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Für den Inhalt ist ausschließlich die Redaktion von Russia Beyond the Headlines, Moskau, verantwortlich. www.russland-heute.de Ein Projekt von RUSSIA BEYOND THE HEADLINES Auf welchen Umwegen zwei russische Töchter zu Marion Gaedicke kamen Erkämpft Eine Hamburger Schau ergründet den Künstler Alexander Rodtschenko. SEITE 10 Experimentiert Mittwoch, 4. September 2013 Russland HEUTE erscheint exklusiv als Beilage in: SEITE 8 SEITE 9 SEITE 12 SEITE 2 Kurz nach dem 300-jährigen Jubiläum der Romanows war Schluss mit dem Zarentum in Russland: 1918 erschossen die Bolschewiken Zar Nikolaus II. und seine Familie. Aber nicht alle Mitglieder der Zarenfamilie wurden ermordet: In Spanien residiert Großfürstin Maria Romanowa, die im Interview erzählt, warum Russland heute mehr denn je eine Monarchie braucht. Und was ge- schehen muss, damit sie zurückkehrt. SEITEN 6 UND 7 DIE ROMANOW-DYNASTIE DER ZAR IST TOT, ES LEBE DER ZAR! THEMA DES MONATS In wenigen Monaten beginnen die Olympischen Winterspiele in Sot- schi. Noch wird heftig gebohrt und gehämmert in der Stadt am Schwarzen Meer: 30 000 Arbeiter sind derzeit im Einsatz. Und wäh- rend sich die einen über die Bau- kosten von 40 Milliarden Euro Die Moskauer Gastronomie ist do- miniert von Ketten: hier „Schesch- Besch“ mit aserbaidschanischer Küche, dort die russische Varian- te „Grabli“. McDonald’s & Co. sind auch schon lange da. Die Moskau- er Stadtregierung will jetzt ins- besondere kleinere Gaststätten- Über 10 000 Tschetschenen ha- ben im ersten Halbjahr einen Asyl- antrag in Deutschland gestellt. Damit steht Russland nun an der Spitze der Asylbewerber, über die Gründe gibt es indes Rätselraten: Die russische Botschaft vermutet die hohen Sozialleistungen als Lockmittel für die Menschen aus dem Nordkaukasus, die Regierung Tschetscheniens ist anderer Mei- nung: Sie bezweifelt, dass es sich bei einigen Bewerbern überhaupt um Tschetschenen handelt. Rekordspiele in Sotschi Zu Gast bei Onkel Wanja Tschetschenen ante portas wundern, ist Sergej Tscherem- schanow, Chef von 25 000 freiwil- ligen Helfern, mit ganz anderen Dingen beschäftigt: „Wir müssen den Freiwilligen beibringen, zu lächeln und hilfsbereit zu sein.“ betreiber unterstützen. Außerdem ist ein Verzeichnis geplant, in das sich gastfreundliche Moskauer eintragen können, die bereit sind, Ausländer bei sich mit echter Hausmannskost zu bewirten. SEITE 5 Russland investiert in die Hoch- geschwindigkeitsschiene: 2014 soll die Planung für die Strecke zwischen Moskau und Kasan be- endet sein, bis zur Fußball-WM 2018 die gut 800 Kilometer lange Zuglinie gebaut werden. 21,5 Mil- liarden Euro kostet das Projekt, dafür verkürzt sich die Fahrt- zeit von 14 auf 3,5 Stunden. Schon heute verkehren zwischen St. Pe- tersburg, Moskau und Nischni Nowgorod Hochgeschwindig- keitszüge des Typs „Sapsan“, die auf der ICE-Baureihe basieren. Schluss mit Bummelzug Die Themen stehen fest: Gemein- sam wollen die 20 größten Volks- wirtschaften der Welt gegen Steu- erflucht vorgehen und nach Mög- lichkeiten suchen, um den Motor der Weltwirtschaft wieder zum Brummen zu bringen. Wolfgang Schäuble, sein britischer Kollege George Osborne und die Finanzminister der anderen 18 Länder hatten bei ihrem Treffen Ende Juli den Fahrplan für den Gipfel erarbeitet, der am Donners- tag unter dem Vorsitz Russlands in St. Petersburg beginnt. Die Staatschefs beraten auch darüber, wie ein neuerlicher Absturz der Wirtschaft zu verhindern ist. INTERNETPORTAL RUSSLAND-HEUTE.DE Russische Hochzeiten früher und heute RUSSLAND-HEUTE.DE/25543 Sportler in Russland verheimlichen ihre Homosexualität RUSSLAND-HEUTE.DE/25591 Wege aus der Krise zeigen SEITE 3 ITAR-TASS/EPA ITAR-TASS REUTERS Wie ein Russe seine Bank überlistete RUSSLAND-HEUTE.DE/25529

Russland HEUTE erscheint exklusiv als Beilage in: Wege aus ... · McDonald’s & Co. sind auch schon lange da. Die Moskau-er Stadtregierung will jetzt ins-besondere kleinere Gaststätten-Über

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Für den Inhalt ist ausschließlich die Redaktion von Russia Beyond the Headlines, Moskau, verantwortlich.

www.russland-heute.deEin Projekt vonRUSSIA BEYOND

THE HEADLINES

Auf welchen Umwegen zwei russische Töchter zu Marion Gaedicke kamen

Erkämpft

Eine Hamburger Schau ergründet den Künstler Alexander Rodtschenko.

SEITE 10

Experimentiert

Mittwoch, 4. September 2013 Russland HEUTE erscheint exklusiv als Beilage in:

SEITE 8

SEITE 9

SEITE 12

SEITE 2

Kurz nach dem 300-jährigen Jubiläum der Romanows war Schluss mit dem Zarentum in Russland: 1918 erschossen die Bolschewiken Zar Nikolaus II. und seine Familie. Aber nicht alle Mitglieder der Zarenfamilie wurden ermordet: In Spanien residiert Großfürstin Maria Romanowa, die im Interview erzählt, warum Russland heute mehr denn je eine Monarchie braucht. Und was ge-schehen muss, damit sie zurückkehrt. SEITEN 6 UND 7

DIE ROMANOW-DYNASTIEDER ZAR IST TOT, ES LEBE DER ZAR!

THEMA DES MONATS

In wenigen Monaten beginnen die Olympischen Winterspiele in Sot-schi. Noch wird heftig gebohrt und gehämmert in der Stadt am Schwarzen Meer: 30 000 Arbeiter sind derzeit im Einsatz. Und wäh-rend sich die einen über die Bau-kosten von 40 Milliarden Euro

Die Moskauer Gastronomie ist do-miniert von Ketten: hier „Schesch-Besch“ mit aserbaidschanischer Küche, dort die russische Varian-te „Grabli“. McDonald’s & Co. sind auch schon lange da. Die Moskau-er Stadtregierung will jetzt ins-besondere kleinere Gaststätten-

Über 10 000 Tschetschenen ha-ben im ersten Halbjahr einen Asyl-antrag in Deutschland gestellt.Damit steht Russland nun an derSpitze der Asylbewerber, über dieGründe gibt es indes Rätselraten:Die russische Botschaft vermutetdie hohen Sozialleistungen alsLockmittel für die Menschen ausdem Nordkaukasus, die RegierungTschetscheniens ist anderer Mei-nung: Sie bezweifelt, dass es sichbei einigen Bewerbern überhauptum Tschetschenen handelt.

Rekordspiele in Sotschi

Zu Gast bei Onkel Wanja

Tschetschenen ante portas

wundern, ist Sergej Tscherem-schanow, Chef von 25 000 freiwil-ligen Helfern, mit ganz anderen Dingen beschäftigt: „Wir müssen den Freiwilligen beibringen, zu lächeln und hilfsbereit zu sein.“

betreiber unterstützen. Außerdem ist ein Verzeichnis geplant, in das sich gastfreundliche Moskauer eintragen können, die bereit sind, Ausländer bei sich mit echter Hausmannskost zu bewirten.

SEITE 5

Russland investiert in die Hoch-geschwindigkeitsschiene: 2014 soll die Planung für die Strecke zwischen Moskau und Kasan be-endet sein, bis zur Fußball-WM 2018 die gut 800 Kilometer lange Zuglinie gebaut werden. 21,5 Mil-liarden Euro kostet das Projekt, dafür verkürzt sich die Fahrt-zeit von 14 auf 3,5 Stunden. Schon heute verkehren zwischen St. Pe-tersburg, Moskau und Nischni Nowgorod Hochgeschwindig-keitszüge des Typs „Sapsan“, die auf der ICE-Baureihe basieren.

Schluss mit Bummelzug

Die Themen stehen fest: Gemein-sam wollen die 20 größten Volks-wirtschaften der Welt gegen Steu-erfl ucht vorgehen und nach Mög-lichkeiten suchen, um den Motor

der Weltwirtschaft wieder zum Brummen zu bringen.Wolfgang Schäuble, sein britischer Kollege George Osborne und die Finanzminister der anderen 18

Länder hatten bei ihrem Treffen Ende Juli den Fahrplan für den Gipfel erarbeitet, der am Donners-tag unter dem Vorsitz Russlands in St. Petersburg beginnt. Die

Staatschefs beraten auch darüber, wie ein neuerlicher Absturz der Wirtschaft zu verhindern ist. INTERNETPORTAL

RUSSLAND-HEUTE.DE

Russische Hochzeiten früher und heuteRUSSLAND-HEUTE.DE/25543

Sportler in Russland verheimlichen ihre HomosexualitätRUSSLAND-HEUTE.DE/25591

Wege aus der Krise zeigen

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Wie ein Russe seine Bank überlistete

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EINE BEILAGE DES ROSSIJSKAJA GASETA VERLAGS, MOSKAUPolitik

GALINA DUDINAKOMMERSANT

Die stark angestiegene Zahl der

Flüchtlinge aus Russland könnte

die Verhandlungen zwischen

Moskau und der Europäischen

Union über die Visapflicht

erschweren.

Darüber, dass Deutschland bei den Asylanträgen eine Spitzenposition eingenommen hat, berichtete In-nenminister Hans-Peter Friedrich. Er nannte die Situation „beunru-higend“ und warnte: „Bis zum Jah-resende werden wir die Zahl von 100 000 Anträgen erreicht haben.“ Konkretere Angaben machte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF): Von Januar bis Juli haben 52 700 Personen Asyl in Deutschland beantragt – mehr als in jedem anderen Land der EU. Ein Fünftel der Anträge stammt von Bürgern der Russischen Fö-deration. Damit haben die Russen Syrien, Afghanistan, Pakistan und Serbien überholt. „Die überwiegende Mehrheit wird von Bewohnern des Nordkauka-sus, vor allem aus Tschetschenien gestellt“, heißt es aus dem BAMF. Die Tageszeitung Die Welt brach-te die Entwicklung derweil auf die einfache Formel: „Terroristen suchen Asyl in Deutschland“.

Schleuserbanden am Werk„Die Flüchtlinge werden dort als abtrünnige Mitglieder der tschet-schenischen Machtvertikale oder als Anhänger des radikalen Isla-mismus angesehen, die sich sol-che Staaten aussuchen, in denen die Behörden die Menschen, die in der Diaspora leben, in Ruhe lassen“, erklärt Alexander Kam-kin, Experte des Zentrums für Deutschlandforschungen am Eu-ropainstitut der Russischen Aka-demie der Wissenschaften. „Die Sicherheitslage im Nordkau-kasus ist nach wie vor zugespitzt“, sagte ein Sprecher des BAMF und nennt als weitere Gründe für die hohe Zahl der Asylanträge aus dieser Region Armut, Hoffnung

Sie hoffen auf Geld und Land für eine neue Existenz

Asyl Zehntausende Asylbewerber aus dem Nordkaukasus kommen nach Deutschland. Was oder wer steckt dahinter?

auf ein besseres Leben und die zunehmende Aktivität organisier-ter Schleuserbanden. „Wenn man weiß, wie die Tschet-schenen an ihrer Heimat hängen, konnten nur schwerwiegende Gründe die Menschen dazu brin-gen, alles stehen und liegen zu las-sen und ins Ungewisse zu fahren“, sagt auch die Leiterin des Komi-tees Bürgerunterstützung Swet-lana Gannuschkina. Sie vermutet als Ausreisegrund Gerüchte über die Zuteilung von bestimmten Kontingenten speziell für Tschet-schenen, von Geld und Land zum Aufbau einer neuen Existenz in Deutschland.

