c h genannten); die zweite die d u a l i s t i s c h e n (wegen der behaupteten Sonderstellung des Lebens: v i t a l i - s t i s c h e n ) Theorien. - - Zur ersten Gruppe geh~re die physikalische , , M a s c h i n e n - t h e o r i e " des Lebens; ferner die moderne (immer noch physikalisch denkende) , , G e s t a l t t h e o r i e " ; schlieBlich noch eine ,,Theorie der G a n z h e i t s g e b i l d e " . Die zweite Gruppe erstrecke sich auf die , , o r g a n i s m i s c h e " Theorle des Lebens und die (fiber-kausal verfahrende) , F r e i h e i t s t h e o r i e " . - - Wie U n g e r e r behauptete, erledigen sich die ,,Maschinentheorie" und die ,,Freiheitstheorle" yon selbst, so das nurmehr zwischen den drei ,,Ganzheitstheorien" zu w~ihlen sei. Aber: ,,Zur btindigen Entscheidung zwischen den anorganischen Ganzheitstheorien und der organismischen

R u n d s c h a u 4 z 7

Theorie reicht unser heutiges Naturerkennen nicht aus!" (Es darf vielleicht an- gemerkt werden, dab U n g e r e r gerade einige der feinsten Ausgestaltungen bzw. Verteidigungen der ,,Maschinentheorie", wie sie z . B . Ad. S t S h r , J. S c h u l t z , M. $ c h l i c k gegeben haben, vollkommen unter den Tisch fallen I~s - - Nach U n g e r e r unternahm es F . J . E . W o o d b r i d g e (New York), , , F o l g e r u n g e n aus d e r g e n e t i s e h e n M e t h o d e " zu ziehen, wobel er dem Vitahsmus starke Konzessionen machte. Far W o o d b r i d g e findet die ,,genetiscbe Methode" auf alle Prozesse An- wendung, die, mSgen sie nun eigentlicb geplant sein oder nicht, uns einen Plan zeigen, dessen Verwirklichung mit dem Fortschreiten jener Prozesse selbst fortschreitet. Die hierbei wirksamen Faktoren wolle eben die ,,genetische Methode" aufdecken. Nut im Rabmen dieses beobaehteten Planes sollen sich diese Prozesse untersuchen und analysieren lassenl Durch diese Tatsache erhalte der ,,Plan" eine gewisse , , P r i o r i t ~ t " . Damit sei abet schon ein teleologischer Tatbestand der genetisehen Forschung gegeniibergestellt. - - Gibt es hier einen Fortschritt des Erkennens ? Nach W o o d b r i d g e eigentlich nicht: ,,Die genetische Methode l~t3t das Faktum der Teleologie genau dort liegen, wo sie es land, als einen beobachteten Zug des Materials, mit dem sie sich befaflt, ohne die Teleologie zu erkl~ren oder wegzuerkl~ren."

Am Nachmittag sprach D. M i c h a l t s c h e v (Sofia) fiber ,,Die t r a d i t i o n e l l e L o g i k in n e u e r B e l e u c h t u n g " . Er polemisierte heftig gegen die yon ibm als ,,traditioneU" bezeichnete Auffassung yon der Logik, die, wie er meinte, vor ahem den schweren Fehler mache, yon dem logischen Denken als einer ,,TRtigkeit" des Bewufltseins zu sprechen. Diese Auffassung mfisse fallenl Der Vortragende skizzierte eine Logik, ,,ffir die das Denken keine T~tigkeit des Bewut3tseins mebr ist, eine Logik, die keine Denkformen und keine Denkgesetze braucht" . Die Verwirklicbung dieser Reformideen fand er in der neuen , , L o g i k " J o h a n n e s R e h m k e s , des Begriinders der l,Philosophle als Grundwissenschaft", zu dessen feurigsten Anh~ngern M i c h a l t s c h e v bekannflich geh6rt.

Nacb M i e h a l t s e b e v sprach P a u l W e i s s (Harvard) fiber den , ,Begr i f f de r ( l o g i s c h e n ) F o l g e u n d die Z u k u n f t de r L o g i k " . Der Vortragende kniipfte an R u s s e l l s ,,Prineipia Mathenmtica" an. Dort bedeute der Begriff ]Folge (entailment) das ,,unter den Alternativen yon . . . Entbaltensein". Er driicke aus die Beziehung eines Teiles zu dem ihn enthaltenden Ganzen. Nach W e i s s ist dies abe t nu t die eine yon den zwei m6glichen Definitionen der ,1F01ge": dieser Ausdruck kann auch meinen: ,,einen spezifischeren Sinn haben als . . .". Die e x t e n s i o n a l e Logik (wie die der ,,Principia Mathematica") bescb~ftige sich nur mit der ersten, die i n t e n s i o n a l e Logik hingegen benutze die zweite Auffassung. Jene konstruiere Gruppen yon Alter- nativen dureh ~ u I3 e r e V e r b i n d u n g der Enti t~ten , deren Inhal t vernachl~ssigt werde; diese befasse sich mit Sinnbedeutungen, die miteinander in i n n e r e m Z u s a m m e n - b a n g stehen. - - Der Ausbau einer vollst~ndigen intensionalen Logik sei eine Forderung der Zukunft.