Sozialleistungen locken„Deutschland zieht die Wirt-schaftsfl üchtlinge aus dem Nord-kaukasus durch seine bemerkens-werten Sozialleistungen an“, bestätigte die Pressestelle der rus-sischen Botschaft in Deutschland. „Nach Meinung deutscher Fach-

leute wollen die Flüchtlinge tat-sächlich gerade deshalb in die Bundesrepublik, weil hier im Ver-gleich zu anderen EU-Staaten das Niveau der Grundversorgung re-lativ hoch ist.“ Die deutschen Behörden weisen indes die Gerüchte über „beson-dere Bedingungen“ für Tschet-schenen zurück. Den Asylbewer-bern werden eine Unterkunft, Verpflegung und medizinische Versorgung gestellt. Der Leis-tungssatz sei für alle Asylanten gleich hoch und entspräche dem bundesdeutschen Existenzmini-

mum: monatlich 276 bis 346 Euro für Erwachsene und 205 bis 268 Euro pro Kind. In der tschetschenischen Führung zweifelt man die Richtigkeit der Angaben zu den Flüchtlingen grundsätzlich an. „Eine offizielle Statistik zu Tschetschenien exis-tiert überhaupt nicht (was das BAMF bestätigte, Anm. d. Red.). Und es liegen keine Zahlen vor, wie viele Bewohner der Republik einen Asylantrag gestellt haben“, erklärte der Pressesprecher des tschetschenischen Präsidenten, Alwi Karimow. „Zudem haben

wir glaubwürdige Auskünfte da-rüber, dass viele Bewohner desKaukasus und anderer Regionen,die in Deutschland einen Antragstellen, sich als Tschetschenen aus-geben, obwohl sie gar keine sind.In Tschetschenien selbst gibt eskeinerlei objektive Gründe dafür,dass die Menschen um Asyl ineinem anderen Land bitten.“

„Falsche“ Tschetschenen?Dass alle Anträge der „Emigran-ten aus Tschetschenien“ echt sind,bezweifelt man auch in der rus-sischen Botschaft in Deutschland.„Die Mitarbeiter der russischenKonsularabteilungen im Auslandhaben keinen Zugang zu denFlüchtlingen in den Sammel-lagern“, erklärte man dort. „DieMehrheit der Antragsteller befi n-det sich auf dem TerritoriumDeutschlands unter Verletzungder einheimischen Gesetze. DieAsylsuchenden besitzen manch-mal überhaupt kein Personaldo-kument, und ihre Identität wirdlediglich auf Grundlage ihrereigenen Angaben bestimmt undregistriert und entspricht häufi gnicht den Tatsachen.“ Die gestiegene Zahl der Asylan-träge in Deutschland wirkt sichauch auf die Gesamtstatistik derder EU aus. Nach Angaben desStatistischen Amtes Eurostathaben dort im ersten Quartal 2013Menschen aus Russland die meis-ten Asylanträge gestellt – doppeltso viele wie im Vorjahr. Der sprunghafte Anstieg der Ein-wanderung könnte sich negativ aufdie Verhandlungen zwischen Russ-land und der EU über die Libera-lisierung und Abschaffung derVisapfl icht auswirken. Bereits frü-her stand die EU vor der Notwen-digkeit, die Migrationsgesetzge-bung wegen der gestiegenen Zahlder Asylanträge aus den Balkan-ländern zu verschärfen. „Die Ver-handlungen mit der EU sind auchso schon problematisch“, erläutertder Vizepräsident des Zentrumsfür Politische Technologien AlexejMakarin. „Die hohe Zahl dieserAnträge und die Existenz solcherAnträge überhaupt bieten den Eu-ropäern die Handhabe dafür, zubehaupten, dass es in der Russi-schen Föderation mit der Demo-kratie schlecht bestellt sei und dassdeshalb größte Vorsicht an den Taggelegt werden müsse.“

Dieser Beitrag erschien zuerstin der Tageszeitung

Kommersant

Die Zahl der Asylanträge aus dem Nordkaukasus ist in Deutschland 2013 drastisch gewachsen.

beantragten im ersten Halbjahr Asyl in der Bundesrepublik.

der Anträge stammen von Menschen aus dem Nordkaukasus.

bis 346 Euro beträgt der Leistungssatz für Asylbewerber.

11�500Bürger Russlands

90Prozent

276Euro

ZAHLEN

Wer stellt die meisten Asylanträge in Deutschland?

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3RUSSLAND HEUTE WWW.RUSSLAND-HEUTE.DE

EINE BEILAGE DES ROSSIJSKAJA GASETA VERLAGS, MOSKAU Wirtschaft

WIRTSCHAFTS-

KALENDER

INFOVERANSTALTUNG

HERMES – BUNDESGARANTIEN

FÜR EXPORTE NACH RUSSLAND

12. SEPTEMBER, BUSINESS CENTER

PETROWSKIJ FORT, ST. PETERSBURG

Hochrangige Vertreter von PWC und Euler Hermes sowie Vertreter von Banken und Exportunternehmen ge-ben an diesem Tag Auskunft über die Möglichkeiten, die Hermes-Garantien beim Export nach Russland bieten. › petersburg.russland.ahk.de

VORTRAG

DIE MODERNISIERUNG DER

INFRASTRUKTUR IN RUSSLAND

1. OKTOBER, HAUS DER COMMERZBANK,

BERLIN

Sergej Schmatko, Sonderbeauftragter des Präsidenten für internationale Zusammenarbeit, erläutert auf Einla-dung des Deutsch-Russischen Forums die Modernisierung der Energieinfra-struktur seines Landes. › veranstaltungen.drforum.de

MESSE

GOLDENER HERBST 2013

9.–12. OKTOBER, ALL-RUSSIA EXHIBITION

CENTRE (VVC), MOSKAU

Die wichtigste Landwirtschaftsmesse Russlands versammelte im letzten Jahr 2500 russische und internationa-le Unternehmen. Parallel dazu findet ebenfalls auf dem Gelände des VVC die Messe für Landwirtschaftstechnik AgroTech statt. › goldenautumn.ru/en/

FORUM

INVESTITIONSFORUM

PRODUKTIONSLOKALISIERUNG

10. OKTOBER, IHK STUTTGART

Die Lokalisierung der Produktion in Russland bietet Chancen – birgt aber auch Risiken. Wie finde ich einen ge-eigneten Standort? Gibt es Unterstüt-zung vom russischen Staat? Experten beantworten die Fragen von interes-sierten Unternehmern aus der Region. › russland.ahk.de

LESEN SIE MEHR ÜBER DIE

RUSSISCHE WIRTSCHAFT AUF

RUSSLAND-HEUTE.DE

Treibstoff für den WirtschaftsmotorWeltwirtschaft Anfang September treffen sich in St. Petersburg die G-20-Staaten – unter dem Vorsitz Russlands

TATJANA LISINAFÜR RUSSLAND HEUTE

Auf dem Gipfel werden die

20 wichtigsten Industrie-

nationen Wege zur Ankurbelung

der Wirtschaft diskutieren.

Insbesondere soll das weltweite

Investitionsvolumen wachsen.

Die Vorbereitungen für den Gip-fel der G-20-Staaten in St. Pe-tersburg laufen auf Hochtouren: Während die Medien darüber spe-kulierten, ob US-Präsident Ba-rack Obama seinen Staatsbesuch in Russland wegen der angespann-ten Situation um Edward Snow-den absagt, stellten Baukolonnen im Eiltempo die Autobahn für die Gipfelteilnehmer fertig.

St. Petersburger AktionsplanEine der wichtigsten Etappen bei den Vorbereitungen auf den Gip-fel war das Treffen der Finanz-minister und Zentralbankchefs der G-20 Ende Juli, das auch die inhaltliche Ausrichtung des Gip-fels akzentuierte. Die Finanzminister kündigten in ihrem Abschlusskommuniqué drei Aktionspläne an: Einer ist den Möglichkeiten gewidmet, wie langfristige Investitionen erhöht werden könnten, und einer der Bekämpfung der Steuerfl ucht. Der dritte, dem die größte Bedeutung zugewiesen wird, ist der eigent-liche „St. Petersburger Aktions-plan“. Er soll bis September aus-gearbeitet und auf dem Gipfel vor-gestellt und genau geprüft werden. Wie es in dem Kommuniqué heißt, ist sein Hauptanliegen, durch die Schaffung neuer Arbeitsplätze ein ausbalanciertes Wirtschafts-wachstum zu erreichen.Den Schwerpunkt bei den Gesprä-chen im September wird demnach die Stagnation der Weltwirtschaft bilden. Nicht nur die Europäer kämpfen mit strukturellen Pro-blemen und anhaltender Rezes-sion, auch die Entwicklungs- und Schwellenländer leiden unter rückläufi gen Wirtschaftszahlen. Hinzu kommen die wachsen-den Arbeitslosenzahlen aus den USA.Im Juli hatte der Internationale Währungsfonds (IWF) seine Pro-gnose für das Weltwirtschafts-wachstum im Jahr 2013 von 3,3 auf 3,1 Prozent herunterkorrigiert. Die Zahlen für die Industrielän-der wurden allerdings nicht über-arbeitet und blieben somit auf dem nicht gerade hohen Niveau von 1,2 Prozent. Auch die Zahlen zu den Schwellenländern gingen nach unten und sind ebenfalls ernüch-ternd. Das Bruttoinlandsprodukt von China werde demnach nicht

um acht, sondern nur um 7,8 Pro-zent wachsen, das Brasiliens lediglich um 2,5 Prozent (statt drei) und das von Indien um 5,6 Prozent (anstatt 5,7).Auch in Russland läuten die Alarmglocken: Im Juli ist der Ein-kaufsmanagerindex (EMI) der russischen Fertigungsindustrie erstmals seit August 2011 unter

50 Punkte auf das schlechteste Niveau seit Dezember 2009 gesun-ken. Zuvor hatten sich IWF und Weltbank pessimistisch zur Ent-wicklung der russischen Wirt-schaft geäußert und die Progno-sen für das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2013 auf 2,5 beziehungs-weise 2,3 Prozent gesenkt.

Neue Krisen vermeidenUm der weltweiten Wirtschaft neue Impulse zu geben, hat nun Russland in seiner Funktion als Vorsitzender der G-20 den Fokus auf eine Erhöhung des Investi-tionsvolumens gelegt. Jewsej Gur-witsch, Chef der Wirtschaftsex-pertengruppe, sprach in diesem

Zusammenhang von zwei wesent-lichen Herausforderungen auf dem Weg, den Motor für die Weltwirt-schaft wieder zum Laufen zu brin-gen: Zum einen ginge es um die Frage, wie der Investitionsprozess gestartet werden könnte. Und zum anderen darum, wie die Risiken durch eine Reform der interna-tionalen Finanzarchitektur und durch eine Prävention von Un-gleichgewichten, die eine neuer-liche Krise evozierten, gemindert werden könnten.

Steuerflucht und Korruption wird der Kampf angesagtJaroslaw Lisowolik, Cheföko-nom der Deutschen Bank in Russ-land, sieht es als die vorrangige Aufgabe der G-20-Staaten an, erst einmal Institutionen zu schaf-fen, die jene Investitionen effek-tiv einsetzen können. Laut Dmit-ri Polewy, Wirtschaftsexperte der ING Bank, sei es notwendig, die Kontrollen hinsichtlich der Effek-tivität von Investitionen zu ver-stärken und zugleich die Politik der Mitgliedsstaaten zu verändern, um Investoren bessere Unterstüt-zungen zukommen zu lassen.Ein weiteres Thema des Gipfels ist die Steuerhinterziehung. Es geht um die Abschaffung von Steueroasen und eine gemeinsa-me Abstimmung bei der Bekämp-fung von Steuerfl ucht. Besonders

wichtig sei es hier, so Lisowolik, „dass alle Länder in einem Boot sitzen und nicht einen Teil der Ka-pitalfl üsse abzweigen“. Ein Thema, das im Zusammen-hang mit Steuerhinterziehung und Steuerfl ucht steht, ist ebenfalls Gegenstand des bevorstehenden Gipfels: die Korruption. Russland hat hier mit einem Aktionsplan

begonnen, der nun von Australi-en fortgeführt wird. Es geht darum, die Unabhängigkeit von Antikorruptionsbehörden sicher-zustellen, der Geldwäsche den Kampf anzusagen und der staat-lichen Korruption einen Rie-gel vorzuschieben. Darüber hi-naus sei es wichtig, auch die Wirt-schaft bei der Bekämpfung von Korruption stärker als bisher einzubinden.Diese – und eine Reihe weiterer Themen, an denen man auf dem G-20-Gipfel nicht vorbeikommen wird, hat Russland als neuer Vor-sitzender von den anderen Staa-ten geerbt. Es wird um eine Fort-setzung der Reform der interna-

tionalen Finanzarchitektur gehenund um Konzepte der Finanzre-gulierung. So wurde die Quoten-überarbeitung des IWF zuguns-ten der Schwellenländer bereits2010 von den 20 Staaten angenom-men. Doch gerade diese Reformliegt bis dato auf Eis, und das be-unruhigt in erster Linie die BRICS-Staaten.

Lockere WährungspolitikDas Thema Währungskriege, dasauf den Treffen der G-20 in denJahren 2011 und 2012 stark imZentrum der Diskussionen stand,hat seine Aktualität indes einwenig eingebüßt. Vor MoskausG-20-Vorsitz hatte der Konfl iktzwischen China und den USA all-gemeine Besorgnis ausgelöst,ebenso die Währungsinterven-tionen Brasiliens. Die Lockerung von Chinas Geld-und Kreditpolitik, die in der Folgeeine merkliche Schwächung desYen-Kurses mit sich brachte, hattejedoch keine ernsthafte Kritikvonseiten der Politiker nach sichgezogen, die an den vorherigenGipfeln teilgenommen hatten.Faktisch bedeutet dies, dass denLändern in Zukunft erlaubt wird,eine lockere Währungspolitikzu betreiben – zur Lösung desaktuellen Hauptproblems: einerStimulierung des Wirtschafts-wachstums.

Das Bruttoinlandsprodukt der G-20-Mitgliedsstaaten

Wie wird der Entwicklungsmotor gestartet, und wie kann eine neuerliche Krise verhindert werden?

Das Thema Währungs-kriege, das in den Jahren 2011 und 2012 häufig diskutiert wurde, hat an Aktualität verloren.

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4 WWW.RUSSLAND-HEUTE.DE RUSSLAND HEUTE

EINE BEILAGE DES ROSSIJSKAJA GASETA VERLAGS, MOSKAUWirtschaft

ALEXEJ RYMASCHEWSKIJRUSSLAND HEUTE

Immer mehr ausländische Un-

ternehmen denken darüber

nach, in Russland einen Ferti-

gungsstandort zu errichten.

Industrieparks bieten die Infra-

struktur und Serviceleistungen.

Am 8. und 10. Oktober fi nden dazu in Düsseldorf und Stuttgart In-vestitionsforen unter dem Titel „Die Lokalisierung der Fertigung in Russland vor dem Hintergrund des Beitritts zur WTO“ statt. Organisiert werden die Veranstal-tungen von der Vereinigung der Industrieparks Russlands (VdI) und der Deutsch-Russischen Aus-landshandelskammer (AHK). Die VdI reguliert die Einrichtung von Industrieparks in Russland und kontrolliert die Einhaltung der Qualitätsstandards auf der Grundlage russischer und inter-nationaler Erfahrungen.Inzwischen sind 55 Industrieparks in 27 russischen Regionen Mitglie-der der VdI. Neben Geschäftsfüh-rern der Industrieparks sind auch regionale Planungs- und Bauun-ternehmen sowie Beratungsun-ternehmen wie Ernst & Young und Knight Frank vertreten.Nach Meinung Denis Schuraws-kijs, dem geschäftsführenden Direktor der VdI, ist das System der Parks gegenwärtig noch nicht voll entwickelt, wird jedoch in naher Zukunft ein wichtiges Ins-trument zur Stimulierung direk-ter Investitionen und zur Entwick-lung der Industrialisierung im

Lande werden. „Die wachsende Zahl der Industrieparks wird die Schaffung neuer Arbeitsplätze und zunehmende Direktinvesti-tionen in die Realwirtschaft nach sich ziehen“, ist sich Schurawskij sicher.„Inzwischen sind bereits eine ganze Reihe von Industrieparks für die Großindustrie gegründet worden, für die es bei uns in der Regel aber keinen Bedarf gibt“, erklärt Schurawskij die Situati-

on. An großen Investoren hätten die Regionalverwaltungen jedoch ein erhöhtes Interesse, weil diese Tausende Arbeitsplätze und Mil-liarden Rubeln an Steuern gene-rieren würden. „Dabei werden Industrieparks in erster Linie von Klein- und mit-telständischen Unternehmen be-nötigt. Aber die Nachfrage aus dieser Richtung ist leider momen-tan nicht ausreichend gedeckt. Normalerweise sind dies moder-ne Hochtechnologiefi rmen.“ „Außerdem“, so fährt Schuraws-kij fort, „ist über unsere Indus-trieparks im Ausland nur wenig bekannt. Wenn also jemand seine Fertigung in Russland lokali-sieren möchte, nimmt die Suche nach dem geeigneten Standort

sehr viel Zeit in Anspruch.“ Mitden Veranstaltungen in Düssel-dorf und Stuttgart wollen sich dieIndustrieparks nun den Investo-ren vorstellen.„Zudem brauchen die westlichenUnternehmen ein ‚gemachtesBett‘, das heißt ein erschlossenesGrundstück mit vorhandenenAnschlusspunkten für Elektri-zität, Gas und Wasser, mit recht-lich geklärten Grenzen sowieeiner Verwaltungsfirma, dieDienstleistungen zur Verfügungstellt und Service anbietet“, er-klärt Schurawskij.Vergangenen Juli schlug der erstestellvertretende Minister für In-dustrie und Handel der RussischenFöderation, Gleb Nikitin, beim In-ternationalen Investitionsforumin Moskau vor, im Regierungs-programm zur Entwicklung derIndustrie bis 2020 eine gesonder-te Position für die Industrieparkshinzuzufügen. Außerdem erklär-te Nikitin, dass es notwendig sei,nationale Standards für die In-dustrieparks entsprechend denrussischen Rechtsnormen zuerarbeiten.Schurawskij unterstützt die Ini-tiative der Beamten: „Die Indus-trieparks können sich ganz alleinentwickeln und werden es auchtun, aber dieser Prozess wird mitstaatlicher Unterstützung wesent-lich effektiver verlaufen.“

Mehr Informationen zu den Veranstaltungen: Wladimir Nikitenko, [email protected]

Gemachtes Bett für InvestorenIndustrieparks Alternative zur Produktionslokalisierung in Russland

Mit den Veranstaltungen in Düsseldorf und Stuttgart wollen sich die Industrieparks den Investoren vorstellen.

KIRILL RUDENKORUSSLAND HEUTE

In der elfjährigen Geschichte

des Doing-Business-Index war

Russland kein einziges Mal un-

ter den ersten hundert. Das soll

sich ändern, eine Schlüsselrolle

kommt dabei Moskau zu.

Moskau hat sich gemausertDoing-Business-Report Russland will das Geschäftsklima verbessern und noch 2013 in die Top 100 aufrücken

Erteilung von Baugenehmigun-gen, die Abwicklung internatio-naler Handelsoperationen, die Entrichtung von Steuern und den Anschluss an das Stromversor-gungsnetz“, erklärt der Direk-tor des Departements für die Ko-ordinierung der Wirtschafts-politik und der Entwicklung der Moskauer Regierung, Michail Prjadilnikow. „Im vergangenen Jahr haben wir die Bearbeitungs-zeiten verkürzt und die Zahl der Behördengänge für Verwaltungs-angelegenheiten, die neue Unter-nehmen zu bewältigen haben, wesentlich verringert.“

Schneller, billiger, einfacherNach Einschätzung der Weltbank mussten in Moskau 2012 noch Dut-zende Behördengänge absolviert und 281 Tage dafür eingeplant werden, um ein ganz normales Grundstück an das Stromnetz an-schließen zu lassen. In diesem Jahr, so versichert Prjadilnikow, wird das Ganze nur die Hälfte der Zeit in Anspruch nehmen: 146 Tage mit insgesamt vier Be-hördengängen. Auch die An-schlusskosten sollen sich um mehr als 90 Prozent verringern: „2012 betrugen sie 5,5 Millionen Rubel, inzwischen sind es nur noch 426 000 Rubel (etwa 10 000 Euro).“

Mitte Juli führte eine russische Delegation Beratungsgespräche mit der Weltbank bezüglich der Verbesserung von Russlands Position auf der Rangliste Doing Business. Vertreter der Steuer-behörden, des Föderalen Diens-tes für Staatliche Registrierung, Kataster und Kartografie, des Ministeriums für Wirtschaftsent-wicklung, der Agentur für Stra-tegische Initiativen und der Mos-kauer Stadtregierung stellten den Experten der Weltbank aktuelle Erhebungen zur Situation in der Hauptstadt vor und machten Vorschläge zur Korrektur der Methode bei der Erstellung des Doing-Business-Index.Im vergangenen Jahr belegte Russland den 112. Platz unter 185 Ländern. Dieses Jahr will man alles dafür tun, um es unter die ersten hundert zu schaffen.„Wir haben uns über fünf Indi-katoren beraten lassen: die Re-gistrierung von Eigentum, die

Moskau beeinflusst stark die Position Russlands auf der Rangliste.

den: Laut Weltbank waren vorzwei Jahren noch 42 Behörden-gänge nötig, inzwischen muss mannur noch zwölfmal aufs Amt. DieBearbeitungszeit verringerte sichvon 344 auf 152 Tage.Die Entwicklung in Moskau istvon großer Bedeutung für die Po-sition Russlands auf dem Doing-Business-Index, weil die Stadt derwichtigste Wirtschaftsstandortdes Landes ist. Dieser Umstanderklärt gleichzeitig auch, warumRussland es bisher nicht unter dieersten hundert Länder geschaffthat.

Mehr Regionen einbeziehenDenn, so bekennt Michail Prja-dilnikow, innerhalb Russlands be-lege die Stadt im Ranking nur dendreißigsten Platz. Eine Rolle dabeispielt wohl Moskaus Besonderheitals Großstadt und seine komple-xe historische Bebauung: „In dennationalen Ranglisten Mexikosund Brasiliens liegen die Groß-städte auch nicht auf einer Spit-zenposition, und zwar vor allemnicht, weil sie – anders als Klein-städte – alle Besonderheiten derkomplexen Bebauung und des An-schlusses an die Versorgungsnet-ze berücksichtigen müssen. Ein Vorschlag für die Weltbankzur Anpassung ihrer Analyse-methode war deshalb die Einbe-ziehung einiger russischer Schlüs-selregionen bei der Erstellung derweltweiten Rangliste – damit dieBewertung Russlands etwas aus-gewogener ausfällt.

Bezüglich der restlichen Indika-toren hat sich die Situation in der Hauptstadt laut Regierung eben-falls deutlich verbessert. Die Re-gistrierung von Eigentum im Föderalen Dienst für Staatliche Registrierung, Kataster und Kar-tografi e dauert nicht mehr 44 Tage wie im vergangenen Jahr, sondern nur noch die Hälfte der Zeit. Auch das Einholen einer Baugenehmi-gung ist unkomplizierter gewor-

Tage brauchte man 2012, um in Mos-kau ein normales Grundstück an das Stromnetz anschließen zu lassen, so die Einschätzung der Weltbank.

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5RUSSLAND HEUTE WWW.RUSSLAND-HEUTE.DE

EINE BEILAGE DES ROSSIJSKAJA GASETA VERLAGS, MOSKAU Wirtschaft

ALEXEJ POPOWITSCHRUSSLAND HEUTE

Zwischen St. Petersburg, Mos-

kau und Nischni Nowgorod geht

es schon heute schnell – mit

der ICE-Abwandlung Sapsan.

Doch das Land braucht mehr

Hochgeschwindigkeitstrassen.

und Hochgeschwindigkeitsbahn-strecken (HGS) statt. Aus mehr als 50 Varianten für die Verlegung der Trassen wurden die Verbin-dungen Moskau–St. Petersburg, Moskau–Nischni Nowgorod–Ka-san–Jekaterinburg sowie Moskau- Rostow am Don–Adler bei Sot-schi als aussichtsreichste Strecken zur Realisierung ausgewählt. Ihre Gesamtlänge könnte bei 3700 Ki-lometern liegen.

3,5 anstatt 14 StundenDie HGS seien für Russland ein wichtiges geopolitisches Projekt, sagt der Vorsitzende des Komi-tees für Transportfragen der Staatsduma, Jewgenij Moskwit-schew. Das Projekt HGS werde die Handels- und Industriekon-takte zwischen den Regionen fes-tigen und das Transitpotenzial Russlands erschließen. Der Aus-bau der HGS, so glaubt Moskwit-schew, wird es Russland zudem erlauben, beim Errichten des neuen Hochgeschwindigkeits-Transportkorridors von China nach Europa mitzuwirken.

Die Russischen Eisenbahnen (RZD) geben Gas: Seit 2010 fährt der Schnellzug Allegro zwischen Helsinki und St. Petersburg, ein Jahr zuvor wurde die Strecke St. Petersburg–Moskau–Nischni Nowgorod in Betrieb genommen. Dort verkehrt der Sapsan, ein an russische Verhältnisse angepass-ter ICE, der unter anderem über eine andere Spurweite verfügt. Über die letzten Jahre haben die Züge mehr als 11,5 Millionen Pas-sagiere befördert. Allerdings kön-nen sie aufgrund der Gleisquali-tät nicht ihre volle Geschwindig-keit ausfahren.Anfang August fand in Moskau eine Sitzung des wissenschaftlich-technischen Rates der Russischen Eisenbahnen zu weiteren Schnell-

Der Hochgeschwindigkeitszug Sapsan verbindet Moskau mit St. Petersburg und Nischni Nowgorod.

Im April 2013 gab der Vizepräsi-dent der RZD, Alexander Mischa-rin, bekannt, dass das erste HGS-Projekt in Russland die Strecke Moskau–Nischni Nowgorod–Kasan sein werde. Geplant ist, dass die Projektarbeiten bis Ende 2014 abgeschlossen sind und der Zug spätestens zur Fußballwelt-meisterschaft 2018 rollt. Die Gesamtbaukosten der Hoch-geschwindigkeitsbahnstrecken zwischen Moskau und Kasan wer-den auf 21,5 Milliarden Euro ge-

schätzt, davon sollen 15 Milliar-den aus einem staatlichen Förder-topf fl ießen.