Am gleichen Tage noch gab H. D r i e s c h (Leipzig) in einem temperamentvollen Vortrage eine Kritik der ph~nomenologischen Gedankeng~inge (,,Die P b ~ n o m e n o - log ie u n d i h r e V i e l d e u t i g k e i t " ) : Es gebe drei berechtigte Formen der Ph~no- menologie, die friiber als deskriptive Psycbologie, Ontologie (ira Sinne einer Kate- goriea- und Bedeutungslebre) und als Definition empirlscher Begrlffe bezeichnet wurden. Eine ,,Wesensschau", w o e s slch um Empirisches handelt, sei abzulehnen. ,,Die Phiinomenologen werfen bier reine und empirische Bedeutungszusammenh~nge durcheinander, wie sie denn fiberhaupt k e i n e n scharfen Begriff der empirischen Wirklichkeit haben und den Begriff des Gegenstandes nicht genfigend gliedern." D r i e s c h meint, sie scbrleben dem Ich ,,ein ganz neues, sonst nicht irgendwie be- kanntes Schauensverm6gen zu". In der Ph~inomenologle sei ,alles auf Wfinsche gegriindet; man wfinsche ,,ein Wissen, das erstens unmittelbar in Vollendung erworben

418 Rundschau

und zweitens absolut ist". Die Phanomenologie, wie sie heute betrieben werde, sei eine Ge fah r fur die strenge Philosophie.

Aus den Verhandlungen des d r i t t e n Kongrei3tages (4. Sept.) sei zunachst ein Vortrag W. P. M o n t a g u e s hervorgehoben. ~.r versuchte elne , , V e r t e i d i g u n g der K a u s a l i t ~ t " , ohne freilich den gegenwt~rtigen Stand dieses Problems ntiher zu berficksichtigen. Seine Definition der Kausalitt~t lautete: ,,Wann immer zwei Erscheinungen h~ufiger zusammen auftreten, als nach ihrem unabh~ng~gen Vor- kommen erwartet werden darfte, nehmen wir zwischen ihnen eine kausale Beziehung an." Far die Annahme des Begriffs der Kausalitt~t, die ein ,,transzendentes Postulat" darstelle, giht es nach M o n t a g u e zwei Grfinde: Erstens, weil wit sie unmittelbar als unsere eigene A k t i v i t ~ t erleben, die dem Erlebnis den Charakter des Erzwingers (enforcement) verleihe; zweitens, weil die entgegengesetzte (ph~nomenalistische) Ansicht, die den Wahrscheirdichkeitsbegriff benutzt, ganz unzureichend bleibe.

L. B r u n s c h v i c q (Paris) und B. B a u c h (Jena) behandelten in je einem Vor- trag desselben Tages ,,Die B e z i e h u n g e n des w i s s e n s c h a f t l i c h e n D e n k e n s zum I d e a l der E r k e n n t n i s " . - - Das Ideal der Erkenntnis daft, nach B~run- s c h v i e g , nlcht aus logisch-dialektisehen Voraussetzungen, sondern nut aus dem lebendigen Gang der Wissenschaft selbst gewonnen werden: Die Philosophie, welche durch die Wissenschaft hindurch ging (,,la philosophie apr&s la science"), widersetze sich der vorwissenschaftlichen Metaphysik bis in die Wurzel unserer geistlgen Struktur hineinI Die moderne Physik habe uns die Uberzeugung gebracht, dab es keinen bevorzugten Standpunkt zur o p t i m a l e n Perzeption des Universums gebe. Das Wesen der Welt lasse sich sonach nicht durch eine Hierarchie van Essenzen oder Qualit~ten definieren, sondern nur durch eine Zusammenfassung van Perspektiven, die, van versehiedenen Zentren aus gefunden und miteinander durch Transformations- formeln verbunden, die Harmonie eines mathematischen Systems ergeben.

Nach B. B a u c h ist unser Ideal der Erkenntnis ,,in seinem letzten, • Grunde van der Idee der Wahrheit bestimmt". Die Wahrheit aber, als Zusammenhang obj ektiver Grundlagen und Geltungsbeziehungen, sei keine bloBe Abstraktion, sondern die ,,aberzeitlich-funktlonale Macht der Idee, Wirkliehes zu konstruieren".