Hochgeschwindigkeitstrassen als ModernisierungsmotorNach Vollendung des Projekts werden die Passagiere die Stre-cke von Moskau nach Kasan, die gut 800 Kilometer beträgt, in etwas mehr als drei Stunden zu-rücklegen. Gegenwärtig müssen sie noch 14 Stunden in den Zügen aushalten.

Nach Ansicht des stellvertreten-den Dumavorsitzenden Alexan-der Schukow stellen die HGS„nicht nur eine Verbesserung derTransportinfrastruktur und derLebensqualität der Bürger dar,sondern auch einen ernsthaftenBeitrag für die Modernisierungder Wirtschaft. Hochgeschwin-digkeitsstrecken sind eine Hoch-technologie, die für neue Arbeits-plätze sorgt, was auch einenBeitrag zum Wachstumstempo desBIP bedeutet.“

Mit 400 km/h und deutscher Technik zu den Tataren

Transport Russland plant eine Hochgeschwindigkeitsstrecke von Moskau nach Kasan bis zur Fußball-WM 2018

Start: Roter Platz

Häufigkeit: alle 20 Min.

Tickets gültig: 24 Std.

Dauer: 60 Min.

Jahreszeit: ganzjährig

Sprachen: Russisch, Englisch, Spanisch und Deutsch

Die Gesamtlänge des Moskauer Straßennetzes beträgt 4350 Kilometer. Um diese Strecke zu Fuß mit einer Durchschnitts-geschwindigkeit von 5 km/h zurückzulegen, braucht man, Pausen nicht mitgerechnet, 36 Tage.

Große Moskworezki-BrückeDie Brücke liegt neben dem Spasski-Tor des Kremls. Am 28. Mai 1987 landete hier der deutsche Hobbypilot Mathias Rust nach sei-nem spektakulären Flug von Hamburg.

Roter PlatzAm Roten Platz befindet sich die Basilius-Kathedrale, ein Wahrzeichen Moskaus, sowie das Lenin-Mausoleum und das Warenhaus GUM.

Roter OktoberEine der ältesten Süßwaren-fabriken Russlands, gegrün-det 1851 von dem Deutschen Ferdinand von Einem, ist heute ein Kulturzentrum.

Baltschug-KempinskiLuxushotel auf einer künstlichen Insel, die beim Anlegen eines Was-serumleitungskanals der Moskwa entstanden ist.

Puschkin-MuseumEines der größten und be-deutendsten russischen Mu-seen mit europäischer und außereuropäischer Kunst.

Große Steinbrücke

Bolotnaja-PlatzVom 15.–17. Jahrhundert war der Platz ein Ort für Volksvergnügun-gen. Außerdem wurden hier Kri-minelle öffentlich bestraft.

Siwzew Wraschek

Pereulok

Metrostation KropotkinskajaDie Metrostation wurde 1935 im ersten fertiggestellten Abschnitt des Moskauer Metronetzes eröffnet. Bis 1957 war sie nach dem Palast der Sowjets benannt, einem Bauvorhaben, das an der Stelle der 1931 gesprengten Christ-Erlöser-Kathedrale umgesetzt werden sollte. Der Bau des Palastes wurde vor Beginn des Zweiten Weltkriegs gestoppt.

UdarnikEines der ältesten Moskauer Kinos, erbaut im Jahr 1931. Bis zu Beginn der 1990er-Jahre war es das wich-tigste Premieren-kino Russlands.

Ochotnyj Rjad

Arbatskaja-

Platz

AlexandergartenDer älteste Park Moskaus wurde im 18. Jahr-hundert angelegt. Hier befinden sich histo-rische Objekte wie der Kutafja-Turm, die Itali-enische Grotte und ein Obelisk zum 300-jäh-rigen Bestehen der Romanow-Dynastie.

Bolschoi-TheaterEines der größten russischen und weltweit bedeutendsten Schauspiel-häuser für Oper und Ballett. Seine Frontalansicht ist eins der Wahr-zeichen Russlands.

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EINE BEILAGE DES ROSSIJSKAJA GASETA VERLAGS, MOSKAUThema des Monats

INTERVIEW GROSSFÜRSTIN MARIA ROMANOWA

LANG LEBE DER ZAR!DAS OBERHAUPT DER HISTORISCHEN ZARENDYNASTIE LEBT IN SPANIEN, MÖCHTE JEDOCH IN SEINE

HEIMAT ZURÜCKKEHREN. ABER NUR WENN RUSSLAND DIE MONARCHIE WIEDER ANERKENNT

2013 begeht das Zarenhaus der

Romanows den 400. Jahrestag

seines Bestehens. Was bedeutet

das für Sie?

Für mich ist der Jahrestag nur ein Teil des großen nationalen Jubi-läums, welches das Ende der „Zeit der Wirren“ und die Auferstehung des russischen Staates markiert.Unsere Dynastie wurde 1613 vom gesamten Volk durch Synode und Reichsversammlung zur Zaren-herrschaft berufen. Die Entschei-dung untermauerte die Ergebnis-se des Befreiungskrieges – ein Er-eignis, das aus der Geschichte nicht wegzudenken ist.Doch der Sieg wurde errungen dank des opferreichen Einsatzes und der Heldentaten von Vertre-tern aller Stände in Russland. Des-halb bin ich überzeugt, dass dem 400. Jahrestag des Endes der „Zeit der Wirren“ gebührend gedacht werden wird. Ich meine jedoch, dass wir dieses Jubiläum in ers-ter Linie mit Gebeten, Wohltätig-keit und Aufklärung begehen sollten.

Sie sind in Madrid geboren, haben

in Oxford studiert und den größ-

ten Teil Ihres Lebens in Spanien

verbracht. Dennoch sagen Sie

immer wieder, Ihr Zuhause sei

Russland. Warum kehren Sie nicht

nach Hause zurück?

Wäre ich eine Privatperson, könn-te ich jederzeit nach Russland zu-rückkehren. Aber ich stehe in der Pfl icht, den Erhalt des von mir ge-führten russischen Herrscherhau-ses als historischer Institution zu gewährleisten.In allen zivilisierten Ländern sind die Chefs der Dynastien erst dann endgültig zurückgekehrt, wenn der Staat ihren rechtlichen Sta-tus eindeutig festgeschrieben hat. Das Beispiel Frankreichs, Itali-ens oder auch Afghanistans, deren Königshäuser vertrieben wurden, später jedoch zurückkehrten, macht deutlich, dass der Rechts-status einer nicht herrschenden Monarchie in einem republikani-schen Staat durchaus möglich ist und nicht im Widerspruch zu Ver-fassung und Gesetzgebung steht.

Erheben Sie als Monarchin poli-

tische Ansprüche?

Ich erhebe keinerlei Ansprüche, bitte nicht um die Rückgabe von Besitztümern, verlange keine Pri-vilegien und Vergünstigungen. Al-lerdings erwarte ich, dass der Pro-zess der Reintegration der Dynas-tie in den modernen russischen Staat ebenso verläuft wie in an-deren europäischen Ländern und ein Rechtsakt durchgeführt wird, der die russische Monarchie als Objekt des historischen und kul-turellen Erbes gemäß Artikel 44 der russischen Verfassung schützt. Ich glaube, dass alle juristischen Fragen früher oder später geklärt werden und wir nach Russland zurückkehren.

Sie sind mehrfach mit der russischen

Staatsführung zusammengekom-

men. Allerdings trugen diese Tref-

fen inoffiziellen Charakter. Ist eine

offizielle Begegnung mit dem Prä-

sidenten Russlands absehbar?

Das hängt ganz vom Präsidenten ab. Ich verstehe, dass diese Ange-legenheit sehr heikel ist und ver-schiedene Aspekte der Innen- und Außenpolitik berührt. Es muss ein passender Zeitpunkt für eine derartige Begegnung gefunden werden.Einige Länder wie beispielsweise Spanien haben viele Jahre ge-braucht, um eine offizielle Begeg-nung des amtierenden Staatsober-haupts mit dem Oberhaupt der Monarchie herbeizuführen.Ich bin jedoch überzeugt, dass ein solches Treffen die gegenseitige Achtung stärkt. Wenn als Ergeb-nis Schritte zur Entwicklung der Beziehungen zwischen dem mo-dernen Staat und der traditions-bewahrenden Institution der Mo-narchie festgelegt werden, kann das dem Land und seinem Image sehr nutzen.

Glauben Sie an eine Wiedergeburt

der Monarchie in Russland?

Die Idee der Monarchie kann Pe-rioden des Aufschwungs und des Abfl auens erleben, doch es wird sie stets geben. Noch vor einhun-dert Jahren waren Republiken eine seltenere Erscheinung als Mo-narchien. Das 19. und das 20. Jahr-hundert waren eine Epoche der Revolutionen. Aber die Verbrei-tung der republikanischen Staats-ordnung hat die Menschheit nicht vor Kriegen, Terror gegen das ei-

gene Volk oder sozialökonomi-schen Katastrophen bewahrt, von den geistigen und moralischen Krisen ganz zu schweigen.Man kann Tausende Argumente gegen die Monarchie ins Feld füh-ren und ihr eine Vielzahl von Un-zulänglichkeiten zuschreiben. Aber hat uns die Republik davon erlöst? Meiner Meinung nach wur-den diese Unzulänglichkeiten nur noch vertieft.Das Beispiel der Wiedereinfüh-rung der Monarchie in Spanien ist ausgesprochen lehrreich, was nicht heißt, dass man es in Russ-land einfach kopieren kann. In Spanien verhinderte die Monar-chie einen neuen Bürgerkrieg.

Gibt es denn Anzeichen für eine

Annäherung?

Präsident Putin verwies bereits im Jahr 2000 in seiner ersten aus-führlichen Botschaft an die Na-tion, dem Buch „Ot perwogo liza“ (in Deutschland unter dem Titel „Aus erster Hand, Gespräche mit Wladimir Putin“ erschienen. Anm. d. Red.) auf die spanische Erfah-rung und bewertete sie positiv. Russland mit seiner Vielzahl an Völkern, die unterschiedliche re-ligiöse und kulturelle Traditionen haben, kann ein einendes Symbol aus Fleisch und Blut, wie es ein legitimer Erbmonarch nun einmal darstellt, von Nutzen sein.

Würden Sie gern am politischen

Leben Russlands teilnehmen?

Ein Monarch oder das Oberhaupt einer Dynastie muss sich aus po-litischen Konfl ikten heraushalten. Seine Pfl icht besteht darin, die

Maria Wladimirowna Romanowa wur-de 1953 als Tochter von Wladimir Romanow, einem Nachfahren Alexan-ders II. geboren. Aus der Ehe mit Franz Wilhelm von Preußen ging 1981 ihr Sohn Georgi hervor, den sie zum Zarewitsch (Thronfolger) erklärte.

BIOGRAFIE

GEBURTSORT: MADRID

ALTER: 59

BERUF: GROSSFÜRSTIN

Was Russen über die Monarchie denken

Nation zu einen. Er sollte seinen Namen nicht mit irgendeiner Par-tei in Verbindung bringen, selbst wenn sie ihm ideologisch nahe-steht. Weder ich noch mein Sohn Georgi werden uns jemals an einem Par-teienkampf beteiligen, das ist un-sere Position. Wir sind absolut apo-litisch. Wenn die Bevölkerung Russlands die Monarchie wieder-beleben möchte, erfüllen wir oder unsere legitimen Erben unsere Pfl icht. Doch wenn das geschieht, wird der legitime Monarch nicht als Anführer irgendeiner Partei auf den wiedererrichteten Thron zu-rückkehren, sondern lediglich als Oberhaupt einer historischen Dy-nastie. Er wird die Nähe zu allen Bürgern suchen und allen Partei-en und Gruppierungen zuhören, aber keiner angehören.

Sie haben mehrmals erklärt, keine

Ansprüche auf Besitztümer der Ro-

manow-Dynastie zu erheben.

Ich bin gegen eine Restitution, for-dere oder erbitte nichts und ratejedem davon ab, es zu tun. Ichhoffe, wir werden in Zukunft derVersuchung entgehen, ein weite-res Mal „alles zu nehmen und auf-zuteilen“. Eine neuerliche Umver-teilung würde eine Vielzahl vonKonflikten heraufbeschwören.Diejenigen, denen der Besitz ge-nommen wurde, und diejenigen,die sich den Besitz damals aneig-neten, leben schon lange nichtmehr. Die Nachkommen der Ak-teure jener schmerzlichen, furcht-baren Ereignisse sollten keineRache nehmen wollen.

Das Interview führteJelena Nowikowa

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QUELLE: ALLRUSSISCHES MEINUNGSFORSCHUNGSZENTRUM (WZIOM)

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7RUSSLAND HEUTE WWW.RUSSLAND-HEUTE.DE

EINE BEILAGE DES ROSSIJSKAJA GASETA VERLAGS, MOSKAU Thema des Monats

Die Zarendynastie Romanow

• Bewältigte die Fol-gen der „Zeit der Wirren“ • Unterzeichnete ei-nen Friedensvertrag mit Schweden

• Zentralisierung der Macht BEKANNT FÜR: Erster Zar der Roma-nows, Wahl zum Zaren im Alter von 16 Jahren.

• Anschluss der linksufrigen (östlich des Dnepr gelege-nen) Ukraine • Reformierung der Kirche

• Bauernaufstand unter Stenka Rasin BEKANNT FÜR: Gefangennahme von Patriarch Nikon, Beginn der Spaltung der orthodoxen Kirchen.

• Volkszählung• Steuerreform • Krieg mit dem Osmanischen Reich (1676–1681)BEKANNT FÜR:

Seine Neigung zu allem Polnischen, Verurteilung des altgläubigen Proto-popen Awwakum zum Tode auf dem Scheiterhaufen.

• Wurde zusammen mit seinem Halb-bruder Peter I. zum Zaren gekrönt, die Regentschaft hatte jedoch seine

Schwester Sofia inne. Iwan V. hielt sich aus den Staatsgeschäften heraus.BEKANNT FÜR: Sein geistig minder-bemitteltes und kränkliches Wesen.

• Gestaltete das Rus-sische Reich um• Sieg im Großen Nordkrieg gegen Schweden, Zugang zur Ostsee

BEKANNT FÜR: Inkognito-Reise durch Europa, Aufbau der Russischen Flotte, Verhängung des Todesurteils über sei-nen Sohn wegen Hochverrats.

• Befasste sich nicht mit Staatsgeschäf-ten. Das Land wurde vom Obersten Ge-heimen Rat regiert, den Fürst Alexander

Menschikow leitete. BEKANNT FÜR: Veranstalten pompö-ser Feste in ihrer Residenz Zarskoje Sjelo bei St. Petersburg.

• Aufgrund seines jungen Alters hinter-ließ Peter II. keine nennenswerten Spu-ren in der russischen Geschichte. Faktisch

wurde das Land vom Obersten Gehei-men Rat regiert.BEKANNT FÜR: Verstarb im Alter von 14 Jahren an den Pocken.

• Löste den Obers-ten Geheimen Rat auf • Reformierte die Russische FlotteBEKANNT FÜR:

Neigung zu Tratsch und Intrigen, kost-spielige Feste, Übertragung der Staats-geschäfte auf ihren Günstling Ernst Johann von Biron.

• Russlands „Mann mit der eisernen Maske“. Regierte ein Jahr lang als Kind • Wurde gestürzt und 23 Jahre in

Gefangenschaft gehalten• 1764 bei Befreiungsversuch ermordetBEKANNT FÜR: Im Alter von zwei Monaten zum Zaren gekrönt.

• Schaffte die Todes-strafe ab• Siebenjähriger Krieg mit Preußen, Besetzung BerlinsBEKANNT FÜR:

Förderung von Wissenschaft und Kultur, Eröffnung der Staatlichen Moskauer Universität.

• Frieden mit Preu-ßen nach Siebenjäh-rigem Krieg, über-eignete die erober-ten Gebiete wieder Preußen

BEKANNT FÜR: Sein ignorantes und feiges Wesen, Trunksucht und Ver-ehrung des preußischen Militärdrills.

• Politik des aufge-klärten Absolutismus• Anschluss der Krim • Pugatschow-AufstandBEKANNT FÜR:

Korrespondenz mit Voltaire und Diderot, ihre Klugheit und zahlreiche Geliebte.

• Militärreformen nach preußischem Vorbild• Einführung der Zensur und Erlass über ein Einfuhrver-

bot ausländischer BücherBEKANNT FÜR: Sein Image eines „Russischen Hamlet“, sein tyrannisches und despotisches Wesen.

• Sieg über Napole-on im Krieg von 1812 • Gemäßigt liberale Reformen • Annektierte Polen und Finnland

BEKANNT FÜR: Die durch ihn verfügte Verbannung des großen russischen Dichters Alexander Puschkin in den Kaukasus.

•Dekabristenauf-stand• Isolationspolitik gegenüber Europa BEKANNT FÜR: Die Befreiung des

Dichters Alexander Puschkin aus dem Exil, seine Bekämpfung der Korruption, seine konservative Politik, antijüdische repressive Bestimmungen.

• Ära liberaler Reformen • Expansion des Russischen Reichs• BalkanfeldzugBEKANNT FÜR:

Abschaffung der Leibeigenschaft, sei-nen Tod durch einen Bomben-Terroris-ten an jenem Tag, an dem er eine libe-ralere Verfassung billigen wollte, die ihm gewidmete Auferstehungskirche.

• Intensive Industrialisierung• Zollkrieg mit Deutschland, Union mit Frankreich BEKANNT FÜR:

Seine körperliche Größe und Kraft, seine Bekämpfung des Terrorismus, die Ausweitung der Befugnisse der Geheimpolizei, seine antiliberale Politik.

• Erster Weltkrieg• Russische Revolu-tion von 1917• Ende der MonarchieBEKANNT FÜR:

Seine unbeschwerte Natur und Senti-mentalität, seine Gefangennahme und Ermordung mitsamt seiner Familie durch die Bolschewiki in Jekaterinburg im Jahr 1918.

1613–1645 1645–1676 1676–1682

1682–1696 1682–1725 1725–1727

1727–1730 1730–1740 1740–1741

1741–1762 1761–1762 1762–1796

1796–1801 1801–1825 1825–1855

1855–1881 1881–1894 1894–1917

Michail I. Alexej I. Fjodor III.

Iwan V. Peter I. Katharina I.

Peter II. Anna I. Iwan VI.

Elisabeth I. Peter III. Katharina II.

Paul I. Alexander I. Nikolaus I.

Alexander II. Alexander III. Nikolaus II.

ALEXANDER MOROSOWFÜR RUSSLAND HEUTE

Unter Jelzin erfuhr Nikolaus II.

seine Rehabilitierung als ge-

rechter Herrscher, später wurde

er sogar heiliggesprochen. In

Umfragen lässt er heute Stalin

und Breschnew hinter sich.

Zum Ende der Sowjetunion galt der Mord an der Zarenfamilie als Inbegriff der gnadenlosen und brutalen Sowjetherrschaft. Das Interesse an der Person des Zaren war jedoch gering. Anfang der 1990er-Jahre wurden dann Rufe nach seiner Heiligspre-chung laut. Weil das Verhältnis Nikolaus II. zur Geistlichkeit unter anderem wegen der Rolle Rasputins an seinem Hof gespannt war, konnte sich die Kirche zu-nächst nicht einig werden. Es folg-ten ein Meer an Literatur und Filme, in denen der Zar entgegen der bestehenden Wahrnehmung als „Mensch mit starkem Willen“ rehabilitiert wurde.Die politische Stunde Nikolaus II. schlug Ende der 1990er-Jahre, als die Positionen der Liberalen und mit ihnen Jelzin ins Wanken ge-rieten. Jelzins zweite Präsident-schaft fiel in die Zeit einer tief greifenden Spaltung der Gesell-schaft. Die Hoffnungen auf eine baldige Integration in die westli-che Welt nach dem Fall des Kom-munismus waren versiegt. Niko-laus II. wird in dieser Zeit zu einer Identifi kationsfi gur für den Wi-derstand konservativer und mo-narchistischer Kräfte, zum Sym-bol einer sakralen Macht in Russ-land, die berufen ist, das Volk und seinen Glauben vor einer welt-weiten Verschwörung der gottlo-sen westlichen Zivilisation zu schützen.Jelzin versuchte, diese Kräfte als neue politische Basis für sich zu gewinnen. Schon 1993 gründete er eine Kommission zur Identifi -zierung der sterblichen Überres-te der Zarenfamilie, die fünf Jahre lang an dieser Aufgabe arbeitete. Die endlosen Diskussionen und Expertisen kamen erst im Jahr 1998 mit einer staatlichen Begräb-niszeremonie zu einem Ende. Im Jahr 2000 schließlich sprach der russische Patriarch den letzten Zaren samt Familie heilig.

Mit der Präsidentschaft von Wla-dimir Putin wurde es stiller umNikolaus II. Er verlor in der „Er-innerungspolitik“ des Kremlsseine prominente Rolle. Putin in-teressierte sich nicht sonderlichfür die vorsowjetische Ära. Wäh-rend seiner ersten Amtszeit ver-suchte er, den „langen russischenBürgerkrieg des 20. Jahrhunderts“symbolisch zu beenden. Einerseitshielt er an der alten sowjetischenStaatshymne fest. Andererseitspfl egte er demonstrativ Beziehun-gen zu dem der Monarchie zuge-neigten Alexander Solschenizynund veranlasste die Umbettungder Gebeine im Ausland verstor-bener weißer Generäle nachMoskau.Nach 2005, als seine Macht gefes-tigt war, versuchte Putin, ein Pan-theon russischer Herrlichkeit zuerrichten. Hier fanden AlexanderNewski, Stalin, Lenin, Juri Ga-garin, der bekannteste HeiligeSerafi m Sarowski und MarschallGeorgi Schukow einen Platz. Undauch Zar Nikolaus II. wurdeaufgenommen. Doch Putins Zugang zur Ge-schichte ist wenig emotional. Esgeht ihm eher um praktische undtechnische Fragen des Regierens.Daher wird Nikolaus II. von ihmneben viele andere russische Herr-scherfi guren als Vorgänger seines„aufgeklärten Autoritarismus“eingereiht. Die russische Gesellschaft isthinsichtlich der eigenen Geschich-te noch immer gespalten. Bei einerUmfrage von 1994 zur Frage„Welche historische Figur wür-den Sie als echten russischenPatrioten bezeichnen?“ war Ni-kolaus II. nicht unter den ers-ten zehn. Nur fünf Prozent derBefragten hielten ihn für einenPatrioten.Heute sieht es ganz anders aus.Nach der jüngsten Umfrage desLewada-Zentrums bewerten nurvier Prozent die Rolle Jelzins undGorbatschows als positiv. Die-se werden von Stalin, Breschnew(beide 13 Prozent) und NikolausII. (14 Prozent) deutlich überfl ü-gelt. Der Zar vereint die wenigs-ten Negativattribute in sich. Erwird geschätzt, ohne dass er mitTyrannei und Gewaltherrschaftin Verbindung gebracht wird.

Vom Opfer der Bolschewiki zum starken Politiker

Geschichte Jelzin, Putin und der letzte Zar

Der letzte Zar Nikolaus II. mit seinen Kindern und Neffen 1915

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EINE BEILAGE DES ROSSIJSKAJA GASETA VERLAGS, MOSKAUGesellschaft

TATJANA MARSCHANSKICHFÜR RUSSLAND HEUTE

Nina und Ljuba wurden vor

zwölf Jahren von deutschen

Eltern adoptiert. Dass ihre leib-

lichen Mütter in Russland leben,

wissen die Gymnasiastinnen –

und nehmen es sehr gelassen.

Nina wurde in Petrosawodsk, der Hauptstadt der Republik Kareli-en, geboren. Die leibliche Mutter sagte sich von ihr los, als sie noch nicht einmal ein Jahr alt war, des-halb wurde die Kleine in ein Kin-derheim eingewiesen. Nach dem Gesetz hatten zuerst adoptions-willige Russen die Möglichkeit, das Baby aufzunehmen. Als das nicht geschah, erfuhren Marion Gaedicke und ihr Mann durch das deutsche Jugendamt von der klei-nen Nina.„Wir haben uns gleich bei unse-rer ersten Begegnung in Nina ver-liebt“, schwärmt Adoptivmutter Marion und präsentiert auf ihrem iPhone ein Foto ihrer heute 13-jäh-rigen Tochter. „Das ist sie!“ Ein blondes Mädchen mit geschmink-ten Lippen blickt in die Kamera. „Nina ist in der Pubertät, da wer-den alle Lippenstifte mal durch-probiert“, ergänzt Marion Gaedi-cke lächelnd.

Auf zu Nina nach KarelienDie Fernsehproduzentin Marion und ihr Mann konnten keine leib-lichen Kinder bekommen, und eine Inlandsadoption kam aus Alters-gründen nicht infrage. Deshalb schlug Marion vor, ein Kind aus Russland zu adoptieren, denn sie ist in der DDR groß geworden, mochte die russische Sprache und war als Kind und Jugendliche vol-ler Begeisterung in die Sowjet-union gereist.Mithilfe des deutschen Jugend-amts suchten die Eheleute 1999 Unterstützung bei einer Organi-sation, die Adoptionen in Russ-land vermittelt, legten die erfor-derlichen Dokumente vor und mussten anschließend geduldig warten. Erst nach etlichen Mona-ten erhielten sie eine Einladung nach Petrosawodsk, um Nina kennenzulernen.

Wie Marion Gaedicke ihre beiden Töchter fand

Adoption Ein deutsches Ehepaar wollte ein russisches Kind aufnehmen. Dann waren es plötzlich zwei

Kinderadoption in Russland (2012)

gen und Mädchen nach dem Lebenim Heim nichts Gutes.“ Die trau-rige Statistik des Forschungsins-tituts für Probleme des Kindes-alters der Russischen Kinderstif-tung weist aus, dass jeder dritteZögling eines Kinderheims einJahr nach der Entlassung auf derStraße lebt, jeder fünfte straffäl-lig wird und jeder zehnte Selbst-mord begeht.