An diesem Tage wurden auch einige ~ s t h e t i s c h e Probleme er8rtert. - - S. A l e x a n d e r (Manchester) spraeh fiber ,,Die W a h r h e i t , das Gute u n d die SchiJnhei t " . - - Der Kanstler stehe unter der doppelten Kontrolle des bearbeiteten Materials und der seiner eigenen Seele. Bei der Wahrheit und beim Guten werde diese doppelte Kontrolle durch eine e i n f a e h e ersetzt, nAmlich bei der Wahrheit durch die van seiten des Materials, belm Guten wiederum durch die van seiten der Seele. - - R. M f i l l e r - F r e i e n f e l s behandelte ,,Die B e d e u t u n g der Soz io log ie fur die %-sthetik". Sein Standpunkt wird kurz dureh folgenden Satz umsehrieben: ,,Es gibt keine ,Kunst an sieh', sondern nur eine ,Kunst fur iisthetisch erlebende Subjekte', die ihrerseits wieder nicht isoliert gesehen werden darfen, sondem nut in ihrer Eingliederung in soziale Gruppen verstanden werden ktinnen, wodurch ihr ~tsthetisches Erleben stets stark modifiziert wird."

Am letzten Tage (dem 5- Sept.) sprach M. Seh l i ek (Wien) tiber die , ,Zukunf t de r P h i l o s o p h i e " . Seine aufs knappste formullerten Gedankengiinge, die den Lesern dieser Zeitsehrift nicht mehr fremd sein darften, liefen (im AnsehluB an L u d w i g W i t t g e n s t e i n l ) auf zwei Thesen hinaus: E r s t e n s , die Philosophie ist keine Wissenschaft, z w e i t e n s , sie ist die geistige Tatigkeit, welehe die Ideen kliirt. Da die Philosophie keine Wissenschaft ist, kann sie natarlieh auch nieht in jene Einzeldiszipllnen zerfallen, die man ihr gew6hrdich unterordnet: viehnehr seien, wenn jene philosophische ,,Kl~trung" einmal vollzogen, Ethik, Asthetik, Psychologie usw. als selbstandige Wissenschaften anzusehen. In ferner Zukunft warden vielleieht keine Bacher mehr f iber Philosophie gesehrieben werden, aber alle Biicher in philo- sophischem Geiste.

Rundschau 419

Nach S c h l i c k sprach G.F . S t o u t (St. Andrews) fiher das Thema: , ,G ib t es v e r s c h i e d e n e A r t e n der E x i s t e n z ? " S t o u t verankerte diese Frage an dem Problem des Satzes (proposition): Objektiv sei ein Satz eine M S g l i c h k e i t ; und jede MSglichkeit bedeute MSglichkeit des realen Seins mit Bezug auf gewisse all- gemeine Bedingungen. Daher besitze sie einen subjektiv bestimmten, variableu Charakter, variabel niimlich je nach der Art und Weise, wie sich der Geist damit besch~ftigt. So ergeben sich die drei Arten des kategorischen, hypothetischen und disjunktiven Urteils. Werde aber die MSglichkeit r e in als M S g l i c h k e i t genommen, so trete noch die i t s t h e t i s c h e ; werde sie aber als willkfi r l i c h - v e r i i n d e r l i c h gesetzt, so trete noch die p r a k t i s c h e Alternative hinzu.

Schlie~lich sei aus den Verhandlungen des letzten Tages noch der Vortrag N. O. L o s s k y s (Prag) herausgehoben, der eine Begrfindung des yon diesem Denker vertretenen ,,Intuitionismus" bringen sollte (,,Die H a u p t m e r k m a l e e ines S y s t e m s de r L o g i k , g e g r f i n d e t au f I n t u i t i o n i s m u s in de r E r k e n n t n i s - t h e o r i e u n d I d e a l - R e a l i s m u s in de r M e t a p h y s i k " ) . Auf eine niihere Charakteristik der Lehrmeinungen dieses russischen Philosophen, die eine gewisse Anlehnung an die Gedankengitnge der deutscher, Phanomenologie versuchen, darf vielleicht verzichtet werden. K a r l R o r e t z , Wien.