Marion Gaedicke gegen den Obersten Gerichtshof Als Marion und ihr Mann bereitsmit Nina nach Deutschland fah-ren wollten, stoppte ein Gerichtdas Adoptionsverfahren. In denUnterlagen wurde das Mädchenals Waise geführt, doch nun stell-te sich heraus, dass die leiblicheMutter lebte. Außerdem hatte mandem deutschen Paar den Gesund-heitsbericht des Kindes nicht aus-gehändigt. Die Richterin ordnetean, dass Mitarbeiter des Sozial-dienstes noch einmal in das Dorfder Mutter fahren sollten. Siekönnte es sich ja doch noch an-ders überlegen. Die staatlichenVertreter fanden nicht nur dieMutter, sondern auch die Groß-mutter des Mädchens, doch nie-mand hatte Interesse an Nina. AmEnde verweigerte das Gericht je-doch – trotz der zusätzlich beige-brachten Dokumente – die Adop-tion und begründete den Schrittmit Verfahrensfehlern.Marion war völlig verzweifelt. DenVorschlag der Staatsanwältin,an Ninas Stelle ein anderes Kindaufzunehmen, schlugen die bei-den aus und reichten stattdessenBerufungsklage beim OberstenGerichtshof der Russischen Fö-deration ein. „Sie haben keineChance“, so die Einschätzung derAnwälte, „bis jetzt haben in der-artigen Fällen die Ausländer aus-nahmslos verloren.“Marion Gaedicke gewann den Pro-zess. Man braucht diese Frau nureinmal zu sehen, um zu verste-hen, warum. „Wenn den Rechts-anwälten irgendein Papier gefehlthat, bin ich selbst zu den Behör-den gegangen und habe versucht,das Dokument mit meinem holp-rigen Russisch zu besorgen“, er-klärt die Journalistin.

Eine russisch-deutsche FamilieAls das Gericht zugunsten vonMarion und ihrem Mann ent-schied, waren beide überglück-lich. Kurz darauf durften sie nochein zweites Mädchen aus dem Kin-derheim in Petrosawodsk adop-tieren: Die kleine Ljuba wurdeNinas jüngere Schwester, diesmalohne Schwierigkeiten. Seit zwölf Jahren leben die Adop-tiveltern mit ihren Töchtern inSüddeutschland. „Für uns istwichtig, dass Nina und Ljuba wis-sen, wie ihre erste Heimat dennso ist“, sagt die neue Mutter. „Des-halb sind wir nach St. Petersburggefahren, im nächsten Sommerwollen wir nach Karelien. Ninahat in der Schule Referate überRussland gehalten.“Aus der Herkunft der Mädchenmachen ihre Eltern kein Geheim-nis, beide wussten seit frühesterKindheit, dass sie Adoptivkindersind. Jede der Töchter besitzt einFoto ihrer leiblichen Mutter, dasMarion aufgetrieben hat. Vor ei-niger Zeit haben die Mädchenihren Müttern Briefe geschriebenund von ihrem glücklichen Lebenin Deutschland erzählt. Eine Ant-wort ist nicht eingetroffen. Nochnicht.

Oben: Mehr als

ein Drittel der

russischen

Waisenkinder

wurde 2012

von auslän-

dischen Eltern

aufgenommen.

Links:

„Wunschkind.

Geschichte ei-

ner Adoption“:

In diesem

Buch, erschie-

nen 2009 bei

Hoffmann und

Campe, schil-

dert Marion

Gaedicke ihre

Odyssee durch

die russischen

Behörden,

als sie ihr

erstes Kind

adoptierte.

Als das Paar im Heim eintraf, war ein Teil der Kinderschwestern an-fangs sehr zurückhaltend. „Dabei haben wir uns überhaupt nicht so benommen wie typische Westeu-ropäer. Wir sind gleich auf das Kind zugelaufen und haben mit ihm gespielt, während typische westliche Adoptionsbewerber in der Regel viel Spielzeug mitbrin-gen, es den Kindern hinlegen und dann nicht wissen, was sie weiter tun sollen.“

„Ihr kauft unsere Kinder weg“Einmal bekam die Deutsche von einer Mitarbeiterin des Kinder-heims zu hören: „Ihr Ausländer kauft unsere Kinder weg.“ Das hat Marion damals gekränkt. „Kin-der sind keine Ware, und sie sind nicht käufl ich. Wir bezahlten le-diglich die offiziellen Gebühren der Vermittlungsstellen und spä-ter einen Anwalt. Russland ist dafür verantwortlich, dass es so viele Sozialwaisen gibt. Wenn Ein-heimische sie nicht adoptieren wollen und wir, die Ausländer, sie nicht zu uns in eine Familie neh-men dürfen, erwartet diese Jun-

Verbot von Auslandsadoptionen

Ende Dezember 2012 unterzeichnete Wladimir Putin das Dima-Jakowlew-Gesetz, das US-Amerikanern verbie-tet, russische Kinder zu adoptieren. Moskau reagierte damit auf Sanktio-nen der USA gegen russische Beamte, die am Tod des inhaftierten Anwalts Sergej Magnizki im Jahr 2009 betei-ligt gewesen sein sollen. Auch homo-sexuelle Paare aus Ländern, in denen gleichgeschlechtliche Ehen erlaubt sind, und Unverheiratete müssen in Zukunft erhebliche Auflagen bei der Adoption von russischen Waisenkin-dern erfüllen. In ihrer Haltung zu Auslandsadoptio-nen weiß die Regierung die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich. Laut

WZIOM (Allrussisches Zentrum für Meinungsforschung) waren im Januar 2012 über 50 Prozent der Bevölke-rung dafür, Ausländern die Adoption von Kindern aus Russland zu ver-bieten, Anfang März 2013 waren es bereits 64 Prozent.Zu Beginn des Jahres 2012 waren in Russland mehr als 650�000 Kinder als Waisen erfasst, obwohl in 80 Prozent der Fälle leibliche Eltern vorhanden sind. Anfang 2013 wurde von den Gesetzgebern ein Maßnahmenpaket erarbeitet, das ihre Adoption durch Bürger der Russischen Föderation befördern soll. Nach Meinung von Ex-perten wurde das Problem elternloser Kinder dadurch jedoch nicht gelöst.

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QUELLE: MINISTERIUM FÜR BILDUNG UND WISSENSCHAFT

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9RUSSLAND HEUTE WWW.RUSSLAND-HEUTE.DE

EINE BEILAGE DES ROSSIJSKAJA GASETA VERLAGS, MOSKAU Reportage

PAULINE TILLMANNFÜR RUSSLAND HEUTE

In fünf Monaten beginnen im

bekannten Badeort Sotschi die

Olympischen Winterspiele.

Wie ist die Stimmung in der

Bevölkerung? Und wie weit

sind die Vorbereitungen?

Überall wird gehämmert, gebohrt und gemörtelt. Sotschi ist mit sei-nen 145 Kilometern die längste Stadt Europas. Momentan braucht man zwei Stunden mit dem Bus, um vom Zentrum zum Olympia-park zu gelangen. Das größte Pro-blem sind die Staus. Und so fl ießt das meiste Geld nicht in die Sta-dien, sondern in die Infrastruk-tur. Bis eine neue Autobahn oder eine Zugtrasse fertiggebaut ist, das dauert. Deshalb leiden die Be-wohner von Sotschi seit Jahren unter Staub und Lärm.Auf der Großbaustelle Sotschi sind derzeit 30 000 Arbeiter im Einsatz. Das ist auch nötig, denn es bleibt nicht mehr viel Zeit bis zum 7. Fe-bruar 2014, dem Eröffnungstag der Olympischen Winterspiele. Und da die Spiele von Präsident Wladimir Putin zur Chefsache erklärt wurden, müssen es die bes-ten aller Zeiten werden. Schon jetzt ist klar: Es werden die teu-ersten Spiele der olympischen Geschichte.

Streit um die MehrkostenUrsprünglich waren die Kosten auf rund zehn Milliarden Euro veranschlagt. Ein Jahr vor Spiel-beginn wurde die Summe dann auf 40 Milliarden Euro korrigiert – 10 Milliarden mehr, als die bom-bastischen Sommerspiele in Pe-king 2008 kosteten. Die größten Sorgen bereiteten den Verant-wortlichen die beiden Skisprung-schanzen: zwei Jahre Bauver-

Endspurt am Schwarzen Meer: die Welt zum Staunen bringen

Sotschi 2014 Im Februar beginnen die Spiele

zögerung und siebenmal höhere Kosten. Das machte selbst Präsident Putin bei seiner letzten Stippvisite stut-zig, und kurzerhand feuerte er den Vizechef des Nationalen Olympi-schen Komitees, Achmed Bilalow. Wer nun für die Mehrkosten auf-kommen wird, ist unklar. Ur-sprünglich sollten einen Großteil der „olympischen“ Ausgaben Oli-garchen wie Oleg Deripaska und Wladimir Potanin stemmen. Doch auch deren Geduld ist zu Ende.Im Olympiapark sind die meisten der elf Bauprojekte bereits fertig. Einzig das Stadion, in dem die Eröffnungs- und Abschlussfeier

stattfi nden sollen, ist noch nicht bezugsfertig. In allen anderen Hallen wurden bereits Testläufe und internationale Wettbewerbe ausgetragen. Bei so viel Bauwut stellt sich die Frage der Nachhaltigkeit. Denn Sotschi ist ein Badeort mit 450 000 Einwohnern. Wie will man es spä-ter schaffen, elf olympische Ob-jekte zu nutzen und dabei wirt-schaftlich zu betreiben?Vier Hallen wurden so konstru-iert, dass man sie nach den Spie-len demontieren und an anderer Stelle wieder aufbauen könnte. Dann entschied die politische Führung jedoch, alles an Ort und Stelle zu lassen. Der neue Plan: Der Kurort Sotschi soll im An-schluss an den Olympiarummel zu einem internationalen Tum-melplatz des Sports werden.

Auf der Großbaustelle Sotschi an der Schwarzmeerküste sorgen mehr als 30�000 Arbeiter für Bewegung.

40 Milliarden Euro werden voraussichtlich für die Vorbereitung der Winterspiele in Sotschi ausgegeben. Damit sind es die teuersten Spiele aller Zeiten.

42�000neue Hotelzimmer werden für die Sportler und Olympiagäste benötigt. Im Zentrum von Sotschi werden dafür mehr als 20 neue Hotels gebaut.

2000Menschen wurden umgesiedelt, um Platz für die olympischen Objekte zu schaffen, die meisten von ihnen stam-men aus der Imeretinskaja-Bucht.

ZAHLEN

„Wir müssen den Frei-willigen beibringen, zu lächeln und hilfsbereit zu sein“, sagt Sergej Tscheremschanow, Leiter der 25�000 Helfer, die während der Winterspiele im Einsatz sein werden.

Im Zentrum werden mehr als 20 neue Hotels gebaut, die das Stadtbild schon jetzt sehr verän-dert haben. Sie wollen nicht so recht zu den fünfstöckigen Tra-ditionsbauten passen.

Skispringen in den Subtropen?Heute ragen an vielen Stellen Hochhäuser in den Himmel, und bei manchen Einwohnern sorgen sie für Unmut. Wie bei Wladimir Kimajew. Der Umweltschützer be-klagt, die Winterspiele seien eine Tragödie. Viele Grünfl ächen seien verschwunden, stattdessen wür-den überall diese „Glas-Beton-Klötze“ entstehen. „Das dreiwö-chige Fest ist ein Verbrechen gegen die Natur und vor allem gegen die Menschen“, so Kimajew. Damit meint er die rund 2000 Einwoh-ner, die aufgrund der gigantischen Bauvorhaben umgesiedelt werden mussten.Die meisten Bewohner der Ime-retinskaja-Bucht, in der ein Groß-teil der olympischen Objekte ent-steht, mussten inzwischen in neu gebaute Häuser ziehen. Allerdings sind manche durch das Raster gefallen.Der 55-jährige Andrej Martenew ist einer von ihnen. Er hatte auf dem Gelände des Olympiaparks ein Haus gekauft. Später wurden ihm Formfehler nachgewiesen, woraufhin das Haus abgerissen wurde. Seit Januar wohnt er mit seiner Frau in einem ehemaligen Sowjetbunker, auf einer Fläche von acht Quadratmetern.

Eine Entschädigung ist bislangnicht in Sicht. „Am schlimmstenwar der Tag, an dem die Bulldo-zer angerückt sind und den Traumeines eigenen Hauses mit einemStreich zertrümmert haben“, er-innert sich Martenew. Und es willihm einfach nicht in den Kopf,warum Winterspiele in den Sub-tropen stattfi nden müssen.Aber gerade das war die Idee –man will die Welt zum Staunenbringen, indem man Meer und Ber-ge miteinander kombiniert. Diewohlhabenden Russen sollenkünftig zum Skifahren nicht mehrnach Kitzbühel reisen, sondern andie Schwarzmeerküste.

Lächelnde Freiwillige gesuchtMehr als 25 000 Helfer wurden fürdie Winterspiele gewonnen. SergejTscheremschanow, der das Frei-willigenzentrum in Sotschi leitet,sagt: „Wir müssen den Freiwilli-gen beibringen, zu lächeln undhilfsbereit zu sein.“Von 200 000 Bewerbern wurdendie besten aus ganz Russland aus-gewählt. Aber die Freiwilligenwerden nicht nur im Februar 2014im Einsatz sein. „Bald wird in Sot-schi die Formel 1 ausgetragen,dann findet der G-8-Gipfel inRussland statt, 2018 die Fußball-WM; es gibt genug Veranstaltun-gen, bei denen unsere Helfergebraucht werden“, sagt er selbst-bewusst. Wie man so viele Frei-willige organisiert, hat sich derUni-Dozent übrigens in Vancou-ver und London abgeschaut.

Künftig sollen die wohlhabenden Russen zum Skifahren nicht mehr nach Kitzbühel, sondern nach Sotschi.

RUSSIA BEYOND THE HEADLINES – GENERAL MEDIENPARTNER

Sotschi-Forum: Motor der Wirtschaftsmodernisierung

Das Internationale Investitionsforum Sotschi ist eine Plattform für den Dialog zwi-

schen Wirtschaft und Staat. Letztes Jahr haben mehr als 7300 Menschen an dem

Forum teilgenommen: die Führungsköpfe staatlicher Institutionen, russischer und

internationaler Unternehmen und diplomatischer Vertretungen aus 55 russischen

Regionen und 40 Ländern.

Mein Gesamteindruck des Forums ist positiv. Die Plenardiskussion mit Präsident Wladimir Putin war der nützlichste Teil. Ich erinnere mich an seine Aussagen, wie wichtig die Reduzierung des staatlichen Einflusses auf die Wirtschaft sei. Ich denke, das war eine sehr richtige Entscheidung.

NIKOLAJ PRJANISCHNIKOW, PRÄSIDENT VON MICROSOFT, RUSSIA

XII

INTERNATIONAL

INVESTMENT

FORUM SOCHI,

201326.–29. SEPTEMBER

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10 WWW.RUSSLAND-HEUTE.DE RUSSLAND HEUTE

EINE BEILAGE DES ROSSIJSKAJA GASETA VERLAGS, MOSKAUKultur

Für den russischen Künstler Ale-xander Rodtschenko (1891–1956) lagen Kunst und Experiment nah beieinander. Mit 150 Werken, ver-teilt auf knapp 630 Quadratme-ter, ist „Rodtschenko. Eine neue Zeit“ seit zehn Jahren die erste Schau dieser Art in Deutschland. Seit Juni ist sie für Besucher des Bucerius Kunst Forums in Ham-burg geöffnet.Mit gerade 26 Jahren beginnt für den Künstler, der bis heute vor

allem durch seine Fotografi en be-kannt ist, eine Zeit kreativer und hochexperimenteller Einfälle. Eine Art Höhenfl ug, der ihm ei-nige Jahre nach seinem Tod 1956 den Titel eines Vordenkers der Neoavantgarden der 1960er-Jah-re bescheren wird. Im unteren Oktogon des Buce-rius Kunst Forums hat sich eine Gruppe zur offiziellen Ausstel-lungsführung versammelt. Direkt vor ihnen die frühesten Werke Rodtschenkos, dreidimensionale Objekte, die in der Luft zu schwe-ben scheinen. Auf den ersten Blick sind es einfache Sperrholzkons-truktionen ohne außergewöhn-liche Elemente oder festgefah-rene Formen. Und doch erwecken sie den Eindruck der Schwere-losigkeit und Freiheit, ganz im

Geiste der Zeit nach der Russi-schen Revolution 1917. Einer Zeit, in der auf einmal alles möglich schien, alles neu gestaltet werden durfte und auch musste. Und das tat Rodtschenko. „Das Besondere an dem Künstler war, dass er als Erster angefangen hat, seine Bil-der zu konstruieren. Er tat es ganz einfach, mit einem Lineal und einem Zirkel, fast wie ein Ingeni-eur. So etwas hat es vor seiner Zeit noch nicht gegeben“, erklärt Ste-fanie Reimers, die die Besucher durch die Ausstellung leitet.Das Prinzip der Konstruktion hat Rodtschenko konsequent in sei-ner Malerei umgesetzt. Die Linie ist für ihn ein präzises Werkzeug, ein bildnerisches Mittel zur Dar-stellung von Licht, Raum und Be-wegung. Dieses Werkzeug setzt er auch in seinem Entwurf für einen Arbeitsanzug um, der in der Aus-stellung zu sehen ist: In dessen Prototyp setzt sich Rodtschenko bewusst in Szene und posiert darin für den Fotografen.Er beginnt nicht nur Stoffmuster, Gebrauchsgegenstände und Möbel zu entwerfen. Er beschäftigt sich auch mit Architektur und fertigt 1919 den Entwurf für einen Kiosk an. Das von seinem Enkel Ale-xander Lawrentjew später reali-sierte Modell in leicht abgeänder-ter Form ist ebenfalls im Buce-rius Kunst Forum ausgestellt. „Seine Experimentierfreudigkeit ist es, die Rodtschenko so beson-ders macht“, erklärt Dorothee Kröber, Geschäftsführerin vom Bucerius Kunst Club. „Er hat stän-dig neue Dinge ausprobiert, war seiner Zeit immer voraus und nahm so Elemente vorweg, die in der Kunstgeschichte erst später wieder eine Rolle gespielt haben.“ Ob mit Werbegrafiken, denen Rodtschenko sich besonders in den Zwanzigerjahren intensiv widmet, oder mit Produktpackungen wie

der sowjetischen Zigarettenmar-ke Lux – seine Werke beeindru-cken unmittelbar und werdenauch heute noch, fast hundertJahre nach ihrer Entstehung, alsmodern und innovativ empfun-den. Mathias Schumann, VWL-Doktorand, der der Führung andiesem Tag aufmerksam folgt, ge-steht, er habe nicht gedacht, dassdieser Künstler heute noch soalltagspräsent ist: „Wenn seine Bil-der als Vorlage für das Cover-motiv von Bands wie Franz Fer-dinand (schottische Indie-Rock-band, Anm. d. Red.) herhalten,muss das schon was heißen.“ Unddas kommt bei den jungen Besu-chern der Ausstellung natürlichbesonders gut an.Von Rodtschenkos Motiven unddreidimensionalen Konstruktio-nen haben sich auch Studentender Fakultät Technik und Infor-matik der Hochschule für Ange-wandte Wissenschaften Hamburginspirieren lassen. Am Tag deroffenen Tür des Museums stelltensie ihre Lichtinstallationen vor,die im Rahmen des Projekts „Com-putational Spaces“ entworfen undprogrammiert wurden. „Surrea-le Kausalität“ heißt eine davon.Dabei handelt es sich um eineübermenschenhohe Konstruk-tion, die in Verbindung mit Be-wegung farblich interagiert. Christo Papanouskas, der fürKonzeption und Gestaltung desModells verantwortlich zeichnet,erklärt die Verbindung zu Rodt-schenkos Schaffen: „Bei der Ins-tallation haben wir uns sehr starkvon Rodtschenkos ‚Reine FarbeRot‘, ‚Reine Farbe Gelb‘, ‚ReineFarbe Blau‘ inspirieren lassen. Esist höchst erstaunlich, wie moderndieser Künstler war und heuteimmer noch ist. Seine Werke ver-mitteln auf eine ganz besondereArt Gefühl und sind wirklich sehrinspirierend.“

Kunst für Agitprop und Plattencover

Kunst Noch bis zum 15. September ist das Werk Alexander Rodtschenkos in Hamburg zu bewundern

DARIA ZINGALEVA FÜR RUSSLAND HEUTE

Alexander Rodtschenko gilt als

einer der innovativsten Künstler

der russischen Avantgarde.

Wie inspirierend er auch heute

noch ist, zeigt eine Ausstellung

im Bucerius Kunst Forum.

1

2

3

4

1. Raumkonstruktionen aus dem

Zyklus „Lichtreflektierende Flä-

chen“ (1920–1921): Die Objekte

scheinen schwerelos im Raum zu

schweben.

2. Werbeplakat mit dem Porträt

von Lilja Brik für den Staatsver-

lag Lengis, 1925

3. Selbstbildnis, 1921

4. Fotografie von Michail Kauf-

man: Alexander Rodtschenko

im Arbeitsanzug, 1922. Auch in

seiner Textilkunst spielt die Linie

eine wesentliche Rolle.

Das Prinzip der Kons-truktion hat Alexander Rodtschenko konsequent auch in seiner Malerei umgesetzt.

ULRICH PERREY

© VG BILD-KUNST, BONN 2013(3)

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11RUSSLAND HEUTE WWW.RUSSLAND-HEUTE.DE

EINE BEILAGE DES ROSSIJSKAJA GASETA VERLAGS, MOSKAU Kultur

KULTUR-

KALENDER

WISSENSCHAFT

SCIENCE SLAM

13. SEPTEMBER, SO36, BERLIN

Bereits zum dritten Mal stehen sich drei deutsche und russische Jungwis-senschaftler gegenüber und präsen-tieren ihre Ideen, diesmal an einem selten legendären Ort, dem SO36 in Berlin-Kreuzberg. Keine Angst vor Sprachbarrieren: Es wird simultan gedolmetscht. › scienceslam.net

AUSSTELLUNG

ABGESANG DES ZARENTUMS.

PRACHTBÄNDE ZUM 300-JÄHRI-

GEN THRONJUBILÄUM

NOCH BIS 20. SEPTEMBER, BAYERISCHE

STAATSBIBLIOTHEK, MÜNCHEN

1913 ließ der Zar prunkvoll das Thron-jubiläum der Romanows begehen. Es entstanden reich ausgeschmückte Prachtbände, die Zeugnis ablegen von der Selbstinszenierung der Zaren. › bsb-muenchen.de

KONZERT

VIVAT RUSSLAND!

15. OKTOBER, ROBERT-SCHUMANN-SAAL,

DÜSSELDORF

Das Konzert mit hochkarä tigen Stars der russischen Musik- und Theater-szene entfü hrt Sie in die Geschichte der Musikkultur Russlands von ihren frü hen Anfä ngen bis zum heutigen Tag. Ein Potpourri aus Folklore, Klas-sik und coolem Jazz. › vivat2013.rg-nrw.de

ERFAHREN SIE MEHR

ÜBER RUSSISCHE KULTUR AUF

RUSSLAND-HEUTE.DE

LESENSWERT

Zu den Wurzeln

„… ich bin einmal ein sowjeti-sches Kind gewesen. Ein Mos-kauer Kind. Nur kurz, ganz amAnfang. […] Die Geschichte, diedahintersteht, ist nur die Ge-schichte meiner Eltern. MeineGeschichte dagegen hat dortnur begonnen, nichts weiter“,schreibt Irina Liebmann. Das spielt die Bedeutung, diedieses Land für sie hat, herun-ter: Russland ist mehr als nurdie Episode zweier Jahre alsKind in Moskau. So liest manes aus dem Bericht über drei Rei-sen heraus, die sie seit 2009 nachRussland führten. Liebmann wurde 1943 in Mos-kau geboren, 1945 folgte sie mitihrer Mutter, einer russischenGermanistin, dem Vater nachOstberlin. Die Hartnäckigkeit,mit der sie das Land ihrer Ge-burt verstehen will, zeugt vonwiederentdeckter Liebe.Moskau erlebt Liebmann alseinen Zwitter zwischen Sowjet-union und dem „neuen“ Russ-land. Auf der einen Seite wer-den die Maiparaden wieder ak-tiviert, auf der anderen ist dieProduktwerbung westlicherKonsumgüter von einer Imper-tinenz, dass einem Hören undSehen vergeht. Sie kehrt ernüch-tert nach Berlin zurück, mit derKopie einer berühmten Ikone imGepäck. Die führt sie zum Ori-ginal nach Kasan an der Wolga,einer Stadt, die sie verzaubert.Ihre dritte Reise lässt sie am rus-sischen Familienleben auf einerDatsche teilhaben.Erschreckend ist für die Toch-ter eines jüdischen Vaters derallgegenwärtige Antisemitismus,sei es bei ihrer Moskauer Gast-geberin oder in den Buchhand-lungen. Die Juden sind an allemschuld: am Untergang des Za-renreichs und am Untergang derSowjetunion. Liebmann hat einen Blick fürdie Brüche der russischen Ge-sellschaft. Sie spürt sie auf inden Begegnungen mit Menschen,deren Hoffnungen, Ängsten undVerdrängungen.Bücher dieses wachen und sen-siblen Formats vermitteln zwarsubjektive, aber dadurch sehrdifferenzierte Eindrücke einesRiesenreichs im Wandel.