T a g u n g der D e u t s c h e n P h i l o s o p h i s c h e n Gesel lschaf t in Bres lau yore I. bis 4. Ok tober i93o. Diese II . Tagung der Gesellschaft hesch~ftigte sich mit dem Thema G a n z h e i t u n d F o r m . Es soUte in erster Linie nicht die erkenntnis- theoretische Problematik der Ganzheit zur Sprache kommen, sondern die einzel- wissenschaftliche Durchffihrung. Dabei waren jedoch die Normwissenschaften ab~ sichtlich unber~c~ksichtigt geblieben. Man hat te sich darauf beschr~nkt, Natur- wissenschaft und Tecbnik, Sprachwissenschaft, Kunst- und Philosophiegeschichte, Psychologie und Metaphysik zu behandeln. Als Naturwissenschaftler sprachen Prof. D a cqu 6 (Mfinchen) fiber Biolegie und Entwicklungslehre als anthropologisch- metaphysisches Problem und Prof. H u n d (Leipzig) fiber Wandlungen der Begriffs- bildung in der theoretiscben Physik. D a c q u 6 kiimpfte gegen die ,,halbe Metaphysik" der Darwinlstischen Abstammungslehre, der er seine eigene Lehre v o n d e r Prioritlit der Idee des Menschen entgegensetzte. Dr. D i e s e l (Potsdam) sprach fiher Grundlagen der Technik. Das Referat fiber den Ganzheitsbegriff in der Psychologie hat te Prof. F. Kr f ige r (Leipzig) fibernommen (Erlebnisganzheit und seehsche Struktur). Ihm kam es besonders darauf an, gegenfiber der geisteswissenschaftlichen Psychologie die R e a l i t ~it der seelischen Ganzheit darzutun, und gegenfiber der Gestaltpsychologie die V e r s c h i e d e n h e i t y o n E r l e b n i s g a n z h e i t u n d e r l e b t e r G e s t a l t . Bemerkens- wert war auch sein Versuch, den sittlichen Eudiimonismus dutch seine Lehre vom Geffihl zu widerlegen. Zur Sprachwissenschaft butte Prof. I p s e n (Leipzig), zur Kunstgeschichte v a n S c h e l t e m a beigesteuert. Von allgemeinem philosophischem Interesse war vornehmlich der gut gegliederte Vortrag yon Prof. Max W u n d t (Tfibingen) fiher Ganzheit und Form in der Geschichte der Philosophie. Ganzheit als Verknfipfung oder Beziehung bedarf keines Substrates, ist abet auch ohne nor- matives Moment nicht zu denken. Historisch-systematisch wurden ffinf Ganzheits- begriffe aufgezeigt: mystisch-amorphe, logische, psychologische, objektive (am Gegenstand angesetzte), absolute Ganzheit. Einen selbstitndigen metaphysischen Versuch bot Prof. W e i n h a n d l (KieI), dessert Vortrag: ,,Symbolik der Ganzheit", die Tagung erSffnete. Sein physiognomischer Phiinomenahsmus, der die physikalische Weltbetrachtung ebenso zurfickweist wie die Trennung yon Erscheinung und Ding an sich, gipfelt in einer Symbohk des ,,ganzmachenden" Grundes. Der Kongret3 war yon einheitlichem Geiste beseelt und gab einen guten Einblick in die Problem- stellungen der Gegenwartsphilosophie. (Referat ohne Verantwortlichkeit der Schrift- leitung. D . H . ) G. L e h m a n n , Berlin.

4 2 0 R u n d s c h a u

Aus dem a k a d e m i s c h e n Leben

Universit~t Basel: Prof. Dr. Karl J o e l , Ordinarius der Philosophic, ist yon seinem Lehramt zurtickgetreten.

Universit~t Berlin: Prof. Dr. N i c o l a i H a r t m a n n (KSln) hat einen Ruf als Ordi- narius der Philosophic erhalten.

Prof. Dr. H a n s R e i e h e n b a c h hat das ihm yon der Deutschen Uni- versit/~t Prag angebotene Ordinariat ftir Naturphilosophie abgelehnt.

Technische Hochschule Darmstadt: Dr. M. Meier wurde zum Ordinarius ffir Philo- sophie, Piidagogik und Psychologie ernannt.

Universit~it Erlangen: Prof. Dr. P a u l H e n s e l , em. Ordinarius der Philosophie, ist gestorben.

UniversitAt Leipzig: Als Nachfolger Rendtorffs wurde A l b e r t S c h w e i t z e r , der Verfasser einer Kulturphilosophie und elnes groBen Werkes fiber Joh. Seb. Bach, der sich zur Zeit noch als iirztlicher Missionar ill Lambavene aufhalt, berufen.

UnlversitAt Miinster i. W.: Studienrat Dr. P e t e r W u s t in KSln wurde zum o. Prof. der Philosophie (als Nachfolger yon Max Ettlinger) ernannt.

Universitiit Wien: Priv.-Doz. Dr. R u d o l f C a r n a p ist zum nichtbeamteten Professor ernannt. ,

Der langjiihrige Herausgeber der ,,Scientia", E u g e n i o R i g n a n o in Mailand, ist gestorben.