Jürgen Lentes

Irina Liebmann, Drei Schritte nach Russland, Erzählung. Berlin Verlag 2013, geb., 208 Seiten, 16,99 Euro. Dieses Buch können Sie be-quem online bei calle-arco.de/Russland_Heute bestellen.

INTERVIEW LJUDMILA ULITZKAJA

„Ich halte die Augen offen“EINE DER WICHTIGSTEN AUTORINNEN RUSSLANDS ÜBER IHRE ARBEIT, DIE

RUSSISCHE GESELLSCHAFT UND IHRE AUFGABE ALS SCHRIFTSTELLERIN

Was ist für Sie maßgebend bei

der Entscheidung für einen neuen

Romanstoff?

Nicht ich entscheide mich für einen bestimmten Stoff, es ist wohl eher umgekehrt – die Themen wählen mich. Eine Ausnahme bil-det lediglich „Das grüne Zelt“ (2012 bei Hanser erschienen, Anm. d. Red.). Ich sah es als meine Pfl icht an, ein Buch über die Ge-neration zu schreiben, die man bei uns üblicherweise als die „Sech-ziger“ bezeichnet. Die jungen Leute in der heutigen Zeit machen die Generation der Sechziger, wie ich vielen Gesprächen entnommen habe, für unsere heutigen Verhält-nisse verantwortlich.Der Prozess einer gewissen „Sta-linisierung“, den ich heute tag-täglich beobachte, zeigt, dass keine Lehren aus dem sowjetischen Herrschaftssystem und seinen brutalen Repressionen gezogen wurden. Im „Grünen Zelt“ ging es mir darum, ein Porträt der jun-gen Generation der beginnenden Sechzigerjahre zu zeichnen, mit ihren unterschiedlichen Talenten und Schicksalen. Und ich wollte zeigen, wie sie alle deformiert, wenn nicht zerstört werden von der sowjetischen Macht. Das ist im Grunde meine Hauptkritik am sowjetischen System. Es hat über Jahrzehnte die Menschen einge-schüchtert und schließlich deren Gefühl von Würde und Selbstach-tung vernichtet.

Das Bild des „grünen Zeltes“

verweist auf die Biologie und die

Psychologie – das Zelt konser-

viert den Zustand der Unreife.

Hat sich das kollektive Unbe-

wusste der Russen seit den Sech-

zigerjahren verändert?

Das kollektive Unbewusste hat sich während einer tausendjähri-gen Geschichte herausgebildet, und ich glaube nicht, dass 70 Jahre sowjetischer Macht etwas grund-legend verändert haben. Der Feu-dalismus und die Leibeigenschaft, die 1861 abgeschafft wurde, und 300 Jahre Mongolenherrschaft haben ebenfalls ihre Spuren hin-terlassen. Die Hälfte des russi-schen Adels hatte tatarische Fa-miliennamen – können Sie ermes-sen, in welchem Ausmaß der russische Staat von den tatari-schen Invasoren abhängig war? Wer kann beurteilen, wo die Gren-

Ljudmila Ulitzkaja wuchs in Moskau auf. Die studierte Biologin arbeitete als Genetikerin und wurde mit der Erzählung „Sonetschka“ (1992) als Prosaautorin entdeckt. Heute sind ihre Bücher in 17 Sprachen übersetzt.

BIOGRAFIE

GEBURTSORT: DAWLEKANOWO

ALTER: 70

BERUF: SCHRIFTSTELLERIN

ze zwischen Ost und West in der russischen Seele verläuft? Was also liegt dem unerforschten kollekti-ven Unbewussten zugrunde?

Man hat Sie nicht selten eine

feministische Schriftstellerin ge-

nannt. Stimmen Sie dem zu?

Die östlichen Traditionen, nach denen die Frau kein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft ist, sind in Russland stark, gleichzeitig zählt der internationale Frauen-tag am 8. März zu den wichtigs-ten Feiertagen. Er ist eine indi-rekte Bestätigung der Ungleich-heit von Frauen und Männern. Männer sind in allen Sphären des Lebens dominant. Genauer gesagt: in allen Sphären, die bei gerin-gem Einsatz von Energie große Erträge versprechen.Traditionell männliche Tätigkeits-bereiche im 19. Jahrhundert wie Medizin und Pädagogik haben sich in den vergangenen hundert Jah-ren in typische Frauenberufe ver-wandelt. Es handelt sich eben um arbeitsintensive Berufe.

Welche Rolle hat in unserer Zeit

die „Intelligenzija“?

Die russische Intelligenzija im klassischen Sinne dieses Wortes gibt es meiner Meinung nach nicht mehr. Das Gleiche trifft übrigens

auch auf das Proletariat zu. Es gibt Intellektuelle, Funktionäre und die große Masse derer, die mit den bestehenden Verhältnissen unzufrieden sind – von denen gibt es heute vielleicht sogar mehr als zu sowjetischen Zeiten.An die Stelle der alten Klischees sind keine neuen getreten. Uns umgibt eine riesige Wolke leerer Demagogie, die von einer sehr ge-fährlichen Renaissance nationa-listischen Gedankenguts und von einer Sehnsucht nach der unter-gegangenen Großmacht genährt wird. Die Sphäre des Kulturellen schrumpft, aber dieser Prozess lässt sich auch in Europa beob-achten. Ein Schriftsteller hat nur eine ernst zu nehmende Aufgabe: das Geschehen in seiner Umge-bung wahrzunehmen und es so gut wie möglich abzubilden. Ich halte meine Augen offen.

Das Interview führte Ferran Mateo

Mehr über die russische Literatur lesen Sie in der Rubrik READ RUSSIA

http://russland-heute.de/

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EINE BEILAGE DES ROSSIJSKAJA GASETA VERLAGS, MOSKAU Die Stadt

Russland HEUTE: Die deutsche Ausgabe von Russia Beyond the Headlines erscheint als Beilage in der Süddeutschen Zeitung. Für den Inhalt ist ausschließlich die Redaktion von Russia Beyond the Headlines, Moskau, verantwortlich. Rossijskaja Gaseta Verlag, Ul. Prawdy 24 Str. 4, 125993 Moskau, Russische Föderation Tel. +7 495 775-3114 Fax +7 495 988-9213 E-Mail [email protected] Herausgeber: Jewgenij Abow, Chefredakteur deutsche Ausgabe: Alexej Karelsky Gastredakteur: Moritz Gathmann Proofreading: Dr. Barbara Münch-Kienast, Redaktionsassistenz: Jekaterina IwanowaCommercial Director: Julia Golikova, Anzeigen: [email protected]: Andrej Schimarskiy

Produktionsleitung: Milla Domogatskaja, Layout: Maria OschepkowaLeiter Bildredaktion: Andrej Sajzew, Bildredaktion: Nikolaj Koroljow

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Verantwortlich für den Inhalt: Alexej Karelsky, zu erreichen über MBMS, Hauptstraße 41A, 82327 TutzingCopyright © FGUB Rossijskaja Gaseta, 2013. Alle Rechte vorbehaltenAufsichtsratsvorsitzender: Alexander Gorbenko, Geschäftsführer: Pawel Negojza, Chefredakteur: Wladislaw Fronin Alle in Russland HEUTE veröffentlichten Inhalte sind urheberrechtlich geschützt. Nachdruck nur mit Genehmigung der Redaktion

Nächste Ausgabe

2.Oktober

Futtern wie bei Muttern: Moskau plant Gastronomiereform

Essen Kleine Cafés und Restaurants haben es im teuren Moskau schwer. Die Stadtverwaltung schafft nun Abhilfe

MARINA OBRASKOWARUSSLAND HEUTE

In Moskau gibt es zu wenige

Restaurants und Cafés. Dazu

wird die Gastronomie von gro-

ßen Ketten dominiert, weshalb

es an kulinarischer Abwechslung

mangelt. Das soll sich ändern.

Die Stadtverwaltung hat dazu jüngst ein Entwicklungskonzept präsentiert: Es sieht vor, die Mos-kauer Küche als Marke zu entwi-ckeln und das gastronomische Image der Stadt durch das Eröff-nen qualitativ hochwertiger Res-taurants und Cafés zu verbessern. Zur Ausbildung des Fachperso-nals sollen eine Gastronomieschu-le und eine kulinarische Fakultät

schreibungen Flächen zur soge-nannten freien Nutzung angebo-ten, und ein kleines Café hat es sehr schwer, gegen eine Bank oder ein Geschäft anzukommen.“Laut Iwanow könnte bald auch ein „Rat für Gaststättenwesen“ entstehen, der die Umsetzung des Konzepts kontrollieren soll. Ähn-liche Räte gibt es schon in Toron-to und London, und ihr Nutzen hat sich bereits erwiesen.Der Restaurantbetreiber Arkadij Nowikow, der sowohl in Moskau als auch in London tätig ist, stellt fest, dass sich die Einstellung der Politiker gegenüber dem Gaststät-tengewerbe geändert hat.„Die Beamten genehmigen heute viel schneller die Eröffnung neuer Sommerterrassen und Restau-rants, stellen fast unverzüglich Schanklizenzen aus. Die büro-kratischen Hürden sind auf ein Minimum gesenkt worden“, so Nowikow. Den meisten, die ein ei-genes Café eröffnen wollen, ge-linge das auch, sagt er. „Die Beamten haben damit eine gute Ausgangsbasis geschaffen. Jetzt müssen sich nur noch Un-ternehmer fi nden, die von den Pri-vilegien Gebrauch machen. Die müssen gar nicht unbedingt Ge-schäftsleute oder kulinarische Profi s sein, sie müssen vor allem gut kochen können. Bürger kön-nen ihren eigenen kleinen Fami-lienbetrieb eröffnen. In Europa gibt es recht viele solcher Restau-rants mit der jeweiligen Haus-mannskost. Nun können wir ver-suchen, bei uns das Gleiche zu etablieren. Für Moskau ist das ein vollkommen neuer Ansatz.“

Mehr Gemütlichkeit in MoskauNowikow berichtet, dass er in die-sem Sommer bereits vier Terras-sen eröffnet habe und miterlebe, wie seine Kollegen ebenso verfah-ren. „Diese Entwicklung bringt einen Nutzen für alle: Angefan-gen bei den Steuern, über die tou-ristische Infrastruktur bis hin zum gemütlichen Flair“, erklärt der Gaststättenbetreiber und freut sich: „Die Zahlen, die die Behör-den nennen, sind durchaus rea-listisch. Sie werden sehen, was sich bis zum Jahresende noch tun wird. Alles entwickelt sich zum Positiven. Wenn sich irgendwie die Möglichkeit zum Arbeiten er-gibt, finden sich immer gleich Interessenten.“

Parkcafés in

Moskau

Gemütliche italienische Cafés im zentra-len Gorki-Park, im etwas südlich gele-genen Sokolniki-Park und im östlich ge-legenen Bauman-Park. Öffnungszeiten:

Mo–Fr 11–23 Uhr, Sa–So 11–2.30 Uhr Preise: 20–40 Euro › facebook.com/cafemercato (russisch)

Ein Café ganz im Stil der russischen Datscha im Eremitage-Garten, einer der ältesten Anlagen Moskaus direkt im Stadtzentrum. Öffnungszeiten: Mo–Do, So 11–3 Uhr, Sa 11 Uhr bis zum letzten Kunden Preise: 15–40 Euro › mosgorsad.ru (russisch)

Der Name dieses stilvoll gestalteten Cafés im Sokolniki-Park kann mit „Das Meer drinnen“ übersetzt werden. Dem-entsprechend ist die Ausstattung. Öffnungszeiten: Mo–Fr 12–23 Uhr, Sa–So 12–20 Uhr Preise: 15–40 Euro › facebook.com/MoreVnutri (russisch)

eröffnet werden. Auch ein Gas-tronomiemuseum, „kulinarische Theater“ und Festivals der russi-schen Küche sind anvisiert.Besonders interessant für Touris-ten ist die geplante russische Va-riante von „Futtern wie bei Mut-tern“. Dazu soll ein Kontaktver-zeichnis von Moskauern entstehen, die bereit sind, einen Ausländer zu sich nach Hause einzuladen, ihm die Zubereitung einer für die russische Küche typischen Spei-se beizubringen oder ihn einfach nur mit einem traditionellen Mit-tagsmahl zu bewirten.Das größte Problem bei der Rea-lisierung der Pläne sind die feh-lenden Gewerbeflächen in der Hauptstadt. Die Behörden wollen

zur Lösung alternative Flächen erschließen, zum Beispiel die Dächer von Wohnhäusern und Bibliotheken.

Sonderkonditionen für CafésLaut Alexander Iwanow, stellver-tretender Leiter des Departements für Handel und Dienstleistungen, werden zurzeit Gespräche mit dem Immobiliendezernat der Stadt Moskau geführt, um ein Viertel aller der Stadt gehörenden Nutz-fl ächen konsequent zu Sonderkon-ditionen für Restaurants oder Cafés zur Verfügung zu stellen. „Es sind leider nicht so viele Flä-chen, wie wir gerne hätten, aber sie reichen erst einmal aus“, so Iwanow. „Häufi g werden bei Aus-

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